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Wir haben verstanden: KW 36

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  • Es gibt beim Rauchen ein Pendant zum Norgerl im Bierglas: die bröseligen Reste im Drehtabakbeutel.

  • Und die richtig Süchtigen erkennt man daran, dass sie auch aus diesen Bröseln noch eine Kippe drehen.

  • Man kann seine Grundrechte am besten mit einem Faxgerät verteidigen.

  • Wenn Himbeeren im Angebot so unglaublich günstig sind, gibt es Himbeermarmelade. In der Einkaufstüte.

  • Es fühlt sich gerade so was von gar nicht so an, als würde die EU funktionieren.





  • Zu viele Menschen können Bier nicht mit einem Feuerzeug aufmachen.

  • Wichtig auch in langen Beziehungen: Mal stehenbleiben um zu knutschen.

  • "Free Hugs" zieht immer noch.

  • Helles ist nicht gleich Helles.

  • Im Zeitalter der Maschinen greift man sich auch mal gegenseitig unter die Schaufel.

  • Die Zeit ist reif für ein Kinderbuch mit dem Titel: »„Ich halte dich, kleiner Bagger“ – sagte der große Kran«!





  • Der letzte Satz in diesem Buch wird lauten: „So lange du mich hältst, kann ich alles schaffen“, sagte der kleine Bagger.

  • Vor 70 Jahren waren die Flüchtlinge: unsere Omas.

  • Sojamilch kann sauer werden.

  • In der U-Bahn lesen, ohne die Haltestelle zu verpassen, ist eine Kunst.

  • Im echten Leben ist das weiße T-Shirt nach einer Portion Spaghetti befleckt, aber Hauptfiguren in Filmen tragen auch nach Schusswechseln noch blütenreinen Kaschmir (siehe "Viktoria"). 


Wochenvorschau: So wird die KW 37

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Wichtigster Tag der Woche:
Freitag. Überhaupt jeder Freitag der kommenden zwei Monate. Denn Freitag heißt: Nach Hause fahren. Oder besucht werden. Ich weiß, ganz schön cheesy und irgendwie nicht das, was man sich unter selbstständig und unabhängig vorstellt. Aber: Eigentlich ist es doch das Schönste der Welt, genau das tun zu können – die Menschen zu sehen, die einem am wichtigsten sind. Gerade wenn man darüber nachdenkt, wie vielen das gerade verwehrt bleibt...  

Politisch interessiert mich:
Die Flüchtlingsdebatte (obwohl mich auch irgendwie das Gefühl beschleicht, dass ich gar keine andere Wahl habe. Gibt es eigentlich noch andere Politik?). Konkret: Wie geht Großbritannien jetzt mit der Krise um? Die grausame Aufnahme des toten Flüchtlingsjungen am Strand von Bodrum fand sich quasi auf den Titelseiten aller großen britischen Tageszeitungen. Das und eine Online-Petition haben Cameron ganz schön in die Enge gedrängt. In einem ersten Statement hat er nun verkündet, doch noch einige tausend Flüchtlinge aufzunehmen. Da muss aber noch mehr gehen. I stay tuned.  

Wochenlektüre:
Schwierig. Für mich gilt ja seit Jahren: Wenn sich Frau Rowling nicht doch umentscheidet und einen neuen Potter serviert, bin ich eher schwer in Jubelstürme zu versetzen. Dass ich diese Kategorie deshalb nicht unter den Tisch fallen lassen muss, habe ich zwei glücklichen Fügungen zu verdanken: Erstens besitze ich sämtliche Potter-Hörbücher; „Lektüre“ ist dann zwar irgendwie ziemlich passiv zu verstehen, bleibt aber streng genommen immer noch eine Lektüre. Zweitens habe ich eine außerordentlich lesefreudige beste Freundin, die „Der Schatten des Windes“ empfiehlt. Soll von allem etwas haben: Kriminalistik,  Romanze, Familienbande, Epik.Vielleicht schau ich da auch mal rein.  

Kinogang?
Fack ju Göhte 2“. Ich hoffe, der kommt an den ersten ran. Da habe ich ja herzlich gelacht. Ins Kino gehe ich diesmal aber vielleicht ohne Mama. Die fand Teil eins zwar megalustig, aber bei so vielen Schimpfwörtern und Perversitäten ist die Anwesenheit der eigenen Mutter manchmal doch etwas unangenehm.  

http://www.youtube.com/watch?v=G5tL4XMlwXk

Soundtrack der Woche:
Zur großen Freude meiner Mitbewohner bin ich ja so ein elendiger Repeat-Hörer. Diese Woche gibt es aber unerwartet viel Abwechslung: Ganze zwei „Must-hears“. Zum einen habe ich letzte Woche „Drachenzähmen leicht gemacht 2“ gesehen (so süß!) und „Where No One Goes“ von Jónsi entdeckt. Wurde zu einem Hochgeschwindigkeits-Drachenkunstflug unterlegt. Rasant. Und geil. 

http://www.youtube.com/watch?v=8YRFLrlNtiY

Außerdem haben die Fratellis ein neues Album, bei dem ich (elendiger Repeat-Hörer) nie über Lied drei hinausgekommen bin: „Baby Don’t You Lie To Me!“ - hier mit Video:Das. Geht. Vorwärts. Ausrufezeichen!

Geht gut diese Woche:
Man kann das aktuelle Wetter gerne verfluchen. Tu ich ja auch. Aber einen Vorteil hat es: Endlich wieder schwarze Strumpfhosen zum Kleid. Die verdecken meine blassbeigen Schienbeine, die auch der Monster-Sommer keine einzige Nuance hat brauner werden lassen.  

Geht gar nicht diese Woche:
Langschläferdasein. Befinde mich nämlich gerade in der zweiten Arbeitswoche nach einer laaangen, langen Pause. Aber glücklicherweise gibt es ja die Fratellis. Und die hauen mich schon aus dem Bett.

Die Stimme aus Homs

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Es gibt Momente, da ist Abu Emad wieder zurück in der Hölle. Zurück in dieser vier Quadratmeter großen Zelle, dort in Syrien, in Homs. In einem Keller, ohne Tageslicht, mit Dutzenden anderen elenden Häftlingen. Dort, wo Assads Geheimdienst Menschen die Hände hinter dem Rücken zusammenbindet und sie an Haken an der Decke aufhängt, so dass ihre Füße nicht mehr den Boden berühren. Manchmal tagelang. Bis sie irgendetwas erzählen. Ober bis sie sterben. Ein Ort, vielleicht noch schlimmer als der Krieg.


Abu Emad ist ein Pseudonym. Teile seiner Familie leben immer noch in Syrien - und sind dort in Gefahr.

Gerade ist so ein Moment. Abu Emad, ein hagerer, 23-jähriger Syrer mit dünnem Schnauzbart, sitzt in einer Erdgeschosswohnung in Berlin-Kreuzberg. Sie gehört einer Bekannten. Es ist Samstagvormittag, draußen scheint die Sonne. Auf der Straße vor dem Haus hat grade eine Frau gekreischt. Abu Emad schreckt zusammen, reißt die Augen weit auf und geht zum Fenster. Die schreiende Passantin lacht jetzt, sie geht vorbei. Es war nur ein harmloser Scherz mit einer Freundin.

Abu Emad macht das Fenster zu und zündet sich eine Zigarette an. So wie gerade eben geht es ihm immer wieder. Ein Schrei, etwas fällt runter, das Quietschen von Autoreifen: Manchmal reicht schon eine Kleinigkeit, und der Horror ist wieder da. Seit einem knappen Jahr ist er jetzt in Deutschland, Tausende Kilometer entfernt vom Krieg in Syrien. Weit weg von der Zelle, in der er so lange saß. Aber die Bilder von dort wird er nicht mehr los. Abu Emad ist ein Pseudonym, um ihn und seine Familie zu schützen, die immer noch in Syrien ist. Denn er hat in Homs viel riskiert.

Abu Emad hat das Grauen gesehen und darüber berichtet. Seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 arbeitete er als Informant und Berichterstatter für internationale Medien. Für die Fernsehsender CNN, BBC, für die Washington Post, um nur die größten zu nennen. Homs war komplett von Assads Armee belagert, die Internetleitungen hatte er kappen lassen. Denn Assad hatte aus seinen Fehlern gelernt. „Für die Revolution“, sagt Abu Emad, „waren Youtube und Facebook sehr wichtig.“ Man habe plötzlich gesehen, wie die Aufstände in anderen arabischen Ländern liefen. „Das inspirierte uns.“

In Homs gibt es zu diesem Zeitpunkt keine westlichen Korrespondenten mehr. Zu gefährlich. Freunde von Abu Emad unterstützen die syrischen Rebellen, suchen jemanden, der gut Englisch spricht und die internationalen Medien mit Informationen versorgen könnte. Der damals 19-jährige Maschinenbaustudent rutscht in die Sache so hinein. Er wird die Stimme aus Homs.

Um mit dem Westen kommunizieren zu können, benutzte er ein deutsches Satellitentelefon. Die Rebellen schmuggelten viele dieser Geräte in die Stadt. Abu Emad sagt, sie hätten die Telefone an TV-Schüsseln angeschlossen, so seien sie nicht aufgefallen. Handys zu benutzen wäre zu gefährlich gewesen, Assads Geheimdienst hätte diese Signale leicht orten können. Während draußen die Fassbomben aus Assads Hubschraubern vom Himmel regneten, saß Abu Emad im Keller eines grauen Beton-Hochhauses. Und skypte seine Informationen in die Welt hinaus. Stundenlang. Bis er oft nicht mehr wusste, mit wem er da eigentlich gerade spricht.

Es ist schwer zu überprüfen, wie viele seiner Informationen wirklich objektiv waren und was vielleicht eher der Freien Syrischen Armee nutzen sollte. Offiziell gehörte Abu Emad der zwar nicht an, aber in diesem Krieg verschwimmt vieles. Was man überprüfen kann, ist, wie sehr Abu Emads Arbeit die westliche Wahrnehmung des Syrienkrieges geprägt hat. Schlägt man „Massaker von Hula“ bei Wikipedia nach, taucht als eine Quelle Abu Emad auf. Millionen Amerikaner hörten seine Stimme bei CNN, während der Live-Schalten nach Homs. Auch viele große deutsche Medien zitierten ihn immer wieder. Aber das ist lange her.

Abu Emad geht in die Küche und brüht arabischen Kaffee auf. „Das ist ein echt wichtiges Ritual für mich“, sagt er. Ein Stück Heimat, hier im deutschen Exil. Vergangenen Winter kam er mit einem Journalistenstipendium in die Bundesrepublik, arbeitete drei Monate bei einem großen Medienunternehmen, schrieb Artikel auf Englisch, aß in guten Restaurants, traf Politiker, lernte Deutschland kennen. Auf Augenhöhe.

>> In Syrien verbrachte Abu Emad viel Zeit in einem Foltergefängnis. Ein Professor von der Uni hatte ihn beim Geheimdienst denunziert.>>
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Aber auch das fühlt sich für ihn schon lange her an. Seit das Stipendium ausgelaufen ist, ist Abu Emad ein ganz normaler Asylbewerber. Bis über seinen Antrag entschieden wird, darf er nicht arbeiten. Er muss herumsitzen und abwarten. Obwohl er mit seiner Berichterstattung aus Homs längst bewiesen hat, dass er motiviert und talentiert ist. Obwohl er so viel erzählen könnte über seine Heimat, über deren desolate Situation es so viel zu erklären gäbe.

Ein paar Wochen lebte er in einer Turnhalle, wechselte von einem Asylbewerberheim ins nächste. Offiziell wohnt er jetzt in einem Heim im Osten Deutschlands. Aber Abu Emad wollte nicht mehr warten. „Ich war dort mit drei anderen Syrern auf einem Zimmer. Wenn ich das so sagen darf: Das waren ziemliche Arschlöcher.“ Sie hätten viel getrunken, Drogen genommen. Vor ein paar Wochen brach Abu Emad sich zwei Rippen, weil er bei einer Schlägerei im Zimmer schlichten wollte.

Einmal fuhren er und ein anderer Heimbewohner mit dem Bus in die Disko im nächsten Ort. Sie hatten dafür ihre besten Klamotten angezogen, sich gestylt und einparfümiert. Sie wollten tanzen, trinken, feiern. „Eine richtige Party wurde aber leider nicht draus“, sagt Abu Emad. Die Dorfjugend in der Disko hat den beiden klar gemacht, dass man sie nicht da haben will. „Niemand wollte mit uns reden. Entweder sie ignorierten uns, oder sahen uns an, als hätten wir eine Krankheit.“

Er sagt, im Heim könnten die Menschen eigentlich nichts anderes tun, als kochen. Und darüber nachdenken, wovor sie geflohen sind. Was sie zurückgelassen haben. Das ist das Letzte, was er will.

In Syrien verbrachte Abu Emad viel Zeit in einem Foltergefängnis. Ein Professor von der Uni hatte ihn beim Geheimdienst denunziert. Als er das erste Mal festgenommen wurde, war er gerade 20 geworden. „Im Gefängnis habe ich schnell das Zeitgefühl verloren, aber ich kann mich trotzdem an jeden einzelnen Moment erinnern“, sagt er. Seine Mutter hat seine Tage im Gefängnis gezählt. Es waren 81.

Abu Emads Stimme klingt dünn, wenn er von dieser Zeit erzählt. Von den Leichen in den Straßen, von den Verhören, zu denen er mit verbundenen Augen geführt wurde. Davon, dass er sich bis auf die Unterhose ausziehen musste, mit einer Stange geschlagen wurde. Von den Schreien der anderen Häftlinge, die ihn nachts wach hielten. Seine Familie lieh sich von Freunden insgesamt 15 000 Dollar, um Abu Emad zwei Mal freizukaufen. Viele seiner Mithäftlinge hatten weniger Glück. „Du bist verloren, wenn du nicht bezahlen kannst“, sagt Abu Emad.

Nachdem er das erste Mal aus der Haft kam, verließ er seine Wohnung tagelang nicht mehr. Er sprach nur noch selten mit Journalisten. Als er das zweite Mal rauskam, war ihm und seiner Familie klar, dass er nicht länger in Syrien bleiben konnte. Das libanesische Büro der Washington Post, mit dem er immer wieder zusammengearbeitet hatte, half ihm bei der Bewerbung für das Stipendium.

Abu Emad stürzt den Kaffee runter. Er muss raus aus der Wohnung, sagt er. Draußen, in Kreuzberg, sitzen die Menschen auf der Admiralsbrücke. Sie trinken Bier und Mate, unterhalten sich auf Deutsch, Englisch, Spanisch. In Berlin fühlt Abu Emad sich wohl. Dort fällt er, anders als in der Provinz, nicht auf, wenn er in einen Club geht. Eine Bekannte, die er während seines Stipendiums kennenlernte, hat ihn an einen Workshop für Filmemacher vermittelt. Er will jetzt einen kleinen Film über die Zeit im Asylbewerberheim drehen, will in der Hauptstadt bleiben. Wenn nötig, ohne Genehmigung.

Abu Emad schlendert durch die Straßen. Vorbei an Falafel-Buden, Currywurst-Ständen, an einem heruntergekommenen Porno-Kino. Abu Emad grinst und sagt: „Facebook ließ Assad damals schnell wieder sperren. Pornoseiten aber nicht. Das soll die Menschen wohl zerstreuen.“

Dann bleibt er plötzlich stehen. Er sieht eine junge Frau, die mit einem Trolley an einer Hauswand steht. „Leyla, was machst du denn hier?“ Die junge Frau sieht Abu Emad völlig entgeistert an. Dann beginnt sie zu lachen. Leyla kommt auch aus Homs. Ihr Bruder hat mit Abu Emad zusammen studiert. Leyla ist vor wenigen Stunden mit dem Flugzeug in Berlin gelandet, nach dem sie über den Libanon in die Türkei geflohen war. „Ich hab mir dort einen türkischen Pass besorgt“, erzählt sie. Wie viel der Pass gekostet hat, sagt sie nicht. Aber Leyla kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus, erzählt Abu Emad später. Und das hat ihr wohl den Weg über das Mittelmeer erspart. Der Krieg macht zwar alle zu Flüchtlingen, aber reich wird weniger reich, und arm bleibt arm. Es ist nicht das erste Mal, dass er hier Menschen trifft, die er aus Syrien kennt. An seinem ersten Tag in Berlin betete er in einer Moschee – neben einem alten Kommilitonen.

Abu Emad weiß, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die mit Flüchtlingen überfordert sind. Dass hier Asylbewerberheime angezündet werden, sich Rassisten zusammenrotten. Trotzdem ist Deutschland für Syrer das genaue Gegenteil ihres Landes. „Vor dem Krieg“, sagt er, „konntest du in Syrien wegen jeder Kleinigkeit eingesperrt werden. Ohne Verfahren. Jeder kannte Menschen, die einfach verschwunden sind und nie wieder auftauchten.“ Deswegen haben sich die Menschen aufgelehnt. Und dann kam die Hölle des Krieges. Die Fassbomben, die Scharfschützen, die Folter. Abu Emad sagt: „Wenn du das alles erlebt hast, dann hast du keine Angst mehr vor Nazis.“

Wie Namen zu Schimpfwörtern werden

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Es muss eigentlich nur ein kleines Missgeschick passieren. Helen lässt eine Gabel fallen, Rieke versteht einen Wortwitz nicht sofort – schon schallt es aus dem Mund der jeweils anderen: „Oaaah, du Otto!“. Wieso eigentlich? Ist Otto der neue Horst? Und wie wurden aus diesen Namen eigentlich Schimpwörter?
Wir haben bei Gabriele Rodriguez, Namensforscherin an der Namensberatungsstelle der Uni Leipzig, nach Antworten gesucht.

jetzt.de: Frau Rodriguez, meine Freundinnen beleidigen sich gegenseitig als „Ottos“. Ihnen als Vornamensforscherin sind sicher noch weitere Namen bekannt, die es zu Schimpfwörtern gebracht haben.
Gabriele Rodriguez: Das ist regional abhängig.Ottoist nur im Rheinland als Schimpfname bekannt. Horst, Hans und Heini, die Kurzform von Heinrich, gibt es überall in Deutschland. In Mitteldeutschland sagt man auch „sich zum Willi machen“ und hier in Leipzig habe ich sogar schon einmal jemanden „Du Kurt“ sagen hören. In Norddeutschland gibt es den Detlef. Mir fallen auch noch „Käthe“ und „Uschi“ ein.

Eigentlich hauptsächlich altmodische Namen.
Ja, das sind alles Namen aus unserer Großväter- und Großmütter-Generation. Die werden heute unterbewusst mit geringerer Intelligenz oder Bildung verknüpft.

Woher kommt das?

Von damals. Entweder waren das ländliche oder bildungsferne Namen. Das Bildungsbürgertum hat grundsätzlich die lange Form der Namen benutzt, zum Beispiel „Katharina“ oder „Ursula“. Bedienstete und Menschen vom Land, also weniger Gebildete, sagten aber „Käthe“ oder „Uschi“. Und diese Wahrnehmung hat sich bis in unsere Zeit getragen. Horst, Hans und Otto waren ja zudem sehr weit verbreitete Namen. Bei einer großen Anzahl Ottos ist die Wahrscheinlichkeit natürlich höher, dass einer negativ auffällt und der Name dadurch zum Schimpfwort wird.

"Viele Kevins bekommen es gar nicht mit, dass ihr Name als bildungsfern wahrgenommen wird."


Wie sah das in vergangenen Zeiten aus? Hat man früher auch schon Vornamen zu Schimpfwörtern umfunktioniert?
Ja, aber eher in Redewendungen. Wenn man „Hinz und Kunz“ sagte, meinte man „Heinrich und Konrad“ – Namen, die so häufig vergeben waren, dass fast jeder so hieß. Wenn man diese Redewendung benutzte, war das schon abwertend gemeint.  

Was bedeutet das eigentlich für die Namensträger? Fühlen die sich dadurch nicht diskriminiert?

Wir haben vor noch gar nicht allzu langer Zeit Menschen nach ihrer Zufriedenheit mit ihrem Vornamen befragt. Da waren auch sehr zufriedene Kevins dabei.

Das ist aber erstaunlich. Das Schimpfwort „Alpha-Kevin“ ist ja gerade im Internet sehr präsent.

Trotzdem wird der Name an sich von ihnen ganz normal wahrgenommen. Es kommt eben stark darauf an, wo sich ein Mensch aufhält. Viele Kevins bewegen sich in Kreisen, in denen sehr viele englischsprachige Namen vorkommen und völlig normal sind. Da bekommen sie es gar nicht so mit, dass ihr Name von Außenstehenden als bildungsfern wahrgenommen wird.

Wo wir schon bei anderen Sprachen sind: Wie sieht es denn im Ausland aus? Hat man in Italien vielleicht ein Problem, wenn man Giovanni heißt? Oder in Frankreich als Jaques?

Zumindest „Kevin“ ist im englischsprachigen Raum, aus dem der Name stammt, unbelastet. Dort gibt es dafür „Jack“ oder „Jackass“ sowie „Mick“ und „Dick“. Im spanischen Raum und Lateinamerika findet man unter anderem „Juan“, „Pepe“, „Tito“ und „Cholo“. 

Zurück zur deutschen Sprache: Gibt es Zukunftsprognosen? Welche Namen müssen als nächstes dran glauben?

Wir wissen nicht, was kommt. Vielleicht gibt es ja in der Zukunft irgendeinen Leon, der negativ auffällt und der den Namen so zum Schimpfwort macht. Es könnte aber auf jeden Fall passieren, dass diese ganzen alten Namen wie Otto und Hans als Schimpfwörter verschwinden, da sie gerade immer beliebter werden. „Otto“ war im letzten Jahr auf Platz 152 der beliebtesten Vornamen für Neugeborene. Unter den Top 100 sind schon Paul, Anton und Emil. Dadurch ändert sich womöglich die Wahrnehmung der alten Namen und dann verknüpft man sie auch nicht mehr unterbewusst mit geringerer Bildung. Fest ist jedenfalls nichts, was Namen angeht. Wir können gespannt sein.

Nicht nur Armut, Krieg und Ebola

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Armut, Hunger, Krankheit – das Wort "Afrika" löst bei den meisten von uns bestimmte Assoziationen aus, und meistens keine guten. Mit Ausnahme von Safari-Bildern und exotischen Wildtieren vielleicht. Ansonsten tauchen bei dem Stichwort Bilder von Krieg und hungernden Kindern oder Meldungen über Aids und Ebola auf.

Junge Afrikaner sind das leid. Unter dem Hashtag #TheAfricaTheMediaNeverShowsYou posten sie Fotos und Gedanken über ihre Heimat jenseits der Klischees. In den vergangenen Wochen wurde der Hashtag zehntausendfach benutzt. Mit den Bildern und Tweets wollen junge Afrikaner zeigen, wie vielfältig ihr Kontinent ist. 

Das gelingt manchmal besser, wie mit den Fotos der drei Staatschefinnen des Kontinents ...





... oder mit Streetstyle-Fotos und Bildern von der Mode- und Designwoche in Lagos, der größten Stadt in Nigeria.



 



Manchmal werden aber auch einfach positive statt negativer Klischees bedient, mit Urlaubsfotos aus Malawi oder vom Strand in Somalia:







"Als ich aufgewachsen bin, hatte ich immer das Gefühl hatte, mich für meine Heimat schämen zu müssen, durch die negativen Bilder, die Afrika als trostlosen Kontinent gezeichnet haben", sagte die somalisch-amerikanische Studentin Diana Salah, 22, die in Seattle lebt, dem Magazin Fusion. Mit anderen hat sie die Social-Media-Kampagne "The Africa The Media Never Shows You" gestartet. Auch wenn man über Missstände in Afrika berichten muss, darf man nicht vergessen, dass der Kontinent viel mehr ist. Afrika ist auch Architektur und High Fashion, Afrika hat hervorragende Universitäten und starke Frauen in Führungspositionen. Nur hat das alles in unseren Köpfen vor lauter Stereotypen keinen Platz.

kathrin-hollmer 

„Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?“

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. . . um gesiezt zu werden. Wenn Kinder mich siezen, komme ich mir uralt und irgendwie fast missverstanden vor, denn ich selbst zähle mich – wenn ich mich entscheiden müsste – eher noch zur Kinder- als zur Elternfraktion. Siezen mich hingehen ältere Menschen, kommt es mir vor, als würden sie mir den Kopf tätscheln , anstatt mit mir auf Augenhöhe zu reden. Oder als würde bei jedem „Sie“ ein „Fräulein“ mitschwingen.

Am verwirrendsten aber wird es für mich, wenn ich von Gleichaltrigen gesiezt werde. Wenn man zum Beispiel zum Friseur kommt, der auch Mitte 20 ist, ihn ganz locker begrüßt und er dann fragt: „Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?“ Oder wenn man in einem coolen Laden einkauft und die Verkäuferin an der Kasse fragt: „Brauchen Sie den Zettel?“. In mir löst das direkt den Drang aus, mir die Haare lila Färben zu lassen oder beim Rausgehen allen Leuten ein High-Five zu geben – auch, wenn das bestimmt alles noch schlimmer machen würde. Die Kinder würden sagen: „Sie sind aber lustig“ und die Älteren würden sich über das Fräulein doch sehr wundern.

>> Zu alt fühlt sich Ina für... >>

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. . . eigentlich für nichts, dachte ich bis vor Kurzem. Aber als ich vor ein paar Wochen zusammen mit meiner 17-Jährigen Schwester im Parisurlaub an der Kasse eines Museums stand, ist es mir schmerzlich bewusst geworden: Ich bin zu alt für altersbedingte Ermäßigungen. Und wo es die überall gibt, merkt man erst, wenn man zu alt ist. Hinzukommt, dass ich gerade meinen Master gemacht habe und anfange zu arbeiten. Keine Immatrikulationsbescheinigung, kein Studentenrabatt mehr.

Ja klar, im besten Fall verdiene ich bald Geld, aber bei diesen Ermäßigungen ging es gar nicht in erster Linie darum, sich etwas leisten zu können - oft war es ja nur ein Euro Nachlass bei der Kinokarte oder dem Stadtrundgang - sondern es ging ums Prinzip. Um dieses Gefühl von Welpenschutz. Um die Freude darüber, etwas geschenkt zu bekommen, weil man es irgendwie verdient und jemand einen versteht. Ja, vielleicht scheint das etwas übertrieben, aber man weiß etwas eben immer erst zu schätzen, wenn man es nicht mehr hat. Mein Trost ist, dass ich irgendwann gerne noch ein Studium draufsetzen würde. Der Ausweis ist also noch nicht für immer verloren.

Wörterbuch aus der Crowd

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Asylrecht. Grundsätzlich schon mal sehr verwirrend. Vor allem für jemanden, der gerade neu in einem Land angekommen ist, dessen Sprache er nicht spricht. Für die Flüchtlinge, die jeden Tag in Deutschland ankommen, ist die Kommunikation eines von vielen Problemen – in Berlin arbeitet eine Initiative gerade daran, diese Barriere etwas weniger unüberwindbar zu machen. In Deutschland, in Europa, vielleicht verstreut auf der ganzen Welt sitzen gerade Menschen vor ihren Computern und arbeiten zusammen an einem Projekt, das einen Verlag vermutlich erst einmal völlig überfordern würde, das über das Internet aber plötzlich zu einer lösbaren Aufgabe wird: einem Refugee Phrasebook, einem kostenlosen Wörterbuch für Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer, in knapp 30 Sprachen.

Hinter dem Projekt steckt der gemeinnützige Verein Open Knowledge Foundation Deutschland e.V aus Berlin. In offenen Tabellen in Google Docs arbeiten Freiwillige, die Fremdsprachen beherrschen und übersetzen wollen, Vokabeln und Beispielsätze aus den Bereichen Alltag, Medizin und Recht für Flüchtlinge und freiwillige Helfer in Sprachen von Arabisch bis Vietnamesisch, ebenso in Sprachen der EU-Staaten, in die Flüchtlinge vielleicht abgeschoben werden, auch phonetische Übersetzungen und Icons werden gesammelt. 28 Sprachen sind aktuell in Bearbeitung.

Darunter sind Standardsätze, wie man sie zu Beginn in jedem Sprachkurs lernt, wie „Guten Tag“, „Auf Wiedersehen“, „bitte“ und „danke“, aber auch Sätze, die besonders für Flüchtlinge, die gerade in einem neuen Land, dessen Sprache sie nicht beherrschen, angekommen sind: Hinweise darauf, dass man Hunger hat, allergisch auf bestimmte Lebensmittel reagiert oder die Frage, wo man telefonieren oder beten kann. Zwei spezielle Kapitel widmen sich Sätzen für einen Arztbesuch oder Behördengang.



 

Sobald die Tabellen ausgefüllt sind, geht das Wörterbuch ins Layout, wird gedruckt und kostenlos verteilt, finanziert wird das Ganze über Spenden. Schon jetzt kann man das Wörterbuch online benutzen oder sich einen Zwischenstand als PDF herunterladen und ausdrucken.

Im August kündigte der Langenscheidt-Verlag an, dass er bis zum Februar 2016 sein Online-Wörterbuch Deutsch-Arabisch kostenlos zur Verfügung stellt. (jetzt.de berichtete)

kathrin-hollmer 

Fern-Freunde

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Ich habe Farima auf einer einer Reise durch den Iran kennen gelernt. Seitdem schreiben wir uns Nachrichten, mal längere, mal schnelle zwischendurch. Wir sind Freunde. Farima war noch nie bei mir in Berlin und eigentlich wissen wir beide, dass sie auch nicht so bald kommen wird. Farima kennt weder die meisten meiner Freunde noch meine Familie, nicht meine Lieblingskneipe und auch nicht den Platz am Fenster in meinem Zimmer. Obwohl sie noch nie hier war, weiß sie inzwischen mehr über mein Leben, als andere Leute, mit denen ich meinen Alltag teile. "Fari, es geht bergab hier“, schreibe ich. Sie antwortet: "Hier auch, sind Männer überall so?" Wir verstehen uns. Und zwar ziemlich gut.  

Fernfreundschaften haben eine Art Sonderstatus, wie Diplomaten. Sie sind unantastbar, so etwas wie Fluchtpunkte, wenn die deutsche Realität zwickt und zwackt und das Leben elanlos vor sich hinstottert. Denn Fernfreunde trifft man nie an langweiligen Mittwochen, wo es eigentlich nichts Neues zu erzählen gibt. Und ja, ein bisschen verraten wir damit unsere deutschen Alltagsfreundinnen. Schließlich sind die es ja, die dann vor der Tür stehen, wenn wir seit Tagen vor Kummer nicht aufstehen können. Außer einem verrotzten Zwinkern bekommen die Alltagsfreunde dafür allerdings gar nicht so viel.

Wenn die Fernfreundschaften zu Besuch sind, werden hingegen von morgens bis abends Fotos geknipst. Die kann man sich dann anschauen, wenn sich wieder ein langweiliger Mittwoch an den nächsten reiht. Die Fernfreundin wird hochgehalten für alles, was sie tut. Je aufwendiger die Kommunikation ist, desto stolzer sind wir insgeheim auf unseren Einsatz für die Freundschaft. Alles, was man bespricht, wirkt durch die vielen Kilometer Distanz plötzlich wie eine riesige Brücke aus bedeutungsvollen Sätzen, mindestens so tiefgründig wie der Atlantik, mindestens so gewaltig wie die Alpen. Denn schließlich überwindet man ja immer wieder die Entfernung, nur um sich etwas mitzuteilen. Wenn Farima von ihrer Oma erzählt, wird das in meinen Ohren sofort zu einer Erzählung über transgenerationelle Weitergabe von Erinnerungen. Alles ist erleuchtet, was in anderen Freundschaften selbstverständlich ist.

Der größte Vorteil von Fernfreundschaften: man kann nichts falsch machen. Keiner anderen guten Freundin würde ich nur eine SMS zum Geburtstag schreiben. Bei meinen Fernfreundinnen ist das anders. Jedes Zeichen ist ein gutes Zeichen. Es gibt keine Enttäuschungen, wo es keine Erwartungen gibt.  Fernfreunde verpassen keine Verabredungen, lassen einen nicht im Club stehen und nerven nicht immer mit denselben Klagen über spezielle Körperteile. Alles, was sie machen, ist irgendwie ein Bonus. Es gibt 1000 Gründe, warum wir es nicht schaffen, uns zu besuchen. Aber wenn der Besuch dann kommt, dann mit Freudentränen.

Bei meiner Freundin Maria aus Lissabon ist es ähnlich wie mit Farima. Eigentlich klappt nur die Hälfte, von dem, was wir uns vornehmen. Briefe zum Geburtstag, die erst ein halbes Jahr später ankommen, wir geben uns Filmtipps und schaffen es nie, einen Film zusammen zu sehen. Aber dann schickt Maria ein Bild von ihr mit Freunden am Strand - und mein Herz hüpft für einen Moment. Denn dieser Kitsch ist Kit für unsere Freundschaft. Für die lange Zeit, in der wir uns nicht sehen. Alles, was man füreinander tut, hat plötzlich eine Bedeutung. Das geht nicht nur mir so. Ich beobachte meine Mitbewohnerin: Sie brät etwas an, angeblich Tofu. Wochenlang riecht unsere Küche danach wie eine Schweinefabrik. Ein Tipp von ihrer Fernfreundin aus China.

Mit den Fernfreundschaften ist es wie mit der Diplomatie: manchmal etwas umständlich, aber ist ja für den guten Zweck. Denn durch unsere Fernfreundschaften können wir mal raus aus unserer Haut. Wir fühlen uns gut, wenn wir aufwendige Briefumschläge basteln. Und dann merken wir, wie leicht es sein kann, über unseren Schatten zu springen und uns einfach selbst zu melden, wenn wir viel zu lange auf eine Antwort warten. Das macht uns nicht automatisch zu besseren Menschen. Aber es ist eine gute Übung, damit wir in Zukunft vielleicht auch bessere Alltagsfreundinnen werden können.

Kommt ein Student betrunken heim und designt ein Flugzeug

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Meist ist es ja so: Betrunken hörte sich eine Idee total super an ("Woah, lass uns unbedingt eine Eichhörnchenzucht eröffnen, die Menschen lieeeeeeben Eichhörnchen!") und wenn man dann wieder nüchtern ist denkt man "Nee, vielleicht ist der Markt für Eichhörnchen in Deutschland doch überschaubar."

In den USA war es jetzt allerdings genau andersrum der Fall: Da kam Mark, dem Guardian zufolge ein Maschinenbaustudent aus Michigan, völlig betrunken nach Hause ins Wohnheim, verlangte nach Stift, Papier und Whiteboard und - designte ein Ekranoplan,  eine Art Flugzeug fürs Wasser.  Nach zwei Stunden war er fertig, erklärte unverständlich nuschelnd noch seinen Mitbewohnern den Entwurf und ging dann ins Bett. Am nächsten Morgen konnte er sich angeblich an nichts mehr erinnern.

Umso besser wird die Geschichte dadurch, dass sein Mitbewohner Keith das Ganze auf Twitter dokumentierte:




Das Netz reagierte sofort auf die Geschichte. Manche Nerds schrieben, Marks Pläne seien so nicht umsetzbar (da hieß es allerdings noch, die Entwürfe würden ein Flugzeug darstellen), die meisten feierten ihn aber natürlich für die Aktion. Den meisten Nutzern war offensichtlich auch egal, dass die Sowjets ein ähnliches Flugzeug bereits in den 1960ern gebaut hatten





Mark selber scheint das Ganze eher unangenehm zu sein. Im Guardian-Interview lässt er zumindest lieber Keith sprechen und will anonym bleiben. Seine Begründung: Er will vor zukünftigen Arbeitgebern nicht wie ein Trunkenbold wirken. Dass diese Sorge eher unberechtigt ist, zeigt allerdings einer der letzten Tweets von Keith:




Ergo: Vielleicht sollte man die Sache mit der Eichhörnchenfarm doch nochmal überdenken.

charlotte-haunhorst

Der Sommer der Rührung

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Als erstes ist es mir bei meinen Freunden und Kollegen aufgefallen. Neulich schickte eine Freundin den Link zu dem Handyvideo eines Syrers, der mit einem Bus im Ruhrgebiet ankam und draußen auf der Straße standen freundliche Menschen mit „Willkommen“-Plakaten. „Ich muss heulen“, schrieb die Freundin. Dann fand ein Kollege auf einmal die Umarmungs-Sequenzen im Musikvideo zu „Mit offenen Armen“ rührend. Ein Freund, der dafür bekannt ist, immer genau die Meinung zu vertreten, die gerade nicht der Mainstream ist (oder zumindest kompliziert-kritische Gedanken dazu zu formulieren), postete Bilder des Marschs der Flüchtlinge aus Ungarn und schrieb dazu, er wisse jetzt wirklich nicht mehr, was er noch sagen solle. Und alle, alle sprachen über die Ankunft der Flüchtlinge, wurden gefühlig, wenn sie die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof sahen, und ziemlich viele gingen hin, um zu helfen oder um zu applaudieren. Um sich rühren zu lassen. Meine ganze Facebook-Timeline und alle Gespräche, die ich zu dem Thema führe, sind auf einmal voller Rührung.

Meine Freunde und Kollegen (und ich auch) sind eigentlich sehr ironische und kritische Menschen. Rührselige Momente sind cheesy, euphorische Menschen sind naiv, man kann und darf über alles einen Witz machen und Gefühle wie Rührung oder Fassungslosigkeit kommen uns nicht ins Haus beziehungsweise in die Bäuche. Aber jetzt ist das auf einmal anders. Denn jetzt ist es zwar gerade wieder etwas kühler geworden in Deutschland, aber hinter uns liegt der Sommer der Rührung.



Willkommen im Sommer der Rührung

Im Sommer 2015 kam die Flüchtlingskrise und brach – viel stärker als alle Krisen, die wir bisher erlebt haben – in unseren Alltag ein. Da war auf einmal etwas, mit sehr viel Welt und sehr viel Bedeutung darin, das in unseren Städten und Straßen auftauchte und bei dem es nicht um böse Banken oder Naturkatastrophen ging. Etwas, das nicht abstrakt und weit weg war. Sondern ganz nah. Da waren auf einmal diese vielen Menschen und zwischen ihnen und uns keine Distanz mehr. Distanz ist aber die wichtigste Voraussetzung für diese Geisteshaltung, die man uns so oft nachsagt, die angeblich unsere ganze Generation prägt: die Ironie. Es könnte sein, dass das Zeitalter der Ironie nun endgültig vorbei ist, verdrängt von der Rührung. Und ich glaube: Das ist gut.

Das wird jetzt erst mal keiner glauben. Denn Rührung hat einen schlechten Ruf. Darüber hat kürzlich erst ein Kollege des SZ-Magazins geschrieben. Im Internet, schrieb er, ließen wir uns von süßen Katzenvideos rühren – aber dadurch ginge das echte Mitgefühl verloren, für Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, Erdbebenopfer in Nepal und die von Boko Haram verschleppten Mädchen. Weil Rührung nämlich ein privates Gefühl sei, das auf einen selbst zurückverweist. Die negativen Nachrichten der Welt hingegen lösten „empathischen Stress“ aus und der führte dazu, dass wir sie lieber ignorieren, den Fernseher ausschalten, wegschauen – obwohl wir eigentlich vom empathischen Stress zum Mitgefühl finden sollten.

Das Wunder dieses Sommers ist, dass sich Rührung und Mitgefühl nicht mehr im Weg stehen


Klar, Rührung ist ein einfaches, wenig komplexes Gefühl. So einfach, dass es nicht mal einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat (im Gegensatz zu zum Beispiel Angst, Trauer oder Freude – die haben alle einen). Rührung ist, wenn alle Schleusen aufgehen und der Mensch gleichzeitig lacht und weint. Rührung ist das Ende des Films „Während du schliefst“ oder wenn jemand dir sagt, dass er dich vermisst. Rührung ist also eigentlich da, wo es harmlos ist, wo der Ernst der Welt nicht hinreicht, Rührung ist Naivität. „Ein Plädoyer für den Mut, sich wieder auf die Welt einzulassen“, hieß es deswegen auch im Teaser des SZ-Magazin-Textes. Weg mit der Rührung, her mit dem Mitgefühl.

Das Wunder dieses Sommers ist aber, dass sich Rührung und Mitgefühl nicht mehr im Weg stehen: Wir haben zu einer welthaltigen Rührung gefunden. Zu einer intellektuellen Naivität, weil wir ein einfaches Gefühl fühlen, aber wissen, wie viel dahintersteckt. Wie komplex all das ist, was bis hierher, zu unserer Rührung, geführt hat. Und das ist der erste Schritt von der ironischen Distanz zurück in die Welt – und hin zum Mitgefühl. Weil wir uns nicht mehr nur von niedlichen Katzen im Internet rühren lassen. Sondern von jemandem, der uns am Münchner Hauptbahnhof gegenübersteht. Und dann auf einmal von allem, auch von kitschigen Umarmungsszenen in Musikvideos. Als hätte jemand unseren weichen Kern freigelegt.

Und weil das jetzt sicher viele, die diesen Text lesen, einwenden werden, sage ich es am besten gleich noch dazu: Nein, eigentlich bringt es dem kleinen syrischen Mädchen überhaupt nichts, wenn ihr am Bahnhof ein Stofftier in die Hand gedrückt wird und sie lächelt und sich dann alle vor lauter Rührung überschlagen. Das zu glauben wäre wirklich naiv. Das Mädchen hat dann noch nichts zu Essen, kein Zuhause, sie spricht dann noch kein Deutsch und gegen rassistische Hetze kann sie sich mit Plüsch auch nicht verteidigen. Und nein, jubelnde Münchner am Hauptbahnhof verhindern keine brennenden Flüchtlingsheime. Und ja, manches ist reine Heuchelei. Und ja, die Probleme fangen jetzt erst an: Verteilung, Versorgung, Integration und der Kampf gegen rechtes Gedankengut. Aber: Dass das kleine syrische Mädchen lächelt, wenn sie das Stofftier bekommt, ist besser, als dass sie keins bekommt und nicht lächelt. Und das kleine lächelnde Mädchen, die jubelnden Menschen, die gerührten Menschen, der friedliche Marsch über die ungarische Autobahn mit der EU-Flagge vorneweg, kitschige Wörter wie „Herz“ und „Gänsehaut“, das alles zusammen zeigt, dass eine positive Grundstimmung grade größer zu sein scheint als das, was schon mal beinahe die Ironie abgelöst hätte – das Wutbürgertum, die Empörung, die Resignation. Und dieses Positive darf man jetzt nicht kaputt reden. Genauso, wie man sich darauf nicht ausruhen darf.

Das ist jetzt kein guter Vergleich, aber über den sehr heißen Sommer der Fußballweltmeisterschaft 2006 sagen wir heute, die Welt sei zu Gast bei Freunden gewesen. Hoffentlich können wir später mal sagen, in diesem heißen Sommer der Rührung 2015 sei die Welt bei Freunden zuhause gewesen. Und vielleicht können wir noch später unseren Enkeln mal erzählen: Wir waren immer so ironisch. Und dann kam der Sommer 2015 und wir wurden gerührt. Und dann hat sich was gerührt.

Neues Leben - neue Vagina

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Darauf einen Drink aus der Menstruationstasse
Erinnert sich noch jemand an die Rapperin "Princess Superstar"? Die mit dem Song "Bad Babysitter"? Nein? Die Hersteller von Lunette Cup, einer sogenannten Menstruationstasse, anscheinend schon. Zumindest haben sie ein Rapvideo namens "Oh no, I'm getting my period" gedreht. Da gibt es dann shaking booties, tätowierte Butler und... ähm, ja... Drinks (ab Minute 1:15).
https://www.youtube.com/watch?v=X3j2KteYaKs#t=99

Roar!
Dass weibliche Verführung in Hollywoodfilmen nur bedingt mit der Realität zu tun hat, wusste man ja irgendwie unterbewusst. Dieses Video führt es einem aber in seiner ganzen Schönheit vor:
https://www.youtube.com/watch?v=Wls11na3TJk#t=131

Trend: Vaginalerneuerung
Okay, diese Sache mit der Wiederherstellung des Jungfernhäutchens kennen wir aus diversen dramatischen Reportagen. Aber dieser Trend aus den USA ist neu: Vaginal-Totalerneuerung. Ist dort populär, weil Brandi Glanville (eine Frau, die vor allem als die Ex von Coyote-Ugly-Sängerin LeAnn Rimes bekannt wurde) im Fernsehen ihre Vaginalerneuerung von ihrem Ex bezahlen ließ, nach dem Motto "Neues Leben, neue Vagina". Und jetzt schreiben sogar sonst eher feministisch angehauchte Blogs wie Jezebel darüber, als ginge man zur Maniküre ("Dauert nur eine Stunde, der Tag der OP war ganz ruhig"). Kann man dann sicher auch bald auf die Amazon-Wishlist zur Hochzeit stellen.

"Donald Duck wäre neidisch auf deine Lippen!"
Promis, die gemeine Tweets über sich vorlesen, kann man sich ja immer wieder ansehen. Dass es das seit Kurzem auch mit Pornostars gibt, ging daneben leider unter - zu Unrecht! Besonders schön wird es, wenn die Stars mit ihren Künstlernamen konfrontiert werden...
https://www.youtube.com/watch?v=WY70yYOQNmE

"Ich studiere mit Pornhub"
Klingt komisch, können aber bald Studenten in den USA sagen. Die größte Pornoseite der Welt hat jetzt nämlich mit seiner Stiftung "Pornhub cares" ein Stipendium in Höhe von 25.000 US-Dollar ausgeschrieben. Bewerbungsbedingung: Man soll in einem Video sagen, wie man andere glücklich macht - und nein, der Geschäftsführer von Pornhub sagt ausdrücklich, damit sei nicht sexuell glücklich gemeint. Wir sind gespannt auf die Bewerbungen.

365 Mal berührt...
... 365 Mal ist was passiert! Zumindest, wenn man den Aussagen des Künstlers Mischa Badasyan glauben darf. Der 27-Jährige Perfomance-Künstler hatte sich vorgenommen, ein Jahr lang jeden Tag mit einem anderen Mann zu schlafen - und es durchgezogen. Darunter waren auch Alte, HIV-Erkrankte und Hetero-Männer. Seine wunderbar lakonische Antwort auf die Frage im Spiegel-Interview, ob er die meisten Männer attraktiv fand: "Ne, 80 Prozent mochte ich gar nicht."

merle-kolber 

Der schwierigste Name der Welt

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Sekunde, muss kurz mal copy-pasten:

Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndro­bwllllantysiliogogogoch.

Das ist der Name eines Dorfs in Wales, das ziemlich bekannt ist, weil es den längsten amtlichen Ortsname Europas trägt (58 Buchstaben). Vermutlich freut sich jeder Nachrichtensprecher der Welt, wenn in diesem Dorf nichts Nennenswertes passiert. Will man ja lieber nicht aussprechen müssen, diesen Namen, denn dann kursieren nachher bloß Videos im Internet, in denen die ganze Welt sehen und hören kann, wie man sich einen zurechtgestammelt hat.

Aber es gibt eben auch furchtlose Menschen wie diesen Wetteransager des britischen Channel 4. In Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndro­bwllllantysiliogogogoch (war noch in der Zwischenablage!) lag die Temperatur bei 21 Grad, in einem anderen Teil des Landes nur bei 12 – krasse Temperaturdifferenz, ist in der Welt der Wetterinteressierten schon mal eine Nachricht wert! Und dann kommt dieser Ansager und spricht den Namen mit einer unfassbaren Gelassenheit aus – oder wie es der Irish Examiner schreibt: flawlessly.

http://www.youtube.com/watch?v=b3G6if5aylU

Und da muss man jetzt einfach mal sagen: Das ist tausendmal schöner als all die blöden Pannen-Videos, in denen Menschen mit komplizierten Namen kämpfen, so wie damals, als in Island der Eyjafjallajökull ausgebrochen ist.Überhaupt sollten wir vielleicht einfach mehr Videos anschauen, in denen Menschen und Katzen und allen anderen etwas gelingt. Wo mal nicht gestammelt und geplumpst wird – sondern souverän ausgesprochen und würdevoll gesprungen.

Nadja Schlüter

"Ihr seid nicht das Volk, ihr seid die Arschlöcher!"

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Prof. Wolfgang Kaschuba ist Ethnologe und Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung

jetzt.de: Zu Anfang mal ganz generell gefragt: Wann sagt man "Wir"?

Wolfgang Kaschuba: "Wir" zu sagen ist im menschlichen Denken geschichtlich tief verankert. Denn wir Menschen können eigentlich erst seit einem Jahrhundert notfalls auch alleine überleben. Vorher galt, dass wir uns in Gruppen organisieren mussten, um unsere Ressourcen, also  Äcker, Häuser, Geräte gemeinsam zu nutzen und zu sichern.

Und "die Anderen"?
Die Anderen waren automatisch die, die das bedrohten, die uns vermeintlich etwas wegnehmen wollten. Ohne ein "Die Anderen" macht ein Wir-Begriff auch keinen Sinn, denn ohne ein Gegenüber gibt es keine Abgrenzung.

Und was ist heute das Wir und wer sind die Anderen?
Was wir heute lernen können und müssen ist, dieses Wir und die Anderen zu relativieren. Es nicht mehr nur an zwei oder drei Faktoren festzumachen, an Sprache, Religion oder Nation, sondern auch an Werten und Lebensstilen, an Esskulturen und  Musikgeschmack. Wir müssen dem Wir eine offenere und spielerische Form geben.

Das ist ein bisschen das, was 2006 passiert ist, oder? Als während der Fußball-WM alle "wir" gesagt haben, aber es bloß um Fußball ging.
Ja, das war toll, weil plötzlich klar war: Fußball ist zwar im Moment für die Fangemeinschaft total wichtig – aber wenn die neunzig Minuten rum sind, relativiert sich das eben doch. Nach Siegen wie nach Niederlagen. Und genau das ist dann das Spielerische.





Kann es irgendwann vielleicht doch ein Wir ohne die Anderen geben?
Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir das alte Wir nicht mehr im Sinne von "Ich verteidige meine Äcker, meine Stadt, meine Familie" leben müssen – jedenfalls in Europa. Ich glaube allerdings nicht, dass ein Wir im Sinne einer universellen Weltgemeinschaft jemals entstehen kann. Das wäre uns zu groß und es gibt da doch immer Nähen und Distanzen. Aber wir müssen lernen, dass diese Nähen und Distanzen nicht feindschaftlich geklärt werden können, sondern nur über Kommunikation und Respekt. Und dass wir mit Unterschieden auch spielerisch und selbstironisch umgehen können – eben wie bei "Schland…".

Wie noch zum Beispiel?
Selbst boshafte ethnische Witze über "Kartoffelfresser", "Spaghettis" oder "Mohammeds" sind, leicht ironisch gesagt, der Beginn einer Freundschaft: Denn wir nehmen uns damit wahr. Wenn man sich das sagen darf, ohne sich gleich zu prügeln, ist das eine Art von Kontaktaufnahme. Und wenn die gelingt, dann werden die Grenzen zwischen dem Wir und den Anderen porös.

Aber schöner wäre es schon, es gäbe gar kein Wir und die Anderen, oder?
Ich glaube nicht, dass wir das Wir einfach aufgeben können, sondern wir müssen lernen, es multipel zu denken, also in allen möglichen Formen und Formationen.

"Man muss den Mut haben, denen in Heidenau entgegenzurufen: 'Ihr seid nicht das Volk, ihr seid die Arschlöcher!'"



Man kann also zu verschiedenen Wirs gehören?

Ja, das ist ja die alte Idee des Kosmopolitischen, das sich früher nur die Oberschichten leisten konnten. Die Wissenschaft und die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts haben immer nur gefragt: Was trennt uns? Heute sollten wir fragen: Was verbindet uns? Sind die Schnittmengen zwischen den Katholiken, Muslimen und Atheisten auch in München vielleicht größer als die Differenzen?

Sind sie das denn?
Wenn wir an Wohnen und Arbeiten denken, an Auto und Konsum, an Esskultur und Musikgeschmack, an Freizeit und Sport, dann gibt es große Schnittmengen. Aber wegen dieses Denkmusters "Wir und die Anderen" stellen wir die Differenzen automatisch in den Vordergrund, zum Beispiel die Religion. Dabei sind die Unterschiede dort oft viel geringer, als wir denken: Achtzig Prozent der Muslime gehen so oft in die Moschee wie neunzig Prozent der Katholiken. Nämlich nie oder mal im Ramadan.

Zur Zeit gibt es ja wieder ein großes Wir, es geht um "unsere" Willkommenskultur und was "wir" für die Flüchtlinge tun. Darf man denn, gerade wenn es um Integration geht, überhaupt "wir" sagen?

Ja, das darf man. Weil die Anderen so überhaupt erstmal in unser Blickfeld rücken. Und wenn wir ihnen Platz geben in unserer Mitte, was wir ja gerade tun, dann ist das positiv. Auf der Ebene der Interaktion begegnen wir dann diesen Anderen, auf der Ebene der Kommunikation sprechen wir mit ihnen und auf der Ebene der Imagination denken wir sie allmählich in unsere Wir-Bilder mit hinein.

In Bildern, wie denen vom Münchner Hauptbahnhof?
Ja! Atmosphärisch ist es toll: diese Bilder mitten aus der Stadt, vom Bahnhof, an dem die Leute ankommen und begrüßt werden. Das zeigt symbolisch, dass Migration heute überall ist, nicht nur am Rand der Gesellschaft. Das ist eine große Chance – obwohl das natürlich auch Probleme mit sich bringt. Bloße Euphorie trägt oft nicht lange.

Ein Bekannter von mir schrieb nach den Ausschreitungen in Heidenau auf Facebook: "Wir sind vielleicht nicht das Sozialamt der Welt, aber auf jeden Fall die größten Arschlöcher der Welt." Gibt es das auch, ein negatives Wir?
Das Wir ist immer ambivalent. Und in diesem Fall bedeutet es, dass wir den Arschlöchern – um das Wort aufzugreifen –, die in Heidenau als "Wir" laufen, dieses Wir nicht überlassen dürfen. Man muss den Mut haben, denen an Ort und Stelle entgegenzurufen: "Nein, ihr seid nicht das Volk, ihr seid die Arschlöcher!" Je weiter wir sie aus dem Wir unserer Bilder rausdrängen, umso besser, weil sie sich dann nicht mehr als "gesundes Volksempfinden" inszenieren können.

Ist ein Wir also wichtig, um Krisen wie die aktuelle zu überstehen?
Natürlich. Wenn das Wir nicht "wir Deutschen" meint, sondern sich auf die Menschen in Deutschland bezieht, auf die Gesellschaft, und wenn es sich auch auf die EU bezieht oder auf eine globale Gesellschaft derer, die eben keine "Arschlöcher" sein wollen. Denn dann entwickeln wir Wir-Bilder, in denen Platz für Unterschiede, Vielfalt und Kontroversen ist. In denen Platz ist für Andere. Diese Erweiterung ist nicht einfach, denn es ist immer leichter, in meiner kleinen Gruppe meinen Platz zu finden und mich aufgehoben zu fühlen. Aber das müssen wir eben lernen: Dass wir uns auch in "offenen" Räumen wohl fühlen – auch weil wir selbst da mehr Möglichkeiten haben.

Webseite für Klo-Lektüre

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Es gibt nur zwei Arten von Menschen: Die, die auf der Toilette lesen. Und die, die das nicht machen. Dieser Beitrag ist für alle Menschen der ersten Kategorie.

Ihr, liebe Klo-Leser, habt um eure Toilette herum meist abgegriffene Bücher und Zeitschriften verteilt. Oder ihr habt sogar einen Zeitschriftenständer im Bad, ihr Vollprofis! Und vermutlich ist die Lektüreauswahl vor allem: eher leicht. Und kurz. Ernstes Weltgeschehen lässt sich mit heruntergelassener Hose nämlich nicht so gut, äh, verdauen. So, und nun, liebe Klo-Leser, holt euch etwas ein, was euch überall sonst eh schon längst eingeholt hat: die Digitalisierung.



Endlich Zeit zum Lesen!

Und zwar in Form der Webseite Poopfiction. Die versammelt „Stuff to read in your time of need“, was wir hier mal sehr frei mit „Lesen ist nett in der Zeit auf dem Klosett“ übersetzen wollen (damit es sich auch reimt). Auswählen kann man zwischen verschiedenen Lesezeiten (tiny, short, medium, long, von einer bis zu mehr als vier Minuten) und bekommt dann eine Geschichte, die man auf dem Smartphone lesen kann, von Äsop oder Robert Louis Stevenson oder Tolstoi zum Beispiel.

Ja, liebe Klo-Leser, wir wissen schon, ihr habt auch vorher schon ab und zu während der Geschäftszeiten (höhö) auf dem Smartphone gelesen. Aber freut euch halt, dass jemand extra für euch eine Webseite programmiert hat! Und Händewaschen nicht vergessen!

Nadja Schlüter

Die Schnapsideen

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Geschäftsideen haben sicher auch schon auf Klos begonnen. Oder beim Marmeladenbrötchen zum Frühstück. Oder unter der Dusche. Meistens allerdings fangen die Gründungsmythen von Unternehmen mit einer Variation dieses Satzes an: "Eines Abends in einer Bar..." Wer schon einmal um drei Uhr morgens vor der geschlossenen Dönerbude stand, versteht, warum in Kneipen "Döner-Automaten" und "Wurst-Toaster" erfunden werden und Cocktail-Aboservices und Schnapsbrennereien gegründet werden. Sogar Spezialkabelfabriken und Biokohle-Unternehmenwerden werden so geboren. Heißt es zumindest. 

Der beschwipste Gründungsmythos bietet mehrere Vorteile. Er lässt die Gründer wild, jung und verwegen dastehen: Man hockt nicht nur den ganzen Tag in Meetings, sondern schon auch Abends in der Kneipe. Außerdem kann man ihn bei Bedarf als kleine Ausrede benutzen, falls doch mal jemand fragt, wie zur Hölle man auf die Idee gekommen ist, einen Wurst-Toaster zu bauen. Nüchtern, kann man dann argumentieren, wäre man ja nie auf die verrückte Idee gekommen. Betrunken ist man unvernünftig, spinnt herum, der Geist ist frei, man konzentriert sich auf wesentliche Bedürfnisse, was gute Ideen ja oft ausmacht, nüchtern betrachtet jedoch albern wirken könnte. 

Wir haben unser Archiv nach beschwipsten Gründungsmythen durchforstet:


„Nach dem fünften Bier wußten wir, daß wir etwas gemeinsam machen werden, nach dem siebten verabredeten wir, besser nüchtern weiterzudebattieren.“ 
(Jens Bormann, Gründer des Call-Center-Betreibers buw Holding; in: SZ vom 21. April 1999)   

„15. Dezember 2008. Ich sitze mit meinen Freunden Markus und Rikard beim Bier zusammen. Wir kommen mehr oder weniger zufällig darauf zu sprechen, dass Elektroroller in China massenweise, in Deutschland aber kaum unterwegs sind. Eine Marktlücke!“
(Gründertagebuch von Daniel, Patrik und Philipp Tykesson, Gründer der Elektroroller-Firma e-bility; in: Wirtschaftswoche vom 26. September 2011)   

„Das ist also das Grillido-Rezept: ein wenig Ernährungsbewusstsein, eine Prise Fitness-Affinität, ‚ein paar Bier’ – fertig war die Idee mit den gesunden Grillwürsten.“
(über Michael Ziegler und Manuel Stöffler, Gründer von Grillido; in: SZ vom 11. Mai 2015)  

„Heute weiß keiner der beiden mehr, was sie vor anderthalb Jahren kochten, es soll aber Wein geflossen sein. Kurz danach siegen sie beim BusinessplanWettbewerb Berlin-Brandenburg.“
(über Sara Wolf und Milena Glimbovski, Gründerinnen von „Original unverpackt“, ein Supermarkt ohne Verpackungen, die Idee dazu kam ihnen bei einem gemeinsamen Kochabend; in: Der Tagesspiegel vom 15. Mai 2014)   

„In einer Kneipe in Hongkong traf Jäger vor mehr als zehn Jahren einen Schweizer Geschäftsmann. Der suchte dringend ein Spezialkabel.“
(über Frank Jäger, Gründer der Kabelfabrik TCA; in: Handelsblatt vom 27. September 2006)  

„Beim Bier tauschten wir mit Kommilitonen Praktikumserfahrungen aus und überlegten, dass es gut wäre, vorher zu wissen, ob eine Stelle zu einem passt.“
(Stefan Peukert, Gründer von Meinpraktikum.de; in: impulse vom 1. Oktober 2011)  

„Bei Bier und einer Bratwurst tat sich der Ingenieur dann mit seinem Freund Bruns zusammen, der sich als Betriebswirt auf Unternehmensgründung spezialisiert hatte.“
(über Felix Rennies und Marco Bruns, Gründer von „Smartwurst“ und Erfinder des „Wurst-Toasters“; in: FAZ vom 16. Juni 2014)  

„Es gab viel zu trinken, und weil keiner mehr nach Hause gehen wollte, legten sich einige zum Schlafen auf den Boden. Ein Typ versuchte sogar, eine akzeptable Schlafposition auf einem Beanbag, einem Sitzsack, zu finden. Wie cool wäre es, sagte er, wenn man den Sack einfach auf dem Boden ausbreiten könnte.“
(über Irfan Badakshi und Matt Roberts, Gründer von Bean2Bed; in: impulse vom 1. Juni 2011)  

„Es ist so, dass Erik Pfauth gern in Bars geht und Cocktails trinkt. An einem dieser Abende, in gemütlicher Runde mit Freunden, Gin Tonic und Moscow Mule, entstand seine Geschäftsidee.“
(über Erik Pfauth, Gründer von Drink-Syndikat, einem Aboservice für Cocktails; in: Berliner Zeitung vom 26. Februar 2015)  

„Abends beim Bier träumten die beiden deshalb immer öfter von einer eigenen Schnapsbrennerei, bis irgendwann aus der Träumerei ein konkreter Plan wurde.“
(über Daniel Schönecker und Maximilian Schauerte, Gründer von The Duke – Munich Dry Gin; in: FAZ vom 19. Juli 2010)  

„Bei Hefeweizen und Leberkäse diskutieren wir unsere Marke. Als passende Bezeichnung für unser Verfahren wählen wir ‚CarboREN’.“
(Gründertagebuch von Hans-Joachim von Massow, Gründer des Biokohle-Unternehmens Suncoal Industries; in: Wirtschaftswoche vom 8. September 2008)  

„Später Abend in einer Solinger Kneipe: Drei Schüler der August-Dicke-Schule verleben einen lustigen Abend. Irgendwann meldet sich der Hunger - Heißhunger auf Döner. Doch alle Fleischspießbuden sind bereits geschlossen. ‚Wäre es nicht cool, wenn wir uns zu Hause unseren eigenen Döner machen könnten?’, schlägt Beate ihren Freunden Sabine und Nils vor.“
(über die StartUp-Werkstatt, ein Gründerpreis für Schüler; in: Stern vom 6. Juli 2006)

Endlich geht mal was kaputt!

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Woran man ja im Allgemeinen nicht denkt, wenn man durch München radelt: Zombie-Apokalypse. Endzeitszenario. Ich schon. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit. Und ich freue mich darüber.



Angefressen steht das Hochhaus neben der Autobahn. Bis vor wenigen Jahren nutzte es noch ein IT-Unternehmen. Nun wartet es auf sein Ende.

In Berg am Laim am Vogelweideplatz – das ist da, wo die A94 beginnt – steht eine Gruppe alter Bürogebäude aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Noch. Bald wird es sie nicht mehr geben, seit Wochen fressen sich riesige Abrissmaschinen durch ihre Fassaden und Dächer. Davor standen sie schon eine ganze Weile leer und warteten auf dieses spektakuläre Ende; dunkel, verlassen, dreckgewandet, die Glasscheiben immer milchiger werdend, manche schon zerbrochen von einem nächtlichen Halbstarken-Steinwurf. Vor den Eingängen begann Gestrüpp zu wuchern.

Schon damals berührte mich dieser Anblick im Vorbeifahren. Dieser tote, stille Fleck neben der rauschenden Autobahn, der langsam verfiel und von der Natur angefressen wurde. Der nicht lebte und pulsierte und leuchtete, sondern stumm da stand und ganz von selbst immer ein bisschen weniger wurde. Endzeitstimmung.



An der Leopoldstraße mussten das Holiday Inn und ein Versicherungsgebäude für das "Schwabinger Tor" weichen.









Dann kamen die Maschinen, und je weiter der Abriss voranschritt, desto stärker wurde die Faszination: als erste Fensterscheiben den Blick ins leere Innere freigaben, wo Kabel aus den Wänden hingen und rausgerupfte Heizkörper herumlagen. Als Fassadenteile wichen und die Häuser löchrig wurden. Als irgendwann nur noch halbe Gebäude da standen und der größte Turm ein Gerippe war, durch das die sinkende Sonne in maximaler Dramatik hindurchscheinen konnte.

Wo und wann immer in München Gebäude leer stehen und sterben, ob in Berg am Laim oder an der Leopoldstraße kurz vor dem Mittleren Ring, fasziniert mich das. Und nicht nur mich. Die Leute bleiben stehen, schauen, staunen, drosseln im Vorbeifahren ihre Geschwindigkeit.

Ich glaube, sie tun das hier öfter als in anderen Städten. Als wäre man hier weniger gleichgültig und gelassen gegenüber solchen kaputten Flecken in der Stadt. Wenn man kurz darüber nachdenkt, erscheint das logisch. Der Mensch reagiert auf Kontraste. Er hält inne und schaut hin, wenn etwas anders ist als er es kennt, oder wenn etwas da ist, das es sonst selten gibt. Und in München gibt es nun mal selten: Leere. Stillstand. Dahinsiechen. Kaputtgehen. Nein, München glänzt und wächst und strahlt und boomt. München hat weder Zeit noch Platz für Orte, an denen sich Unkrautwurzeln langsam durch Stahlbeton fressen, an denen Gestrüpp rostige Gleisbrachen überwuchert und halb abgerissene Gebäudegerippe wochenlang auf ihr Ende warten. Deshalb ist es so ein wohltuendes Ereignis für das Auge, wenn es mal eine Weile Zeuge des Zerfalls werden darf.

Und deshalb mischt sich in die angenehme Rührung und Schwermut, die einen beim Betrachten dieser Gebäude erfassen, irgendwann noch eine andere Art von Schwermut: darüber, dass es bald wieder vorbei sein wird mit der morbiden Unterhaltung. Dass dann wieder strahlende Neubauten die Straßen säumen werden, die „Schwabinger Tor“ heißen oder „Baumkirchen Mitte“ oder „Bavaria Towers“. Und dass dann Gedanken an Apokalypse wieder ganz weit weg sind.

“Manchmal schlafen sie in Löffelchenstellung ein”

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Letztens in der Kneipe, das war wieder so ein Moment: Freundin A bekommt einen Weisheitszahn, glaubt sie. Sie jammert ein bisschen und macht ein paar merkwürdige Verrenkungen mit der Zunge - und dann steckt Freundin B ihr einfach so einen Finger in den Mund, um nachzufühlen, wie weit der Zahn denn schon heraussteht.  

Das ist so eine Sache mit den beiden. Die kennen sich lange, sehr lange, aber das ist es nicht. Es ist vielmehr so, dass sie nie über die zwillingsschwesterartige Beziehung hinausgekommen sind, die sie seit ihrer Pubertät führen. Vielleicht braucht es ein Beispiel, um das verständlich zu machen: Wenn die eine ihr Kaugummi nicht weiterkauen mag, dann übernimmt es die andere. Ja, wirklich. Wie teeniemäßig! Wie furchtbar!, denke ich dann. Da kann man ja gleich Fußkettchen mit den Initialen des anderen tragen. Und außerdem ist das immer so schrecklich unangenehm für alle Außenstehenden. Die nippen dann befangen an ihren Bierflaschen, während Freundin B die Finger im Mund von Freundin A hat.  

Furchtbar kindisch finde ich das. Meistens. Aber manchmal, da will ich plötzlich auch ganz dringend so eine Freundschaft. Jemanden, bei dem ich jederzeit vorbeischauen kann, ohne mich vorher anzukündigen - und der mich dann reinlässt, ohne weiter nachzufragen.  Dabei ist das eigentlich gar nicht mein Ding. Ich bin nach einem gemeinsamen Abend am Küchentisch froh, wenn meine Freunde irgendwann nach Hause in ihre eigenen Betten gehen. Freundin A übernachtet dann oft noch bei Freundin B. Ich glaube, manchmal schlafen sie in Löffelchenstellung ein.  

Wie gesagt: Alles gar nicht meins, im Grunde. Und trotzdem reizt mich diese Distanzlosigkeit. Denn das ist alles auf eine gute, ehrliche Art distanzlos. Die beiden kämen nie auf die Idee, zusammen brunchen zu gehen und ich wüsste nicht, dass eine von ihnen jemals das Wort Mädelsabend in den Mund genommen hätte. Aber sie sind füreinander da, um sich gegenseitig Pickel auf dem Rücken auszudrücken.  

Es gibt da diese Szene in der Serie “Girls”: Da steigt die eine zur anderen in die Badewanne und muss aus irgendeinem Grund plötzlich weinen. Danach putzt sie sich die Nase mit den Fingern. Und macht die dann im Badewasser sauber. Genau das, was ich meine: Da sind sich zwei so nah, dass nicht einmal die Rotze des anderen daran etwas ändern könnte. So nah, dass es nichts Außergewöhnliches ist, sich eine Badewanne zu teilen. Es gibt bestimmt viele Freundinnen, die schon mal zusammen gebadet haben; aber für die meisten ist das etwas Besonderes, der ultimative Beweis ihrer Freundschaft also. Einen besonderen Reiz hat das nur, wenn das nichts Bemerkenswertes mehr für beide ist.  

So eine distanzlose Freundschaft ist vor allem eines: herrlich unerwachsen. Eine Verbindung, die so gar nicht zum restlichen Leben passt und die Erinnerungen an früher konserviert, als noch niemand mit seinen Mädels für ein Saunawochenende nach Holland fuhr. Irgendwie wird man schneller erwachsen, als man es vorhatte - und Freundschaften altern mit, normalerweise. Bewundernswert, wer es über die Jahre geschafft hat, etwas von damals festzuhalten. Wer so eine symbiotische Freundschaft führt, ist also entweder vierzehn Jahre alt oder hat sich sehr erfolgreich gegen die Veränderungen der Zeit gewehrt. Nicht kindisch ist das, sondern wirklich klug. Es gibt keinen besseren Ausgleich zum Erwachsenwerden.  

Das ist natürlich trotzdem oft genug irgendwie merkwürdig. Und man muss das mögen, klar. Ich könnte das nicht in der Form, wie Freundin A und B das gewohnt sind. Aber ein Scheibchen davon würde ich mir tatsächlich gerne abschneiden. Ich brauche das alles nicht so häufig, und es muss ja nicht in der Kneipe sein. Aber vielleicht sollte ich einfach öfter nachfühlen, wie es den Weisheitszähnen meiner Freunde so geht.

Rentner singen "Schrei nach Liebe"

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Wenn knapp zwei Dutzend Senioren unisono „Arschloch“ schreien, ist klar, dass die „Aktion Arschloch!“ des niedersächsischen Musiklehrers Gerhard Torges mehr erreicht hat, als nur ein großes Medienecho. Gestern veröffentlichte der Seniorenchor Die Goldies eine Coverversion des Ärzte-Songs „Schrei nach Liebe“. Der Chor singt sonst Rock- und Popsongs von Künstlern wie Udo Lindenberg oder Wir Sind Helden – und nun, als „Statement aus gegebenem Anlass“, gegen Nazis.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=87YgZmbB7a4

Vergangene Woche forderte Gerhard Torges online dazu auf, den 1993 erschienenen Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ der Ärzte wieder in die Charts zu bringen, um ein Zeichen gegen Fremdenhass zu setzen. Dass diese Aufforderung auch eine Ü70-Musikgruppe erreicht, ist besonders schön. Denn die Senioren sind eben keine linken Socken aus der Hauptstadt, sondern kommen aus dem beschaulichen Geldern in NRW, einer kleinen Stadt nahe der holländischen Grenze. Und zeigen, dass Fremdenhass jeden etwas angeht. Der große Erfolg der „Aktion Arschloch!“ ließ sich in den vergangenen Tagen bereits mitverfolgen: Der Song stürmte an die Spitze der Download-Charts. Am heutigen Tag kämpft „Schrei nach Liebe“ um Platz Eins der Singlecharts. Auf Facebook fordert die „Aktion Arschloch“ deshalb auf, den Song jetzt noch mal fleißig zu shoppen.

Die Ärzte entschieden sich, den Erlös gänzlich an die Flüchtlingshilfe ProAsyl zu spenden. Auch Finetunes, Amazon, Google und Universal Publishing schlossen sich den Musikern an. Wie es jetzt mit den Goldies weitergeht? Hoffentlich mit der Arschloch-Single-Auskopplung feat. Die Ärzte.

sina-pousset

"Wir müssen auch Jugendliche mit Suizidgedanken abweisen"

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"Seit vier Jahren arbeite ich bei U25, einer Mailberatung von jungen Leuten für Jugendliche mit Suizidgedanken und in Krisen. Wir haben fünf Standorte in Deutschland und 125 sogenannte Peers, also Leute unter 25, die andere Jugendliche beraten. U25 funktioniert so, dass man uns eine Mail schreiben kann und dann innerhalb von sieben Tagen an einen Peer weitervermittelt wird, mit dem man sich austauschen kann.



Elena ist 20 und arbeitet seit vier Jahren bei der Mailberatung U25.

Die meisten, die uns schreiben, sind Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren. In ihren Mails geht es zum Beispiel um Suizidgedanken, selbstverletzendes Verhalten oder Mobbing. Viele Leute schreiben uns nur einmal, weil es ihnen bereits gut getan hat, das alles einmal loszuwerden, sie antworten dann zum Beispiel nur noch kurz: "Das hat mir geholfen, ich hab mir jetzt Hilfe gesucht." Ich hatte aber auch schon den Fall, dass ich drei Jahre mit einer Klientin in Kontakt stand. Manchmal hat sich das fast wie eine Freundschaft angefühlt, obwohl man sich natürlich nie privat treffen würde. Das lehnen wir prinzipiell ab, dafür sind wir auch gar nicht ausgebildet. Es gibt auch gerade noch eine Klientin, die mir regelmäßig und sehr konkret schreibt, immer, wenn sie sexuelle Gewalt erlebt hat, weil sie immer noch im Kontakt mit dem Täter ist. Das ist teilweise sehr hart.

Aktuell betreuen wir 900 Leute, 2000 Menschen hätten aber Bedarf. Manchmal müssen wir also auch Jugendliche mit Suizidgedanken abweisen, das ist schlimm. Wir versuchen dann zwar, an andere Beratungsstellen weiterzuvermitteln, aber da U25 anonym ist, man die Schreiber also auch nicht über die IP-Adresse zurückverfolgen kann, wissen wir nicht, was aus den Fällen wird. 

Wenn ich nach einer Suizidankündigung von einer Person nichts mehr höre, versuche ich mir immer einzureden, dass es ihm oder ihr bestimmt gut geht und er oder sie sich Hilfe geholt hat. Das ist so eine Strategie, die ich mir über die Jahre zugelegt habe. Anders könnte ich ja auch nie den Computer ausschalten und mir eine Auszeit von der Beratung nehmen. Das anonyme System hat wiederum den Vorteil, dass die Jugendlichen bei uns sehr offen über ihre Suizidgedanken reden können. Es wird nichts tabuisiert, weil sie wissen, dass wir ihnen jetzt nicht einfach die Polizei vorbeischicken können oder sie zwangseinweisen lassen. Unsere Aufgabe ist es, für die Leute da zu sein und sie ernst zu nehmen. Wenn sie sich dann auf unsere Anregung hin professionelle Hilfe suchen, ist das gut. Aber wir haben nicht immer perfekte Lösungen für alle parat.

Um bei U25 arbeiten zu können, benötigt man eine viermonatige Ausbildung und muss natürlich jünger als 25 sein. In der Ausbildung wird dann über Themen gesprochen, die in Klientenmails häufig vorkommen, man schreibt Beispielsmails und redet viel über die eigenen Lebenserfahrungen. Danach hat man nicht direkt eigenverantwortlichen Kontakt mit den Klienten, sondern die Antwortmails werden von einer hauptamtlichen Mitarbeiterin gegengelesen, bevor sie rausgehen. Später kann man dann auch eigenverantwortlich Mails rausschicken. Wenn einem ein Fall zu viel wird, kann man ihn auch abgeben. Das ist mir bisher aber noch nicht passiert.

Wir Peers sind alle ehrenamtlich bei U25, hier in Berlin gibt es noch eine Hauptamtliche. Das bedeutet natürlich, dass wir keine 24/7-Beratung leisten können. Wenn jemand sich akut mit einer Suizidandrohung meldet, versucht die Hauptamtliche jedoch, möglichst schnell an einen Peer weiterzuvermitteln und bietet Kontakte zu Krisendiensten an.

Momentan ist das Projekt noch bis Ende des Jahres finanziert, wir alle hoffen sehr, dass es danach weitergeht. Allerdings ist Suizidprävention in Deutschland immer noch ein Tabuthema. Deshalb veranstalten wir einmal im Jahr, am 10. September, die Großaktion "600 Leben", bei der sich 600 Menschen symbolisch vor dem Brandenburger Tor fallen lassen und dort so lange liegen bleiben, bis ihnen jemand aufhilft. 600 ist dabei die ungefähre Zahl an unter 25-Jährigen, die sich jedes Jahr in Deutschland das Leben nehmen.

Dieses Jahr haben auch mehrere Politiker zugesagt, dass sie zu der Aktion kommen wollen. Wir hoffen natürlich, dass die uns schnell aufhelfen, denn das wäre ein Zeichen, dass es ein Interesse an dem Thema gibt. Toll wäre natürlich, wenn es irgendwann auch eine nationalen Aufklärungskampagne zum Thema Suizidprävention gäbe."

Anmerkung der Redaktion: Wenn Du Dich selbst betroffen fühlst, kontaktiere bitte umgehend die Telefonseelsorge oder U25. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 gibt es Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Ey, Macarena!

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Es war Sommer, wir tanzten am Strand. Alle hatten weiße Leinenhosen an, der blaue Glitzernagellack irisierte im Mondlicht. Dazu machten wir alle (alle!) im Gleichtakt diesen Move: Arme raus, dann verschränkt, hinter den Kopf, Hüftkreisen und dann wieder von vorn, eine Vierteldrehung weiter. Dazu schrien wir „ÖÖÖÖÖH MACARENA!“ Ziemlich heißer Scheiß. Viele von uns waren noch Kinder, als Macarena von Los Del Rio zum Discohit wurde. In einem Video wird nun enthüllt, dass Macarena in Wahrheit gar kein unschuldiger Mitwippsong ist.

http://www.youtube.com/watch?v=fKiiKJhfLGg 

Schock. Macarena, die Olle, war ne ganz schöne Bitch. Und die ganze Welt hat weggehört. Weil sie in Ruhe Schunkeln wollte. Deswegen besangen wir alle im Einklang eine ziemlich fiese Frau. Pfui: 

Now don't you worry about my boyfriend
The boy who's name is Vitorino
I don't want him, couldn't stand him
He was no good so I...
Now come on, what was I supposed to do
He was out of town and his two friends were so fine
 

Immer, wenn Macarena lief (oder wir es unter der Dusche sangen), wippten wir ein bisschen mit und dachten an die Nächte am Strand, den Geschmack von Africola und die von der neuen Spange schmerzenden Zähne.
Der Text? Weißes Rauschen, beiläufiger Hintergrund. Hauptsache, ein eingängiger Refrain zum Mitsingen. Was sollen Songs der Kategorie Mambo No. 5 denn sonst auch liefern? 

Unsere Blauäugigkeit was Texte großer Hits angeht ist aber nicht neu: Irgendwann kommt der Moment, in dem wir erkennen, das die Spicegirls nicht von Gummibärchen, sondern vom ersten Mal singen und es diese Agathe Bauer gar nicht gibt.Und deswegen müssen wir jetzt gemeinsam mit Macarena erwachsen werden. Schön, Macarena, war‘s trotzdem mit dir.

sina-pousset
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