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Schwer zu stillender Wissensdurst

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Zum sechsten Mal in Folge verzeichnet das Statistische Bundesamt einen Rekord bei der Gesamtzahl der Hochschüler in Deutschland. 2,6 Millionen Studenten sind im laufenden Wintersemester an Universitäten und Fachhochschulen eingeschrieben - 600000 mehr als noch vor zehn Jahren sowie auch fünf Prozent mehr als im vergangenen Wintersemester. Dabei stieg im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Studenten an Universitäten um vier Prozent auf 1,7 Millionen, an Fachhochschulen sogar um sieben Prozent. Auch mehr Studienanfänger gibt es aktuell, wie die Wiesbadener Behörde am Dienstag mitteilte: 2013 begannen 506600 Studenten eine akademische Ausbildung. 2012 waren es zwei Prozent weniger. Das liegt knapp unter dem bisherigen Rekordjahr 2011 mit 520000 Anfängern.



Die Gesamtzahl der Hochschüler hat wieder Rekordhöhe erreicht. Längst wird über ein Überangebot von Akademikern diskutiert.

In Hessen ging die Zahl der Erstsemester um zehn Prozent hoch, in Nordrhein-Westfalen um acht Prozent. Auch in Bayern gab es ein Plus, den stärksten Rückgang verzeichnete Brandenburg mit einem Minus von 15 Prozent. Das bundesweite Niveau von etwa einer halben Million Erstsemester jährlich wird nach einer Prognose der Kultusministerkonferenz länger erhalten bleiben. Demnach ist erst vom Jahr 2020 an damit zu rechnen, dass die Anfängerzahl unter 450000 fällt. Vor 20 Jahren zählte man nur gut 280000 Studienanfänger.

In den nächsten Jahren wird der zusätzliche Schub durch die doppelten Abiturjahrgänge in vielen Ländern (in diesem Sommer in Nordrhein-Westfalen) allmählich nicht mehr spürbar sein. Wegen des allgemeinen Trends in der Gesellschaft zum Studieren und hoher Abiturientenquoten wird die Nachfrage nach Studienplätzen aber keineswegs einbrechen. Gleichwohl werden sich die Studentenzahlen nicht mit den Absolventenzahlen decken: Nach Erhebungen im Auftrag der Bundesregierung brechen gut 30 Prozent der Studenten an den Unis im Bachelor ihr Studium ab.

Die geschäftsführende Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) zeigte sich erfreut über die Zahlen. "Neugier und Wissensdrang sind wichtige Stützen einer innovativen, zukunftsgewandten Gesellschaft." Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, forderte dagegen von der künftigen Koalition mehr Hilfe - unter anderem durch den Hochschulpakt von Bund und Ländern, der Geld für zusätzliche Studienplätze bereitstellt. Dieser Fördertopf war zuletzt stets sehr knapp kalkuliert worden. Hippler: "Die andauernde Kraftanstrengung ist zu Lasten der Substanz der Hochschulen gegangen."

Längst wird aber auch die Debatte über ein mögliches Überangebot an Akademikern geführt. Der Philosophie-Professor und SPD-Politiker Julian Nida-Rümelin sprach jüngst von einem "Akademisierungswahn". Man sei gerade im Begriff, "die einzigartige Qualität des deutschen Bildungssystems zu beschädigen oder zu zerstören - nämlich die Herausbildung einer exzellenten Facharbeiterschaft, die alle Schichten der Gesellschaft aufnimmt". Man müsse den Wert der dualen Ausbildung wieder mehr schätzen. "Ein handwerklicher Beruf ist kein Abstieg", sagte kürzlich Klaus von Dohnanyi, in den Siebzigerjahren Bundesbildungsminister, im SZ-Interview. Zugleich seien die Ansprüche an Auszubildende gestiegen: "Wenn ich mir ein ideales Bildungssystem vorstelle, dann hätten wir einen hohen Anteil Abiturienten und unter ihnen wieder einen hohen Anteil, der in die praktischen Ausbildungsberufe geht."

Doppelt gefällt besser

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Angestrichen:
"There seems to be an ever-increasing proclivity for Gen-Yers to date more than one person at a time."  

Wo steht das?
In einem Text auf „Elite Daily“, dem online-Magazin mit dem selbstbewussten Untertitel „The Voice of  Generation Y“. Der Autor, John Picciuto, ist selbsterklärter Dating-Experte und schreibt ein Blog zum Thema.  

Worum geht’s?

Picciutos Text heißt „Dating More Than One Person At Once: The Juggling Act That Is Gen-Y Dating“ und will den Mitgliedern der „Generation Y“, also den nach 1980 Geborenen, Ratschläge geben, wie sie ihre komplizierten Dating-Situationen am besten meistern. Die Grundlage dafür ist der angestrichene  Satz, der auch der erste des Artikels ist: 20- bis 30-Jährige neigen dazu, mit mehreren Menschen gleichzeitig anzubandeln. Picciutos akzeptiert das als gegeben, möchte aber dafür sorgen, dass es so abläuft, dass alle Seiten dabei zufrieden sind und niemand verletzt wird. Sein Schlüssel dafür lautet ganz einfach: Kommunikation. Sag dem anderen, was du suchst. Sag ihm, wenn du mehrere Personen datest und wenn du reine Unverbindlichkeit willst – und gib ihm damit die Chance, zu sagen, dass er das nicht will, sondern eine Beziehung. Und sei ehrlich zu dir selbst: Wenn deine Gefühle wachsen, dann steh dazu und binde dich.




  
Warum die Gen Yler angeblich so gerne multidaten, erklärt Picciuto allerdings nicht. Sein einziger Hinweis lautet: „It’s a hookup culture we live in“. Damit gibt er ein Stichwort, das vor allem in den USA oft in Verbindung mit der Generation Y und ihrem Datingverhalten benutzt wird. „To hookup with somebody“ könnte frei übersetzt so etwas wie „jemanden aufreißen“, „mit jemandem rummachen“ aber auch nur „mit jemandem ausgehen“ meinen. Ein Eintrag zu „hooking up“ im Urban Dictionary lautet: „Es kann alles bedeuten, von Küssen und Anfassen über Oralsex bis hin zum Sex. Unklarheit ist das Markenzeichen dieses Begriff.“  

Diese Definition (oder vielmehr: die nicht-Definition) des beliebten „Hookup“-Begriffs passt sehr gut zu einer Eigenschaft, die man den Menschen zwischen 20 und 30 nachsagt: dass sie sich nicht gerne festlegen. Dass sie sich alles offenhalten, etwas nur andeuten und dann mal gucken, dass sie von den tausend Möglichkeiten, die die Welt ihnen bietet, am liebsten alle nutzen oder zumindest keine ausschließen wollen. Wenn das wirklich stimmt, dann passt dazu nichts besser als das Ende der monogamen Beziehung und der Anbruch des heute-treff-ich-den-einen-und-morgen-den-anderen-Zeitalters. Ob es wirklich ein Trend ist, wie Picciuto behauptet, sei mal dahingestellt, aber ganz sicher kommt es öfter vor als in unserer Elterngeneration – und es macht denen, die auf der Suche nach einer klassischen „romantischen Zweierbeziehung“  sind, Sorgen.  

Schon im September hat sich, ebenfalls auf Elite Daily, eine Autorin beklagt, dass die reizüberflutete Gegenwart auch für ein reizüberflutetes Dating sorgt. Jeder von uns hat so viele Kontakte, in der digitalen wie in der realen Welt, jeder kommuniziert jederzeit so viel, dass es schwer fällt, sich auf einen einzigen Menschen zu konzentrieren, so ihre These. Sie wünscht sich darum „Daterall“, ein äquivalentes Medikament zu „Adderall“, dem Amphetamin-Präparat, das in den USA vor allem gegen ADHS verschrieben wird.  „Daterall“ soll „Augen, Gedanken und Hände davon abhalten, zu wandern.“    

Und was lernen wir daraus?

Der „Daterall“-Text zeigt, dass die Angst vor dem Sich-nicht-auf-einen-Partner-festlegen nach wie vor groß ist. Picciutos Text ist da in seiner vorgeblichen Toleranz und mit seinem nettgemeinten Hilfsangebot ein guter Ansatz. Denn sich nicht festzulegen ja nicht per se negativ. Und die 20- bis 30-Jährigen sind ja nicht alle promiskuitive Taugenichtse, es ist für die meisten von ihnen bloß möglich, sich mit mehreren (potenziellen) Liebschaften zu umgeben, ohne dafür geächtet und aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen zu werden.  

Allerdings ist Picciutos Text insgesamt doch eher skeptisch. Das Ganze hat einen „Wenn’s denn sein muss“-Tonfall, immer schwingt ein „Wenn ihr schon unbedingt mit mehreren gleichzeitig ausgehen müsst, dann...“ mit. Und er ist fest davon überzeugt: Wenn man zwei Menschen auf einmal datet, wird man früher oder später einen von beiden verlieren – oder sogar beide. Sein Kommunikations-Tipp meint also am Ende doch: Entscheide dich besser direkt. Und damit auch: Zurück zu den althergebrachten Werten und dem Konzept der romantischen Zweierbeziehung.  

Aber eigentlich wurde das ja nie abgeschafft. Eigentlich wird jeder, der eine Beziehung will, irgendwann eine finden. Und jeder, der Gelegenheitssex mit wechselnden Partnern will, wird Menschen finden, die das auch wollen. Das ist am Ende der große Vorteil hinter all den „Tausend Optionen“-Zweifeln: Die Möglichkeit, genau das zu finden, was man sucht, ist unendlich groß.

An der Uni herrscht Krieg

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Zivilklausel? Nicht in Bayern!


Seit letzter Woche veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung in Kooperation mit dem NDR immer wieder neue Artikel über den "Geheimen Krieg" in Deutschland. Die These des Projekts: Der Kampf der USA gegen den Terror wird auch aus Deutschland gesteuert und das oft sehr viel intensiver, als wir es wahrnehmen.
Im Rahmen der Recherchen kam nun heraus, dass auch deutsche Universitäten vom Geheimen Krieg betroffen sind. So hätten mindestens 22 Hochschulen seit dem Jahr 2000 vom Pentagon Geld für Rüstungsforschungsprojekte erhalten - darunter auch die LMU und die TU München, die Unis Bremen und Marburg und die Universität des Saarlandes. Die Gelder wurden unter anderem in die Erforschung von Drohnen, Sprengstoff und Abhörtechniken investiert.

In Bayern ist diese Art der Forschung prinzipiell nicht verboten. Keine der bayerischen Unis hat bisher eine Zivilklausel eingeführt, mit der sich die Hochschulen auf freiwilliger Basis verpflichten, nicht im Rüstungsbereich zu forschen. Einzig die Uni Augsburg hat einen studentischen Beschluss vorgelegt, in dem sie die Einführung einer Zivilklausel empfiehlt - bisher ohne Wirkung.

Dass an der LMU beispielsweise Sprengstoffforschung betrieben wird, ist für Chemie-Fachschaftsvertreterin Michelle Klein deshalb nicht verwerflich: "Professor Thomas Klapötke ist immer sehr offen damit umgegangen, woran er forscht, und dass Teile der Gelder dafür von der US-Army kommen. Transparenz war hier nie das Problem. Spätestens im zweiten Semester wussten wir das alle und es hat sich nie jemand darüber beschwert", sagt die 22-Jährige. Tatsächlich war über Klapötkes Forschungen an einer "Grünen Bombe" bereits im Jahr 2010 berichtet worden. Die Mitarbeit an dem Projekt sei für Studierende stets freiwillig, betont Michelle: "Entweder, man hat Lust sich an seinem Arbeitskreis zu beteiligen, oder man lässt es halt. Für mich ist diese Vorgehensweise okay, das soll jeder selber entscheiden. Und auch für die Fachschaft Chemie sehe ich darin kein Problem, so lange die Forschung transparent gehandhabt wird.”


Michelle Klein, 22, sieht in der Rüstungsforschung der LMU kein Problem - so lange transparent mit ihr umgegangen wird.
[seitenumbruch]

Ist Rüstungsforschung okay, so lange sie transparent ist?


Dass diese Transparenz an der LMU wirklich immer gegeben war, bezweifelt Paul Werlich, Sprecher der Juso-Hochschulgruppe: “Ich würde nicht sagen, dass diese Forschung besonders transparent ist, wenn ihr ganzes Ausmaß erst von der SZ aufgedeckt werden musste. Außerdem kann sie noch so transparent sein – wir lehnen prinzipiell ab, wofür die Forschungsergebnisse verwendet werden.” Die Jusos setzen sich deshalb für die Einsetzung einer mindestens Bayernweiten Zivilklausel ein. “Universitäten sind zivile Einrichtungen. Sie sollen den gesellschaftlichen Fortschritt voranbringen, Rüstungsforschung ist hingegen ein gesellschaftlicher Rückschritt”, sagt Paul. Gemeinsam mit den Jusos ist er deshalb für einen prinzipiellen Verzicht der Hochschulen auf Drittmittelgelder - egal, ob von der Rüstungsindustrie oder anderen Wirtschaftsunternehmen.

Ähnlich sieht das auch die Grüne Jugend Bayern. Ihre Sprecherin Anna Schmidhuber studiert selbst an der LMU. Dass die Uni auch im Rüstungsbereich forscht, war ihr vorher zwar klar. "Aber Transparenz alleine reicht nicht, wenn das, woran geforscht wird, das Problem ist", sagt die 25-Jährige. Die Argumentation von Pro-Rüstungsforschern, dass die Forschung im universitären Umfeld zumindest noch kontrollierbar sei, kann sie deshalb nicht teilen: "Die Bundeswehr hat doch eigene Universitäten. Oder was ist mit den Rüstungsunternehmen selbst? Haben die nicht Abteilungen dafür? Da wären diese Dinge besser aufgehoben", sagt Anna. Die Grüne Jugend plädiert deshalb ebenfalls für die Einführung einer Zivilschutzklausel. "Forschung muss der Erhaltung des Friedens und nicht der Erstellung von Krieg dienen", so Annas Fazit.



Anna, 25, setzt sich mit der Grünen Jugend Bayern für die Einführung einer Zivilklausel ein - wenn möglich bayernweit

Uni Bremen: Rüstungsforschung trotz Zivilklausel


Ob mit einer derartigen Klausel tatsächlich der Krieg aus den Unis ausgeschlossen wird, muss nach SZ-Erkenntnissen bezweifelt werden. So hat die Uni Bremen, die 1986 als erste deutsche Uni die Zivilklausel einführte, nachweislich ebenfalls Gelder vom Pentagon für Kriegsforschung erhalten. 200.000 Dollar flossen in die Satellitenforschung der Universität - diese hält die finanzielle Zuwendung allerdings für moralisch vertretbar, da es sich dabei um Grundlagenforschung handele. Eine Behauptung, die den AStA-Referenten für Hochschulpolitik, Marvin Pollock, sehr ärgert: "Die Firma, die diese Aufträge erteilt hat, ist eine hundertprozentige Tochterfirma des Pentagons. Und es ist nicht das erste Mal, dass solche Vorfälle ans Licht kommen", sagt der 25-jährige Informatikstudent. Rechtliche Konsequenzen habe es bisher allerdings nie gegeben: "Die einzige Chance ist, dass die Zivilklausel auch im Hochschulgesetz verankert wird. Nur so hätte man bei einem Verstoß auch rechtliche Handhabe", sagt Marvin. Aktuell versuchen er und der AStA nun verstärkt auf dieses Problem hinzuweisen, damit die Politik sich einschaltet. Bisher erfolglos. "Das Problem ist ja, dass die Uni Bremen auf diese Drittmittel angewiesen ist. Die werden sich erstmal bedeckt halten, um sich nicht um ihr eigenes Geld zu bringen", sagt Marvin.


An Marvins Hochschule, der Uni Bremen, hat die Zivilklausel nichts geändert - es wird trotzdem Rüstungsforschung betrieben

Trotz der Erfahrungen an der Uni Bremen, wollen die Jusos und die Grüne Jugend an ihrer Forderung nach einer Zivilklausel festhalten: "Der Uni Bremen kann man handfeste Vorwürfe machen, der LMU kann man jedoch momentan nur moralische Verfehlungen vorwerfen. An der Uni Bremen wurde hingegen eine festgeschriebene Vereinbarung gebrochen. Das verbessert die Verhandlungsposition im Bezug auf mögliche Sanktionen”, sagt Paul von den Jusos.

Ob nun mit einer Zivilklausel oder einfach aus gesundem Menschenverstand - an den Unis muss sich etwas ändern, findet auch Samuel Lissner, 24 und Student der Politik- und Geschichtswissenschaft an der LMU. Auch aus der historischen Verantwortung heraus: "Die LMU schmückt sich mit dem Namen der Geschwister Scholl. Die haben sich gegen Krieg und Militarismus gewehrt. Es ist eine Schande, wie die LMU und sogar Studentenvertrer mit unserem pazifistischen Erbe umgehen", sagt Samuel. Diese Gedanken hat er auch Prof. Bernd Huber, dem Präsidenten der LMU, per Mail zukommen lassen. "Forschen fürs Töten – das geht gar nicht! Auch wenn die Klauseln ihre Probleme haben, sollte man sich den beherzten Grundsatz derartiger Normen doch zu eigenen machen. Gerade dann, wenn der Verwendungszweck der Forschung so offensichtlich militärischen Zwecken dient. So jedenfalls sehe ich das Ansehen der LMU beschädigt", hat er ihm geschrieben. Auf eine Antwort wartet er immer noch.

Das Rap-Rendezvous: Wir hören neue Platten mit Gerard

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In dieser Kolumne geht es um einen Dialog. Um ein Zwiegespräch zwischen Redakteur und Rapper. Und Gerard aus Wien hat einiges zu erzählen, wie er nicht nur auf seiner derzeit stattfindenden Tour Abend für Abend unter Beweis stellt, sondern auch auf seinem aktuellen Album „Blausicht“. Überhaupt – nicht nur Rap aus deutschen Gefilden ist erfolgreich wie nie, auch die Österreicher hauen ein gefeiertes Release nach dem anderen raus, ob Nazar, RAF 3.0 oder eben Gerard. Letzterer hat sich nicht nur von seinem vorherigen Namenszusatz MC getrennt, sondern sich auch musikalisch freigeschwommen und sammelt mit seiner neuen Platte Respektbekundungen von allen Seiten. Und zwar zu Recht.  

http://www.youtube.com/watch?v=qGSF5uI2Nlg 

Aber jetzt geht es los mit dem Rap Review Rendezvous und

Metrickz – Ultraviolett 

jetzt.de: Kanntest du Metrickz im Vorfeld bereits?
Gerard: Ich hatte sein „Valentina“-Video schon gesehen und fand das ziemlich geil. Das hat mich zwar ein bisschen an Cro erinnert, aber ich war wirklich positiv überrascht von der Platte. Die besitzt eine schöne Mischung aus Straßen-Attitüde und poppigen Beats. Ich mag auch die Dubstep-Elemente, selbst wenn die nicht mehr ganz up to date sind. Das hat so ein bisschen was von Example aus England. Und ich finde es in Anbetracht meines Albumtitels „Blausicht“ natürlich auch gut, dass seine Platte „Ultraviolett“ heißt.  

Metrickz hat in einem Interview gesagt, er habe viel Wert auf seine Reimtechnik gelegt. Hast du das herausgehört?

Auf jeden Fall. Man hört, dass der nicht über Nacht hochgekommen ist, sondern bereits einige Zeit an sich und seinen Fähigkeiten gearbeitet hat. Gute Technik braucht eben Zeit. Ich habe den Eindruck, dass MoTrip und SD seine Vorbilder waren, die ich beide sehr gerne mag.  

http://www.youtube.com/watch?v=ZN4jQjb6y_M 

Seine Vergleiche wie „Ihr seid Affen wie die CDU“ oder „das Glück war selten wie ’ne Perle“ sind allerdings nicht sonderlich innovativ.

Na ja, jeder Künstler hat ja auch noch Luft nach oben. Aber da ich nichts erwartet habe, hat der mich überzeugt. Ein Song wie „Valentina“ ist zwar poppig und eingängig, aber nicht peinlich, und hat zudem noch eine gewisse Roughness. Das ist eine Platte, die ich mir sogar aufs iPhone ziehen würde – und das kommt nicht oft vor.  

Die Instrumentierung besteht vorwiegend aus Drum’n’Bass-Beats, hebt sich dahingehend also von vergleichbaren Platten ab. Gefällt dir die Instrumentierung?

Teilweise ist mir die ein bisschen zu glatt, im Gesamtkontext macht das aber total Sinn, weil er als Typ eben auch eine gewisse Kante hat, mit der er das wieder ausgleicht. Insofern finde ich den Kontrast zwischen den poppigen Beats, seiner Reimtechnik und seiner Attitüde sehr gelungen.

Auf der nächsten Seite: Gerard spricht über das neue Album von Drake und einen Jungesellenabschied mit homogenem Geschmack

[seitenumbruch]

Drake – Nothing Was The Same 

Wie findest du die Platte?

Als großer Drake-Fan kannte ich das Album natürlich schon und finde es sehr geil. Drake gelingt es immer wieder, stimmige Alben abzuliefern, die nicht bloß aus drei Singles und sonst lediglich aus Füllmaterial besteht. Sein Vorgänger-Album „Take Care“ gefällt mir zwar noch ein bisschen besser, aber „Nothing Was The Same“ ist auch super und ein bisschen düsterer.  

Wie erklärst du dir den Hype um Drake?

Da spielt vieles zusammen. Er ist ein Typ, er hat Persönlichkeit. Obwohl ich auch Leute kennen, die ihn für einen Schauspieler halten – was er de facto ja auch ist. Aber bei Drake stimmt einfach alles: seine Alben sind Bomben, seine Free-Tracks dazwischen überzeugen, seine Feature-Auswahl ist erlesen...da gibt es einfach nirgendwo etwas auszusetzen.  

http://www.youtube.com/watch?v=psVARieqZ9o 

Hast du Drake auch schon mal live gesehen?

Ja, ich war bei seiner Show in Berlin und das war eines der besten Konzerte meines Lebens. Man merkt einfach, dass er sich wahnsinnig viel Mühe gibt und alles reinsteckt  

Drake schafft es, mit seiner Musik die heutige Rap-Jugend genauso zu überzeugen wie die 90s-Heads, zumal er auf der neuen Platte auch mit Wu-Tang-, und Mobb-Deep-Verweisen auffährt. Zu welcher Fraktion gehörst du?
Schon eher zur neuen Fraktion. Ich bin ja auch erst 26. Aber vor ein paar Monaten hat ein Freund von mir Junggesellenabschied gefeiert, wir sind mit einem Boot auf der Spree gefahren. Da waren nur 25- bis 40-jährige Männer an Bord, wir haben die ganze Zeit nur Drake gehört und jeder einzelne hat mitgerappt. Das war wirklich generationsübergreifend.  

Drake hat kürzlich gesagt, er sei kaum noch auf sozialen Netzwerken vertreten und hebe sich sein Mitteilungsbedürfnis stattdessen für seine Songs auf. Eigentlich nicht blöd, oder?

Nein, gar nicht. Aber Drake hat es eben auch nicht nötig, über Facebook oder Twitter noch neue Fans zu generieren.  

Hast du denn auch das Gefühl, dass Künstler mehr Inhalte in ihre Songs statt auf ihre Facebook-Seiten packen sollten?

Im Optimalfall bekommt man natürlich beides hin, das versuche ich jedenfalls. Mir selbst machen diese sozialen Netzwerke schon Spaß, aber ich verstehe auch, wenn jemand da keinen Bock drauf hat.

Auf der nächsten Seite: Gerard erklärt seine Enttäuschung über das neue Dizee Rascal-Album.
[seitenumbruch]Dizzee Rascal – The Fifth Die Platte ist ja, sagen wir mal, elektronischer ausgefallen. Wie gefällt sie dir?
Nicht so gut. Ich war ziemlich enttäuscht. Dabei habe ich eigentlich gar nichts dagegen, wenn man ein bisschen poppiger wird, aber Dizzee hat es eindeutig übertrieben.  

http://www.myvideo.de/watch/9224945/Dizzee_Rascal_feat_will_i_am_Something_Really_Bad 

Verstehst du, was viele Rapper an Autotune, Eurodance und Großraumdisco-R’n’B finden?
Das scheint mir eine Sache zu sein, die viele andere UK-Rapper auch nicht hinbekommen, wenn sie Richtung Pop schielen. Das werden dann immer ganz peinliche Nummern ohne jeglichen künstlerischen Wert. „The Fifth“ ist mir zu substanzlos mit lieblosen und austauschbaren Beats. Aber vielleicht braucht man das, um in den englischen Radios zu laufen.  

Dizzee selbst meinte, die Platte sei die am besten produzierte, die er je aufgenommen hätte. Deine Meinung zur Produktion?

Wenn er die ganz große Pop-Welt bedienen will, hat er wahrscheinlich Recht, aber ich find’s bloß einfallslos, wenn du dir einfach ein paar große Namen schnappst und dazwischen ein bisschen rappst. Aber ich bin wohl auch nicht mehr seine Zielgruppe und nehme an, dass Dizzee damit gut leben kann.

Auf der nächsten Seite: Gerard über den "Total-Ausfall" von Deltron 3030.
[seitenumbruch]Deltron 3030 – Event II Wie gefällt dir die „Event II“-Platte?
Die ist in meinen Augen ein Total-Ausfall. Mit der konnte ich überhaupt nichts anfangen. Der Rapper hat auch so einen komischen Old-School-Flow. Ich hab das irgendwie nicht ganz verstanden.  

Das ist auch nicht ganz so einfach: Das Album erzählt die Geschichte um den rebellischen Titelhelden Deltron, der sich einer gleichgeschalteten, von Konzernen gelenkten Zukunftsversion unserer Welt entgegenstellt. Davon ist bei dir aber offensichtlich nichts angekommen.

Nee, gar nicht. Die haben ja auch einen Skit von den Lonely-Island-Jungs und mit deren Humor kann ich ebenfalls nichts anfangen. Für mich ist das irgendwie alles dasselbe. 

http://www.youtube.com/watch?v=uFJf1Y6ztZI 

Das erste Deltron-3030-Album von vor 13 Jahren gilt heute als Genre-Klassiker. Den kennst du dann aber vermutlich auch nicht, oder?

Nein, aber das erklärt vielleicht den Old-School-Flow.  

Die Produktionszeit soll sich über neun Jahre gezogen haben. Zumindest am Flow hast du das offenbar herausgehört.
Dann haben die jedes Jahr einen Song gemacht, oder was? Tut mir leid, dass die so lange daran gesessen haben, aber besser macht es die Platte deshalb in meinen Augen nicht. Mich hat da alles genervt.

Auf der nächsten Seite: Gerard feiert Ssio.
[seitenumbruch]
Ssio – Bb.u.m.ss.n.  Auf Ssio kann sich momentan nahezu jeder einigen. Du auch?
Klar, die Platte ist super! Ich bin ja eigentlich nicht so der Old-School-Dude, aber diese 90er-Jahre-Beats finde ich gut. Ssio ist aber auch wirklich lustig. Seine Videos sehe ich mir sehr gerne an. Der beste deutsche Straßen-Rapper für mich. Neben Haftbefehl natürlich.  

http://www.youtube.com/watch?v=UdcYjlESrow 

Woran liegt es, dass ihn jeder gut findet?

Das liegt an seiner sympathischen Kombination von Humor, Rap-Skills und Beat-Auswahl, die es so einzigartig macht. Und selbst, wenn man zum Beispiel seine Beats nicht total feiert, bekommt man einen Zugang über seinen Humor. Ich glaube, das ist auch echt ein netter Kerl.  

Inhaltlich geht es ja vorwiegend um Sex und Drogen, gespickt mit einer ordentlichen Portion Männerhumor. Ist dir das auf Albumlänge nicht ein bisschen zu eintönig?
Auf Albumlänge vielleicht, aber in kleinen Dosen ist das perfekt. Ich feiere das.

Und zum Schluss: Gerards aktuelle und immerwährende Album-Top-5.
[seitenumbruch]Gerards aktuelle Album-Top-5: 

Kanye West: Yeezus

Ich hab verdammt lange gebraucht, um mich da reinzuhören. Mittlerweile halte
ich „Yeezus“ für das beste Kanye-Album ever. Extrem futuristische
Produktionen. Und wenn man mal dieses aktuelle, lange BBC-Interview mit ihm
ansieht, dann versteht man seine Frustration auch viel besser.

Claire: The Great Escape
Ich hab Claire zufällig in Berlin auf der Music Week gesehen und war
hellauf begeistert von der mir bis dato unbekannten Band. Geile
Produktionen, geile Stimme, geile Atmosphäre. Als ich nach dem Konzert raus ging, lief mir plötzlich Josie, die Sängerin, hinterher und fragte mich, ob ich Gerard sei und dass sie ein Riesen-Fan sei. Was folgte, waren gegenseitige Lobesbekundungen. Super Bande!

Kendrick Lamar: Good Kid, M.a.a.d City
Bester Newcomer seit langem. Ein total homogenes, schönes und in sich
geschlossenes Album. Immer sinnvolle Texte, gute Refrains und
verschiedenen Flows.

J. Cole: Born Sinner
Nach den großartigen Mixtapes war ich von J. Coles Debüt etwas
enttäuscht, aber hier zeigt er, was er drauf hat und wo das Ganze noch
hingehen kann.

Miike Snow: Happy To You
Das aktuelle Album. Sehr eingängige Refrains, trotzdem die richtige
Portion Edge. So, wie es sein soll.     



Gerards Alltime-Album-Top-5:


The Streets: Original Pirate Material
Mein absolutes Lieblingsalbum. Wahnsinn, was der junge Mike Skinner da
gemacht hat. Er erzählt wunderbare Geschichten aus dem Alltag auf
wunderbaren Garage-Beats.

Curse: Von Innen nach außen
Das Album, mit dem ich damals so richtig zu Deutschrap fand. Umso
schöner, dass Curse heute auch ein erklärter Gerard-Fan ist. Große Ehre.

Eminem: The Marshall Mathers LP
Kam man einfach nicht dran vorbei damals. Eminem in seiner reisten Form.

Red Hot Chili Peppers: Californication
Kam man ebenfalls nicht dran vorbei. Muss immer an Schulausflüge von damals
denken, wenn ich was von dem Album höre. Jeder Song ein Hit: All
Killers, no Fillers.

Miike Snow: Miike Snow
Wunderbare Melodien und poppige, dennoch nicht glatte Produktionen.
Kann man immer hören, auch nebenbei. Ideal für längere Autofahrten und verträumte
Blicke aus dem Fenster. 

Der beste Job der Welt

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„Wenn ich groß bin, werde ich Versicherungsmathematiker!“ Ich würde alle meine Gliedmaßen verwetten, dass kein Kind der Welt diesen Satz jemals ausgesprochen hat, wenn es nach seinem Traumjob gefragt wird. Versicherungsmathematiker – das klingt nicht nach Spaß, das klingt nicht nach Spannung. Es klingt noch nicht mal nach viel Geld. Und doch ist Versicherungsmathematiker der beste Job der Welt.  

Das zumindest hat ein Ranking der US-Karriere-Webseite CareerCast.com ergeben. Der Versicherungsmathematiker thront ganz oben an der Spitze dieses Rankings der besten Jobs. Ganz am Ende der Liste, auf Platz 200, steht der Zeitungsreporter, direkt hinter dem Holzfäller.  



Wenig arbeiten und trotzdem gut verdienen - sind das für dich die wichtigsten Kriterien für einen guten Job?

Ausschlaggebend für die Positionen der Berufe waren fünf Kriterien: Wie sehr einen der Job körperlich beansprucht. Wie gut oder schlecht das Arbeitsumfeld ist. Wie hoch die Bezahlung ist. Wie hoch die Belastung durch Stress ist. Und wie gut die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind. Zusammengefasst heißt das: Der Versicherungsmathematiker verdient einen Haufen Asche mit einem total gemütlichen Job voller Kaffeepausen, der ihn nie stresst. Er muss sich körperlich nicht anstrengen, hat nette Kollegen und ein schönes Büro und es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass er je arbeitslos sein wird.  

Fragt sich: Ist das wirklich ein Traumjob? Es gibt bestimmt Holzfäller und Zeitungsreporter, die da widersprechen würden. Es gibt ja zum Beispiel auch Leute, die Anstrengung als etwas Positives empfinden oder vollkommen drauf pfeifen, wie ihr Arbeitsumfeld aussieht.  

Was wären für dich die wichtigsten Kriterien zur Beurteilung eines Jobs? Wie wichtig ist Geld im Verhältnis zu netten Kollegen? Bestehst du darauf, um 17 Uhr pünktlich Feierabend machen zu können? Und würdest du dafür in Kauf nehmen, dich in den Stunden vor 17 Uhr des Öfteren zu langweilen? Oder hast du vielleicht ganz andere Kriterien und sagst zum Beispiel: Pah, alles Quatsch, Hauptsache in der Kantine gibt’s eine ordentliche Kormoransemmel?

Frida Kahlo für Gelangweilte

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Die große Krise geht in ihr siebtes Jahr, der Burn-out ist längst Massenphänomen geworden, und nun ist auch noch Nebelnovember. Wer jetzt keinen Therapeuten hat, sucht sich keinen mehr. Doch von diesem Herbst an müssen sich die Seelengeplagten nicht mehr auf lange Wartelisten für überfüllte Praxen setzen lassen. Sie können einfach ins nächste Museum oder in die Buchhandlung huschen, denn: Der therapeutische Selbsthilfe-Diskurs hat die Kunstwelt erreicht.

Gleich zwei neue Sachbücher aus Großbritannien wollen der Kunst eine klare und pragmatische Funktion geben, common sense. Und es ist nicht überraschend, dass Alain de Botton eines dieser Bücher geschrieben hat und das zweite in seinem Umfeld entstanden ist. Der Essayist Botton hat es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, medientauglichen Themen einen originellen, aber stets publikumswirksamen Selbsthilfe-Dreh zu verpassen. Für Atheisten bereitete er Religion auf. Literaturfernen Menschen erklärte er, wie Proust ihr Leben verändern kann, und er gab Tipps, wie man gelassener mit Sex, Geld und Arbeit umgeht. In seiner Londoner 'School of Life', einer hippen Version der Volkshochschule, gibt Botton mittlerweile Kurse in seiner Art, die Welt zu sehen. Der noch nicht ins Deutsche übersetzte Titel 'Art as Therapy' (Phaidon, 35 Euro) dürfte sein Opus Magnum sein, zumindest aber ist das Buch sein Masterplan zur Psychotherapeutisierung der Kunst.



Wer gelangweilt ist, dem empfiehlt Alain de Botton das Betrachten eines Frida-Kahlo-Gemäldes - das soll den Gefühlshaushalt ausgleichen.

In sieben kurzen Kapiteln erklärt Botton gemeinsam mit dem britischen Philosophen John Armstrong ('Love, Life, Goethe: How to be Happy in an Imperfect World' ), welche psychischen Bedürfnisse Kunst zu stillen vermag. Zum Beispiel ist sie Erinnerungsstütze für schwer zu fassende Kleinigkeiten. Zum Beispiel für den selbstvergessenen Ausdruck einer jungen Frau, die auf einem Gemälde Vermeers einen Brief liest. So bewahre ein Kunstwerk Erfahrungen, die sonst flüchtig blieben, schreibt Botton - ihre leicht geöffneten Lippen, die kindlich an das Papier geklammerten Hände. Kunst kann unsere Aufmerksamkeit auf solch einen kleinen, aber bedeutungsvollen Moment fokussieren und das, schreibt Botton, beruhigt unsere quengeligen Egos, weil es sie aus ihrer ständigen Nabelschau befreit. Kunst als Übung in Achtsamkeit.

Zum Ausbalancieren des Gefühlshaushalts empfiehlt Botton die Betrachtung eines Bauhaus-Interieurs für Gestresste, ein Frida-Kahlo-Gemälde für den Gelangweilten. Und statt uns banal aufzuheitern, können Kunstwerke zeigen, dass es okay ist, traurig zu sein. Eine kleine Meditation vor einer schwarzen Eisenwand von Richard Serra verleiht jeder Trauer universale Bedeutsamkeit.

Wer es wagt, einen fast religiös aufgeladenen Bereich wie die Kunst zu funktionalisieren, wird 'L"art pour l"art'-Verfechtern wohl auf die Füße treten. Und auch Kulturkritiker, die der Psychotherapie unterstellen, die Menschen nur reibungsarm in die moderne Arbeitswelt integrieren zu wollen, werden einiges zu meckern finden. Etwa, dass Bottons Theorie mit ihrer Innenschau das oppositionelle Potenzial der Kunst unterschlage.

Doch Botton und Armstrong bringen die kritischen Stimmen, die sich angesichts des therapeutischen Franchiseprojekts in vielen Leserköpfen zu Wort melden dürften, schnell zum Schweigen. Denn sie treffen mit viel Witz und Einfühlungsvermögen den gefühligen Punkt, der auch im trockensten Kunsthistoriker irgendwo vorhanden ist. Den, in dem ein Kunstwerk ihn berührt und das akademische Interesse erst möglich macht.

Botton und Armstrong scheuen sich nicht, Kunst als 'Werkzeug' zu bezeichnen und mit dieser funktionalen Sicht auf Kunst sind sie nicht allein. Eine der interessantesten theoretischen Strömungen in der gegenwärtigen Geisteswissenschaft, die evolutionäre Literaturtheorie, versucht ganz Ähnliches. Ihr Hauptverfechter, der amerikanische Literaturwissenschaftler Joseph Carroll, forscht seit den Neunzigern über den Evolutionsvorteil, den Kunst für den Menschen bedeutet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Künste, indem sie Bilder für kollektiv geteilte Emotionen bieten, eine Art Handreichung und Orientierungshilfe in komplexen sozialen Zusammenhängen geben. Auch die Psychologie erforscht mittlerweile verstärkt die Effekte von Kunstrezeption. Eine große sozialpsychologische Studie der New Yorker New School hat vor zwei Monaten Aufsehen erregt. Sie ergab, dass Probanden nach der Lektüre anspruchsvoller literarischer Texte in Tests eine gesteigerte Empathiefähigkeit zeigten.

Aber manchmal ist Kunst auch einfach hübsch. 'Das macht die Kultur-Elite sehr nervös', frotzeln die Autoren und finden auch für die üppige Schönheit von Monets Wassergärten einen Sinn, der über Weltflucht und Dekoration für Zahnarztpraxen hinaus geht. Fürchtet euch nicht vor schönen Landschaften und niedlich geschnitzten Jesuskindlein, ruft Botton den Kunst-Snobs zu: Sie verharmlosten nicht etwa eine kritikwürdige Welt, sondern machten uns gerade durch ihre Schönheit auf all die Schlechtigkeit aufmerksam, mit der wir uns täglich abzufinden gelernt haben. Schöne Kunst zeige, wie schön die Welt sein könnte - und man müsse nicht naiv sein, um sich von ihren Utopien berühren zu lassen.

Armstrong und Botton legen ihr Heilmittel aber nicht nur dem Museumsgänger ans weltwunde Herz. Wie weit sie tatsächlich wirken wollen, das zeigt eine Skizze im hinteren Teil des Bandes. Ein fiktiver Museumsplan ist da zu sehen, von der Abteilung für 'Leid' führen Treppen in die für 'Mitgefühl', 'Angst', 'Liebe' und schließlich in die für 'Selbsterkenntnis' im obersten Stockwerk. Cafeteria und Shop verstecken Botton und Armstrong etwas verschämt im Keller. Aber mit einem solchen Museum wäre bei therapiesüchtigen Großstädtern sicher ein einträgliches Geschäft zu machen.

Vielleicht muss Kunst sich immer wieder neu vom Sahnehäubchen-Vorurteil ihrer Entbehrlichkeit befreien. In einer durchökonomisierten Welt wie der unseren, ist es nur logisch, dass Kunst vorhandene Legitimationsangebote nutzt und sich einen allgemein akzeptierten Sinn gibt. Botton führt die Kunst auf genau diesen Weg, wenn er sie als therapeutisches Medium beschreibt, 'das den Betrachtern hilft, bessere Versionen ihrer selbst zu werden.' Und er macht das lustig genug, um auch Zweiflern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Kapitel 'Selbsterkenntnis' steht unter dem Foto eines mit schlichten, floralen Ornamenten verzierten Porzellantellers des deutschen Jugendstil-Künstlers Richard Riemerschmid: 'Mein gutes Ich, als Teller'. So gut, klar und liebenswert könnte man sein - und ist es auch, irgendwo tief drinnen. Doch darauf muss man erst einmal kommen. 'Kunst kann uns dabei helfen herauszufinden, was uns ausmacht, aber schwer in Worte zu fassen ist.'

Wer nach diesen schwer zu findenden Worten suchen will, kann natürlich auch Bücher lesen und so versuchen, ein besserer Mensch zu werden. Die britischen Literaturwissenschaftlerinnen Ella Berthoud und Susan Elderkin geben in 'Die Romantherapie' (Insel Verlag, 20 Euro) Lese-Rezepte für alphabetisch geordnete Leiden. Wer unter 'Liebeskummer' nachschlägt, bekommt 'Jane Eyre' als heilsamen Lesetipp, unter 'Kaufsucht' wird man an 'American Psycho' verwiesen, und bei Zahnweh empfehlen sie Tolstois 'Anna Karenina': Weil die Vorstellung, wie die Titelheldin unter einem einfahrenden Zug zu enden, den vergleichsweise harmlosen Schmerz schocktherapiert.

Für die deutsche Ausgabe wurden zwei Drittel der Titel gestrichen, dafür aber einige deutsche von der Literaturkritikerin und Autorin Traudl Bünger hinzugefügt. Gegen 'Welthass' hat die deutsche Literatur nämlich offenbar eine eigene Geheimwaffe: Sie heißt Rolf Dieter Brinkmann. Berthoud und Elderkin bieten auch regelrechte Therapiesitzungen an - und zwar in Alain de Bottons 'School of Life'. Bei dieser 'Bibliotherapie', ergründen die Therapeutinnen die Lebens- und Leidenssituation ihrer Patienten und schreiben ihnen dann ein persönliches Rezept aus Romanen, Gedichten und Sachbüchern. Ein Angebot, das 2012 in New York vom dortigen 'Center for Fiction' erstmals entwickelt wurde. Anders als Bottons therapeutische Ästhetik will 'Die Romantherapie' nicht die Grundlage sein für eine völlig neue Herangehensweise an Literatur. Der Anspruch ist bescheidener - ein originell zusammengestelltes Kompendium, in dem man sich gern verblättert. Und wenn es ernst wird, wie unter 'D', wie 'Depression' raten die Autorinnen dann doch, einen zugelassenen Psychiater zu konsultieren.

Mini-Opposition - und jetzt?

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1) Was ist denn jetzt das Problem?
Im zukünftigen deutschen Bundestag gibt es 631 Abgeordnete. 504 gehören zur Regierung, also zu CDU, CSU und SPD. Der Opposition aus Grünen und Linken bleiben damit noch 127 Sitze, das sind rund 20 Prozent aller Mandate. Für bestimmte Kontrollinstrumente, wie zum Beispiel das Beantragen eines Untersuchungsausschusses, ein Misstrauensvotum oder eine Klage beim Bundesverfassungsgericht bei Bedenken gegen ein Gesetzesvorhaben der Regierung, braucht man laut Geschäftsordnung des Bundestages 25 Prozent der Parlamentsstimmen, auch Quorum genannt. Niko Switek, Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der NRW School of Governance sowie Doktorand an der Uni Duisburg, fasst das Problem so zusammen: "Die Oppositionsparteien werden Schwierigkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen und ihre Kontrollfunktionen aufrecht zu erhalten. Beispielsweise kann ein Untersuchungsausschuss zukünftig durch Grüne und Linke allein nicht beantragt werden. Sie bräuchten dafür die Unterstützung einer Regierungspartei. Da sich so ein Ausschuss allerdings meistens gegen die Arbeit der Regierungsparteien wendet, werden die kein Interesse haben, den Ausschuss zu unterstützen." Ein Beispiel für so einen Ausschuss wäre der NSA-Untersuchungsausschuss: Grüne und Linke beharren darauf, die CDU sperrt sich. Auf deren Stimmen oder die der SPD wären die Parteien allerdings angewiesen, damit der Ausschuss überhaupt zustande kommt.

2) Wie konnte es passieren, dass wir so eine Mini-Opposition haben?
Der Wählerwille hat bei der diesjährigen Bundestagswahl zwei stärkere Parteien, nämlich FDP und AfD, knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern lassen. Insgesamt entfielen 15 Prozent aller Stimmen auf Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind. Somit gibt es diese Legislaturperiode eine überdurchschnittlich große außerparlamentarische Opposition. Während die FDP zumindest noch über ihre Beteiligung an Landesregierungen im Bundesrat mitwirken kann, hoffen Parteien wie die AfD auf die Europwahl. Dort gibt es nur eine Drei-Prozent-Hürde, über die EU-Gremien könnte dann ebenfalls auch auf Deutschland Einfluss genommen werden. Bis dahin sind die Möglichkeiten der außerparlamentarischen Opposition allerdings gering: "Diese Parteien können nur über die Medien und gesellschaftliche Mobilisierung versuchen, auf die Politik Einfluss zu nehmen", sagt Niko Switek.



3) Gab es so eine Mini-Opposition schon mal in Deutschland?
Tatsächlich gab es in Deutschland bereits zweimal eine Große Koalition. Von 1966 bis 1969 unter Kurt Georg Kiesinger, damals war die FDP sogar die einzige Oppositionspartei und hatte nicht mal zehn Prozent aller Mandate. Probleme gab es damals trotzdem nicht: "Weder SPD noch CDU wollten es sich mit der FDP verspielen, deshalb ist man damals nicht so hart auf Konfrontationskurs gegangen. Damals gab es beispielsweise die Idee, das Mehrheitswahlrecht einzuführen. Das wäre das Aus der FDP gewesen. Die beiden großen Parteien haben sich dann allerdings dagegen entschieden. Danach gab es dann auch eine sozialliberale Koalition", erklärt Politologe Niko Switek.
Die zweite große Koalition gab es dann von 2005 bis 2009. Damals hatten die Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke allerdings gemeinsam mehr als 25 Prozent aller Sitze, es konnten also alle Kontrollinstrumente eingesetzt werden.

4) Kann die Opposition sich gegen die 25-Prozent-Klausel wehren?
Die Politik hat das Problem bereits erkannt, Bundestagspräsident Norbert Lammert erklärte bei seiner Antrittsrede, man wolle die Opposition stärken - allerdings ohne das Grundgesetz zu ändern. Nun gibt es noch zwei Möglichkeiten, erklärt Niko Switek: "Man könnte die Geschäftsordnung des Bundestages ändern und dort das Quorum senken. Dafür bräuchte man eine einfache Mehrheit, also entweder die Zustimmung beider Regierungsparteien oder die rot-rot-grüne Mehrheit müsste genutzt werden. Das würde aber vermutlich die Zusammenarbeit der Regierungsparteien überschatten." Alternativ könnte die Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Wenn dieses dann entscheidet, dass die Opposition ihre Aufgabe im Bundestag nicht mehr ausüben kann, wäre die Regierung gezwungen, etwas zu ändern.
Die Chancen für die erste Variante schätzt Niko Switek eher gering ein: "Ich bin aber skeptisch, dass eine Änderung der Geschäftsordnung durchgesetzt wird. Das klingt zwar erstmal gut zu sagen ‚Wir wollen die Rechte der Minderheiten stärken und nicht, dass alle Macht in unseren Händen liegt’. Im Alltag ist es aber doch störend, wenn einem immer auf die Finger geschaut wird."

5) Ist die jetzige Situation ein Untergang der Demokratie?
Niko Switek glaubt das nicht: "Die demokratische Kultur ist so stabil und gefestigt in Deutschland, dass es zwar schwieriger für die Oppositionsparteien wird, es aber kein massives demokratietheoretisches Problem geben wird. Aber bei den vorigen Großen Koalitionen hat das politische System immer überlebt und es ist nicht in eine Diktatur der beiden großen Parteien ausgeartet. Bestimmte Kontrollinstrumente bleiben der Opposition ja außerdem weiterhin." So können Linke und Grüne beispielsweise weiterhin große und kleine Anfragen an die Regierung stellen, die diese dann beantworten müssen. Abgesehen davon ist der Koalitionsvertrag immer noch nicht von der SPD-Basis ratifiziert. Lehnt diese ab, kommt keine Koalition zusammen. "Die Basis zu fragen ist neu und birgt damit auch eine gewisse Unsicherheit. Denn eigentlich weiß keiner, wie die Basis tickt. Nur 15 bis 20 Prozent der Mitglieder einer Partei sind aktiv, der Rest hat zwar ein Parteibuch, aber engagiert sich nicht. Die dürfen jetzt trotzdem mitentscheiden", sagt Niko Switek. Trotzdem prognostiziert er, dass die Große Koalition kommt: "Mein Tipp, der jetzt natürlich rein spekulativ ist: Die Mitglieder werden dem Koalitionsvertrag zustimmen, aus einer staatspolitischen Verantwortung heraus. Vielleicht aber auch aus dem Schrecken vor den Alternativen." Denn wird der Koalitionsvertrag abgelehnt, wären die Alternativen eine schwarz-grüne Koalition oder Neuwahlen. "Bei einer schwarz-grünen Koalition wird die SPD dann zukünftig kaum noch gebraucht. Bei Neuwahlen würde die CDU wohl auch eher zulegen. Die Alternativen sind somit so drastisch, dass sie vernunftgeleitet ja sagen. Aber eine Liebeswahl wird das nicht."

Ein Mensch, zwei Pässe

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Für junge Deutsch-Türken ist der Mittwoch ein guter Tag. Mit der Entscheidung von Union und SPD, die Doppelpass-Regelung auszuweiten, bleibt vielen Migrantenkindern künftig die Entscheidung erspart zwischen deutschem und ausländischem Pass - und den Behörden viel Aufwand. Für ältere Zuwanderer ändert sich nichts. Das ist der Kompromiss zwischen der SPD, die eine generelle Einführung der Doppelstaatigkeit forderte und der Union, die das ablehnte.



In der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft haben sich SPD und CDU auf einen Kompromiss geeinigt.

Bisher erhalten Kinder von legalen Zuwanderern, die in Deutschland geboren werden, mit der Geburt automatisch den deutschen Pass, auch wenn sie gleichzeitig die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern haben. Wenn sie volljährig sind, müssen sie sich für einen Pass entscheiden. Wer die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes behält - oder eine Entscheidung verpasst - verliert zum 23. Geburtstag automatisch den deutschen Pass. Allerdings gibt es Ausnahmen: EU-Bürger und einige andere Staatsangehörige können den zweiten Pass behalten. Diese Regelung empfinden vor allem Deutsch-Türken als diskriminierend. Sie signalisierte: Ihr seid Deutsche auf Abruf. Mit dem Kompromiss wird diese Ungleichbehandlung aufgehoben.

In Einbürgerungsbehörden stöhnt man schon länger über diese Regelung. Denn selbst EU-Bürger müssen die Beibehaltung ihres Passes beantragen, manche Betroffene wissen nicht einmal, dass sie qua Geburt auch etwa als Armenier gelten und deshalb diese Staatsangehörigkeit niederlegen müssen. Hinzu kommen zahlreiche Ausnahmeregelungen. Das alles müssen die Behörden prüfen. Anfang 2013 begann diese sogenannte Optionspflicht voll zu greifen, bis dahin mussten sich gut 3300 Zuwandererkinder entscheiden, etwa 200 haben ihren deutschen Pass bisher verloren.

Viele ältere Einbürgerungskandidaten profitieren dagegen nicht vom Kompromiss. Für sie gilt weiterhin: Wer den deutschen Pass will, muss den alten abgeben - wiederum ausgenommen EU-Bürger und einige weitere Staatsangehörige. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, lehnte die Einigung deshalb als unzureichend ab. Zumindest wirft sie weitere Fragen auf: Etwa die, warum ein hier geborenes Kind den Doppelpass behalten kann, nicht aber sein älterer Bruder, der mit einem Jahr ins Land kam.

Wenige Babys, langes Leben

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Deutschland hat die älteste Bevölkerung innerhalb der Europäischen Union. 45 Jahre beträgt das Medianalter hierzulande - das sind rund dreieinhalb Jahre mehr als der Durchschnittswert aller EU-Staaten (41,5 Jahre). Über einen Zeitraum von gut vier Jahrzehnten haben Wissenschaftler des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden das Geburtenniveau, die Zu- und Abwanderung in den einzelnen Ländern sowie die Lebenserwartung miteinander verglichen. Besonders auffällig ist die Entwicklung in Ost- und Westdeutschland seit 1990: Der Osten ist um über zehn Jahre älter geworden - bedingt durch die demografische Entwicklung und weil viele junge Menschen abgewandert sind.



Deutschland hat die älteste Bevölkerung der EU.

'Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist die Entwicklung besonders tragisch', sagt Christian Fiedler vom BiB. Im Jahr der Wiedervereinigung lebte in Ostdeutschland eine jüngere Bevölkerung als in Westdeutschland, es stand 36,6 zu 37,9. 'Der Wegzug junger Menschen hat die Bevölkerungsalterung im Osten nachhaltig beeinflusst. Schließlich ist mit ihnen ja auch ein Teil der zukünftigen Elterngeneration verloren gegangen', so Fiedler. Verstärkt wird die Situation noch, weil Frauen in Ostdeutschland weniger Kinder bekommen als früher; kinderreiche Familien sind dort fast völlig verschwunden. Das liegt nicht nur an komplizierter Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder mangelnden Betreuungsmöglichkeiten, sondern schlichtweg an der 'schwierigen ökonomischen Lage der Familien in Ostdeutschland', so das BiB. Betrachtet man nur den Osten, beträgt das Medianalter dort sogar 47,1 Jahre, im Westen liegt es bei 44,5.

Irland hat die jüngste Bevölkerung in 28 untersuchten EU-Staaten, hier beträgt das Medianalter nur 35 Jahre. Um auf diesen Mittelwert zu kommen, teilen die Forscher die Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen, eine ist jünger, eine älter als 35 Jahre. In der Methusalem-Liste folgen auf Deutschland Italien mit 43,8 Jahren und Bulgarien mit 42,7 Jahren. Das Bundesinstitut hat die Zahlen aus den Jahren 1970, 1990 und 2012 gegenübergestellt.

Auffällig ist, dass sich die Struktur in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich entwickelt hat. Zwischen 1990 und 2012 ist der Wert in Deutschland um 7,4 Jahre angewachsen. Nur in Portugal (8,4) und Litauen (9,2) war die Zunahme noch deutlicher. 'Der Anstieg des Medianalters in Schweden im gleichen Zeitraum ist mit 2,4 Jahren hingegen eher moderat ausgefallen', sagt Fiedler. Die Menschen dort werden zwar auch immer älter, der Zuzug von Ausländern und die Geburtenrate in Schweden halten sich jedoch halbwegs die Waage. Bemerkenswert für die Forscher war auch die Zahl von 40,7 Jahren in Spanien, das Land liegt damit ebenfalls unter dem EU-Durchschnittswert. 'Obwohl hier ein starker Zuzug auch von alten Menschen erfolgt, etwa von Senioren aus England oder Deutschland, denen es zuhause zu kalt ist, wirkt die Bilanz ausgeglichen', sagt der BiB-Sprecher.

Eine Arbeitsgruppe des Bundesinstituts versucht nun zu ergründen, wie weit kulturelle Leitbilder eine Rolle dabei spielen, dass immer weniger Kinder hierzulande geboren werden und die Bereitschaft zur Elternschaft schwindet. Deutschland hat die elftniedrigste Geburtenziffer in Europa, es sind - statistisch gesehen - nur 1,39 Kinder pro Frau. Deutlich messbar sind die Veränderungen durch die sinkende Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung seit Jahrzehnten auch beim Durchschnittsalter - dies errechnet sich aus der Summe der demografischen Daten. Das durchschnittliche Alter der Bevölkerung lag in Deutschland demnach im Jahr 2011 bei 42,6 Jahren für Männer. Frauen sind im Schnitt 45,3 Jahre alt.

Drei Partner, eine Angst

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CDU, CSU und SPD haben ihren Koalitionsvertrag unterschrieben, und sofort hat das Werben um die Mitglieder der SPD begonnen. Vor allem der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel war am Mittwoch in Berlin bemüht zu erklären, dass insbesondere Schwächere von einer schwarz-roten Regierung profitieren werden. Dies sei ein "Koalitionsvertrag für die kleinen Leute", sagte er. CDU-Chefin Angela Merkel und ihr CSU-Kollege Horst Seehofer demonstrierten Gelassenheit vor dem Votum der SPD. Merkel ließ jedoch erkennen, dass sie sich der Zustimmung der Sozialdemokraten keinesfalls sicher ist.



Die drei Parteivorsitzenden - sichtlich übernächtigt - stellen uns vor, welche Vorteile der Vertrag für ihre jeweilige Partei hat.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz stellten die drei Parteivorsitzenden vor, was sie bis Mittwochfrüh um halb sechs ausgehandelt hatten. Merkel nannte als erstes, dass die Koalition in dieser Wahlperiode keine neuen Schulden machen werde und es auch keine Erhöhungen von Steuern geben werde. "Das ist gut für den Mittelstand und die kleinen Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen", sagte sie. Dass es künftig eine Mütterrente geben wird für Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, nannte sie einen "Riesenschritt". CSU-Chef Horst Seehofer stellte vor allem heraus, dass er die PKW-Maut durchgesetzt hat. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wiederum nannte besonders viele Ergebnisse, die er seiner Partei zugute schreibt. Er führte den gesetzlichen Mindestlohn an, die Erwerbsminderungsrente, die Möglichkeit, mit 63 Jahren ohne Abzüge in Rente gehen zu können sowie die doppelte Staatsbürgerschaft für Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Normalerweise ist in Koalitionsverträgen geregelt, welche Partei welches Ministerium bekommt; auch die Personalien werden am Ende von Verhandlungen geklärt. Das ist diesmal anders. Zwar teilten die Parteichefs mit, dass sie sich über die Aufteilung der Ministerien auf die drei Parteien bereits geeinigt haben. Diese Vereinbarung soll jedoch geheim bleiben, bis die SPD-Mitglieder in zwei Wochen über die Koalition abgestimmt haben. Die Partei will über Inhalte abstimmen lassen und nicht mit ihren Mitgliedern Personaldebatten führen. Gabriel sagte, würde der Ressort-Zuschnitt jetzt schon bekannt gegeben, ginge es in der sozialdemokratischen Debatte nur noch um ein Thema: "Wer wird was?"

Merkel und Seehofer versuchten erkennbar, dem sozialdemokratischen Partner seine Erfolge zu lassen. Seehofer sagte der Süddeutschen Zeitung, beim Mindestlohn, dem "zentralen Anliegen" der SPD, sei "uns ein ganz vernünftiger Kompromiss gelungen. Das ist für die SPD ein ganz wichtiger Punkt für die Zustimmung ihrer Basis." Der Kompromiss sieht vor, einen gesetzlichen Mindestlohn im Jahr 2015 einzuführen. Es gibt aber Übergangsregelungen, bis Ende 2016 - für Firmen und Branchen, in denen derzeit noch Tarifverträge mit Löhnen unterhalb von 8,50 Euro und langer Laufzeit gelten. Später soll eine Kommission aus jeweils drei Arbeitgebern und Gewerkschaftern plus einem Wissenschaftler Erhöhungen des Mindestlohns beschließen.

Merkel gab sich zunächst gelassen, was den Mitgliederentscheid der SPD betrifft. "Warum soll ich nicht warten, noch 14 Tage?", sagte sie, "warten kann ich." Sie sitze ruhig und mache ihre Arbeit. Dass sie den Mitgliederentscheid jedoch nicht für eine klare Sache hält, deutete sie in einem Halbsatz auf die Frage an, ob die Vorratsdatenspeicherung kommen werde: Ja, die werde kommen - "sofern die Regierung gebildet wird".

Insgesamt will die Koalition in den kommenden vier Jahren rund 50 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer: Während insbesondere viele Rentner deutlich besser gestellt werden, gehen junge Menschen und Arbeitnehmer leer aus oder werden sogar zusätzlich belastet. So sollen allein die geplanten höheren Renten für Mütter mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden, 6,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Hinzu kommen Verbesserungen für Rentner, die 45 Jahre lang gearbeitet und eingezahlt haben, die trotz dauerhafter Beschäftigung nur auf ein sehr geringes Ruhestandssalär kommen oder die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr voll arbeiten können.

Haare mit Funkverbindung

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Wenn Menschen sich in Zukunft minütlich an die Koteletten ihrer Perücke fassen, dann nicht zwingend, weil es sie dort juckt, sondern weil sie die nächste Folie einer Präsentation zeigen wollen. Denn in den Koteletten versteckt wäre ein elektronischer Sensor, der per Funk mit einem Beamer verbunden ist und von Folie zu Folie weiterschaltet.



Sony nimmt das Phänomen elektrischer Haare wörtlich und entwicklet eine Perücke, die über Funk kommuniriezieren kann.

Verrückt? Nun ja, immerhin ist es der Elektronik-Hersteller Sony, der ein solches Szenario in einem Patentantrag beschreibt. "Smart wig" - schlaue Perücke - so nennt Sony die Erfindung in seinem Antrag beim US-Patentamt. "Es erübrigt sich zu sagen", heißt es darin, bezogen auf Präsentationen, "dass das Auftreten eines Sprechers ein wichtiges Element seiner Rede ist." Mit den Koteletten, so die Logik von Sony, werde das Auftreten optisch optimiert.

Die Perücke soll aber noch mehr können: Zum Beispiel den Blutdruck des Trägers messen, über ein GPS-Signal den genauen Ort bestimmen oder per Ultraschallsignal feststellen, ob sich Objekte in der näheren Umgebung des Trägers befinden - denkbar wäre Letzteres zum Beispiel als Navigationshilfe für blinde Menschen.

Die Sensoren sollen nicht zu sehen sein, sondern durch die Perücke versteckt werden. Sie soll aus Menschen-, Büffel- oder Pferdehaar bestehen. Auch Wolle wäre möglich, findet Sony.

Die Perücke soll über Funk kommunizieren, je nach Ausstattung verfügt sie über eine Kamera. Diese wäre auch aus der Ferne steuerbar, also von einem anderen Menschen. Anhand der übertragenen Bilder sieht und navigiert dieser Mensch den Perückenträger - über leichte Vibrationen der Sensoren. Vibriert die Perücke rechts, soll der Träger in diese Richtung gehen.

Der Patentantrag von Sony ist der Versuch, in die Nische der "wearable technology" einzusteigen. Mit diesem Schlagwort wird jede Art von Technik beschrieben, die von Menschen getragen werden kann. Von Perücken, über T-Shirts bis hin zu so genannten Smart Watches. Viel diskutiert wurden hier vor allem zwei Produkte: Die Datenbrille Glass von Google. Sie kann Fotos schießen, Videos aufzeichnen oder aber Informationen wie etwa E-Mails auf eine kleine Glasscheibe einblenden. Sie ist aber noch nicht frei verfügbar. Das zweite Produkt führte Samsung im September ein: Eine Uhr mit dem Namen Galaxy Gear. Verbunden mit einem Smartphone kann es zum Beispiel die Betreffzeilen von Mails anzeigen oder Twitter-Nachrichten.

Der Marktforschungsfirma Juniper Research zufolge wird der Markt für tragbare Technologien in den nächsten Jahren wachsen: von 1,4 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr auf 19 Milliarden US-Dollar in 2018. Neben den viel diskutierten Entwicklungen von Google und Samsung verkaufen sich zurzeit vor allem Geräte wie die sogenannten Activity Tracker. Sie kommen meist als Armbänder und erfassen, wie viele Schritte man am Tag tut oder ob man in der Nacht ruhig schläft. Die gewonnenen Daten lassen sich mit Apps auf Smartphones oder am Computer abgleichen.

Ein Antrag auf Erteilung eines Patents muss nicht heißen, dass ein solches Produkt auch tatsächlich hergestellt wird. Dass man sich den Kopf vornimmt, hält man bei Sony aber für richtig. Menschen passten schließlich instinktiv auf ihren Kopf auf, wohingegen Uhren schnell mal gegen andere Stellen stoßen und dabei kaputt gehen könnten. Über das Aussehen der Perücke heißt es, dass sie sich in einem ersten Test als ein Aufmerksamkeits-Magnet erwiesen habe. "Bei der Präsentation haben sich mehr Menschen für die Perücke interessiert als für den Inhalt der Präsentation."

Vom Recht, sich ins Gesicht sehen zu können

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Die Frau mit der Burka erschien nicht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und ihre Abwesenheit war Teil ihres Plädoyers. Mit bis zu 150 Euro Buße wird in Frankreich seit April 2011 bestraft, wer auf offener Straße sein Gesicht verhüllt. Der Weg nach Straßburg wäre für die Klägerin, die als Muslimin die Burka als religiöse Pflicht ansieht, also ein strafrechtliches Risiko gewesen; 425 solcher Bußgelder sind in Frankreich bereits verhängt worden. Ob es dabei bleiben darf, ob das französische Burka-Verbot womöglich als Blaupause für andere Staaten dienen kann, wird in einigen Monaten der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg entscheiden.



Seit April 2011 dürfen Frauen in Frankreich auf offener Straße keine Burka tragen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nimmt das Verbot unter die Lupe.

Die Verhandlung an diesem Mittwoch ließ jedenfalls erkennen, dass die Richter das französische Gesetz kritisch sehen. Gleichbehandlung für Frauen zu verordnen, die dieses Recht selbst gar nicht einforderten: Der französische Richter André Potocki schien skeptisch, ob das juristisch funktioniert. Und sein norwegischer Kollege Erik Møse wollte wissen, ob das Gesetz wirklich - wie von den Vertretern Frankreichs behauptet - den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördere. Oder nicht doch eher soziale Spannungen schüre.

Den juristischen Vertretern von Frankreichs Regierung ging es sichtlich darum, den Verdacht zu zerstreuen, das Gesetz sei gezielt gegen Muslime gerichtet. Es gehe um Sicherheitsrisiken und darum, eine Diskriminierung von Frauen zu unterbinden, argumentierte Edwige Belliard. Vor allem aber gelte es, "die Beziehungen zwischen menschlichen Wesen zu erhalten". Als "Vertrauensminimum" sei dafür notwendig, auf öffentlichen Plätzen sein Gesicht zu zeigen. Ihre Kollegin aus Belgien - dem zweiten europäischen Land mit einem generellen Schleierbann - sprach gar von einem Recht, sich ins Gesicht sehen zu können. Jedenfalls sei jede Art von Verschleierung verboten, nicht nur die religiös motivierte, versicherte Belliard. Das Argument wäre überzeugender, hätten die Franzosen ihr Verhüllungsverbot nicht durch zahlreiche Ausnahmen durchlöchert, nicht nur für Chirurgen mit Mundschutz. Auch im Rahmen sportlicher, festlicher, künstlerischer oder traditioneller Veranstaltungen darf man sein Gesicht verbergen. Narren dürfen sich im Straßenkarneval maskieren, Muslime nicht einmal verschleiert zur Moschee gehen, kritisierte Anwalt Tony Muman.

In Frankreich schätzt man die Zahl der Musliminnen mit dem Wunsch nach Vollverschleierung auf 2000 bis 4000. Die 23-jährige Klägerin - eine Frau mit Uni-Abschluss, die leidenschaftlich "für die Republik" eintrete - habe sich aus freien Stücken dafür entschieden, ohne familiären Druck, sagte ihr Anwalt Rambert de Mello. Und falls sie - etwa, um ein Kind aus der Kita abzuholen - zur Identifizierung das Gesicht zeigen müsse, sei das kein Problem. Mit dem Komplettverbot werde das religiöse Bekenntnis der Klägerin allerdings in ihre privaten Räume verbannt.

Wie wird der Gerichtshof urteilen? Grundsätzlich ist er durchaus offen für Verbote religiöser Kleidungsstücke. Im Jahr 2001 hat er die Entscheidung der Schweizer Schulbehörden gebilligt, einer zum Islam konvertierten Grundschullehrerin das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht zu untersagen. 2005 hat er das Verbot des Kopftuchtragens an türkischen Universitäten bestätigt. Und in den Folgejahren ließ das Gericht mehrmals Kopftuchverbote an französischen Schulen unbeanstandet. Allerdings waren jeweils Besonderheiten ausschlaggebend, schulische Belange etwa, oder die strikt säkulare Ausrichtung des Staates. Am hohen Wert des Rechts, seinen Glauben offen zu bekennen, hat das Gericht keinen Zweifel gelassen.

Interessant könnte daher das Straßburger Urteil in einem anderen türkischen Fall sein. Mitglieder einer Religionsgemeinschaft waren mit Turban und Pluderhose durch die Straßen gezogen und von den türkischen Gerichten wegen Verstoßes gegen die Vorschriften zum Tragen religiöser Kleidung in der Öffentlichkeit verurteilt. 2010 rügte der Menschenrechtsgerichtshof die Türkei: Ein genereller, nicht etwa auf öffentliche Einrichtungen beschränkter Bann religiöser Bekleidung lasse sich nicht rechtfertigen. Was freilich noch nicht das heikle Problem der Gesichtsverhüllung löst. Dass hier Kompromisslösungen denkbar sind, deutete sich in einer Frage der deutschen Richterin Angelika Nußberger an: Ob für die französische Regierung denn ein durchsichtiger Schleier akzeptabel wäre.

Den Winter weggucken

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„Wrecking Ball“ – Chatroulette-Version



Gefühlt ist das Video zu Miley Cyrus’ „Wrecking Ball“ das am meisten parodierte des Jahres 2013. Aber dieses hier müssen wir trotzdem extra hervorheben, weil es so unfassbar lustig ist. Comedian Steve Kardynal, der die Videochatwebseite „Chatroulette“ gerne nutzt, um halbnackt für fremde Menschen zu tanzen, hat genau das wieder mal gemacht. Und zwar zu, genau, „Wrecking Ball“. Sogar mit improvisierter Abrissbirne. Das ist deswegen so toll, weil die Reaktionen der überraschten Menschen am anderen Ende der Leitung gute Laune machen. Selbst die, die erst skeptisch sind, müssen dann doch lachen. Und manche singen aus voller Brust mit. Insgesamt fühlt sich das so an, als sei die Welt gerade ein bisschen besser geworden. Durch Quatsch.
Leider wurde das Video bei YouTube mittlerweile gesperrt, sodass wir es hier nicht einbetten können. Aber bei "Hans-Wurst" kann man es noch ansehen. (Und wer danach noch nicht genug hat, dem sei der Vorgänger– Steve Kardynal tanzt zu „Call Me Maybe“ – empfohlen).    

Und jetzt: weitertanzen!
Juhu, noch mehr gute Laune! Bei den Spielen der "Detroit Pistons" (für nicht-Kenner: Basketball - ich musste es auch ergoogeln) gibt es nicht etwa die altbekannte „Kiss Cam“ (wenn ihr euch auf der Großbildleinwand seht, müsst ihr euch küssen), sondern eine Dance Cam (wenn ihr euch auf der Großbildleinwand seht, müsst ihr tanzen). Das funktioniert anscheinend ganz gut. Und dann hat der Mensch, der entscheidet, wer gezeigt wird, auch noch dafür gesorgt, dass ein kleiner Fan und ein Security-Mensch über die Leinwand ein Tanz-Battle austragen.    
http://www.youtube.com/watch?v=JgPrQZ499nI#t=41

Wie du ein Baby besiegst
Babys sind sehr stark. Also echt. Deswegen zeigt und Gavin McInnes hier, wie man sie besiegen kann. Wer sich an seine Ratschläge hält, hat gute Chancen, einigermaßen unverletzt aus dem Kampf zu kommen. Am allerwichtigsten: Immer gut auf die Augen aufpassen!    
http://www.youtube.com/watch?v=mTWfqi3-3qU

Ein gutes Weihnachtsgeschenk für Katzenladies und Hundefreunde
Vermisst du die Miezi manchmal ganz schlimm? Und der Bello fehlt dir auch immer so arg? Zum Glück gibt es jetzt eine Lösung für dein Problem: Pet Chatz. Ein Gerät, das du mit deinem Computer verbinden kannst und über das der Hund oder welches Tier auch immer dich sehen und hören kann. Das ist so absurd, dass man das Werbevideo dafür im ersten Moment für einen Witz hält (vor allem, wenn dem fleißigen Frauchen im Büro das hübsch eingerahmte Bild ihrer Golden-Retriever-Hündin umfällt und sie es liebevoll wieder aufstellt). Ist aber keiner. Irre.    
http://www.youtube.com/watch?v=udlzRaB-pKg

Jingle Bälle
Zum Schluss ein kurzes Video mit Hinblick auf den bevorstehenden Advent. NBA-Stars (Basketball, das weiß sogar ich ohne googeln) spielen „Jinge Bells“ und zwar mit den Instrumenten, die sie am besten beherrschen: Bälle und Körbe. Klingt gut und der Schluss macht schon wieder: gute Laune. 
http://www.youtube.com/watch?v=EYEHUOpwNvE

Niels Ruf packt aus

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Am Nachmittag vor seiner Vernissage tritt er in das Gewölbe der Münchner Praterinsel: 40 Jahre alt, drei Hemdknöpfe offen, frisch gestutzter Bart, parfümumweht, obwohl er heute noch gar nicht geduscht hat, wie er gleich sagt. Niels Ruf präsentiert hier einen Abend lang seine Foto-Serie "Bitte recht freundlich" einem handverlesenen Publikum. Seit zehn Jahren fotografiert er Prominente, die einen Wangenhalter, ein Zahnarzt-Instrument aus Plastik, im Mund tragen. Jürgen Vogel, Eva Padberg oder H.P. Baxxter sehen damit aus wie zähnefletschende Wölfe. Jetzt verkauft er die Bilder für einen guten Zweck. Wirkt erwachsen? Nur so lange, bis er das erste an der Wand sieht: Es zeigt Männertopmodel Werner Schreyer, der breitbeinig auf einer Couch sitzt. Ruf zeigt auf den Schritt und kichert: "Riesending, oder?"
 
jetzt.de: Welches deiner Bilder magst du am liebsten?
Niels Ruf: Mein Favorit ist Simon Gosejohann, der war mal mein Praktikant und musste immer meinen Champagner kaufen. Heute muss ich den selbst kaufen und er hat einen Fernsehpreis. Tja.
 
Hast du Phasen, in denen du denkst: Jetzt hab ich mir dieses Image aufgebaut und bin so ein mittelprominenter Fernsehtyp . . .
. . . mittelprominent ist ja noch nett formuliert . . .
. . . was wir meinen: Gab es für dich nie Alternativen?
Wenn ich heute anfinge, würde ich mir das schon noch mal überlegen, überhaupt vor eine Kamera zu gehen. Vielleicht ist es auch ein Fehler, dass ich nicht längst Stand-up-Comedy mache. Da ist man unabhängig von Sendern, baut sich eine Fanbase auf, verdient mehr Geld, kann nicht rausgeschmissen werden und sieht was von der Welt. Das ist aber an meiner Ängstlichkeit gescheitert und auch an meiner Faulheit.
 
Wovon lebst du eigentlich gerade?
Ich habe mit ein paar Leuten eine App-Firma. Sagt jeder, oder? Und ich hatte eine Produktionsfirma, die ich just drei Monate, bevor sie pleite ging, verkauft habe.

Du warst jahrelang Deutschlands "Fernsehferkel" – wie siehst du das heute?
Ach ja, die Nummer, die ich da früher abgezogen habe, so total frontal, finde ich jetzt für heute schon ein bisschen alt. Ich hab auch keinen Bock mehr, mich mit jedem anzulegen. Mit 25 hält man die eigenen Reserven für unerschöpflich – jetzt bin ich in einem Alter, in dem ich weiß, dass sie endlich sind. Kürzlich war ich mit meinen Bildern bei Markus Lanz, da hab ich mir vorgenommen, mich endlich mal so zu benehmen, dass sie mich danach noch mal einladen. Manchmal ist es ja doch unsmart, auf andere so mit der Brechstange einzufallen. Das passt außerdem auch besser zu einem "25-Something" als zu einem "40-Nothing".



Niels Rufs Handynummer endet auf 90-60-90. Hat er sich selbst ausgesucht. Hier packt er am Tag vor seiner Vernissage in München Eva Padberg aus.
 
Deine erfolgreichste Show, "Kamikaze", lief Ende der Neunziger auf Viva 2. War es damals leichter, böse zu sein?
Klar, aber es war neben Mut auch eine ziemliche Naivität dabei. Ich konnte die Reaktionen der Leute überhaupt nicht einschätzen. Ich hatte zum Beispiel immer eine leicht bekleidete Frau im Studio liegen, das "Kamikätzchen". Das hat geschnurrt, wenn ich ihm einen Klaps auf den Hintern gab. Ich dachte: Versteht ja wohl jeder, dass das ein Witz ist, Feminismus und so, wissen wir doch alle, können wir doch jetzt drüber lachen. Aber überhaupt nicht! Ich war mal auf einer Party, da geht so ein sehr gut aussehender Typ an mir vorbei und flüstert mir ins Ohr: "Ich hasse Frauen auch." Da dachte ich zum ersten Mal: Oha, vielleicht kapiert das ja echt keiner. Die denken wirklich, dass du ein Arschloch bist!
 
Das war in den Neunzigern. In diesem Jahr hat der Hashtag "#aufschrei" den Grimme-Online-Preis gewonnen, aus Kinderbüchern werden rassistische Worte gestrichen. Ist es mittlerweile cooler, politisch korrekt zu sein?
Klar, das ist so ein Political-Correctness-Faschismus, der aus den USA kommt, mit tierischer Verspätung allerdings. Sicher ist viel davon berechtigt, aber irgendwann werden daraus Denkverbote. Viele #aufschrei-Leute treibt der Wunsch an, anderen was zu verbieten. Das gibt denen wohl Halt. Dabei waren die Kamikätzchen zum Beispiel ein fairer Witz auf die Assistentinnen-Kultur in Talkshows, in denen kleine verhuschte Frauen das Wasserglas bringen und im Halbdunkel wieder abzischen. So was ist sexistisch!
 
Sollten also alle mal wieder runterkommen?
Auch Frauen verändern ihr Handeln: Die nehmen sich Dinger raus, die sich Männer nicht rausnehmen könnten. Ich kriege zum Beispiel bei Facebook mehrmals im Monat von unbekannten Frauen Tittenbilder geschickt. Wenn ich jetzt Fotos von meinem Erlebnisorgan verschicken würde, müsste ich schon zum dritten Mal Sozialstunden leisten und den Friedhof harken.
  
Sind Fieslinge eigentlich die interessanteren Typen?
Nicht unbedingt im echten Leben, aber in der Erzählung. Darth Vader ist doch geiler als Luke Skywalker! Und wenn sie bei "Breaking Bad" illegal Tabak angebaut hätten, würde der Serie doch der Juice fehlen. Ist doch gerade geil, dass sie die unsympathischste Droge der Welt herstellen, Crystal Meth!
 
Die Hauptfigur tut es aber, um eine Krebstherapie zu bezahlen.
Aber am Schluss sagt er seiner Frau: In Wahrheit habe ich es gemacht, weil ich mich geil gefühlt habe!

Kannst du eigentlich über dich selbst lachen?
Null. Na ja, schon. Was bleibt mir auch anderes übrig?
 
Was verletzt dich?
Wenn du jemandem was schenkst, und das ist dem offensichtlich egal. Oder du freust dich, jemanden wiederzusehen, und der hat Probleme, dich überhaupt zu erkennen. Das sind Momente, die mich verletzen. Da stehst du nachts vor dem Frauenhaus mit einem Strauß Blumen, und alles, was kommt, ist die Polizei. Das tut schon weh (lacht). Schon wieder ein blöder Witz.  

Ist Verletzung der Auslöser dafür, böse zu werden?

Ist sie natürlich! Ich habe zwei ältere Brüder, als Kind geschielt und musste immer mit einem Klebeding auf dem Auge rumlaufen. Ich dachte, ich kriege nie eine Frau ab. Da entwickelt man Humor. Deshalb sind gut aussehende Männer, die schon immer gut aussahen, so langweilig. Wozu soll man sich anstrengen? Wozu soll ich Geige spielen lernen oder eine Band gründen, wenn ich die Weiber eh schon habe?
 


Sophia Thomalla mit Sekt und Wangenspreizer.

2008 wurde innerhalb eines Jahres deine Late Night Show auf Sat1 abgesetzt, eine RTL-Sitcom mit dir in der Hauptrolle nach drei Folgen nicht mehr gesendet und deine Produktionsfirma ging pleite. Wie ging es dir?
Das war eher ungeil. Ich war eh schon schlapp, hatte diese Serie gedreht, war Geschäftsführer, habe versucht, diese Late-Night in Schwung zu bringen und alles lief eher so lala. Da dachte ich: Fuck, jetzt reicht’s mir. Am letzten Tag meiner Late-Night haben dann Metallica die O2 Arena in Berlin eröffnet. Da bin ich hin, betrunken und ohne Ohrstöpsel, und habe mir gesagt: Jetzt mach ich erst mal gar nichts mehr. Jetzt wird mal die Miete abgewohnt.
 
Du hast dann doch weitergemacht, mit einer Webshow für die Telekom und als Gastgeber beim Promidinner auf Vox.
Beim Promidinner war es so: Ich hatte eine Steuernachzahlung bekommen, die habe ich denen geschickt und gesagt: "Wenn ihr das zahlt, mach ich mit." Ich hatte mich ja schon immer gefragt, warum die Gastgeber die Chancen für Gags nicht nutzen, wenn die Wohnung durchstöbert wird. Da liegen dann ganz brav die Fotoalben und die goldenen Bravo-Ottos von 1986. Warum legt da keiner ’ne Knarre hin oder einen Strap-on? Also hab ich meine Bücherwand ausgeräumt und aus der Videothek von einem Freund 900 Pornos reingestellt. Bei Pokaldiscounter.de habe ich mir dazu Preise machen lassen: "Dritter beim Armdrücken mit den Mädchen", "Kekswichsen Munich Open, 2. Platz", so was. Aber mal was Anderes: Habt ihr euch mal meine Fotos angeschaut? Ich bin ja nämlich auch ein sensibler Künstler!
 
Na gut. Warum Fotos von Prominenten mit einem Wangenhalter im Mund?
Als ich Kind war, hatten wir einen Hund, den ich aus Spaß so lange immer wieder aufgeweckt habe, bis er die Zähne fletschte. Irgendwann war ich dann beim Zahnarzt, der schob mir einen Wangenhalter rein und reichte mir einen Handspiegel. Ich dachte: Ich sehe ja aus wie der wütende Hund! Das ist meine Fotoserie. Die mache ich nun also seit zehn Jahren so vor mich hin und dann fragt mich auf einmal jemand, ob ich die nicht zugunsten einer Charity für Kinder mit Kieferfehlbildungen in Berlin ausstellen möchte. Und weil’s so gut lief, jetzt auch in München. Die Bilder sehen vielleicht aggressiv aus, aber sie sind auch lustig und helfen nun sogar Kindern. Und das ist ja wohl überhaupt nicht böse.
 
Woher kam früher deine Faszination für das Aggressive?
Ich fand immer schmutzigen Hip-Hop oder Bands wie Slayer geil – die sind so over the top, die kann man ja nicht völlig ernst nehmen. Bei Viva damals war dann der Gedanke: Schmidt, Raab, da muss man noch einmal eine Schippe drauflegen – das Gefühl aus der Musik in die Show übertragen. Für eine meiner Sendungen habe ich mir mit dem Sänger von Slayer einen Konzertmitschnitt von Cannibal Corpse angesehen. Da passiert folgendes: Der Typ von der Band kriegt eine Flasche an den Kopf. Er schreit ins Publikum: "I saw that! Come up on stage, I kill your father, I kill your mother then make your dead father fuck your dead mother. Don’t fucking fuck with me!" Der Slayer-Sänger und ich gucken uns das also an, und ich frage ihn: "Kriegst du auch manchmal eine Flasche an den Kopf?" Er so: "Ab und zu." Ich so: "Sagst du dann auch so Sachen?" Er so: "You gotta be bigger than that." Der ist also gar nicht so böse. Und ich übrigens auch nicht.
  
Wer ist heute der beste Böse im deutschen Fernsehen?
Weiter Harald Schmidt oder Enissa Amani.
 
Was ist mit Jan Böhmermann, Benjamin von Stuckrad-Barre . . . ?
Stuckrad-Barre macht ja eher Observational Comedy. Ich finde, die gelingt ihm besser in seinen Büchern als in seinen Shows. Da sehe ich jemanden, der dringend eine Klinikpackung Ritalin braucht. Aber natürlich ist der schon gut. Und Böhmermann fehlt es etwas an Unterleib. Ich kann mir bei dem nicht vorstellen, dass er eine Zigarette auch mal auf Lunge raucht. Oder einer Frau MDMA in den Drink tut, damit sie ihn mag. Wird ja vielleicht noch.
 
Ist es dir wirklich völlig egal, ob die Leute dich mögen oder nicht?
Ich hatte mal eine Show im DSF, die nach neun Folgen von Leo Kirch abgesetzt wurde – wegen Blasphemie. Das ist doch irgendwie geiler, als wenn man sagt, ich habe den neuesten Fernsehpreis gewonnen, oder? Das sind meine Auszeichnungen. Ich war auch mal für den Grimme-Preis oder so nominiert und habe mir fest vorgenommen, ihn dann abzulehnen. Leider habe ich ihn gar nicht erst gekriegt.

Meine Straße (7): Baaderstraße

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Kin Ming, 35, Werber





Für mich ist die Baaderstraße die beste Straße der ganzen Innenstadt. Ich mag, dass ich hier die gleiche Distanz zur U- wie zur S-Bahn habe, mit der ich zum Flughafen komme. Ich mag die Nähe zum Marienplatz und zur Isar und fühle mich trotzdem weit genug vom Gärtnerplatz weg, so dass mich die ganze Aufregung dort nicht weiter nervt. Anders als an vielen anderen Ecken in diesem Viertel finde ich außerdem, dass hier eine sehr angenehme, gemächliche Form der Aufwertung stattfindet. Die Leute gehen aus ihren Wohnungen oder Geschäften nicht raus, weil sie vertrieben werden, sie gehen aus Altersgründen. Inge zum Beispiel, die Betreiberin der Boazn Inges Karotte, die hat einfach gesagt: "Jetzt ist's gut." Nun ist eine Klavierschule drin. Solche Geschichten gibt es hier einige. Am liebsten sitze ich eigentlich Kalbsschnitzel essend auf der Terrasse der Königsquelle. Und da sitze ich dann und beobachte die Leute. Wer zum Beispiel garantiert immer vorbeikommt ist ein humpelnder schwarzer Mops.
 
Sehr Empfehlenswert ist auch der Inder hier, Ganga. Und ein weiteres gutes Schnitzel kriegt man bei der Burg Pappenheim. Die Baaderstraße ist etwas seltsam geschnitten, an der Fraunhoferstraße könnte sie eigentlich zu Ende sein, aber dann hat sie dahinten noch so einen stiefmütterlichen Wurmfortsatz, in den sich Fremde, die zu Besuch kommen, aus der U-Bahn heraus manchmal verirren, und in dem aber eigentlich fast nichts mehr ist außer einem Hotel. Sie hat daher keinen richtigen Anfang und irgendwie auch kein richtiges Ende, denn auch zur Isartorseite mündet sie so ungnädig in der Rumfordstraße. Konsequent ist immerhin, dass sie mit einem Hotel beginnt und mit einem Hotel aufhört.

Wie Senioren Twitter erobern

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„Früher war alles besser.“ Fast jeder hat diesen Satz schon von seinen Großeltern gehört oder zumindest durch die Blume gesagt bekommen. Ein neuer Hashtag-Trend auf Twitter ruft uns jetzt Wörter ins Gedächtnis zurück, die wir entweder schon viel zu oft von Oma gehört haben oder einfach mit dem Rentnerdasein in Verbindung bringen. Wer von den Beiträgen zu #Jugendwort langsam gelangweilt ist, findet jetzt unter #Seniorenwort etwas Abwechslung.











Und das ist nur eine kleine Auswahl der unzähligen Beiträge der Twitter-Nutzer. Wenn ich an Oma und Opa denke, steigt mir der „Plätzchengeruch“ in die Nase und längst verdrängte Bilder von furchtbaren „Häkeldecken“ tauchen wieder auf. Ebenso wenig kann ich es vermeiden, an künstliche „Hüftgelenke“, „Rollatoren“ und „grantige Dauernörgler“ zu denken, wenn ich das Wort „Senioren“ höre. Tatsächlich kann ich mit einem Großteil dieser Begriffe viel mehr anfangen, als mit den Jugendwörtern der vergangenen Jahre, obwohl ich mich eigentlich ganz gerne noch zur Jugend zählen würde. Immerhin weiß ich, was mit einer „Flimmerkiste“ gemeint ist. Der Begriff der „Gammelfleischparty“ hingegen ist gänzlich an mir vorbeigegangen und von „Swag“ oder „Yolo“ habe ich erst Monate, nachdem sie zum Jugendwort des Jahres gekürt wurden, mal am Rande mitbekommen. Vielleicht ist es an der Zeit, sich unter die coolen Kids zu mischen.

Mit der fortschreitenden Verbreitung der Sammlung von Seniorenwörtern lässt sich aber noch eine andere Interpretation dieses Hashtags erkennen. Nicht nur Wörter, die nur deine Großeltern sagen oder Dinge die sie benutzen, werden als Seniorenwort betitelt. Auch Begriffe die „sowas von gestern“ sind, bekommen den Stempel #Seniorenwort verpasst, wie in diesem Beitrag:





Myspace ist nun wirklich nichts, was ich mit meiner Oma in Verbindung bringen würde und doch ist es alt. Welches Wort erinnert dich an deine Großeltern oder ist für dich einfach nur alt und hätte deswegen den Hashtag verdient? Wäre es an der Zeit, dass Langenscheidt ein Buch über Seniorensprache veröffentlicht? Was müsste auf jeden Fall drin stehen?

Zeit alleine, Zeit zu zweit

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Dass Beziehung auch Kompromiss bedeutet, wissen die meisten von uns seit der sechsten Klasse. Ich weiß es seit der zwölften. Nur dass es damals ja ohnehin anders war mit den Kompromissen, denn man wollte ja ständig beieinander sein, dieses neuartige Gefühl der Anziehung, das war einem so fremd und unbekannt, dass man nicht anders konnte, als jeden einzelnen Gedanken um den anderen kreisen zu lassen.  




Will man dann irgendwann wieder als selbstbestimmtes Wesen vor den Spiegel treten, ist es an der Zeit, diese Phase der Identifikation über den Partner hinter sich zu lassen. Das habe ich dann ganz gut ausgeführt. Anders ausgedrückt: Ich habe mich in meinem Beziehungsleben eher rar gemacht. Und so folgte, dass der häufigste an mich gerichtete Beziehungsvorwurf war, dass ich ja nie Zeit hätte.  

Unter dieser Maßgabe lernten auch Nadine und ich uns kennen. Und das Thema begleitete uns wie ein treuer Freund über all die Jahre unserer verschiedenen Beziehungsstadien bis zum Tag unserer Wohnungseinrichtung. Während mein Oberkörper professionelle Ruhe suggerierte, schlotterten meine Knie ganz schön, als wir verschiedene Layouts unserer nun kommenden gemeinsamen Zeit durchgingen.  

Die Vorstellung, in der jeder von uns einen eigenen Raum für die Zeit allein bekäme und wir zusätzlich einen gemeinsamen Raum für die Zeit zu zweit hätten, musste als erstes am Altar der Möglichkeiten geopfert werden. Denn erstens wollte keiner im eiskalten Schlafzimmer residieren. Und zweitens musste der dritte Raum der Wohnung vom Vermieter versiegelt werden, damit wir uns die neue Wohnung überhaupt leisten konnten. Scheiß Armut!  

Blieb also ein (kalter) Raum zum schlafen und einer für den Rest. In meinen kompromissbereiteren Vorstellungen hätte ich dann zumindest einen Platz gefunden, der den Blick auf den Fernseher ermöglichte, während mein Monitor abgeschottet einen Hauch von Privatssphäre geboten hätte. Schön fantasierte ich mir schon die klugen Kommentare zu Nadines Nouvelle-Vague Filmen zusammen, während ich im geheimen viel profaneren Dingen (Computerspielen zum Beispiel) würde nachgehen können: "Achja, sehr interessant, wie die caméra stylo den Auteur unterstützt (baller-baller-baller)".  

Am Ende kam es dann erwartungsgemäß ganz anders. Ich sitze jetzt an der Wand, mit dem Rücken zum Fernseher. Nadine hat von hinten einen ganz guten Blick auf alles, was ich so tue und kommentiert eifrig von der Couch, während sie selbst gut gedeckt ihren Mac auf dem Schoß balanciert. In Benthams Panoptikum fühlt man sich vermutlich unbeobachteter als ich hier in meiner neuen Zeit zu zweit.

Und die vielbesungene Zeit allein, wo gibt es die dann noch? Die gibt es eigentlich jeden Tag eine Stunde und am Samstag gelegentlich über den ganzen Tag. Dann nämlich ist Nadine tief versunken in Guidos Suche nach der "Shopping Queen" und da sie sich selbst im tiefsten Sumpf der Unterhaltungskultur  bewegt, gelingt es auch mir gelegentlich, einen Titel aus dem unteren Fach unseres Kulturregals zu greifen und wenn schon nicht für die eigene, wenigstens für die Freiheit von Aliens, Geiseln oder gefangenen Testsubjekten zu kämpfen. So ist das halt mit den Kompromissen. Am Ende inszenieren sich beide als Verlierer, aber jeder ist heilfroh, sich eigentlich nicht ändern zu müssen.

Auf der nächsten Seite: Nadine auf der Suche nach der goldenen Mitte zwischen Alleinsein und Zu-zweit-sein.
[seitenumbruch]Vor ein paar Jahren, als Sebi noch in der Phase war, in der ich mich nie auf seinen Schreibtischstuhl setzen durfte, weil er dann Panikanfälle bekam, gab es zwei unausgesprochene Regeln zwischen uns: 1. Wir trafen uns höchstens alle zwei Tage. 2. Wenn wir den vorherigen Tag bereits zusammen verbracht hatten, ging nach dem Frühstück von Tag zwei jeder seines Weges. Und das fanden wir beide eigentlich ganz gut, denn Paare, die immer zusammen rumhängen, sind uncool.  

Später, als wir eine Fernbeziehung hatten, fielen unsere geheimen Regeln der Tatsache zum Opfer, dass wir uns nur alle drei Wochenenden sahen und somit entweder gar keine oder die ganze Zeit zusammen verbrachten. In dieser Phase versuchten wir dann, alles Wichtige unter der Woche zu erledigen, damit wir an den Wochenenden nur tolle Dinge unternehmen konnten – ins  Kino gehen, Kanu fahren oder über den Flohmarkt spazieren zum Beispiel. Obwohl wir vorher befürchtet, dass wir für eine Fernbeziehung völlig ungeeignet wären, weil Sebi mich zwei Tage nach seiner Abreise wieder vergessen haben würde und ich es gekünstelt fände, Ausflüge zu organisieren, schlugen wir uns ziemlich gut. Wenn ich zu Besuch war, kaufte Sebi leckeres Frühstück, und wenn er nach Berlin kam, reservierte ich Karten für die Schaubühne.  

Das Zusammenziehen bot zwar die schöne Chance, nun mehr Zeit zusammen verbringen zu können, gleichzeitig barg es aber auch eine Gefahr – nämlich die, dass unsere gemeinsame Zeit plötzlich nicht mehr so besonders sein würde. „Wir dürfen uns auf keinen Fall auseinanderleben! Wir wollen kein eingefahrenes altes Ehepaar werden! Wir werden niemals aneinander vorbeileben!“ proklamierten wir deshalb aus tiefer Überzeugung und nahmen uns vor, all die schönen Besonderheiten beizubehalten, die wir uns in der Fernbeziehungszeit angewöhnt hatten: Rührei zum Frühstück, Ausflüge machen, die Nächte durchquatschen und so weiter.  

Nach zwei Wochen Zusammenwohnen hatten wir einen erhöhten Cholesterin-Spiegel, leere Geldbeutel und waren ständig müde. Ich kam nicht dazu, meine Texte für die Arbeit zu schreiben, wenn Sebi im Zimmer war, weil mein Gehirn noch voll auf „Wir müssen die gemeinsame Zeit doch nutzen!“ eingestellt war und Sebi war schon ganz übel von unserem Herumgekoche.  

Keiner hatte den anderen damit kränken wollen, dass seine ständige Anwesenheit, die vielen Events und diese Unmengen an Rührei überhaupt nicht so toll waren, wie man es sich die letzten 14 Tage gegenseitig beteuert hatte. Als wir erkannten, dass wir dasselbe fühlten, waren wir sehr erleichtert. Endlich konnte Normalität in unseren neuen vier Wänden einkehren! Noch am selben Abend verschwand jeder hinter seinem eigenen Computer – und als Sebi von meiner Musik genervt war, setzten wir uns beide Kopfhörer auf und hörten von da an auch noch unsere eigene Musik. Zum Abendessen bestellten wir Pizza.  

Die folgenden 14 Tagen verbrachte jeder auf seiner Zimmerhälfte. Wenn einer den anderen ansprach, erhielt er wegen der Kopfhörer selten eine Antwort. Das Schlimmste war jedoch: Jetzt, da wir unser wahres Gesicht offenbarten, fanden wir einander ziemlich gewöhnungsbedürftig.  

Sebi hatte es eigentlich immer ganz süß gefunden, wenn ich erzählte, dass ich ab und an mal „ironisch“ eine Dokutainment-Sendung guckte. Jetzt, da er mich in natura vor „VoxNow“ sitzen sah, hielt er mich für eine konsumgeile Kapitalistin. Mir wiederum hatte Sebi in all den Jahren immer gehaltvolle Computerspiele wie „Dear Esther“ und „Portal“ näher gebracht, die mein Verständnis für sein Hobby geweckt hatten. Als er sich jetzt plötzlich mit seinen Uni-Freunden zum „Counter Strike“-Spiel traf und „Niceeee! Vier Kills!“ in ein merkwürdiges Headset rief, erkannte ich den freundlichen und intelligenten Mann, in den ich mich eigentlich mal verknallt hatte, nicht mehr wieder.  

Das Résumé war bitter: In den ersten zwei Wochen hatten wir einander das Glück vorgespielt, in den zweiten zwei Wochen mussten wir uns ständig streiten. Jetzt half uns nur noch der Rat von unseren Freunden Lilly und Christoph, die schon mehr Erfahrung im Zusammenwohnen hatten. Und die erklärten uns das Offensichtliche, nämlich dass Christoph zwei oder drei Mal pro Woche „Counter Strike“ spielen darf.  
Auch wenn man sich für seine Beziehung immer das Besondere wünscht, ist es doch bei allen dasselbe: Man trifft sich eben in der goldenen Mitte. Nach einem Monat voller Extreme, aneinander Gewöhnen und Einpendeln läuft es seit diesem Monat schon viel besser: Etwa drei Mal pro Woche sitzen wir mit Kopfhörern vor unseren Computern, Sebi geht Fußballspielen, ich geh in den Chor und Schwimmen, etwa vier Mal pro Woche gehen wir raus, treffen Freunde, arbeiten was zusammen oder schauen Filme. Und Rührei – das gibt’s Gottseidank nur noch am Wochenende. 

nadine-gottmann

Wie das Internet...Gehirnfrost behandelt.

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Das Problem:

Oft passiert es gerade bei dem so wichtigen letzten Rest vom Eis: Anstatt daran noch ein bisschen länger Freude zu haben, landet es komplett in deinem Mund. Ein Moment in dem die Gier über die Vernunft gesiegt hat. Es folgen hastige Kopfbewegungen von links nach rechts und ein Händewedeln, das einem nicht verrät, ob du gerade etwas zu Heißes oder zu Kaltes im Mund hast. Einfach schnell runterschlucken. Selbst Schuld - der Gehirnfrost ist nicht mehr abzuwenden. Hilflos nimmst du deinen Kopf in beide Hände und wartest ab. Das selbe Problem tritt übrigens auch besonders schnell bei „Slushy’s“ auf:

http://www.youtube.com/watch?v=p7CNu30Al7s

Die Lösung:
Einerseits hast du es verdient den Schmerz aushalten zu müssen. Vielleicht lernst du ja daraus und gehst die Sache das nächste Mal langsamer an. Andererseits ist dir das schon so oft passiert, dass du langsam nicht mehr daran glaubst, aus deinen Fehlern zu lernen. Ein kleiner Trick kann dir in diesem Fall helfen. Angeblich soll es den Gehirnfrost lindern, wenn du den Daumen gegen den Gaumen drückst. Das Erwärmen des Gaumens befreit dich vom Schmerz. Lohnt sich auszuprobieren.

Befreiung vom Kleiderschrank

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Top gestylt sitzt die Wiener Journalistin Nunu Kaller vor einer großen Schüssel Salat: Freitag-Tasche, schwarze Riemen-Boots, schwarz-glänzende Leggings, ein schwarzes Kleid und darüber ein großer, schwarzer Wollpullover. Dass all diese Sachen öko sind, der Pulli sogar selbstgestrickt, sieht man ihnen nicht an. Noch vor einem Jahr hätte Nunu über Ökomode nicht einmal ernsthaft nachgedacht. Wöchentlich zog sie los und kaufte Klamotten, je günstiger desto besser, denn die Einkäufe waren längst zur Gewohntheit und Troststrategie geworden. Nunu setzte deshalb ein Blog auf und startete ein Experiment: Ein Jahr lang keine einzige Klamotte kaufen. Aus dem Blog ist nun ein Buch geworden. Im Interview erzählt die Autorin, wie sie vom Shopaholic zur kritischen Konsumentin wurde.

Du hast ein Jahr ohne Shopping hinter dir. Wieso entscheidet man sich als Modeliebhaberin freiwillig für den Fashionentzug?
Ich habe immer wieder Kleidung aus meinen riesigen Wäschebergen gezogen, die ich völlig vergessen und nach dem Kauf vielleicht ein oder zwei Mal angezogen hatte. Ich habe auch deswegen immer öfter mit meinem Freund diskutiert, der mir fehlende Disziplin vorwarf. Als ich dann anfing, die neuen Stücke nach dem Kauf vor ihm zu verstecken, merkte ich, dass es so nicht weiter gehen kann. Projekte wie „Das Kleine Blaue" oder das „Uniform Project", wo Frauen ein Jahr lang darüber bloggen, wie sie jeden Tag dasselbe Kleid tragen und es immer neu kombinieren, haben mich auf die Idee gebracht, etwas Ähnliches auszuprobieren.




Für viele junge Menschen ist es ganz normal, wöchentlich Klamotten zu kaufen. Ab wann handelt es sich um Sucht?
Allgemein lässt sich das natürlich nicht sagen. Im Gegensatz zu richtig schlimm Kaufsüchtigen ging es bei mir zum Beispiel nie so weit, dass ich Schulden gemacht habe. Trotzdem war mein Verhalten nicht gesund. 2011 habe ich einige familiäre Schicksalsschläge erlebt und war auch in meinem Job überfordert. Ich habe plötzlich nicht mehr nur eingekauft, weil ich irgendetwas gebraucht habe, sondern weil es mich getröstet und abgelenkt hat.

Wie hast du dich einige Stunden nach dem Kauf gefühlt?
Anfangs habe ich die neuen Teile noch mit Freude nach Hause gebracht. Doch irgendwann war selbst dieses Gefühl nicht mehr da oder nur noch ganz kurz. Konsum gibt einfach einen Kick, auch körperlich, es werden Glückshormone ausgeschüttet. Doch wie bei jeder Sucht: Je häufiger der Kick, desto schwächer wird er und umso höher muss die Dosis sein.

Du hast dann beschlossen, ein Jahr lang nichts mehr zu kaufen. Wie hast du durchgehalten?
Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, woher die Kleidung, die ich trage, kommt. Da vergeht dir die Lust am Kauf eigentlich schon von ganz allein. Und das Bloggen darüber hat geholfen. Ich hatte von Anfang an viele Leser und hätte mir vor ihnen nicht die Blöße geben wollen, schwach zu werden und doch wieder etwas zu kaufen.

Bist du oft in Versuchung gekommen?
Die neue Freiheit, nicht ständig was kaufen zu müssen, hat sich sehr schnell bemerkbar gemacht. Aber manchmal hatte ich natürlich Anfälle. Am häufigsten wollte ich braune Stiefel kaufen (lacht). Einmal, als meine Katze gestorben ist und ich traurig mit dem Laptop am Sofa saß, fand ich mich plötzlich auf einem Shoppingportal mit zwei Teilen im Warenkorb wieder. Ein typischer Ablenkungsversuch. Am Anfang habe ich auch statt Kleidung Bücher und Stoffe gekauft. Mich hat auch - so doof das jetzt klingt - das Stricken sehr motiviert. Selbst Dinge zu produzieren, mit denen man sich auch auf die Straße traut, das ist ein ganz eigener Stolz. Und ein Kick, der viel größer ist als jeder Shoppingkick.

Was genau meinst du, wenn du sagst, du fühltest dich plötzlich so "frei"? Und wie hast du deinen Kleiderschrank wahrgenommen? Hast du gedacht: Wow, ich hab ja eigentlich echt viel Zeug?
Ich hatte innerhalb des Jahres überraschenderweise nie den Gedanken, dass ich zu wenig anzuziehen habe. Ich war hochzufrieden mit dem, was ich hatte, und genoß es, meinen Kleiderschrank neu zu entdecken, neu zu kombinieren. Es fühlte sich befreiend an, nicht jedem Trend nachlaufen zu müssen.

Nach dem shoppinglosen Jahr kaufst du jetzt wieder ein. Was hast du dir als Erstes gekauft? Braune Stiefel, das muss ja wohl ein tief sitzender Wunsch in mir gewesen sein. Und ich musste nach einer Weile, also etwa zwei, drei Monate später, ein paar Basics nachkaufen, die nach dem Jahr schon ganz zerrissen waren. Aber mein Konsumverhalten hat sich völlig verändert.

Und zwar wie genau?
Ich überlege fünf Mal, ob ich etwas brauche oder nicht. So gut wie alles, was ich jetzt kaufe, ist fair und ökologisch produziert. Dadurch kaufe ich weniger und teurer, aber die Sachen halten länger. Außerdem stricke ich sehr viel und manchmal nähe ich mir auch etwas. Ich gehe neuerdings gerne auf Tauschpartys und besuche Messen für nachhaltige Mode, wie etwa dem Heldenmarkt in Deutschland oder die WearFair in Österreich. Ab und zu belohne ich mich trotzdem noch. Aber ich gehe nicht mehr los und schaue, was es denn so gibt in den Läden, sondern ich definiere klar ein Ziel. Zum Beispiel: "Ich hätte gerne eine schwarze Hose, weil ich meine vor Jahren bereits zu eng gekauft habe".

Trotz des Wissens über die miesen Produktionsverhältnisse von Kleidung und Auswirkungen auf die Umwelt, kaufen die meisten weiterhin bei den großen Textilketten ein. Warum sind nur wenige bereit, das eigene Kaufverhalten zu ändern?
Man ist schnell überfordert und sieht keine Chance, etwas gegen die globalen Probleme zu unternehmen. Du stößt immer wieder an die Grenzen deiner Handlungsoptionen. Ich kann nicht von jetzt auf gleich in den Flieger nach Bangladesch steigen und den Näherinnen in den Fabriken helfen. Ich möchte dort anfangen, wo ich gerade bin. Man muss irgendwo zwischen den Extremen aus Ohnmacht und Ignoranz seinen Weg finden.

Viele denken noch immer, dass ökologische und faire Mode langweilig und weniger hip sei, als die großer Textilketten wie H&M oder Forever21.
Bei der Mode gibt es inzwischen eine große Auswahl angefangen bei eher alternativer Optik bis hin zur Avantgarde und High Fashion à la Stella McCartney. Schwer wird es nur manchmal bei den Schuhen: Man erkennt das oft blind im Nebel, wenn jemand Ökoschuhe trägt. Ich habe mich mal auf meinem Blog darüber ausgelassen, dass diese Schuhe nie einen normalen, schlichten Schnitt haben. Der Betreiber von ökoschuhe.de hat mich dann darauf hin gewiesen, dass sich da irrsinnig viel getan hat. Ich glaube lange Zeit war die Ökokultur eine Subkultur. Man wollte sich vielleicht auch optisch abgrenzen. Das ist definitiv nicht mehr so. 

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Eine Milliarde Euro. Das ist die Zahl, die zeigt, wie viel der neuen Bundesregierung die digitale Zukunft des Landes wert ist - oder eben auch nicht. Diese Zahl stand in einer ersten Fassung des Koalitionsvertrages. Das Geld sollte als jährlicher Zuschuss des Staates helfen, auch das platte Land ans schnelle Internet anzubinden. In der endgültigen Fassung des Koalitionsvertrags aber steht sie nicht mehr.



Der Ausbau des Glasfasernetzes dauert lange und ist so teuer wie in kaum einem anderen europäischen Land.

Es ist nicht so, dass man mit einer Milliarde Euro wirklich viel erreichen könnte. Denn das schnelle Internet gelangt am besten durch haarfeine Fasern aus Quarzglas zu den Leuten ins Haus. Und dieses Netz zu bauen, das dauert - und es ist teuer: Schätzungen zufolge würde es 20 Jahre dauern, alle Haushalte ans Glasfasernetz anzuschließen. Und es würde insgesamt etwa 80 Milliarden Euro kosten. Dennoch, so heißt es in der Technologiebranche, wäre der jährliche Zuschuss von einer Milliarde Euro ein Zeichen gewesen, dass der Staat dort mit anpackt, wo es der Markt allein eben nicht regelt.

Doch warum schafft es die Telekommunikationsbranche nicht, diese für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes so wichtige Voraussetzung zu schaffen? "Infrastruktur ist ein natürliches Monopol", sagt Herrmann Rodler, Vizepräsident der Initiative D21 und Deutschland-Chef der Nokia-Netzwerksparte. Nach der Liberalisierung des Marktes in den Achtzigerjahren seien in Deutschland und in Europa viele kleine Telekommunikationsanbieter entstanden, aber Hunderte kleine Anbieter könnten die nötigen Investitionen nicht stemmen. Deutschlands Dilemma: In kaum einem anderen europäischen Land ist der Ausbau so teuer - vor allem wegen der großen Flächen, aber auch wegen der hohen Arbeitskosten im Tiefbau. Aber in kaum einem anderen Land ist ein Internetanschluss so günstig zu haben - und das ist für die vielen kleinen Anbieter, die den Netzausbau stemmen sollen, ein echtes Problem. Am besten, sagt Rodler, wäre es, wenn es in ganz Europa nur noch drei Anbieter gäbe, die dann groß genug wären, um Multi-Milliarden-Investitionen tätigen zu können. Und in ländlichen Regionen müsse der Staat helfen.

Die Anbieter nämlich strengen sich vor allem dort an, wo das in den Ausbau investierte Geld auch wieder hereinkommt. Je dünner besiedelt eine Region, desto weiter werden die Strecken, über die Kabel verlegt werden müssen - und desto geringer ist die Aussicht, dort Kunden zu gewinnen. Das erklärt, warum noch nicht einmal vier Prozent aller deutscher Haushalte an das superschnelle Glasfasernetz mit Übertragungsgeschwindigkeiten von bis zu 120 Megabit pro Sekunde angeschlossen sind. Bislang werden hierzulande längst nicht alle dieser Anschlüsse genutzt.

Beim Glasfaser-Ausbau liegen vor allem Länder des ehemaligen Ostblocks vorn (Grafik). Dort waren die Netze schlecht und der Druck, etwas zu tun, entsprechend hoch. In Litauen und Lettland etwa wurden deshalb in den Neunzigerjahren bereits Glasfasernetze ausgebaut, die auch heute noch gute Dienste leisten - anders als im Osten Deutschlands, wo inzwischen veraltete Technik verbuddelt wurde. Im Westen war das alte Kupfernetz ohnehin gut genug. Die Frage ist nur: Ist es auch gut genug für die Zukunft? Für vernetzte Fabriken und kluge Internetgründer?

Anders als in Frankreich und Großbritannien leben hierzulande viele Menschen weit verstreut. Und anders als in Skandinavien, sagt Wolfgang Heer vom Bundesverband Glasfaseranschluss, ist hier unter Hauseigentümern die Ansicht, dass ein Glasfaseranschluss doch eine gute Sache wäre, nicht sehr verbreitet. Deshalb bedauert er, dass es der Vorschlag, Eigentümern mit steuerlichen Anreizen solche Anschaffungen schmackhaft zu machen, nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat.

Glasfaser muss aber auch nicht die einzige Lösung sein. Nokia-Mann Rodler etwa plädiert dafür, die Funkfrequenzen, die für digitales Fernsehen über Antenne blockiert werden, für schnelles Internet über Mobilfunk zu nutzen: "Wir reservieren eine Riesen-Ressource für die zwei Prozent, die Fernsehen über Antenne gucken." Aber auch er weiß, dass seine Forderung in der Gemengelage zwischen Bund und Ländern schwer durchzusetzen sein wird.

Stattdessen hat die Regierung in ihren Koalitionsvertrag nun für den Netzausbau ein neues Sonderfinanzierungsprogramm bei der KfW-Bankengruppe festgeschrieben sowie einen Bürgerfonds. Mit einem Aufschlag über den derzeit üblichen Zinsen will die Politik Sparer anlocken - und das angelegte Geld nutzen, um den Breitbandausbau zu bezuschussen. Ob das hilft? "Das muss sich im Praxistest erweisen", sagt Heer. In der Branche ist man nicht gerade glücklich über die windelweichen Formulierungen.

An ihrem Ziel, bis zum nächsten Jahr 75 Prozent und bis 2018 alle deutschen Haushalte an ein Netz mit Übertragungsgeschwindigkeiten von mindestens 50 Megabit/Sekunde zu bringen, hält die Regierung fest. "Wer eine so teure Musik bestellt, sollte auch bereit sein, den einen und anderen Euro selbst in die Jukebox zu stecken", sagt Heer. Derzeit sind nämlich erst etwas mehr als 50Prozent angeschlossen.
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