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Die Brücke

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Nein, mit der Zeitung redet er nicht, sagt der Mann im Dortmund-Dress. Im Morgenschein torkelt er über die Reichenbachbrücke. Trikot und Hose und Stutzen und drunter eine schwarze Leggins. „In der Zeitung stehen nur Lügen. Und ich bin eine ehrliche Haut!“ Dann verschwindet er flussabwärts. Es ist Freitagmorgen sieben Uhr. Die Sonne steigt über das deutsche Museum wie ein großes Exponat. Bronzenes Licht fällt in die Stadt, auf die Brücke. Es wird ein schöner Tag.




8.15 Uhr: Es wird voller. 43 Autos pro Ampelphase, die keine Minute lang ist. Zwei Laster, eine Vespa, 22 Radfahrer, eine alte Dame auf einem Tretroller. Mehr Menschen müssen irgendwohin.
 
Die Reichenbachbrücke ist 140 Meter lang und 24 Meter breit. 1904 gebaut – „Stampfbeton als Dreigelenkbogen“, sagt Wikipedia. In der Mitte eine Straßenbahnspur. Die Brücke ist sehr beliebt. Bewertung im Netz: 9,4 von 10 Sternen. User Tim fasst zusammen: „Wenn es viel geregnet hat, kann das Wasser deutlich über das Ufer treten. Und an warmen Sommerabenden wird es knallvoll. Dann am besten kühles Bier schon mitbringen, da man am Kiosk ewig wartet!“ Damit ist eigentlich alles gesagt: Das Wasser und die Menschen. Sie fluten die Brücke, von unten und oben. Wenn der Flaucher die ausgestreckten Füße der Stadt sind, das Maximilianeum ihr Kopf – dann ist diese Brücke ihr Herz. Alles, was die Stadt ausmacht, kommt da irgendwann durch. Dem muss man doch mal zusehen. 24 Stunden auf der Brücke also.
 
Wer um sieben Uhr morgens den Fluss überquert, hat etwas vor, auf der anderen Seite. Oder einen Hund, der raus will. Oder einen Rausch, der noch nicht rein will. Zwei sitzen mit dem letzten Radler am Geländer in der Morgensonne. Sie hat pinke Haare, er trägt professionell Sonnenbrille. „Von der Arbeit“ kommen sie – und halten die Ehre der Durchzechten aufrecht: „Sonst ist hier fei mehr los“. Fünf Minuten später sind sie weg. Ihre halbvollen Flaschen zehn Minuten später auch. Jetzt lehnen nur noch ein paar vergessene Fahrräder am Geländer. Ein früher Tourist knipst dutzende Male den Fluss. Und auf der Baustelle an der Fraunhofer Straße wird gesägt und gehämmert. 20 Luxus-Appartements entstehen hier, Quadratmeterpreis angeblich: 22 092 Euro.

8.15 Uhr: Es wird voller. 43 Autos pro Ampelphase, die keine Minute lang ist. Zwei Laster, eine Vespa, 22 Radfahrer, eine alte Dame auf einem Tretroller. Mehr Menschen müssen irgendwohin. Von Ost nach West und zurück. Mal ein Krankenwagen mit Sirene. Mal ein Bus – Schienenersatzverkehr wegen der Baustelle. Die Brücke ist morgens Transitland. Alle hetzen drüber. Nur die drei Besucher aus dem Umland – männlich, Funktionshosen – diskutieren Wasserstand und Flusslauf. Was sie so früh hier machen? „Nachher ist zu voll, wenn die ganzen Affen kommen!“

Man geht nie zweimal über denselben Fluss, wissen die Indianer. Aber immer über dieselbe Brücke, weiß der Münchner.


„Bitte keine Flaschen zerdeppern“ steht unterm vollgetaggten Geländer. Vor dem Schild: Scherben, Kippen und eine Cola-Dose. Kurz vor halb neun kommt die Kehrmaschine und fegt die Scherben weg. Manche auch nur auf den Radweg. Hinterher tippeln drei Dutzend Schüler vom Pestalozzi-Gymnasium nach St. Maximilian, zum Frühgottesdienst. Pflicht, Herr Lehrer? „Natürlich nicht. Die gehen alle freiwillig.“ Zwei junge, schöne Menschen frühstücken derweil in der Sonne an einem Brückenpfeiler. Sie sind sich selbst genug. Man will sie nicht stören. Ihnen nur sagen, dass sie sich küssen sollen.

9 Uhr: Mehr geschäftige Menschen. Von Obdachlosen nichts zu sehen. Die sind unter der Brücke. Der Weg dorthin führt durch ein gefährliches Nadelöhr des überregionalen Fahrradverkehrs. Auf der Brücke bremst die leichte Steigung die Radler aus, drunter schießen sie umso schneller durch. „Kruzitürken!“, ruft einer, weil der andere nicht so fährt, wie er meint, dass er zu fahren hat. Die Obdachlosen schlafen oder sind schon unterwegs. Seltsam ist es hier, wie in einem Keller. Das Donnern der Autos über dem Kopf. Schatten. Von unten sieht man die großen Quader der Bögen. Wilder Wein schmückt die Unterführung. Oben ist alles deutschgrauer Beton. Kein Schnickschnack, kein Platz für Vorhängeschlösser, die sonst weltweit Brücken beschweren. Nur viele Zimmeranzeigen und Aufkleber an den Laternen. Und Graffiti.
 
Manchmal ist es fünf Sekunden fast still. Dann schaltet die Ampel auf grün.

10.30 Uhr: Na endlich! Zwei Jungs mit einem Kasten Augustiner, ein paar Mädels im Schlepptau. Heute war Zeugnisvergabe, 11. Klasse Fachoberschule. Also raus, an den Fluss, „bis mindestens abends. Später vielleicht noch bisschen Gras kaufen, Alter. Mal schauen.“ Ihnen entgegen kommt ein Flaschensammler. Er bremst das Vorderrad seines schrottigen Mountainbikes, nicht mit der Bremse, sondern mit den Tüten voller Flaschen, die am Lenker hängen. Als eine reißt, fällt er hin. Das Rad bleibt liegen. Immerhin ein Mensch fragt ihn, ob alles okay sei. Er nickt. Hat er die alle heute morgen gesammelt? „Klar, Chef.“ Wo bringt er die hin? „Klar, Chef.“ Wie heißt er? „Klar, Chef.“ Dann sucht er eine neue Tüte, lässt das Rad liegen, halb auf der Straße, halb auf dem Radweg. „Schlamper“, schimpft eine alte Dame. Er lächelt, wuchtet das Mountainbike hoch und fährt schlingernd davon. Wie oft er heute wohl noch die Brücke macht?




Und Willy Michl singt: „In da Sommasonna auf dem weißen Kies / i sog eich des is / des Isarflimmern mitten im Paradies.“
 
Man geht nie zweimal über denselben Fluss, wissen die Indianer. Aber immer über dieselbe Brücke, weiß der Münchner. Ihre sanfte Rundung. Der Aufstieg, Höhepunkt, Abstieg. Die Brücke ist eine Welle, ein Leben.
 
11.30 Uhr: Die ersten Badegäste, die sich am Kiosk treffen, haben „Endbock, in die Isar zu springen“. Die Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt. Eine Dogwalkerin mit vier kleinen Hunden. Ein Junge, maximal 16, mit einem Desperados. Zeugnis auch schon geholt? „Nö. Lieber gechillt, Alter.“

Es gilt die ewige Isar-Gleichung: Je näher die Brücke, desto mehr Kippen und Scherben.


Die Sonne ist über die Au gewandert und knallt fast senkrecht runter. Der Strand füllt sich. Mit jeder Minute wird das hier mediterraner. Und lauter. Die Reifen quietschen bei Hitze schneller, dauernd hupt einer. Auf Brücken werden Autofahrer nervös. Vielleicht haben sie Angst, runterzufallen. Inzwischen wird auch ein bisschen halbstark am Kiosk rumgelungert, geraucht, auf den Boden gespuckt, High Five! Noch eine geraucht, noch mal gespuckt. Rund um den Kiosk regiert die Jugend.

Und gegenüber vom Kiosk liegt die Buchhandlung Isarflimmern. Im Schaufenster: „Monaco Hansi: Meine wilde Jugend im München der 60er- und 70er-Jahre“. Was ist das überhaupt, das Isarflimmern? Der bayerische Indianer Willy Michl besingt es so: „In da Sommasonna auf dem weißen Kies / i sog eich des is / des Isarflimmern mitten im Paradies.“
 
Ja, es flimmert, unten am Fluss. Kinder spielen im Sand. Daneben chillen Enten, Schüler, Studenten, Freigeister. Das Wasser ist klar. Der Lärm der Straße ist erträglich. Warum in die Ferne schweifen? Zum Beispiel Isa, 25, blond, braun gebrannt. War zu faul weiterzugehen. Also liegt sie hier. Handtuch, Obstsalat, die Jolie. „Nachher gibt die Brücke vielleicht Schatten.“ Andererseits gilt die ewige Isar-Gleichung: Je näher die Brücke, desto mehr Kippen und Scherben.
 
Nach Mittag füllt es sich. Gekommen wird immer gleich: Treffpunkt Kiosk, „Hey, wie geht’s, Getränk?“ Dann über die Brücke und rechts oder links runter ans Wasser. Die Mutigen springen rein, am besten ein Stück weiter stromaufwärts. Bisschen treiben lassen. Möglichst wenig staksig wieder raussteigen. Ist irgendwie auch eine große Bühne hier, wie überall in der Stadt. „Wenn Berlin eine Welle ist, die einen ständig schiebt“, sagt einer, der von dort zu Besuch ist, „dann ist München eher ein warmer Whirlpool“. An dieser Brücke, mit den Füßen im Wasser, wird sogar der Berlin-Vergleich erträglich.

>>>Zwei junge Frauen lehnen am Geländer, Blick gen Süden. Die eine: „Bei uns geht nichts mehr. Entweder, er ist zu besoffen, um es fertig zu bringen. Oder zu nüchtern, um anzufangen.“ Die andere: „Oh Gott! Bitte spring nicht.“<<< 
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Auf dem Spielplatz ist wenig los. Mittagessenszeit. Für Erwachsene ist er nur in Begleitung von Kindern erlaubt. Davon gibt’s hier aber sonst auch genug. Das Durchschnittsalter in der Isarvorstadt liegt unter 40 Jahren. Jünger wird’s in München nur rund um die Uni. Und heute, zum Ferienbeginn, scheint jede Schule ihre Abordnung auf die Brücke geschickt zu haben. Eine Gruppe Musikschülerinnen trällert Musicalhits: „Maria . . . I just met a girl named Maria!“




Ab dem zweiten Bier sind Brücke und Bus doch nur die Fortsetzung des Strandes mit anderen Mitteln.
 
Pause. Leberkässemmel und Spezi auf der Brücke. „Ohne Leberkäs und Spezi würde diese Stadt doch gar nicht funktionieren!“, glaubt die Bäckersfrau. Ab jetzt ändert sich für Stunden eigentlich nichts. Licht, Temperatur, Stimmung: alles konstant. Auch der Zustrom. Einer geht, zwei kommen. Im Schatten auf der Au-Seite sitzen die Bierdimpfel schon den ganzen Tag und lachen über die Gschaftler, die jetzt erst auflaufen.
 
 17 Uhr: Auf einmal flirrt die Luft, das Lachen tönt lauter, die Schritte werden länger, die Suche nach Freunden aufwendiger. Dutzende Male ins Handy: „Wo seid ihr genau? Flussabwärts oder aufwärts?“ Die Doppel-Schlange vor dem Kiosk geht bis zum Fahrradweg – Peak Kiosk ist erreicht. Die Sonne steht über St. Maximilian wie Stoppuhr und Scheinwerfer zugleich. Tick-tack! Die Zeit läuft! Nur noch drei Stunden Licht!
 
Wartende Menschen schauen die Straße hoch: Wo ist das Date? Eine, die Angst hat, versetzt zu werden, macht das öfters so: treffen, ans Wasser. Schauen, wie man sich versteht. „Getränke aber von drüben, da ist weniger los. Man will ja nicht beim ersten Date in der Schlange stehen.“ Endlich kommt er. Lächeln. Abgang.

„Der Isarmensch jedenfalls hat viel Durst.“ 


Dafür stoppt ein Taxi. Raus springt Sven, 35. Boardshorts und Oberlippenbart. Er hat Geburtstag. Und vier Kästen Augustiner im Kofferraum, die er mit dem Taxifahrer auslädt. Sofort trifft er Elena, die mit Bloody Mary ausgerüstet ist. Drei kräftige Freunde von Sven stoßen dazu. Als einer mit dem ersten Kasten locker seinen Bizeps antestet, schaut Elena zweimal hin und sagt: „Hallihallo!“ Ein anderer trifft derweil zufällig zwei Mädels: Bussi, Bussi, „kennst du meine Schwester schon?“ Zusammen schnappt man „die Munition“ und zieht gen Wasser. Ein Radfahrer sieht die Kästen und ruft: „Saufen, Wochenende!“ Haha, tschüss, bis später. „Es gibt tausend Arten von Menschen“, weiß einer, der oberkörperfrei die Treppe hoch kommt. „Der Isarmensch jedenfalls hat viel Durst.“ Dann springt er in den Bus, das T-Shirt in der Hand. Schon in Ordnung. Ab dem zweiten Bier sind Brücke und Bus doch nur die Fortsetzung des Strandes mit anderen Mitteln.
 
Offenbar auch eher liberal zu verstehen: Das Grillverbot außerhalb der Grillzonen. Die wurden etabliert, als der Gasteig 2014 während einer Matthäus-Passion geräumt werden musste. Wegen Brandgeruchs. Angeblich vom Isarufer in die Klimaanlage gezogen. Deswegen patrouilliert die Security in roten Polohemden auf Fahrrädern am ganzen Flusslauf gegen die Schwarz-Griller. Fackeln und Lagerfeuer sind wohl eine Grauzone.
 
19 Uhr: Die renaturierte Isar klingt wie ein Rockkonzert. Auf der Brücke übertönt das Gebrabbel fast den Fluss und den Verkehr und die Gespräche, die jetzt saftiger werden: Zwei junge Frauen lehnen am Geländer, Blick gen Süden. Die eine: „Bei uns geht nichts mehr. Entweder, er ist zu besoffen, um es fertig zu bringen. Oder zu nüchtern, um anzufangen.“ Die andere: „Oh Gott! Bitte spring nicht.“




Dann ist es dunkel. Fast. So dunkel es in der Stadt eben wird.
 
Magisch: Kaum ist die Sonne weg, entspannen sich alle kurz. Zeit ist jetzt nur mehr eine Zahl. Blue hour. Wobei: Ganz hinten, irgendwo über der Fraunhoferstraße, ist der Himmel einen Moment lang noch rosa. Dann wird alles blau. Alle Arten Blau, von violett zu marineblau zu fast weißem hellblau. Dann ist es dunkel. Fast. So dunkel es in der Stadt eben wird.
 
22 Uhr: Die roten Lichter des Kraftwerks leuchten wie die Augen eines Tieres. Der Mond scheint hell, aber nicht hell genug. An den Dixie Klos leuchten die Handys. Einer spielt Mundharmonika auf der Brücke, erste Pfützen breiten sich am Geländer aus. Ist das Bier oder was anderes? Nachschub kommt vom Kiosk. Der kann die ganze Nacht verkaufen, weil Bier in Bayern als Grundnahrungsmittel gilt. Die Flaschen aufmachen darf er aber nicht. Also öffnet einer sein Beck’s tatsächlich mit der Augenhöhle. Applaus der Kumpels.
 
24 Uhr: Der Verkehr ist weniger geworden. Aber jeder gibt mehr Gas. Ist diese Brücke das Herz, dann schlägt es in der Nacht eher schneller als am Tag.
 
2 Uhr: Eine Flasche fliegt auf die Straße. Auch egal. Von Polizei nichts zu sehen. Vielleicht, weil auf der nordöstlichen Flussseite gesprayt steht: „Bullen in die Isar treten!“
 
Unter der Brücke ist manchmal richtig Alarm: Mal eskaliert eine Polizeikontrolle in eine Schlägerei, mal muss die Feuerwehr ein brennendes Obdachlosenlager löschen. Wenn auf der Brücke das Ich der Stadt spaziert, haust unter der Brücke ihr Es. Und was sagt das Über-Ich dazu? „War schon viel schlimmer“, meint der einzige Ordner, den man jetzt noch findet. Dann geht er heim.

Alexander Sacher Masosch schrieb: Alkohol ist eine Brücke, kein Weg.


3 Uhr: rotes Licht, Knall, eine Rakete über dem Fluss! Johlen, Applaus. Auch Geburtstagskind Sven eskaliert unten noch, sagen seine drei kräftigen Freunde. Sie aber haben alle Freundinnen und müssen heim. Ihren letzten Jägermeister verschenken sie. Ist da schon Licht am Himmel?
 
4 Uhr: Die Nacht ist kühl geworden. Eine Fackel glimmt noch. Das riesige Reinigungsfahrzeug „Mobi“ sieht aus wie ein leuchtendes Raumschiff, als es die Dixies abpumpt, verschwindet aber schnell wieder im All. Auf der Brücke wird eine Flasche hinter zwei Mädels hergeworfen, weil sie nicht mehr flirten wollen. A bisserl was geht immer? Vorm Kiosk sitzt ein betrunkener Halbwüchsiger und beleidigt auf Englisch. Es riecht verbrannt, überall Müll. Letzte tiefgründige Gespräche am Geländer. Einzelne Gruppen torkeln umeinander. Modus: betrunken hinfallen. Nicht mehr können. Am Boden liegen bleiben. Alexander Sacher Masosch schrieb: Alkohol ist eine Brücke, kein Weg.
 
5 Uhr: Ist da doch noch Musik? Unter der Brücke raven tatsächlich ein paar letzte Gestalten. Einer tanzt, vier sitzen um die Soundmaschine, die Discolicht von unten an die Brücke wirft. „Jetzt ist auch egal, Alter!“, ruft der DJ. Der erste Flaschensammler verscheucht eine Ratte aus den Gitterkörben. Von links taucht tatsächlich der Trinker im Dortmund-Outfit wieder auf und grüßt: „Servus, noch da? Ich will immer noch nicht lügen.“
 
Langsam bekommt der Himmel Flecken, blau und braun und weiß, als hätte er Risse. Die Löcher werden heller, der Himmel rosig. Das Wasser spiegelt die Farben. Für ein paar Sekunden ist man ganz alleine, auf diesem Stück Stein, das in der Luft hängt. Auf welche Seite soll man gehen? Und dann, wohin? Ist man nicht schon überall, wenn man auf der Brücke ist? Warum nicht bleiben?
 
So steigt die Sonne über das deutsche Museum wie ein Exponat. Bronzenes Licht fällt in die Stadt, auf die Brücke. Ja, es wird ein schöner Tag.

Die armen Millennials

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Angestrichen
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„And in the end, young adult incomes are basically right inside the range they've been in past decades. In other words, the story isn’t about decline, but about stagnation.“  

Wo steht das?
In dem Artikel „Millenials aren’t quite as poor as you think“ von Jordan Weissman im Slate Magazine. Weissmann möchte darin richtig stellen, dass es den Millenials, also den Jahrgängen 1977-1998, wirtschaftlich nicht viel schlechter geht, als den Generationen davor.

Was genau steht da?
Weissmann bezieht sich seinerseits auf einen Kommentar von Investor Steven Rattnor in der New York Times. Rattnor konstatiert die wirtschaftliche Schwäche der 18- bis 35-jährigen Amerikanern. Diese hätten nämlich von 2009 bis 2013 jährlich nur ein Gehalt von durchschnittlich 33.883 Dollar bekommen. Das sei 9,3Prozent weniger als in den Vorjahren und der Tiefstwert seit 1980. Um den armen Millenials unter die Arme zu greifen, schlägt Rattnor vor, die wohlhabenden Baby-Boomer mehr Steuern zahlen zu lassen. Für reiche Amerikaner könnte man, so Rattnor, außerdem Sozialleistungen kürzen.  

Bitte nicht, schreibt Weissmann. Alles halb so wild, die neuen Steuern und Reformen gar nicht nötig, die Millenial-Armut sei nur ein weitverbreitetes Missverständnis. Das rührte mitunter daher, dass 18-24 Jährige mit in die Studie aufgenommen würden, aber die hätten ihr Leben ja noch nicht wirklich im Griff. Die Altersgruppe der 25- bis 35-Jährigen sei in der Regel allerdings schon in der Arbeitswelt etablierter und sollte deshalb getrennt untersucht werden. Weissmann stellt zudem fest, dass die Gehälter der Frauen dabei kräftig aufgeholt haben.  Über 40,5 Prozent verdienen die 25-34 Jährigen jetzt mehr als noch 1980. Das durchschnittliche Einkommen lag damals unter 20.000 Dollar jährlich, nähert sich aber mit beinahe 30.000 Dollar jetzt allmählich dem der Männer an. Der Mittelwert aus Gehältern von Männern und Frauen, genau wie übrigens das Einkommen junger Haushalte, ist deshalb heute in etwa so hoch wie schon 1995.   Weil Männer und Frauen also im Durchschnitt nicht weniger verdienen, steht es gar nicht so schlimm um die Millenials sagt Weissmann. Sie müssten zwar wegen der hohen Miet- und Kaufpreisen für Immobilien bei ihren Eltern wohnen bleiben, länger ihre Studienkredite abbezahlen, bekämen auch etliche Jahre nach Vollendung ihrer Ausbildung keine Arbeit, länger als alle Generationen seit dem Zweiten Weltkrieg vor ihnen, aber abgesehen davon: kein Grund zur Panik.  

Und was lernen wir daraus?
Wie schlecht es um die Millenials steht, ist wohl Ansichtssache. Weissmann hängt sich an einer Prozentzahl auf, die ihm in Rattnors Text nicht differenziert genug ist. Wenn man genau hinsieht, sind die Statistiken, die Weissmann als Gegenbeispiel anbietet, aber keineswegs besser. Sicher, die jungen Amerikaner werden nicht gleich verhungern, anderswo ist die Armut lebensbedrohlich. Doch stagnierendes Einkommen ist auch nicht gerade lustig, wenn alles andere viel teurer wird.   Den Vorschlag von Rattnor nach Steuerreformen zu Lasten der Baby-Boomer rigoros abzulehnen, wie Weissmann es tut, könnte man noch mal überdenken. Die US-Wirtschaft braucht gut ausgebildete Akademiker und vor allem Akademikerinnen. Wenn man sich aber hoch verschulden muss, um einen anständigen Abschluss zu bekommen, rechnet sich die Ausbildung nicht. Die nächsten Generationen könnten den Universitäten fernbleiben, den USA würden gut ausgebildete Fachkräfte fehlen.

Neues von der Bimmelbahn

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Machen wir es kurz, der Thematik wegen: Es gab einen Penis zu sehen. Einen prominenten Penis, den von Lenny Kravitz. Der Sänger ging auf einem Konzert in Schweden einmal Beyoncé-mäßig in die Hocke und entließ dabei sein Gemächt mit einem kräftigen Ratsch in die Freiheit. Stationen der folgenden 48 Stunden: Lederhose gerissen, Nahaufnahmen vom Intimpiercing online, Fangemeinde beglückt, eigenen Hashtag bekommen und überhaupt als ziemlich badass abgestempelt – eine insgesamt erfreuliche #penisgate-Bilanz für den Musiker, dessen Popularität durch die Nacktgrätsche offensichtlich eher profitiert.  

http://vine.co/v/eHxF1725Twu

Denn nicht nur stand Kravitz als der lässige Rocker da, es gab endlich mal wieder einen konkreten Anlass für Peniswitze, Variante kleiner Bruder, „Lenny rocks out with his cock out “ (MTV) bis väterlicher Zeigefinger: „Lenny Kravitz: how easy is it to rip leather trousers?“ (The Guardian). Kravitz selbst blieb natürlich cool. Er twitterte lediglich die erstaunte SMS von Kollege Steven Tyler:






Fanden deren Töchter erwartbar super. 





Das alles ist unterhaltsam. Und ein bisschen Schulhof.   

Es könnte nun Zufall sein, oder ein sorgfältig geplanter Coup zweier Penisaktivisten, dass der US-Schauspieler Kevin Bacon gerade erst unter dem – zugegeben recht naheliegenden – Slogan „Free the Bacon“ ein Video veröffentlichte, in dem er Hollywood auffordert, endlich mehr nackte Männer auf der Leinwand zu zeigen. Eine Frage der Gleichberechtigung: Bacon sagt über sich selbst, er versuche schon seit Jahren den Misstand zu ändern, seine Akt-Auftritte werden aber immer wieder zensiert. Er spricht damit vielen Kolleginnen (und Kollegen) aus der Seele.  

http://www.youtube.com/watch?v=lvuUTokJKDI

Auffällig auch, dass Kravitz Auftritt deutlich weniger konservative Wellen schlug, als Janet Jacksons Nippel-Equivalent im Jahr 2004. Lag‘s am Superbowl? Sind wir in den vergangenen zehn Jahren doch ein bisschen lässiger geworden? Oder ist das am Ende eine Frage von #nipple vs. #penis? Vielleicht. 

Nun also ist die Ära des Penis gekommen. Schön, dass Kravitz und Bacon den Anfang machen. Das Video von Bacon macht jedoch darauf aufmerksam: Kravitz erntet auf der Bühne brüderliches Schulterklopfen und maximal leichte Scham für etwas, das sonst ohne Umschweife aus jedem Film geschnitten wird. Für Bacon gelten offenbar andere Maßstäbe. Denn er ist kein Rockmusiker, sondern Hollywoodschauspieler. Und irgendwie gilt da immer noch der Hihi-Pillermann-Reflex aus der Schulzeit. 

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sina-pousset

Der Hiroshima-Simulator

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Als die Bombe in Hiroshima einschlug, verwüstete sie einen ganzen Landstrich, tötete 66.000 Menschen, verletzte weitere 70.000 und verstrahlte mehrere Tausend Folgeopfer. Aus der Luft war die japanische Stadt plötzlich ein weißer Fleck.

Wie können wir ein Ereignis begreifen, das heute 70 Jahre zurückliegt und von dem es bald keine Zeitzeugen mehr gibt? Etwas vom Ausmaß der Katastrophe wird nun durch zwei Programme greifbar. Die Medienorganisation PRI entwickelte eine Software, mit dem sich der Einschlag auf jeden beliebigen Ort auf der Erde übertragen lässt: New York, Florenz, Berlin oder die eigene Heimatstadt. Wie groß wäre die Verwüstung dort gewesen? Wie viele Todesopfer hätte es gegeben? Hier geht es zu dem Simulator. 


So richtig begreifen lässt sich Hiroshima dadurch nicht. Aber die Technik macht zumindest einen Bruchteil der Katastrophe erfahrbar.

"Weiße haben Angst vor mir"

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Menschen demonstrieren auf Baltimores Straßen. 

"Das erste Mal wurde ich in der Grundschule Nigger genannt. Ich muss so sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Von den anderen Kindern, auf dem Gang vor dem Klassenzimmer. Sie beschimpften und lachten mich aus. Ich ging nachhause, fragte meine Eltern, was mit mir nicht stimmt und weinte. Von diesem Tag an war vieles plötzlich anders.  

Ich bin in Baltimore aufgewachsen, im östlichen Teil, dem es wirtschaftlich besser geht als dem Rest der Stadt. Meine Eltern sind mit mir und meinem Bruder aus New York dorthin gezogen, weil das einfach preiswerter war. Der Unterschied zwischen Ost- und West-Baltimore ist riesig. Im Osten gibt es Gegenden, da kommt die Polizei und hilft praktisch beim Müllrausbringen. Die Menschen im Westen haben dagegen so gut wie keinen Polizeischutz. Wenn du die Polizei rufst, weil es um dein Leben geht, dann musst du froh sein, wenn sie überhaupt kommt. Klingt nach einem Klischee, aber so ist es leider. Meine Mutter wollte damals, dass wir auf eine Grundschule gehen, in der Kriminalität kein Thema war. Und die spielte dort tatsächlich fast keine Rolle. Rassismus dafür umso mehr. Die meisten Schüler waren weiß. Ich war der Sündenbock für viele Dinge, die Weiße mit Schwarzen in Verbindung bringen. Das mit Nigger hatten die Kinder wohl von ihren Eltern. Mit sechs Jahren! Wenn ich da heute drüber nachdenke, oh Mann. Da ist soviel Verbitterung dabei, so viel Hass. 

Gute Noten waren für mich ein Ticket raus aus dieser Welt


Ich war schon immer ganz gut in der Schule, die Lehrer lobten mich oft, und die anderen Schüler bekamen dadurch mehr Respekt vor mir. Und mir half es, mit der ganzen Feindseligkeit klar zu kommen, mit den abfälligen Blicken, den demütigenden Bemerkungen. Im Nachhinein wurde ich glaube ich auch deswegen ein guter Schüler und Student. Ich hatte schon früh kapiert, dass gute Noten für mich das Ticket raus aus dieser Welt bedeuteten.

Meine Highschool-Zeit war weniger behütet. Es gab dort regelmäßig Feuer in den Toiletten, irgendwelche Idioten machten sich einen Spaß daraus, die Papierkörbe anzuzünden. Leute hatten Messer dabei und wurden festgenommen, es gab Schlägereien, es wurden Drogen verkauft. Von einigen meiner alten Klassenkameraden weiß ich, dass sie gerade im Gefängnis sitzen, manche schon zum zweiten oder dritten Mal. Ich hatte Glück, meine Mutter und meine Lehrer waren auch dort sehr dahinter, dass ich nicht vom Weg abkomme. Das Komische am Rassismus ist, dass er immer da ist und man weiß irgendwann gar nicht mehr, wann das eigentlich begonnen hat. 

Es macht keinen Spaß mit der Polizei in Baltimore zu tun zu haben


Trotz der ganzen Feindseligkeiten gibt es natürlich auch sehr nette weiße Menschen, mein Freundeskreis ist relativ gemischt. Latinos, Weiße, Schwarze. Aber das ist im amerikanischen Durchschnitt gesehen eine Ausnahme.  Ich als Schwarzer muss auch aufpassen, dass ich nicht in den gleichen Rassismus verfalle und sage, alle Weißen seien gleich. Da muss ich mich leider sehr oft daran erinnern.  



Dominique Oliver wuchs in Baltimore auf. 

Als ich elf war, spielte ich mit ein paar Jungs aus meiner Nachbarschaft Basketball hinten bei uns im Hof. Es gab eine Diskussion, ob der Ball aus war oder so was in der Art, und nach fünf Minuten war plötzlich die Polizei da. Egal ob du weiß oder schwarz bist, es macht keinen Spaß, mit der Polizei in Baltimore zu tun zu haben. Eine Nachbarin hatte die Cops gerufen. Sie hatte Angst, dass wir plötzlich wie die Irren anfangen, mit Waffen um uns zu schießen. Sie sah schwarze Menschen, und dann kamen die schlimmsten Ängste in ihr hoch: Die Nigger haben Knarren, die ruinieren die Nachbarschaft, alles geht den Bach runter. Ich kann das irgendwie verstehen. Unsere Zeitungen, das Fernsehen, alles ist voll von solchen Geschichten. Schwarze und Überfälle. Schwarze und Drogen. Schwarze und Schießereien. Das ist nicht nur in Baltimore so, sondern überall in den USA. 

Die Rolle der Medien ist gewaltig. Mike Brown wurde von Fox News ein Monster genannt. Trayvon Martin galt als Landstreicher. Es ist immer die gleiche Geschichte. Es ist wie eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt. Die  Dinge, über die jetzt groß berichtet wird, sind Geschichten, die jeden Tag passieren. Die Schicksale von Schwarzen wurden bisher eigentlich immer ignoriert. Das Perfide ist ja bislang immer gewesen, dass den Opfern die Schuld gegeben wurde: Die Leute hätten sich falsch verhalten, sie seien weggelaufen, hätten ja Kapuzenpullis getragen, hätten sich verdächtig bewegt. Durch die Bodycams der Polizisten ändert sich das nun langsam, jeder kann sich seine eigene Meinung bilden. Cops kommen mit Lügen nicht mehr davon.

>>> Auch auf der Elite-Uni Columbia gibt es Rassisten
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In Baltimore und New York- die Orte, die ich am besten kenne - achtest du auf jeden Schritt. Du hast Angst, in irgendeine Sache mit der Polizei verwickelt zu werden, die eskalieren könnte. Das geht so, seit ich denken kann. Du kannst jederzeit kontrolliert werden, das denkst du immer mit, wenn du aus der Tür gehst. Alle schwarzen Männer die ich kenne, wurden schon von der Polizei kontrolliert. Die meisten mehrmals. Viele Weiße haben Angst vor mir, obwohl ich ein netter Typ bin. Ich habe mich noch nie in meinem Leben geschlagen, ich kann an zwei Händen abzählen, wie oft ich betrunken war. Ich rauche nicht einmal.



In Baltimore gerieten Polizisten und Demonstranten aneinander. 

Nach der Highschool erhielt ich ein Stipendium für die Columbia University in New York. Das war mein Ticket für ein besseres Leben. Aber in der Uni ging es genauso weiter, wie vorher auch. Ich dachte, je mehr Bildung die Menschen besitzen, desto weniger Vorurteile haben sie. Da lag ich aber ziemlich falsch. In meinem ersten Semster dort schockierten mich die vielen Hakenkreuz-Schmierereien in den Toiletten,  auf die Tür eines Dozenten sprayte jemand den Aufruf, Schwarze zu töten. Viele der Studenten dort haben keinerlei Erfahrung mit Schwarzen, weil sie in Gegenden aufwuchsen, in denen es einfach keine oder nur sehr wenige gibt. Aber ich habe mich angepasst. So geht es anderen Schwarzen auch, die in solche Sphären kommen: Sie passen sich dem an, was die Weißen für ein Konzept von ihnen haben: „Oh, sie haben sich hochgearbeitet. Es geht ja doch, wenn sie sich anstrengen“. Das ist so eine „der edle Wilde“-Geschichte. Das ist zum Kotzen. Aber ich habe da irgendwie schon mitgespielt. Um akzeptiert zu werden.

Für viele Schwarze kommt nur ein Job bei Walmart infrage


Seit ein paar Jahren lebe ich in London, ich kam für meinen Master und schreibe gerade an meiner Doktorarbeit. Das war das erste Mal, dass ich für längere Zeit aus Amerika weg war. Das war echt krass. Nach ein paar Wochen merkte ich, wie sich in mir ganz langsam etwas veränderte. Es dauerte dann noch mal ein paar Wochen, bis ich realisierte, was das eigentlich war: Ich hatte keine Angst mehr. Nicht mehr dieses Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, aufpassen zu müssen.

Für meine Generation ist die Situation in Amerika ziemlich frustrierend. Es heißt immer, wir seien alle gleich, oder: dies und jenes dürfe nicht mehr passieren. Und dann bleibt doch alles irgendwie beim Alten. Ich meine, wir hatten die Bürgerrechtsbewegung in den 60ern, wir haben einen schwarzen Präsidenten. Das klingt nach viel. Aber auf der anderen Seite  sind die Gefängnisse voll mit Schwarzen, ist die Arbeitslosenrate der Schwarzen doppelt so hoch wie die der Weißen. Der wirtschaftliche Druck ist immens, wenn du schwarz bist und keine super Qualifikationen hast, dann kommt nur Walmart für dich infrage. Du hast das Gefühl, in der Gesellschaft der Versager zu sein. Und dann musst du dir auch noch von den alten Bürgerrechtlern anhören, nicht genügend für eine Veränderung zu kämpfen. Heutzutage sieht der Rassismus aber anders aus, man darf in Bussen an jedem Platz sitzen, man darf im Grunde auf alle Unis. Der Rassismus ist nicht mehr so offensichtlich. Aber er ist da. Man kann ihn zum Beispiel sehen, wenn Schwarze ohne Grund erschossen werden."           

30 Weisheiten

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Er wurde 30 und fürchtete, nun sei alles vorbei. Nun würde alles so ernst und schwer und spaßbefreit. Da fühlte er sich plötzlich wie 94. Er setzte sich hin und grübelte. Wer war er und was hatte ihn das Leben bisher gelehrt? Ian Mathias schrieb es auf. Und dachte sich: Ich wünschte, jemand hätte mir all das zu lesen gegeben, als ich 16 war. Er stellte es auf eine Website, nannte sie 30x30 und wünschte sich, seine Ratschläge mögen anderen Menschen zu etwas nutze sein.
Mittlerweile wurde seine Seite fast eine Million mal angeklickt. Denn seine Ratschläge sind gut, und sie machen Spaß, zu lesen und die Website ist schlicht und einfach.





Die Überschriften der 30 Texte lauten:

1. Be brief
2. You’re most likely average
3. Luck is a big deal
4. Don’t be an asshole
5. Sex is awesome and important
6. Two expressions to fiercely avoid
7. You can’t talk you way out of getting dumped
8. Heartbreak is critical
9. No one has it figured out
10. Empathy is complicated
11. Education is good for everyone
12. Unlearn the rules of education
13. Few things are truly urgent
14. Connections vs. bonds
15. The miracle of birth? Not really
16. Introversion is underrated
17. If you’re a white guy, be good at it
18. Cooking is extremely attractive
19. Reputation is ridicoulus, but important
20. Shouting is for assholes
21. Fight
22. Religion ... meh
23. Go easy on touching
24. Nice is overrated
25. Travel Smartly
26. „All you haters suck my balls“
27. Embrace weakness
28. Veritas Vos Liberabit
29. Drama is in the details
30. John Lennon almost got it right

Was bleibt zu sagen? Man wünscht sich, man hätte diese Website mit 16 schon entdeckt.

Jungs, wann seid ihr niedlich?

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Hallo Jungs,


neulich habt ihr uns nach dem Zweck des Hopsens beziehungsweise Hüpfens gefragt, und natürlich – so haben wir geantwortet – geht’s dabei auch ums Niedlichseinwollen. Das ist ziemlich kindisch und ein bisschen einfach gestrickt, wir geben es zu. Aber so ist es eben mit dem Dasein in einer Gesellschaft. Man versucht, irgendwie durchzukommen, und das ist sowieso schon hart genug, da werden ein paar billige Manipulationsstrategien ja wohl gerade noch erlaubt sein. 






Das müsstet ihr, und schon sind wir bei unserer Frage, eigentlich am allerbesten verstehen. Denn diese Niedlichkeitsmasche, die wir gern für uns beanspruchen und die uns ja auch oft etwas anprangernd vorgeworfen wird (Stichwort Mädchenbonus, verletztes Reh und so) scheint auch bei euch Jungs Hochkonjunktur zu haben. Nur redet da irgendwie keiner so richtig drüber. Ihr werdet ja schon seit einiger Zeit immer niedlicher – da, wo der Mann früher der abgeklärte Cool-Hengst war, ist er jetzt immer öfter das vertrottelte Träumerchen oder das freche Vorschulbübchen, wenn er – ja, wenn er was eigentlich genau bezwecken will? Das wäre schon die zentrale Frage. Oder halt: Noch zentraler ist vorher die Frage, ob ihr damit überhaupt was bezwecken wollt? Steuert ihr es also bewusst oder passiert es mit euch, ohne dass ihr Einfluss drauf habt?

Wäre auch möglich. Denn es passiert oft relativ subtil. Wir können es gar nicht richtig an Beispielen festmachen, es ist eher so ein Sound, so eine Attitüde, ein Gesichtsausdruck, ganz kurze Verhaltensaussetzer in den alltäglichsten Situationen: Ihr verstellt kurz die Stimme und sprecht so ganz hilflos und kleinjungenhaft, ihr macht große Augen, ihr kichert albern, ihr seid eben irgendwie hilflos und süß und das aber fast schon ein bisschen ironisch. Man merkt, dass ihr das gleichzeitig ernst meint und nicht ernst. Dass ihr, ja, vielleicht ja auch das: In eurer vorgespielten Niedlichkeit unsere Niedlichkeit imitiert. Böse und liebevoll zugleich. Und noch was: Das Niedlichsein, das macht ihr ja meist nur Frauen gegenüber. Wenn ihr den Niedlichen in euch rausholt, ist garantiert kein anderer Mann dabei. 
 


Ist das jetzt also vielleicht so eine neuentdeckte Flirt- oder Beziehungs-Nettigkeitsstrategie von euch, dass ihr eben unter Frauen nicht mehr Batman sein wollt, sondern lieber Gaston oder Donald: ganz lustig, ganz cool, irgendwie auch smart, aber vor allem ganz schön vertrottelt und dabei so unheimlich lustig und süß und herzerweichend, so dass man ihnen nie böse sein kann? Ist das eine Strategie, die euch aber auch ein bisschen peinlich ist und die doch sehr intim ist und die deshalb nur ausgespielt werden darf, wenn es keinen zweiten männlichen Blick gibt, der euch deshalb zur Witzfigur degradiert? Oder ist sie total metamäßig und kühl und klug und als ein ironischer Kommentar zu unserer ja ziemlich aus der Mode gekommenen und als weibchenhaft verschrienen Mädchenbonus-Niedlichkeit zu lesen? Quasi ein vorgehaltener Spiegel? 
 


Vielleicht gucken wir ja auch einfach nur alle zu viele Videos von Babytieren und vielleicht denkt ihr armen Männlein, uns Frauen des 21. Jahrhunderts könne man nur noch als Pandabärchen beeindrucken? Oder vielleicht seid ihr froh, vor uns Mädchen endlich wieder öffentlich der kleine Junge sein zu dürfen, den ihr seit Jahrhunderten mit spätestens 14 Jahren aberzogen bekommt? Wir ahnen viel und wissen fast nichts! Deshalb: Aufklären bitte, diese rätselhafte Männerniedlichkeit! Wann seid ihr niedlich und wann auf gar keinen Fall? Wer darf euch niedlich sehen und was soll das bei ihm auslösen?

>>>Die Jungsantwort von elias-steffensen: Denk an den Hund!<<<
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Hey Mädchen,

Puh, ne Menge Fragen, die ihr diesmal habt. Ich sortiere eben noch mal grob durch: Sind wir niedlicher geworden? Können wir das bewusst steuern, setzen wir es also (ein bisschen) manipulativ ein? Wenn ja: Was bezwecken wir damit? Ist es eine neuentdeckte Flirt- oder Beziehungs-Nettigkeitsstrategie? Imitieren wir euch, wenn wir niedlich sind – Stichwort Spiegel? Sind wir vor Jungs auch niedlich? Und wenn nein: Warum nicht? Ist da Ironie dabei? Oder, wohl eher: Wie viel Ironie ist da dabei? Ist es uns peinlich, niedlich zu sein? Wollen wir wieder 14 sein? Alter?!?!

Eigentlich wollte ich im Angesicht so vieler Fragen schon total unniedlich fragen, ob ihr eigentlich denkt, dass wir gar nix anderes zu tun haben?! Aber dann habe ich gemerkt: Ist eigentlich ganz einfach. Denkt an den Hund!





Der Hund an sich ist ja schon ziemlich niedlich. Und wann ist der Hund besonders niedlich? Genau: Wenn er heimlich ein bisschen auf den Flokati geschissen hat, und merkt, dass das kein Geheimnis bleiben wird. Wenn er gekrault werden will. Oder nen Knochen haben. Kluges Viech! Wir können viel lernen vom Hund. Oder halt: Wir haben viel gelernt.

Unsere Niedlichkeitsmomente und seine decken sich jedenfalls auffällig. Wir sind zum Beispiel dann tendenziell süß, wenn wir irgendwas von kleiner bis mittlerer Bedeutung ein bisschen verkackt haben. Badewanne vergessen und Überschwemmung gemacht: niedlich. Spülmaschine nicht ausgeräumt: niedlich. Halb-sexistischen Witz halbernst gerissen: niedlich. Gesagt: „Wird nicht spät heute“ und dann um sieben in der Früh heimgekommen: super niedlich, weil dann ja auch mit Schoko-Croissants in der Hand! Mit eurer besten Freundin geschlafen: nicht niedlich! Das hinge zu hoch, um es mit Niedlichkeit noch abfangen zu können. Eh klar.

Weitere Gelegenheiten: Ihr seid gerade extrem gestresst, abgespannt, fertig, nölig, kühl, abweisend, müde – aber wir wollen trotzdem gekrault werden. Niedlichkeit durchdringt jeden Schutzpanzer. Deshalb werden Tiere ja auch bei Therapien eingesetzt. Also: niedlich. Und wenn wir irgendwas abseits von Streicheleinheiten von euch wollen, dann wohl auch. Da aber deutlich seltener. Da seid ihr uns noch weit voraus. Weil es bei euch besser funktioniert.

Denn wenn irgendwer (ich zum Beispiel) sich am Anfang noch nicht ganz sicher war, ob das jetzt eine Strategie ist oder nicht, muss man nach diesen Absätzen wohl sagen: Ja, eher Strategie. Ja, wir imitieren euch da, aber nicht, um euch einen Spiegel vorzuhalten, sondern weil wir gemerkt haben, dass es bei euch seit Jahrzehnten (Jahrhunderten?) funktioniert und bei uns jetzt eben auch ein bisschen. Und ja, ein bisschen Ironie ist da auch dabei. Aber vielleicht sogar etwas weniger als ihr denkt.

Und damit noch mal zurück zum Hund. Denn wann ist der Hund gar nicht niedlich? Genau: Wenn andere Hunde da sind, die auf seinen Flokati scheißen könnten. Das mag er nicht, der Hund, und wir auch nicht. Wenn also andere Typen da sind: eher weniger niedlich.

Und um dieses unsägliche Viecherfeld auch mal wieder zu verlassen: Ganz so stimmt es ja auch wieder nicht. Wir können sehr wohl vor Typen niedlich sein. Wir müssen sie aber gut kennen dafür. Und mögen auch. Ein gewisses Vertrauen muss da sein und man muss sich auf Augenhöhe begegnen. So, und jetzt doppelte Überraschung: Genau dasselbe gilt bei und für euch auch.

Wir sind euch gegenüber nur dann niedlich, wenn wir vorher/nachher/parallel/drumherum auch mal gar nicht niedlich waren. Sondern Cool-Hengste. Oder ein bisschen prollig. Oder eben auch auf ganz normale, gradlinige Art nett. Irgendwas jedenfalls, das in Summe mit Niedlichkeit immer noch eine Form von Souveränität ergibt. Dieses Spielchen mit Nähe und Distanz (Offenheit und Geheimniskrämerei, lieb und abgeklärt ...) eben, das das miteinander Flirten und miteinander Leben spannend und erträglich hält.

Und das wäre dann zum Abschluss auch noch unser Tipp: Niedlich funktioniert auch bei euch nur in Verbindung mit einer grundsätzlichen Souveränität. Nur niedlich, das geht uns genau so auf die Nerven, wie es das bei euch täte, wenn wir nur noch Säusel-Schnuffis wären.

Twinkle, twinkle,
Elias

Ohne Worte

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Da kommt ein Gedanke, ein Metagedanke über das, was sie hier gerade tut, er fährt ihr in die Mundwinkel, sie amüsiert sich, immer mehr, denkt: Nee, soviel Lachen ist doch jetzt albern, oder? Lächeln, Lächeln verkneifen, loslassen - ist doch egal, ist doch eigentlich echt egal, ach, naja, okay, was mache ich jetzt mit meinem Gesicht, naja nur gucken eben, das sollte ich ja, da sein, ist ja ganz einfach. Nee, eigentlich ganz schön schwer. Oder: Komisch. Oder so. Und dann bewegt sie den Kopf, ein kleiner Ruck, als wolle sie im Affekt einfach gehen, nein, halt dableiben, du musst noch ein paar Minuten, achso, fast vergessen, ok, weitergucken, ich sein.

http://vimeo.com/127362706

Das ist das Video von Léa. Ihre Gedanken sind vielleicht ganz andere, wer weiß das schon, man sieht sie ja nicht. Und sieht sie doch. Beim Ansehen der Videos des Projekt "Portraitdrome" versucht man, in Gesichtern zu lesen, aber man bleibt natürlich Träumer und Mutmaßer. Und das ist schön. Drei Minuten ist auch eine passable Zeit dafür, so lange kann man sich ein Video schon mal anschauen, und irgendwie vergeht die Zeit auch ganz schnell. Im schweigenden Nur-Angucken einer Person, die auch nur schweigt und vermeintlich zurückguckt und einen nicht sieht, wird man ganz still und meditativ und nachdenklich und leicht.

Wie wäre ich selbst vor der Kamera? Was würde ich machen? Welche Zuckungen gibt es in meinem Gesicht, welches Leben spielt sich da ab, wenn jemand drei Minuten drauf hält? Wäre es wichtig, das zu wissen? Wäre es nützlich? Würde es mir etwas verraten, das ich nie ahnte?

Naja, egal erstmal. Erstmal weitergucken. Sind ja noch so viele da. Lenny, Mathilde, Tiana, David, Christian, Juliette, Roland. Was machen die wohl sonst so? Kann man sich jetzt alles in Ruhe ausdenken. Während sie nur da stehen und schweigen. Wie man selbst auch schweigt, während man sie ansieht.

mercedes-lauenstein

Wir haben verstanden: KW 32

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  • Wer fragt, ob man auf Junggesellenabschieden wirklich jeden Scheiß mitmachen muss, bekommt schnell das Gefühl vermittelt, ein schlechter Freund zu sein.

  • Manchmal guckt man auf sich selbst wie auf ein Baby. Zum Beispiel, wenn man sich total freut, dass man endlich mal durchgeschlafen hat.

  • Die blödestens Kommentare vorbeirasender Radfahrer mit Aggressionen sind die „ironischen“ Kommentare. Statt „Du stehst im Weg!“ rufen sie dann „NOCH BESSER KANN MAN ABER AUCH NICHT STEHEN!“

  • Es ist nicht möglich, eine reife Mango aufzuschneiden, ohne ein Mango-Massaker anzurichten.

  • Eine unterschätzte Institution: das Dartcafé.

  • Wenn du Fragen hast, deren Antwort dir nicht gefallen könnte – stell sie einfach nicht.

  • Seinen Körper nach ein paar Wochen Krankheit endlich wiederzubekommen, fühlt sich an wie eine Neugeburt und macht sehr glücklich und bescheiden.

  • Darf nie in Vergessenheit geraten: Wie herrlich befriedigend es ist, kalte Milch pur aus dem Glas zu saufen.

  • Bestes Sommergericht, immer wieder: Wassermelone mit Feta. Bestes Sommergetränk, immer wieder: Wassermelone mit Eis und Minze.

  • Die verlässlichste Methode, sich jede Würde zu nehmen, ist: in Schuhen zu laufen, in denen man nicht laufen kann.

  • Ein paar Tage lang körperlich zu arbeiten und abends erschöpft ins Bett zu fallen, ist so erfüllend wie sonst nichts und beweist mal wieder: Der Mensch ist dazu gemacht, mit seinem Körper zu arbeiten und nicht vor dem Computer.

  • Bei Haustieren anderer Menschen gilt dieselbe ungeschriebene Regel, wie bei deren Babys: Man sagt "Oh, wie süß", auch wenn das Ding potthässlich ist.

  • Ein Schnitzel schmeckt auch in der Hitze gut.

  • Dass nach einer Mandel-OP Eis hilft, ist eine Lüge.

Die Stadt kennenlernen und Nazis ärgern

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Wichtigster Tag der Woche:

Weil ich mir Nazis so gerne von Nahem ansehe, gehe ich am Samstag zur Demonstration gegen die Nazikundgebung vor dem MIRA Einkaufszentrum. Geflüchtete und MigrantInnen sind in München willkommen und das will ich den rechten Banausen persönlich sagen.

Kulturelle Highlights:

Selbst mitsingen möchte ich nicht und überlasse das mal den Mutigen, die sich am Donnerstag im Wannda Circus an die offene Probestunde des "Münchner Kneipenchors" heranwagen. Danach ab 21Uhr gibt es eine Jamsession mit hoffentlich vielen verschiedenen und ganz coolen MusikerInnen.

Politisch interessiert mich:

Die Situation in der Türkei und Kurdistan. In kürzester Zeit hat sich die politische Lage vom Friedensvertrag zu einer bürgerkriegsähnlichen Situation entwickelt. Ich mache mir Sorgen um FreundInnen und Verwandte, die das dort alles hautnah miterleben müssen.  

Soundtrack:

Was so in den Charts ist, kriege ich über das Radio mit. Auf ein bestimmtes Album warte ich gerade nicht. Aber was mich letzte Woche wirklich beeindruckt hat, ist der Clip „Female Rap Around the World“. Hip-Hop ist nicht nur von gestern und nicht nur männlich.

Kinogang:
Um nicht noch mehr Zeit in stickigen Räumen zu verbringen, aber trotzdem nicht auf Kino verzichten zu müssen, genieße ich die Open-Air-Kinosaison. Deswegen schaue ich mir Mittwoch „Taxi Teheran“ auf der Seebühne im Westpark an. Eine kleine Reise in den Iran mit „Kino, Mond und Sterne“. (Ent)spannender Ort und guter Film. Top.

Geht gut diese Woche:

U-Bahn und Tram Hopping, um die Stadt besser kennen zu lernen. Dazu ein langer Spaziergang an der Isar und im Englischen Garten, um das grüne München zu entdecken.

Geht gar nicht:
Sich immernoch immer wieder über die Hitze beschweren.

"Ziviler Ungehorsam für ein besseres Europa!"

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Die Show beginnt um zehn Uhr morgens. Peng-Aktivist Ruben steht bei 32 Grad im schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd vor dem Brandenburger Tor in der prallen Sonne. Ein RTL-Reporter hält Ruben ein Mikrofon ins Gesicht, überall wuseln Fotografen herum. Hinter dem Aktivisten steht ein kleines Podest mit EU-Flagge und Foto von Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission und heute „leider abwesend“, wie Ruben gespielt traurig sagt. Dann spricht er Sätze wie: „Heute verleihen wir Fluchthelferinnen und Fluchthelfern das Europäische Verdienstkreuz am Bande, denn sie haben einen nötigen und wichtigen Akt des zivilen Ungehorsams für ein besseres Europa geleistet.“ Bei „besseres Europa“ zeichnet er mit der linken Hand einen großen Bogen in der Luft, wie das ein wichtiger Pressesprecher wohl auch tun würde.



"Ich bin Fluchthelfer!": Ein Plakat des "Peng-Collective" in Berlin.
 
Dieser Freitagmorgen ist nicht nur einer der heißesten Tage des Jahres, er ist auch der Höhepunkt eines auffällig politischen Sommers. Das „Zentrum für Politische Schönheit“, eine Berliner Künstlergruppe, war wochenlang in den Medien, weil es Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gestorben sind, symbolisch vorm Kanzleramt bestatten lassen wollte. Im sächsischen Freital kaperte der Adbusting-Künstler „Dies Irae“ Werbeflächen mit Slogans wie „Nazis essen heimlich Falafel“, nachdem die Bewohner dort wochenlang gegen ein neues Asylbewerberheim demonstriert hatten. Und jetzt also seit vergangener Woche Montag eine neue Aktion vom„Peng-Collective“.
 
In einer Plakat- und Online-Kampagne ruft die Berliner Künstlergruppe dazu auf, bei Urlaubsreisen Flüchtlinge im privaten PKW über die europäischen Grenzen zu fahren. „Für Einsteiger“ erst mal nur die Grenzen des Schengenraums, bei denen es für gewöhnlich keine Passkontrollen gibt. Aber auch Hilfe bei der generellen Einreise nach Europa begrüßen sie. Das Kollektiv nennt das „Fluchthilfe“ und beruft sich bei dem Begriff auf DDR-Zeiten – die Helfer von damals seien später schließlich auch als Helden gefeiert worden. Deshalb auch die Verleihung des fiktiven „Europäischen Verdienstkreuzes am Bande“.
 
Das deutsche Aufenthaltsgesetz kennt einen anderen Begriff für das, was Peng fordert: „Einschleusen von Ausländern“. Wer mehrfach, mehr als eine Person oder für eine Gegenleistung Ausländer ohne Aufenthaltstitel nach Deutschland bringt, wird mit Freiheitsentzug oder einer Geldbuße bestraft. In anderen europäischen Ländern sind die Gesetze noch strenger. Die Aktion von Peng bewegt sich also am Rande der Legalität. Was zu der Frage führt: Warum machen die das?
 
Einige Wochen zuvor in einem alten Fabriksgebäude in Berlin-Kreuzberg: Zehn Menschen sitzen im Kreis, in der Mitte eine geblümte Oma-Teekanne mit Wasser. Ein paar teilen sich Sterni-Bier. Hier wohnt Jean, Mitbegründer von Peng. Ein Typ, der dir mit einem Blick das Gefühl geben kann, die wichtigste Person im Raum zu sein. Charisma nennt man das wohl. Eigentlich nimmt Peng die Eigenbezeichnung „Collective“ sehr ernst. Es gibt flache Hierarchien, jeder darf mitmachen und wenn man auf ihrer Webseite auf „Team“ klickt, erscheinen bloß Stock-Fotos mit absurden Personenbeschreibungen. Man weiß also nie genau, wer hinter alldem steckt. Einzelne können damit schwerer für illegal vollplakatierte Innenstädte oder angebliche Verleumdungen verantwortlich gemacht werden.

Jean verkündete als falscher Pressesprecher von Vattenfall schon deren Aussteig aus der Braunkohle - live aus dem Foyer der Firmen-Zentrale


Trotzdem ist Jean so etwas wie das Gesicht des Kollektivs. Er steht meistens auf der Bühne, wenn Peng Lärm macht. Bei der ersten Aktion, im Dezember 2013, schlich er sich als Paul von Ribbek beim Shell Science Slam im Berliner Tempodrom ein, um eine Ölfontäne über die Bühne zu schießen. Bei der Re:publica im Folgejahr gaben er und eine Peng-Komplizin sich als Google-Mitarbeiter aus, die die neue Anwendung „Google Nest“ zur Speicherung der persönlichsten Daten vorstellten – Google schaltete daraufhin seine Anwälte ein. Im März dieses Jahres war Jean wiederum falscher Pressesprecher von Vattenfall und verkündete deren Ausstieg aus der Braunkohle – live aus dem Foyer der echten Vattenfall-Zentrale. Bei der aktuellen Aktion will er sich nun zurückhalten – auch, um den Kollektivgedanken nicht zu gefährden.
https://www.youtube.com/watch?v=At9rWPj7MzU

Die Sitzung gerade in Kreuzberg leitet deshalb also Ruben, Jean sitzt in Jogginghose mit mehreren Leuten auf seinem Bett und hört zu. „Nächster Punkt auf der Tagesordnung: Was schreiben wir auf die Header für Facebook, damit andere die auch auf ihren Seiten einsetzen wollen?“, fragt Ruben in die Runde. Auf seinem Pullover steht „Freedom of Movement is everybody’s right“. Ruben hat als Journalist schon einen selbstorganisierten Hilfstransport nach Syrien begleitet und wurde vergangenes Jahr in der Türkei verhaftet, als er über kurdische Proteste berichten wollte. „Fluchthilfe rettet Leben – so wie bei der Blutspende“, schlägt jemand vor. „Fluchthilfe ist kein Verbrechen“, sagt ein anderer. Jean schaltet sich vom Bett aus ein: „Das klingt zu negativ! Der Slogan muss positiv sein, damit die Leute Lust haben, Teil davon zu sein.“ Wäre dies kein verrauchtes WG-Zimmer, man wähnte sich in einer Werbeagentur.
https://www.youtube.com/watch?v=kYszLc6iYTU#t=92
Eine, die sich der Positivkommunikation verschrieben hat: Anders als etwa beim Zentrum für Politische Schönheit, sieht man bei Peng keine Leichenteile und muss auch nicht zynisch entscheiden, welches Kind aus Syrien weiterleben darf. Stattdessen wird viel gelächelt: Die Menschen auf den geplanten Kampagnenmotiven, die in der kommenden Woche in ganz Deutschland verteilt werden sollen, sind Normalos. Typ Student, Typ Gymnasiallehrerin. Auch das Video für die Webseite erinnert eher an eine Autowerbung als an politischen Aktivismus: Ein älteres Paar fährt in seinem VW-Kleinwagen durch eine Alpenlandschaft, Nahaufnahmen der Gesichter wechseln sich mit Drohnenbildern von den Bergen ab. Irgendwann sieht man, dass auf dem Rücksitz ein schwarzer junger Mann sitzt – sie bringen ihn über die Grenze nach Österreich. Am Ende des Films ploppt der Claim auf: „Werde Fluchthelfer.in“, versehen mit einer kleinen roten Taube.



Das „Europäischen Verdienstkreuzes am Bande“
 
Die Seite, schick in rot und weiß gehalten, gibt dann sogar konkrete Tipps für eine gelungene Fluchthilfe: Besser Mittelklasse-Wagen nehmen als Hippie-Bus. Mit einem Pappschild den Mitfahrer als zufällig mitgenommenen Anhalter tarnen. Oder auch: Deutschlandflaggen-Merchandise von der letzten WM am Wagen anbringen. Es soll bald eine Crowdfunding-Kampagne geben, mit der das gemeinnützige Kollektiv seine Ausgaben wieder reinbekommt. Alles über 4000 Euro soll in einen Rechtsfonds für Flüchtlingshelfer gehen. Im Gegenzug bekommt man unter anderem Poster, Sticker und Jutebeutel. Direkt zwischen Flüchtlingen und Fahrern vermitteln will Peng bewusst nicht. Das wäre illegal.
 
„Was steht denn jetzt eigentlich auf den fertigen Plakaten, Lou?“, ruft jemand aus der Runde. Lou, Regiestudentin mit platinblonden Strubbelhaaren, die sie meistens unter einer schwarzen Mütze versteckt, sitzt auf dem Boden. „Ich bin Fluchthelferin. Denn Fluchthilfe rettet Leben“, sagt sie ruhig. Dabei hat sie das vermutlich schon zehn Mal erzählt. Lou ist so etwas wie die Managerin von Peng – sie tut alles, redet aber nicht viel darüber. In den vergangenen Tagen hat sie gemeinsam mit Ruben in Österreich das Video für die Webseite gedreht, die Plakatmotive entwickelt und die geplante Aktion Flüchtlingen vorgestellt – ihr ist wichtig, dass dabei nicht nur über, sondern auch mit ihnen gesprochen wird. Lou trägt ein „Kein Mensch ist illegal“-T-Shirt und hat von den vergangenen Wochen schon dunkle Augenringe. Sie hofft, dass mit der Kampagne sowohl die bürgerliche Mitte als auch linke Aktivisten angesprochen werden: „Es wäre doch toll, wenn man da gemeinsam als Zivilgesellschaft an einer besseren Welt arbeitet, statt immer Wände hochzuziehen.“ Nicht umsonst hat Peng als internes Motto auch „Der Zivilgesellschaft die Zähne schleifen.“

>>>Ein anonymer Spender füllt am ersten Tag die Crowdfunding-Kasse mit 10.000 Euro.<<<
[seitenumbruch]
Ein paar Tage später sitzen Lou und Ruben gemeinsam mit vier anderen in einem Kreuzberger Hinterhof – dem Büro von Peng. Die Aktivisten sind aufgeregt. Ständig klingelt irgendein Telefon. Heute Nacht ist die Seite „Fluchthelfer.in“ online gegangen. Und die Medien lieben die Aktion: „Peng Collective sucht Fluchthelfer“ titelt der Radiosender Puls als einer der ersten. Zeit Online, Spiegel Online und Tagesschau.de ziehen schnell nach. Die Kampagne wird im Mainstream wahrgenommen. Alle betten das Video ein, die Facebook-Seite „Fluchthilfe ist kein Verbrechen“ hat bereits mittags 500 Fans, am Ende der Woche werden es mehr als 3000 sein. Ein anonymer Spender füllt am ersten Tag die Crowdfunding-Kasse mit 10.000 Euro.
 


Peng beim Plakatieren.

Und alle wollen Interviews. Irgendwer vom Kollektiv geht dann immer als „Max Thalbach“ oder „Anna Weissenfels“ ans Telefon. Pseudonyme, damit sich niemand mit einer falschen Wortwahl strafbar macht. Nur einmal nimmt Ruben einen Anruf mit seinem echten Namen an, um direkt zu korrigieren: „Ach Mist, Max Thalbach natürlich!“ Großes Gelächter im Raum. Auch, wenn Peng offen damit umgeht, schreiben nicht alle Journalisten später, dass Max Thalbach nicht existiert.
 
Überhaupt fällt auf: Richtig kritisch will niemand die Peng-Aktion sehen. Viele Medien twittern später „Leiste Fluchthilfe“ und sprechen von einer „ehrenvollen Idee“. Zeit Online befragt zumindest noch einen Juristen, ob die rechtliche Einordnung der Aktion von Peng, dass Fluchthilfe in bestimmter Form legal sei, überhaupt stimme. Ansonsten: Applaus! Einzig Pegida-Anhänger bloggen Hasskommentare wegen der Überfremdung, zu der Peng angeblich aufruft. Aber das fällt ja auch eher unter Applaus. Woher kommt also dieser Konsens? Berührt uns das Thema Flüchtlinge wirklich so? Ist die Kampagne so geschickt? Oder sind wir insgeheim gar Liebhaber politischer Kunst?

Ein Professor über die Kunst von Peng: "Man ist mit einem Fuß Künstler, mit dem anderen Popstar."


Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muss man nicht einmal Berlin verlassen: Professor Karlheinz Lüdeking lehrt an der Universität der Künste Kunstwissenschaft und Ästhetik. Lüdekings Seminare umfassen auch schon mal Jay-Zs Song „Picasso Baby“. Vor moderner Kunst hat er also keine Angst. Er hat zu dem Treffen an der Mensa den Studenten Nils Fischer, 27, mitgebracht, denn: Lüdeking findet, „dass nicht nur die Meinung eines Professors zu dem Thema interessant ist“. Bei Obstsalat entspinnt sich also ein Dialog:
 
Lüdeking:„Das Ausmaß politischer Kunst erinnert mich an die 68er-Generation. Aber diese Kunst ist anders. Konstruktiver. Früher ging es um den Umsturz des Systems, heute darum, das bestehende System zu verbessern. Ein hochkapitalistischer Gedanke, eigentlich. Passenderweise wird er oft mit Werbeästhetik umgesetzt.“
 
Fischer:„Politische Kunst erstarkt doch aber gerade, weil das System nicht mehr funktioniert. Wenn man einen Ort sucht, an dem man sich aufgehoben fühlen kann, dann muss man sich den selber bauen – zum Beispiel in Form eines Kollektivs.“
 
Lüdeking:„Aber diese Kunst funktioniert nur mit medialer Aufmerksamkeit. Man ist dann mit einem Fuß Künstler, mit dem anderen Popstar. Außerdem ist sie oft selbstreferenziell: Diese Krisen interessieren uns ja auch nur, weil die Grenzen, um die es geht, auf einmal sehr nah sind.“
 
Fischer: Aber es ist doch gut, wenn die Kollektive diese Strukturen aufzeigen und gemeinsam dagegen vorgehen wollen. Das sind doch Ideale, die lange untergangen waren?“



Die Ordensverleihung am Brandenburger Tor.
 
Lüdeking ist sich da nicht so sicher. Er sagt aber auch, dass man Kollektive wie Peng natürlich automatisch sympathisch finden müsse. „Da würde niemand öffentlich sagen ‚Das ist großer Mist‘.“ Zum Abschied hat er noch einen Gedanken: „Besonders gut funktioniert Kunst, wenn man selbst die Hoheit über die Bilder hat, die dazu in Umlauf gebracht werden.“
 
Noch mal zurück zum Brandenburger Tor also. 18 potenzielle Fluchthelfer haben sich bisher bei Peng gemeldet. Acht haben bereits Fluchthilfe geleistet und sollen heute ausgezeichnet werden. Viele Journalisten sind da. Normale Bürger kaum. Nur ein paar Touristen. Auf der Bühne steht eine Peng-Aktivistin und hält eine Laudatio auf Dora, eine Griechin, die sich spontan entschlossen hat, auf der Insel Lesbos zwei Männer mit Babys und zwei Frauen in ihrem Auto zur 65 Kilometer entfernten Polizeiregistrierungsstelle mitzunehmen. Eine der Frauen war schwanger. Sie wäre sonst zu Fuß gelaufen. Obwohl Dora dabei keine Grenze überschritten hat, wurde sie eine Nacht inhaftiert. Gänsehaut im Publikum. Dann tritt Dora einen Schritt vor, um den Orden anzunehmen. Klacken. 15 Journalisten drücken auf ihren Kameras gleichzeitig den Auslöseknopf.

Korrektur: In einer ersten Version dieses Textes hieß es, bei der Crowdfunding-Kampagne ginge alles ab 10 000 Euro in einen Rechtshilfefond. Richtig ist allerdings, dass die Grenze bereits bei 4000 Euro liegt.

"Fan sein war gestern"

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. . . um zu sagen: „Komm, lass uns auf ein, zwei Bier wohin gehen“ – und mich dann auch daran zu halten. Ich beneide zwar Menschen, die das können, aber sie verpassen auch immer das Beste. Denn das Prinzip lautet: Aus den Abenden, an denen man sich eigentlich vornimmt, früh zu gehen, werden die lustigsten Nächte. Klar, manchmal muss man gehen, wenn am nächsten Tag wirklich etwas Wichtiges ansteht. Aber ich versuche, es so oft wie möglich zu vermeiden. Man ärgert sich einfach, wenn man morgens aufsteht und der Mitbewohner gerade erst nach Hause kommt, selig im Flur schwankt und ohne Ende Geschichten erzählt, von denen man eigentlich nichts versteht, außer dass man mal lieber dabei gewesen wäre. Und so richtig ärgert man sich – und auch das ist mir passiert –, wenn man am nächsten Tag erfährt, dass die Freunde zwei Stunden nachdem man sie verlassen hat, spontan noch am selben Abend nach Mallorca geflogen sind. Irgendwann wird das Prinzip an der Verantwortung und dem Stress, die das Leben so bringt, sterben. Bis dahin bin ich gern zu jung.
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. . . um Fan zu sein. Zumindest wie früher. Damals habe ich mir etwas gesucht und mich dem exklusiv und zu hundert Prozent verschrieben. Ich war zum Beispiel mal großer Metal-Fan, habe nur Band-Shirts getragen, nur über Metal geredet und bin ewig zu Konzerten gefahren. So tief ich drin war, so schnell habe ich das Genre aber auch gewechselt. Nach Metal kam Reggae, dann Hip-Hop. Und Indie war es auch irgendwann mal. Wichtig war: Es musste immer eine Unternische sein. Das Trueste vom Truen. Nicht einfach nur Metal, sondern am Hardcore Thrash Metal. Indie, aber bitte nichts, was südlich von Leeds kam. Und Hip-Hop nur aus Hamburg. Wer anderer Meinung war, war kein echter Fan. Und immer fand man alles, was man vorher gehört, getragen oder gedacht hat, völlig daneben. Irgendwann habe ich mich nicht mehr nur auf eine Richtung beschränkt und komme mir jetzt vor, als hätte ich mein ganz eigenes Ding gefunden. Aber wer weiß, das finde ich in fünf Jahren vermutlich genauso dämlich, wie heute meine Fanphasen-Jugend. Aber schön war’s trotzdem.

Laufen und laufen lassen

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Tampon-Werbungen betonen ja immer gerne: Wenn man einen benutzt, kann man wirklich alles damit machen. Schwimmen, den Mount Everest besteigen, die Nacht durchtanzen - alles kein Problem. Ganz so stimmt das allerdings nicht, denn: Was macht man mit dem Ding, wenn man einen Marathon laufen will? Der dauert immerhin bei Frauen durchschnittlich fünf Stunden und dazwischen mal schnell auf Toilette gehen, ist zumindest schlecht für die Zeit.

Die 26-jährige New Yorkerin und Drummerin der Band M.I.A., Kiran Gandhi, stand eben vor diesem Problem - seit einem Jahr hatte sie auf den London-Marathon als ersten 42-Kilometer-Lauf ihres Lebens trainiert um dann zu merken: Fuck, das ist der erste Tag meiner Periode.

Anstatt den Lauf abzusagen entschied sie sich allerdings, ohne Tampon mitzulaufen. Auf den Bildern vom Marathon hat sie somit einen großen, roten Fleck zwischen den Beinen.
[plugin imagelink link="http://cos.h-cdn.co/assets/15/32/1438875803-290641-194098372-xlarge.jpg" imagesrc="http://cos.h-cdn.co/assets/15/32/1438875803-290641-194098372-xlarge.jpg"] via Kiran Gandhi / Cosmopolitan

Wie bei allem, was mit menstruierenden Frauen in der Öffentlichkeit zu tun hat, gingen die Bilder schnell durch die sozialen Netzwerke und wurden kontrovers diskutiert. Ist das eklig? Oder sind wir nur darauf trainiert, es eklig zu finden? Gandhi selbst wurde interviewt und von Medium eingeladen, über ihre Erfahrungen zu bloggen (unter dem schönen Titel "Going with the flow"). Dort schreibt sie:

"If there’s one person society can’t eff with, it’s a marathon runner. You can’t tell a marathoner to clean themselves up, or to prioritize the comfort of others. On the marathon course, I could choose whether or not I wanted to participate in this norm of shaming."

Lose übersetzt also: Wer kann sich schon ernsthaft beschweren, wenn man beim Marathon-Lauf bescheuert aussieht? Sie schreibt aber auch, dass viele Frauen in der Welt überhaupt keinen Zugang zu Hygiene-Artikeln hätten und es ein Privileg unserer Gesellschaft, sich überhaupt erlauben zu können, menstruierende Frauen abstoßend zu finden.

Trotzdem habe sie, als sie am Wegesrand ihren Vater und ihren Bruder sah, kurz versucht, ihr T-Shirt über die entscheidende Stelle zu ziehen. Dann sei das Gefühl, sie einfach nur umarmen und Fotos schießen zu wollen, überwältigender gewesen.

Am Ende schreibt Gandhi noch:

"Everyone was running for their own personal mission. And all of a sudden it felt entirely appropriate that I got my period on marathon day."

Vielleicht werden wir Gandhi also noch öfter blutend beim Marathonlauf beobachten können und dann, anders als eine ältere Dame, die ihr auf dem Weg verschämt zuflüsterte "Du hast deine Periode" wissen: Nee, das macht die mit Absicht!

Der Moment vor der Stille

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Shirin-Banou Barghi weiß, wie sich Polizeigewalt anfühlt. „In meinem Heimatland, dem Iran, habe ich selbst unter der Brutalität der Polizei gelitten“, sagt sie in einem Interview. Während der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2009 geriet die Filmemacherin und Journalistin in eine blutige Auseinandersetzung mit der iranischen Polizei. Barghi floh nach New York und begann, sich künstlerisch mit weltweiten Revolutions- und Bürgerrechtsbewegungen auseinanderzusetzen. Zuletzt mit den landesweiten Protesten gegen Polizeiwillkür und Gewalt gegenüber schwarzen US-Bürgern.   

[plugin imagelink link="http://empathyeducates.org/wp-content/uploads/2014/08/Sean_Bell_LastWords.jpg" imagesrc="http://empathyeducates.org/wp-content/uploads/2014/08/Sean_Bell_LastWords.jpg"] Sean Bell, telefonierte mit seinem Vater, kurz bevor er erschossen wurde.

Der Auslöser jener Proteste war die Erschießung des unbewaffneten Michael schwarzen Jugendlichen Michael Brown in Ferguson vor einem Jahr. Browns Tod löste eine ganze Welle an Anzeigen an Polizisten wegen ihres Verhaltens gegenüber Schwarzen aus. Aber nicht alle getöteten Rassismusopfer sind so berühmt wie Michael Brown. Auf den Pappschildern, Bannern und T-Shirts kann man deshalb  bei Demonstrationen auch immer wieder den Slogan „All Black Lives Matter“ lesen. Für Künstlerin Shirin-Banou Barghi heißt es, die Namen und Geschichten der Getöteten sichtbar zu machen.  

https://www.youtube.com/watch?v=us4EmKlSz8A

Und das tut sie auf sehr simple, aber eindrückliche Art. Ein einfacher Satz, der letzte, den die Person gesagt hat, bevor sie zu Unrecht erschossen wurde. Und ein Bild, das ikonisch für die Situation steht: Eine Straße als Symbol für den 24jährigen Jonathan Ferell, der aus Sicht der Polizei nicht schnell genug an den Straßenrand gefahren ist. Ein Herz für Sean Bell, 23, der Sekunden vor seinem Tod noch mit seinem Vater telefonierte und ihm sagte, dass er ihn liebt. Und eine Brille für Kenneth Chamberlain, der als 68-jähriger nach einem Fehlalarm seines Notfallknopfes von der Polizei in seinem eigenen Zuhause erschossen wurde. Sein Sohn, der eine markante Brille trägt, setzte danach durch, dass bei seinem Vater eine Autopsie durchgeführt wird um zu beweisen, dass der ältere Herr nicht betrunken oder unter Drogen war. Der letzte Satz seines Vaters: "Officers, why do you have your guns out?"

[plugin imagelink link="http://empathyeducates.org/wp-content/uploads/2014/10/Kenneth_Chamberlain.jpg" imagesrc="http://empathyeducates.org/wp-content/uploads/2014/10/Kenneth_Chamberlain.jpg"]

[plugin imagelink link="http://empathyeducates.org/wp-content/uploads/2014/08/Michael_Brown_LastWords.jpg" imagesrc="http://empathyeducates.org/wp-content/uploads/2014/08/Michael_Brown_LastWords.jpg"] James Brown's Todestag jährte sich vergangenen Sonntag. Seine Worte gingen um die Welt.

eva-hoffmann

Deutsch lernen mit Stickern

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Amelie Kim Weinert, 25, hat einen Werkzeugkasten zusammengestellt, der Flüchtlingen, die nicht lesen und schreiben können, das Lernen erleichtern soll. Im Interview erzählt sie von ihrem Lehrbuch, das sich nicht nach lernen anfühlen soll.



Flüchtlinge lernen wichtige Worte zum Ankommen, ohne Schulatmosphäre.

jetzt.de: Dein Buch erinnert an diese Point-It Hefte, mit denen man im Urlaub ganz gut durchkommt, ohne die Sprache zu sprechen. Wie sieht so was speziell für Flüchtlinge aus?
Amelie Kim Weinert: Stimmt, das wird auch oft in der Flüchtlingsarbeit verwendet, ist aber echt nur für banalste Verständigung. Ich wollte einen Schritt weiter gehen. Mein Buch soll Menschen, die wirklich noch gar kein Deutsch oder vielleicht nicht mal lesen und schreiben können, auf einen späteren Integrationskurs vorbereiten. Aber eben nicht allein, sondern in Begleitung eines Ehrenamtlichen. Es ist sozusagen ein Mitmach-Buch, das beide in regelmäßigen Treffen gleichermaßen füllen und sich dabei kennenlernen und austauschen können. Das funktioniert mit Bildern, Fotos und Icons, aber man hat auch kleinere Übungen zur Aussprache von einfachen Wörtern wie „Mama“ oder kann auf einer Karte dem anderen sein Herkunftsland zeigen.  

Es gehören also zwei dazu?
Genau. Mittlerweile gibt es Studien, die belegen, dass mit der zunehmenden Flüchtlingszahl auch immer mehr Menschen helfen wollen. Oft wissen sie aber nicht, wie. Sie fühlen sich nicht qualifiziert genug oder haben nur wenig Zeit. Das Buch ist ein Einstieg. Es gibt sechs Kapitel und pro Kapitel sind zwei Treffen angedacht, die frei eingeteilt werden können. Für die spielerischen Aufgaben braucht man keine besondere Ausbildung, die Sprachbarriere wird überwunden und beide haben das Buch als Orientierungshilfe für die Treffen. Natürlich ist darüber hinaus noch viel mehr möglich: Sie können sich gegenseitig Spiele beibringen, zusammen kochen und sich über die vorgegebenen Themen hinaus austauschen.  



Ehrenamtliche und Geflüchtete bearbeiten die Aufgaben gemeinsam.

Eigentlich bist du ja Designerin. In dem Bereich scheinen Projekte für Flüchtlinge gerade nur so aus dem Boden zu sprießen.
Zum Glück! Ich finde, es wird echt mal Zeit, dass wir uns mehr damit beschäftigen. Es gibt oft den Vorwurf, dass wir viel zu abgehoben arbeiten. Auch bei mir war es eher Zufall, dass ich dieses Projekt entwickeln konnte. Ich engagiere mich selbst in einer Flüchtlingsfamilie und da fiel mir auf, dass die Lernbücher oft viel zu unübersichtlich und realitätsfremd gestaltet sind.  

Wie grenzt du dein Projekt vom gängigen Schulmaterial ab?
Die Bücher in den Sprachschulen sind so konzipiert, wie wir es aus deutschen Schulen gewohnt sind: Viel Text, viel Wiederholen und stundenlanges Nachmalen von Buchstaben. Und selbst in den Büchern für Analphabeten sind sehr viele Erklärungen in schriftlicher Form. Das erschwert den Lernprozess unnötig. In meinem Buch wird deshalb viel durch Bilder erklärt, es gibt keine Hausaufgaben oder sinnlose Wörter, die nichts mit der Lebensrealität der Flüchtlinge zu tun haben.  



Mitmachen statt Auswendiglernen. Das Buch soll interaktiver sein als normale Schulbücher. Hier kann man mit Stickern seine Hobbys einkleben.

Wonach hast du denn die Lernthemen ausgewählt?
Es ist jetzt nicht so, dass ich mir allein überlegt habe, was die Menschen lernen sollen. Ich bin keine Pädagogin. Aber ich engagiere mich schon länger in der Flüchtlingsarbeit. In den Gesprächen mit verschiedenen Familien haben mir oft die einfachsten Dinge gefehlt, um mich auszudrücken. Wie zeige ich ohne Karte, wo ich herkomme? Schön wären Bilder von „typisch deutschem Essen“ oder Smiley-Gesichter, um meine Stimmung auszudrücken. Das gibt ein normales Textbuch nicht her.  

Es gibt auch Fotos, die zeigen, wie die Ehrenamtlichen den Mund beim „A“ richtig öffnen. Welche Fähigkeiten sollte man noch mitbringen?
Lesen und Schreiben sind Grundlage auf Seiten der Ehrenamtlichen. Ansonsten gibt es ein Begleitheft mit didaktischen Tipps für die Betreuenden. Aber man muss wirklich kein Pädagoge sein. Wenn ich jemanden kennenlernen will, brauch ich dafür ja auch keine spezielle Ausbildung. Nur bei der Aussprache sollten die Ehrenamtlichen ein bisschen aufpassen. Zum Beispiel das M als „Mmm“ und nicht als „Em“ aussprechen. Dann wird’s im richtigen Deutschkurs später leichter, lesen zu lernen.   



Man muss kein Pädagoge sein, aber das A sollte man aussprechen können.

Wie vermeidet man da ein klassisches Lehrer/Schüler Verhältnis?
Das war echt eine schwierige Gradwanderung beim Gestalten. Das Ganze sollte zwar verspielt, aber trotzdem erwachsenengerecht werden und beide Seiten gleichermaßen fordern. Dieses Machtgefälle aus der Schule wollte ich unbedingt vermeiden. In dem Kapitel „Hobbys“ können beide zum Beispiel mithilfe von Stickern ihre Lieblingsbeschäftigungen zusammenstellen. Bei Basics wie „Hallo und Tschüss“ funktioniert das Buch wie ein Sprachtandem: Der Ehrenamtliche lernt alles, was er beibringt, auch auf der anderen Sprache.    

Wie kommen Flüchtlinge und Ehrenamtliche an das Buch?
Bisher gibt es nur ein Exemplar. Meine Idee war ja erst mal nur eine Abschlussarbeit meines Studiums in Visueller Kommunikation. Dass die Idee jetzt so viel Aufmerksamkeit bekommt, motiviert mich, auch nach Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen. Aber es haben schon viele Stellen wie Landratsämter, Wohnheime und Ehrenamtliche bei mir angefragt. Die Flüchtlinge sollen auf jeden Fall kein Geld dafür ausgeben müssen.

„Haha“ ist das neue „LOL“

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LOL stirbt aus. Der einst beliebten Abkürzung für laughing out loud ergeht es wie zuvor ROFL (rolling on the floor laughing) und LMAO (laughing my ass off). Einer neuen Studie zufolge schreiben Facebook-Nutzer, wenn sie ausdrücken wollen, dass sie etwas lustig finden, entweder "Haha" (oder Varianten davon) oder sie benutzen ein entsprechendes Emoji.





Nur noch 1,9 Prozent der Facebook-User benutzen laut der Studie noch die Abkürzung LOL, dafür schreibt mehr als die Hälfte der Nutzer "Haha". Ein Drittel benutzt Emojis.

Eine Woche lang wertete die Sprachverarbeitungsagentur Idibon Kommentare und Posts aus. Erstaunlich: Nur 15 Prozent der Nutzer bauen Lacher in Posts und Kommentaren ein. Auch erstaunlich: die Unterschiede, die die Agentur in Alter, Geschlecht und Region ausgemacht hat. So sind Nutzer, die LOL schreiben, im Schnitt älter als diejenigen, die "Haha" oder "Hehe" tippen. Die im Durchschnitt jüngsten Nutzer verwenden ausschließlich Emojis. Männer schreiben eher "Hehe", Frauen "Haha". In Chicago und New York werden vor allem Emojis benutzt, während sich in San Francisco und Seattle "Haha" als digitales Lachen verbreitet hat. Während in den Südstaaten LOL noch verbreitet ist, haben sich an der Westküste "Haha" und "Hehe" schon eindeutig durchgesetzt.

Aus der Tatsache, dass Nutzer, die "Haha" verwenden, das öfter wiederholen als diejenigen, die "Hahaha" oder "Hahahaha" schreiben, schlussfolgert das Wall Street Journal übrigens, dass "Haha"-Lacher mehr Spaß haben. Wahrscheinlich liegt das aber schlichtweg daran, dass "Haha" einfach kürzer ist.

Auf eine Auswertung von eingebauten Lachlauten in deutschsprachigen Posts müssen wir leider noch warten. Wir sind gespannt, was dann über die Benutzer von "Gnihihihihi" herauskommt.

"Niemand schert sich um diese Familie!"

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John Brown verlässt seine eigene Sendung: Zurück bleiben die Co-Moderatorin Amy Kaufeldt und Studiogast Jenny Castillo (rechtes Bild).


Und dann steht er wirklich auf. „Ich hatte einen guten Freitag, ich weigere mich heute, über die Kardashians zu sprechen“, sagt der Moderator John Brown während seiner Live-Nachrichtensendung „Good Day Orlando“ auf dem US-Sender Fox 35 und steht von der Couch auf. Zurück lässt er seine ziemlich verwirrte Co-Moderatorin Amy Kaufeldt und die Radiomoderatorin Jenny Castillo, die als Studiogast zugeschaltet ist und sich kaum einkriegt vor Lachen.

Eigentlich sollte es in der Sendung gleich um Kylie Jenner gehen, die Stiefschwester von Kim Kardashian, die ihren neuen Hasen, den sie zum 18. Geburtstag geschenkt bekommen hat, nach ihrem Vater Bruce (die inzwischen als Caitlyn Jenner lebt) benannt hat. Für Brown war das eine Kardashian-Nachricht zu viel in der letzten Zeit. Als er schon nicht mehr im Bild zu sehen ist, hört man ihn noch durch sein Mikrofon schimpfen: „Ich habe genug von den Kardashians! Ich kann in dieser Sendung keine weiteren Kardashians-Geschichten mehr ertragen.“  

http://www.youtube.com/watch?v=T1fuoOH7Dw8  

Neben Amy Kaufeldt setzt sich zwar gleich ein Ersatz-Moderator, doch Browns historischer Ausraster ist noch nicht vorbei. Als ihn die Radiomoderatorin fragt, wie er sich fühlen würde, wenn seine Tochter ihren Hasen nach ihm benennen würde, ruft er aus dem Off: „Das interessiert mich nicht (...) Ich habe diese Familie satt! (...) Niemand schert sich um diese Familie!“  

Die anderthalb Minuten, die Browns Ausraster dauern, gehen seit Montag viral, knapp zwei Millionen Mal wurde das Youtube-Video bereits aufgerufen. Im Internet wird der Moderator für die Aktion gefeiert. Auf seiner Facebookseite werden Kommentare gepostet wie: „John Brown for President!“ Auch auf Twitter erhält er viel Zuspruch.





Nun könnte man dem Moderator natürlich PR-Kalkül vorwerfen: Sein Bekanntheitsgrad und der seiner Sendung ist seit dem Auftritt extrem angestiegen. Wenigstens eine ehrlich empfundene Genervtheit, die ihn dazu gebracht hat, aufzustehen und seine eigene Sendung zu verlassen, kann man ihm aber wohl schon zusprechen und den Auftritt durchaus als längst überfällige Medienkritik werten – in den USA vergeht kaum ein Tag ohne ein Kardashian-Familienmitgliedn in den Nachrichten. Inzwischen hat sich Brown jedenfalls für den Ausraster entschuldigt. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er: „Ich habe ein wenig den Verstand verloren, obwohl es teilweise im Spaß gemeint war. Ich habe mich danach besser gefühlt.“

kathrin-hollmer 

Wozu noch rausgehen?

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Die lange Autofahrt fehlt, die Ellbogen im Gesicht auch, der Matsch, weil es ja doch auch immer regnet. Und die verschwitzten Menschen. Wer allerdings nur wegen der Musik auf ein Festival gehen will, der muss eigentlich nicht mehr das Haus verlassen. 

Zugegeben, neu ist "Arte Concert" nicht, Entschuldigung also an alle, die das Projekt schon kennen, alle anderen freuen sich vielleicht wie wir, als wir heute gemerkt haben, wie viel wir aufzuholen haben: Mehr als 500 Festival-Mitschnitte hat Arte inzwischen archiviert. "Arte Concert" ist damit eine Art Ted-Talk nur für Konzerte – von Wacken, Melt! und splash! bis zum Africa Festival und We love Green. Jede Musikrichtung ist vertreten, auch Klassik und Jazz, auch Tanzchoreographien gibt es zu sehen. Die Sammlung ist weltweit einzigartig.

http://www.youtube.com/watch?v=iM1xg3A3fI4

Ideal also für faule Menschen – Festival-Konzerte hören, ohne von der Couch aufstehen zu müssen. Und natürlich für Leute, die sich schlecht entscheiden können – zum Beispiel bei der Frage, vor welcher Bühne sie auf dem Festivalgelände stehen sollen. Hätten wir die Seite nicht erst jetzt entdeckt! Aber so steht wenigstens der Plan für das nächste Mal schlechtes Wetter.

Das Herz aus Zimmer 13

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Herr K. ist sehr dünn, sehr gelb und spricht vom Tod. Er tut das in einem Raum, der so wenig nach Krankenhaus aussieht, wie ein Raum im Krankenhaus das eben kann: Teppichboden, Bücherregale bis zur hohen Decke. Durch die geöffneten Fenster wehen Vogelzwitschern und Sommerluft. Ob er sich vor dem Sterben fürchte, fragt der junge Mann, der Herrn K. gegenüber sitz. Mike, 23, Student, der mal Arzt sein möchte. Die zehn Jungs und Mädchen auf den Stühlen ringsum halten den Atem an. Und zücken die Stifte. Ein Abend in der Anamnese-Gruppe München: Drei Stunden Pause von den Prüfungsunterlagen. Drei Stunden Leben und Tod.





Einmal pro Woche treffen sich Medizin- und Psychologiestudenten von LMU und TU in einer Münchner Klinik. Dazu kommt ein Patient, über den sie vorher nichts wissen. Eine Anamnese, so hat Mike das Herrn K. zu Beginn erklärt, ist „im Prinzip jedes Gespräch, das ein Arzt mit Ihnen führt.“ Laut Medizin-Lexikon ist die Anamnese „das Erfragen der Vorgeschichte einer Krankheit oder Störung“. Packt man diese beiden Definitionen zusammen, heißt das also: Jedes Mal, wenn ein Arzt sich mit einem Patienten unterhält, geht es um dessen Krankheit. Hier heißt es: Mike darf mit Herrn K. reden, worüber er möchte – das Wetter, die Krankheit, das Sterben. Egal.

Studentische Anamnese-Gruppen wie diese findet man an fast jeder medizinischen Fakultät Deutschlands. Die Teilnahme ist freiwillig, Noten und Leistungspunkte gibt es keine. Trotzdem gibt es jedes Semester mehr als genug Studenten, die die drei Stunden pro Woche noch in ihren ohnehin schon vollen Stundenplan quetschen. Warum tun sie das? Ist es das pure Interesse an menschlichen Schicksalen, das man für so ein Studium ja auch dringend braucht? Kommt das im Studium zu kurz? Müssen die Studenten also in ihrer Freizeit den menschlichen Aspekt erlernen, der ihnen in der Uni fehlt? Und vor allem: Macht sie das zu besseren Ärzten, zu besseren Psychologen? Will man als Arzt wirklich die Fragen stellen, die den Fall zum Menschen machen? Zittert das Skalpell nicht weniger, wenn da das Herz aus Zimmer 13 auf dem Tisch liegt und nicht Frau Müller mit den vier Enkeln und dem Traum von der Südseereise?

Nach dem Gespräch mit Herrn K. werden diese Wörter dabei sein: „Lebemann“, „verstörend“, „Fragezeichen“. Und „Tod“.


„Keine Angst, hier geht es weniger um Sie als um mich.“ So erklärt Mike Herrn K. das Kritzeln der Stifte, das jetzt eingesetzt hat. Natürlich stimmt das nicht – aber irgendwie dann doch: Das Spannende ist, was Herr K. erzählen wird. Aber die Stifte schreiben auf,  wie Mike darauf reagiert. „Ich werde dann im Anschluss nämlich evaluiert“, sagt Mike. Herr K. nickt und lächelt. „Fremdwörter nicht erklärt“ notiert ein Stift. Und daneben ein dickes Minus. Prüfungen und Dozenten gibt es hier nicht, die Rückmeldung kommt nur von den Kommilitonen. Jeder nennt etwas, das toll war am Gespräch und etwas, das nicht ganz so toll war. Und ein Wort, das ihm spontan dazu einfällt. Nur ein Wort. Nachgefragt oder kommentiert wird nicht. Das nennen sie hier „blitzen“ – das, was einem gerade durch den Kopf geht, mit einem Wort zusammenfassen. Nach dem Gespräch mit Herrn K. werden diese Wörter dabei sein: „Lebemann“, „verstörend“, „Fragezeichen“. Und „Tod“.





Zwei Stunden vorher, zu Beginn des Treffens, waren die Begriffe noch andere. Da ging es beim Blitzen noch nicht um Patienten, sondern um die Studenten selbst: Jeder sollte ein Wort sagen, das seine eigene momentane Stimmung beschreibt: „Prüfungen“ fiel da, „Bibliothek“ und „sackmüde“. Außerdem hatten die Gruppenleiter, Niklas, 6. Semester Medizin, und Franzi, Psychologie im 4., angekündigt, dass heute etwas anders sein wird. Ausnahmsweise werden zwei Patienten kommen. Herr K. ist der zweite von ihnen. Vor Mike wird heute Luise heute ein Gespräch führen. Ihre Stimmung in einem Wort: „Saunervös“.

Luise ist 24 und etwas Besonderes. In diesem Semester haben sie hier als erste Gruppe in Deutschland einen interdisziplinären Versuch gestartet: Neben Medizinern und Psychologen dürfen auch andere Studenten mitmachen. Luise studiert Theaterwissenschaften, neben ihr sitzt ein angehender Pfarrer, der die Seelsorge üben will. Davon erhoffen sich Niklas und Franzi neuen Input. Patienten auf der Krebsstation zum Beispiel wollen oft über Gott reden, sagt Niklas – das können Theologen besser als Mediziner. Von angehenden Pfarrern sollen sich angehende Ärzte das abschauen.

"Haben Sie mal auf die Dauer so nen Pavianhintern wie ich!", sagt Frau T.


Luise hat lange die beiden Stühle zurechtgerückt für ihr Gespräch, hat genau geschaut, wie viel Nähe sie will und wie viel Abstand sie braucht. Auf einem davon sitzt sie jetzt, sehr aufrecht, sehr angespannt. Luise sagt, sie freue sich auf das Gespräch. Aber nicht darauf, beobachtet zu werden. „Wird schon“, sagt Mike. Dass er selbst später mit Herrn K. über den Tod reden wird, weiß er jetzt noch nicht. Mike ist entspannt.





Er kennt Patientengespräch sonst aus der Uni. Allerdings, und das ist ein großer Unterschied, mit einem „standardisierten Patienten“. Einem Schauspieler, der eine vom Dozenten vorgegebene Rolle spielt, also eine fiktive Krankengeschichte auswendig gelernt hat. In der Anamnesegruppe ist Mike, weil er echte Patienten kennenlernen will. Nach der Familie fragen, nach den Träumen und Ängsten. Die „psychosoziale Ebene“ nennt er das – und klingt dabei ein bisschen wie ein Absatz aus dem Lehrbuch.

Die Tür öffnet sich und alle verstummen. Auftritt Frau T. Eine zierliche Frau Mitte 50 grüßt fröhlich in die Runde, wesentlich entspannter als Luise. Als die ihr erklärt, dass sie heute nicht mit einer angehenden Ärztin, sondern mit einer Theaterwissenschaftlerin sprechen wird, sagt Frau T. nur: „Huch!“ Und lacht. Mit Ärzten hat sie wahrscheinlich genug geredet in ihrem Leben. Morbus Crohn, Frau T.s Darm ist entzündet, seit sie 17 ist. Luise muss nicht viel fragen, Frau T. spricht routiniert, pragmatisch und mit viel Selbstironie von ständigem Durchfall und Schmerzen. "Haben Sie mal auf die Dauer so nen Pavianhintern wie ich!", sagt sie und kichert so heftig, dass sie den Beutel ihres künstlichen Darmausgangs festhalten muss.

>>>„Humor braucht man“, sagt Frau T.: Ein Stehaufmännchen sei sie schon immer gewesen. Dann wird sie kurz still. Luise hält die Stille aus, Frau T.s künstlicher Darmausgang blubbert dazwischen.<<<
[seitenumbruch]Luise ist in ihrer ganzen Körperhaltung ein einziges, großäugiges „Oh“. „Sie sind ein fröhlicher Mensch“, bringt sie trotzdem raus. „Humor braucht man“, sagt Frau T.: Ein Stehaufmännchen sei sie schon immer gewesen. Dann wird sie kurz still und in der Stille klingt an, dass es viel gegeben hat, wovon Frau T. aufstehen musste. Luise hält die Stille aus, Frau T.s künstlicher Darmausgang blubbert dazwischen. Morgen wird sie ja auch schon wieder entlassen, sagt Frau T. „Und worauf freuen Sie sich besonders?“, fragt Luise. Und Frau T. erzählt. Von ihrem Mann, den Hunden, dem großen Garten. Vom Gefühl, die Finger in frischen Dreck zu graben. Von den Reisen in den Süden, die sie planen. Mit Wohnmobil statt Flugzeug, wegen der Hunde. Die letztes Worte ihres Auftritts: „Und im Übrigen habe ich vor, sehr alt zu werden.“ Noch einmal Lachen. Dann geht Frau T.





Theaterwissenschaftlerin Luise hat gezeigt, wie man dem Patienten eine Bühne baut. Und dass dafür manchmal schon Zuhören und die richtige Smalltalk-Frage reichen. Worte zu Frau T. beim Feedback-Blitz: „Stärke“, „Lebensfreude“, „tapfer“.  Ein Wort für Luise: einfühlsam.

Und jetzt sitzt da also Herr K., dünn und gelb. Eines Nachts, vor etwa einem halben Jahr, hat er Blut erbrochen. In Thailand war das. Morgen ist die OP. Tumor in der Leber, acht mal zehn Zentimeter. Mike nickt. Was er denkt, ist in seinem Gesicht nicht zu lesen. Genauso gut hätte ihm Herr K. gerade seine Versicherungsnummer nennen können. „Professionell“ notiert ein Stift. Mike fragt nach, ob Herr K. die Medikamente verträgt, nach seinem Gewicht, wie viele Zigaretten er raucht. Er wirkt dabei älter als er ist. Und sehr sicher in dem, was er tut. Auf das Thema Tod kommt Herr K. fast von selbst. Als Mike ihn nach seiner Angst fragt, tut er das im selben Ton wie nach dem Gewicht. Mike kann sich nur langsam lösen vom Standard, vielleicht erscheint der ihm als Mediziner auch zunächst einmal wichtiger. Dass Herr K. ein Weltenbummler und ständig auf Reisen ist, dass er in Australien Gold gesucht und gefunden hat – das alles erfährt Mike erst zum Ende des Gespräches.

Warum Herr K. oft an völlig unpassenden Stellen lächelt, erfährt er nie. Später wird er sagen, er hätte sich gerne noch länger mit Herrn K. unterhalten. Auf die Frage nach der Angst vorm Sterben hat der übrigens mit Nein geantwortet. „Wenn man tot ist, ist man tot und dann soll’s eben so sein.“ Bei der Verabschiedung sagt Mike: „Alles Gute für Sie, Herr K.“ Er wird von allen Lob dafür bekommen, dass er sich den Namen gemerkt hat.

Steigt in die Brunnen!

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Es ist zwei Uhr nachts, als die beiden Mädchen durch den Wittelsbacher Brunnen spazieren. Wahrscheinlich ist ihnen in einem der Clubs auf der Feierbanane zu warm geworden. Die Nacht ist ja nicht weniger heiß als der Tag. Jetzt sind die Säume ihrer Kleider jedenfalls nass, und sie strecken die Arme aus zu den sprudelnden Fontänen. Zwei kleine Anita Ekbergs – Fellinis Hauptdarstellerin in „La Dolce Vita“, die nachts im Fontana di Trevi badet. Im Film.

In Wirklichkeit darf man im Fontana di Trevi nicht baden. Und auch in München irritiert irgendwas an dem Bild. Auch wenn es ein sehr schönes Bild ist. Auch wenn es aussieht, als würden die beiden das Leben gerade sehr, sehr genießen.

Denn es ist doch so: Brunnen sind Sehnsuchtsorte. Gerade jetzt, wo in der Stadt eine Wand aus Saharadunst hängt, erscheinen sie manchmal wie Fata Morganen. Wie Sinnestäuschungen unseres Hirns, das sich nach Erfrischung sehnt: Fontänen, kühler Sprühnebel, Wellen, die mit dem Licht der Sonne spielen. Näher ist eine Abkühlung beim Durchwandern der Stadt nie. Aber wirklich reinspringen? Einmal untertauchen? Nein. Never!

Das "Betreten verboten!"-Schild im Kopf

Irgendwo ist da nämlich auch eine unsichtbare Barriere. Zunächst mal in unserem Kopf: Die Leute würden doch komisch schauen. Und ganz sicher würde ein altes Mütterlein zetern. Dreckig ist so ein Brunnen ja wahrscheinlich auch. Trotzdem seltsam: Wir springen in jeden Fluss, jeden Bach und jeden Pool der Stadt. Sogar in die Planschbecken, die Bars aufstellen. Aber Brunnen, die bleiben unberührt. Warum, zum Teufel?

Vielleicht versteckt sich das Problem schon im Namen: Brunnen heißen Zierbrunnen, wenn sie nicht als Quelle dienen, nicht dazu da sind, die Bevölkerung mit Wasser zu versorgen. Zierde also! Und damit zwar Teil des öffentlichen Raumes, aber eben mehr Blumenbeet als Wiese im Park. Mehr Deko als Nutzwert. Zum Anschauen da, nicht zum Erfahren. Sie sind ein Teil der Stadt, den wir im Kopf mit einem „Betreten verboten“-Schild markiert haben, selbst wenn da zunächst keines ist.

Oder? Wie verboten ist das eigentlich? Schnell mal nachgefragt bei der Stadt: Manche Gemeinden erlauben das Baden in ihren Brunnen nämlich tatsächlich nicht. Andere geben bestimmte frei. München zum Beispiel. Ein bisschen zumindest. Die Grünanlagensatzung verbietet zwar grundsätzlich das „Baden in Gewässern außer in Freibadegeländen“. Aber: Kinder, die kreischend durch die Fontänen des Stachusbrunnens rennen zum Beispiel, die gehören hier nun mal zum Sommergefühl wie die Schlange vorm Ballabeni. Kinder im Stachusbrunnen also: völlig okay. Viele Brunnen, etwa der Wittelsbacher, stehen aber unter Denkmalschutz und sind laut Baureferat „nicht dafür konzipiert, um darin baden zu können“.

Brunnenbaden - für Facebook oder für die Romantik?

Sich im Brunnen abzukühlen, das wird also toleriert. So lange es sich im Rahmen bewegt. Klamotten tragen wäre zum Beispiel gut, weil sonst eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses droht – aber das sagt einem nicht nur der Polizeisprecher, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Gesundheitlich bedenklich ist das Brunnenbad übrigens auch nicht. Obwohl man das Wasser nicht trinken sollte und es nicht auf Badewasserqualität hin untersucht wird. Was von Behördenseite sonst so rauszuhören ist: Bei der Hitze sehe man die Sache mit den Brunnen nicht so streng.

Nicht so richtig erlaubt also, was die beiden Ekbergs da getrieben haben. Aber ob ein Polizist die wirklich rausgezogen hätte: fraglich. Das „Betreten verboten“-Schild hängt also tatsächlich mehr im Kopf als am Brunnen. Wer kein Kind mehr ist, belässt es höchstens dabei, die Füße ins Wasser zu hängen. Und wer doch hineinspringt, inszeniert das fast schon als zivilen Ungehorsam – und lädt ein Video bei Youtube hoch. Für den Rest bleibt das Brunnenbad eine romantische Fantasie.

Vielleicht ist auch die Historie schuld an diesem ambivalenten Verhältnis zum Brunnen? Er war dem Menschen ja lange eine lebensspendende Angelegenheit. Dann ein Objekt der Verklärung, der Faszination. In allen möglichen Erzählungen spielt er eine Neben- bis Hauptrolle: als Motiv des Ursprungs, der ewigen Jugend, des tödlichen Abgrunds. Zieht er uns deswegen irgendwie magisch an? Noch heute schreiben wir ihm schließlich übernatürliche Kräfte zu und werfen im Urlaub ein paar Münzen ins Wasser, um uns der Rückkehr zu versichern. Eine Huldigung. Von außen. Mit Respekt. Ehrfrucht eigentlich eher.

Deshalb noch mal zurück zur Nacht: Nachts ist der Übermut schließlich größer als die Ehrfurcht. Nachts tut man Dinge, die man sonst nicht tut. Die Nacht hat ihre eigene Magie. Erwachsene werden durch sie manchmal wieder zu Kindern – und „Verboten“-Schilder zu „Ausprobieren, unbedingt!“-Plakaten. Vor allem die im Kopf. Los also! Seid die Ekbergs. Ab durch die Fontänen, kreischend wie Kinder. Die Stadt gehört uns, und die Nacht erst recht. Zierde ist der Brunnen morgen wieder.
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