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Ist die Politik zu grauhaarig für dich?

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Klar, es gibt die Jungpolitiker - aber die Machtpositionen besetzen am Ende doch fast immer die Älteren. Fühlst du dich als junger Mensch von der Politiker-Generation 50 plus ausreichend repräsentiert?

Im Schatten der großen TV-Duelle fand am Dienstag um 19 Uhr ein interessantes Mini-Duellchen statt: das "Deutschland-Duell", ein Gemeinschaftsprojekt von Zeit Online und Handelsblatt. Primär sollte es dabei um die Frage gehen, ob junge Menschen in Deutschland genug Möglichkeiten und Macht haben, Einfluss auf die Politik zu nehmen, oder ob diese letztlich von alternden Bundestagsabgeordneten der etablierten Parteien diktiert wird. Geladen waren, dem Anlass entsprechend, zwei junge Politiker: Katharina Nocun (27), die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei und Juso-Chef Sascha Vogt (33).

Eine volle Stunde stand den beiden Aktivisten zur Verfügung, um sich über die Frage des Generationenkonflikts in der Bundesrepublik auszutauschen. Leider galt das Interesse beider Gesprächspartner primär der korrekten Darstellung ihrer eigenen politischen Positionen und gar nicht so sehr der eigentlichen Frage. Dabei hatte das ganze vielversprechend begonnen.  





Es ging unter anderem um die Frage, ob Politiker über 50 überhaupt wissen können, was junge Leute im Land bewegt. Vogts optimistische These dazu lautete in etwa: Mit den richtigen Beratern (also im Falle der SPD den Jusos) seien auch ältere Politiker in der Lage, die Interessen der jüngeren Generation zu vertreten. Nicht das biologische Alter der Politiker sei schließlich entscheidend, sondern die Bereitschaft, junge Inhalte wahr- und aufzunehmen. Auch ältere Politiker hätten die Probleme der Jugendlichen "gut auf dem Schirm".

Aber ist das tatsächlich der Fall? Piratin Katharina Nocun jedenfalls teilte Vogts optimistische Einschätzung nicht. Nach wie vor habe sie "insgesamt nicht das Gefühl, dass sich viel bewegt". Ein Riesenproblem, das vorige Generationen hinterlassen haben, sei neben der Umweltverschmutzung die drohende Altersarmut. Um mit solchen Schwierigkeiten und Sorgen der jungen Generation umzugehen aber sei es von Vorteil, diese Ängste aus eigener Erfahrung zu kennen. Die Probleme selbst zu erleben.

Das wäre bei jüngeren Politikern naturgemäß eher der Fall, aber die finden sich nun mal sehr selten in Machtpositionen wieder. Und spätestens auf dem mühsamen Weg in den Bundestag, so die Piratin Nocun, würden junge Menschen mit Ecken und Kanten glatt geschliffen und zur Konformität erzogen. So blieben es letztlich also doch wieder "die Alten", die das Sagen haben - selbst wenn sie biologisch halbwegs jung sein mögen.

Was hältst du vom diesem Generationenkonflikt? Fühlst du dich durch Politiker der Generation 50 plus ausreichend repräsentiert? Wird es Zeit, dass jüngere Politiker in entscheidende Machtpositionen aufrücken - oder bist du, im Gegenteil, ganz froh, dass die großen Entscheidungen von Menschen mit mehr Lebenserfahrung getroffen werden?

Über Wege und Stege zum Gemeinschaftsgarten

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Im Rahmen einer Ausstellung im Hamburg Museum präsentiert das niederländische Architekturbüro MVRDV eine Alternative zu Hochhaustürmen: Das Konzept "The Vertical Village" sieht Häuser vor, die neben- und übereinander stehen.

Hochhäuser wohin man schaut. Fenster über Fenster, Balkon über Balkon, alle in derselben Farbe und Größe. Gleichförmige Fassaden über mehr als ein Dutzend Stockwerke. Häuser, auf denen man nach Spuren von individueller Gestaltung der Außenwände durch die Bewohner mit der Lupe suchen muss. Großformatige Fotos von solchen Motiven empfangen die Besucher der Ausstellung "The Vertical Village" im Hamburg Museum, die noch bis 29. September im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) zu sehen ist (www.hamburgmuseum.de). Wo die Aufnahmen gemacht wurden, erfährt der Betrachter nicht, doch es ist offensichtlich, dass man die abgebildeten Objekte in den Millionenstädten rings um den Erdball finden kann. Einen Raum weiter wird klar, dass es hier vor allem um die boomenden Metropolen Asiens geht. Videoaufnahmen unter anderem aus Peking, Tokio, Hongkong und Bangkok zeigen neu erbaute Wohngiganten mit 30 Stockwerken und mehr, meist noch ohne jede Infrastruktur.



Das Wälderhaus auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg

Diese Darstellung der heutigen Realität ist Ausgangspunkt für eine Gruppe von Architekten, die beklagen, dass die oft gigantischen Blöcke die traditionelle Architektur wie zum Beispiel die niedrigen Holzhäuser in Tokio verdrängen. Die modernen Wohnkomplexe versprechen einen westlichen Wohn- und Lebensstandard, doch die gewachsenen Strukturen und menschlichen Beziehungen der einstigen Viertel werden dabei zerstört. Gibt es dazu angesichts der wachsenden Bevölkerung und des Trends zur ungebrochenen Landflucht in die Metropolen eine Alternative?

Der Niederländer Winy Maas und seine Kollegen des Architekturbüros MVRDV aus Rotterdam wollen statt Hochhauswüsten lieber urbane Dörfer in den Himmel wachsen lassen. Nach ihrem bisher nur in der Theorie bestehenden Konzept werden Häuser individuell gestaltet und neben- und übereinander gesetzt, miteinander verbunden durch Stege, Gänge, Plätze und Wege. Über Treppen gelangt man zu Gemeinschaftsgärten mit Bäumen und kleinen Teichen. Das vertikale Dorf entwickelt sich nach den Ideen und Wünschen der Bewohner immer weiter in die Höhe, es gibt keinen vorgegebenen Masterplan. Allerdings müssen Regeln festgelegt werden, damit ein Gebäude genügend Licht bekommt, wenn ein neues neben oder auf ihm gebaut wird. Im Notfall müssen die Fluchtwege der Bewohner auch der höheren Stockwerke gesichert sein. Mit zahlreichen Modellen liefert die Ausstellung eindrucksvolle Beispiele für dieses Konzept.

Dabei können sich die Besucher auch als Bauherren betätigen. Am Bildschirm können sie mit einer speziellen Software ihr Wunschhaus erstellen und es in einem Wohnturm platzieren. Im Innenhof des Museums sieht man einen fünf Meter hohen Turm mit Bauteilen aus unterschiedliche Formen und Farben. Wer früher gerne mit einem Baukasten gespielt und Klötze gerne so weit wie möglich übereinander gestapelt hat, der dürfte sich hier ganz in seinem Element fühlen.

Der Untertitel der Ausstellung "Eine radikale Stadtvision" deutet an, dass es um mehr als Spielerei geht. In den im Hamburg Museum gezeigten Interviews betonen Stadtplaner und Architekten aus Europa und Asien, dass übereinander gebaute, individuell gestaltete Häuser technisch machbar sind. Über die damit verbundenen Kosten erfährt man allerdings nichts. Ob das "vertikale Dorf" tatsächlich eine große Anziehungskraft auf Menschen in den asiatischen Metropolen ausübt, müsste noch geklärt werden. In der Ausstellung kann man sich die Wohnwünsche von fünf jungen Familien mit kleinen Kindern im 2,7 Millionen Einwohner zählenden Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan, anhören. Nicht der gute Kontakt zu Nachbarn und intakte soziale Strukturen werden genannt, sondern Kriterien bei der Suche nach einer neuen Wohnung sind neben bezahlbaren Mieten möglichst viele Fenster für viel natürliches Licht, ausreichend Parkplätze, die Nähe zur U-Bahn und die Erreichbarkeit des eigenen Arbeitsplatzes innerhalb von einer Stunde sowie für die Kinder eine gute Schule und ein Spielplatz in nicht zu großer Entfernung. Dies ist auch weitgehend in Hochhaussiedlungen realisierbar.

Die Ideen von Maas und Kollegen nehmen vieles auf, was es heute schon gibt. In Taipeh haben sich viele Bewohner in luftiger Höhe ihr Dach ausgebaut, um dort zu gärtnern oder mit den Kindern im Freien zu spielen - an einen eigenen Garten ist ansonsten nicht zu denken. Mittlerweile ist der Ausbau von den Behörden verboten worden, doch sie haben kaum Möglichkeiten, dieses Verbot auch durchzusetzen. Die Wäscheleinen, die in den engen Gassen zwischen zwei Bauten gespannt werden, haben die Architekten dazu inspiriert, Wohnhäuser mit einem neu geschaffenen Zwischenraum zu verbinden, der weit über der Erde zum Beispiel einen Ort der Begegnung in der Nachbarschaft schafft.

Ansonsten zeigt die Ausstellung auch, dass die Ideen von Architekten und Bewohnern zum Teil weit auseinandergehen. Der Architekt Hsiao Yu-Chic hat ein Holzhaus mit einer Fläche von 4,32 Quadratmetern für den Stadtbezirk Zhong Shan in Taipeh entworfen, das nach seiner Ansicht alles bietet, was man braucht: eine Toilette, Badewanne, Schreibtisch mit einem Stuhl, Küchenzeile, Schubladen und ein Bett. "Wir sind für unsere dreiköpfige Familie seit zwei Jahren auf Wohnungssuche", erklärt eine junge Mutter aus der Mittelschicht im Ausstellungsvideo, die gerade in Taipeh mit einem Makler eine 39-Quadratmeter-Wohnung besichtigt hat. "Schön, aber zu klein", lautet ihr Urteil über das "Mini-House".

Job trotz Widerworte

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Betriebe stellen sich auf schwierige Auszubildende ein

Kein Interesse an der Schule, Hauptschulabschluss mit Note 5. Nach mehr als 20 Absagen blieb Andreas Gröner nur einer der Kurse, in denen besonders schwache Jugendliche gezielt auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Sie werden von der Arbeitsagentur bezahlt. Gröner lernte also in der Münchner Innung für Maler und Lackierer acht Monate lang intensiv Deutsch und Mathematik, übte Vorstellungsgespräche und trainierte Grundlagen der Farbtechnik.

Innungsgeschäftsführer Jürgen Weber wirbt für ein "anderes Verständnis für Leistung". Die Jugendlichen seien zwar schulisch schwach, aber oft handwerklich begabt. Gerade schwierige Schüler würden engagierte Mitarbeiter, wenn sie eine Chance bekommen. Und tatsächlich: "Irgendwann habe ich auch verstanden, dass ich etwas tun muss - jeder braucht Geld zum Leben", sagt der heute 19-jährige Andreas Gröner. Den Hauptschulabschluss holte er nach, Note 1. Die Malerinnung vermittelte ein Praktikum bei der Hirsch GmbH, wo Gröner überzeugte und einen Ausbildungsplatz bekam. Er war der erste Lehrling, den die Hirsch GmbH aus einer Fördermaßnahme des Arbeitsamtes einstellte. Mittlerweile ist der junge Mann im zweiten Lehrjahr, Prokurist Thomas Turm ist zufrieden.



Stellenangebote im Berufsinformationszentrum (Archivbild 2012)

Gerade Handwerksbetriebe müssen Kompromisse machen, wenn sie überhaupt noch Lehrlinge finden wollen. Das Handwerk sei für gut ausgebildete junge Leute nicht mehr attraktiv, klagen Firmeninhaber und Innungen. Trotz groß angelegter Werbekampagnen streben Mittel- und Realschüler mit guten Noten eher nach höheren Abschlüssen oder schlagen eine akademische Laufbahn ein. Schwere körperliche Tätigkeiten und lange Arbeitszeiten schrecken ab. Große Konzerne wie BMW oder Audi können sich interessierte Azubis aussuchen, den kleineren Betrieben bleibt der Rest. Immer mehr Firmen stehen deshalb vor der Wahl, ihre Ansprüche an Lehrlinge massiv zu senken und in deren Förderung zu investieren, oder Lehrstellen unbesetzt zu lassen.

Prokurist Turm will eigene Nachwuchskräfte heranziehen. Doch er ist Realist: "Mit den Ansprüchen von früher finden wir heute keine Lehrlinge." Dass Schulabgänger ohne Qualifizierenden Hauptschulabschluss gar nicht eingeladen werden, ist längst Vergangenheit. Der Fachkräftemangel lässt Turm auch über Unpünktlichkeit, penetrantes Duzen und Widerworte hinwegsehen - anfangs zumindest. Ausbilder müssten die Erziehungsleistung übernehmen und den Jugendlichen Respekt vor Vorgesetzen und richtiges Benehmen erst beibringen, sagt Turm. Dann funktioniere auch die Zusammenarbeit. Betriebe und Berufsschulen müssten auffangen, was in der Erziehung verpasst wurde.

In Zukunft dürfen Unternehmen wohl noch weniger wählerisch sein. Allein in Bayern werden laut der IHK München und Oberbayern bis zum Jahr 2025 etwa 620000 Fachkräfte fehlen. Nicht nur schwache Schulabgänger werden gebraucht, auch Problemfälle für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden. Die IHK will jedes Potenzial nutzen. Mit Halbtags-Ausbildungen für junge Eltern und Angeboten für Menschen über 25 Jahren, die keine Ausbildung haben, sollen weitere Arbeitskräfte aktiviert werden. Zudem will die Kammer Betriebe mit Schulungen auf die Betreuung schwacher Azubis vorbereiten.

"Die Situation ist prekär", sagt Andreas Wolf, Ausbildungsleiter des Elektrounternehmens Bauer. Doch bei der Qualität will er keine Kompromisse machen. "Lieber stelle ich weniger ein, als einen, der die anderen runterzieht", sagt Wolf. 70 Bewerbungen hat er gesichtet, sieben Jugendliche haben in dieser Woche die Ausbildung zum Elektro- oder Sicherheitstechniker begonnen. Ohne Testlauf vergibt Wolf keine Lehrstellen mehr, Probearbeiten hält er für aussagekräftiger als Noten. Azubis, die Anweisungen ignorieren, anhaltend zu spät kommen oder nur auf das Handy starren, könne er nicht brauchen, sagt Wolf.

Omid Nazari war so wissbegierig, dass er sofort einen Vertrag bekam. Neues notiert der 17-jährige Afghane in ein Notizbuch, das er immer bei sich trägt. "Und er spricht besser Deutsch als viele Bewerber, die hier aufgewachsen sind", sagt sein Ausbildungsleiter Wolf. Dabei wohnt Nazari erst drei Jahre in Deutschland. Allein. Seine Familie lebt in Iran. Mit dem Ausbildungsplatz bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung. Dass Flüchtlinge sehr eifrige Azubis sind, diese Erfahrung hat auch der Leiter der Münchner Berufsschule für elektrische Anlagen und Gebäudetechnik, Ludwig Völker, gemacht. Bei den einheimischen Jugendlichen - oft mit Migrationshintergrund -, die seine Schule besuchen, nehme dagegen die Zahl der Problemfälle zu. 20 Prozent der Azubis müssten erst lernen, miteinander umzugehen und im Team zu arbeiten. Doch auch die schwierigsten Fälle gibt Völker nicht verloren: "Man muss die Jugendlichen mögen, dann erreicht man sie auch."

Die Leute sind da

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Wissenschaftler wehren sich gegen Rassismus

In München hat am Montagabend ein Protestmarsch von Flüchtlingen die Stadt erreicht - zwei Monate nach dem Hungerstreik von Asylbewerbern auf dem Rindermarkt - und in Berlin-Hellersdorf protestieren Anwohner gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft, während allein aus Syrien bisher zwei Millionen Menschen fliehen mussten. Es sieht so aus, als ob die Debatte um die deutsche Asylpolitik in diesem Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht.



Polizeifahrzeuge vor einem Asylantenheim in Berlin Hellersdorf

Das "Netzwerk kritischer Migrations- und Grenzregimeforschung", ein europäischer Zusammenschluss von jungen Wissenschaftlern, stellt diesen Ereignissen in einer Petition die NSU-Morde gegenüber: Alltagsrassismus und das Systemversagen der Ermittlungsbehörden im Fall NSU will das Netzwerk nicht als getrennte Phänomene betrachtet sehen - beides liege im "institutionellen Rassismus in Deutschland" begründet, heißt es im Petitionstext.

Unter dem Titel "Solidarität statt Rassismus" protestieren die Unterzeichner deshalb gegen einen "virulenten Rassismus", der deutscher Zuwanderungspolitik zu Grunde liege: "Der NSU konnte jahrelang morden, weil die Polizei einfach nicht an einen mörderischen Rassismus geglaubt hat. Stattdessen hat man die Morde perfide den migrantischen Milieus selbst angedichtet", sagt Sabine Hess, Professorin für Kulturanthropologie und Migrationsforschung an der Universität Göttingen und Mitinitiatorin der Petition. "Wir hoffen, dass es andere Antworten auf die NSU-Versäumnisse geben wird als kosmetische Veränderungen beim Verfassungsschutz." Die Gesellschaft müsse jetzt innehalten und den "strukturellen Rassismus" beenden, der in Bildungs-, Sozial- und Zuwanderungsgesetzen Ausländer zu Menschen zweiter Klasse mache.

Die Petition übt eine sehr grundsätzliche Kritik an der deutschen, aber auch der gesamteuropäischen Flüchtlingspolitik. Auch die nur auf den ersten Blick gut gemeint wirkende Kategorie "Integration" bleibt nicht verschont, indem nach der dafür verlangten Anpassungsleistung gefragt wird: Der Begriff betrachte den einzelnen Flüchtling nicht als "den ganzen Menschen mit seiner Geschichte", sondern immer als "Mangelwesen, das sich der Chimäre einer deutschen Leitkultur anpassen muss", sagt Sabine Hess. "Das ist eine rückständige Debatte, die wir auf die Höhe der gelebten, vielfältigen Realität eines Einwanderungslandes bringen wollen", sagt sie. "Es ist so viel dazu geforscht worden, die Institutionen müssen ihre eigenen Erkenntnisse endlich ernst nehmen und die Einwanderungsrealität annehmen." Was das bedeuten würde? "Wir müssen als Gesellschaft akzeptieren, dass Migration nicht kontrollierbar ist und dass die Wirtschaft einen großen Bedarf an migrantischer Arbeitskraft hat. Die Leute sind da und kommen auch weiterhin. Es ist an der Zeit, endlich echte Teilhabe, Partizipation und gleiche Rechte in die Wege zu leiten. "

Unterschrieben haben die Petition bisher 244 Menschen, darunter viele Wissenschaftler und Gewerkschafter. Klaus Bade, einer der renommiertesten deutschen Migrationsforscher, gehört zu den Unterzeichnern und auch Wolfgang Richter, der während der rassistischen Ausschreitungen gegen das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen Ausländerbeauftragter der Stadt war.

Freiheit zu schreiben

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Ein Abend mit selbstbewusstem Zeitungsstolz: Der Theodor-Wolff-Preis wurde in München vergeben

Die Geschichte des kleinen Dennis und seiner Pflegeeltern, an deren Ende große Verzweiflung steht, beginnt im November 2006. Damals wurde das Hamburger Ehepaar Schneider zu Pflegeeltern für einen viermonatigen Jungen, dessen drogenabhängige Mutter ihn im Krankenhaus zurückgelassen hatte. Die Geschichte endet knapp sechs Jahre später, im Mai 2012, als Dennis ins Heim kommt, weil die Schneiders nach jahrelangen Kämpfen mit den Behörden, finanziell und seelisch am Ende, kapituliert haben.



Jan Haarmeyer - der stolze Preisträger (links) bei der Verleihung in München

Der Journalist Jan Haarmeyer hat Dennis" Geschichte, deren Irrsinn man beim Lesen kaum begreifen kann, für das Hamburger Abendblatt aufgeschrieben, zwei Seiten hat er am 8. Juni 2012 dafür freigeräumt bekommen. Er hat für diesen Text so viele Leserbriefe bekommen wie wahrscheinlich nie wieder in seinem Leben, sagt er. Menschen, Haarmeyers Leser offenbar, haben daraufhin vor Behördengebäuden demonstriert. Und am Mittwochabend in München, in Anwesenheit von Blasmusik und Presseprominenz, ist Jan Haarmeyer für seinen Text "Im Namen des Volkes, auf Kosten des Kindes" mit dem Theodor-Wolff-Preis, dem Journalistenpreis der deutschen Zeitungen, ausgezeichnet worden.

Haarmeyers Text, wie auch die Geschichten der weiteren vier Preisträger, seien Geschichten, die uns "einen neuen Blick auf die Welt geben", sagte Richard Rebmann, Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medienholding und Gastgeber bei der Preisverleihung im Haus der Süddeutschen Zeitung, zur Begrüßung, und gab in seiner Rede gleich den Ton des Abends vor. Für Geschichten wie die hier ausgezeichneten, so Rebmann, brauche es Zeit, eine gewisse Muße und Freiheit im Redaktionsalltag. Jochen Arntz etwa hat für die Süddeutsche Zeitung viele Monate lang im Umfeld von Maike Kohl-Richter recherchiert und geht der Frage nach, ob die zweite Frau des Altkanzlers Helmut Kohl in ihrem Haus in Oggersheim ein Stück bundesdeutsche Geschichte umdeutet. Kai Müller vom Tagesspiegel hat die Chronik einer tödlichen Messerstecherei recherchiert und sehr langsam das Vertrauen seiner Protagonisten gewinnen müssen. Andrea Jeska fuhr für die Zeit nach Burkina Faso und traf einen alten Mann, der sich und seinem Dorf selbst half, und Robin Alexander ging für die Welt am Sonntag dem Begriff "Herdprämie" nach - und kam bis zu Charles Dickens. Alles keine Geschichten also, die schnell oder einfach zu machen waren. Alles Geschichten, für die es Zeit und Freiheit braucht.

Solche Texte, sagte Rebmann, seien die Grundlage für eine Zukunft der Zeitungen, die er ausdrücklich nicht so finster sieht wie all jene, die schon seit Jahren ihren "eigenen Untergang prophezeien". Zum einen seien die meisten Verlage rentable Unternehmen, und für jedes, das derzeit verkauft würde, gebe es einen Käufer. Das ist die wirtschaftliche Seite, und von einem Bedeutungsverlust der Print-Branche kann Rebmann zufolge ohnehin keine Rede sein. Das Segment habe, zitiert er eine aktuelle Studie, in der Meinungsrelevanz zugenommen. Und noch nie habe ein Verlag so viele Möglichkeiten gehabt, Inhalte auf unterschiedlichsten Kanälen auszuspielen.

Inhalte, Recherche, Texte, darum ging es an diesem Abend im SZ-Hochhaus. Das Betreiben von E-Commerce-Plattformen allein - Webseiten also, auf denen andere Verlage alles Mögliche, aber keine Geschichten verkaufen - sei, so Rebmann, "keine Antwort auf die Frage, ob es auch in Zukunft noch Qualitätsjournalismus geben wird". Man brauche den anspruchsvollen, reflektierenden und unterhaltenden, einordnenden und überraschenden Journalismus so dringend wie nie zuvor.

Es war ein Abend mit viel Zeitungsstolz, den die Schauspieler Sibylle Canonica und Matthias Brandt noch ein wenig steigerten, indem sie die ausgezeichneten Texte zum Live-Hörstück machten. Am Ende des Abends dann trat Alfred Grosser auf die Bühne, der deutsch-französische Publizist, den die Jury für sein Lebenswerk auszeichnete und der von Avi Primor in einer Laudatio gewürdigt wurde. In seiner Dankesrede, das kündigte Grosser gleich an, müsse er kritisch mit den Medien sein. Grosser sprach dann, von einem sehr strengen Abstecher zur Regietheaterliebe der Zeitungen abgesehen, über das Fernsehduell der Kanzlerkandidaten - und vor allem die Eitelkeit der Journalisten. Es waren, zum Glück, natürlich nur Fernsehjournalisten gemeint.

Nichts wie weg

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Alle reden über explodierende Mieten, dabei ist das eher die Ausnahme. Denn vielerorts wollen immer weniger Menschen wohnen. Forscher warnen vor verwahrlosten Städten und steigenden Kosten

Detroit ist das weltweit bekannteste Beispiel für den Niedergang einer Stadt. Seit den fünfziger Jahren ist in der amerikanischen Stadt die Zahl der Einwohner von zwei Millionen auf 700000 geschrumpft. Viele Straßenzüge sind verlassen. Die Kommune ist mit 18 Milliarden Dollar Schulden zahlungsunfähig. Die Pensionäre der Stadt fürchten mittlerweile um ihre Altersbezüge. Kann es so weit auch in Deutschland kommen? Jetzt haben Forscher erstmals vor Zuständen wie in Detroit gewarnt.

Die Münchner fliehen wegen unbezahlbarer Mieten weit hinaus aufs Land. In Hamburg kommen auf eine freie Wohnung Dutzende Bewerber, und Berlin ist gefragt wie noch nie. Das ist die eine Seite des deutschen Wohnungsmarkts. Etwa 15 Millionen Bürger leben in Regionen, in denen das Wohnen zuletzt teurer geworden ist. Doch in vielen anderen Gegenden werden verwaiste Häuser und leere Wohnungen zu einem zunehmend größeren Problem. Das zeigt eine neue Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).



LeerstehendePlattenbauten in Dresden (Archivbild 2010)

Auf dem Wohnungsmarkt kreuzen sich in den nächsten Jahrzehnten mehrere Entwicklungen: Wegen des Geburtenrückgangs geht die Zahl der Einwohner zurück. Selbst wenn nach Abzug der Auswanderer jedes Jahr 100000 Menschen neu nach Deutschland kommen, verringert sich die Zahl der Einwohner bis 2060 von mehr als 80 Millionen auf knapp 65 Millionen.

Regional gibt es dabei große Unterschiede, der Wohnungsmarkt driftet auseinander: Nur in Bayern, Berlin, Hamburg und Bremen dürfte die Bevölkerung zunehmen, die ostdeutschen Länder und Saarland verlieren dagegen zehn bis fast 20 Prozent. Dazu kommt der Sog der Großstädte. Sie werden bei Jung und Alt beliebter, weil es dort zum Beispiel mehr Jobangebote gibt und die Gesundheitsversorgung besser ist. Deshalb werde zugleich der Leerstand in vielen ländlichen Regionen zunehmen und sich "das Phänomen schrumpfender Städte und Kreise zum Massenphänomen ausweiten", sagt Professor Michael Voigtländer, Immobilien-Experte im IW.

Wie sich dies auswirkt, haben die Kölner Forscher für alle 402 Landkreise und kreisfreien Städte vorausberechnet. In dem für sie wahrscheinlichsten Szenario unterstellen sie dabei, dass die Bundesbürger im Durchschnitt - anders als in der Vergangenheit - nicht noch mehr Quadratmeter für sich in Anspruch nehmen. In Metropolen wie München (+ 13,5 Prozent), Hamburg, Frankfurt oder Berlin würde so die Nachfrage nach Wohnraum weiter steigen. Die größte Zunahme bis 2030 erwarten die Wissenschaftler im Münchner Umland (Grafik). In 240 der 402 Kreise und Städte geht laut der Studie dagegen die Nachfrage zurück - vor allem im Westen der Republik und Großstädten wie Essen (- 5,6 Prozent) oder Dortmund (- 4,4 Prozent), in kleineren Orten wie Salzgitter (- 17,1), Pirmasens (- 12,2) oder Saarbrücken (- 8,6) sowie besonders in Ostdeutschland. Im thüringischen Suhl könnte zum Beispiel in weniger als 20 Jahren mehr als jede fünfte Wohnung überflüssig sein.

Sind Häuser erst einmal verlassen, könne dies eine Abwärtsspirale auslösen, heißt es in der Untersuchung weiter. So verringerten sich die Vermietungschancen angrenzender Gebäude. Im schlimmsten Fall führe dies zu Vandalismus und Verwahrlosung, zur Zersiedlung und zu löchrigen Stadtbildern. "Dies wirkt sich negativ auf die Infrastrukturkosten aus, denn bei gleicher Stadtfläche bleiben die Kosten für Müll, Abwasser und anderen Leitungsnetze konstant und die Kosten pro Kopf steigen", schreiben die Studienautoren. Verwahrloste Stadtviertel und steigende kommunale Gebühren ließen aber "die mobilen Haushalte abwandern und die Probleme verstärken sich weiter".

Was also tun? Neue Flächen auszuweisen, um Gewerbe und Zuzügler anzulocken, führe oft zu noch mehr Leerstand, warnt Voigtländer. Stattdessen sollten Kommunen versuchen, bestehende Wohnungen aufzuwerten.

Das Schwein ist gelandet

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Ist Pink Floyds Ex-Bassist Roger Waters nun ein Antisemit? Bei "The Wall" in Berlin verhedderte er sich vor allem in Symbolen

Am Tag vor seinem Konzert im Berliner Olympiastadion schaute Rogers Waters kurz bei der Berliner "East Side Gallery" vorbei,um gegen den Teilabriss des mit allerlei Kunst versehenen Mauerüberrest zu protestieren. Er ließ sich dort mit erhobener Faust vor dem Cover des Pink-Floyd-Albums "The Wall" fotografieren zu lassen, das dort auch zu sehen ist, und äußerte noch ein paar Selbstverständlichkeiten. Das Mauerdenkmal, so Waters, der andiesem Freitag 70 Jahre alt wird, sei ein wichtiger Ort und müsse erhalten bleiben. Am nächsten Tag berichteten zahlreiche Artikel von der Begebenheit, nicht ohne auf das Konzert am Abend zu verweisen, das erstens noch nicht ausverkauft und zweitens umstritten war: Verschiedene jüdische Organisationen hatten im Vorfeld versucht, das Konzert wegen seiner antisemitischen Motivik zu verhindern.



Roger Waters im Berliner Olympiastadion

Von vorn: Im November 2012 hat Roger Waters eine Rede im Hauptquartier der Vereinten Nationen gehalten, in der er Israel vorwarf, kontinuierlich Völker-und Menschenrechte zu verletzen, sowie im Gazastreifen Millionen Palästinenser in einem "Open-Air-Gefängnis" zu verwahren. Israel, so Waters, sei ein "Apartheitsstaat", der sich "ethnischer Säuberungen" und Kollektivbestrafungen der Zivilbevölkerung schuldig gemacht habe. Gegen Antisemitismus-Vorwürfe verwahrt er sich stets, indem er auf seine jüdischen Enkel und Freunde sowie auf die Biografie seiner Eltern verweist: Sein Vater ist 1944 im Krieg gegen die Nazis gefallen. Das bedeutet allerdings erst einmal wenig. Das "Ich habe viele jüdische Freunde, aber..." ist für Antisemiten das, was das "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber..." für Rassisten ist.

Als nun kürzlich ein Zuschauer in Belgien Aufnahmen des "The Wall"-Konzerts ins Internet stellte, auf denen das aufgeblasene Schwein zu sehen war, das im Rahmen der Show in die Luft steigt, schien Waters eine rote Linie überschritten zu haben: Der schwarze, hässliche, gefährliche Eber trug einen Davidstern am Hals. Daraufhin protestierten jüdische Organisationen im In- und Ausland, denn ein Davidstern auf nicht-koscherem Schwein ist ein antisemitisches Motiv, dessen Tradition bis ins Mittelalter reicht. Waters wandte ein, dass auf dem Schwein außerdem unter anderem Hammer und Sichel und ein Dollar-Zeichen zu sehen sind. Das ist auch richtig. Aber wiederum ein Klischee aus den Märchen um die jüdische Weltverschwörung.

Bei der Ausgabe seiner politischen Rockoper, die Waters nun in Berlin aufführte, kam dann noch einiges zusammen, denn das Konzert fand erstens im Berliner Olympiastadion statt, dem Nazi-Turntempel, in dem Leni Riefenstahl 1936 ihren monumentalen Propagandafilm "Olympia drehte, und zweitens am Vorabend des jüdischen Neujahrsfestes Rosch ha-Schana. Roger Waters eröffnete drittens den Abend in einem zweireihigen schwarzen Ledermantel mit - viertens - roter Armbinde. Er legte den Mantel gleich wieder ab, doch später, als dann das Schwein des Anstoßes aufstieg, hatte er ihn doch wieder an, während hinter ihm meterlange rote Stoffbanner auf die Leinwand projiziert wurden, auf denen ein weißer Kreis mit zwei gekreuzten schwarzen Hämmern zu sehen war. Damit das alles noch viel mehr nach alten Reichsparteitag-Dokumentationen erinnerte, brüllte er zackig in ein Megafon, während aus den Dolby-Boxen hinter den Zuschauern Menschenmassen immer wieder zwei Silben riefen, die recht aufdringlich "Sieg Heil" implizierten. Das gehört alles schon seit 1980 zur Show war dann aber doch nicht sehr subtil. Originalschauplatz! Rote Armbinde! Schwein mit Davidstern! Und trotzdem aller Wahrscheinlichkeit nach kein Grund zur Beunruhigung.

Im Verlauf der megalomanen Show inszeniert sich Waters der Reihe nach als stilisierter Che Guevara, als einsamer, natürlich vom Kapital gebrochener Mensch, der einen Flachbildfernseher hat, aber niemanden zum Reden, und als Bob Geldof. Ein neuer Fall Meese liegt hier eher nicht vor, denn die Show fällt auf die Klischees herein, die sie zu thematisieren vorgibt: Die Welt ist in dieser Rockoper geteilt in mächtige Demagogen auf der einen Seite, hier repräsentiert durch Dollarzeichen, Konzernlogos und religiöse Embleme. Und aufrechten kleinen Leuten auf der anderen Seite, die "Capitalism" in Coca-Cola-Schrift an Häuserwände malen, dauernd unter die Räder kommen, aber immerhin die Faust in die Luft recken können, wenn es gilt, Kampfgeist zu demonstrieren. Das machte Roger Waters auch sehr oft an diesem Abend, wenn er gerade nicht seinen schwarzen Mantel anhat, sondern als schwarz-roter Commandante ausgeleuchtet war.

"The Wall" ist ein Rock-Musical, das nichts über eine Gegenwart wissen will, in der alles mit allem zusammenhängt. In der Investmentgesellschaften Demokratien vor sich her treiben, jedes online verkaufte "The Wall"-Ticket die Big-Data-Maschine füttert und die wirkungsmächtigsten Ideologen der Welt T-Shirts tragen und beim Joggen Pink Floyd hören. Stattdessen erzählt Waters ein Politmärchen aus dem 20. Jahrhundert. Und verheddert sich heillos in den Symbolen, weil sie ihm nichts bedeuten.Dass dabei möglicherweise religiöse Gefühle verletzt werden, darauf mag Roger Waters keine Rücksicht nehmen, schließlich trägt er als Gesicht dieses unheiligen Wanderzirkus die Verantwortung dafür, dass sein populistischer Politpop möglichst teuer unter die Leute gebracht wird. Das unheilvolle Wirtschaftssystem, das er anprangert, perpetuiert sich schließlich nicht von allein. Auf einer anderen Ebene handelt die Aufführung deshalb davon, dass man reich wird, wenn man keine Rücksicht nimmt: Roger Walters Tour für Weltgerechtigkeit hat bis dato 380 Millionen Euro umgesetzt.

Wie das Internet ... barfuß Rad fährt

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Ein Lifehacker macht sein Leben mit einfachen Tricks ein bisschen besser. Das Internet ist voll von Lifehackern - wir sammeln ihre besten Tricks. Heute: An den letzten warmen Sommertagen noch mal schnell ohne Schuhe zum See radeln.




Das Probelm: Ist erstmal keins: Draußen ist es noch mal so richtig warm, du willst die Gelegeheit nutzen, schnell zum See fahren und jauchzend reinspringen. Sachen in die Tasche packen, kurze Hose anziehen, T-Shirt drüber, fertig! Schuhe? Brauchst du ja nicht, ist doch Sommer! Und dann wird's eben schwierig: Du findest das barfuß Radeln zwar toll, deine Fußsohle aber eher nicht. Das kann nämlich ganz schön wehtun, weil Pedale für Schuhsohlen gemacht und mit rauer Anti-Rutsch-Oberfläche versehen sind.

Die Internet-Lösung: Liegt bei den Putzutensilien: Ein Spülschwamm (im besten Fall ein frischer). Den kann man einfach mit einem Gummiband an den Pedalen befestigen und hat eine wunderbare Polsterung für zarte Fußsohlen. Damit kann man sogar zum weiter entfernten See radeln, ohne dass es wehtut.


Hilft dir das? Wie radelst du barfuß?

Trotzdem Stipendiat?

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An der Zeppelin-Universität werden seit diesem Jahr sogenannte Diversitätsstipendien an junge Menschen vergeben, die sonst angeblich keines bekommen würden. Aber wer sind diese Stipendiaten nun und was sind ihre Geschichten? Drei kurze Interviews.

Die Zeppelin Universität am Bodensee ist bekannt als eine der renommiertesten Privatuniversitäten des Landes. Seit diesem Jahr vergibt sie zum ersten Mal sogenannte Diversitätsstipendien für diejenigen, die laut Pressemitteilung der Universität "...sonst niemals eines bekommen würden": Sitzenbleiber, Migranten, Ausbildungsabbrecher, Legastheniker und andere Bewerber mit Lücken oder Macken im Lebenslauf. Die Idee dahinter ist simpel: Je vielfältiger eine Bildungsgemeinschaft ist, desto perspektivenreicher und leistungsstärker ist sie auch. Doch wer bekommt diese Förderung nun eigentlich und welche Lebensgeschichte steckt da im Einzelnen dahinter? Wir haben mit drei der neuen Stipendiaten gesprochen.


Julius Oblong, 22, aus Düsseldorf, hat das Stipendium für Sitzenbleiber bekommen und beginnt jetzt mit dem Studium der Politikwissenschaften, Verwaltung und Internationale Beziehungen. Abinote: 1,9





jetzt.de: Was ist an deiner Biographie so besonders?
Julius: Ich bin in der siebten Klasse sitzen geblieben, weil ich von der Gesamtschule aufs Gymnasium gewechselt bin.

Wie kamst du auf das Stipendium?
2011 habe ich mein Abi gemacht, ein FSJ-Kultur im Goethe Institut Düsseldorf gemacht und dann in Freising beziehungsweise Weihenstephan angefangen Management Erneuerbare Energien zu studieren. Nach zwei Semestern war ich aber ziemlich enttäuscht, weil ich den Studiengang als überhaupt nicht zielführend empfunden habe. Ich will nicht einfach bloß in der Bibliothek sitzen und Wissen ansammeln. Von einer Universität will ich denken lernen. Als ich wusste, dass ich das Studium abbrechen will, bin ich mit Freunden nach Italien getrampt. Auf dem Weg dorthin übernachteten wir auf der Couch einer Freundin in Friedrichshafen. Sie ging auf die ZU und erzählte von diesem Diversitätskonzept. Fand ich gut, aber ich war auch ein bisschen misstrauisch, weil das nach so einem gut angelegten Marketingcoup klang. Überhaupt stand ich der perfekten Fassade der ZU etwas kritisch gegenüber. Aber das Konzept hat mich dann doch überzeugt, Interdisziplinarität, niedrige Entscheidungsketten bei Lehrstoffen, viel Verantwortung für die Studierenden und so.

Warum glaubst du, hast du das Stipendium bekommen?
Ich bin sozial sehr engagiert, war Semestersprecher in Weihenstephan und bin Mitglied in der Grünen Jugend NRW, war im Landesparteirat von B'90 und Sprecher der grünen Jugend Düsseldorf. Außerdem haben mir die Aufnahmetests viel Spaß gemacht und das haben die sicherlich gemerkt.

Wie fandest du die Tests?
Ich war zwar ein bisschen verkatert, weil wir am Abend vorher noch an der Hotelbar versackt sind und wir uns dann ziemlich reinhängen mussten. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass die Englisch- und Mathetests vor den Gesprächen inhaltlich gar nicht so viel zählen und dass es relativ egal ist, wie man da abschneidet. Ich glaube, die wollen einen damit nur ein bisschen nervös machen um rauszukitzeln, was man für einen Charakter hat.

Was willst du mal werden?
Naja, ich bin ja schon etwas. Aber ich hoffe, dass mir das Studium dabei hilft, den richtigen beruflichen Weg zu finden. Ich bin politisch sehr engagiert, halte aber den parlamentarischen Karriereweg nicht für sinnvoll. Erstens machen das schon genug Leute, zweitens wird man dabei sehr stark fremd bestimmt. Ich will lieber selbst herausfinden, wo man das Eisen ansetzen kann, um die Gesellschaft zu verändern. Systeminnovator, das ist vielleicht ein gutes Wort für das, was ich machen möchte.



Kübra, 20, aus Berlin, hat das Stipendium für Studenten mit bildungsfernen Eltern bekommen und beginnt jetzt das Studium der Kommunikations- und Kulturwissenschaften. Abinote: 1,5





jetzt.de: Was genau ist an deiner Biographie so besonders?
Kübra: Weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Ich finde nicht, dass ich so anders bin als andere Menschen. Meine Eltern sind halt keine Akademiker. Sie haben beide nicht studiert und ich bin bisher die einzige in meinem gesamten Familienumfeld, die an die Uni geht. Meine Mutter kam erst mit 20 Jahren aus der Türkei nach Deutschland und hat gar keinen Abschluss. Sie arbeitet als sogenannte „Stadtteilmutter" in Kreuzberg, das ist eine Art Sozialhelferin. Mein Vater ist KFZ-Mechaniker, wurde dann aber arbeitsunfähig und ist jetzt in Rente. Meine ältere Schwester macht eine Ausbildung zur Waldorferzieherin, mein Bruder macht jetzt Abi und mein kleinster Bruder ist erst sieben Monate alt.

Wie kamst du auf das Stipendium?
Über einen alten Freund, den ich über die START-Stiftung kannte. Ich hatte gerade ziemlich frustriert mein Energietechnik-Studium abgebrochen und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich wollte am liebsten etwas Kulturelles, irgendwie Künstlerisches machen. Meine Eltern konnten damit nichts anfangen, Kultur studiert man nicht, finden sie, die entwickelt sich von selbst. Meine Eltern kennen eigentlich nur drei Studienmöglichkeiten: Medizin, Jura oder Maschinenbau. Meine Mutter war sehr enttäuscht von meinem Studienabbruch und wollte, dass ich mich für Zahnmedizin bewerbe. Dieser gute Freund erzählte mir dann aber, dass er jetzt auf der ZU sei und dass mich das ja vielleicht auch interessieren könnte. Ich bin dann mal runtergefahren und habe bei diesen „Studieren probieren"-Tagen mitgemacht, wo ich mit unzähligen Leuten von dort gesprochen habe. Ich habe viel Gutes und viel Schlechtes gehört - aber das wollte ich auch, um mir eine eigene Meinung zu bilden. Und dann habe ich es einfach mal versucht.

Wie war das Aufnahmeverfahren?
Wir sollten in kleinen Gruppen ein Marketingkonzept entwerfen. Ich fand das ziemlich unauthentisch, weil wir beobachtet wurden und jeder das Gefühl hatte, er müsse sich beweisen. Es war einfach nichts so, wie es unter normalen Umständen gewesen wäre. Das habe ich dann auch gesagt. Die Gespräche und die Tests liefen aber gut und haben mir gefallen, auch wenn sie wirklich anstrengend waren.

Warum glaubst du, hast du das Stipendium bekommen?
Vor allem, weil die Kommission gemerkt hat, dass ich das Studium an der ZU wirklich wollte und für mich keine andere Alternative in Frage kam. Vielleicht auch wegen meines Engagements. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, neben der Schule Stadtführungen durch Kreuzberg zu geben. Ich habe da eine richtige Ausbildung gemacht. Anfangs lief das noch ehrenamtlich, aber das Kreuzberg-Museum fand uns dann so gut, dass wir das über die machen durften und damit auch Geld verdienen. Außerdem habe ich mich in der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus engagiert und für die Migrationsgesellschaft politische Bildungsarbeit gemacht. Da sind wir hier in Kreuzberg immer in Real- und Hauptschulen gegangen und haben Projekttage zu dem Nahostkonflikt und solchen Themen gemacht. Dass ich diese Sachen jetzt aufgeben muss, um nach Friedrichshafen zu ziehen, finde ich schade, so sehr ich mich über die Aufnahme freue.

Was willst du mal werden?
Wenn ich es mir hier und jetzt aussuchen könnte, dann würde ich sagen: Kuratorin im Istanbul Modern. Aber es kann sehr gut sein, dass ich morgen schon wieder eine ganz andere Idee habe, das passiert nämlich öfter.


Aras, 20, aus Hannover, hat das Stipendium für Studenten mit Migrationshintergrund erhalten und beginnt jetzt mit dem Studium der Soziologie, Politik und Ökonomie. Abinote: 1,5





jetzt.de: Was genau ist an deiner Biographie so besonders?
Aras: Ich bin mit elf Jahren aus Istanbul nach Deutschland gekommen. In der Türkei habe ich mit meinen Eltern und meiner Schwester zusammen gelebt. Meine Schwester war ein sehr schwieriges Kind, so dass meine Eltern dauernd mit ihr beschäftigt waren und kaum Zeit für mich blieb. Meine Tante, die hier in Deutschland im pädagogischen Bereich arbeitet, sah schnell, dass ich zu Hause viel zu kurz kam und nachdem ich sie einige Male in Deutschland besucht hatte, schlug sie irgendwann vor, mich zu adoptieren. Ich bin dann zu ihnen nach Hannover gezogen, auf eine Waldorfschule gekommen und habe letztes Jahr das Abitur gemacht.

Wie bist du auf das Stipendium gekommen?
Nach der Schule bin ich durch England gereist und habe auf Bauernhöfen gearbeitet. Auf dem Weg traf ich Leute, die mir von einem Studiengang in Oxford erzählten, der Philosophie, Politik und Wirtschaft verbindet. Weil ich mich schon immer dafür interessiert habe, wie die Gesellschaft funktioniert - beziehungsweise wo sie oft nicht funktioniert und welche Probleme das bringt - hat mich das sofort neugierig gemacht. Ich fand heraus, dass man so etwas zum Beispiel auch in Witten-Herdecke studieren kann. Als ich dort hinfuhr, um mich umzusehen, traf ich dann Leute, die mir von der Zeppelin-Universität erzählten. Auf der Website entdeckte ich die Sache mit den neuen Stipendien und dachte: Könnte ich ja mal versuchen.

Wie war das Aufnahmeverfahren?
Anstrengend. Als wir ankamen, sollten wir uns in kleinen Gruppen mit ZU-Absolventen, die eine Keksfirma gegründet hatten, ein Konzept zur Kundengewinnung überlegen und wurden dabei beobachtet. In der Auswertung ging es dabei dann gar nicht um Inhalte, sondern um unser Verhalten innerhalb der Gruppe. Dann folgte ein Englisch- und ein Mathetest und schließlich zwei 45-Minuten-Gespräche mit einem Professor und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Da wurde dann über alles mögliche gesprochen und diskutiert, auch über Sachen aus dem Lebenslauf. Einige kamen aus den Gesprächen und haben gesagt: „Die haben mich fertig gemacht", viele kamen aber auch heraus und meinten: „Lief super!" Mir hat es Spaß gemacht, aus der Reserve gelockt zu werden und denen immer etwas entgegensetzen zu müssen.

Warum glaubst du, hast du das Stipendium bekommen?
Vielleicht fanden sie es gut, wie ich mich bei den Aufnahmetests verhalten habe. Ich habe mir immer erst alles in Ruhe angesehen, und dann erst losgelegt. Außerdem gefiel ihnen glaube ich, dass ich mich damals so gut eingelebt habe und dass ich generell ein engagierter Mensch bin. An meiner Schule war ich zum Beispiel Schülersprecher.

Was möchtest du mal werden?
Ich glaube, ich möchte nach dem Studium an der Uni bleiben, forschen, schreiben, lehren und Professor werden.

Weiter Weg zum Asyl

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Schweden möchte allen Flüchtlingen aus Syrien Asyl gewähren. Das klingt erstmal toll, aber wie vielen hilft es wirklich? Wer sich das europäische Asylsystem noch einmal anschaut, der sieht: Wahrscheinlich nur sehr wenigen.

Als erstes Land der EU hat Schweden angekündingt, allen syrischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Die Bürgerkriegsopfer sollen eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten und auch ihre Familien nachholen dürfen. Wie funktioniert das in der Praxis? Welche Hürden gibt es unterwegs?

Tatsächlich macht es das europäische Asylsystem den Flüchtlingen sehr schwer, Asyl in Schweden zu beantragen. Wie die schwedische Einwanderungsbehörde bestätigt, kann ein Asylantrag nur innerhalb Schwedens gestellt werden. Es genügt also nicht, sich bei der Botschaft in der Türkei oder dem Libanon zu melden. Die Reise von Syrien nach Nordeuropa ist für Flüchtlinge gefährlich und teuer. Die meisten Syrer versuchen, über Griechenland nach Europa zu reisen. “Tausende werden an der Ägäis zurückgewiesen. Die griechische Küstenwache operiert brachial”, sagt Karl Kopp, der bei der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" für Europaangelegenheiten zuständig ist. Darum würden immer mehr Syrer nach Nordafrika fliehen und von dort aus versuchen, über das Mittelmeer nach Italien zu fahren. Bei diesen Überfahrten sterben jedes Jahr hunderte Menschen.



Sechs Millionen Syrer sind auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrem Land.

Wie auch immer die Flüchtlinge letztendlich nach Europa gelangen, die Weiterreise nach Schweden wird dann durch die sogenannte Drittstaatenregelung erschwert: Demnach ist jeder Flüchtling nur in dem EU-Land asylberechtigt, das er als Erstes erreicht hat. Dafür werden die Flüchtlinge beim ersten Behördenkontakt mit Fingerabdrücken registriert. Wenn die Flüchtlinge also Schweden erreichen, unterwegs aber schon von der Polizei eines anderen EU-Landes aufgegriffen wurden, können sie dorthin zurückgeschickt werden. Viele Flüchtlinge vertrauen sich darum auch innerhalb Europas einem Schlepper an, der sie für viel Geld in ihr Zielland schleust.

Durch diese Regelung sind die Flüchtlinge innerhalb der EU extrem ungleich verteilt, sie ballen sich hauptsächlich in den südlichen Ländern Griechenland, Italien, Spanien und Zypern. Dort werden die Flüchtlinge zum Teil in Gefängnisse gesperrt, andere sind obdachlos und erhalten keinerlei staatliche Unterstützung. Abschiebungen nach Griechenland haben europäische Gerichte darum als menschenrechtswidrig eingestuft.

Am meisten profitieren von der Neuregelung diejenigen Syrer, die schon in Schweden sind, und deren Aufenthalt jetzt unbefristet gesichert ist, und die mit engen Verwandten in Schweden. Die können Familienzusammenführung beantragen, und das geht auch über die Botschaften.

Seit Anfang 2012 hat Schweden etwa 15.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Deutschland hat sich bisher bereit erklärt, 5.000 Syrern einen befristeten Aufenthalt für zwei Jahre zu ermöglichen. Der Antrag dafür kann im Libanon gestellt werden, den Flug nach Deutschland bezahlt in einigen Fällen die Bundesregierung. Damit gehören die beiden Ländern zu den Vorreitern in Europa, sagt Kopp von Pro Asyl. Insgesamt sind sechs Millionen Syrer auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg, davon über zwei Millionen außerhalb des Landes.

"Ich habe keine Berührungsängste"

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Vor einer Woche haben wir in einem Rätsel Texte von Casper mit denen von Schlagersänger Roland Kaiser verglichen. Alle fanden's lustig, bis auf einen: Casper selbst. Er gab uns ein schon geführtes Interview nicht frei - er fühle sich von dem Vergleich diffamiert. Ganz schön gemein für Roland Kaiser, fanden wir. Und haben ihn mal angerufen.

jetzt.de: Guten Tag Herr Kaiser, ich wollte mit Ihnen über deutsche Popmusik sprechen. Verfolgen Sie die?  
Roland Kaiser:
Naja, wenn ich aktuell bleiben will, muss ich mich ja um aktuelle Klänge kümmern. Man kann ja nicht stehenbleiben und immer im Gestern leben.  

Über welches Medium hören Sie denn neue Musik?  
Ich fahre sehr viel Auto, dabei höre ich die aktuellen Sender. In Münster, wo ich wohne, ist das vor allem EinsLive. Die Jugendsender präsentieren ja löblicherweise nicht nur englischsprachige Musik, sondern auch aktuelle deutsche Popmusik.  

Dann sagt Ihnen der Name Casper etwas. Wir haben vor ein paar Tagen in einem Rätsel seine Texte mit Ihren verglichen. Was halten Sie denn von seiner Musik? 
Sehen Sie: Jede Zeit hat ihre Helden. Der Mann macht aktuelle Popmusik, die erfolgreich ist und den jungen Leuten gefällt. Ich habe da keine Berührungsängste, es ist doch völlig in Ordnung, wenn wir Textpassagen über die Liebe haben, die nicht weit auseinandergehen. Fast alle großen Dichter und Denker haben sich mit dem Thema befasst, wie es zwischen Mann und Frau funktionieren kann. Das hat Herrn Goethe fasziniert, Herrn Schiller, Herrn Shakespeare. Selbst die intelligentesten Menschen der Welt stecken irgendwann mal in dem Dilemma, dass sie Gefühle entwickeln, die sie nie haben wollten. Dass ihnen Dinge passieren, von denen sie nie glaubten, dass sie passieren. Der Mensch ist eben ein fühlendes Wesen und das ist auch gut so.  



Roland Kaiser bei der Arbeit. Kommendes Jahr ist er 40 Jahre im Geschäft.


Casper war leider nicht so erfreut über den Vergleich. Sein Management hat sich bei uns beschwert, er fühle sich "diffamiert". 
Das finde ich ein bisschen übertrieben, das ist ja fast schon ein Zeichen von Intoleranz. Er ist ein erfolgreicher Mensch, da kann man doch souverän mit solchen Dingen umgehen. Zumal, und da haben Sie ja auch recht mit Ihrer Gegenüberstellung: So weit auseinander sind wir ja nicht. Wir machen beide im besten Sinne des Wortes Unterhaltungsmusik.  

Seit zwei, drei Jahren gibt es immer mehr junge Künstler, die Deutsch singen: Kraftklub, Cro, Frida Gold, Tim Bendzko...
 
Ich war vor zwei Jahren mit meiner Tochter im Fernsehgarten, da trat Tim Bendzko auf. Da sag ich zu ihr: „Das wird ’ne Nummer eins.“ Fragt sie mich: „Woher weißt’n das?“ Sag ich: „Einser kann man hören.“ Eine Nummer drei zu hören ist schwer, genau wie eine Nummer fünf oder acht – aber eine Eins kann man hören.

Woran?
 
Das kann ich gar nicht erklären, aber es ging mir auch mit Lou Bega so, das ging mir mit vielen Nummern so. Übrigens gab es eine Entwicklung in Richtung eigene Sprache ja auch in den 80ern: mit Nena, Markus und der ganzen Neuen Deutschen Welle. Die haben auch die deutsche Musikszene aufgemischt, und mit Recht! Das hat Spaß gemacht und ich finde, dass das auch jetzt Spaß macht.  

Sie singen seit fast 40 Jahren auf Deutsch, allen Flauten zum Trotz. Fühlen Sie sich im Nachhinein bestätigt?
 
Nein, überhaupt nicht. Meine Bestätigung finde ich, wenn ich Bühnen betrete. Allein in Dresden haben wir diesen Sommer drei Open Airs vor insgesamt 34.000 Leuten gespielt –überwiegend jüngere übrigens, ich bin meist der Älteste auf dem Platz.  

Kommendes Jahr erscheint Ihr nächstes Album – wer hat Sie dabei beeinflusst?  
Es gibt ein paar Songs von Ich + Ich, die mir ganz gut gefallen vom Klang her. Aber speziell amerikanische Popkünstlerinnen haben zurzeit sehr gute Ideen. Ob das jetzt Rihanna ist oder, na...  

... Beyoncé?
 
Zum Beispiel ja, diese ganzen... 
... Katy Perry, Lady Gaga?
 
Ja, die besonders! Diese ganze Gilde dort hat Produktionsteams um sich, die ausgesprochen frech, aber doch sehr kommerziell produzieren. Mit sehr guten Gimmicks, guten Fill-Ins.  

Fill-Ins?
 
Eines der berühmtesten ist ja dieses „ba-baa, baba-baaam“ aus „Satisfaction“ von den Stones. Solche Sachen zu finden, ist ein ganz wichtiger Punkt. Gute Hooks haben! Wenn Sie eine aktuelle Platte planen, können Sie nicht im luftleeren Raum arbeiten.  

Kann ich als aufmerksamer Hörer in Ihrem nächsten Album also Anklänge an Rihanna finden?
 
Auf jeden Fall merken Sie, dass wir uns damit beschäftigt haben, Hooks zu finden, die man sich merken kann. Mein eigener Song „Joana“ zum Beispiel ist voll mit solchen Gimmicks. Da steigen die Leute auch nach 30 Jahren noch drauf ein und singen mit.  

Ich bin gespannt. Dann noch einen fröhlichen Wahlkampf! Sie sind ja zurzeit viel unterwegs mit Ihrer Partei, der SPD.  
Ja, nächste Woche in Braunschweig, dann in München, Potsdam und Berlin.  

Und, wird das noch was mit Peer Steinbrück?
 
Ich bin ja kein Hellseher, aber der Bär ist noch nicht erlegt, weder für die eine noch die andere Seite. Der SPD-Kandidat erholt sich ja gerade wieder. Seit dem Duell sieht es laut den Umfragen wieder besser aus, da ist also noch Bewegung drin!  

Sie kennen sich ja gut aus. Warum taucht in Ihren Texten eigentlich so wenig Sozialkritik auf?  
Weil das Eine das Eine ist und das Andere das Andere. Ich bin von Beruf Unterhaltungskünstler. Wenn ich ein Konzert spiele, ist es meine Aufgabe, die Menschen mit einem guten Gefühl nach Hause zu schicken. Ich glaube auch nicht, dass man in einem Drei-Minuten-Lied die Lösung zu einem komplizierten Problem formulieren kann.  

Fühlen Sie sich als Sozialdemokrat in der Schlagerwelt eigentlich als Exot? 
Sollte ich einer sein, bin ich das gerne. Schönen Tag noch!

Americana adé

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Autokinos drohen der Digitalisierung zum Opfer zu fallen. Amerikas verbliebene Betreiber hoffen auf Hilfe aus dem Internet

Hierher nimmt man sein Sweetheart zum ersten Date. Eintritt acht Dollar, dann fährt man mit dem Pickup-Truck möglichst nah vor die riesige Leinwand und neben den Lautsprecher. Man setzt sich auf die Ladefläche, schaut der Sonne beim Untergehen zu, hört die Grillen zirpen, kauft vielleicht eine Cola, Popcorn und einen Hot Dog.

Alkohol ist verboten, wird aber vielleicht trotzdem manchmal hereingeschmuggelt. Wahrscheinlich sollte man Mückenspray auftragen. Wenn es dunkel ist, beginnt der Film. Seit Jahrzehnten ist das schon so hier im Skyview Drive-in Kino auf der Wiese neben dem Highway 88 im 500-Seelen-Örtchen Carmichaels in Pennsylvania. "Seit 1946 gibt es hier Unterhaltung für Familien", sagt Chuck Walker, der Betreiber. "Aber unser Problem ist, dass das Autokino in Gefahr ist."



Das Autokino - eine amerikanische Institution, die sich auch in Deutschland findet, in diesem Fall auf der Messe Hannover 2011

Ja, das Autokino ist in Gefahr. Nicht nur in Carmichaels, sondern im ganzen Land. Es gibt wohl keine Institution, die den amerikanischen Traum so sehr symbolisiert wie das Autokino. Amerikaner lieben ihre Autos und sie lieben Filme, kaum gab es ein Auto für den Massenmarkt, haben die Amerikaner das Autokino erfunden, 1933 war das. In einem Autokino gibt der sehr junge John Travolta - alias Danny - im Musical-Film Grease seiner sehr jungen Olivia Newton-John - alias Sandy - einen Ring und bekommt ihn prompt vor die Füße geworfen, als er ihr ein bisschen ins Dekolleté fassen will - im Cabrio im schwachen Licht der Leinwand und der Sterne. Generationen Amerikaner haben im Autokino ihren ersten Kuss bekommen. Seit den vierziger Jahren ist das Autokino der Inbegriff von Romantik in diesem großen Land, in dem man oft meilenweit fahren muss, um einen Film zu schauen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Niedergang der Autokinos ist nicht ganz neu. Es gibt inzwischen so viele Unterhaltungsalternativen für das erste Date und für Familien. Amerikaner lieben inzwischen auch ihre Multiplex-Kinos mit besserer Akustik und Klimaanlage. Jeder hat einen Fernseher zu Hause, und im Internet lassen sich Filme für ein paar Dollar streamen - ohne meilenweite Anreise und Mückenspray. In den achtziger und neunziger Jahren mussten Hunderte Autokinos schließen. Und heute fahren die Amerikaner vielleicht einmal im Sommer in die letzten verbliebenen Autokinos - wegen der Nostalgie und des amerikanischen Traums. Zum Überleben reicht der Autokino-Industrie das nicht. Ende der fünfziger Jahre gab es noch mehr als 4000 Autokinos in den Vereinigten Staaten, heute sind gerade mal 357 übrig geblieben, so hat die United Drive-In Theatre Owners Association UDITOA gezählt. Jedes Jahr werden es ein paar weniger. Mit 30 Autokinos gibt es die meisten in Pennsylvania, wo Walker gegen das Ende seines Skyview Drive-ins in Carmichaels kämpft.

Jetzt ist noch eine neue Herausforderung hinzugekommen, die das Skyview und die letzten 356 anderen Autokinos bedroht: die Digitalisierung. Bislang zeigen die Kinos die Hollywood-Filme auf tatsächlichem Film, also mit 35-Millimeter-breiten Zelluloidstreifen auf Filmrollen. Riesige, ratternde Apparate spulen sie ab. Doch die Filmstudios stellen die Technik um. Wann genau es soweit sein wird, steht noch nicht ganz fest. Erst drohten die Studios, von März dieses Jahres an werde es keine 35-Millimeter-Filme mehr geben, dann verlängerten sie die Frist immer wieder. Das Filmstudio Fox hat angekündigt, von Jahresende an keine Filmrollen mehr zu verschicken. Vielleicht ist es Ende 2013 vorbei, vielleicht auch erst im Laufe des kommenden Jahres. Fest steht nur, dass es nicht mehr lange dauern wird. Dann gibt es Hollywood-Streifen nur noch digital auf Festplatte.

Für die neue Technik brauchen die Kinos also neue Abspielgeräte. In den großen Multiplex-Kinos sind sie schon seit einer Weile Standard, für die Autokinos sind sie allerdings sehr, sehr teuer. Anfang des Jahres hatten gerade mal rund zehn Prozent der verbliebenen Betriebe die Umstellung bereits geschafft. Wer dabei ist, ist begeistert. UDITOA-Präsident John Vincent schwärmt von der viel helleren Projektion. Er betreibt das Wellfleet Drive-In auf Cape Cod. Aber viele andere können sich die Geräte nicht leisten. Meist betreiben Familien die Kinos seit Generationen, es sind Kleinstunternehmen, der größte Anbieter hat acht Anlagen. Sie laufen immer nur für ein paar Monate im Sommer, oft ist es nicht besonders voll. Banken geben Autokinobesitzern nicht gern Kredite. Mindestens 80000 Dollar sind fällig für die Digitalprojektoren, für die meisten Betreiber dauert es zehn bis 15 Jahre, bis sie das Geld für so eine Investition wieder reinholen. Und bei den niedrigen Renditen schmerzt jede Investition. Mit den Autokinos droht eine weitere Branche dem Siegeszug der Digitalisierung zum Opfer zu fallen. Es ist wohl eine der kleinsten, aber auch eine der emotionalsten Branchen.

Beim Skyview in Carmichaels blättert die Farbe vom himmelblauen Schild, an dem Walker noch per Hand die Buchstaben für den neuesten Film montiert. "Als ein saisonales Kino können wir uns die Umstellung ohne Hilfe der Öffentlichkeit einfach nicht leisten", schreiben Walker und seine Frau Elizabeth auf ihrer kleinen Internetseite mit dem Sternenbanner. Sie haben schon ihre gesamten Altersersparnisse in ihr Kino gesteckt. Also wenden sie sich an die Öffentlichkeit. Auf ihrer Website rufen sie zum Spenden auf. Und Liz Walker bittet auf der Crowdfunding- Internetseite Fundrazr um Unterstützung. "Ohne eure Hilfe müssen wir die Tore schließen", schreibt sie. Seit ihrem Aufruf im März sind erst 775 Dollar zusammengekommen, dabei bräuchten sie und ihr Mann mindestens 150000 Dollar für zwei neue Projektoren, zwei Leinwände, die Audioanlage, den neuen Computer und den Umbau des Projektorraums.

Die letzte Hoffnung der Walkers: Der Autobauer Honda hat eine Kampagne gestartet, mit der Amerikaner im Internet für ihre Lieblings-Autokinos abstimmen können. Hunderte Kinobetreiber machen mit, sie haben Fotos eingeschickt und kleine Filme von ihren Drive-ins gedreht. Es ist ein Sammelsurium der amerikanischen Sehnsucht nach alten Zeiten, die hier Americana heißt. Lokalzeitungen berichten eifrig über den Wettbewerb. "Autos und Autokinos gehen Hand in Hand", sagt die Honda- Marketingmanagerin Alicia Jones. "Und es ist unsere Mission, dieses jahrzehntealte Stück Americana zu retten, das für so viele für uns mit Nostalgie verbunden ist." Die fünf Gewinner des Wettbewerbs bekommen einen Digitalprojektor von Honda geschenkt. Parallel dazu läuft eine Spendenkampagne, der Autobauer verteilt das Geld dann unter den Autokinos. Die Aktion läuft noch bis Oktober, bislang sind erst 32346 Dollar zusammen gekommen.

"Wir wollen darauf aufmerksam machen, was jeder tun kann, um das Skyview Drive-in in Carmichaels zu retten und den Sommerspaß lebendig zu halten", sagt Chuck Walker, während er über die Wiese vor seiner Leinwand stapft. "Stimmt für uns ab". Noch bis zum 9. September kann man sein Lieblingskino im Internet unterstützen. "Autokinos waren und bleiben ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Kultur", glauben die Walkers. So viele Amerikaner hätten so viele Höhepunkte ihres Lebens im Autokino erlebt. "Viele Leute kommen ins Skyview zu ihrem ersten Date und auch in ihrer Hochzeitsnacht."

Motten um die Lichter Manhattans

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Yellow Cabs gegen Black Cabs: Der New Yorker Taxi-Streit erzählt viel über den Umbruch in der Stadt und ihre ästhetische Krise


Sian Green aus England, 23 Jahre alt, hatte sich so sehr auf ihre erste Reise nach New York gefreut, dass sie auf Instagram einen Countdown runterzählen ließ. Dazu die üblichen Sehnsuchtsbilder: Straßenschluchten voller Yellow Cabs. Und dann kam das alles tatsächlich ein bisschen schnell und anders als geplant auf sie zu. Gleich an ihrem ersten Tag, auf dem Gehweg vor dem Rockefeller Center, wird Green von einem Taxi überfahren, der jungen Frau wird ein Bein abgetrennt. Der Fahrer, ein junger Mann aus Bangladesch, war die Sixth Avenue hochgerast, hatte einen Fahrradboten bedrängt, dieser hatte nach der herzhaften New Yorker Art dem Taxi kurz zur Besinnung mit der Faust auf den Kotflügel geklopft, das wiederum brachte den Fahrer in Rage, "Road Rage" heißt das in Amerika, es gibt in den Fahrschulen eigene Lehrfilme dagegen, er gibt jedenfalls Gas, schneidet den Fahrradkurier, verliert die Kontrolle, fliegt über eine Betonabsperrung - und fährt Sian Green die Beine weg.





Das ganze wäre nur eine tragische Lokalnachricht, wenn es nicht in jeder Hinsicht so absolut und deprimierend typisch wäre. Eines der weltweit bekanntesten Wahrzeichen New Yorks, das gelbe Taxi, ist in einer ernsthaften Krise. Diese Krise hat eine ästhetische Ebene, eine wirtschaftliche, eine soziale, eine ökologische und eine, die mit dem Wunsch nach Unversehrtheit von Leib und Leben zu tun hat. Und diese Krise erzählt auch etwas über die frappierende Umwertung aller Werte in einer Stadt, der ihre Werte eigentlich heilig sind.

Es hat hier zum Beispiel einmal Zeiten gegeben, als man sich ein Taxi rief, weil einem das Laufen zu unsicher war. Heute ist das Laufen unsicher wegen der Taxis. So hoch die Häuser, so gelb die Straßen - die Yellow Cabs haben sich in die Ikonografie der Stadt eingebrannt, seit ihnen in den Sechzigern, der guten Sichtbarkeit wegen, ihre Farbe verpasst wurde. Überforderte und übermüdete Fahrer ohne Ortskenntnisse gehörten zwar auch schon zum Gesamtbild, seit in den Siebzigern vor allem Immigranten den als gefährlich geltenden Job übernahmen. Heute kann man aber schon froh sein, wenn man nur eine nach hinten guckende Plaudertasche erwischt, wie sie Armin Müller-Stahl in "Night on Earth" spielte, oder eine zwar tickende, dem Geschehen aber wenigstens aufmerksam folgende Moralbombe wie Robert de Niro in "Taxi Driver". Und nicht jemanden, der, mit den Gedanken noch ganz in Dhaka zu Hause, während der Fahrt in seinem Navigationssystem herumhämmert, um den Weg von der 10. zur 20. Straße zu finden. Und auf Höhe der 15. dann die Nerven verliert.

Robert de Niro saß aber auch noch in einem Checker Car, Armin Müller-Stahl in einem Chevrolet. War es ein Caprice? Ein bisschen betagt war das Modell, aber: geräumig. Die bedauernswerten Bangladeschis hingegen sitzen eingepfercht in absurd engen und auch absurd unansehnlichen Vehikeln, wo es überhaupt kein Wunder ist, dass sie die Nerven verlieren. Chauffeure von Stretch-Limos hat man noch nie die Nerven verlieren sehen.

Kleinwagen machen rammdösig, und schlechtes Design macht schlechte Laune, Fahrern wie Passagieren. Das sind psychologische Binsen. Trotzdem werden jetzt zum Ärger vieler New Yorker die Ford Crown Victorias allmählich ausgemustert, die letzten Yellow Cabs, die noch die Form von Limousinen hatten. Und viele empfanden die bei ihrer Einführung schon als Freiheitsberaubung. (Was auch damit zu tun haben kann, dass die Polizei damit herumfuhr.) Manche von denen erzählen einem heute noch, wie sie Jahre lang die Fords durchfahren ließen und zusahen, dass sie eins der letzten Checker Taxis kriegten, das klassische New Yorker Yellow Cab. Das war ein Auto, das von der Checker Motors Corporation in Michigan mit den zwei wesentlichen Maßgaben "lange Laufleistung" und "maximaler Passagierkomfort" gebaut wurde. Als es irgendwann den Achtzigern zum Opfer fiel, war in weiten Kreisen Manhattans das Wehklagen groß. Schlafen, Drogen einnehmen, Sex: Nichts, wozu ein Taxirücksitz traditionell gut war, sei jetzt noch möglich. Immerhin konnte man aber noch sitzen. Das hat sich dann in den Bloomberg-Jahren auch noch geändert.

Wer heute nach einem Achtstundenflug auf dem JFK International Airport landet, kann dankbar sein, bei den ein bis zwei Stunden Passkontrolle die Beine ein bisschen ausschütteln zu dürfen. Bis man in Manhattan ist, sitzt man nämlich noch einmal ein bis zwei Stunden auf einem Platz, der es schafft noch enger zu sein, als in der Economy Class, die Knie schmerzhaft an einen Bildschirm gepresst, aus dem in Endlosschleife der TV-Moderator Jimmy Kimmel seine Witze brüllt. Es unter solchen Umständen natürlich absolut kein Wunder, wenn der Mann aus Bangladesch (oder sonstwo) vor einem zielsicher in die absehbarsten Staus hineinsteuert und dort einnickt. Er hat zu dem Zeitpunkt schon 13 Stunden Schicht hinter sich, die Lizenzen kosten mittlerweile mehr als eine Million Dollar, und irgendwie muss das Geld ja wieder reinkommen.

Diese Autos heißen Ford Escape und werden nach den beiden Maßgaben "Hybridantrieb" und "maximale Unbequemlichkeit für Fahrgäste " hergestellt; in Deutschland kennt man sie dementsprechend eher als Mikrotransporter von kleinen Blumenhändlern. New Yorker sind Enge zwar aus ihren Wohnungen gewohnt, aber gleichzeitig dürfen sie beobachten, wie um sie herum alle Autos kontinuierlich zulegen. Nur die Taxis werden immer klaustrophobischer. Wenn aber ein Mini Cooper inzwischen schon geräumiger ist als ein New Yorker Taxi, dann darf sich irgendwer verschaukelt fühlen. Die Ford Escapes haben offensichtlich die Aufgabe gehabt, die ästhetischen Hemmschwellen noch weiter zu senken: In diesem Jahr beginnt ihr Austausch gegen den NV200, das "Taxi of Tomorrow", das von Nissan unter der Maßgabe hergestellt wird, Fahrgäste sich endgültig wie herumgekarrte Blumentöpfe vorkommen zu lassen. Dieses groteske Fahrzeug hatte sich in einer öffentlichen Abstimmung gegen ein noch groteskeres aus der Türkei durchgesetzt. Dass die Taxis in New York in Zukunft nicht mehr an herkömmliche PKWs erinnern sollen, war Wettbewerbsvorgabe.

Das Ergebnis kann man sich nur so erklären, dass die New Yorker aus Fatalismus abgestimmt haben oder auch aus Boshaftigkeit gegenüber Touristen. Sie selber haben sich, wo sie können, von Yellow Cabs längst abgewandt und rufen, zum Beispiel noch aus der Passkontrolle am JFK, lieber ein schwarzes. Black Cabs sind keineswegs illegal, sie sind nur eben in der Regel schwarz lackiert, sehen also gleich mal gefälliger aus. Man nennt sie auch Livery Cabs, livrierte Taxis, und das trifft es auch. Sie verhalten sich zu einem Yellow Cab wie ein britischer Butler zu einem tja: Tagelöhner aus Bangladesch. Es fängt damit an, dass man, meistens, ein Lincoln Town Car bekommt, für amerikanische Verhältnisse praktisch ein Rolls-Royce. Der Fahrer ist in der Regel entsprechend entspannt und "laid back", spricht fließend die beiden Landessprachen Spanisch und Englisch, kann tatsächlich Auto fahren und kennt sich in der Stadt auch aus. Aber das Beste ist: Es ist viel, viel, viel billiger als jede Kamikazetour in einem Yellow Cab.

Das ist eines der lebenspraktischen Paradoxe, die sich in den letzten Jahren durch den Bedeutungsverlust Manhattans gegenüber den anderen Stadtbezirken ergeben haben. Die Livery Cabs stammen noch aus einer Zeit, als "New York" für New Yorker, die was auf sich hielten, und für Touristen sowieso ausschließlich Manhattan (bis maximal Ende Central Park) hieß und alles andere als Schlaf- und Raufplatz der Minderbemittelten galt, wo Yellow Cabs überhaupt nicht erst hinfuhren. Die Livery Cabs, die man telefonisch bestellt, waren pure Notwehr.

Jetzt haben sich die Verhältnisse aber gedreht. Inzwischen ist Brooklyn schick, teuer, hat die bevorzugten Wohn- und Ausgehviertel, und Teile von Harlem oder Queens, sogar der Bronx ziehen kräftig nach. Das bringt nun die Situation mit sich, dass sich hier etwas etabliert hat, das weniger kostet, aber wesentlich wertiger ist als in Manhattan. Die Freude darüber, dass man jetzt immer häufiger auch mal einen gelben Blumentransporter mit Taxi-Schild obendrauf vollkommen verloren durch eine Hafengegend wie Red Hook irren sieht, hält sich deswegen in überschaubaren Grenzen. Es ist aber zur Zeit eine der heißesten Diskussionen in der Stadt: Sollen Livery Cabs in den Bezirken jenseits von Manhattan in ein Apfelgrün umlackiert werden und Fahrgäste vom Straßenrand aufsammeln dürfen, was bisher das Privileg der Yellow Cabs ist?

Das Geschäft ist in die Fläche gewachsen, und muss nun neu verteilt werden. Im Kern stehen sich gegenüber: Ein überwiegend hispanischer Chauffeurs-Adel aus der Peripherie, der Winkende nicht mit-nehmen darf, einerseits. Und auf der anderen Seite die Besitzer der rollenden Sweatshops voller ostasiatischer Arbeitssklaven, die wie Motten die Lichter von Midtown umkurven.

In den Bars von Brooklyn kann man dazu gelegentlich auch schon den nicht ganz untriftigen Vorschlag hören, dass stattdessen mal lieber Manhattan die Yellow Cabs durch Anruf-Limousinen ersetzen sollte. Jeder hat heute ein Handy. Taxi-Apps sind eh im Kommen. Der Verkehr wäre automatisch flüssiger, wenn die Taxis nicht mehr auf der ständigen Ausschau nach Kunden zwischen den Spuren herumeiern würden. Die New Yorker müssten nicht mehr mit flatternden Hitlergrüßen die Avenuen säumen. Und auf dem Rücksitz eines Lincoln Town Car ist immer noch Platz für jede Sauerei. Für die armen Fahrer aus Bangladesch (oder woher auch immer) müsste und würde die Gemeinschaft schon irgendwie aufkommen.

Der Unglücksfahrer, der mit seinem Toyota die Beine von Sian Green zermalmte, hat jedenfalls danach erklärt, dass Autofahren wirklich nichts für ihn sei. Er wolle sich jetzt einen anderen Job suchen. Es gibt also Hoffnung.

Schluss mit lustig

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'White House Down' macht Obama zum liberalen Superhelden, der endlich die Kriegstreiber aus Washington vertreibt - mit der Panzerfaust. Den Amerikanern war das noch zu optimistisch


"Nicht ohne meine Turnschuhe!", verkündet der Präsident, bevor er zur Panzerfaust greift - und tauscht mitten in der wilden Schießerei, in der gerade das Weiße Haus zerlegt wird, die Anzugschuhe gegen ein Paar weiße Jordans. Roland Emmerich, erfolgreichster deutscher Blockbuster-Regisseur und seit einigen Jahren auch Hollywoods Grüner Punkt - er hat mit "The Day After Tomorrow" und "2012" das Genre des politischen Umwelt-Actionfilms erfunden - hat in seiner Karriere schon einige US-Präsidenten inszeniert, aber noch nie so leidenschaftlich wie in der feuchten Obama-Phantasie "White House Down".



Die Emmerichs bei der Premiere von "White House Down" in Berlin am 2. September 2013

Jamie Foxx imitiert Obamas schlaksig-sympathischen Gestus genauso wie die Leidenschaft des Ex-Rauchers für Nikotinkaugummis, auch die First Lady ist fast genauso hübsch wie Michelle. Als Präsident James Sawyer verkündet er dann gleich zu Beginn der großen Action-Sause in einer Fernsehansprache, er habe sich mit dem iranischen Staatsoberhaupt in allen kritischen Fragen der Außenpolitik geeinigt und werde außerdem die US-Truppen aus dem Nahen Osten abziehen.

Dieser Traum-Obama ist also nicht nur ein guter Kumpel, mit dem man jederzeit ein Bier trinken gehen würde, sondern auch ein liberaler Superheld, der Kriege beenden und sich gegen die Rüstungsindustrie durchsetzen kann. Es ist also genau der Obama, den sich viele mal gewünscht haben, sogar er selbst, wenn man der Titelgeschichte "The Unhappy Warrior" in der aktuellen Ausgabe des Time Magazine glauben kann.

Als dann plötzlich ein paar rechtskonservative amerikanische Terroristen das Weiße Haus stürmen, weil sie sich von so viel Frieden und Freundlichkeit gehörig provoziert fühlen, greift der Präsident natürlich höchstpersönlich zur Waffe, um seine Politik gegen diese zum schießwütigen Albtraum mutierte Tea Party zu verteidigen.

Sein Lehrmeister ist dabei der Polizist John Cale (Channing Tatum), der gerade ein Vorstellungsgespräch beim Secret Service verpatzt hat. Als die ersten Kugeln fliegen, nimmt er gerade mit seiner Tochter an einer Führung durchs Weiße Haus teil. Sofort zieht Cale im weißen Bruce Willis-Gedächtnis-Tanktop und mit Maschinengewehr durch 1600 Pennsylvania Avenue und drückt dem Hausherrn eine Panzerfaust in die Hand: "Ich weiß, Sie sind für Frieden und so, aber jetzt schnappen Sie sich das Ding da und arbeiten!" Dann geht es im Cadillac zur Schurkenjagd ums Weiße Haus.

Sprengmeister Emmerich hatte für einen so potenten Spätsommer-Blockbuster eigentlich gute Karten: Seine Hauptdarsteller sind gerade richtig heiß in Hollywood und geben dazu noch ein reizendes Odd-Couple ab. Das Drehbuch stammt vom neuen Star-Autor James Vanderbilt, der schon "Spider-Man" reanimiert hat und gerade für Emmerich an zwei "Independence Day"-Fortsetzungen sitzt. Außerdem weiß Emmerich wie kein Zweiter, wie man Großstädte mit pyrotechnischer Finesse zerlegt und das auch noch so choreografiert, dass die Zuschauer nicht den Überblick verlieren.

Nur leider verfolgt der Mann eben seit geraumer Zeit das Blockbuster-Plus-Prinzip. Also plus Umwelt-Message, plus linksliberale Agenda, und das alles eher überschwellig als subtil vermittelt. Das führt in diesem Fall dazu, dass "White House Down" sich irgendwo zwischen Polit-Groteske und Actionkomödie verheddert. Der Super-Präsident wird zum fidelen schwarzen Action-Buddy degradiert, wie man ihn etwa aus der "Lethal Weapon"-Reihe oder den "Rush Hour"-Filmen kennt.

Wenn Foxx und Tatum verschwitzt und mit dem Gewehr über der Schulter durch die labyrinthischen Flure des Weißen Hauses schleichen und Terroristen jagen, sorgt man sich außerdem, sie könnten jeden Moment Gerard Butler in die Arme laufen, der sich in "Olympus Has Fallen" durch genau die gleichen Gänge prügelt. Beide Filme erzählen nämlich fast die selbe Geschichte, nur dass "Olympus" brutaler, zynischer und konservativer ist: weißer Präsident, nordkoreanische Terroristen.

Doch vor allem hatte Butler Vorsprung. Der spätere Starttermin hat Emmerich unfreiwillig in die Rolle des Nachzüglers gedrängt, so dass seine Bilder von Washington als Schlachtfeld von Anfang an verbraucht wirken. Dabei hat er eigentlich die witzigeren Ideen, wie man vom Kapitol bis zum Washington Monument alle Insignien der Demokratie zertrümmern könnte.

Diese Verspätung und die linksliberale Haltung, die im konservativ-ländlichen Amerika, wo die meisten Tickets verkauft werden, überhaupt nicht gut ankam, haben den Film in den USA zu einem der großen Flops dieses Jahres gemacht. Am Ende war also nicht nur das White House ziemlich Down, sondern auch die Produzenten von Sony. Nachdem auch "R.I.P.D." und "Lone Ranger" an den Kassen abgeschmiert sind, scheint dieses Jahr ohnehin in ganz Hollywood der Blockbuster-Blues ausgebrochen zu sein. Das Emmerich-Projekt wurde daher mit großer Sorge beobachtet, denn Buddy-Action in den Händen eines erfahrenen Regisseurs - das galt bislang eigentlich als Hit-Garantie.

Doch wenn die Saison 2013 eines gezeigt hat, dann dass das Publikum überhaupt nicht mehr Buddy-mäßig drauf ist. Zu den großen Gewinnern dieses Jahres gehören vor allem Depressionsgeschichten, in denen der Thanatos regiert: "World War Z", "Man of Steel" oder "Star Trek Into Darkness". Das sagt natürlich was über den traurigen Zustand des Millionen-Publikums. Vom Optimismus eines "Street Fighting Man", mit dem der Stones-Fan Emmerich seinen Abspann fröhlich unterlegt, will sich heute einfach keiner mehr anstecken lassen. Auch der echte Obama kann ein Lied davon singen.

White House Down, USA 2013 - R: Roland Emmerich. Buch: James Vanderbilt. Mit: Channing Tatum, Jamie Foxx, Maggie Gyllenhaal. Sony, 131 Minuten

Tote Wale an Ghanas Küste

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Seit 2009 sind 16 Tiere verendet, Ursache könnte die Ölförderung sein


An der Küste von Ghana sind innerhalb einer Woche fünf tote Wale angeschwemmt worden. Das teilte die Fischereikommission des westafrikanischen Landes mit. Damit sind seit 2009 insgesamt mindestens 16 Wale vor Ghanas Küste verendet. Über die Gründe rätseln Regierungsvertreter und Umweltschützer bis heute.





Laut Kyei Kwadwo Yamoah von der Umweltschutzorganisation "Friends of the Nation" ist die Zahl der verendeten Tiere ungewöhnlich hoch. "Vor dem Jahr 2009 wurde durchschnittlich ein toter Wal in fünf Jahren angespült, jetzt waren es fünf tote Tiere in nur einer Woche", sagte er. Im Gespräch mit dem britischen Guardian spekulierte er, dass das Walsterben mit der ghanaischen Ölförderung im Atlantik zu tun haben könnte: "Fast alle Wale wurden in Regionen Ghanas angeschwemmt, vor deren Küste Öl gefördert wird."

Ghana entdeckte im Jahr 2007 große Ölvorkommen im Golf von Guinea und fördert seit gut zwei Jahren. Dass die Bohrungen Meeressäugern schaden würden, stand schon vor dem Förderbeginn fest. Damals hatten die beteiligten Unternehmen einen Bericht vorgelegt, der bereits Maßnahmen zum Schutz der Meeressäuger, also auch der Wale, formulierte. Ob diese tatsächlich umgesetzt werden, darüber sollte Ghanas Umweltagentur EPA wachen. Die betonte jetzt allerdings, dass zwischen Walsterben und Ölförderung kein erkennbarer Zusammenhang bestehe. Dass das zeitliche Zusammenspiel von Ölbohrung und Walsterben "ein Zufall" sein könne, räumte aufgrund fehlender Beweise auch Friends of the Nation ein. Zudem bleibt die Frage offen, warum die Tiere an Land gespült werden und nicht auf den Meeresgrund sinken. Ein Team der Fischereikommission soll nun die Ursache finden.

Im Urlaubsort Kokrobite wurde einer der Walkadaver derweil zur Touristenattraktion. Anwohner trennten dem Tier den Kopf ab und verlangten Geld für die Besichtigung. Spaziergänger ließen sich mit dem Kadaver fotografieren.

Aufruhr bei Walmart

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In den USA geht die Arbeiterklasse auf die Straße. Ihr Lohn reicht kaum zum Leben


Die Fifth Avenue in Manhattan ist eigentlich ein Ort für Anzugträger und Touristen. Da fällt es ganz schön auf, wenn eine Gruppe in knallgrünen T-Shirts durch die Straße zieht. Die Leute schreien: "Walmart, Walmart, du bist schlecht!" Auf ihren Plakaten steht "Walmart kann sich mehr leisten" oder: "Zahlt uns genug, um unsere Familien zu ernähren!" Die Gruppe ist auf dem Weg zu Chris Williams, dem Chef der Investmentfirma The Williams Capital Group, der im Aufsichtsrat von Walmart sitzt und sein Büro in der Fifth Avenue hat. Sie wollen ihm eine Petition überreichen, mit der sie eine bessere Bezahlung fordern. "Die Zeit des Schweigens ist vorbei", schreiben sie. Bis zu Williams schaffen sie es nicht. Die Polizei nimmt drei der Demonstranten fest.



Verärgerte Demonstranten in Hyattsville, Maryland

In 15 US-Städten sind Walmart-Mitarbeiter auf die Straße gegangen. Sie fordern, dass die größte Einzelhandelskette bessere Gehälter zahlt, mindestens 25000 Dollar pro Jahr. Und sie fordern, sich in Gewerkschaften organisieren zu dürfen. Angeblich hat Walmart gerade 20 Mitarbeiter gefeuert, die bei einem Streik mitgemacht haben. Walmart dementiert, Arbeitsgesetze gebrochen zu haben. Die Walmart-Proteste sind zwar verhältnismäßig klein, nur ein paar hundert Mitarbeiter haben sich beteiligt. Aber für amerikanische Verhältnisse, wo Demonstrationen und Streiks selten sind, ist der Protest groß. Fernsehsender und Zeitungen berichten ausgiebig.

Walmart ist Amerikas größter Arbeitgeber, 2,2 Millionen Menschen arbeiten weltweit für die Kette, 1,3 Millionen davon in den USA. Was bei Walmart geschieht, beobachten andere Unternehmen, vor allem die mit niedrigen Löhnen, genau. Vor wenigen Tagen haben Mitarbeiter von Imbissketten in 60 Städten in Amerika für höhere Löhne demonstriert. Rund 1000 Filialen von Ketten wie McDonald"s, Burger King, Wendy"s, Taco Bell oder Pizza Hut waren betroffen. Die Fast-Food-Arbeiter forderten, dass die Unternehmen den Durchschnittslohn der Branche von neun auf 15 Dollar erhöhen. Die Proteste werfen die Frage auf, ob die Grenze der Belastbarkeit der Arbeiter in den USA nun erreicht ist.

Sie wollen teilhaben am stetigen wirtschaftlichen Aufschwung. Allein im August sind 169000 Jobs in den USA geschaffen worden, die Arbeitslosenquote fiel von 7,4 auf 7,3 Prozent. Der Mindeststundenlohn liegt noch immer bei 7,25 Dollar. Der Kongress hatte die Untergrenze zuletzt 2007 heraufgesetzt. Nach einer Studie des Massachusetts Institute of Technology müsste ein Arbeitnehmer in Metropolen wie New York mehr als zwölf Dollar in der Stunde verdienen, um über die Runden zu kommen. Auf dem Land ist das Leben billiger, 7,25 Dollar reichen trotzdem nicht. Der Mitarbeiterorganisation Our Walmart zufolge verdienen die Arbeiter des Unternehmens im Schnitt nur 8,81 Dollar.

Walmart sei "das Musterbeispiel für alles, was im amerikanischen Arbeitsrecht und in den Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern falsch läuft", sagt John Logan, Arbeitswissenschaftler in San Francisco. Nun haben sich sogar zwei Investmentgesellschaften von Walmart zurückgezogen. Der niederländische Pensionsfonds PGGM hatte versucht, Walmart zu besseren Standards zu bringen, das Management sei nicht gesprächsbereit gewesen. An fehlenden Gewinnen liegt Walmarts Lohnpolitik nicht. Im vergangenen Geschäftsjahr blieben bei einem Umsatz von 470 Milliarden Dollar unter dem Strich 17 Milliarden Dollar.

Sexistische Werbung und ein beleidigter Casper

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Liebe unter Verwandten zum Wochenauftakt, ein unglaubliches Foto zur Wochenmitte und ein Schlagerstar, der cooler ist als ein Rapstar, zum Wochenende: Das war los auf jetzt.de.





Über die Farbe Pink und sexistische Werbung im 21. Jahrhundert

Am vergangenen Wochenende machte sich jetzt-Reporterin Charlotte Haunhorst auf den Weg nach Berlin, um die Stimmung vor Ort bei der weltweit ersten Demonstration gegen sexualisierte Werbung einzufangen. Die Petition der Aktivistinnen ist mittlerweile eingereicht, die protestierenden Frauen und Männer kommen auf jetzt.de zu Wort.  

Schwangerschaft auf Bestellung
Zu Beginn der Woche stolperte die jetzt-Redaktion über eine kuriose Meldung aus den Vereinigten Staaten, wo positive Schwangerschaftstests online zum Verkauf angeboten werden. Wir wollten wissen, ob es ähnlich dubiose Angebote auch in Deutschland gibt und sind auf interessante Produktbeschreibungen und eine verblüffende Vielzahl an Verwendungsmöglichkeiten gestoßen.

Berlin: Die Hauptstadt im literarischen Gewand
Anlässlich des Internationalen Literaturfestivals in Berlin, einer Stadt, die selbst Schauplatz zahlloser Romane ist, beschäftigten sich die jetzt-Redakteure diese Woche mit der Frage, wie unsere Hauptstadt in den Büchern so aussieht und was von den Werken als solchen zu halten ist. Entstanden ist dabei ein amüsanter Vergleich mit eindeutiger Auswertung, die Orientierung beim nächsten Bücherkauf bietet und euch womöglich davor bewahrt, unnötig Zeit und Geld zu verschwenden.

Ein Blick zurück
Reporter Manuel Möglich, bislang bekannt durch seine Sendung „Wild Germany“, begleitet für ZDF Neo ab 5. September bekannte Persönlichkeiten auf dem Weg zurück in ihre Heimat. Auf jetzt.de erzählt er, auf welche Überraschungen und bewegenden Lebensgeschichten er in diesem vermeintlich ruhigen Format gestoßen ist. 

Internationale Aufmerksamkeit für einen Münchner Fotografen
Man kombiniere das perfekte Motiv mit den richtigen Lichtverhältnissen und einer Portion Glück, und voilà, so entstehen Siegerfotos. Lorenz Holders Aufnahme der Satellitenanlage in Raisting wurde mit dem wichtigsten internationalen Preis für Actionsportfotografie ausgezeichnet. Wir wollten mehr über das Bild, seine Entstehungsgeschichte und die Arbeit des Fotografen erfahren.

Roland Kaiser, der Held der Woche
Tja, wer hätte gedacht, dass der Songtext-Vergleich zwischen Casper und Roland Kaiser solche Wellen schlagen würde. Während die User und der Schlagerstar das Ganze mit Humor nahmen, zog Caspar ziemlich beleidigt ein Interview zurück. Aber was solls, fragen wir eben mal bei Roland Kaiser nach, was er von der ganzen Aktion hält.

Die politische Wochenlage
Die Lage in Syrien spitzt sich weiter zu und die Pläne der USA rangieren weiterhin ganz oben auf den Nachrichtenseiten weltweit. Während US-Präsident Barack Obama auf eine Entscheidung des Kongresses wartet, zeigen sich Russland und China beim G 20 Gipfel weiterhin an einer diplomatischen Handhabung der Konflikte interessiert, und auch Papst Franziskus plädierte für eine friedliche Lösung. Mit Iran hat sich jetzt auch ein Verbündeter Syriens zu Wort gemeldet. 

Video der Woche
Ein Clip, der mich als bekennenden Smartphone-Verweigerer zum Schmunzeln gebracht hat, aber auch durchaus allen Smartphone-Besitzern ans Herz zu legen ist, stammt von der amerikanischen Schauspielerin Charlene deGuzman. In ihrem Video „I forgot my phone“ präsentiert sie uns ihren ganz normalen Tagesablauf, an dem eine Sache fehlt: ihr Smartphone.

http://www.youtube.com/watch?v=OINa46HeWg8

Und dann war da noch ...
... ein zweites Video mit deutlich weniger Klicks, dafür mit Schmunzelgarantie: Passend zu den großen und kleinen TV-Duellen will die IG Metall der vermeintlichen Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit potenzieller Wähler mit Humor entgegenwirken. In einem etwas albernen, aber durchaus amüsanten Spot werden alle Bürger aufgefordert, sich an der bevorstehenden Bundestagswahl zu beteiligen.

Deutschland hat den Superstar

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Mit 19 gewann er eine Castingshow in seiner Heimat Irak und wurde zum Popstar. Dann zwang ihn der Bürgerkrieg zur Flucht. Heute lebt Raid Yosif in einer tauberfränkischen Kleinstadt und hofft auf sein Comeback.

Youtube ist sein einziger Beweis. Raid hält das iPhone waagerecht zwischen Daumen und Zeigefinger. Auf diesen 41 Quadratzentimetern will er zeigen, wer er ist. Zu sehen ist ein junger Musiker auf der Bühne eines Fernsehstudios. Der dunkelhaarige Mann mit einer Oud, einem gitarrenähnlichen Instrument, singt auf Arabisch von Bagdad. Lange Blenden, viel Weichzeichner, ein wenig Kitsch. Im Publikum sitzt ein Mädchen und weint. Auch eine Jurorin wischt sich über die Augen. Die Show, aufgezeichnet 2006, ähnelt dem Format „Deutschland sucht den Superstar“. Der Mann im Video wird die Show später gewinnen, einen Plattenvertrag bekommen und ein Star werden. Der Mann im Video ist Raid.    

Raid Yosif ist 27, aber vielleicht auch zwei Jahre jünger. Die irakischen Behörden nehmen Geburtstage nicht besonders wichtig, Geschwister bekommen oft ein Einheitsdatum. „Im Irak“, sagt Raid, „kennt man mich“. Das Problem ist nur: Er ist nicht im Irak.    



Raid am Tisch mit Dorothea Grebbin, seiner Ersatzmutter. Er hat sie im Chor kennengelernt.


Der junge Mann mit der aufgetürmten Frisur sitzt an einem Esstisch, vor sich eine Zierdecke, hinter sich ein Setzkasten. Der Tisch und das Wohnzimmer gehören dem Ehepaar Grebbin, zwei pensionierten Lehrern. Ihr Haus steht in Bad Mergentheim, einer Kleinstadt bei Würzburg. Die Grebbins haben Frühstück bereitgestellt, es gibt Semmeln und Leberwurst. Raid isst und spricht nicht viel. Er wirkt schüchtern, auf Nachfragen, wie er denn nun genau von Bagdad nach Bad Mergentheim gekommen ist, antworten oft die Grebbins für ihn. „Mama, das stimmt so nicht“, sagt er dann manchmal zu Dorothea Grebbin und lächelt freundlich. Dabei ist sie nicht wirklich seine Mutter.    

Raids Geschichte beginnt im irakischen Mosul, 350 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bagdad. Seine Eltern sind Christen, eine Minderheit im islamisch geprägten Irak. Solange Raid ein Kind ist, macht das keine Probleme. „Saddam Hussein war ein Tyrann“, sagt Raid, „aber nicht gegenüber uns Christen.“ Während der Diktator die Macht hat, ist Raids Leben geordnet. Schon als Kind bekommt er Musikunterricht, ein Lehrer bringt ihn im Chor unter. Raid singt, spielt die Oud und gibt Konzerte. „Ich wollte immer nur singen“, sagt er.   

Das Finale der Show drehen sie im Libanon - Bagdad ist zu gefährlich.



Im Jahr 2006 nimmt er an der irakischen Variante von „DSDS“ teil – und gewinnt. Er ist 19. Zu diesem Zeitpunkt hat die „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA sein Land längst überrollt. Mehr als 100 000 Zivilisten sind durch den Krieg ums Leben gekommen, die amerikanischen Besatzer bekommen den Bürgerkrieg nicht in den Griff. Das Finale der Castingshow wird deshalb in Beirut im Libanon gedreht, Bagdad wäre zu unsicher. Kurz nach Raids Sieg wird ein anderes Youtube-Video aus dem Irak um die Welt gehen: die letzten Minuten vor der Hinrichtung von Diktator Saddam Hussein. Ein Sondertribunal hat ihn zuvor zum Tod durch den Strang verurteilt.    

Raid redet nur ungern über die politische Situation in seinem Land. Lieber spricht er von der Zeit als Star. Nur am Rande erzählt er von einem Anschlag, den er in Mosul miterlebt hat, vermutlich eine Autobombe. „Du kannst nicht anders, du gehst automatisch auf die Knie“, sagt er darüber. Trotz aller Unruhen verläuft seine Karriere zwei Jahre lang problemlos. „Viel Arbeit und viel Geld“, sagt er und zeigt einen anderen Clip auf seinem iPhone. Er singt dort für eine schöne Frau, die Haare zerzaust von einer Windmaschine. Das war 2008. „Dann kam die Katastrophe“, sagt Raid.    
Die Stimmung gegen die Christen im Irak kippt. Dschihadisten gewinnen die Oberhand, fordern eine streng islamische Gesellschaft. Der Erzbischof von Mosul wird entführt und ermordet. Die sonst für ihre Toleranz bekannte Stadt wandelt sich zur al-Qaida-Hochburg. Raid und seine Familie werden nicht mehr nur verehrt, sondern auch bedroht. Denn Raid ist prominent, eine Entführung könnte sich lohnen. Hier beginnt seine zweite Geschichte – die Reise von Bagdad nach Bad Mergentheim.    



Ein Bild aus alten Zeiten: Ausschnitt aus einem von Raids Videoclips von 2008.


Diesen Lebensabschnitt muss man sich oft mühsam zusammenpuzzeln. Manches klingt unlogisch, allerdings hat Raid auch Angst, zu viel zu erzählen. „Seine Familie ist ja noch da“, erklärt Dorothea Grebbin und schenkt noch einmal allen Filterkaffee nach. Raid selbst sitzt zusammengesunken in seiner hellen Chino und dem gelben T-Shirt am Esstisch. Diese Klamotten trägt er auch auf den neuen offiziellen Fotos auf seiner Facebook-Fanseite. Ein Freund hat sie gemacht. Im Nahen Osten waren eher weiße Leinenhemden angesagt, hier ist das anders.    

Raid schildert die Situation nach 2008. Menschen, die an Straßensperren entführt werden, kommen darin vor. Freunde, die bei Anschlägen getötet werden. Das Ergebnis dieser Zeit ist, dass Raid wie zahlreiche andere Christen sich zur Flucht entschließt. 100 000 Christen lebten noch vor zehn Jahren in der Millionenstadt Mosul. Heute sind es noch 5 000 – darunter Raids Familie.    

Sein erstes Ziel nach der Ausreise ist Dubai. Hier haben er und die Plattenfirma Freunde. Er wird viel gebucht, tritt nächtelang in Restaurants und Hotels auf. „Wie Wandelhalle“, sagt Raid. Die Wandelhalle ist eine Konzerthalle in Bad Mergentheim, in der er manchmal mit dem Chor „Karibu“ auftritt. Dort lernte er die Grebbins kennen. Mittlerweile übernehmen sie für ihn die Funktion des Managements, des Versorgungsnotnagels und der Ersatzeltern. „Mama und Papa“ nennt Raid sie. Das ist kein Versehen. „Manchmal habe ich das Gefühl, er hat sich uns auch irgendwie ausgesucht“, sagt Dorothea Grebbin, als Raid gerade nicht hinhört. Die eigenen Kinder des Ehepaars sind aus dem Haus, einer mehr macht da auch nicht viel aus.    

In Dubai habe er viel Geld verdient, sagt Raid. Trotzdem muss er wieder ausreisen. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine strikte Asylpolitik, um Wirtschaftsflüchtlinge fern zu halten. Raid wird zurück in den Irak geschickt. Sechs Monate lang traut er sich nicht, auf die Straße zu gehen. „Die Leute haben gesagt: ‚Sie haben Raid getötet’, weil ich nicht mehr raus durfte.“

Im Asylantrag schreibt er als Beruf: Sänger. "Dann singen Sie mal", fordert der Beamte.



Ein Pfarrer organisiert Raids Flucht über Beirut und Frankreich nach Deutschland. Der Geistliche stellt auch den Kontakt zu einer Kirchengemeinde in Karlsruhe her, in dieser Stadt beantragt Raid Asyl. Als Beruf gibt er „Sänger“ an. Dass er im Irak ein Star war, ist den Ämtern allerdings ziemlich egal. „Dann singen Sie mal“, sagt der Beamte bei der Ausländerbehörde. „So ein Arschloch“, entfährt es Dorothea Grebbin, als Raid das erzählt, sie haut wütend mit ihrer Hand auf die Tischplatte. Raid ist schüchtern und singt nicht. Sein Rechtsanwalt kämpft heute noch dafür, dass er als Künstler anerkannt wird. Raid selbst bleibt bei diesen Erzählungen emotionslos. Mittlerweile helfen ihm die Grebbins bei Behördengängen, kümmern sich auch um seinen Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft.    

Er war anderes gewohnt, das Leben eines Popstars. „Schau“, sagt er, „in zwei, drei Monaten ist dein ganzes Leben weg!“ Als er vom Asylbewerberheim in Karlsruhe erzählt, verzieht Raid schließlich doch das Gesicht. Hier hat keiner ein eigenes Zimmer, das Leben funktioniert nach den Regeln des Asylrechts. „Das war nicht meine Welt. Ich hatte viel Geld auf dem Konto. Fünfstellig. Ich habe den Leuten da gesagt: Lieber schlafe ich auf der Straße als in dem Heim.“   
Er kommt bei einem Freund unter. Sieben Monate wohnt er in Karlsruhe. Sein Tag: „Essen, schlafen, Sport“, ein Sänger müsse schließlich gut aussehen. Dann bekommt er die Aufenthaltsgenehmigung und wird nach Bad Mergentheim geschickt. Es ist das Jahr 2010.    

Seitdem lebt Raid in einer eigenen Wohnung. Er finanziert sein Leben durch Hartz IV, besucht oft die Grebbins. Anfangs hat er sie gelegentlich zum Essen eingeladen, ist in andere Städte gefahren und hat kleine Gigs gespielt. Mittlerweile ist das Ersparte alle. Eine Halskette ist eines der wenigen Dinge, die aus seinem alten Leben übrig sind. An feinen Gliedern hängt ein überdimensionaler Zahn. Die Kette trägt Raid in den Musikvideos von damals, aber auch auf den aktuellen Bildern bei Facebook. Darunter schreiben 14-jährige Mädchen auf Deutsch: „Raid, ich liebe Dich!“ Woher er sie kennt und warum sie einen irakischen Star anhimmeln, bleibt offen.    

Er will mit deutschem Pass zurück in den Nahen Osten. Dann darf er auftreten, wo er will.



„Meine Fans sind traurig“, sagt Raid. Die im Irak, weil er weg ist. Die in Deutschland, wenn er nicht auf ihre Kommentare bei Facebook reagiert. Auf seiner Pinnwand steht: „Ich würde mich freuen wenn Du meinen Kommi liken würdest.“ Raid liest das langsam vor und stockt: „Kommi?“. Kommi steht im Internet für Kommentar. Raid atmet verlegen durch die Nase aus, eine Mischung aus Scham und Schüchternheit, irgendwie unbeholfen. Man kann verstehen, dass Mädchen ihn süß finden. „Raid trifft die ja gar nicht im echten Leben“, sagt Dorothea Grebbin. Raid schweigt. „Aber könnte er nicht modeln, wenn ihn die Mädchen schon so schön finden?“, setzt sie hinterher. Wie man einen Modelvertrag bekommt, wissen allerdings weder Dorothea noch Raid.    

Als Hartz IV-Empfänger kann Raid theoretisch nicht warten, bis er einen neuen Plattenvertrag bekommt. Also hat er auch körperliche Arbeit angenommen, Kisten geschleppt. Das ging aber schnell in den Rücken, er musste den Job aufgeben. Dafür ist sein Deutsch mittlerweile fast perfekt, die Grebbins müssen nur noch minimale Fehler korrigieren.    

„Videoclip“, sagt Raid immer wieder. Er müsse einen Videoclip machen, damit er wieder ins Gespräch kommt. Aber das ist schwierig umzusetzen, hier in Bad Mergentheim. Neulich hat er Geld an Freunde in Dubai geschickt, die seine Karriere fördern wollen. Bisher ist allerdings nichts weiter passiert. Sobald er einen deutschen Pass hat, soll sich das ändern. Dann will Raid wieder arbeiten. Zurück nach Dubai, nach Mosul, nach Bagdad. Er will wieder dort auftreten, wo seine Musik gut ankommt, dann aber eben als Deutscher. Damit wäre er kein Wirtschaftsflüchtling mehr, sondern dürfte sich seine Konzertziele aussuchen. Wie ein echter Star.    

Momentan überarbeitet Raid seine Musik, singt auch mal auf Englisch. Seinen letzten Auftritt mit dem Chor haben die Grebbins auf CD gebrannt. „Das klingt doch schön, das hat doch Potenzial“, sagt Dorothea Grebbin. Bis das jemand erkennt, trinkt Raid weiter Tee vor dem Setzkasten.

Pasta? Bitte französisch

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Québecs Regierung macht sich mit dem Sprachgesetz lächerlich.

Joe Beef ist eines der bekanntesten Restaurants in Kanada. Es befindet sich in der Stadt Montréal, und dort gilt - wie überall in der frankophonen Provinz Québec - ein drakonisches Sprachgesetz. Denn Französisch muss nach Ansicht von Québecs Regierung mit allen Mitteln vor dem englischen Vormarsch geschützt werden. So schwärmt die Sprachpolizei aus, um Missetäter zu erwischen.

Der Name Joe Beef ist so englisch wie der Buckingham-Palast. Die Speisekarte ist zwar französisch, wie es das Gesetz verlangt, die Angestellten sind zweisprachig. Allerdings entdeckten Inspektoren bei einem Besuch ein antikes Schild, auf dem auf Englisch stand: 'Bitte lassen Sie das Eingangstor geschlossen'. Klar, die Beamten verlangten das sofortige Entfernen der Antiquität. Eigentümer David MacMillan war schockiert. 'Ich frage mich, was mit diesen Leuten nicht stimmt', sagte er der kanadischen Zeitung National Post.

Die Sprachpolizei macht aber nicht nur kleinen Firmen, sondern auch großen wie Walmart das Leben schwer. Die amerikanische Supermarktkette wurde belehrt, sie müsse ihren Namen in 'Le Magasin Walmart' umwandeln. Die Hühnchen-Kette Kentucky Fried Chicken heißt in Québec Poulet Frit Kentucky. Nach mehreren Anschlägen mit Brandbomben verlängerte die Kaffeehauskette Second Cup ihren Namen auf Les cafés Second Cup. Und Starbucks nennt sich Café Starbucks Coffee.

Sechs Konzernen - Walmart, Costco, Best Buy, Gap, Old Navy und Guess - geht der sprachliche Heimatschutz nun doch zu weit. Seit November 2012 ist ihre Klage vor dem Gericht anhängig, mit der sie ihren Markennamen gegen die Drohungen der Behörden verteidigen. Die Unternehmen müssen bei Gesetzesverstößen schließlich mit Strafen von bis zu 15000 Euro rechnen. Die Firmen kritisieren, die Regierung ändere die Interpretation des Sprachgesetzes nach ihrem Gusto.

Ein besonders absurder Fall machte weltweit Schlagzeilen. Einem italienischen Restaurant wurde verboten, Wörter wie Pasta auf der Speisekarte zu führen. Bei 'insalata caprese' wussten aber selbst die Beamten nicht, wie das zu übersetzen wäre. Diesmal schnitten sich die Sprachhüter ins eigene viande, pardon, Fleisch. Kurz und gut: Die oberste Sprachpolizistin wurde versetzt, bevor sich Québec noch lächerlicher machte. Jüngsten Berichten zufolge darf das Wort Pizza weiter verwendet werden.

"Lehrer sind doch auch nur Menschen"

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Sechs Jugendliche, sechs Bildungskarrieren, sechs Erfahrungsschätze - beim SZ-Schülergipfel wird offen gesprochen: Wie soll er denn sein, der ideale Pädagoge? Was macht guten Unterricht aus? Und ist unser System eigentlich gerecht?

Es diskutieren:

Georg Veile, 20 Jahre, holt nach der Realschule und einer Lehre zum Bankkaufmann am Technischen Gymnasium in Aalen (Baden-Württemberg) gerade das Abitur nach. Georg würde als Rektor an seiner Schule als erste Maßnahme Hitzefrei einführen - denn das gibt es an beruflichen Gymnasien nicht.

Kassem Taher Saleh, 20 Jahre, er wurde im Irak geboren, kam 2003 nach Deutschland. Der Abiturient aus Plauen (Sachsen) hat sich im Schulsystem hochgeboxt, zum Wintersemester beginnt er in Dresden ein Studium: Bauingenieurswesen. Dabei wird ihm auch sein Lieblingsfach Physik wieder begegnen.

Arberie Hakaj, 17 Jahre, Gymnasiastin aus München. Mit ihrer Schulfußballmannschaft ist sie Münchner Vize-Meister geworden. Der Lieblingsspruch ihres Sportlehrers, den die Schülerin gerne zitiert: 'Losers always find a way to excuse. And winners always one to win.'

Ena Bahtiri, 17 Jahre, ist in Deutschland geboren, aber überwiegend in den USA aufgewachsen. Vor drei Jahren kam sie mit ihrer Familie zurück, hat dann an einer Mittelschule (früher Hauptschule) im bayerischen Markt Indersdorf die mittlere Reife gemacht. Ihr nächstes Ziel: die Fachhochschulreife.

Clara König, 17 Jahre, angehende Abiturientin aus Starnberg, ist auch als Landesschülersprecherin für Bayern tätig. Wenn sie noch einmal die Wahl hätte, sagt sie, würde sie das Abitur aber wohl lieber auf dem zweiten Bildungsweg machen - 'weil man da mehr zu schätzen weiß, was man lernt'.

Roman Zhdanov, 15 Jahre, kommt aktuell in die zehnte Klasse des Gymnasiums Engen in Baden-Württemberg, wo er schon zwei Jahre stellvertretender Chefredakteur der dortigen Schülerzeitung war. Will später aber nicht Journalist werden - sondern lieber Gerichtsmediziner.

'Auf die Lehrer kommt es an' - so heißt es zumindest stets bei jeder Diskussion über die Schulen. Was macht eurer Ansicht nach einen guten Lehrer aus?

Clara: Ein guter Lehrer muss sich nicht nur für sein Fach interessieren, sondern auch Freude haben, es zu präsentieren. Und er muss sich im Stoff so gut auskennen, dass er die Aspekte herausgreifen kann, die bei uns Schülern Begeisterung wecken. Es reicht nicht, nur den Lehrplan abzuarbeiten. Für mich muss ein guter Lehrer außerdem etwas von sich preisgeben, ich muss wissen: Was ist das für eine Person? Nur dann bin ich als Schüler auch bereit, mich voll auf sie oder ihn einzulassen.

Ena: Ich finde das Klassenlehrer-Prinzip hier in Deutschland toll - das gibt es in den USA nicht, wo ich viele Jahre zur Schule gegangen bin. Man lernt seine Lehrerin, seinen Lehrer kennen, baut Vertrauen auf. Ich hatte viele Momente, in denen ich an der deutschen Sprache fast verzweifelt wäre und dachte: Ich schaff das nie. Meine Klassenlehrerin, die ich auch in Deutsch hatte, hat mich motiviert, war für mich da.

Georg: Das Wichtigste ist, dass die Person qualifiziert ist. Jemand, der sich in seinem Fach nicht auskennt, kann keinen guten Unterricht halten. Wenn ich merke, dass mein Nebensitzer von Betriebswirtschaft mehr weiß als mein Lehrer, weil er schon eine Ausbildung gemacht hat, dann ist es vorbei mit der Aufnahmebereitschaft. Und auch mit dem Respekt irgendwie.

Kassem: Ich sehe das genauso: Ein guter Lehrer ist vor allem fachlich kompetent. Er kann die Fragen von Schülern beantworten, auch über den Stoff hinaus.

Clara: Ich finde nicht, dass sie alles wissen müssen. Ich habe eine Lehrerin, die auch mal sagt: 'Da bin ich überfragt, sorry, das muss ich nachgucken.' Ehrlichkeit ist für mich mehr wert, als wenn sie auf jede Frage sofort irgendeine Antwort hätte.

Ena: Man muss nicht alles wissen. Man muss nur wissen, wo es steht, heißt es ja.

Clara: Ein schlechter Lehrer denkt: 'Ich hatte letztes Jahr eine Neunte, ich hab" dieses Jahr eine Neunte - ist ja super, dann kann ich einfach mein altbewährtes Programm durchziehen.' Ein guter Lehrer fragt sich: Wie ticken meine Schüler? Wie schnell sind die? Er versucht, das Beste aus ihnen herauszuholen. Jede Stunde neu.



Was macht einen guten Lehrer aus? Über diese und andere Fragen rund um ihre Pädagogen diskutierten Schüler beim SZ-Schülergipfel.

Muss ein guter Lehrer streng sein?

Arberie: Nein. Wir haben eine junge Lehrerin, die sehr locker ist, manchmal vielleicht zu locker. Wenn wir es darauf anlegen würden, hätte sie wahrscheinlich schon Probleme gekriegt. Das machen wir aber nicht, weil ihr Unterricht wirklich toll ist.

Georg: Das richtige Maß ist wichtig. Lässt der Lehrer die Zügel zu sehr schleifen, verlieren die Schüler den Respekt. Ist er zu streng, dann entsteht Antipathie. Und wenn ich jemanden nicht mag, kann ich ihm nicht zuhören.

Clara: Ich glaube, streng ist eh das falsche Wort. Ein guter Lehrer muss eine natürlich Autorität besitzen. Wenn jemand dagegen Autorität nur spielt, weil er anders nicht weiterkommt, dann werden ihn die Schüler weniger respektieren.

Kassem: Natürliche Autorität kann einem kein Professor an der Uni beibringen. Die hat man als Lehrer. Oder eben nicht.

Ist diese 'natürliche Autorität' auch eine Frage des Alters? So dass man jüngeren Lehrern eher mal auf der Nase herumtanzen kann?

Clara: Alter und Berufserfahrung verstärken die natürliche Autorität. Bei jüngeren Lehrern denkt man sich als Schüler eher: 'Mal schauen, wie weit wir bei dem gehen können...' Wobei es auch Referendare gibt, die eine natürliche Autorität haben.

Arberie: Ich hatte in der fünften und sechsten Klasse einen älteren Lehrer, der sehr streng war. Wenn er ins Klassenzimmer kam, war die Stimmung sofort anders. Wir hatten nicht direkt Angst vor ihm, aber es war klar: Gesprochen wird nur nach Aufforderung. Bei ihm waren wir die ganze Stunde aufmerksam und konzentriert. Man konnte ihm nicht nicht zuhören.

Also ist es auch nötig, dass ein guter Lehrer eine durchdachte Darbietung abliefert, ein guter Entertainer ist?

Georg: Er muss zumindest Entertainer-Qualitäten besitzen. Am schlimmsten ist es, wenn ein Lehrer mit monotoner Stimme immer in Richtung Tafel spricht. Da kann man nicht zuhören, egal wie interessant das Gesagte vielleicht sein mag. Wenn ein Lehrer dagegen eine Show aus dem Unterrichtsstoff macht, ist man dabei.

Clara: Lehrer ist auch eine Rolle. Wenn sich ein Lehrer vor sie Klasse stellt, gilt das Gleiche wie bei einem Schauspieler: Er muss präsent sein. Wenn sich einer hinterm Pult vergräbt, sodass ihn überhaupt nur die ersten beiden Reihen sehen - wen wundert"s da, wenn die Schüler in den hinteren Reihen sich Zettelchen schreiben, Musik hören oder sogar schlafen?

Kassem: Ein guter Entertainer schafft es, einen Bezug zu seinem Publikum herzustellen. Den meisten meiner Lehrer gelingt das nicht, weil sie zu alt sind, weil sie zu weit weg sind von der Lebenswelt ihrer Schüler. Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, wie sie auf die Klasse wirken.

Arberie: Mir ist Authentizität wichtiger. Ich will nicht, dass mir mein Lehrer was vorspielt, das er gar nicht ist.

Roman: Wir Schüler merken es sofort, wenn sich einer nur anbiedern will. Ganz schlimm sind Lehrer, die cool sein wollen, indem sie Jugendsprache-Wörter verwenden. Oder sogar noch falsche.

Georg: Wenn mein Lehrer plötzlich anfangen würde, 'yolo' (Akronym für: 'You only live once', Anm. d. Red.) und 'swag' (Jugendsprache für: Lässigkeit, Anm. d. Red.) zu sagen, würde ich ihn auslachen.

Arberie: Das wäre aber mal eine echte Botschaft: 'Yolo - also macht eure Hausaufgaben nicht!'

Über Kleidung von Lehrern wird gerne hergezogen, bei hässlichen alten Strickpullis etwa. Beeinflusst das Aussehen eines Lehrers, wie ihr über ihn denkt?

Arberie: Man macht schon mal Witze über Lehrer, die komisch angezogen sind. Aber wir beurteilen sie nicht danach. Wir haben zum Beispiel eine Deutschlehrerin, die in der Hippie-Zeit hängengeblieben ist. Aber ihr Rock-über-Hose-Look zeigt ihre Persönlichkeit und das macht sie für mich dann wiederum sympathisch.

Clara: Aber das gilt nicht für alle Klassenstufen. Wir sind jetzt in einem Alter, in dem wir gecheckt haben: Lehrer sind doch auch nur Menschen. Wir haben ein anderes Verständnis für sie als Mittelstufenschüler. In dem Alter hängt man sich noch viel mehr an Äußerlichkeiten auf und macht Leute deswegen fertig. Haben wir ja auch, wir haben versucht, unseren Lehrern das Leben zur Hölle zu machen: Reißnägel auf dem Lehrerstuhl, aus dem Klassenzimmerfenster springen, so Sachen.

Kassem: Man sucht in dieser Zeit gezielt nach Schwächen von Lehrern. Unsere damalige Geschichtslehrerin war moppelig und hatte eine Hautkrankheit. Wenn sie zu einem Jungen an den Tisch kam, ist der demonstrativ mit seinem Stuhl weggerutscht. Die ist jede zweite Stunde heulend aus dem Klassenzimmer gerannt.

Georg: Von der siebten bis zur neunten Klasse sind Kinder einfach Teufel. In der Oberstufe will man seinen Abschluss und stellt sich deshalb mit den Lehrern gut.

Stimmt das Klischee vom faulen Lehrer: freie Nachmittage, ständig Ferien?

Roman: Ich hatte einen Deutschlehrer, der uns Arbeitsaufträge gegeben hat und dann einfach für den Rest der Stunde verschwunden ist. Dem hat man angemerkt, dass er überhaupt keine Lust zum Unterrichten hatte. Einmal ist er sogar bei einer Klausur vorne an seinem Pult eingeschlafen. War zum Glück aber nur eine Vertretung.

Ena: Ich habe neulich einem Freund erzählt, dass ich Lehrerin werden will. Darauf meinte der: 'Das sind doch alles faule Säcke!' Ich finde dieses Pauschalurteil unfair. In jedem Beruf gibt es doch Leute, die nur das Nötigste machen - aber ich habe meine Lehrer immer als engagiert erlebt.

Georg: Die Negativbeispiele fallen halt mehr auf. Wenn ein Lehrer einschläft, verbreitet sich das, man es erzählt es Freunden und zu Hause den Eltern. Dabei gibt es auch Lehrer, für die ihr Beruf Berufung ist. Die suchen noch in ihrer Freizeit im Netz nach Themen, die uns interessieren könnten.

Clara: Aber darf das der Anspruch sein? Klar ist es toll, wenn jemand für seinen Beruf brennt. Aber ich würde nicht von meinem Lehrer verlangen wollen, dass er bis spätnachts was für die Schule vorbereitet.

Georg: Das stimmt schon. Andererseits darf man nicht vergessen: Lehrer haben drei Monate Ferien im Jahr.

Kassem: Wir sehen aber nur die Zeit, die unsere Lehrer an der Schule verbringen.

Georg: Aber ein Lehrer kann seine Zeit viel freier einteilen als andere. Während meiner Banklehre war mein Tagesablauf durchgetaktet: Um sechs Uhr bin ich aufgestanden, um 8.30 Uhr hat die Bank aufgemacht, am Spätnachmittag war Schalterschluss, aber danach kamen noch Kunden. Ein Lehrer hat auch freie Nachmittage und er kann länger Pause machen, bevor er zum Beispiel korrigiert.

Mit einem guten Lehrer alleine ist ja noch nicht viel gewonnen. Was macht für euch guten Unterricht aus?

Kassem: Er muss strukturiert sein, aber auch abwechslungsreich. Was spricht dagegen, mal eine Stunde im Foyer oder draußen in der Sonne zu halten?

Clara: Ja, Abwechslung ist wichtig! Ich finde es gut, wenn ein Lehrer mal frei spricht, mal was auf die Tafel schreibt, mal Whiteboard oder Computer einbindet. Nur Frontalunterricht ist genauso langweilig wie nur Gruppenarbeit. Mir muss außerdem immer klar sein, warum ich etwas lerne. Gerade in einem Fach wie Mathe will ich, dass mir der Lehrer erklärt, warum es wichtig ist, dass ich dieses oder jenes mathematische Verfahren beherrsche.

Kassem: Genau. Guter Unterricht stellt den Bezug zur Praxis her.

Georg: Meiner Erfahrung nach klappt das am besten über Projektarbeit. Wenn wir in Informatik ein eigenes Programm schreiben sollen, packt auch die der Ehrgeiz, die eigentlich schlecht sind im Programmieren.

Arberie: Guter Unterricht hängt nicht nur vom Lehrer ab, sondern auch von den Schülern. Sie müssen motiviert sein und dem Lehrer eine Chance geben.

Georg: Gerade jüngere Lehrer bemühen sich, den Lehrplan aktuellen Ereignissen anzupassen. In Englisch haben wir viel über die NSA-Affäre diskutiert. Ich finde das richtig super. Aber ein Schüler, der sich überhaupt nicht dafür interessiert, hat auch keinen Bock, darüber auf Englisch zu reden.

Frontalunterricht ist von gestern, Gruppenarbeit gehört die Zukunft, sagen viele Bildungsreformer. Was meint ihr?

Ena: Frontalunterricht geht für mich gar nicht! In der siebten und achten Klasse hatten wir einen Lehrer, der stundenlang Monologe gehalten hat. Wir haben mitgeschrieben, auswendig gelernt, Klausur geschrieben. Und alles wieder vergessen.

Arberie: Bei Gruppenarbeit bin ich konzentrierter. Ich kann nicht nebenher auf meinem Handy rumspielen oder so. Und kann mich später besser daran erinnern.

Clara: Ich finde es falsch von der Bildungspolitik, es heißt: 'Der Lehrer muss mehr Gruppenarbeit machen.' Den Lehrer gibt es ja nicht. Es ist auch nicht jede Klasse gleich gut für Gruppenarbeit geeignet. Dazu kommt das Fach: In Mathe hatte ich Gruppenarbeiten, die waren schrecklich. In komplexen Fächern ist es schon besser, wenn der Lehrer den Stoff erklärt, Frontalunterricht. Alles andere verwirrt nur.

Das deutsche Bildungssystem gilt als eines der ungerechtesten in Europa. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Ena: Ich bin sehr ehrgeizig, hatte in den USA fast nur Einser. Als wir nach Deutschland gezogen sind, war ich mit meinen Eltern in einer Beratungsstelle, um herauszufinden, welche Schule die beste für mich ist. Dort hat die Beraterin gesagt: 'Unwahrscheinlich, dass sie so gut Deutsch lernt, dass es fürs Gymnasium reicht. Sie soll auf die Mittelschule.' Das hat mich in dem Moment so sauer gemacht. Ich war verletzt, dass man mir nicht mal die Chance geben wollte, es am Gymnasium zu versuchen. Das hat mich umso mehr angespornt, perfekt Deutsch zu lernen.

Kassem: Ich bin 2003 mit meiner Familie aus dem Irak gekommen. Ich wurde hier in die vierte Klasse eingeschult und habe dann eine Empfehlung für die Hauptschule bekommen. Obwohl meine Deutschkenntnisse und Schulnoten schon in der Sechsten so gut waren, dass ich aufs Gymnasium hätte wechseln können, wollten meine Lehrer das nicht. Sie haben sich dagegen gesperrt und meinen Eltern eingeredet, das wäre nicht gut für mich. Meine Eltern kannten sich damals noch nicht so gut mit dem deutschen Schulsystem aus und haben den Lehrern vertraut.

Clara: Wenn ich mich heute noch mal entscheiden könnte, würde ich mein Abitur nicht auf dem Gymnasium machen. Leute mit Abitur auf dem zweiten Bildungsweg wissen das viel mehr zu schätzen, was sie lernen. Weil sie dafür kämpfen müssen. Auf dem Gymnasium schwimmt man im Schwarm mit, und wenn man sich nicht ganz dumm anstellt, erreicht man das Ziel. Aber man denkt nicht darüber nach, warum man das Ganze macht.

Georg: Das System gibt Empfehlungen raus, die fatal sein können. Ich habe in der vierten Klasse eine Hauptschulempfehlung bekommen. Obwohl ich den Notenschnitt fürs Gymnasium gehabt hätte, waren die Lehrer der Meinung, ich hätte eine Sprachbehinderung und würde das Gymnasium nie packen. Ich hab mich gewehrt und bin auf die Realschule gegangen. Dort hatte ich einen Lehrer, der mich extrem gefördert hat - und zwei Jahre später habe ich bei 'Jugend forscht' gewonnen.

Roman: Bei den Empfehlungen darf man die Rolle der Eltern nicht unter den Tisch fallen lassen. Die sind es doch, die ihre Kinder unbedingt aufs Gymnasium schicken wollen, oft ohne zu fragen, was die überhaupt wollen. Ich habe das Gefühl, das Abitur ist heute der einzige Abschluss, der gesellschaftlich was zählt.

Kassem: Das System ist wie der amerikanische Traum: Wer fleißig ist und den unbedingten Willen hat, kann es auf die besten Schulen schaffen. Aber ist das gerecht?

Clara: Ich finde schon. Wie du sagst: Jeder kann es schaffen, wenn er will. Manche wollen vielleicht erst später - auch dafür gibt es ja Möglichkeiten. Alle haben die Chance. Du bist das beste Beispiel, Kassem.

Kassem: Ich habe aber auch Eltern, denen meine Zukunft immer wichtig war. Es gibt Jugendliche, die sind nicht dumm, aber ihre Vorbilder sind Eltern, die den ganzen Tag zu Hause auf dem Sofa sitzen und die Zeit totschlagen. Wie sollen die den Antrieb entwickeln, aufs Gymnasium zu wollen? Und wir hatten damals auch Hilfe: einen Nachbarn, der hat Sozialpädagogik studiert und uns unterstützt. Auch mit seiner Hilfe bin ich in der Zehnten aufs Gymnasium gewechselt. Ich wüsste nicht, wo ich ohne ihn heute stünde.
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