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YourTaskToday 76: Setz jemandem ein Denkmal!

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Vorschlag zur Umgestaltung von diesem Ami-Teil da.





Ach komm, ein Waschbär passt immer noch mit rein.



Biomarkt-Kunden vs. Amnesty-Aktivisten

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Hund und Katz, Noel und Liam, Anwohner und Barbesucher: klar. Die hassen einander von Berufs wegen. Aber es gibt schönere, subtilere Feindschaften. Denen widmen wir die Serie "Alltagsduell". Hier findest du alle Folgen.

Die Situation:


Es ist Samstag kurz vor fünf, der Biomarkt-Kunde eilt mit zwei Recycling-Tüten auf dem Arm durch den Ausgang des Supermarkts. Er hat alles – genügend Bargeld, Wochenendlaune, eine gut sitzende Frisur – nur eines hat er gerade überhaupt nicht: Zeit für Unvorhergesehenes. In zwei Stunden kommen die Gäste und der Wein muss noch kaltgestellt und das Gratin in den Backof... – "Schönen Guten Tach!", ruft ein Junge und tritt aus einem gelben Zeltpavillon in den Weg des Biomarkt-Kunden. "Sie haben doch bestimmt auch was gegen Folter / die Brandrodung des Regenwalds / den Massenmord an Orang Utans, oder?" Über seinem Sweatshirt trägt der Junge ein grellfarbiges T-Shirt, auf seinem Gesicht das gusseiserne Grinsen, wie es der Biomarkt-Kunde von den Aboverkäufern kennt, die er an der U-Bahn gelegentlich abwimmelt.



Beide meinen's gut - aber wenn sie aufeinander treffen, geht's beiden schlecht: Ökologisch bewusste Kunden und Aktivisten von Wohltätigkeitsorganisationen.


Mit diesem strahlenden Jungen ist das leider anders. Sein Lächeln hat keinen merkantilen Zweck. Er verkauft hier nichts, er sucht Förderer für eine gute Sache. Er steht hier für Amnesty International, den WWF oder Unicef. Der Biomarkt-Kunde kann also schlecht wimmeln, er stoppt kurz, er lächelt zurück, "ja, äh, natürlich", er würde jetzt gern sagen, dass er nach dem Taifun Haiyan 300 Euro für die Philippinen gespendet hat, seit zwölf Jahren Grün wählt und überhaupt, er zuckt jetzt vielsagend mit den Recycling-Tüten auf dem Arm, schon lang nichts mehr beim Discounter kauft! Aber, verflixt, die Gäste kommen, der Wein muss ins Kühlfach und das verdammte Gratin... Mit bedauerndem Stirnrunzeln tänzelt er einen Halbkreis um den Jungen, der ihm mit Klemmbrett in der Hand und offenem Mund nachblickt.

Dort treffen sie aufeinander:


Auf Plätzen vor Bio-Supermärkten in Großstädten. In Gegenden, deren Anwohner ausreichend Geld für Altbauwohnungen an der Oberkante des Mietspiegels sowie für Einkäufe in Bio-Supermärkten haben und folglich an der tendenziellen Verbesserung der Welt nicht uninteressiert sind. In ähnlicher, weniger lupenreiner Konstellation treffen sie auch auf sonstigen Stadt- und Rummelplätzen aufeinander, deren Frequentierung den Aufbau eines Spenden-Pavillons zum lohnenden Unterfangen macht.

Darum hassen sie einander:


Beide Kontrahenten wollen grundsätzlich dasselbe – die Verbesserung der Welt. Sie wollen es aber auf verschiedenem Wege und in unterschiedlicher Dosierung. Der Biomarkt-Kunde hat im Kampf für das Gute die Rolle des Mäzens gewählt: Er steckt größere Teile seines nicht unbeträchtlichen Einkommens in regional produzierte Hühnchenbrustfilets und fairgehandeltes Kakaopulver, er wählt bei jeder Kommunalwahl ökologisch korrekt, er fährt einen sparsamen Kleinwagen und heizt im Winter nur das Wohnzimmer. Er ist also, gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt, schon deutlich auf dem richtigen Weg zu einer gerechteren Welt. Auch wenn er sich dafür nicht auf der Straße einen Sonnenbrand holen will.

Der nette Student, der hier mit Klemmbrett für Amnesty wirbt, tut genau das, und macht dem Biomarkt-Kunden dadurch ein schlechtes Gewissen. Warum fragt er ausgerechnet ihn? Es gäbe da draußen doch so viele, die noch gar nichts für die Welt tun! Die Landrover fahren und Nescafé trinken! Weil er ahnt, dass der Amnesty-Junge dieses Argument nicht gelten lässt, macht der Biomarkt-Kunde das, was er eigentlich verachtet: Er wimmelt den Aktivisten ab und geht weiter. Was diesen wiederum in seiner Erfahrung bestätigt, dass die gutfrisierten Kunden von Bio-Supermärkten tendenziell die verlogensten Geizhälse von allen sind.

Die besondere Schönheit des Konflikts:


Im Grunde handelt es sich bei dem Duell vor dem Bio-Supermarkt um Kannibalismus. Zwei Menschen, die etwas Gutes tun, frustrieren sich gegenseitig. Dabei könnte das Problem kinderleicht gelöst werden: indem der Amnesty-Aktivist nicht im Loha-Viertel auf Suche nach Spendern geht, sondern an einem Ort, wo das Gewissen der Passanten tendenziell schlechter sein müsste - sagen wir, vor dem Lidl neben der Shell-Konzernzentrale. Dass das Pavillonzelt trotzdem immer wieder vor dem Biomarkt steht, kann den genervten Kunden immerhin trösten: Offenbar gibt es dort statistisch doch die meisten Unterstützer der guten Sache.

Das können wir von ihnen lernen: 


Plus und Plus ergibt manchmal leider doch Minus.

I am the great sun ...

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... but you do not see me ...












Text:
Charles Causley
(1917–2003)



Bild:
Axel Fröscher
(19722048)


















Gnothi seauton.

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Sehen. Erkennen. Wahrnehmen. Realisieren. Klar sehen, das erste Mal seit Ewigkeiten, auf so vielen Ebenen. Falsch sehen, nicht richtig sehen oder nicht richtig gesehen haben. Anders sehen, verdreht sehen. Sich an die neue Sichtweise gewöhnen (müssen), sie sich aufdängen müssen oder aufdrängen lassen oder aufdrängen lassen müssen. Mit sich kämpfen, mit der neuen Sichtweise kämpfen, wissen, dass es sich lohnen wird, irgendwann, vermutlich. Aber letztlich: Klar sehen. Klarer sehen. Konturen und Strukturen erkennen. Sehen, was da war und was da ist. Die Augen nicht mehr davor verschließen, den Blick und vor allem die Gedanken abwenden von den Dingen, auf die man ohnehin keinen oder nur sehr wenig Einfluss hat, die sich auch ohne viel eigenes Zutun  ergeben und ihren Platz finden werden, irgendwie, irgendwo. Klar sehen. Klarer sehen. Nach vorne sehen und nicht zurück, nicht zu sehr jedenfalls, höchstens ein bisschen, manchmal, vielleicht aus Wehmut heraus oder deswegen, weil das, was zurück liegt, schon unveränderlich festgeschrieben wurde und deswegen klare Formen hat, das, was vor einem liegt, aber gerade noch anstrengend-veschwommen ist, kaum erkennbar, und sich nur Stück für Stück ins Sichtfeld schiebt und greifbarer wird. Aber so oder so: Nach vorne sehen. Klar sehen. Klarer sehen. Und nicht zurück. Eine Blickrichtung finden, irgendwo zwischen “Vergangenheit ist over” und “The future is unwritten”.

Was ist deine Bewerbungsanekdote?

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Rollenspiele sind super. Besonders, wenn man klein ist. Man kann eine zeitlang vergessen, wer man selber ist, und sich in Büschen verstecken, die dann Höhlen sind. Mein bester Kumpel war in diesen Rollenspielen früher oft ein Tyrannosaurus Rex, ich selbst eine Katze. Er ging mit lautem Gebrüll jagen, während ich unser Höhlen-Wohnzimmer einrichtete. Nicht, dass Katzen das unbedingt machen. Doch das war uns schnuppe. Was unsere Rollenwahl damals beeinflusste und ob sie irgendetwas über uns aussagte, hatte für uns überhaupt keine Bedeutung, "Was für ein Tier bist du?", war stattdessen der Auftakt eines sehr vergnüglichen Nachmittags ohne Hausaufgaben und Geschwisterzoff.  



"Welches Tier sind Sie?" - "Ganz klar: Gottesanbeterin!"

Sich Gedanken darüber zu machen, welches Tier man sein möchte, ist mit dem Ende der Kindheit allerdings nicht unbedingt vorbei. In der Redaktionskonferenz erzählte ein Kollege, dass ein Bekannter von ihm in einem Bewerbungsgespräch auf genau diese Frage eine überzeugende Antwort finden musste. Der Bekannte dachte sofort an "Kamera-Elefant". Das sind Elefanten, denen Filmemacher Kameras umhängen, um möglichst authentische Natur- und Tieraufnahmen für Dokus zu bekommen. Doch obwohl es ultracool und ungewöhnlich wäre, Kamera-Elefant zu sein, sagt es im schlimmsten Fall auch aus, dass man seine Fähigkeit im Herumtragen von Dingen sieht. Der Bekannte sagte also lieber "Tiger" und murmelte etwas von "Vorangehen" und "Herdentier", was zwar verhaltensbiologisch so nicht ganz korrekt ist, aber wenigstens nach Alpha-Mann mit Teamgeist klingt. Passt!

Obwohl also der Bekannte auf diese Frage antworten konnte, ist sie das ultimative Klischee. Jeder hat schon mal von ihr gehört, weil sie in Diskussionen um die krudesten Bewerbungsgespräche regelmäßig aufkommt. Aber bisher dachte man, dass sie nicht wirklich gestellt wird. Genau so gut könnte ein Personaler nach dem Lieblingsessen des Bewerbers fragen und auf seinen Feingeschmack schließen. Die Wandfarbe seines Schlafzimmers könnte zeigen, ob er fröhlicher Natur ist oder depressionsgefährdet.

Wurdest du im Bewerbungsgespräch auch schon Dinge gefragt, bei denen du perplex warst? Weil du nie erwartet hättest, dass sich diese Frage tatsächlich im Repertoire von Personalern befindet? Was war das und wie hast du darauf reagiert? Erzähl uns von deinen merkwürdigsten oder lustigsten Fragen im Bewerbungsgespräch!

Nato sieht Russland jetzt als Gegner

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Die Nato richtet sich mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion auf eine dauerhafte Herausforderung durch Russland ein. „Unser Ziel einer ungeteilten, freien und friedlichen euro-atlantischen Region hat sich nicht geändert, ist aber von Russland fundamental herausgefordert worden“, erklärten die Nato-Außenminister am Dienstag in Brüssel. Die Annexion der ukrainischen Krim durch Russland erkenne die Allianz nicht an.




Die NATO grenzt Russland aus

Die Nato sei mit einer „neuen Wirklichkeit“ konfrontiert, in der grundlegende Prinzipien der internationalen Ordnung in Frage gestellt würden, sagte US-Außenminister John Kerry. Die Botschaft laute nun: „Wir sind vereint, und die Allianz ist stark.“

Der Militärführung wurde beauftragt, bis Ende April einen Katalog von Maßnahmen auszuarbeiten, mit dem das Bündnis auf die neue Lage reagieren kann. Dabei geht es um die Verlegung von Nato-Kapazitäten in osteuropäische Mitgliedsländer sowie um Übungen, die dort abgehalten werden könnten. Außerdem soll geprüft werden, Bereitschaftsstufen zu erhöhen und Operationspläne zu aktualisieren. Die Nato werde weiterhin „angemessen und sichtbar“ ihre Bereitschaft zur „Abschreckung und kollektiven Verteidigung gegen jede Bedrohung oder Aggression“ zeigen.

Die Außenminister bestätigten auch die Entscheidung, die praktische Zusammenarbeit mit Russland im zivilen und militärischen Bereich auszusetzen. Fortgeführt werden soll nur der politische Dialog im Nato-Russland-Rat. Moskau habe gegen das Völkerrecht und gegen alle Vereinbarungen mit der Nato verstoßen. „Es hat das Vertrauen schwer beschädigt, auf das unsere Kooperation gegründet sein muss“, heißt es in der Erklärung.

Von dem Nato-Treffen sollte insbesondere ein Zeichen der Solidarität mit den an Russland grenzenden Nato-Mitgliedern ausgehen. „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Es gelte, „ Zusammenhalt und Solidarität“ zu zeigen. Unmittelbar vor dem Treffen hatte Deutschland sich bereit erklärt, sechs Jagdflugzeuge vom Typ Eurofighter in die baltischen Länder zu entsenden. Die Maschinen sollen dazu dienen, den dortigen Luftraum intensiver zu überwachen. Mit seinem Angebot folgt Deutschland dem Beispiel der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Dänemarks und Portugals. Die Nato überwacht seit 2004 im Rotationsprinzip den Luftraum der baltischen Staaten, die dazu nicht selbst in der Lage sind.

Die Nato sieht angesichts der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine kein Zeichen der Entspannung. „Leider kann ich nicht bestätigen, dass Russland seine Truppen zurückzieht“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und widersprach damit der Moskauer Darstellung. Auch Kanzlerin Angela Merkel hatte von Anzeichen für einen Truppenrückzug gesprochen. Nach Nato-Schätzung sind an der Grenze zur Ukraine 35000 bis 40000 russische Soldaten stationiert. Moskau erhöhte auch wirtschaftlich den Druck. Als Strafe für Milliardenschulden der Ukraine hob der Staatskonzern Gazprom die Gaspreise um 44Prozent an.

Plötzlich reich

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Für Steve Fields fiel Weihnachten in diesem Jahr auf den 7. März. Denn an diesem ungemütlich regnerischen Freitag war Steve mit einem Schlag reich. 31 000 Dollar. Auf seinem Konto bei der First Citizens Bank. Einfach so. Unendlich viel Geld für Steve Fields, 18 Jahre alt, ein bisschen zu kräftig, ein bisschen zu fettige Haut. Einer von 198 Einwohnern des kleinen Ortes Hull im US-Bundesstaat Georgia. Ein Foto auf seinem Facebook-Account zeigt ihn, wie er dem Betrachter den Mittelfinger zeigt. Im Hintergrund posen zwei Bekannte. Einer mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze, der andere mit Kampfhund auf dem Arm. Teenagerselbstbewusstsein in Hull, Georgia. Wie überall auf der Welt.



Schöne Überraschung: Der 18-jährige Steve Fields hatte auf einmal genug Geld, um zehn Tage lang zu feiern.

Weil das sein ganz persönliches Weihnachten war, dieser 7. März, als das viele Geld kam, stellte Steve keine Fragen.

Stattdessen ging er einkaufen.

Er kaufte ein gebrauchtes Auto, ein BMW sollte es sein. Er kaufte Klamotten, Lebensmittel, Zeugs. Und er ging gut Essen. Und weil so viel Geld eine ganze Weile zum Leben reicht im kleinen Hull, Georgia, dauerte Steves Weihnachten an. Zehn Tage lang feierte er.

Erst dann begann ein anderer, Fragen zu stellen. Ein anderer Steve Fields, ein Landbewohner ganz aus der Nähe. Der, der die 31000 Dollar am 7. März in gutem Glauben bei der Bank auf sein Konto eingezahlt hatte. Eben bei jener First Citizens Bank am U.S. Highway 29, in Hull, Georgia. Und der sich nun langsam wunderte, warum das Geld denn nicht auf seinen Kontoauszügen auftauchen wollte. Nach zehn Tagen immer noch nicht, verdammt! Da wurden die Banker hellhörig und bemerkten ihre Verwechslung. Da war Weihnachten vorbei.

Als der falsche Steve Fields am nächsten Tag bei der First Citizens Bank auftauchte, um Geld abzuheben, informierte ihn ein Banker über den Irrtum. Und dass man das Geld doch wirklich gerne zurück haben wollte. Alles, auch die 26000 Dollar, die er in den vergangenen Tagen ausgegeben und abgehoben hatte.
Stimmt alles gar nicht, sagte der Teenager dem Banker und später auch der Polizei. Das Geld habe er geerbt, von seiner Großmutter und es sei absolut zu Recht auf seinem Konto gelandet. Eine Lüge, sagt der verantwortliche Ermittler laut der Lokalzeitung Athens Banner-Herald. Steve Fields wurde in Gewahrsam genommen. Die Behörden veröffentlichten ein Foto von ihm. Ohne ausgestrecktem Mittelfinger, ohne Bekannten, ohne Teenagerselbstbewusstsein. Stattdessen in orangefarbener Sträflingskleidung.

Man habe keine große Hoffnung, viel von dem Geld wiederzubekommen, sagte der Sheriff Kip Thomas einem Sender. Aber man versuche, den gebrauchten BMW zurückzugeben, um an Geld zu kommen. Weihnachten wird für Steve Fields, den falschen, in diesem Jahr wohl vor Gericht enden.

Tüte im Wind

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Mobbing? „So etwas passiert doch nur den Dicken oder den Dummen“, meint Großmutter Neufeld, die mit frischer Blutwurst und klugen Ratschlägen bei Sohn, Schwiegertochter und Enkel zu Gast ist. Es ist eine Familie, die in Verzweiflung erstarrt ist, die ihren behüteten, bürgerlichen Alltag zurück will. Nick, ein Teenager, wurde in der Schule geschlagen, an einen Stuhl gekettet, bepinkelt, mit einem Schraubenzieher vergewaltigt. Unbemerkt von den Lehrern; ausgeführt nicht von verwahrlosten Nachwuchskriminellen, sondern von Mitschülern mitten aus der Kleinstadt, den Söhnen der Nachbarn und des örtlichen Bäckermeisters. Doch der Fernsehfilm Neufeld, mitkommen! ist kein klassisches Mobbing-Drama, in dem Fäuste und Worte fliegen. Er dokumentiert nur die Folgen solcher Taten, zeigt Szenen der Stille. Er beginnt an der Stelle, an der Filme über Gewalt gewöhnlich enden – nach der Gerichtsverhandlung, bei der die Täter mit Sozialstunden davonkommen. Was laut Prozessakten nun beendet sein müsste, ist noch längst nicht ausgestanden.



Was passiert hier? Mobbing ist an vielen Schulen ein Problem.

Dahinter steht eine wahre Geschichte. Drehbuchautorin Kathi Liers hatte den Fall in einem Reportage-Buch der Journalistin Jana Simon entdeckt. Gemeinsam setzten sie den Spielfilm um, unter der Regie von Tim Trageser. Wichtig sei es gewesen, sagt Jana Simon, kein typisches Opfer vorzuführen. Der Junge komme nicht aus einem schwierigen Elternhaus, er sei ganz normal, habe keine Besonderheiten, die unter Pubertierenden schnell Ziel von Schikane werden könnten. „Wir wollten zeigen, dass es tatsächlich jeden treffen kann.“

Lange lassen die Macher des Films den Zuschauer im Unklaren, was genau vorgefallen ist. Nick (Ludwig Skuras) beginnt erst in der Mitte des Films zu sprechen. Er besucht nicht mehr den Unterricht, igelt sich ein, verstummt. Die Eltern versuchen, ein heiles Familienleben zu inszenieren, mit Lobeshymnen auf einen kalorienreduzierten Käse und absurd gespielter Normalität. Der Rest ist Schweigen. Nur die Mutter (Christina Große) flüchtet sich nach außen in einen Rachefeldzug, verbeißt sich in die Vorstellung, die Tragödie ungeschehen machen zu können. Im Supermarkt rammt sie einem der mobbenden Mitschüler einen Einkaufswagen in den Bauch. Lehrer will sie mit Dienstaufsichtsbeschwerden bestrafen. Ihr Credo: „Es gibt Täter und Opfer – wir sind Letzteres.“ Da ihr Mann (Ole Puppe) das so nicht mittragen will, kommt es zum Ehestreit.

Ob Nick am Ende in die Schule, ins Leben zurückfindet, wird offengelassen. Zumindest gelingt es seiner Familie, sich ein Stück aus der Opferrolle herauszubewegen, die Stimmung hellt sich auf, man findet die Sprache wieder. Aussichten positiv.

Der Film maßt sich nicht an, Lösungswege aufzuzeigen. Ein schweigsamer Film darüber, dass vermutlich Schweigen genau das Falsche ist. Das Arrangement mit der Rückwärtserzählung ist die große Stärke von Neufeld, mitkommen!. Der Film handelt von grausamen Taten, keine von ihnen wird gezeigt. Das ist gut so: Darstellungen von Gewalt auf Schulhöfen gibt es in anderen Filmen zuhauf und oft in überdrehter Form oder klischeehaft, man kennt diese prolligen, gefühlskalten Ghetto-Kids. Im Gegenzug übertreiben es die Macher von Neufeld, mitkommen! zuweilen mit der Metaphorik, da flattert schon mal eine Pausenbrottüte einsam im Wind.

Wenn heute über Mobbing diskutiert wird, verengt sich der Fokus allzu oft auf soziale Netzwerke. Zwar ist das ein wachsendes Phänomen, in Umfragen sagte jüngst ein Fünftel der 14- bis 16-Jährigen, dass sie schon mal Opfer von Schikane im Internet geworden sind. Das macht aber nicht ungeschehen, dass es Peinigung und Pöbeln in der realen Welt gibt. Der Film erinnert daran. Ein Happy End bietet er zudem nicht, auch wenn Nicks Leiden womöglich vorbei ist: In der Schlusssequenz deutet sich an, dass nun ein anderer Schüler als Opfer auserkoren wurde.

Neufeld, mitkommen!, ARD, Mittwoch 02.04., 20.15 Uhr.

Rückgang auf hohem Niveau

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Gute Nachrichten für geplagte Kinderseelen: Erstmals seit 20 Jahren ist der Verbrauch von Methylphenidat in Deutschland nicht weiter angestiegen. Nach Auswertungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wurden 2013 bundesweit 1803 Kilogramm der besonders unter dem Handelsnamen Ritalin bekannten Substanz verbraucht. 2012 waren noch 1839 Kilogramm des Wirkstoffs verarbeitet worden, der hauptsächlich zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität (ADHS) verwendet wird. In den zehn Jahren zuvor hatte sich der Verbrauch verdreifacht.



1083 Kilogramm Ritalin wurden 2013 verbraucht - 36 Kilogramm weniger als noch 2012

„Von einer echten Abwärtstendenz können wir noch nicht sprechen“, sagt Walter Schwerdtfeger, Präsident des BfArM. „Gleichwohl werten wir diesen ersten leichten Rückgang nach dem massiven Anstieg der vergangenen 20 Jahre als ein positives Signal, das möglicherweise auf einen kritischeren Umgang mit Methylphenidat hindeutet.“ Die vergangenen beiden Jahrzehnte waren eher durch einen unkritischen Umgang mit dem Stimulanz gekennzeichnet, schließlich sind die Verordnungszahlen für Ritalin und Co. seit 1990 kontinuierlich und teilweise dramatisch gestiegen. Im Jahr 2000 wurde mit einem Zuwachs von 91 Prozent gegenüber dem Vorjahr die größte Steigerung registriert. Trotz zunehmender Kritik an der vorschnellen Verschreibung stieg der Verbrauch bis 2008 jährlich um durchschnittlich 17 Prozent. Erst seit 2009 verlangsamte sich der Anstieg auf etwa drei Prozent. Im vergangenen Jahr sank der Verbrauch erstmals geringfügig – und zwar um zwei Prozent.

Dass immer freizügiger Ritalin verschrieben wurde, führen Kritiker auf die zu schnell und zu oft gestellte Diagnose ADHS zurück. Fachleute vermuten, dass höchstens vier bis fünf Prozent der Kinder eines Jahrgangs an der Aufmerksamkeitsstörung leiden könnten, das wären ein oder zwei pro Klasse, die aber längst nicht alle medikamentös behandelt werden müssen. Fehl- und Übertherapie trugen dazu bei, dass Ritalin häufiger als notwendig verschrieben wurde, im Jahr 2012 verordneten Ärzte allein in Deutschland knapp 60 Millionen Tagesdosierungen. „Ausgelöst wurden die Steigerungen in den letzten eineinhalb Jahrzehnten vermutlich durch Ausweitungen des psychiatrischen Krankheitsbegriffs“, schreiben die Autoren des Arzneiverordnungsreports 2013. Dass Methylphenidat seit 2011 auch für die Behandlung Erwachsener mit ADHS zugelassen ist, hat offenbar nicht zu einem Anstieg des Verbrauchs geführt. Werner Bartens

Tagesblog am 2. April 2014

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10:01 Uhr: Ich bin kein DJ und ich kenne mich mit DJs nicht sonderlich gut aus. Deshalb kann ich auch nicht einschätzen, welche Bedeutung DJ Frankie Knuckles für das DJing, die Musikgeschichte und die Welt an sich hatte. "Hatte" muss man schreiben, weil Frankie Knuckles gestorben ist. In der SZ ist ein Nachruf über ihn erschienen, geschrieben vom Feuilleton-Chef der SZ höchstpersönlich. Der kann das mit Sicherheit alles ziemlich gut einordnen, und er schreibt:

"Das höchste Ziel der Popmusik bleibt die Verzückung. Kaum einer beherrschte die Kunst, eine Menschenmenge in diesen Moment des Abschieds vom Hier, Jetzt und der Vernunft zu versetzen, so gut wie der am vergangenen Montag verstorbene DJ Frankie Knuckles."


Klingt, als müsste man dringend mal in Knuckels Werk reinhören. Zum Beispiel in diesen Mix hier:

http://www.youtube.com/watch?v=EanuiNxcVHk&feature=youtu.be

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9:34 Uhr:
Wenn man einen Job haben möchte, muss man sich manchmal sehr dumme Fragen stellen lassen. Zum Beispiel die hier: "Wenn Sie ein Tier wären, welches wären Sie dann?" Kein Scheiß, passiert echt, so was, Jakob hat erzählt, dass ihm das ein Freund erzählt hat. Der hat dann was von Tiger und vorangehen und Herdentier gestammelt, weil das nach Power und Teamgeist klingt. Ich glaube zwar nicht, dass Tiger Herdentiere im klassischen Sinne sind, aber egal. Wir haben diese Anekdote zum Anlass genommen, ein paar Awkward-Bewerbungs-Moments zu sammeln.



Der Typ könnte sagen, er sei Gottesanbeterin. (Foto: simonthon / photocase.com)

++++

9:26 Uhr:
Die leicht abklingende Grundaggressivität aus dem Stau wird von Neuem erweckt durch ein abstürzendes Mailprogramm. Ich glaube, ich muss jetzt kurz Metallica hören.

http://www.youtube.com/watch?v=xjlgUx7_aN0

++++

9:22 Uhr:
Mann, ist das schon spät. Wollte eigentlich schon vor einer Stunde anfangen hier zu schreiben. Aber dann war irgendein Tunnel gesperrt und es gab einen Riesenstau, den ich dann umkurven wollte. Wollten leider viele andere auch. Einfach zu warten wäre wahrscheinlich besser gewesen. Kann ich aber sehr schlecht. Ich suche immer Abkürzungen und Schleichwege - auch wenn ich eigentlich weiß, dass das nicht viel bringt.

Meister der Verzückung

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Das höchste Ziel der Popmusik bleibt die Verzückung. Kaum einer beherrschte die Kunst, eine Menschenmenge in diesen Moment des Abschieds vom Hier, Jetzt und der Vernunft zu versetzen, so gut wie der am vergangenen Montag verstorbene DJ Frankie Knuckles. Und kaum einer schaffte das mit einer so subtilen Mischung. Dort wo die DJ–Generationen nach ihm oft brachiale Mittel einsetzen, um eine Menge in die Raserei zu treiben, mischte Frankie Knuckles seine Musik mit einem einzigartigen Gespür für Swing und Flow, die er über die Dauer eines Sets so subtil steigerte, bis die wenigen Drops und Crescendi, die er einsetzte, die Tänzer sanft in den Moment der Ekstase geleitete.




Frankie Knuckles hier im Mai 2007 in einem Londoner Club

Die religiösen Untertöne dieser Verzückung nahm Frankie Knuckles mindestens so ernst, wie U2, Al Green, Aretha Franklin und alle anderen, die sich ihre Dynamik so schamlos bei ihren jeweiligen Kirchen abgeguckt hatten. „Motivation“ hieß sein Album von 2002, das bis heute zu den besten Alben in der Geschichte der elektronischen Tanzmusik gehört. Da mischte er Stücke wie „Deliver Me“, „He Is The Joy“, „Higher“ und „Father“ zu einem so inbrünstigen Mix, bei dem selbst Richard Dawkins zum Glauben finden würde.

Die erotischen Doppeldeutigkeiten, die sich in den Erlösungsmomenten der Verzückung finden, waren dabei genauso ernst gemeint, wie die religiösen Obertöne. Denn das Leitmotiv seiner frühen Jahre war der Kampf um Gleichberechtigung, den er als Homosexueller und als amerikanischer Schwarzer gleich auf mehreren Ebenen führen musste – gegen die Vorurteile der Homophobie, des Rassismus, gegen die Ablehnung der Homosexualität in den schwarzen Gemeinden und gegen die rassistisch-homophobe Ablehnung seiner Musik in der bis heute vom Rock geprägten Popkultur.

Aufgewachsen war Frankie Knuckles in der Bronx. Als Modestudent am renommierten Fashion Institute of Technology begann er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Larry Levan in den Continental Baths Platten aufzulegen. Die Baths waren ein Vergnügungstempel im Keller des prächtigen Ansonia Hotels auf Manhattans Upper Westside. Hier formierte sich während der frühen Siebzigerjahre der hedonistische Widerstand der Schwulenbewegung. Hier wurde die Clubkultur in einem Ausmaß geboren, gegen den das Berghain heute wie ein evangelisches Jugendzentrum wirkt.

Nach einer kurzen Zeit in der legendären Gallery zog Levan weiter in die Paradise Garage und Knuckles nach Chicago. Dort verdichtete Knuckles im Warehouse und später in seinem eigenen Club Power Plant Genres wie Italodisco, Soul, Hip-Hop und Gospel mit Plattenspielern, Mixern und einem Drumcomputer zu jener minimalistischen Form, die seit den Neunzigern als House weltweit die Clubs dominiert.

Bald begann Knuckles auch zu produzieren. Gemeinsam mit Jamie Principle schrieb er erste House Hits wie „Your Love“ und „Baby Wants To Ride“. Bald begriffen auch die Etablierten des Pop, dass man einen wie Frankie Knuckles brauchte, wenn man die immer bedeutendere Club- und DJ-Kultur erobern wollte. Und so überließen sie ihm ihre Songs, damit er sie mit seinem Feenstaub aus rollenden Beats und inbrünstigen Akkordwellen adelte – Michael Jackson, Diana Ross, Whitney Houston.

Für viele bleibt House bis heute ein Rätsel. Die Konzentration auf den Beat, das Frenetische und die unverhohlene Sexualität berührt etwas in ihnen, vor dem sie sich lieber in die breitbeinige Trotzigkeit des Rock flüchten. 1986 war es, als Frankie Knuckles bei der Party zum Start der Zeitschrift Tempo zum ersten Mal in Deutschland auflegte. Die meisten erlebten an diesem Abend zum ersten Mal, in welche Zustände ein House-DJ eine Halle versetzen kann. Lange hielt sich noch das Gerücht, jemand hätte Ecstasy in die Bowle gemischt.

Wer eine Ahnung davon sucht: DJ-Sets von Frankie Knuckles bekommt man wohlfeil im Netz (einen der besten unter http://youtu.be/EanuiNxcVHk ). Seine letzte Doppel-CD „Tales From Beyond The Tone Arm“ ist ähnlich grandios wie „Motivation“. Und auf der neuen Remix-CD „Love To Love You Donna“ kann man bei seinem Remix von Donna Summers „Hot Stuff“ hören, was er aus einem Song machen konnte. Am Montag ist er im Alter von 59 Jahren vermutlich an Komplikationen seiner Diabetes gestorben. In Chicago, der Stadt, die auein Stück Straße nach ihm benannte. Er wird der Musikgeschichte noch lange fehlen.

Herzensbrecher: traurige Vormieter

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Sie steht hinten im Türrahmen zum Schlafzimmer, ihr Mann rückt ein paar Zeitschriften auf dem Wohnzimmertisch zurecht. Beide tragen Pantoffeln aus Filz. Beide wissen nicht so recht, was sie hier eigentlich gerade sollen.  

In der Wohnung laufen noch etwa zwölf weitere Personen in Paaren herum. Sie blicken sich um, sprechen leise miteinander. Sie tragen Straßenschuhe. Und sie wissen sehr genau, was sie wollen: diese Wohnung. Die Wohnung der Pantoffelträger.  

Ein Massen-Wohnungsbesichtigungstermin in einer Großstadt wie München ist nie eine schöne Angelegenheit. Besonders schlimm ist so ein Termin aber, wenn die Vormieter auch da sind, weil sie dem Makler oder Besitzer aufsperren müssen. Wenn die Wohnung noch ihr Zuhause ist und ihr Leben in jeder Ecke und auf jedem Regalbrett noch deutlich sichtbar, gleichzeitig aber klar ist: Das war’s dann bald. Bald kommt hier der Umzugswagen und irgendjemand schleppt einen Farbeimer herein und übertüncht jede Spur dieses Lebens. Das bricht mir das Herz.  

Die Vormieter müssen zusehen, wie Menschen ihr Zuhause in Gedanken umkrempeln, vorfreudig überlegen, wo sie den Esstisch hinstellen könnten und wo den Fernseher. Sie haben vielleicht schon einen Meterstab dabei und wägen möglichst nüchtern und sachlich die Unzulänglichkeiten und Vorteile der Wohnung gegeneinander auf, und das, während sie in den privatesten Bereichen von völlig Fremden stehen. Das Schlafzimmer wirke ja recht dunkel. Ob man die Einbauküche wohl übernehmen muss? Tja, das Bad, das könnte man natürlich schon schön gestalten, mit ein bisschen Händchen.  

Bei den Pantoffelträger ist es besonders schlimm. Ihre schöne Wohnung liegt im Dachgeschoss, es ist ein wolkenloser Tag, man kann die Sonne hinter den Dächern verschwinden sehen. „Ja, es war schon eine gute Zeit hier“, sagt die Pantoffel-Vormieterin im Türrahmen, als man an ihr vorbeigeht ins Schlafzimmer, in dem hinten aus dem Wäschekorb ein Unterhemd hervorlugt. Und weil einem das unangenehm ist, murmelt man etwas, „hallo, eine schöne Wohnung haben Sie“, und dann antwortet sie eben und erzählt noch ungefragt, dass sie und ihr Mann jetzt ja schon über 60 seien und nicht wüssten, wie lange das noch gut gehe mit dem vierten Stock ohne Aufzug, und naja, da hätten sie jetzt eben den Schritt gewagt, aber leicht sei es ihnen nicht gefallen und sie würden die Wohnung bestimmt vermissen.  

Aber selbst wenn die Vormieter kein altes Ehepaar sind, das nach 15 Jahren auszieht, oder kein junges, das ein Kind bekommen hat und deshalb jetzt keine zwei vollen Gehälter mehr bekommt, mit denen sich die Miete leicht bezahlen lässt – Vormieter bei Besichtigungsterminen bieten immer ein elendes Bild. Selbst wenn sie vielleicht in eine andere schöne Wohnung ziehen und das alles also gar nicht schlimm ist – traurig ist es trotzdem. Denn sie verkörpern die Vergänglichkeit. Den Prozess, in dem aus einem Zuhause plötzlich ein Objekt wird, bei dem es um Wirtschaftliches geht: um Quadratmeter, Nebenkosten, Kaltmiete und Kaution. Die Vormieter sind für die meisten Besucher, die hier durchtrampeln, nicht mehr die Bewohner dieser Wohnung. Sie sind Ballast, Altlast, allerhöchstens noch Quelle für ein paar Informationen jenseits dessen, was der Makler zu berichten weiß: Hört man die Trambahn denn sehr laut hier oben? Scheint die Sonne auch im Winter über das Hausdach gegenüber? Ist das Haus hellhörig?  

Ein paar Stunden geht das so. Leute kommen, Leute gehen, der Makler verteilt Grundrisse auf A4-Papier, macht sich Notizen über die Bewerber, sein Handy klingelt ständig. Die Vormieter müssen sich jeden der Besucher als potenziellen Nachmieter vorstellen. Als denjenigen, der bald schläft, wo sie jetzt schlafen. Und trotzdem sind es nicht sie, die darüber entscheiden, wer ihnen nachfolgt. Sie sind zwar emotional viel enger mit der Wohnung verbunden als der Vermieter, haben aber keinen Einfluss auf ihr Erbe.

Und ihre Pantoffeln werden keine Spuren hinterlassen.

Ein Poet wird zum Opfer seiner Triebe

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Als ich diese Zeile schrieb,


dann spürte ich in mir den Trieb


nach Liebesglück und Ehefrau,


nach Damenduft und Fleischbeschau,


so wollte ich ihn hier denn stillen,


Wunsch und Sehnsucht mir erfüllen,


trieben mich in eine Bar,


wo ich inmitten einer Schar


von Bräutigamen nur beglotze


wie denn ihrer Not zum Trotze


hübsche Mütter sich entkleiden,


dabei jedoch nicht vermeiden,


dass mein Herz verloren geht


an eine, die hier vor mir steht,


mit süßem Lächeln und viel Charme,


an Blauwalbrüsten auch nicht arm,


doch bin ich auch noch so verliebt,


so seh ich, wie es mich betrübt,


dass sie der Ehe sich verweigert,


hab ich mich hineingesteigert,


meine Triebe hier zu stillen,


meinen Wunsch denn zu erfüllen,


ein paar Verse nur zu dichten


hier Ideen bloß zu sichten,


allerdings fiel mir nichts ein,


so muss es die Metapher sein


vom unerfüllten Liebeszwang


für ungestilltem Künstlerdrang.



... und so zogen sie in die Welt hinaus.

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Seit kurzem hängen vier Fotografien von mir im neu gebauten "Lern- und Studiengebäude" der Universität Göttingen.





Da man die Räume in dem Gebäude (über ein elektronisches Buchungssystem) buchen muss und meistens alle ausgebucht waren, konnte ich meine Bilder nicht mal eben "besuchen" und wusste daher auch lange nicht, wie sie dort präsentiert werden, da ich sie digital eingereicht hatte.

Vor kurzem hatte eine Freundin jedoch zufällig einen jener Arbeitsräume gebucht, in denen eins meiner Bilder hängt - und hat mir zuliebe gleich "Beweisfotos" gemacht.

Im Zug von Fès nach Marrakech.

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Neben mir sitzt ein älterer marokkanischer Herr. Von der Sonne gegerbte Haut; schlohweißer, ordentlich gestutzter Bart; Schiebermütze auf dem Kopf. Das Kreuzworträtsel der Tageszeitung scheint keine Herausforderung für ihn zu sein. Weder die arabische, noch die französische Variante – die ebenfalls konsequent mit arabischen Schriftzeichen ausgefüllt wird.


"Intelligenz und Diskriminierung schließen sich nicht aus"

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Es begann in Harvard: Studenten der amerikanischen Elite-Universität starteten den Foto-Tumblr "I, Too, Am Harvard", um auf die Diskriminierung ethnischer Minderheiten aufmerksam zu machen. Sie hielten Schilder in die Kamera, auf denen sie Zitate von Kommilitonen ("You’re lucky to be black...so easy to get into college") oder ihre Gedanken und Forderungen ("Please don’t pet my hair...I am not an animal") notierten. Der Tumblr wurde auf Facebook und Twitter tausende Male geteilt. Mitte März zog die englische Uni-Elite mit "I, Too, Am Oxford" nach – und hat in den sozialen Netzwerken und der englischen Presse eine große Diskussion um Diskriminierung an Elite-Unis entfacht, unter anderem im Guardian. Marion, 23, ist Masterstudentin in Oxford, eine der Aktivistinnen und hat mit uns über "Mikroverletzungen" und den Zusammenhang von Postkolonialismustheorien und Rassismus gesprochen.

[plugin bildergalerielight Bild1="Marion mit ihrem Beitrag zu I, Too, Am Oxford"" Bild2="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild3="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild4="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild5="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild6="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford" Bild8="Beitrag für den Tumblr I, Too, Am Oxford"]

In Oxford gingen im vergangenen Jahr nur 375 der knapp 3000 Bachelorstudienplätze an nicht-EU-Bürger. Sind Orte wie Oxford und Harvard "weiße" Institutionen?  
Größtenteils schon. Ich habe das Gefühl, das Thema wird gerade an Traditions-Unis überhaupt nicht zur Sprache gebracht. In Großbritannien herrscht noch ein extremes Klassendenken, das kommt an Elite-Institutionen besonders zum Tragen. Armut wird hier oft mit der Arbeiterklasse assoziiert. Auch wenn einige Studenten aus dem Ausland kommen, stimmt es eben auch, dass ein Großteil Privatschulen besucht und einen entsprechenden Hintergrund hat.  

Würde man nicht eigentlich erwarten, dass Rassismus für junge, intelligente Menschen in einem internationalen Umfeld wie Oxford kein mehr Thema ist?  
Den Kommentar haben wir im Laufe der Kampagne oft gehört: "Die sind doch schlau, klar sind die nicht rassistisch." Aber das wäre zu einfach. Intelligenz und Diskriminierung schließen sich nicht aus. Ich bin in London aufgewachsen - das ist eine internationale, superoffene Stadt. Ich habe dort so etwas wie Rassismus nie erlebt. Das erste Mal ist es mir hier begegnet. Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Wenn ich mit meinen Freunden von anderen Unis gesprochen habe, waren die total perplex, weil das bei ihnen einfach nicht vorkommt.  

Was für Situationen hast du erlebt?
 
In meiner ersten Univorlesung hat sich zum Beispiel ein Student einfach von mir weggesetzt. Ziemlich oft gibt es Kommentare zu meinem Akzent. Mir geht es aber nicht nur um so offensichtliche Beispiele, sondern um die alltäglichen "Mikroverletzungen" die man erfährt und die die meisten gar nicht wahrnehmen.  

Was meinst du mit "Mikroverletzungen"?
 
Ich meine Kommentare, die sich nicht in eine offene Diskussion verwandeln lassen. Es gibt zum Beispiel den Stereotyp "fierce black woman", der darauf anspielt, das schwarze Frauen schnell aufbrausend werden. Wenn ich meine Meinung sage, kommt manchmal eine Bemerkung in die Richtung, die es schwierig macht, ernst genommen zu werden. Wenn man das dann anspricht, heißt es: Das war doch nur ein Witz, sei nicht so empfindlich.  

Die Uni hält mit Integrationsbeauftragten, Sonderstipendien und "International Societies" den Eindruck einer weltoffenen Institution aufrecht. Wie viel bewirkt das wirklich?
 
Das Wort "Sonderstipendium" trifft es schon ziemlich genau. Spezielle Finanzierungen für ethnische Minderheiten weisen genau auf dieses Denkmuster hin: Schwarz heißt arm und weiß heißt reich. Es ist zwar gut, das solche Dinge wie Förderungsmöglichkeiten oder Integrationsbeauftragte existieren, weil es zeigt, dass die Universität wenigstens versucht, etwas gerade zu rücken. Der Punkt ist aber, dass es das gar nicht geben müsste - in einem gesunden Umfeld sollten sich Minderheiten bewusst nicht als solche erleben.

Was kann die Uni also tun?
 
Eine Institution wie Oxford hat die Chance, das Klischee zum Gegenteil zu wenden. Gerade hier sollte es darum gehen, was jemand kann, und nicht, wo er herkommt oder welche Hautfarbe er hat. Es geht aber nicht nur um die Uni, sondern um ein generelles Umdenken. Dass es eine dominiert weiße Gesellschaft gibt, geben die Menschen nicht gerne zu. Es sollte einen offenen Dialog geben, der das anspricht und Missverständnisse aus dem Weg räumt. Das ist aber nichts, das über Nacht geschieht.    

Kurz nach "I, Too, Am Oxford" startete die Gegeninitiative "We Are All Oxford", die den Vorwurf der Diskriminierung entgegentreten will. Ein Foto zeigt zwei weiße Studentinnen, die Schilder hochhalten, auf denen steht: "Wir kommen von einer staatlichen Schule. Siehst du uns das an?" Illustriert so eine Reaktion das Problem, das ihr ansprechen wollt?
 
Ja, absolut. Ich glaube, man hatte Angst um den Ruf der Institution und wollte das Problem schnell unter den Teppich kehren. Wir haben klar gemacht, dass wir Oxford nicht als rassistische Institution darstellen wollen. Viele sind sich gar nicht bewusst, wie ihre Kommentare rüberkommen - da würde ich die Gegenkampagne direkt mal mit einschließen. Es geht nicht darum, jemandem oder der Uni direkt Rassismus vorzuwerfen, sondern darum, auf bestimmte Kommunikationsmuster aufmerksam zu machen. Ich würde das nicht speziell rassistisch nennen. Nicht-körperliche Gewalt oder Verletzung ist etwas viel Subtileres, was schwer zu beschreiben ist.    

Auf deinem Schild steht: "Nur weil du Postkolonialismustheorien kennst, kannst du noch lange nicht für mich sprechen." Fördert ein akademischer Rahmen auch so etwas wie falsches Verständnis?
 
Definitiv. Manche lesen im Seminar ein paar Standardwerke zu Postcolonial Theory und glauben, sie haben das Problem verstanden. Ich habe dann oft das Gefühl, dass mir die Stimme genommen wird. So nach dem Motto: "Wir verstehen wie du dich fühlst, wir haben den Text gelesen."  

Ein Vorwurf der Gegeninitiative war, dass ihr andere Studenten mit multinationalem Hintergrund davon abhaltet, sich zu bewerben, weil ihr Oxford als rassistisch darstellt.
 
Das ist absolut nicht wahr. Im Gegenteil, es sollte motivieren, sich zu bewerben. Wir zeigen, dass hier eine starke Gemeinschaft wartet, die das Problem nicht totschweigt und etwas ändern will.  

Hat die Kampagne für dich also ihr Ziel erreicht?
 
Für mich war der Hauptgrund, bei der Aktion mitzumachen, ein Forum zu eröffnen und Probleme von ethnischen Minderheiten offen anzusprechen. Ich denke, in den USA ist das Thema Rassismus durch den historischen Hintergrund viel präsenter, in England gibt es kein aktives Bewusstsein dafür. Eine Aktion wie "I, Too, Am Oxford" schlägt dann ein wie eine Bombe. Schon in den ersten Tagen nachdem die Kampagne gestartet ist, hatte ich wahnsinnig viele Diskussionen mit allen möglichen Leuten - Freunde, Kommilitonen oder auch mit Fremden. Man kann es unnötig finden oder großartig. Aber wenn die Leute nur eine Sekunde darüber nachgedacht haben, haben wir schon etwas gewonnen. Darauf bin ich auf jeden Fall stolz.

Auf Linie

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Sie ist die schönste und gleichzeitig die hässlichste Tram der Stadt. Die 19. Sie fährt durch die Speckschicht durchs Herz, von Pasing durch Laim durch die Landsberger Straße, am Hauptbahnhof vorbei durch den Prunkteil der Stadt zwischen Lenbachplatz und Maximilianeum, weiter durch das französische Haidhausen und ab dem Ostbahnhof durch Berg am Laim bis zur St.-Veit-Straße. Die 19 müsste also alles abbilden, was es in München gibt. Und wer einen ganzen Tag in ihr hin und herfährt, so die Idee, der versteht bestimmt etwas von der Stadt, das bisher verborgen geblieben ist. Eine Art innere Wahrheit vielleicht, die sich sonst nicht erschließt, weil man die Stadt doch immer nur als unzulängliche Collage aus Alltagshäppchen erlebt? Ein Versuch.
 

VIP-Gefühl


07:25 Uhr: Einsteigen am Stachus und gleich eine Überraschung: Das Gedränge, das in den meisten anderen Linien um diese Zeit herrscht, fehlt komplett. Es riecht nicht wie sonst nach Schlaf, gewaschener und ungewaschener Haut, vergorenem Kaffeeatem, Aftershave und bonbonsüßem Parfum. Stattdessen VIP-Gefühl, Beinfreiheit in der letzten Reihe, Panoramafenster. Ist die Leere Zufall oder ist das hier einfach keine Büro- und Schulwegstrecke? Blick den Tramflur hinunter: Vielleicht fünfzehn Passagiere, ältere, gepflegte Frisuren, die jetzt auf den Lenbachplatz geschunkelt werden.
 
Und weiter Richtung Maximilianstraße. Bayerischer Hof, Michael-Jackson-Denkmal, Einzug in die Glamourkurve, Loden Frey, Theresa, Betten Rid. Postkarten-München: Die saubere Stadt mit ihren Nobel-Boutiquen. An der Haltestelle Theatinerstraße windet sich im Sonnenlicht aber auch ein Obdachloser in seinem lila Anorak. Auf Postkarten sieht man schließlich selten die Realität.
 
In der Maximilianstraße sind die Läden noch dunkel, die Gehwege schattig. Dann Maxmonument, Isarglitzern, und die Tram schmiegt sich an die Felswand vorm Maximilianeum. Irgendwie salzburgerisch, wie Zugfahren in den Bergen.

[plugin bildergalerielight Bild1="Die ersten Meter nach der St.-Veit-Straße" Bild2="In der Kreillerstraße" Bild3="In der Berg-am-Laim-Straße kurz vor dem Ostbahnhof" Bild4="Typische Münchner Fassaden in der Max-Plank-Straße" Bild5="Wie Zugfahren in den Bergen: das Maximilianeum spiegelt sich im Fenster eines Busses" Bild6="Flanieren geht hier als Tagwerk durch: die Maximilianstraße" Bild7="Landsberger Straße" Bild8="Die Landsberger Straße in Laim" Bild9="Mercedes in der Linie 19" Bild10="Kurz nach der Abfahrt am Pasinger Bahnhof" Bild11="In der Pasinger Bäckerstraße" Bild12="Noch mal Landsberger Straße" Bild13="Mercedes" Bild14="Am Hauptbahnhof"]

  
In Haidhausen dann plötzlich das Leben, Eltern mit den Ranzen ihrer Kinder über einer Schulter, langbeinige Teeniemädchen, ein Gewusel auf den Straßen wie in einem Familienhausflur. Hier ist plötzlich alles ganz nah, weil die Straßen und die Winkel so eng sind. Vielleicht sind sich deshalb auch die Menschen hier näher. Und die Kulturen. Die Miniatur-Weltreise ist in Frankreich angekommen, dem Viertel der Kopfsteinpflasterplätze, der französischen Laternen und gepflegten Altbauten. Die Tram füllt sich.
 
Am Ostbahnhof wieder ganz normale Hässlichkeit auf der Orleansstraße Richtung Haidenauplatz. Kurzer Tramausfall wegen eines Verkehrsunfalls, Weiterfahrt nur mit dem Ersatzverkehr. Ich drehe um. Jetzt also Richtung Pasing. Es ist voll in der Tram, wegen des Unfalls staut sich alles.
 
Gegen 10:30 Uhr am Hauptbahnhof: Die Tram leert sich wieder. Unter der Wiesn-Brücke hindurch. Holzapfelstraße. Auf der Augustiner-Stellenanzeigen-Tafel kleine Freude darüber, dass was draufsteht: „Brauereihilfsarbeiter, w/m gesucht, befristet“.

Das ist München?


Elsenheimer Straße: Laim ist immer wie eine eigene, kleine Stadt für sich, wie Hannover oder Essen, arabische Läden, Internetcafés, Bäckereien, Bioläden, Büchereien. Auf der Suche nach Regelmäßigkeiten und Typologien zu Stadtvierteln und ihrem Trampublikum fallen mir nur seltsame Dinge ins Auge: Zwei Frauen mit der exakt gleichen Haarfarbe sitzen Rücken an Rücken und wissen es nicht. Ein alter Mann und ein junges Mädchen mustern sich heimlich genau gleich interessiert und verpassen einander immer um Millisekunden in ihren Blicken. Sensiblere Menschen, die von München nach zum Beispiel Berlin ziehen, berichten manchmal davon, dass sie sich ihrer eigenen Existenz plötzlich nicht mehr sicher sind. Weil niemand sie mehr mustert.
 
In mir wächst der Wunsch, geheime Statistiken der Belanglosigkeiten aufzustellen: Wie viele seltsam ähnliche Schicksale fahren hier gerade miteinander rum, wie viele gleiche Geburts- oder zukünftige Todestage, ehemalige Krankenhausnachbarn, zukünftige Paare oder Freunde, ohne voneinander zu wissen? An der Agnes-Bernauer-Straße steigt ein Radfahrer ab und klettert mit einer Leiter auf einen Baum zu einem Vogelkasten hinauf. Eine Frau verliert ihre Mütze, die auf die Bordsteinkante fällt und von da runter auf die Straße. Niemand hat’s gesehen und ich sitze in der vorbeirauschenden Tram und kann nichts sagen.
 
Kurz vor Pasing sieht die Stadt aus wie in einer heruntergekommenen italienischen Vorstadt. Staubig, Sonne an dreckig-sandigen Hauswänden, Verlorenheitsgefühle, alles langsam und leer, viel Gewerbegebiet. Vor dem „Hotel Imperial“ steht eine Jugendgruppe, wahrscheinlich auf Klassenfahrt, vielleicht sogar Italiener. Man kann sich genau vorstellen, was sie denken: „DAS ist München?“ Wie man es selbst immer denkt in einer Stadt von der man nur die Postkartenbilder im Kopf hat und nicht das Viertel, in dem das günstige Hostel steht. 
 
Pasing hingegen ist seit der Fertigstellung der Pasing-Arkaden ein neuer Stadtteil geworden. Am Bahnhof ist es schön und weit und von der alten Burger-King-Junkie-und-Urin-Atmosphäre von vor zehn Jahren ist nichts mehr übrig. Auf Sonnenterrassen trinken die einen Cappuccino, die anderen ihren ersten Spritz.
 

Gott spricht


Auf der Rückfahrt in die Stadt wird es allmählich lebendiger. Hinter mir sitzen zwei junge Mädchen, die über Gott reden. Die eine scheint tagtäglich mit ihm zu korrespondieren, immer wieder beginnen ihre Sätze mit: „Und dann hat Gott mir gesagt…“. Die andere hat Gott offenbar noch nicht so oft getroffen und erwidert immer dasselbe: „Echt jetzt? Voll schön!“
 
Wieder am Max-Weber-Platz steigt die männliche Pubertät ein. Zwei Jungs, Checkerfaust, demonstratives Sich-nicht-angucken, nuscheliger Austausch: „Später Basketball oder was“. Bedrücktes Rumstehen. Dann zum ersten Mal Berg am Laim. Richtung St.-Veit-Straße sieht die Welt aus wie die Suburbs von Sydney. Vielleicht liegt das aber auch nur an der weiten Straße, dem Sonnenlicht und dem wolkenlosen Himmel.
 
Ab der Kreillerstraße ist die Tram leer und gibt damit preis, wie dreckig sie ist. Graue, eingetrocknete Pfützen auf dem Boden, die von Regentagen, ausgeschütteten Bieren und heruntergefallenen Dönern erzählen. An der St.-Veit Straße fast schon mittägliche Stille und Leere. Nur eine Gruppe Schwarzer steht vor dem Kiosk, der „Lollypop“ heißt. Die Regierung von Oberbayern bringt hier in der Nähe Flüchtlinge unter. Als „ultima Ratio“ für den „äußersten Notfall“ hatte Maria Els, Regierungsvizepräsidentin von Oberbayern, den aus Wohncontainern zusammengefügten Komplex im vergangenen Jahr noch bezeichnet. Falls man die Flüchtlinge sonst nirgends mehr unterbringe. Die Menschen am Kiosk jedenfalls grüßen die einfahrende Tram, die scheinbar auch sie grüßt. Von hier fährt ein Nachtbus zur Fantasiestraße.
 
Wenn die Tram von der St.-Veit-Straße wieder losfährt, folgt sie einem kleinen Halbkreis, um zu wenden. Vorbei an einer kleinen Grünfläche mit violetten Blümchen drauf. Freizeitparkgefühle. Man wartet auf die Ansage des Fahrers: „Nächster Stopp: Dinosaurierwelt“. Es gibt ein Youtube-Video von dem Abschnitt, der hier beginnt. Der Kameramann filmt zur Heckscheibe hinaus und es ist gar nicht leicht zu sagen, ob das nicht vielleicht der typische Blick auf München ist: zurückschauend.
 
Genauso schwer ist es, zu sagen, woran sich München aus der Tram heraus erkennen ließe, wüsste man nicht, in welcher Stadt man ist. Die Schilder und das MVV-Blau zählen nicht. Wahrscheinlich als erstes an den vorbeisausenden Zeitungskästen. Den Hofpfistereien. Und den vielen Alten. Das fällt mir immer auf, wenn ich nach längerer Zeit wieder nach München komme: Fast nirgends sieht man so viele ältere Menschen im öffentlichen Verkehr.
 
In der Kreillerstraße steigt einer von ihnen ein: gepflegt zerzaust, Typ verarmter italienischer Gentleman. Sein Anzug ist staubig, seine schwarze Sonnenbrille auch, aber sein grauer Sieben-Tage-Bart sitzt und auf dem Kopf trägt er eine Schirmmütze. Er hat nichts dabei, er sitzt nur mit überschlagenen Beinen da und guckt die ganze Zeit aus dem Fenster. In Pasing bleibt er sitzen und fährt wieder zurück.
 

Konstanten


Ab nachmittags wird es durchgehend voll in der 19, kaum eine Bahn fährt noch zwischen Pasing und Ostbahnhof ohne Drängeln. Weitere Konstanten: Immer wieder dasselbe Bild am Kassenautomaten, jemand will eine Fahrkarte kaufen und kriegt dabei schlechte Laune. Entweder, er wird dauernd weggeschaukelt, oder er stellt fest, dass er es schon wieder nicht passend hat und resigniert augenrollend. Wenn eine Mutter mit Kind einsteigt, dauert es nicht lange, bis jemand an der Mutter vorbei heimlich Kontakt mit dem Kind aufnimmt. Kinder haben auf jeder Fahrt mehrere Flirtpartner, immer wenn einer aussteigt, steigt ein neuer ein und das Spiel beginnt von vorn. Und: Die Münchner sind nicht handysüchtig. Jedenfalls nicht in der Tram, vielleicht weil es im Gegensatz zur U-Bahn soviel zu gucken gibt. Die meisten sehen aus dem Fenster, egal in welchem Alter. Einige hören Musik.
 
Irgendwann sinkt mein Kopf gegen die Scheibe. Ich kann nicht mehr. Die ganze Stadt kann nicht mehr. Alle haben plattgelaufene Füße. Am Ostbahnhof wird die Tram quetschend voll, zu 80 Prozent mit schlecht gelaunten Männern. Trainingsanzüge, durchgeschwitzte Hemden. Dass in der Theatinerstraße eben noch ein Missoni-Mann mit Goldknauf-Handstock neben mir stand und nach frisch gestärktem Hemd roch, ist unvorstellbar. Jetzt riecht es nur noch nach Alkohol und Zwiebeln.
 
Abends: meine letzte Fahrt von der St.-Veit-Straße nach Hause. Drinnen das Nachtneonlicht der Tram, draußen noch Sonnenuntergangsgelb an den Fassaden. Dieses traurig machende Licht, wenn der Tag zu Ende geht und der Schatten wieder kalt wird. Nachts singen in meinen Ohren die Schienen und knarzt das Gummi. Mein Körper wird so stark hin und hergeschüttelt, dass ich mehrere Male versuche, mich an meiner Matratze festzuhalten. Irgendwann schlafe ich ein und träume von Frauen mit lila auftoupierten Haaren und zerfransten Kunstledertaschen, die mir alle viel zu nahe kommen.

Verlierer

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Wir tun einander Gewalt an. Tag für Tag.
Gewalt in Druck und Forderungen.
Gewaltige, spottende und auch lügende Worte.
Verachtende Blicke, feste Griffe und harte Fäuste.

Manchmal mit Leidenschaft.
Manchmal mit Wut.
Manchmal mit Schmerz.
Oder Angst.

Aber kann so denn Liebe sein?
Tut sie so weh?

Wir müssen ja Krieg führen!
Denn du bist nicht der Prinz, nach dem ich mich sehnte;
Und ich.. bin nicht mehr das kleine, unkomplizierte Mädchen.

Aber das zuzugeben.. wäre doch viel zu unromantisch!

Darum müssen wir weiter kämpfen.
Um Menschen kämpfen, die wir nicht sind.
Nie sein werden.

Und die zwei Menschen, die wir sind,
Denen tun wir Gewalt an.
Tag für Tag.

So ist das nunmal. Im Krieg gibt es nur Verlierer.

Wie verbringst du Zeit am Flughafen?

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Warten ist anstrengend, besonders, wenn man nicht beeinflussen kann, wann es endlich weitergeht. Am Flughafen muss man momentan oft warten, weil durch die Streiks viele Flüge ausfallen oder verspätet ankommen. Doch untätig herumsitzen und auf die Abflugtafel starren ist gestern. Es gibt am Flughafen so einiges zu tun, um die Zeit sinnvoller zu füllen.



Lesen, E-Mails schreiben oder ausspannen: Wie wartest du am Flughafen?

Eigentlich ist der Flughafen ein luxuriöses Freizeitparadies: Schokolade, Alkohol und edle Kosmetik im Überfluss. Auch, wenn man die Dinge nicht kaufen will, weil sie trotz Zollfreiheit noch überteuert sind, kann man gucken gehen. Und probieren! Dieses sündhaft teure Parfum? Nimm dir den Tester! Oh, der Whisky? Kann man sicher irgendwo verkosten... Und deine Lieblingszeitschrift im Buchladen? Merkt bestimmt keiner, wenn du die schnell im Stehen liest. Zwei Stunden im Rausch der blank polierten Marmorböden in den Duty-Free-Geschäften kriegt man locker rum. Das beste daran: Man muss nicht mal was kaufen, weil man Zeit hat, sich alles schon vor Ort anzuschauen.  

Genau so interessant ist es, die Leute zu beobachten, die aus den Fliegern steigen. Oder die, die ihre Zeit auch wartend verbringen. Schläft da wer ein? Welchen Reiseführer packt der Typ mit dem Rucksack aus? Wer in der Rentner-Reisegruppe fängt zuerst an zu stöhnen?  

Es gibt bestimmt noch viele weitere Methoden, die Wartezeit herumzubringen. Was machst du, um nicht verstohlen auf die Anzeigentafeln zu schielen? Hast du einen Geheimtipp parat, an den wir uns unbedingt das nächste Mal beim Warten erinnern sollen?

All Is Lost

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Der Held ist müde in diesem Film, sehr wenig motiviert. Die Welt, in der er lebt mit seiner Familie, ist dunkel und feucht, viel nackte Erde und Steine und Wasser, der Himmel drüber grau und leer – von paradiesischen Parametern alles weit entfernt. Und der Job als Familienvater ist so ungemein strapaziös. Noah, ein Pionier wider Willen, ein Nolens-volens-Held, von seinem göttlichen Boss mit einer der wichtigsten Arbeiten der Menschheitsgeschichte betraut.




Regisseur Darren Aronofsky und Patti Smith bei der Premiere in London

Darren Aronofskys Film zeigt Noah als den Abwickler Gottes, der sich abarbeitet am Projekt Arche, an der langwierigen Aufgabe, die Fehlentwicklung des Planeten Erde zu korrigieren, zurück in Richtung Paradies. Was genau darunter zu verstehen wäre, dazu werden im Verlauf der Geschichte verschiedene Varianten durchgespielt – am Ende steht ein radikaler, ein brutaler Ökofundamentalismus.

Der größte Schub, zu dem der Film sich aufrafft, ist die Stampede der wilden Tiere, die in die noch nicht ganz fertige Arche stürmen, hordenweise, mehr als die in der Genesis säuberlich überlieferten je ein Paar pro Gattung. In der Arche nehmen sie dann ihre Plätze ein und werden in einen Tiefschlaf versetzt wie die Insassen von Raumschiffen auf ihrer Odyssee im Hyperraum. Im Kino hat das Noah-Motiv seine wahre Natur geoutet – es ist im Grunde reine Science-Fiction. Menschen in großen Vehikeln unterwegs, die übervölkerte, überforderte Erde hinter sich lassend, eine unbekannte koloniale Zukunft vor sich, und die Zeit dehnt sich. Apokalyptisches Chaos, kombiniert mit Überlebens-Management.

Weltuntergänge gehören zu den lustvollsten Erlebnissen im Kino. Keiner hat so genial die Majestät der Zerstörung zelebriert wie Roland Emmerich – der Erdboden spaltet sich, Wolkenkratzer stürzen in sich zusammen, eine Flutwelle schwappt über die Berge des Himalaja. Darren Aronofsky verweigert sich dem Spektakulären des Genres, diese Szenen sind bei ihm fast eine Pflichtübung, von den fleißigen Spezialisten der Computereffekte absolviert. Der Schrecken hat immer schnell ein Ende. Und Russell Crowe, Anfang des Jahrtausends eine dynamische Kinofigur als Gladiator, wechselt nun übergangslos zwischen sturem Pathos und einer Art gleichgültiger Begossenheit, dem King Lear näher als den Führern der Menschheit.

Aus all diesen Dissonanzen bezieht dieser „Noah“ seine Spannung. Es ist der erste wirkliche Outdoor-Film von Aronofsky, der durch intensive, quälerische Psychogramme bekannt ist, von „Pi“ über „The Fountain“ – eine Reise ins Ich, die in galaktische Weiten führt – zum „Black Swan“, der sich ins psychische Labyrinth einer besessenen Tänzerin verbohrt. Der internationale Erfolg dieses Films hat ermöglicht, dass Aronofsky endlich die Finanzierung seines „Noah“-Projekts hinbekam. Am Ende ist, diesmal im großen Format (3D sogar!), doch wieder eine Psychostudie daraus geworden, ganz nach innen gekehrt.

Aronofsky ist nicht zimperlich im Umgang mit dem alten Bibelstoff, der erste Teil des Films ist die reine Märchenstunde, von der Schlange im Paradies über die Stammesfehden der Nachfahren Kains – an der Spitze der unvergleichlich miese Ray Winstone – , eine erste Industrialisierung, die frühe Ausbeutung der Bodenschätze. Und die „Wächter“ stapfen durch die Gegend, tumbe, völlig ungraziöse Wesen aus Lavabrocken, die von Noah, dem Großunternehmer, für die Drecksarbeit eingespannt werden, unter vagen Versprechungen späterer Erlösung. Frühbiblisches Proletariat: Bäume fällen und transportieren, die anstürmenden Feinde mit wuchtigen Schlägen zurücktreiben.

Das Feuer vernichtet, das Wasser reinigt, erklärt Noah den Sinn der Sintflut. Den Unrat wegspülen, das heißt vor allem den Menschen, der sich nicht entwickelt wie geplant. „Alles was schön und gut war, haben wir zerstört, also werden wir unser Werk vollenden und mit dem Rest sterben.“ Noah wird unvermutet zum finalen Umweltschützer – das klingt, angesichts der neuesten Berichte und Prognosen der Wissenschaftler und der frustrierenden Unfähigkeit der Politik, irgendwie plausibel, tröstlich gar. Noah fängt an, Loblieder auf die Unfruchtbarkeit zu singen. Die unfruchtbaren Frauen um ihn herum wirken versteinert – selten hat es im Kino so harte, streng konturierte Gesichter gegeben wie die von Jennifer Connelly und Emma Watson, als Frau und Schwiegertochter.

Das ist der am wenigsten biblische biblische Film, hat Aronofsky gesagt – irgendwie logisch, dass er, dem Nihilismus näher als den alten Schriften, prompt verboten wurde in Pakistan, Katar, Indonesien und anderen islamischen Ländern. In den USA haben Vertreter religiöser Vereinigungen konträr reagiert. Das ist ein unbiblischer, heidnischer Film, hat der Top-Kreationist Ken Ham, Präsident von „Answers in Genesis“, erklärt: Dieser Noah ist ein Psychopath.
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