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Tagesblog am 24. Februar 2015

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17:45 Uhr: Der Tagesblogger verabschiedet sich. In Richtung Circus Krone. Kein Scheiß, ich gehe heute echt Clowns und Akrobaten anschauen. Hoffe nur, dass da keine traurigen Tiere zu sehen sein werden.

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17:20 Uhr:
Solltest du gerade am Schreibtisch sitzen und einen Bleistift in Sichtweite haben: Hier wäre ein Vorschlag ihn auf interessante Art einer Zweckentfremdung zu unterziehen.

Ein paar Künstler sammeln nämlich Bleistifte, die sie auf einer Konferenz namens Internet Age Media Weekend  in Barcelona mit Hilfe von Verbindungsstücken aus dem 3D-Drucker zu seiner möglichst großen und möglichst flexiblen Skulptur zusammenbasteln wollen.

http://vimeo.com/118571559

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16:18 Uhr:
Große Aufregung in der deutschen Rap-Szene! Warum? Bass Sultan Hengzt hat auf seinem Album zwei knutschende Männer abgebildet. Und damit einen Homophoben-Shitstorm ausgelöst. Wir haben ihm dazu ein paar Fragen gestellt.




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15:29 Uhr:
Es gibt schlimme Momente. Zum Beispiel die Momente, in denen man merkt: "Ich habe gerade etwas getan, was sonst nur meine Eltern tun. Obwohl ich doch nie so werden wollte wie sie." Wir haben solche Momente gesammelt: Von der beschrifteten Tupperdose bis zur Nasendusche. Hier entlang zu den Texten.




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14:50 Uhr:
Kenner der Simpsons wissen: Keiner weiß, wo Springfield ist. Das ist Absicht. Die Simpsons-Macher haben den Namen gewählt, weil er in den USA häufig vorkommt und die Stadt die amerikanische Durchschnittsstadt schlechthin sein soll. Und sie haben immer drauf geachtet, dass in ihren Episoden nie ein eindeutiger Hinweis auftaucht, der die Stadt geografisch exakt einordnen ließe.

Jetzt ist ihnen aber ein Fehler unterlaufen. In einer neuen Folge am Sonntag hat ein aufmerksamer Fan ihn entdeckt. Es taucht ein aufgehender Mond am Himmel auf. Der ist aber so ausgerichtet, wie er es nur sein kann, wenn man ihn von der südlichen Erdhalbkugel aus betrachtet. Skandal! Springfield befindet sich in der südlichen Hemisphäre!
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13:58 Uhr:
Wir haben die News der Woche aus Sexhausen aufgeschrieben. In unserer Topsexliste. Zu empfehlen für Blutspender, Knastis und Freunde von Aufklärungs-Fails.

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12:59 Uhr:
Birdman hat am Sonntag den Oscar für den besten Film gewonnen. Dabei hätte dieser Film den Oscar viel mehr verdient: „Big Birdman“ (featuring der Typ, der seit 41 Jahren die Stimme von Big Bird in der Sesamstraße ist).

http://www.youtube.com/watch?v=lnfAxUjRQAo#t=30

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12:12 Uhr:
Der Guardian und Will Butler von Arcade Fire haben gestern ein schönes Projekt gestartet. Butler komponiert und produziert jeden Tag einen Song, der auf einer aktuellen Nachricht des Tages basiert. Die Idee ist inspiriert von Bob Dylan, der sagte, dass manche seiner Songs entstanden waren, weil er bestimmte Überschriften in der Zeitung gelesen habe.

Gestern dominierten Griechenland und die Verhandlungen über Sparmaßnahmen mit der Euro-Zone die Nachrichten, Butler schrieb darüber den Song "Clean Monday". Ich finde, der klingt, als könnte er auch dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis gefallen. Zumindest kann ich mir gut vorstellen, wie der ihn auf dem Weg zur nächsten Verhandlungsrunde hört.
https://soundcloud.com/guardian-music/01-clean-monday-2

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10:59 Uhr:
Wichtige Nachricht für alle Whatsapp- und SMS-Junkies: Dort lässt es sich jetzt politisch korrekter tippen. Apple hat in seiner neuen Tastatur auch Emojis anderer Hautfarben aufgenommen:
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9:52 Uhr:
Zeit für ein paar Nachrichten:


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9:17 Uhr:
Ich habe vorhin auf Instagram das hier entdeckt: Forscher aus Zürich haben einen Flugsimulator entwickelt, mit dem sich nachvollziehen lässt, wie es sich anfühlt zu fliegen wie ein Vogel. Oder wie Birdman. Egal. Ich muss da auf jeden Fall hin!







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9:12 Uhr:
Guten Morgen. Kein schöner Weg zur Arbeit war das. Nieselregen. Ein verspäteter Bus, eine Bushaltestelle ohne Überdachung. Keine gute Kombination.



Ticket-Alarm

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Bier, Kaffee, Benzin, Süßwaren, Lebensmittel – die Beamten aus dem Bundeskartellamt haben sich in den vergangenen Monaten öffentlichkeitswirksame Branchen vorgenommen. Und das durchaus mit Erfolg. Alleine im vergangenen Jahr hat die Wettbewerbsbehörde Strafen in Höhe von rund einer Milliarde Euro verhängt, das ist Rekord. Viele haben die Härte der Kartellwächter zu spüren bekommen: die großen Brauereien etwa, die nach den Ermittlungen der Behörde ein Kartell zum Nachteil der Verbraucher gebildet hatten, die Zuckerhersteller, die ihre Preise abgesprochen haben sollen, oder der Internethändler Amazon, dem bestimmte Preispraktiken auf seinem Marketplace (Best-price-Klauseln) untersagt wurden.



Die Vermarktungsfirma Eventim ist Marktführer in Europa und an der Börse etwa 2,6 Millionen Euro wert - jetzt stehen jedoch die Geschäftspraktiken unter Beobachtung.

„Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz“, sagt Kartellamtspräsident Andreas Mundt, 54, immer wieder. Der fröhliche Rheinländer führt die Behörde, die ihren Sitz im ehemaligen Bundespräsidialamt in Bonn hat, seit Ende 2009 – und er konzentriert sich besonders auf öffentlichkeitswirksame Fälle. Die Arbeit der Wettbewerbshüter soll sich unmittelbar für die Verbraucher bezahlt machen.

Jetzt haben sich Mundts Leute eine besonders komplizierte Branche vorgenommen, nämlich den Verkauf von Konzert- und Veranstaltungstickets. Das Kartellamt hat ein Verfahren gegen Europas größten Ticketvermarkter CTS Eventim eingeleitet. Hintergrund sei der mögliche Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, sagte ein Sprecher der Behörde. Es handele sich nicht um ein Bußgeld-, sondern um ein Verwaltungsverfahren, betonte er. Es gebe „unterschiedliche Vorwürfe“. Dabei würde vor allem die kartellrechtliche Zulässigkeit der Geschäftspraktiken von CTS Eventim geprüft und gegebenenfalls beanstandet, eine Strafe ist dabei nicht vorgesehen. Das Ticket-Thema hat jedenfalls Breitenwirkung: Wer ärgert sich nicht über angeblich zu hohe Preise oder unangemessene Nebenkosten?

CTS Eventim ist einer der Großen der Branche und wächst seit Jahren rasant. Zuletzt wurden über die Systeme von CTS rund hundert Millionen Eintrittskarten für rund 200000 Veranstaltungen vermarktet. Konzerte von Weltstar Rihanna über Schlagersängerin Helene Fischer bis zur Hip-Hop-Band Deichkind, Comedy-Veranstaltungen von Mario Barth oder Cindy aus Marzahn, Fußballspiele, Musicals – fast alles hat CTS Eventim im Angebot. Die Geschäfte laufen prächtig: Der Umsatz lag zuletzt europaweit bei 628 Millionen Euro mit 1800 Mitarbeitern, der Gewinn vor Zinsen und Steuern erreichte immerhin 111 Millionen Euro. Die Aktie ging in den vergangenen Monaten nach oben.

Auslöser für die jüngsten Ermittlungen seien Informationen aus Fusionsprüfungen unter Beteiligung von CTS Eventim in der Vergangenheit gewesen, heißt es in Bonn. Die Ermittlungen, die bereits im November aufgenommen wurden, liefen, derzeit würden die sichergestellten Unterlagen ausführlich geprüft. Zudem werden weitere Marktteilnehmer kontaktiert und um Informationen gebeten. Wie lange das Verfahren dauern wird, sei genauso offen wie der Ausgang.

Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandschef, Mehrheitsaktionär und Gründer von CTS Eventim, wies alle Beschuldigungen weit von sich. „Es ist allgemein bekannt, dass wir in Deutschland eine sehr gute Marktposition haben“, teilte Schulenberg am Montag mit und fügte an: „Wir sind Technologie- und Innovationsführer, und können uns daher gegenüber unseren Wettbewerbern häufig durchsetzen– und genau das ist die Natur des freien und fairen Wettbewerbs. Unlautere Methoden wenden wir nicht an.“ Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien in jeder Hinsicht eingehalten worden, betonte das Unternehmen. Sämtliche Fragen des Kartellamts seien bisher vollständig und fristgerecht beantwortet worden.

CTS Eventim verkauft Tickets, und betreibt dafür auch mehrere Online-Plattformen. Aber inzwischen hat die Firma expandiert, es gibt einen zweiten großen Bereich. Es werden Konzerte, Tourneen oder Festivals geplant, organisiert und abgewickelt. Zur Gruppe gehört etwa die Konzerthalle Hammersmith Apollo in London, es werden die Lanxess-Arena in Köln mit 20000 Plätzen sowie das Tempodrom und die Waldbühne in Berlin betrieben. Vor ein paar Monaten stieg die Firma bei der traditionsreichen Eiskunstlauf-Show „Holiday on Ice“ ein. Bekannt wurde CTS Eventim unter anderem, als die Firma die gesamten Tickets zum „Sommermärchen“ der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vermarktete. Auch die Eishockey-WM 2017 in Deutschland und Frankreich wird betreut.

Profitieren konnte die Firma unter anderem von den großen Verschiebungen in der Musikindustrie. Tonträger, also vor allem CDs, verlieren angesichts der Digitalisierung an Bedeutung, sie werden in den Zeiten des Internets durch teilweise kostenpflichtige Online-Streaming-Dienste ersetzt. Die Einnahmen der Künstler haben darunter gelitten, deshalb setzen sie heute stärker auch auf Konzerte und Live-Veranstaltungen – gut für CTS Eventim.

Im Jahr 2000 ging die Firma an die Börse, heute ist sie 2,6Milliarden Euro wert. Gut 50 Prozent der Papiere hält Schulenberg selbst, der einst als Manager des Schlagersängers Bernd Clüver („Der Junge mit der Mundharmonika“) begonnen hatte. Am Montag drückten die Ermittlungen auf den Aktienkurs, das Papier gab zunächst 17 Prozent ab, erholte sich aber wieder. Schon länger stehen die Geschäftspraktiken von CTS Eventim unter Beobachtung. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen beispielsweise kritisierte angeblich unverhältnismäßig hohe Gebühren für Tickets der Rockgruppe AC/DC. Dabei ging es um die Bezahlung per Kreditkarte oder Lastschrift und den Versand der Tickets; Eventim entschuldigte sich später.

Das Kartellamt hat nun offenbar ein besonderes Augenmerk auf den Online-Vertrieb der Tickets. Hier ist die Position von CTS Eventim stark, und hier könnte der Wettbewerb beeinträchtigt sein. Kartellamtspräsident Mundt macht sich generell schon länger Sorgen über den Internethandel und hat einigen den Kampf erklärt. Er sei da energischer als manch andere Wettbewerbsbehörde, betonte Mundt einmal.

So ging die Behörde gegen die Sportartikler Asics und Adidas vor, die für den Online-Handel besonders strenge Händlerrichtlinien ausgegeben hatten. Der bekannten Hotelreservierungsseite HRS wurde die sogenannte Meistbegünstigungsklausel untersagt, nachdem die Hotels dort immer die günstigsten Preise garantieren mussten.

Noch ist offen, ob die Behörde auch auf dem Ticketmarkt erfolgreich sein wird. Mundt will sich jedenfalls durchsetzen – natürlich zum Wohl des Verbrauchers.

Italien ist zurück

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Pier Carlo Padoan steigt am 22. Februar 2014 in Sydney in den Flieger. Überstürzt reist der Ökonom aus Australien ab. Trotzdem trifft er zu spät in Rom zur Vereidigung des italienischen Kabinetts ein. Der neue Regierungschef Matteo Renzi hatte seinen Finanzminister in spe 23000 Kilometer entfernt am Pazifischen Ozean auf dem G-20-Finanzgipfel aufgespürt. Dort stellte Padoan als Vizechef der Organisation der 34 führenden Industrieländer gerade den druckfrischen OECD-Bericht vor. In der italienischen Hauptstadt wartet auf ihn eine Schlüsselrolle beim Versuch, Europas größtes und unbeweglichstes Krisenland aus dem Sumpf zu ziehen.



Zeit für Italiens Premier Matteo Renzi, dass es im Land wieder aufwärts geht.

Ein Jahr nach dem Seitenwechsel empfängt Pier Carlo Padoan seinen damaligen Chef in Rom. OECD-Generalsekretär José Angel Gurría stellt im Finanzministerium den Italien-Bericht 2015 vor. Nach kurzem Vorgeplänkel kommt er zur Sache: den Reformanstrengungen der römischen Regierung. Mitten in seiner Detailanalyse fallen drei bemerkenswerte Worte: „Italien ist zurück“, sagt Gurría.

Er sitzt neben Padoan hinter einem acht Meter langen ovalen Tisch, der mit rotem Plüsch überzogen ist. Der Saal ist rappelvoll. Die Luft unter hohen Deckenfresken stickig. Doch was hier gesagt wird, ist erfrischend. Zu hören gibt es Sätze, auf die man seit Jahren vergebens gewartet hat. Wie diesen: „Italien schreitet auf einem beispiellosen Reformpfad voran, der nicht nur Wachstum und Beschäftigung ankurbeln wird“, sagt Gurría. Weil Italien ein Kernland sei, werden seine Fortschritte das Vertrauen auch auf europäischer Ebene erhöhen. „Es war großer politischer Mut nötig, um die Agenda voranzutreiben“, lobt Gurría Renzis Team.

Die Experten in Paris berechneten den kombinierten Effekt ihrer Reformen auf die italienische Wirtschaft. In zehn Jahren könnten sie ein zusätzliches Wachstum von sechs Prozent auslösen, schätzen sie. Die Maßnahmen müssen allerdings unverzüglich und vollständig umgesetzt werden, mahnte der OECD-Chef am Donnerstag in Rom. Am Tag darauf verkündet Salvatore Rossi, Generaldirektor der italienischen Zentralbank, seine frohe Botschaft.

Nach drei Jahren tiefer Rezession werde Italien im laufenden Quartal erstmals ein kleines Plus bei der Wirtschaftsleistung verbuchen. „Wir sind am Wendepunkt angekommen“, konstatiert Rossi.

Wenige Stunden später stimmt eine strenge Kritikerin der Euro-Problemländer in das neue Lied ein. Wenn auch betont verhalten. Italiens Wirtschaft fange sich wieder, bemerkt die amerikanische Ratingagentur Moody’s. Zwar sei in den kommenden Jahren nur mit schwachem Wachstum zu rechnen. Aber immerhin: „Die Strukturreformen werden wahrscheinlich weiter vorankommen und positive Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Geschäftsumfeld haben“, heißt es in dem Moody’s-Bericht. Die verbesserten Wachstumsaussichten führten wiederum zu einem graduellen Abbau der erdrückenden Schuldenlast, dem Albtraum der Italiener. Die Aktienmärkte reagierten positiv.

Wie das Land aus seiner Erstarrung erlöst wird, erlebte man kurz zuvor. Italiens Chef-Antreiber Renzi stürmte in den Pressesaal des Regierungsamts. „Auf diesen Tag hat eine ganze Generation seit vielen Jahren gewartet“, sagt der Premier. Er verkündet, dass sein Kabinett soeben ein längst überholtes Modell des Arbeitsrechts „verschrottet“ habe. Ein rigider Kündigungsschutz wurde kassiert. Mit neuen, flexibleren Verträgen für Festanstellungen sagte man der ungezügelten Ausbreitung des Prekariats den Kampf an und führte zudem eine soziale Absicherung bei Jobverlust ein. Die Regierung zerschlug damit einen Pakt, der die Unkündbarkeit fester Mitarbeiter mit der totalen Schutzlosigkeit einer Generation hyperflexibler Jobber erkaufte. Sie stellen 85 Prozent der neuen Arbeitsverhältnisse in Italien. Renzi konnte damit zwei zentrale Bestimmungen seines Jobs Act endgültig abhaken. „Den Unternehmern sage ich: Ihr habt jetzt kein Alibi mehr“, nahm er sogleich die Wirtschaft in die Pflicht. Gerechnet hatte die Industrielobby bis zur letzten Minute mit einem Einknicken der Regierung.

Nun bejubelt der Unternehmerverband Confindustria, dass nicht nur Zugeständnisse ausgeblieben sind, sondern dass die Gesetzesbestimmungen sogar in technischen Aspekten verbessert wurden. „Das bestätigt konkret den Willen der Regierung, den Lauf der Dinge im Land zu ändern“, kommentierte die Confindustria. Das Kabinett hatte sich über eine Einschätzung des Parlamentsausschusses hinweggesetzt, der Aufweichungen verlangt hatte. Erstmals sei ein Reformversuch ohne Änderungen über die Ziellinie gebracht worden, bemerkte das Mailänder Wirtschaftsblatt Il Sole 24 Ore. Man erinnert in Italien lieber nicht daran, dass das Bemühen um die Modernisierung des Arbeitsmarkts Ökonomen das Leben gekostet hat. Der Arbeitsrechtler und Regierungsberater Massimo D’Antona wurde 1999 in Rom auf offener Straße erschossen. Linke Terroristen streckten 2002 seinen Kollegen Marco Biagi in Bologna nieder.

Nun verändern die neuen Bestimmungen das Klima in den Firmen, meint Bremsenhersteller Alberto Bombassei: „Die Unternehmer scheuen sich nicht mehr, Arbeitsplätze zu schaffen. Nicht wenige kündigen nun Neueinstellungen an.“ Italien hat Glück. Wenn die Regeln am 1. März in Kraft treten, weht endlich ein günstiger Konjunkturwind im Land. Das bedeutet: Die Reformen fallen auf einen fruchtbaren Boden. Im Januar kam aus der Provinz Mailand die wohl am meisten ersehnte Nachricht seit Beginn der Krise vor sieben Jahren: Es wurde ein Boom befristeter Verträge gemeldet. Sie stiegen um 23,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Ausgelöst haben das Jobwunder Steueranreize seit Jahresanfang für Festanstellungen.

Mit dem Regierungserfolg im Rücken geht Finanzminister Padoan nun in die Schlacht in Brüssel, wo er mehr Flexibilität in der Haushaltspolitik erringen will. Im März wird die EU-Kommission den römischen Budgetplan abschließend prüfen. Das Urteil war im Oktober vertagt worden, um Italien Zeit zu geben für Reformen.

Padoan schickte jetzt eine Schätzung der Wachstumseffekte der angekündigten und implementierten Strukturreformen an die Kommissare. Zusammen mit dem Schuldenabbau und den Privatisierungen würden sie die Wirtschaftsleistung Italiens bis 2020 zusätzlich um 3,6 Prozent steigern, rechnet er vor. Nach den bisher eher bescheidenen Privatisierungserlösen von 2,1 Milliarden Euro will der Finanzminister bis Jahresende mit dem Verkauf eines Fünf-Prozent-Anteil des Energieversorgers Enel und mit 49 Prozent der Flugaufsicht Enav Kasse machen. Vor allem aber setzte er die Privatisierung der staatlichen Post auf die Agenda. 40 Prozent des Logistik- und Finanzkonzerns sollen veräußert werden. 2016 sollen die Bahnen folgen.

Dass der Rückzug des Staates bisher nicht flotter war, wurmt ihn. „Mit einer Sache bin ich unzufrieden und das ist das Privatisierungstempo“, sagte er. Die Erlöse müssen dringend helfen, den gigantischen Schuldenberg abzutragen.

Italiens Rekordverbindlichkeiten sind die gefährlichste Bürde des Landes. 2015 müssen die Italiener 260 Milliarden Euro auf dem Markt einsammeln und bleiben damit der größten Emittenten in Europa. Die Geldschwemme der Europäischen Zentralbank verschafft ihnen etwas Luft. Die Zinsen für die italienischen Staatsanleihen sind 2014 auf den Rekordtiefstand von 1,35 Prozent gefallen. Padoan sparte 40 Milliarden Euro beim Schuldendienst.

Als unbegründet scheint sich die Befürchtung der Kritiker der expansiven Geldpolitik von Mario Draghi zu erweisen. Sobald der Druck der Finanzmärkte auf die Schuldenländer nachlasse, werde der Reformwille bei den Trödlern am Mittelmeer abschlaffen. So lautete über Monate das Killerargument gegen Draghis lockere Geldpolitik. „Wahrscheinlicher ist das Gegenteil“, sagt Fabio Panetta von der römischen Zentralbank. Würde die EZB nicht eine der schwachen Konjunktur angemessene Geldpolitik betreiben, gäbe es weniger Wachstum, mehr Arbeitslose und ein Erstarken der Euro-Gegner quer durch den Kontinent. „Das würde es den europäischen Regierungen nicht einfacher, sondern schwieriger machen, die notwendigen Reformen durchzusetzen.“

Hilfe kann auch Renzi mit seinen Ministern gebrauchen. Ende voriger Woche verabschiedeten sie ein Paket wirtschaftlicher Liberalisierungen. „Nach fünf Jahren ist eine Regierung erstmals ihrer Pflicht nachgekommen, mit einem Wettbewerbsgesetz auf die Hinweise des Kartellamts zu reagieren“, lobte Serena Sileoni vom liberalen Wirtschaftsinstitut Bruno Leoni. Ihr fiel aber auch das Fehlen diverser angekündigter Maßnahmen auf.

Von 50 Artikeln überlebten nur 33 das Kreuzfeuer der mächtigen Lobby-Vertreter. Als Renzi Bilanz seines ersten Regierungsjahres zog, räumte er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Verwaltungsreform ein. Die Entbürokratisierungs-Offensive hängt seit August im Senatsausschuss fest. „Ich wäre da gern schneller vorangekommen. Aber man sieht, dass es da starke Widerstände gibt“, so der Reformer.

Mein Bahnbus

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Nach zwei Jahren des Abwartens und Beobachtens hat sich die Bahn entschlossen, nun doch ihr Fernbusgeschäft auszubauen. Und zwar deutlich. Bis Ende 2016 will sie die Zahl der angebotenen Verbindungen vervierfachen. Vor allem auf Strecken mit großer Nachfrage, etwa zwischen Berlin und Bremen oder zwischen Thüringen und Bayern, sollen neue Verbindungen angeboten werden.



Flotte der Deutschen Bahn: Die Verbindungen sollen vervierfacht werden.

Der Fernbus habe sich schneller als erwartet als Verkehrsmittel etabliert, sagte Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg am Montag. Besonders für „preissensible und junge Reisende“ sei er inzwischen „das Verkehrsmittel der Wahl, und diesem Kundenwunsch wollen wir uns stellen“. Auch soll der Fernbus künftig in das Kundenbindungsprogramm bahn.bonus einbezogen werden. Die Details sind noch offen, aber denkbar wäre etwa, dass Kunden dann pro Fernbusfahrt Punkte sammeln können, um sie später für ein Upgrade zu einer Bahnfahrt zu nutzen, hieß es.

Die Bahn hatte zuletzt immer wieder den Vorwurf gehört, sie habe die Entwicklung beim Fernbus verschlafen. Als der Markt Anfang 2013 freigegeben wurde, hatte die Bahn vor der Entscheidung gestanden, ob sie selbst groß einsteigen will oder nicht. Im Konzernvorstand gab es damals zwei Lager: Die einen meinten, die Bahn müsse auf jeden Fall mitmischen im neuen Markt. Die anderen sagten, damit würde sie sich selbst kannibalisieren. Am Ende setzte sich die zweite Fraktion durch. Die Bahn verzichtete auf den Ausbau des Geschäfts. Stattdessen bot sie einfach weiterhin unter dem Namen Berlinlinienbus einige Fernbuslinien quer durch Deutschland an, und mit ihren IC-Bussen verlängerte sie Bahnverbindungen zu Orten, zu denen es kein attraktives Bahnangebot gibt.

Diese etwas halbherzige Strategie hatte jedoch zur Folge, dass der Konzern in den vergangenen beiden Jahren mehr oder weniger tatenlos zusehen musste, wie immer mehr Reisende in Deutschland die Fernbusse anderer Anbieter als neues Transportmittel entdeckten. Im ersten Jahr der Freigabe setzten sich bereits neun Millionen Fahrgäste in einen Fernbus, im zweiten Jahr waren es sogar mehr als 20 Millionen. Etwa ein Drittel davon haben früher den ICE genommen, wie eine Studie ergab.

Die Bahn versuchte zwar, mit Rabattaktionen ihre Kunden zu halten, doch letztlich hatte sie der Abwanderung nichts entgegenzusetzen. Ganze 120 Millionen Euro Umsatz sollen ihr dadurch 2014 entgangen sein. Und weil es fast gleich viel Geld kostet, ob man einen Zug voll oder leer durch die Lande fahren lässt, entspricht die Umsatzeinbuße in diesem Fall nahezu eins zu eins einer Gewinneinbuße.

Mit dem Ausbau des Busgeschäfts hatte die Bahn auch deshalb gezögert, weil in dem Markt ein ruinöser Preiswettbewerb herrscht. Doch nach der Fusion der beiden größten Anbieter Meinfernbus und Flixbus zur Nummer eins mit einem Marktanteil von 75 Prozent will die Bahn nun der „zweite starke Anbieter“ werden. Derzeit liegt ihr Marktanteil bei knapp zehn Prozent. Mittelfristig soll sich das verdoppeln. Die bisherigen IC-Busse werden aufgegeben und stattdessen künftig mit den Berlinlinienbussen zu einer Marke verschmolzen.

Der böse Vogel Zukunft

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In der Oscar-Nacht feiert sich ja nicht das ganze Kino, sondern jener Teil, der am besten weiß, wie man Massen mobilisiert, die Vollprofis des Entertainment, die Könige der Kassen: Hier zeigt traditionsgemäß das sogenannte Hollywood der restlichen Filmwelt, wie Unterhaltung funktioniert. Letztes Jahr legte ein Selfie Twitter lahm und es sah so aus, als hätte Hollywood die mediale Welt noch voll im Griff. Die Show überdeckte dann auch ganz gut, wie wenig überraschend die Preisvergabe selbst geworden ist in den vergangenen Jahren. Die Spannung müssen schon die Gags auf der Bühne und die Musikeinlagen erzeugen. Das lief dieses Jahr dann eher nicht so gut. Unter anderem, weil der vorab viel gerühmte Moderator Neil Patrick Harris an der Oscar-Krankheit litt und sehr unentspannt wirkte.



Bester Film wurde "Birdman" von Alejandro Gonzalees Inarritu mit Michael keaton als ehemlaigem Superhelden, der den Schatten seiner größten Filmrolle nicht mehr loswird.

Und dann ist gleich alles lahm. Denn es gibt keine Außenseitersiege mehr, die Academy ist so gründlich durchanalysiert – und so berechenbar –, dass sich das Rennen nur noch zwischen maximal zwei Favoriten entscheidet. Es war lange vorher klar, dass entweder Richard Linklaters über zwölf Jahre gedrehte Geschichte einer Jugend, „Boyhood“, oder Alejandro Gonzáles Iñárritus Schauspieler-Introspektion „Birdman“ bester Film wird – und sicher nicht die ebenfalls nominierte Jazzgeschichte „Whiplash“ oder das Martin-Luther-King-Drama „Selma“.

Ebenso war klar, dass es Eddie Redmayne als Stephen Hawking sein würde, der für „The Theory of Everything“ bester Schauspieler wird, oder höchstens noch der „Birdman“ Michael Keaton; und dass ein Oscar für die zum fünften Mal nominierte Julianne Moore („Still Alice“) ausgemachte Sache war. Nicht einmal Hollywoods Solidarität mit dem Whistleblower Edward Snowden, die sich im Dokumentarfilm-Oscar für Laura Poitras’ „Citizenfour“ äußerte, war wirklich überraschend.

Das mit dem Überdecken hat also nicht so gut funktioniert. Schlimmer noch: Man hatte den Eindruck, Hollywood klammere sich an die eigene Vergangenheit, weil es den Glauben an die eigene Zukunft verloren hat. In der Eröffnungsnummer schon besangen Neil Patrick Harris und Anna Kendrick Hollywood in der Retrospektive, und dann brüllte plötzlich Jack Black aus dem Publikum dazwischen. Das war ganz lustig, weil das meiste davon stimmte: Hollywood, blökte Black, produziert nur noch Superhelden-Filme, rennt chinesischem Geld hinterher und den Vorgaben der Marketing-Abteilungen.

Aber es war ein bisschen so, als hätte die Academy mit diesem Auftritt ein Gespenst in den Saal gelassen, das dann nicht wieder herauszubekommen war: die Angst vor dem Untergang, davor, dass sich das alte Kino überlebt hat und nun Streamings und chinesische Blockbuster den Ton vorgeben. Das erklärte dann, dass den ganzen Abend über immer wieder das „Golden Age“ beschworen wurde, und die glamourösen Fünfziger und Sechziger, als dem Kino noch die Welt gehörte, am deutlichsten mit dem Auftritt von Lady Gaga, die ganz wunderschön ein Tribute-Medley zu „The Sound of Music“ vortrug und Julie Andrews damit die Tränen in die Augen trieb. Sehr hübsch.

Sollte dieser Ausschnitt aber eines Tages außerirdischen Historikern in die Hände fallen, die herausfinden wollen, ob diese Nummer nun in einer Oscar-Nacht Mitte des 20. Jahrhunderts vorkam oder doch deutlich später, wird es nur ein wichtiges Indiz für die Datierung geben: Tätowierte Arme zum Abendkleid. Das gehört zu den Neuerungen des 21. Jahrhunderts. So wenig Zukunft und so viel Angst, das ist wie im Siegerfilm, in dem Michael Keaton einen abgehalfterten Superstar spielt, dem die Vergangenheit in Form des Comic-Helden Birdman, den er einst gespielt hat, im Nacken sitzt. Wahrscheinlich hat der Film bei der Academy schon deswegen punkten können, weil dort inzwischen viele nachempfinden können, was einer durchmacht, der weiß, dass er sich neu erfinden muss, aber nicht, ob es funktioniert.

Schon die Filmauswahl an sich erzählt einiges über das Studiosystem und seine Nöte. „Birdman“ gegen „Boyhood“, und „Birdman“ gewinnt – das wäre auch genau die Zusammenfassung für die Veranstaltung, die am Abend vor den Oscars stattfindet: die Independent Spirit Awards. Die wurden in den Achtzigern für jene Filme erfunden, die ohne Studios entstanden und zu wenig Geld einspielten, um von Hollywood ernst genommen zu werden. Drei von den vier Schauspielerpreisen – der für Julianne Moore sowie für die Nebendarsteller Patricia Arquette („Boyhood“) und J.K. Simmons („Whiplash“) – waren in diesem Jahr bei beiden Veranstaltungen die gleichen. Unterschiede gab es nur, weil bei den Spirit Awards Michael Keaton gewann und Richard Linklater an Iñárritu vorbeizog. Ansonsten muss man festhalten: Alle Filme, die bei den Oscars wichtig waren, von „Birdman“ über „Boyhood“ bis zu „Still Alice“ und „Whiplash“, sind unabhängig produziert und also auch für die Spirit Awards qualifiziert. Das echte Hollywood, die industrielle Großmacht, hat sich sozusagen aus den Oscars, der eigenen Veranstaltung, verabschiedet.

Natürlich macht diese Unterhaltungsindustrie immer noch Geld, aber nicht mit „Boyhood“ oder „Birdman“. Wie Jack Black eingangs schon sang: Hollywood selbst erhält sich selbst mit Superheldenfilmen. Und es sollte dieser Industrie ruhig angst und bange werden – denn mit Produktionsplänen, die bis ins übernächste Jahrzehnt reichen, wie sie die Studios im vergangenen Jahr vorlegten, haben sie die Erneuerungskraft, die das Kino immer noch hat, auf lange Sicht ausgesperrt. Die Risiken gehen heute Leute wie Richard Linklater ein, wenn er aus eigener Kraft seine Geschichten erzählt, oder junge Firmen wie Netflix mit neuen Serien – die sind noch auf der Suche nach dem eigenen Profil. Die Studios aber sind gefangen im Korsett des planbaren Erfolgs und verzetteln sich mit Comicfilm-Sequels für ein Publikum, das noch gar nicht geboren ist.

Dazu passt dann auch gleich der Gag des Abends, der am übelsten missglückt ist. Da stand ein verschlossener Kasten auf der Bühne, den die Zuschauer im Auge behalten sollten, und am Ende öffnete ihn Neil Patrick Harris und zog eine lange gedruckte Liste heraus, von der er dann vorlas, was inzwischen tatsächlich passiert war – der polnische Regisseur Paweł Pawlikowski wird sich nach seinem Sieg mit „Ida“ nicht von der Bühne scheuchen lassen, und wenn Patricia Arquette gleiche Bezahlung für Frauen fordert, wird Meryl Streep sich schlagartig unterbezahlt fühlen.

Das war gleich aus drei Gründen ein Desaster – erstens, weil solche Zaubertricks in der Trickkiste Fernsehen immer billig wirken; zweitens, weil diese Liste mühelos in die Kiste gepackt hätte werden können, während das Publikum in kollektiven Tiefschlaf gefallen war; und drittens, weil der Gag sowieso verräterisch schlecht ist. Was will uns die Academy denn damit sagen – dass sie die Show von jeder Spontaneität befreit hat und hier wirklich alles durchgeplanter Fake ist?

Jener Teil des Kinos, der vereinfachend Hollywood genannt wird, ist vielleicht tatsächlich im Begriff zu vergessen, wie viel Kreativität noch immer mit Spieltrieb und Risikobereitschaft zu tun hat. Andererseits saß die Zukunft mit im Saal: Solange es außerhalb des Studiosystems noch Leute gibt, die sich mit so viel Vision ins Zeug legen wie Linklater und Iñárritu, ist das Kino noch zu retten. Zur Not eben ohne Hollywood.

Der Markt der kleinen Hoffnungen

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Der 24-jährige Hadi al-Hariri steht vor einem Regal voller Düfte, jeder in einem handbeschriebenen Flacon. Darauf stehen Namen wie Geheimnis, Fantasie, Vanille, Blume des Liebhabers, Paris und CK One. Jeder Parfumeur an den Champs-Élysées mischt seine eigenen Rezepturen zusammen, und es ist schon einige Kunst gefragt, um sich unter den gut 20Konkurrenten in dieser Nachbarschaft zu behaupten, sagt Hadi al-Hariri. Er benutzt eine große Pipette, verschiedene Essenzen, eine dicke Flasche mit Hochprozentigem. Für die richtige Optik gibt er Farbstoffe hinzu, in Pink, Apfelgrün oder Goldgelb. Die Fläschchen dafür stehen kopfüber in einem Gestell, wie Likör in einer Bar. Champs-Élysées: So nennen sie hier die kilometerlange Marktstraße, um die sich das ganze Leben dreht, in einem der größten Flüchtlingslager der Welt. In Saatari, an der jordanisch-syrischen Grenze.



Aus dem Nichts entstand die viertgrößte Stadt des Königsreichs Jordanien: Das Flüchtlingslager Saartari ist für mindestens 80.000 Syrer auf unbestimmte Zeit zur Ersatz-Heimat geworden.

Vor zwei Jahren, als der 24-Jährige aus der syrischen Stadt Bosra ankam, gab es nur das Nötigste: „Die Lebensmittel, die man kaufen konnte, waren von sehr schlechter Qualität.“ Inzwischen reiht sich ein improvisiertes Ladengeschäft an das nächste, 80000Syrer haben hier Zuflucht gefunden, und in der Trostlosigkeit des Grenzlands blüht der Handel.

Wer in diesen Zeiten die Anrainer des Bürgerkriegslands Syrien besucht, der bekommt viel davon zu hören, wie die Syrer ihren Gastgebern angeblich auf der Tasche liegen. Wie sie die Städte überfüllen, in den Armenvierteln die Preise hochtreiben und auf dem Arbeitsmarkt die Einheimischen bedrohen. Vor allem in Libanon, Jordanien und der Türkei. Die Regierung in Amman klagt, man ächze unter der Last von 1,3 Millionen Syrern – wobei das Flüchtlingshilfswerk UNHCR nur 600000 zählt. Schnell folgt meist die Bitte um mehr internationale Unterstützung.

Über die andere Seite der volkswirtschaftlichen Gleichung – Vorteile, die die Flüchtlinge bringen – reden Staatsvertreter nur ungern. Aber man sieht sie, in Saatari zum Beispiel. Vor vier Jahren war es ein Dorf in der Einöde, wirtschaftlich unterentwickelt. Heute ist hier die viertgrößte Stadt des Landes entstanden. Geschäftig, laut – und betrieben auf Rechnung internationaler Spender: Wasser- und Stromnetz bezahlen die UN, die Feldkrankenhäuser sind Schenkungen aus Italien, Frankreich, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Schulen betreiben Saudi-Arabien und Bahrain.

Jeden Monat geben die UN frisches Geld in dieses System: Sie teilen kein Essen aus, sondern Karten mit Geldguthaben, blaue Rechtecke mit Magnetstreifen. Jeder Flüchtling erhält umgerechnet 25Euro. Zusammen macht das zwei Millionen Euro. Zum Vorteil der Flüchtlinge, die nicht im Elend verharren, sondern erfindungsreich wirtschaften können. Aber auch zum Vorteil von Jordaniens Wirtschaft. Die zwei Millionen Euro teilen sich in Saatari zwei jordanische Supermarktfilialen als Monatsumsatz – nur bei ihnen können Geldkarten verwendet werden. Einer der Läden gehört der britischen Kette Safeway, der andere der jordanischen Kette Saleh. Ein Kilo Kartoffeln kostet dort doppelt so viel wie draußen. „Sie bestimmen die Preise, wie sie möchten“, sagt Yusuf Hamad, 31, der im syrischen Daraa Computerhändler war und vor zwei Jahren nach Saatari kam.

Bargeld kommt ins Lager, weil Hilfswerke den Flüchtlingen Jobs anbieten. Auch Yusuf Hamad, der sich jetzt als Lehrer verdingt, ernährt so seine Familie. Er spart auf eine Klimaanlage, damit das Leben im Container erträglicher wird. Scheine und Münzen wechseln tagsüber vielfach die Besitzer, der Handel auf den Champs-Élysées ist rege. In Hunderten Verschlägen verkaufen Syrer fast alles, Waschmaschinen, Süßigkeiten, Solaranlagen, Shishas. Manche haben Linoleum auf dem Betonboden ihres Wellblech-Ladens verlegt, andere sitzen auf Campingstühlen im Matsch.

Wo das Geld das Lager verlässt, sieht man frühmorgens vor den Toren von Saatari: Alles, was man kaufen kann, rollt von außen heran, in Wagen jordanischer Händler aus den nahen Städten. Sie bringen Obst, Reis, Zigaretten, Kanister mit Parfum-Essenz. Viele Flüchtlinge stehen Schlange, Geld in der Hand, genauso vor den beiden Großhandels-Hallen, die ein findiger jordanischer Unternehmer an die Südspitze des Lagers gestellt hat, mit Holzpaletten voller Reissäcke, Orangenkisten oder Öl. 80000 Flüchtlinge in diesem entlegenen Teil Jordaniens sind 80000 neue Konsumenten.

Elf Millionen Dollar geben die Flüchtlinge jeden Monat in jordanischen Läden aus, schätzt das Welternährungsprogramm. Das ist eine kleine Summe im Vergleich zu täglich zwei Millionen Dollar, welche die großen UN-Organisationen selbst in Jordanien ausgeben, für Mieten, Autos, Einkäufe. Die überwältigende Mehrheit der syrischen Flüchtlinge in Jordanien sind nicht auf die Unterbringung in Lagern angewiesen, sondern haben in Städten Anschluss gefunden, als Schwarzarbeiter, Kleinunternehmer, Mieter. 84 Prozent von ihnen leben so, sagen die UN. Immer wieder scheitern einige und müssen wieder bei Lagern anklopfen. Aber umgekehrt schaffen es Flüchtlinge auch, in den UN-Lagern auf die Beine zu kommen, Geld zu sparen, mit einem Geschäft an den Champs-Élysées und so den Sprung in eine Stadt zu machen.

Saatari besteht vor allem aus Containern und Zelten. Über die asphaltierten Wege rollen aber auch viele Autos und kleine Laster, eine Attraktion für kleine Jungen, die hinten aufspringen und sich johlend ein paar Meter mitnehmen lassen. Die Fahrer sind ausschließlich Einheimische. Nur sie dürfen Autos ins Lager bringen. Ihre Taxidienste sind unerlässlich für Krankentransporte. Eine Fahrt mit ihnen, egal wie lang, kostet die Flüchtlinge immer zwei Dinar. Das ist lukrativ: In der Hauptstadt bringen kurze Strecken den jordanischen Taxifahrern oft weniger als die Hälfte ein.

Einer Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge erlebte Jordaniens Volkswirtschaft 2011 ein höheres Realwachstum als im Jahr vor Ausbruch der Syrien-Krise. Auch blieb die Neuverschuldung des Staates dank der Hilfsgelder von umgerechnet 1,5Milliarden Euro nur halb so hoch wie im Vorjahr. 2012 und 2013, so schreiben die deutschen Forscher, hätten einen Wachstumsschub für die jordanische Volkswirtschaft gebracht, auch wenn zugleich die Arbeitslosigkeit steigt. Zwar habe Jordanien seither fast sieben Milliarden Euro für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge ausgegeben. Aber dem stünden auch Mehreinnahmen von mindestens fünf Milliarden gegenüber. Der jordanische Wirtschaftswissenschaftler Yusuf Mansur meint gar, ohne die Flüchtlinge hätte es 2014 vielleicht nur ein negatives Wirtschaftswachstum gegeben.

In der Gegend von Saatari sind Zeichen des Aufbaus zu sehen. Noch zahlreicher als Militärfahrzeuge, welche die Ruhe sichern sollen, sind Bagger und Planierraupen. Junge Männer, T-Shirts um den Kopf gewickelt, spachteln Mörtel auf Backsteine. Wo Einöde war und jetzt Zehntausende Kriegsflüchtlinge an ihrer Zukunft arbeiten, bauen einige Einheimische jetzt Villen mit verspiegelten Scheiben.

Noch etwas weiter, im unwirtlichen Umland der Städte Mafraq und Irbid, entstehen ganze Fabriken: Die syrische Konservenfirma Durra exportiert seit Jahren nach Jordanien, unter dem Eindruck des Bürgerkriegs ist sie ganz hergezogen, mit Sonder-Arbeitsgenehmigungen für 400 Syrer, die jetzt Erbsen und Oliven in Dosen füllen, dort, wo zuvor nur Wüste war. 120Millionen Euro sollen syrische Investoren allein im Jahr 2013 in Jordanien investiert haben.

Geschichtsbewussten Jordaniern fällt es ohnehin schwer, in die Litanei der Flüchtlingslast einzustimmen. Vor 100Jahren war ihr Land fast menschenleer, ohne Öl und nennenswerte Bodenschätze. Erst arabische Flüchtlinge – vor allem palästinensische – bevölkerten und belebten es nach und nach. Heute sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung Palästinenser, sie dominieren die Privatwirtschaft.

Im palästinensischen Viertel Wahdad in der Hauptstadt Amman, das in den Siebzigerjahren als Flüchtlingslager entstand, ist der Unterschied zu anderen ärmeren Vierteln nicht mehr sichtbar. Fotos und Fernsehbilder aus den Siebzigerjahren zeigen Zelte und Bretterverschläge. Dort sind mehrstöckige Häuser gewachsen. Nur die UN sind noch heute im Viertel und alimentieren weiter die Schulen, was den Staatshaushalt entlastet.

Denselben Prozess in seinen Anfängen sehen viele Beobachter in Saatari, dem Flüchtlingslager in der Wüste, das längst funktioniert wie eine Stadt und auf absehbare Zeit wohl nicht verschwinden wird. An der Pforte kommen täglich nur noch ein oder zwei Flüchtlinge an. Die Regierung hat die Grenze weitgehend geschlossen. Trotzdem wächst die Bevölkerung des Lagers weiter: Die Leute kriegen Kinder.

Das junge syrische Pärchen, das an den Champs-Élysées gerade rosa-, creme- und lilafarbene Tüllkleider mit glitzernden Faux-Edelsteinen auf Schaufensterpuppen zieht, konkurriert bereits mit neun weiteren Brautmodegeschäften im Lager.

Ich mach's wie Mama

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Die Gratis-Tüten





Der Supermarkt ist menschenleer. Ich schaue nach links und rechts, um sicherzugehen, dass wirklich keiner guckt. Dann wickele ich blitzschnell ein paar Dutzend Plastiktüten von der Rolle, die neben der Obstwaage hängt, und stecke sie in meine Tasche. Sie werden sich gut als Mülltüten für den kleinen Badezimmereimer machen, denke ich, oder um Schuhe einzutüten, bevor man sie in die Sporttasche steckt. Aber als mein Freund zuhause die Lebensmittel auspackt und die vielen Plastiktüten mit halb fragendem, halb vorwurfsvollem Gesicht hochhält, schäme ich mich plötzlich so, als hätte er einen dutzend benutzter Kondome in der Tasche gefunden.

Ein ähnliches Gesicht wie er, machte ich als Kind, wenn ich stibitzte Plastiktüten in der Tasche meiner Mutter fand.  Werde ich langsam so wie sie? Werde ich bald Soya-Soßen-Päckchen aus chinesischen Restaurants klauen? Zwei Dutzend Probier-Würstchenspieße von der Fleischtheke abstauben, um sie triumphierend mit meinen  verschämten Kindern zu teilen? 

Dabei ist meine Mutter alles andere als geizig: Sie liebt Taxifahren und ich kenne niemanden, der großzügigere Geburtstagsgeschenke bekommt als ich und meiner Geschwister. Aber sie ist in einem kommunistischem Land aufgewachsen, wo es folgenden Spruch gab: Wer nicht vom Staat klaut, klaut von seiner Familie. Schreibzeug und Klopapier aus dem Büro mitzunehmen war Ehrensache. 

Den Staat, den man beklauen sollte, gibt es nicht mehr. Meine Mutter ist bald 20 Jahre in Deutschland und ist natürlich keine Diebin. Aber kostenlose Dinge mitgehen zu lassen, ist für sie  eine Art Ersatz dafür. Als Kind war mir das unglaublich peinlich. Vor allen Dingen, wenn meine Schulbrote in Damen-Hygienebeutel eingepackt wurden, die in öffentlichen Toiletten ausliegen. Auch jetzt schäme ich mich, wenn sie im Restaurant die abgepackten Zahnstocher einsteckt oder Pröbchen in Drogerien. Oder eben Supermarkttüten. 

Wo sie aber Recht hat: Die sind echt unglaublich praktisch. Und passen außerdem perfekt in den Badezimmereimer. Als ich beim nächsten Mal Mülltüten in ähnlicher Größe kaufen wollte, kostete eine Rolle  3,99 Euro. Ich sah nicht ein, so viel zu bezahlen. Wo es sie doch umsonst in jedem Supermarkt gibt!

Wlada Kolosowa

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Der Ampel-Rekord





Als die Ampel auf Gelb wechselte, war ich 30 Meter von der Kreuzung entfernt. Ich wusste, ich würde es nicht schaffen, blieb aber auf dem Gas. Aus rechter Richtung fuhren die Autos an und hupten, als ich vorbeischoss. Das Blitzerfoto zeigte mich in einem Zwischenzustand – der Mund diametral grinsend, die Augen panisch. Ich bremste auf der Busspur. Mein erster Gedanke war, dass sich das mit dem Führerschein wohl erstmal erledigt habe, ich fand das ärgerlich. Mein zweiter Gedanke war, dass es mit dem Gelbampelrekord auch nichts werden würde, ich fand das mindestens genauso ärgerlich. Ich dachte an meinen Vater und ich dachte, tja, das habe ich nun davon. Wie der Vater, so sein Sohn.

Aber ich muss weiter ausholen.

Ich zeige dir nur, wie du es nicht machen sollst. Mit dieser Doktrin bin ich aufgewachsen, im zweiwöchigen Takt. So wollte es die Regelung, auf die sich meine getrennten Eltern geeinigt hatten: Ich wuchs bei meiner Mutter auf (der fantastischsten aller Mütter, das darf ich an dieser Stelle ruhig mal sagen) und verbrachte jedes zweite Wochenende bei Papa. Er holte mich mit seinem schwarzen BMW ab und damit ging es auch schon los. Ich zeige dir nur, wie du es nicht machen sollst. Er chauffierte uns aus der Mitte Hamburgs in den Norden und wir spielten das Ampelspiel. Wir zählten die gelben Ampel, die wir überfuhren. Das heißt: Ich zählte, er fuhr. Lachend mahnte er mich, später sicher und vorausschauend zu fahren, das sei ja kein Spaß. Er wolle mir nur zeigen, wie – genau. Elf gelbe Ampeln waren ewiger Rekord.

Mein Vater ist kein Hallodri, mein Vater ist kein Heiliger. Er ist ein, ich glaube, man nennt das heute so: fun dad. Mandatiert für alles, was unterhaltsam zu werden versprach, dabei aber nicht unbedingt pädagogisch wertvoll war, jedenfalls nicht den Erziehungsratgebern zufolge, die Vorsicht predigen und Tugend. Mit Vater war jedes Wochenende ein Ausflug und jeder Ausflug ein Abenteuer. Er sprang von Klippen und rief, sowas solle ich bitte niemals machen. Er ging zu hart feiern, riet mir aber zu Mäßigung. Heute bekomme ich häufig attestiert, ich sei ja genau wie mein Vater. Sein Konzept ist irgendwie nicht aufgegangen.

Er wollte mir nur zeigen, wie ich es nicht machen sollte. Aber ich wollte diese gelbe Ampel packen. Mein Vater hat mir dann den Idiotentest und die Theoriestunden bezahlt, damit ich den Führerschein zurückbekam. Ich fand das sehr nett von ihm. Wir sind jetzt quitt, würde ich sagen.

Moritz Herrmann [seitenumbruch]

Die Schrift





Eigentlich hätte mir meine Transformation schon viel früher auffallen müssen. Zum Beispiel als ich anfing, sonntags mehr zu kochen, um es mir im Laufe der Arbeitswoche mit ins Büro zu nehmen. Oder als ich zum Ikea fuhr, um Plastikdosen für mein Mittagessen zu kaufen. Oder als ich plötzlich mehr Dosengrößen im Haus hatte als Schnapsflaschen.

Aber nein, ich erwachte erst, als ich wieder einmal vor dem Gefrierschrank in meiner Küche kniete und ein durchsichtiges Gefäß mit ungewissem, aber gefrorenem Inhalt begutachtete. War das Asia-Gemüse? Bolognese-Soße? Keine Ahnung, irgendwas Braun-grünes mit vielen Eiskristallen eben. Ich rubbelte mehrfach in meiner Ratlosigkeit mit dem Zeigefinger auf einer Stelle, um sie zum Schmelzen zu bringen. und leckte ihn dann ab. Ah, ganz etwas anderes: Schmorgemüse. Ich sollte das Zeug mal beschriften, dann wäre ich nicht immer so aufgeschmissen, dachte ich mir. In Ermangelung von Etiketten-Aufklebern Post-it  und Stift geholt, „Schmorgemüse“ drauf geschrieben. Es war wie ein Déjà-vu: Auf dem grünem Plastikdeckel strahlte mir die Schrift meiner Mutter entgegen. Mir war nie aufgefallen, dass wir exakt die gleiche haben. Diese Kringel über dem Ü, die kleinen Hügelchen auf den Ms, das geschwungene G.

Ich schauderte. Für einen kurzen Moment war meine Mutter mit mir in der Küche. Meine Mutter ist seit drei Jahren tot. Die Kombination „Schrift auf Tupperdose“ holte sie für eine halbe Hirnumdrehung zurück, bevor mein Kopf mich dran erinnerte, dass das unmöglich ist. Ich hätte den Moment so gern festgehalten, eine Erinnerung ist unmöglich – zu dominant ist die Ratio. Wenn sie einsetzt, tut das weh. Wie ein Splitter des Gefühls als ich sie verloren habe. Ich beschloss, das mit der Beschriftung zu lassen. Ich ertrage solche Flashbacks nicht. Lieber rate ich wieder Doseninhalt.

Michèle Loetzner[seitenumbruch]

Die Nasendusche





Ich mag meine Mutter sehr. Und doch bin ich zeitlebens von der Angst geplagt gewesen, eines Tages so zu werden wie sie. Es ist nicht ganz abwegig: Abgesehen davon, dass wir uns offenbar sehr ähnlich sehen, tun wir auch Ähnliches. Sie ist Neurologin, Psychiaterin und Therapeutin, ich habe Psychologie studiert. Obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte, ist es passiert.

In Heidelbergs feuchten Wintern war sie früher teilweise monatelang von chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen geplagt. Was sich bei ihr zu einer Art Schnupfen-Phobie entwickelte, wurde postwendend auf uns Kinder übertragen. Ich bekam ein Jahres-Attest, dass ich wegen chronischer Nebenhöhlenentzündung nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen musste. Dazu experimentierte sie herum, wie sich das Übel auf alternativem Weg aufhalten lassen könnte und konstruierte eine kleine Apparatur, die „Nasenspülung“. Fortan wurden wir gezwungen, uns täglich ihre hausgemachte Emser-Salz-Lösung mit einer kleinen Plastikspritze in die Nase zu ziehen, was regelmäßig ozeanische Ertrinkungsgefühle auslöste.

Als ich dann irgendwann von zuhause auszog, war mir klar: Nie wieder Nasenspülung! Fast ein Jahrzehnt habe ich das auch durchgezogen. Wenn sie mich fragte: „Machst du auch Nasenspülung?“, habe ich immer gesagt: Ja ja.

Letztens war ich sehr erkältet. Ich habe einige Zeit in der Apotheke verbracht. Heraus kam ich mit einer moderneren Apparatur, die sich Emser Nasendusche Nasanita nennt. Erst habe ich sie noch in meinem Zimmer versteckt und nur heimlich angewendet. Mein Mitbewohner meinte, er kenne das, es sei „wie Waterboarding“.

Die Wahrheit ist: Ich bin begeistert. Ich kann wieder durchatmen. Und muss wohl akzeptieren: Obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte, ist es jetzt einfach passiert.

Lucia Heller [seitenumbruch]

Der Teppich-Tick





Als ich noch zu Hause wohnte, habe ich mich wie jeder Pubertierende regelmäßig mit meiner Mutter gestritten. Allerdings in den meisten Fällen über Teppiche, die nicht da lagen, wo sie liegen sollten. Unter dem Esstisch, vor der Couch, im Flur – es gab kaum etwas, was meine Mutter so rasend machen konnte wie verrutschte Teppich. Ich konnte die Problematik natürlich überhaupt nicht nachvollziehen und sehe mich noch heute locker-lässig im Türrahmen lehnen und sagen: „Ey Mama, wir wohnen doch nicht in einer IKEA-Ausstellungswohnung!“ – was sie in den meisten Fällen nur noch wütender machte. Ich fand, so ein wenig Leben würde unserer Wohnung schon nicht schaden und dazu zählten für mich neben ungemachten Betten und benutzten Müslischalen eben auch verrutschte Teppiche.

Mit 19 zog ich aus und stellte schnell fest: Teppiche sind gar nicht so furchtbar spießig und können einen Raum richtig gemütlich machen. Ja, im Badezimmer sind sie sogar ein absolutes Must-Have. Wer hat schon Lust auf kalte Füße nach dem Duschen? Was ich leider eines Tages auch feststellen musste: Ich stand mit meinem damaligen Freund im Badezimmer und diskutierte mit ihm darüber, wie er es immer wieder schaffen konnte, die Teppiche dermaßen zu verrutschen.

Und hier bekam ich offiziell Angst. Genau die Eigenart meiner Mutter, die ich am wenigsten verstehen konnte, hatte ich eins-zu-eins übernommen. Dass gemachte Betten einfach schöner aussehen und Müslischalen mit der Zeit anfangen zu muffeln, konnte ich nachvollziehen. Aber die Teppiche – niemals!

Mittlerweile habe ich meinen Tick irgendwie akzeptiert. Wenn der Besuch den Vorleger im Badezimmer beim Hinausgehen verrutscht, richte ich ihn leise wieder hin und halte meine Klappe.

Anja Schauberger

"Schön, dass die sich aufregen"

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Am Sonntagabend postete der Berliner Rapper Bass Sultan Hengzt auf Facebook das Cover seines neuen Albums. Darauf sieht man zwei Männer kurz davor, sich zu küssen. Seitdem läuft ein Sturm der Homophobie durch die Kommentarspalten der deutschen Rapszene.

jetzt.de: Hunderte hasserfüllte Kommentare auf Facebook, Parolen wie "No Homo", "Keine Toleranz für Schwuchteln" - hast du damit gerechnet?
Bass Sultan Hengzt: Ich dachte schon, dass sich der eine oder andere auf den Schlips getreten fühlt. Aber dass es so eine Welle schlagen wird? Nein.

Raffiniertes Marketing, werfen dir einige vor.
Dabei haben ja erst die Leute, die das so homophob kommentiert haben, das Thema richtig groß gemacht. Ich hoffe, die beißen sich jetzt alle in den Arsch. Dass meine neue Single "I Love Haters" heißt und genau das anspricht, passt aber wirklich wie die Faust aufs Auge. 

Warum überhaupt dieses Cover?
Seit sich mein Stil weg vom Battlerap bewegt, gibt es immer ein paar Leute, die mir schreiben: "Ey, du bist schwul geworden." Die wollte ich ein wenig ärgern. Schön, dass sich jetzt gleich alle "Ey-du-bist-Schwul-geworden"-Menschen in Deutschland aufregen.



 Das Cover der Premium Edition von "Musik wegen Weibaz". 


Du schreibst, du hättest ein paar hundert Follower verloren.
Meine Musik soll den Leuten Spaß machen und ist tolerant. Alle, die eh schlechte Laune haben und alles kacke finden, können sich gerne verabschieden. Da ist es mir egal, ob ich Käufer verloren habe.

Wie homophob erlebst du die deutsche Hip-Hop-Szene?
Ich empfinde sie eigentlich gerade als sehr tolerant. Klar, es gibt immer schwarze Schafe. Aber ich bin mir auch nie sicher, ob die das todernst meinen oder ob das einfach nur Macho-Gehabe ist. 

Die Schönheit des männlichen Körpers war ja im Rap noch nie so wichtig: Bodybuilding ist unter Rappern ein Riesenthema, Kollegah verkauft sogar Fitnesspläne und Oben-ohne-Fotos. 
Das finde ich auch sehr lustig. Sich eingeölte nackte Rapper als Poster an die Wand zu hängen ist auch nicht gerade sehr hetero.



Die ersten vier Alben von Bass Sultan Hengzt (bürgerlich Fabio Cataldi), 32, wurden als jugendgefährdend indiziert. Seit gestern bekommt er auf Twitter Unterstützung von den Grünen-Politikern Volker Beck und Cem Özdemir.  


Welche Reaktionen hast du von Kollegen bekommen?
Manche haben gelacht und fanden die Aktion mutig. Andere haben sich gar nicht erst geäußert.

Hast du auf negative Posts geantwortet?
Ich hab die homophoben Kommentare retweetet. Die Quittung kam prompt. Als Homophober hast du es heutzutage nicht leicht. 

Seit Macklemore hat sich kaum ein prominenter Rapper öffentlich gegen Homophobie gestellt. Warum passiert das nicht öfter? 
Ich glaube, die meisten haben einfach Angst, dadurch irgendwie ihr hartes Image zu schädigen. Ich war in der Szene immer bekannt dafür, dass es mir egal ist, was Leute von mir halten. Und ich war schon immer etwas lockerer als die Meisten.

Wer sind eigentlich die beiden Jungs auf dem Cover?
Zwei Heteros.

Unter dem Schleier des Misstrauens

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Inan Türkmen hat türkisch-kurdische Wurzeln, der Österreicher gehört der muslimischen Glaubensrichtung der Aleviten an. Vor zwei Jahren hat der Student viel Aufsehen erregt mit dem Büchlein „Wir kommen“. Darin droht er, dass die Türken auf ihrem Marsch nach Österreich nicht aufzuhalten seien. Das Buch war auch ein Bestseller, weil es vom tagtäglichen Rassismus gegen alle erzählt, die türkisch oder arabisch, irgendwie dunkel und fremd aussehen – und mutmaßlich Muslime sind.



Fast 600.000 Muslime leben in Österreich. In der Gemeinde Telfs mit ihren fast 15.000  Einwohnern steht seit 2006 das erste Minarett Tirols.

Das alles sei heute noch viel schlimmer geworden, betont er, seit der islamistische Terror Europa erreicht habe, seit der IS im Nahen Osten und Boko Haram in Afrika morde. Es gab die Attentate in Paris, Kopenhagen, Brüssel. Und die Behörden haben mit Entsetzen festgestellt, dass sich junge Muslime von Österreich aus überdurchschnittlich häufig dem Dschihad anschließen. Misstrauen überall.

Und nun wird an diesem Mittwoch im Wiener Parlament ein neues Islamgesetz beschlossen. Klar, dass es trotz guten Willens von allen Seiten vor allem unter einem Blickwinkel beleuchtet wird: Wie hält es Österreich mit seinen Muslimen?

Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, der für die große Koalition aus SPÖ und ÖVP spricht, betont demonstrativ: „Der Islam gehört zu Österreich.“ Das Gesetz sei keine kurzatmige Reaktion auf IS-Terror und Anschläge wie jene von Paris, sondern ein langfristiger Beitrag dazu, dass sich gläubige Muslime als selbstbewusste Österreicher fühlen könnten. Was da beschlossen werde, könne gar eine Vorreiterrolle für Europa haben. Und tatsächlich: In der CDU/CSU wird bereits darüber debattiert, was man übernehmen könnte.

In Österreich mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern leben heute etwa 570000 Muslime. Aber schon seit 1912, damals notwendig geworden durch Habsburgs Annexion von Bosnien-Herzegowina mit seiner muslimischen Bevölkerungsmehrheit, gibt es ein Islamgesetz. Es war damals einzigartig in Europa und erkannte die Muslime als Religionsgemeinschaft an und erlaubte ihnen die Selbstverwaltung. Aber es war stark renovierungsbedürftig, das bestätigt die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, (IGGiÖ), die seit 1979 als anerkannte Religionsvertretung Hauptansprechpartner des Staates ist.

Die Novelle enthält radikale Veränderungen und prägt damit das im Habsburger Reich der vielen Völker und vielen Religionen gewachsene Verhältnis von Muslimen und katholisch dominierter Mehrheit neu. Von einem „Misstrauensschleier“, der über den 33 Paragrafen ausgebreitet sei, spricht Richard Potz vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht in Wien, Experte und Gutachter in Sachen Islamgesetz: Muslime würden zu einem expliziten Bekenntnis zu Staat und Gesetz gezwungen. Das gelte so für keine andere Religion. Denn ein zentraler Satz lautet: „Es muss eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat bestehen.“ Eine Selbstverständlichkeit? In der Regierung heißt es, indem man den Vorrang des Staates vor der Scharia festschreibe, verhindere man, dass Islam und Islamismus in einen Topf geworfen würden.

Drei Vorgaben sind es vor allem, die eine heiße Debatte ausgelöst haben. In Zukunft dürfen islamische Einrichtungen sich nicht mehr auf Dauer aus dem Ausland finanzieren. Damit solle Kontrolle und Einfluss unterbunden werden, wie sie etwa die Religionsbehörde in Ankara ausübe. Derzeit etwa zahlt diese die Gehälter von mehr als 60 türkischen Imamen in Österreich. Spenden und Stiftungen nach österreichischem Recht seien aber weiter möglich, betont Kurz. Zudem sollen Imame in Zukunft in Österreich ausgebildet werden und dort ihren Lebensmittelpunkt haben; Imame, die oft nur für ein paar Monate „eingeflogen“ werden, soll es nicht mehr geben. Für die inländische Ausbildung sollen islamisch-theologische Studiengänge aufgebaut werden. Außerdem muss jede Religionsgemeinschaft eine „Darstellung ihrer Lehre und wesentlichen Glaubensinhalte“ vorlegen – und das auf Deutsch, denn das „sei nun mal Amtssprache“.

Wer so ein Gesetz zimmere, hieß es umgehend, der wolle Muslime ausgrenzen, nicht integrieren. Der zeige: Nur Muslime, die österreichisches Deutsch sprechen, die in einem auf Deutsch vorgelegten Koran lesen, die bei in Österreich ausgebildeten Imamen beten und in von einheimischem Geld finanzierte Moscheen gehen, seien gute Muslime. Auch Inan Türkmen hält das Gesetz für ein „Misstrauensvotum“. Für einen Kniefall vor den Rechtspopulisten. Einzelne Aspekte seien vernünftig, weil sie mehr Transparenz schafften und die Abhängigkeit von den türkischen Übervätern verminderten. Aber ihm ist nicht wohl.

Vielen ist nicht wohl. Der Schura-Rat der IGGiÖ hat am Sonntag eine letzte Stellungnahme erarbeitet, bevor an diesem Mittwoch über das Gesetz abgestimmt wird. Der Tenor: Ja, aber. Die Vorlage entspreche in zentralen Punkten nicht den Bedürfnissen der in Österreich lebenden Muslime. Aber: Das Papier sei ein Kompromiss, an dessen Ausarbeitung man beteiligt war. Außerdem sei zahlreichen Bedenken Rechnung getragen worden, daher stimme man zu – nach dem Motto: Mehr war nicht drin. Nach der finalen Abstimmung gab es internen Ärger, das Votum sei nicht einhellig gewesen, hieß es. Fuat Sanac, Präsident der IGGiÖ, ist deshalb erregt und deprimiert – nicht nur über „Heckenschützen“ im Verband, sondern über den Gang der Debatte insgesamt. „Terroristische Gruppen kommen und gehen, man darf sich davon nicht beeinflussen lassen.“

Letztlich aber sei das Gesetz eben doch „zum Nutzen der Muslime“. Denn, und hier klingt er ganz wie Minister Kurz, es enthalte ja nicht nur Pflichten, sondern auch neue Rechte: islamische Friedhöfe, Seelsorge in staatlichen Einrichtungen, die Einhaltung von Speisevorschriften auch in staatlichen Stellen wie Bundesheer oder Krankenhäusern, islamische Feiertage. Sebastian Kurz in Wien formuliert das offensiver: Es brauche auch den Mut, unpopuläre Regeln zu schaffen. Und Probleme lösten sich nicht durch Wegschauen.

Die Union in Deutschland ist jedenfalls elektrisiert. Franz-Josef Jung, Vize-Fraktionschef und Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften in der CDU/CSU, findet das Anliegen und die Zielrichtung des österreichischen Gesetzes im Grundsatz richtig. „Wir haben uns auch schon länger mit der Frage beschäftigt, ob Imame aus dem Ausland finanziert und von dort entsandt werden sollten.“ In Deutschland gebe es allerdings schon vier Lehrstühle für islamische Theologie; dieses Angebot müsse nur mehr angenommen werden, auch ohne entsprechendes Gesetz. Ähnlich wie im österreichischen Ansatz, so Jung, könne man deutschsprachige Predigten in Moscheen einfordern. „Denn die Moscheen haben selbst mit einer Sprachbarriere zu kämpfen, wenn die dritte Generation in Deutschland lebender Muslime die ursprüngliche Gebetssprache nicht mehr richtig spricht.“

Cemile Giousouf, Integrationsbeauftragte der Union im Bundestag, will die Ideen aus Österreich sogar in den Berliner Innenausschuss tragen. Inlandsfinanzierung, Ausbildung in Deutschland – das sei legitim und nütze auch den Muslimen. Man dürfe diesen Ansatz nur nicht zerreden und so tun, als ob die Regierung gegen die muslimische Community arbeite.

Tagesblog – 25. Februar 2015

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17:31 Uhr: Und damit verabschiede ich mich in den Winter. Morgen hier: Mercedes Lauenstein.

++++

17:19 Uhr:
People! Super Text zum Abschluss! Jan Stremmel sucht im Winter den Sommer in München. Und findet ihn. Zum Beispiel beim Bikram-Yoga. Sieht dann so aus:

Jan verbiegt sich und schwitzt.
Kann man lesen. Wird einem warm. Und das kann ja nicht schaden.

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16:32 Uhr:
Stellt euch mal vor, ihr schreibt einen Beat und alle verwenden ihn und ihr habt nix davon. Ist dem Erfinder des "Amen Break" so passiert. Und jetzt soll aber Gerechtigkeit folgen. Per Crowdfunding. Chris erklärt's!




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16:17 Uhr:
Bald startet die neue Staffel "House of Cards" und ich muss am Wochenende noch die mir fehlenden Folgen der vergangenen Staffel Binge-Watchen, damit ich live dabei sein kann. Vorher schau ich ich aber eventuell noch an, was Kathrin grade geschickt hat: House of Bricks. Mit Mr. Underwolf, der (soweit habe ich es schon angetestet) das Underwoodschen Grollen und Murmeln ziemlich gut hinbekommt.
http://www.youtube.com/watch?v=92NXMtVtv8o

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14:15 Uhr:
Geiel, Schlag-auf-Schlag-Posts im Tagesblog! Weil: neuer Text. Beziehungsweise: neues Bild. Beziehungsweise: neue Schaufensterkritik. Mit besonders schönem Schaufenster:

Das noch viel schöner wird, wenn man den schönen kleinen Text von Juri dazu liest.

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14:10 Uhr: Mal ein bisschen Musik, um den Nachmittag einzuleiten. Seit Mercedes und ich vergangene Woche einen Sia-Crush hatten, bin ich drauf hängengeblieben. Und das ist mein Lieblingslied vom aktuellsten Album: http://www.youtube.com/watch?v=SL4kxeXwUeg

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13:47 Uhr:
Da wir heute ein wenig Wohnen-Mieten-Thementag haben (s. 09:54 Uhr und 12:09 Uhr), kommt hier noch etwas aus diesem Themenbereich: das Kunstprojekt "London Is Changing". Dafür werden im Londoner Stadtgebiet auf riesigen Werbetafeln Zitate von Bewohnern und Ex-Bewohnern der Stadt gezeigt, die sich zur Veränderung der Stadt und dem extremen Mietpreisanstieg äußern und so die Geschichte der Londoner Wohnungsnot öffentlich erzählen. Schön.
[plugin imagelink link="http://images.dazedcdn.com/1000x800/dd/1110/1/1111440.jpg" imagesrc="http://images.dazedcdn.com/1000x800/dd/1110/1/1111440.jpg"]
(via Dazed)

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13:23 Uhr:
Venmo ist so etwas wie Paypal für Freunde, eine Mischung aus Pay-App und Sozialem Netzwerk. Man kann seinen Freunden Geld überweisen, zum Beispiel für die Konzerttickets, die sie besorgt haben, und der Verwendungszweck wird öffentlich geteilt, damit alle sehen, was für ein schönes Leben mit tollen Ausgaben man führt. Komisch genug. Noch komischer allerdings: Die Menschen bezahlen mit Venmo auch für Drogen und Sex. Und deswegen gibt es jetzt Vicemo, eine Seite, die Venmo nach bestimmten Begriffen durchsucht (zum Beispiel eben "drugs" und "sex") und die entsprechenden Transaktionen auflistet. Sieht dann so aus:
[plugin imagelink link="http://www.slate.com/content/dam/slate/blogs/future_tense/2015/02/23/vicemo3.jpg.CROP.original-original.jpg" imagesrc="http://www.slate.com/content/dam/slate/blogs/future_tense/2015/02/23/vicemo3.jpg.CROP.original-original.jpg"]
Da sind allerdings auch viele Witze dabei. Weil, klar: Wenn man seine Freunde wirklich liebhat, dann schreibt man ja auch eher "Danke für den Blowjob!" als "Danke für die Konzertkarten!" in den Verwendungszweck und kichert dann wie blöde.

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12:09 Uhr:
Halt, bevor wir essen, dies noch: Ein sehr schönes Interview von Clemens Haug mit dem Blogger Constantin Alexander, der freiwillig in einen Plattenbau gezogen ist– und sagt, dass das wirklich eine Alternative ist zu unser aller Altbau-Stuck-Wahn. Er hat sich im Ihme-Zentrum eingemietet, dem Wohnkomplex in Hannover, der zwangsversteigert werden soll und den viele Bürger dort als "Schandfleck" bezeichnen.


Glücklich im Hochhaus

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11:55 Uhr:
Es ist fünf vor zwölf. Und alle sitzen so an ihrem Schreibtisch: [plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/LZEtGgMcScCNa/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/LZEtGgMcScCNa/giphy.gif"] Drum: sobald es zwölf schlägt, sind wir weg hier. Bis später.

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11:16 Uhr:
Jede Berufsgruppe hat ihre Witze (unter Musikern gibt es ja zum Beispiel die sehr beliebten und weit verbreiteten Bratscherwitze). Man versteht die als Außenstehender nicht immer gleich. Und wenn jetzt einer "Webdesign-Insiderwitze!" sagt, dann denkt man gleich "Versteh ich doch eh nicht!" Aber zum Glück gibt es diese lustige kleine Sammlung von CSS-Witzen, die man sogar als Stylesheet-Sprachen-Noob versteht.
Zum Beispiel:



Auch zum Beispiel:



Niedlich-nerdig!
(via Digital Synopsis)

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09:54 Uhr:
Habe gerade eine Alternative für alle gefunden, denen die Mieten hier zu teuer sind (also für uns alle!): Der Bürgermeister von Megyer, einem ungarischen Dorf 180 Kilometer südwestlich von Budapest, will den Ort für 700 Euro am Tag vermieten. Er verfällt nämlich langsam, so soll Geld nachkommen. Klar, 700 Euro am Tag sind jetzt auch nicht gerade wenig. Aber dafür darf man auch mal Bürgermeister sein und kann unter anderem vier Straßen (zwei asphaltiert, zwei mit Kies), eine Bushaltestelle, sechs Pferde, zwei Kühe, drei Schafe und vier Hektar Land nutzen. Ist nämlich alles inklusive. Unschlagbares Angebot.

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09:35 Uhr:
Und weil ich so wütend auf die Impfgegner bin: Nehmt halt das und dann lasst verflucht noch mal eure Kinder impfen.

[plugin imagelink link="http://live0.zeit.de/infografik/masern-risiken/masern-impfung-folgen_breit.jpg" imagesrc="http://live0.zeit.de/infografik/masern-risiken/masern-impfung-folgen_breit.jpg"](via zeit-online)

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09:30 Uhr:
Nachrichten. Go!

– Am Freitag stimmt der Bundestag über die Verlängerung der Griechenlandhilfen ab. Und wahrscheinlich stimmt er zu.

– Die Mietpreibremse kommt. Aber denkbar kompliziert.

Der Irak-Veteran, der den US-Scharfschützen Chris Kyle erschossen hat, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. (Und es fühlt sich irgendwie seltsam an, dass das genau jetzt passiert – nachdem "American Sniper", die Verfilmung der Kyle-Autobigraphie, gerade bei den Oscars als bester Film nominiert war.)

– 2014 war ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte. Ein sehr schlechtes.

– Und hier noch die Entwarnung des Tages: Seit sie dieses Video gesehen haben...
http://www.youtube.com/watch?v=F5fZu-1bt6Y ...hatten Menschen Angst vor dem Octopus. Nun tauchte diese schöne Schlagzeile auf:
Experts: “Nightmare octopus” in terrifying viral video was just being a normal octopus
Völlig normales Octopus-Verhalten also. Puh!

++++

09:05 Uhr:
Guten Morgen. Neuer Tag, neuer Tagesblog. Während ich jetzt gleich mal die Lage auf der Welt durchlese und -denke, lass ich schon mal einen Tierinhalt für euch da: eine bahnfahrende Schildkröte (why not?):





Dass Menschen auch immer ihre Haustiere mit in die Bahn nehmen müssen. Ein von Marvin Ruppert (@hallomarvin) gepostetes Foto am 23. Feb 2015 um 2:05 Uhr


Bis gleich!

Mehr Respekt, bitte

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So ködert man normalerweise Führungskräfte für die Top-Etage: Mit einer Dienstwohnung, Extra-Zulagen, Auto oder Fahrtzuschuss, gerne auch mal ein Laptop und mehr Urlaub als eigentlich vorgesehen. Will trotzdem keiner den Job, startet man im Ausland Abwerbekampagnen und lobt Image-Wettbewerbe aus. Wer so hofiert wird? Es sind beileibe nicht die Super-Manager mit Großeinkommen – es sind die Erzieherinnen für Kindertagesstätten. Städte und private Betreiber locken mit manchmal absurden Vergünstigungen, denn es fehlt allerorten an Personal. Es geht um Anerkennung, es geht um Geld, wenn an diesem Mittwoch die Tarifverhandlungen für die 240000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst beginnen. Durchschnittlich zehn Prozent mehr Einkommen sollen am Ende herausschauen, so die Gewerkschaftsforderung.



Nicht mehr nur Ringelreihen: Die Erwartungen an Erzieher sind enorm gestiegen.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde gerne auf die sogenannten Kindergärtnerinnen heruntergelächelt, die so schön Lieder singen und mit den Kleinen im Sandkasten Kuchen backen. Entsprechend mickrig war das Gehalt, und entsprechend niedrig das Niveau, auf dem später eben nur Schritt für Schritt Gehaltserhöhungen möglich waren. Ein Beruf in der Mitte der Gesellschaft – in teuren Städten am Rande des Existenzminimums. Nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kleinkinder im Sommer 2013 ist eine neue Dynamik und mehr Druck in die Branche hineingekommen. 120000 Erzieher fehlen laut einer Bertelsmann-Studie in Deutschland momentan.

Parallel sind die Erwartungen an das, was in der Kindertagesstätte geboten werden soll, ins Schwer- bis Unermessliche gestiegen: Um frühkindliche Bildung und Stärkung sozialer Kompetenzen soll es gehen, nicht nur um Ringelreihen. „Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verändert. Mit zunehmender Kinderarmut und Perspektivlosigkeit von Jugendlichen sowie anderen Familienkonstellationen ist soziale Arbeit noch bedeutsamer geworden“, heißt es bei der Gewerkschaft Verdi, die die Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst tariflich neu und damit höher eingruppieren lassen will.

Denn auch am Image wird schwer gearbeitet, und da gilt die Regel: Geld zählt. Mit dem Verdienst steigt auch das Ansehen. Für Margit Schwarz-Müller, 60, Leiterin einer Münchner Tagesstätte für 75 Kinder, steht fest: „Es ist nur die erste Form der Anerkennung, dass wir besser entlohnt werden.“ Die höhere Wertschätzung ihres Berufs komme später, da passiere viel in den Köpfen. Sie und ihre Kolleginnen bekommen seit einiger Zeit 200 Euro brutto Arbeitsmarktzulage von der Stadt. „Das ist schön, reicht aber auch nicht. Ich kenne einige Erzieherinnen, die zusätzlich als Bedienung arbeiten“, sagt Schwarz-Müller. Probleme hätten außerdem viele junge Kolleginnen, die ihre Ausbildung über Bafög finanziert haben und dies zurückzahlen müssen. Der Werdegang bis zur Erzieherin ist lang, sehr lang – er dauert fünf Jahre.

In großer Personalnot ging Mainz in der spanischen Partnerstadt Valencia auf Beutezug, holte 30 Diplom-Sozialpädagogen in seine Krippen. Ein Kita-Betreiber im Raum Frankfurt finanziert gar Dienstwagen von Mercedes für seine Angestellten. In vielen Städten gibt es Zulagen. Doch das allein sei nicht genug, um den Beruf attraktiver zu machen, sagt Schwarz-Müller. Ihre Schwester arbeitet in einem sozialen Beruf in Frankreich, dort sind Erzieher tariflich den Grundschullehrern gleichgestellt. „Sie genießen so einen höheren Respekt."

Die Gewerkschaften in Hannover verhandeln für die rund 240 000 – zu 96 Prozent weiblichen – Kinderpfleger, Erzieher und Sozialarbeiter in kommunalen Kindertagesstätten. Indirekt profitieren von dem Tarifergebnis auch die mehr als 500000 Beschäftigten bei kirchlichen und freien Trägern. Dort sind die Verdienste ähnlich. Schlecht für die Altersversorgung überall: Zu einem Großteil sind Erzieher in Teilzeitverträgen beschäftigt, nur 40 Prozent arbeiten Vollzeit, in den neuen Bundesländern sogar nur 25 Prozent.

Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hat die Gewerkschafts-Forderungen am Dienstag als „unrealistisch“ zurückgewiesen. Geschäftsführer Manfred Hoffmann geht von einer Zusatzbelastung für die Kommunen von rund einer halben Milliarde Euro jährlich aus: „Für solche Verteuerungen gibt es weder Möglichkeiten noch eine Begründung.“ Das Verständnis, dass Arbeit mit Menschen mehr Anerkennung verdient, ist zwar da. In welcher Höhe, muss ausgelotet werden. Im Jahr 2009 waren Kitas in Deutschland über 13 Wochen hinweg tageweise geschlossen. Das lag nicht am Erzieherinnenmangel, nein: Die lieben Kindergärtnerinnen hatten einfach mal gestreikt.

Liste der Vernunft

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Gute Ideen, wie man Korruption und Steuerhinterziehung in Griechenland erschweren könnte, gab es ja schon lange. Aber sie verschwanden immer wieder in den Schubladen. Nun verspricht die Regierung von Alexis Tsipras in ihrer Reformliste, vieles besser zu machen als ihre Vorgänger. Gleich an der Spitze steht die Steuerpolitik. Sechs Punkte werden hier aufgeführt, „Reform der Mehrwertsteuer“ lautet der erste. Damit weniger schwarz kassiert wird, beispielsweise in Restaurants, sollen künftig mehr digitale Abrechnungssysteme eingesetzt werden. Man wolle „vollen Nutzen aus technischen Innovationen“ ziehen, heißt es in dem Sieben-Seiten-Papier. Griechische Steuerfahnder dürften sich freuen, sie hatten schon früher verlangt, Kassen in Bars und Boutiquen mit einer Datenbank zu verbinden, die alle Transaktionen für die Finanzämter transparent machen würde.



Premier Alexis Tsipras hat die griechische Bevölkerung auf seiner Seite: eine Straßenszene im Stadtteil Plaka in Athen.

Neu ist ein Vermögensverzeichnis, für das jeder Bürger seinen Besitz angeben muss – für die Steuerbehörden. Vor allem Selbständige wie Ärzte und Anwälte haben sich bisher gern künstlich arm gerechnet. Um Steuerbetrug im großen Stil geht es beim Ölschmuggel. Das Finanzministerium will nun auch alle kleinen Tanker mit GPS-Systemen ausrüsten und Raffinerien technisch schärfer überwachen, wie Vizefinanzminister Dimitris Mardas ergänzend zu der Liste für die Euro-Gruppe der Zeitung Kathimerini erläuterte. Beteiligt am Schmuggel mit billigem Schiffsdiesel, der in großen Mengen in den allgemeinen Treibstoffmarkt fließt, seien vor allem die Schifffahrtsindustrie und die Streitkräfte, berichtet ebenfalls Kathimerini.

Gestärkt werden soll die Unabhängigkeit des Generalsekretärs für staatliche Einnahmen. Diese Position war bereits 2013 auf Drängen der Kreditgeber Athens geschaffen worden. 2014 hatte der damalige Regierungschef Antonis Samaras aber den obersten Steuerinspekteur Haris Theoharis wieder entlassen. Theoharis berichtete danach von politischem Druck, nachdem er prominente Steuervermeider hatte belangen wollen. Nun verspricht Tsipras, Wohlhabende und Großschuldner unter die Lupe zu nehmen, mit tatkräftiger Unterstützung der Finanzpolizei.

Genauer will die Regierung auch bei staatlichen Aufträgen und Ausschreibungen hinschauen. Ein altes griechisches Übel sind die zum Teil grotesk überhöhten Ausgaben staatlicher Krankenhäuser. Künstliche Hüften oder Dialyse-Filter kosten hier häufig ein Vielfaches dessen, was in anderen europäischen Ländern verlangt wird. Die Hersteller medizinischer Produkte haben in der Vergangenheit besonders von laxen Kontrollen und Korruption profitiert. Nun sollen die Ausgaben jedes Ministeriums geprüft und gekürzt werden.

Um einen Kollaps der Sozialversicherungssysteme zu verhindern, soll es statt Frührenten für 50- bis 65-Jährige künftig ein garantiertes Basiseinkommen geben, eine Art Hartz IV. Damit hat Syriza auch einen Vorschlag der kleinen liberalen Oppositionspartei To Potami übernommen. Auf weiten Strecken trägt der Katalog sonst die Handschrift des Internationalen Währungsfonds und der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die immer wieder die Öffnung geschlossener Berufe und die Auflösung von Kartellen gefordert haben.

Auch das Kapitel „Verwaltungsreform“ stellt Syriza unter das Motto „Bekämpfung der Korruption“ und verspricht einen „Nationalen Aktionsplan“. Die Zahl der Ministerien hat die neue Regierung schon von 16 auf zehn reduziert. Allerdings blieben Teile der alten Ressorts auch unter den neuen Dächern erhalten. Dafür wurden schon die Berater-Armeen der Minister abgeschafft. Gespart werden soll künftig auch bei Dienstreisen, Autos, den Vergütungen für Abgeordnete. Die Zuwendungen an politische Parteien sollen stärker begrenzt werden. Private Medien sollen künftig für Lizenzen bezahlen müssen. Ein entsprechendes Gesetz wurde bislang nie umgesetzt. Damit könnten einige hoch verschuldete Sender vor dem Aus stehen.

Im öffentlichen Dienst soll Leistung bei der Bezahlung eine größere Rolle spielen, eine Forderung, die linken Ideen eigentlich widerspricht. Auch bei der Einstellung soll nicht mehr das Parteibuch zählen, sondern ein System klarer Kriterien.

Steuerschuldnern soll es erleichtert werden, ihre Außenstände in Raten zu begleichen. Davon erhofft sich die Regierung rasch mehr Geld für die leeren Staatskassen. Das Papier nennt hierzu keine Einzelheiten, betont aber, Kleinschuldner sollten „entkriminalisiert werden“. Auch wie die Banken die vielen faulen Kredite los werden sollen, die sich bei ihnen angehäuft haben, erläutert die Liste nicht im einzelnen. Hier werden in Athen bereits verschiedene Modelle diskutiert, samt der Einrichtung von Bad Banks, zur Bündelung der „roten Kredite“.

Von der alten Syriza-Forderung nach einer „Verstaatlichung“ der Banken ist nicht mehr die Rede. Dagegen betont die Regierung ihre Absicht, in allen Fragen eng mit der Europäischen Zentralbank und den EU-Institutionen zusammenzuarbeiten. Auch das Insolvenzrecht soll modernisiert und die Arbeit der Gerichte beschleunigt werden. Letzteres ist von großer Bedeutung. Prozesse können in Griechenland oft ein Jahrzehnt und länger dauern. Auch dies behindert Investitionen.

Schon abgeschlossene Privatisierungsverfahren werden nicht infrage gestellt. Bei laufenden Ausschreibungen will man sich an Recht und Gesetz halten. Selbst neue Privatisierungen werden nicht mehr grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr soll nun auf „Wettbewerb“ und „langfristige Vorteile“ für den Staat geachtet werden. Das ist eine deutliche Abkehr von dem grundsätzlichen Nein der Linkspartei zur Privatisierung von Staatsvermögen.

Eine Wende vollzieht die Regierung auch im Verhältnis zur griechischen Statistikbehörde Elstat. Deren Unabhängigkeit wird nun betont. Zuvor waren immer wieder Zweifel an der Arbeit von Elstat geäußert worden. Der Leiter der Behörde, Andreas Georgiou, musste sich deshalb gar vor der Justiz verantworten. Der Vorwurf: Er soll das Staatsdefizit zu hoch angesetzt haben. Die Europäische Statistikbehörde Eurostat hatte solche Vorwürfe mehrmals als absurd zurückgewiesen.

Auch die humanitäre Krise in Griechenland wird in der Liste erwähnt, als letztes Kapitel, mit Hilfen für die Ärmsten. Gesichert werden sollen die Grundbedürfnisse, mit Essensmarken und einem Ausweis, der freien Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung erlaubt. In Griechenland erhalten derzeit Arbeitslose schon nach einem Jahr keine finanzielle Hilfe vom Staat mehr. Viele Familien sind daher ohne jedes Einkommen. In dem Papier heißt es auch, der Kampf gegen die humanitäre Krise dürfe „keine negativen fiskalischen Auswirkungen“ haben. Näher erläutert wird dies nicht.

Das an Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem adressierte Schreiben sagt auch nicht, was der Kampf gegen Korruption und Steuerhinterziehung bringen wird, schon weil dies schwer zu beziffern ist. Es ist aber bekannt, dass die Regierung auf Mehreinnahmen von 5,5 Milliarden Euro in diesem Jahr hofft.

Das griechische Parlament muss nicht über die Liste abstimmen. Es wird sich erst später mit den einzelnen Gesetzen befassen, die geändert werden müssen, um die Vorschläge in die Praxis umzusetzen. Zwar hat der Linksaußen-Flügel von Syriza schon Kritik geübt, dass viele Wahlversprechen erst einmal vertagt sind. So soll beispielsweise der Mindestlohn nicht sofort, sondern nur schrittweise erhöht werden. Doch mit einer „Rebellion“ sei bei Syriza nicht zu rechnen, meint der Wirtschaftsblog Macropolis. Keine Fraktion in der Partei sei derzeit gewillt, die Autorität von Tsipras zu untergraben. Dafür ist das Gefühl der Macht wohl noch zu frisch.

Einfach zu kompliziert

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Und jetzt bitte lächeln! – Wann immer es „Klick“ macht, ist es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Smartphone, mit dem das Bild geschossen wird. Ist ja auch praktisch: Das Ding hat man sowieso dabei. Und soll das Foto verschickt werden, etwa über eine Nachrichten-App wie Whatsapp, oder soll es auf einer Social-Media-Plattform wie Facebook, Twitter oder Instagram landen, dann sind es bis dahin nur wenige Klicks. Um alles Schwierige, zum Beispiel das Heruntersetzen der Auflösung, kümmern sich die Apps – und das funktioniert auch von unterwegs, Internetanbindung vorausgesetzt. Wenn man sich nun ansieht, wie gut die Qualität von Smartphone-Fotos mittlerweile ist, muss man sich nicht mehr allzu sehr darüber wundern, dass ein Industriezweig ganz schön leidet unter den knipsenden Handys: die Fotobranche.

Der Absatz von Digitalkameras geht schon seit einigen Jahren zurück, aber vor allem im vergangenen Jahr ist er regelrecht abgestürzt: Wurden 2013 noch 6,1Millionen Digicams verkauft, waren es 2014 nur noch 4,61 Millionen, ein Rückgang um fast ein Viertel. Im Jahr davor, 2012, hatte der Rückgang bei digitalen Kameras knapp 18 Prozent betragen. Verglichen mit dem Jahr 2011 ist die Branche mittlerweile bei etwas mehr als der Hälfte der verkauften Geräte angekommen. Und dabei sind hier sogar die Action-Kameras eingerechnet, die erfolgreichen kleinen Videokameras, die man sich beim Snowboarden, Surfen, Skaten oder Mountainbiken an den Helm pappt, um dann mit den Videos angeben zu können.



Fotos vom Urlaub, von Konzerten und Parties. Zum Weiterleiten, Teilen, oder einfach für den Augenblick: Diese Generation, die mehr Fotos macht als je eine zuvor, könnte vielleicht die wenigsten hinterlassen.


Aber sind es wirklich nur die Handys mit ihren immer besseren Kameras, die die Fotoapparate in den Augen der Käufer zunehmend überflüssig machen? Nein, sagt der Hamburger Branchenexperte Heino Hilbig, der früher den Deutschland-Vertrieb des traditionsreichen japanischen Kameraherstellers Olympus verantwortet hat. Weder die Zahl der verkauften Smartphones noch die Entwicklung der Bildqualität könne den Absturz der Verkaufszahlen voll und ganz erklären.

Hilbig, der nun als PR-Berater arbeitet, sieht eine Reihe anderer Gründe, die seiner früheren Branche das Geschäft vermiesen. Die Kamerahersteller – die meisten davon schon sehr lange im Geschäft – produzierten zum größten Teil noch immer Geräte, die auf analogen Konzepten basierten. Anders gesagt: Die Bilder werden zwar digital gespeichert, aber das Fotografieren besonders mit den hochwertigeren Kameras ist noch immer ähnlich kompliziert wie mit Spiegelreflexkameras aus den 1970er-Jahren.

Aber warum wird das nicht geändert? Hilbig glaubt zu wissen, wieso: Das Geschäft sei sehr stark von Forschung und Entwicklung getrieben, von dem also, was sich Ingenieure, Profis und Foto-Freaks unter einer guten Kamera vorstellen. Da gibt es dann Rädchen für dies und jenes, Tasten, auf denen man bestimmte Einstellungen abspeichern kann. Das Problem ist aber: Die Zahl der Kamerakäufer, die sich mit derlei Feinheiten überhaupt beschäftigen wollen, sei „verschwindend klein“, ist sich Hilbig sicher. Für alle anderen sind die Geräte nur eines: zu kompliziert.

Und wenn vielleicht auch die Smartphone-Verbreitung und die Entwicklung ihrer Foto-Fähigkeiten nicht erklären können, warum Kameras dramatisch an Bedeutung verlieren – eines haben die schlauen Telefone und die Tablets mit ihren kinderleicht zu steuernden Oberflächen bewirkt: Die Nutzer erwarten nun auch von anderen digitalen Gerätschaften, dass man nicht dicke Handbücher lesen muss, um zu verstehen, wie man eine Nachtaufnahme macht oder wie man dafür sorgt, dass Innenaufnahmen bei künstlichem Licht keinen hässlichen Gelbstich bekommen.

Klar, völlig verschlafen hat die Industrie das Thema Bedienbarkeit nicht. Mehr und mehr Kameras haben einen Berührungsbildschirm, ein Tippen darauf stellt zum Beispiel das Objekt scharf, auf das man mit dem Finger gezeigt hat – genauso wie das bei Handys geht. Und natürlich verfügen moderne Kameras über eine ganze Menge an sogenannten Motivprogrammen. Je mehr sich ein Gerät an Amateure wendet, desto mehr solcher Programme findet man. Von Feuerwerk bis Kindergeburtstag ist fast alles zu haben.

Das Problem ist nur: Jeder Hersteller kocht sein eigenes Süppchen, und nur wenige ermöglichen es, solche Programme oder auch Effekteinstellungen nachträglich auf die Kamera zu laden. Am ehesten treffen noch Geräte wie etwa die Galaxy-Kameras von Samsung solche Bedürfnisse. Sie sind quasi ein Smartphone mit angeflanschtem hochwertigen Objektiv. Das Betriebssystem ist Android – genau wie auf vielen Smartphones von Samsung. Nachträglich Apps zu laden, etwa Instagram, die Bilder gleich auf soziale Netzwerke zu laden, all das lässt sich damit einfach realisieren. Nur sind die Kameras teuer und qualitativ nicht besser als durchschnittliche Amateur-Fotokameras für 150 Euro.

Aber was müsste die Branche tun, um wieder mehr Kunden zu gewinnen? Heino Hilbig glaubt, dass nur mehr Offenheit letztlich zum Erfolg führe. Die Hersteller müssten also ihre Patentstreitigkeiten begraben, müssten Technologiebrücken überwinden, neue Formen entwickeln und die Hoheit über die Bilder an den Kunden zurückgeben. „Früher konnten sie in fast jedem Geschäft einen Film kaufen, der in ihre Kamera gepasst hat. Und sie konnten die Filme weltweit entwickeln lassen.“

Heute aber beginne nach einem Urlaub ein anstrengender Hürdenlauf. Die Bilder müssen zunächst auf den Computer geladen und dann die guten herausgesucht werden, man muss sie dann zu einem Labor schicken oder selbst ein Fotobuch gestalten. „Das hat funktioniert, solange die technische Faszination anhielt“, sagt Hilbig, aber mit den Smartphones und der Möglichkeit, sie beliebig mit Apps zu erweitern, sei die Erwartung an die Bedienungsfreundlichkeit bei den Nutzern gestiegen.

Wenn die Industrie daran nichts ändere, könnte es gut sein, fürchtet Foto-Enthusiast Hilbig, „dass unsere Generation zwar die meisten Fotos macht, aber die wenigsten hinterlässt.“

Showdown in Köln-Ehrenfeld

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Die Frage ist schlicht, die Antwort ist es nicht: Wem gehört die Stadt? Ja, wem eigentlich?

Die Kölner Filmemacherin Anna Ditges begibt sich in ihrer Dokumentation auf eine Reise in die Welt von Investoren, Anwohnern, Stadtplanern und Lebenskünstlern. Die Reise beginnt vor ihrer Haustür. Durch einen Zeitungsartikel erfährt Ditges, dass das szenige Helios-Gelände im Stadtteil Ehrenfeld an einen Investor verkauft worden ist und dort jetzt eine Shoppingmall errichtet werden soll. Stoff für einen Film, denkt sich Anna Ditges, schnappt sich ihre Kamera und filmt die erste Anwohneranhörung.

Welten prallen dort aufeinander, die Welt des Investors, die der Bürger, die der Stadtplaner. Der von einer leisen Ironie und großer Unabhängigkeit getragene Film seziert diese Welten, und am Ende ist man verwirrt: Wer sind jetzt noch mal die Guten und wer die Bösen?



Wem gehört eigentlich die Stadt? Dieser Frage geht auch die Filmemacherin Anna Ditges in ihrer Doku über das szenige Helios-Gelände in Köln-Ehrenfeld nach. Im Bild: Die Rote Flora in Hamburg, ein ebenfalls seit langem umkämpfter Bau.


Das Helios-Gelände ist ein Biotop im bunten Ehrenfeld. In seiner Mitte steht ein funktionsloser Leuchtturm, der um 1900 zum Wahrzeichen der Firma wurde, die Technik für Leuchttürme hergestellt hat. Auf dem Gelände tummeln sich Alternativ-Schreiner, Orchestermusiker, Polsterer, ein italienischer Delikatessensupermarkt und eine Kneipe namens „Underground“. Im Sommer wird das Gelände zum Biergarten, ein türkischer Imbissbudenbesitzer brät Köfte, die Leute wippen unter Sonnenschirmen zu Reggaemusik. Eigentlich soll es immer so weitergehen, plötzlich aber taucht der Investor auf, ein Enkel Konrad Adenauers, und kauft das Grundstück im Herzen Kölns. Mit Dolce Vita und Beschaulichkeit ist jetzt erst mal Schluss. Die Anwohner fürchten einen seelenlosen Konsumtempel und Gentrifizierung – und ignorieren dabei, dass sie längst selbst Teil der Gentrifizierung sind.

Es ist ein Glücksfall, dass Anna Ditges der Macht ihrer Bilder vertraut und mit neugierigem Blick Szenen einfängt, die ohne Worte auskommen. Etwa dann, wenn die Aktivistin ihre Tomatenpflanzen auf dem Helios-Gelände inspiziert oder der Investor Golf spielt. Lustig wird es, als Ditges im vergilbten Büro des Bezirksbürgermeisters sitzt und dieser sie in Zigarettenrauch einnebelt, bevor er auch nur ein Wort sagt.

Auf den ersten Blick verkörpert der Investor Paul Bauwens-Adenauer das Klischee des Bösen: Er trägt blaue Anzüge, Krawatten und Designerbrille. Und wenn er redet, ist viel davon die Rede, dass seine Investition sich auch amortisieren müsse. Ditges zeigt einen Investor, der an seine Rendite denkt, der aber auch keine Anwohnerdiskussion auslässt. Und sie zeigt Anwohner, die es am liebsten hätten, dass die Welt, wie sie sie kennen, für immer so bliebe. Der Film lässt keine Gewissheiten zu. Auffallend oft reden die Menschen der Bürgerinitiative von Zukunft und Jugendlichen. Doch in ihren Projektgruppen sitzen immer nur dieselben Mittvierziger, die Berufe haben und guten Wein schätzen. Erst als die Stadt mit der Idee kommt, man müsse auf dem Gelände eine Schule errichten, fällt den Bürgerrechtlern ein: Ach ja, daran haben wir ja noch gar nicht gedacht.

Der Film bricht mit Klischees. Er zeigt einen Investor, der sich auf Anhörungen ausbuhen lässt und trotzdem nicht das Weite sucht – und er zeigt Protagonisten der Bürgerinitiative, von denen einer offen zugibt: „Der normale Prozess ist, ich gucke aus dem Fenster, irgendwas wird gebaut, und ich ärgere mich darüber, weil irgendwelche Leute etwas machen ohne mich.“ Solche Sätze fängt man nur ein, wenn man sich viel Zeit lässt. Vier Jahre lang hat Ditges an dem Film gearbeitet.

Es müssen vier lange Jahre gewesen sein. Zig Anhörungen gab es, zig Projektgruppen wurden gegründet, um das Monster namens Einkaufszentrum zu verhindern. Und am Ende des Films, als sie mit ihren Eingaben, Petitionen, Änderungsvorschlägen schließlich Erfolg haben, spaziert der Investor durch Ehrenfeld und sagt: „Schade, dass es jetzt so nicht klappt. Wir wollten ja eigentlich kein normales Einkaufszentrum machen, sondern etwas ganz anderes.“

Wem gehört die Stadt? Bürger in Bewegung, D2014 – Regie, Kamera, Buch, Schnitt: Anna Ditges. Verleih: Film Kino Text, 87 Minuten.

O, du Fröhliche!

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Der Boxing Day ist ein britisches Kulturgut. Er ist benannt nach den Geschenkschachteln, den boxes, die britische Arbeitnehmer von ihren Arbeitgebern als Festtagsgaben erhalten. Zu den Ritualen dieses Tages gehört, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch noch gemeinsame Geschenke erhalten, und zwar in Form nicht immer hochklassiger, aber immer rassiger Fußballspiele. Die englische Premier League ist die einzige Liga, in der am zweiten Weihnachtsfeiertag gespielt wird, nach der Bescherung gibt’s dann Leicester City. Für Nicht-Engländer ist das schwer zu verstehen, aber sie haben keine Chance gegen diesen Brauch, nicht einmal berühmte Nicht-Engländer wie Louis van Gaal, der Trainer von Manchester United, der sich gerade erst über diesen familienfeindlichen Dienstplan beklagt hat.

Van Gaal wird akzeptieren müssen, dass es noch wichtigere Menschen im Fußball gibt als ihn, denn was ihm nicht gelingt, wird nun wohl dem Weltverband Fifa gelingen: Im Jahr 2022 dürfte in England nach Weihnachten kein Fußball gespielt werden. Nach dem Willen der Fifa werden die Ligen in dieser Zeit aus einem einleuchtenden Grund ruhen: weil sich die dazugehörigen Fußballprofis im Urlaub befinden. Das ist die logische Konsequenz jenes Planes, den eine Fifa-Taskforce am Dienstag öffentlich gemacht hat: Nach dem Willen dieser Arbeitsgruppe soll die umstrittene WM in Katar nun im November/Dezember 2022 steigen – konkret wohl vom 26. November (Eröffnungsspiel) bis zum 23. Dezember (Finale), wie die französische Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf eine Fifa-nahe Quelle präzisierte. Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke bestätigte lediglich die November/Dezember-Eckdaten – und deutete an, die WM könnte „mit verkürztem Spielplan“ ausgetragen werden; sie könnte vier Wochen dauern, nicht fünf.

Es sagt alles über dieses ursprünglich für den Sommer ausgeschriebene Turnier, dass der neue Winter-Termin zwar noch nicht offiziell ist, dass er vielen Entscheidungsträgern auch nicht passt – dass es aber wohl trotzdem bei diesem Termin bleiben wird. Zwar haben die großen Ligen und Verbände am Dienstag erste Protestnoten gegen dieses Weihnachtsturnier versandt, sie haben darauf hingewiesen, dass eine Winter-WM einen massiven Eingriff in ihre Liga-Spielpläne bedeuten würde, aber unter den Protestlern rechnet kaum jemand damit, dass die Fifa-Exekutive in ihrer Sitzung am 19./20. März zu einem anderen Ergebnis kommen wird. Zu sehr hängen alle mit allen zusammen, als dass eine Liga oder ein Verband es sich leisten wollte, der Fifa allein den Kampf anzusagen.

So verwundert es kaum, dass auch der europäische Verband Uefa recht moderat reagiert, obwohl er es nachweislich auf den Präsidentenstuhl von Fifa-Boss Sepp Blatter abgesehen hat. Portugals einstiger Weltfußballer Luís Figo reist ja ebenso auf dem Uefa-Ticket als Blatter-Herausforderer durch die Welt wie der niederländische Verbandschef Michael van Praag und der jordanische Prinz Ali, dennoch lässt sich die Uefa in der Causa Katar nur zu vergleichsweise sanfter Kritik hinreißen. „Keine perfekte Lösung“ sei der November-Dezember-Termin, teilte die Uefa am Dienstag auf SZ-Anfrage mit, aber es müsse nun darum gehen, „einen Kompromiss mit dem Rest der Welt zu finden“. Auf technische Nachfragen lässt sich die Fifa erst gar nicht ein. Ab wann die europäischen Ligen ihre Kalender umstellen müssten, und wie das konkret gehen könnte? Es gebe noch „genügend Zeit zur Vorbereitung“, heißt es dazu bei der Fifa, „wir haben noch sieben Jahre Zeit, einen Plan aufzustellen“. Die Uefa würde gern schärfer klingen, aber sie hat ein Problem: Ihr Präsident Michel Platini hat für das Turnier in Katar gestimmt.

Am schärfsten klangen am Dienstag die Engländer, die Katar bei der WM-Kür auf umstrittene Weise unterlegen waren. Richard Scudamore, Chef der Premier League, nannte die Termin-Entscheidung „enttäuschend“ und ergänzte, man sei „von der Uefa im Stich gelassen worden“. Auch der deutsche Ligapräsident Reinhard Rauball fand den Mut für klare Worte: Zwar sei es „nicht unwahrscheinlich, dass es bei dem Terminbeschluss bleiben wird“, sagte Rauball der SZ, „aber wir werden nicht vergessen einzufordern, dass über die großen Themen weiter geredet werden muss. Stichwort: Menschenrechte, Arbeitsbedingungen. Dafür erwarten wir Lösungen. Wir werden weiter nach Lösungen für diese Probleme fragen, deshalb ist für mich noch nicht klar, ob die WM in Katar stattfinden kann.“ Deutlich defensiver intonierte der DFB seine Kritik. Zwar falle es „schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ein WM-Finale kurz vor Weihnachten stattfinden soll“, erklärte Präsident Wolfgang Niersbach, aber fest stehe, „dass aufgrund der großen Hitze im Sommer nicht gespielt werden kann“. Nun seien „die Terminplaner gefragt, bestmögliche Lösungen zu finden, was sicher nicht einfach, aber auch nicht unmöglich ist“.

Wer zwischen den Zeilen las, merkte aber schnell, dass hinter den Kulissen längst ein anderes Thema dominiert: Geld. Die großen europäischen Ligen sind entschlossen, sich von der Fifa für die schräge WM entschädigen zu lassen. Bleibe es bei diesem Termin, so Rauball, stelle sich „die Frage, wie das organisatorisch hinzukriegen ist und wer für die finanziellen Ausfälle aufkommt“. Müsste die Bundesliga wegen der WM etwa von Oktober bis Januar pausieren, könnte das erhebliche finanzielle Folgen haben. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dann keine Abschläge bei unseren Pay-TV-Verträgen in Kauf nehmen müssten“, sagt Rauball, „es muss geklärt werden, wer dafür aufkommt.“ Auch Bayern-Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge wies umgehend darauf hin, dass es das Vereinsgeschäft massiv beeinflusse, wenn die Klubs zwei Monate ihre Spitzenspieler abstellen müssten. „Diese Kosten können nicht durch die Klubs bezahlt werden“, so Rummenigge. Die von Rummenigge angeführte European Club Association ECA könnte nun darauf drängen, dass zumindest jene Bonuszahlungen höher ausfallen, die die Fifa an die Vereine ausschüttet, die ihre Spieler zur WM abstellen.

Nationaltrainer haben sich bisher noch keine geäußert, aber für den deutschen Bundestrainer könnte ein WM-Titel 2022 interessante Folgen haben. Aus dem feierlichen Empfang könnte ein Weihnachtssingen am Brandenburger Tor werden.


Platten-Fan

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Während die Mieten in den innenstadtnahen Altbauvierteln deutscher Großstädte fast ständig weiter klettern, bleiben die meisten Plattenbausiedlungen vom Boom scheinbar unberührt. Die Nachkriegsbauten gelten als kalt, funktional – schlicht unsexy. Das Ihme-Zentrum in Hannover ist so eine Bausünde. Wie eine Burg aus grauem Beton liegt der 1972 gebaute Komplex am Rand der Innenstadt, umfasst Wohnhochhäuser und Ladenflächen. Letztere stehen allerdings seit vielen Jahren leer. Ein ehemaliger Investor ging bei den Umbauarbeiten pleite. Die als offene Baustelle daliegende Shopping-Ebene steht am heutigen Mittwoch zur Zwangsversteigerung. Der Journalist und Blogger Constantin Alexander hat sich vergangenen Sommer bewusst für einen Umzug ins Ihme-Zentrum entschieden, seine Erfahrungen hat er in seinem Blog dokumentiert.

jetzt.de: Kaum jemand würde freiwillig in einen Plattenbau ziehen. Warum hast du dich dafür entschieden?
Constantin Alexander: Das Ihme-Zentrum hat einen wahnsinnig schlechten Ruf in Hannover. Die Leute sagen, es sei kaputt, eine Bausünde und seine Zeit sei vorbei. Mir war das zu einfach. Ich hatte im Frühling vor einem Jahr das Barbican Centre in London gesehen. Das ist auch so ein riesiger Betonbau, der aus der gleichen Epoche wie das Ihme-Zentrum stammt und ihm deshalb sogar recht ähnlich sieht. Das Barbican wurde aber in den 1980er-Jahren zum größten Kulturzentren Großbritanniens gemacht. Da hab ich gemerkt, man kann einen solchen Betonkomplex durchaus in einen lebenswerten Teil der Stadt verwandeln.



Das Ihme-Zentrum in Hannover soll zwangsversteigert werden.

Wolltest du also ausprobieren, ob man einen anderen Blick auf Plattenbauten entwickelt, wenn man darin wohnt?

Ja. Außerdem wollte ich schauen, wie ich mich verändere, wenn ich an einem Ort bin, der dem Ruf nach ein Hort von Kriminalität, Gewalt und Drogen ist.

Welche Vorurteile hattest du über den Block als du eingezogen bist?

Ich dachte, alles steht leer und ich muss Angst haben. Ich glaubte, die Läden hier seien aus wirtschaftlichen Gründen pleite gegangen, das Zentrum würde sich nicht lohnen. Seit ich hier wohne, habe ich gemerkt, dass die Wahrheit deutlich vielschichtiger ist. Hier ist es nicht leer, das Scheitern des Einkaufszentrums hatte andere Gründe und es ist kein sozialer Brennpunkt. Einige Hannoveraner fordern, das Ihme-Zentrum solle abgerissen werden. Ich denke jetzt, das wäre kompletter Unsinn. Das Zentrum hat nur ein Image-Problem.

Wie ist die Platte denn von innen?

Im Eingangsbereich meines Hauses ist eine Stimmung wie kurz nach dem Weltuntergang. Leitungen hängen offen aus der Decke, überall bröckelt Beton, als ob man in einer verlassenen Stadt ist. Steigt man dann aber in den Fahrstuhl und fährt nach oben, kommt man dort in einer anderen Welt an. Die Wohnungen sind super geschnitten, ausgesprochen komfortabel und fast alle sind belegt.



Constantin Alexander zog freiwillig in den Plattenbau. Und es gefiel ihm dort.

Teilweise haben die Wohntürme mehr als 22 Stockwerke. Kennt man da noch seine Nachbarn?

Auf jeden Fall. Das Zentrum unterteilt sich in die verschiedenen Eingänge. Als ich eingezogen bin, hab ich in meinem Eingang einen Zettel aufgehängt, um meinen Nachbarn zu sagen, wann ich den Fahrstuhl für den Transport der Möbel brauche. Sofort wussten alle: Ich bin der Neue. Daraufhin haben mich ständig Leute angesprochen. Einige luden mich zum Kaffee oder zum Bier ein, von anderen konnte ich mir mal etwas ausleihen. Es gibt eine sehr offene Stimmung hier.

Dem Vorurteil nach wohnen in Deutschland nur die Ärmsten im Plattenbau. Wie ist das im Ihme-Zentrum?

Das hängt von den Eingängen ab. In den meisten wohnen normale, bürgerliche Hannoveraner. Es gibt hier viele Eigentumswohnungen. Die sind begehrt, weil man besonders in den oberen Stockwerken einen tollen Ausblick hat. Viele Bewohner leben dort seit Fertigstellung des Baus Ende der 1960er. In den obersten Etagen erstrecken sich Loftwohnungen manchmal sogar über zwei Geschosse. Die sind entsprechend teuer. Aber es gibt auch ein Hochhaus, wo es schon soziale Probleme gibt. Das Ihme-Zentrum ist im Prinzip wie ein komprimiertes Stadtviertel. Hier wohnen alle, von Ärzten, über Lehrer und Verkäufer bis hin zu den Sozialleistungsempfängern. Es gibt sogar ein Studentenwohnheim.



"Das Zentrum hat nur ein Image-Problem", sagt Constantin Alexander über das Ihme-Zentrum.

In deinem Blog besprichst du eine Menge Visionen für das Zentrum: Von Urban Gardening über einen Techno-Club bis hin zum großen Kulturzentrum. Warum wurde bislang kaum eine davon verwirklicht?

Das liegt zum Teil an den sehr komplizierten Besitzverhältnissen. Der frühere Besitzer des Ladenareals, ein großer Fonds, ist mitten während der Umbauarbeiten durch die Finanzkrise pleite gegangen. Seitdem stand das Zentrum unter Zwangsverwaltung durch die Landesbank Berlin. Deswegen sieht es in den unteren Stockwerken jetzt so apokalyptisch aus. Diese Gewerbeflächen, die nun am Mittwoch versteigert werden, sind zudem vom Wohnbereich entkoppelt. Die Wohnungen gehören einer Menge anderer, einzelner Eigentümer. Um das Zentrum zu entwickeln, müsste man aber beide Seiten zusammenbringen. Es fehlt allerdings auch der Mut, unbequeme Ansätze zu verfolgen.

In beinahe allen Städten mangelt es an bezahlbaren Räumen für Startups. Warum sind die nicht eingezogen?

Man bräuchte rund 100 Millionen Euro, um in den leer stehenden Läden die Elektrik, Leitungen, Heizungen und ähnliches zu sanieren. Wenn aber ein Investor kommt und Geld in die Erneuerung steckt, dann wird eine entsprechend hohe Rendite erwartet. Natürlich wäre es schön, wenn der leerstehende Bereich für eine kreative Nutzung geöffnet würde. Aber darauf müssten sich die Stadt oder die Wirtschaft erst einmal einlassen und hinnehmen, dass sie damit nur wenig Geld verdienen könnten.

Wenn du das nächste Mal umziehst, würdest du in einen Alt- oder einen Plattenbau gehen?

Kommt auf das Stockwerk an. Ich bin inzwischen ein Fan der Platte. Wenn die Lage top und der Ausblick gut ist, würde ich sofort wieder ins Hochhaus ziehen.

Schaufensterkritik: Hin zum Licht!

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Zu den schönsten Fenstern der ganzen Stadt gehören die der „Galerie der Moderne“ in der Kurfürstenstraße. Egal, was draußen passiert, auf dieser ohnehin schon sehr hübschen Straße: Ein Blick ins Fenster reicht und sofort wird man ganz ruhig und klar und möchte einziehen. In warmem Licht sieht man Klassiker und Innovationen der Moderne aus Design, Fotografie und Kunst und kann sich gar nicht entscheiden, wo man zuerst hinsehen soll. Wie eine kleine Kur wirkt das – weg von all den Grässlichkeiten der Realität, hin zum Licht!

Spenden für vier Takte Schlagzeug

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Es muss seltsam gewesen sein für Richard Lewis Spencer, als er 1996 ans Telefon ging und am anderen Ende der Leitung ein junger Typ mit britischem Akzent irgendwas von Jungle und Drum and Bass erzählte und von einem Master-Tape, das er kaufen wollte. Spencer hatte „Amen Brother“, den Song, um den es ging, vor fast 30 Jahren geschrieben und aufgenommen. Damals war der Track nur eine B-Seite gewesen, ein Instrumentalstück, das keinen wirklich interessierte. Und jetzt plötzlich war da dieser Unbekannte in der Leitung und erzählte, dass ein Teil dieses Songs berühmt geworden war. Dass man diesen Teil „Amen Break“ nannte. Dass in den Neunzigern tausende Drum-and-Bass-DJs und Jungle-Produzenten das Amen Break verehrten und verwendeten. Dass manche Leute sogar sagen, Jungle sei aus diesem Beat entstanden. Dass Rapgrößen wie Public Enemy, Ice Cube oder Niggaz with Attitude es als Grundlage für ihre Songs benutzten. Und all das, ohne dass Spencer je etwas davon mitbekommen hätte.

http://www.youtube.com/watch?v=qwQLk7NcpO4

Das Amen Break besteht aus nur vier Takten Schlagzeug. Kein Bass, keine anderen Instrumente, nur purer Funk-Groove, der drei Takte durchläuft und im vierten einmal in eine kurze Verzögerung stolpert. Diese vier Takte haben Musikgeschichte geschrieben. Und gerade wird diese Geschichte um ein erstaunliches Kapitel erweitert.

Denn obwohl das Break so berühmt geworden und so oft benutzt worden war, hatte Spencer nie etwas davon. Es ist nie Geld für die Nutzung des Samples geflossen. Das wird sich jetzt ändern. Seit ein paar Tagen ist eine Crowdfunding-Kampagne online, in der Geld für Spencer gesammelt wird. 1000 Pfund waren als Ziel angegeben. In den ersten Tagen wurden schon fast 14.000 Pfund gespendet.

Für Spencer ist das ein spätes Glück. Er hat seine Musikerkarriere längst beendet, seine Band ist schon lange aufgelöst. Gregory Coleman, der Drummer der Winstons, der den Beat 1969 eingespielt hatte, ist 2006 gestorben. Er war pleite und obdachlos. Auch das Label von damals gibt es längst nicht mehr.

Deshalb bemerkte so lange keiner der Urheber den Siegeszug des Samples. Und selbst, wenn es jemand bemerkt hätte, hätte das nicht automatisch unendlichen Reichtum bedeutet. Denn es gibt für die Verwendung von Samples keine eindeutige Vergütungsregelung. Generell ist es nicht erlaubt, das Werk eines anderen einfach so zu verwenden. Aber im konkreten Fall wird oft darüber gestritten, wo die Grenze verläuft. Ist ein einziger Takt schon einzigartig genug, um ihn zu schützen? Sind es die vier Takte des Amen Breaks? Oder kommt da ein guter Drummer vielleicht auch so drauf?

Wie schwer solche Entscheidungen sind, merkt man, wenn man sich ein paar der vielen Songs anhört, in denen das Amen-Break verwendet wird. Auf der Seite Whosampled.com werden 1468 Songs aufgelistet, die das Break enthalten sollen. The Prodigy tauchen da auf, genauso wie Aphex Twin und Skrillex, sogar Slipknot und die Titelmelodie der Zeichentrickserie Futurama stehen auf der Liste. Mal läuft das Sample im Originaltempo, mal als langsamer HipHop-Kopfnicker-Beat, mal als treibender Jungle-Beat mit Bass unterlegt. Mal wurde das ganze Sample verwendet, manchmal nur ein Schnipsel – und manchmal fragt man sich, ob da nicht einfach ein Schlagzeuger was sehr Ähnliches aufgenommen hat.

Hinter der Spendenkampagne steckt Martin Webster, 42, DJ aus Großbritannien. Er sei mit Rap, UK Jungle und Drum and Bass aufgewachsen, das Amen Break habe ihn sein Leben lang begleitet, schreibt er. Als er den Komponisten Spencer in einem BBC-Interview hörte und erfuhr, dass der Erfolg seines Songs vollkommen an seinem Urheber vorbei gegangen war, beschloss er, das zu ändern. Mit der Spendenaktion wolle er den Schöpfern des „wahrscheinlich berühmtesten Samples aller Zeiten“ etwas zurückgeben. Er ruft alle, die das Sample je benutzt haben – oder die Songs, in denen es vorkommt, gehört haben –  dazu auf, das auch zu tun. Sollten all diese Menschen dem Aufruf folgen, könnte es sein, dass bei Richard Lewis Spencer bald wieder das Telefon klingelt und er sich wundert: wenn Martin Webster ihm sagt, welche Summe er ihm überweisen wird.

Ein Tag im Sommer

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1. Beim Bikram-Yoga





Die Tür geht auf und niemand hat mehr Schuhe an. Es ist sehr warm und auf eine räucherstäbchenhafte Art gemütlich. Wenn man barfuß ist und Räucherstäbchen riecht, fühlt man sich sommerlich, auch wenn man noch Schal trägt.

Draußen liegen graue Eisschollen zwischen Straße und Gehsteig, und die Neuhausener, die über den Rotkreuzplatz huschen, haben den Kopf so tief zwischen den Schultern versenkt, dass sie aussehen wie aufrecht stehende Särge in dicken Jacken. Im Yogasaal ist das anders. Da strecken die Menschen den Kopf so weit nach oben, als stünden sie in einem Hörsaal und lauschten einem sehr interessanten Vortrag. Die Wände sind weinrot, die Heizkörper voll aufgedreht. Alle neun Stück. 38 Grad hat es, das gehört zu den Regeln, genau wie die 26 Übungen, die der Trainer mit uns macht, in einer genau abgestimmten Reihenfolge. Yoga kommt aus Indien, da ist es warm. Also hat ein Herr Bikram irgendwann angefangen, in seinem kalten Studio in Kalifornien die Heizungen aufzudrehen.

Die Wärme soll den Körper beweglicher machen und das funktioniert. Nach der dritten Übung bin ich weich, nach der zehnten Übung komme ich mit der Stirn an meine Kniescheibe und frage mich, wessen Körper ich da eigentlich in der Umkleide versehentlich erwischt habe. Als ich nach der 26. Übung geduscht „Namaste“ sage, das indische Servus, hat sich meine Wirbelsäule so ausgedehnt, dass ich fast mit der Stirn am Türstock hängenbleibe.
 
Temperatur: 38 Grad
Gefühlte Temperatur: 70 Grad
Kostenpunkt: zehn Euro für zehn Tage Probetraining, danach 22,50 Euro pro Stunde.
Sommerfaktor: 90 Prozent

2. Im Botanischen Garten





Eine Jahreskarte im Botanischen Garten kostet 40 Euro, das ist günstiger als ein Flug nach Madagaskar. Aber zwei Stunden in den Gewächshäusern herumwandeln hat den gleichen Effekt, außer dass man sich nicht einschmieren muss und keine Lemuren sieht. Dafür gibt’s Kartoffelsuppe am Eingang. Und in den Gewächshäusern ist es göttlich warm, es riecht nach Fotosynthese, Farne streichen mir durchs Gesicht, mal platscht es von links, weil eine Schildkröte vom glitschigen Baumstamm in den Teich gerutscht ist, mal landet ein lenkdrachengroßer Schmetterling auf einer Blüte. Im Schmetterlingshaus bewegt man sich an diesem Vormittag zwar in einem Morast aus schwitzenden Zweitklässlern, aber schwitzende Zweitklässler riechen zum Glück nicht, jedenfalls nicht stärker als die Blüten, von denen die Schmetterlinge naschen, deswegen macht es nix.
 
Und immer ist da noch ein Haus, in dem immer noch eine Klimazone simuliert wird. Alle angenehm. Deshalb kann ich an blühendem tasmanischen Rosmarin schnuppern und mir eine Tür weiter an einem mexikanischen Kugelkaktus heimlich den Finger aufstechen und dann weiter in einen prähistorischen Steinkohlewald huschen, ohne auch nur einmal zu frösteln.
 
Hier wird auch klar, was wirklich fehlt im Winter: Nicht so sehr die Sonne, da reicht eigentlich jede Schreibtischlampe. Was fehlt, ist das Grün. Vielleicht, überlege ich, während ich einen blühenden Zitronenzylinderputzer aus Neuseeland streichle, könnte ich sechs Monate im Jahr in einer kalten grauen Kiste verbringen. Wenn ich die restlichen sechs Monate hier im Gewächshaus leben dürfte.
 
Temperatur: Je nach Gewächshaus unterschiedlich, um die 20 Grad
Gefühlte Temperatur: 26 Grad um 11 Uhr vormittags – Hitzefrei!
Kostenpunkt: 4,50 Euro für die Tageskarte
Sommerfaktor: 100 Prozent

>>> Auf ein Hendl mit Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm, 38 Grad warmer Sand - und endlich Grillsoße auf dem Hemd! [seitenumbruch]

3. Im Indoor-Biergarten





Bayernfans sagt man ja nach, erfolgsverwöhnte Weicheier zu sein. Das ist offensichtlich Unsinn. Denn dann müsste hier, tief im Bauch der Allianz Arena, direkt neben Fanshop und Fantreff und Fanbistro, sozusagen das Herz der erfolgsverwöhnten Weichheit liegen. Tut es aber nicht. Hier liegt der härteste Biergarten der Welt.

Sie haben mitten in die Eingeweide des Stadions, das weiß man als Normalmünchner ja gar nicht, tatsächlich einen ganzjährig betriebenen Biergarten eingepflanzt. Für die Bayernfans aus Spanien und Kanada, die einen Bayernhut im Fanshop kaufen und ein Hendl mit Kartoffelsalat im „Beergarden“ essen möchten.
 
Schweinsteiger und Lahm zeigen, wie das geht, „Beergarden“. Sie sitzen da in Lederhosen zwischen ein paar Bäumen auf einer Bierbank und prosten sich gutgebräunt zu. Aber leider nur auf einem riesigen Brauereiplakat, das an einem der Betonpfeiler befestigt ist, die die niedrige Sichtbetondecke abstützen. Und daneben sitzen wir, also die Fans aus Spanien und Kanada und ich. Zwischen drei Bäumen, die keine Bäume sind, weil sie oben und unten abgesägt und zwischen Boden und Decke geschraubt sind. An langen Bierbänken, die keine Bierbänke sind, weil man sie nicht zusammenklappen kann. Und wir essen Hendl, das zum Glück schon ein Hendl ist und sogar ganz gut.
 
Leider läuft keine Blasmusik, sondern gar keine Musik, nur ein endloser Sky-Werbespot auf einer Leinwand, und man sieht kein bisschen Himmel, weil es nämlich kein Fenster nach draußen gibt. Wobei das ja auch ganz gut ist. So trügt nichts die Vorstellung, dass da draußen gerade Sommer sein könnte. Ein schöner Sommertag in einer Tiefgarage.
 
Temperatur: schätzungsweise 18 Grad
Gefühlte Temperatur: drei Grad, also knapp über der Außentemperatur
Sommerfaktor: eigentlich null Prozent, aber wegen des guten Grillhendls zehn Prozent
 

4. In der Beach-Halle





Sommer = warmer Sand unter den Füßen und zwischen den Zehen. Wenn diese Gleichung stimmt, dann gibt es nirgends in München mehr Sommer als im Beach 38°. Die Halle am Ostbahnhof war früher ein Hochregallager. Deshalb ist das heute die Beachvolleyballhalle mit der größten Deckenhöhe Deutschlands – sagt der Küchenchef, der oben auf der Brüstung steht und sein Hemd so sommerlich offen trägt, dass man ein auf die Brust tätowiertes Herz im Ausschnitt sieht. Auf dem Sand finden manchmal Firmenpartys statt, jetzt stehen da fünf Volleyballnetze und 20 Münchner in Tanktops und kurzen Hosen. Der Sand wird regelmäßig geölt, damit er nicht staubt. Mit so etwas wie Bodylotion (sagt auch der Küchenchef), und er wird von unten beheizt, auf genau 38 Grad. Wie im Yogasaal heute morgen.
 
Ich ziehe die Schuhe aus und bestelle, weil ja schon Nachmittag ist, einen Drink mit Minze. An einer Tafel neben mir sitzt eine Geburtstagsgesellschaft von lachenden Neunjährigen, die Mütter tragen Jogginghosen und schenken Kindersekt aus. Aus den Boxen kommt angemessen balearische Chillout-Musik, ansonsten hört man nur das dumpfe „Plappsch“, wenn jemand einen Schmetterball übers Netz schlägt und das leise „Plippsch“, wenn sich die Teamkameraden gegenseitig abklatschen, was sie nach jedem Ballwechsel tun, auch wenn sie ihn sensationell vergeigt haben. Das ist mal sommerlicher Esprit!
 
Temperatur: etwa 20 Grad (Luft) und 38 Grad (Sand)
Gefühlte Temperatur: 25 Grad wegen Barfußsein
Kostenpunkt: 92 Euro für zwei Stunden pro Court, Cocktails 7,50 Euro
Sommerfaktor: 60 Prozent

5. Beim Grillen


Ein Sommerabend ohne Grillsoßenspritzer auf dem Hemd ist eine würdelose Sache. Zum Glück gibt es im Westend seit Kurzem ein Restaurant namens Grill and Grace, in dem man auch im Februar sein Hemd mit Grillsoße verspritzen kann. Weil man dort nämlich sein Fleisch selbst grillt.

Das Lokal sieht aus, wie zur Zeit alle Steaklokale aussehen: stabile Holztische, Industrielampenschirme, weiße Metzgerfliesen. Das Fleisch kommt in einer Art Pappkarton auf den Tisch, roh und nur mit Rosmarinzweig bekleidet. Dann läuft man damit in die Mitte des Lokals. Zu Martina. Martina steht mit Pferdeschwanz und Stoppuhr an einem Grill mit Lavasteinen, der aussieht wie ein Opfertisch der Azteken – nur mit Dunstabzugshaube. Sie erklärt, wie man hier grillt. Der Rost hängt nämlich leicht schief über den glühenden Lavasteinen und man legt das Fleisch zuerst ans untere Ende und rollt es mit jedem Wenden sachte nach oben, wie ein hungriger Sisyphos, immer weiter weg von der Hitze.
 
Ich ziehe den Pulli aus und freue mich, als ich an den Fingerknöcheln beim Wenden die Hitze spüre. Das Steak spratzt und dampft, dass es eine Wonne ist. Einatmen fühlt sich an, als würde man im August an der Isar entlang nach Thalkirchen radeln. Dann zeigt Martina auf die Stoppuhr und gibt mir einen Teller. Zurück am Tisch schmeckt das Steak fantastisch, aber weil die Dunstabzugshaube ganz schön ehrgeizig Dunst abzieht, fröstelt es mich jetzt ohne Pulli. Ist aber okay, denn beim Runtergucken sehe ich: der Spritzer Grillsoße auf dem Hemd ist geschafft.
 
Temperatur: etwa 20 Grad
Gefühlte Temperatur: 33 Grad am Grill, 16 Grad am Tisch
Kostenpunkt: Rib Eye Steak 26 Euro
Sommerfaktor: 40 Prozent

Tagesblog - 26. Februar 2014

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17:27 Uhr Sattele jetzt meine Galoschen und fahre im Sturmgalopp zur S-Bahn (ultimative Metaphernverwirrung) - Ciao ihr Babos und Schnabos und Chabos!

17:22 Uhr
Freue mich gerade sehr über Nadjas Pferdezähmmädchenbeobachtung. Unter solchen doofen Zähm-Tussen habe ich als Nichtzähm-Mädchen, die Angst vor Pferden hatte, immer sehr gelitten. Meine Devise war und ist: Entweder du kommst halt mit jemandem gleich klar, oder du lässt es. Rum um's Eck!




Supermegaillu von Daniela Rudolf.

16:53 Uhr
Neues aus der Kategorie "Manchmal fragt man sich schon...!":

Was will Bettina Wulff eigentlich noch in der Öffentlichkeit?

16:41 Uhr  
Zeit für eine Runde Linkroulette! Ich poste fünf Links und sage nicht, was dahinter versteckt ist.

Los gehts: Link1.Link 2.Link 3.Link 4.Link 5.

16:19 Uhr
Es liegen Banksy-Vibes in der Luft: Gestern erst die Meldung, dass das letzte deutsche Banksy-Stencil in Hamburg verschwindet, heute die Nachricht, dass er eine neue Doku rausgebracht hat. Der Street-Art-Künstler war im Gaza-Streifen unterwegs.

http://www.youtube.com/watch?v=3e2dShY8jIo

15:28 Uhr
Schweigeminuten over, hier kommt was zur Hausverschönerung. Diese Dinger, die in Museumshops immer so teuer sind, kann man nämlich auch easy selbstmachen: Löwenzahnbriefbeschwerer. Also "easy" halt so "easy" wie DIY-Kram "easy" ist, nicht wahr.

http://vimeo.com/103707169

15:16 Uhr
WAH! Fritz J. Raddatz ist gestorben! Eigentlich treffen mich Todesmeldungen von alten Menschen nicht so, denn irgendwann ist es ja nun mal soweit. Aber in diesem Fall ist mir gerade einmal von oben bis unten ganz komisch geworden. Hier zur Erinnerung ein tolles Interview (nicht von, sondern mit ihm).

Ciao!

15:09 Uhr
Und Kinder, Vorsicht beim 21. Geburtstag! Die Zahl sieht spiegelverkehrt aus wie die Buchstaben IS. Nicht, dass da plötzlich Scharfschützen in der Bude stehen (so geschehen gerade in Schweden).





15:06 Uhr
Wer noch einmal sehen will, wie Madonna bei den Brit Awards auf der Bühne stürzte (es macht ein bisschen Spaß):

http://www.youtube.com/watch?v=DWJkAcpuLok

Mit am besten am Video ist ja aber diese strange Siri, die das vorliest. Macht man das jetzt in Russland so?

13:26 Uhr
Bald kommt das Literaturfest "Wortspiele" nach München. Bei uns könnt ihr Karten gewinnen und ein kleines München-Interview mit der Schriftstellerin Lisa Kränzler lesen.





11:58 Uhr
Und eh man sich versieht, ist schon wieder Mittagessenzeit. Wer nicht weiß, was er sich zubereiten soll, dem überlasse ich großzügig dieses Rezept, ist ganz einfach, Tante Paula macht's vor. Nur bitte Vorsicht bei Herzpatienten.

http://www.youtube.com/watch?v=Kkhvy9rQHaQ

11:44 Uhr
Falls sich jemand fragt, warum es hier bisher so schleppend zugeht:





11:12 Uhr
Aufgepasst, Freunde aller sexuellen Blogs: Die gibts ab dem 23. März nicht mehr. Google möchte der Nackertisierung des Netzes mit allen Mitteln der Zensur entgegentreten und löscht rigoros alles aus der Blogosphäre, was öffentlich und zu sexuell ist. Welche Zensur-Maßnahmen das Netz in den letzten Jahren bereits erleiden musste, hat Lisa Brüßler für uns in einem Zeitstrahl zusammengefasst, (Oder eher: In einer Zeitliste.)





10:57 Uhr Im New Yorker hat eine Autorin Lesenswertes über die Oscars notiert und darüber, wieso Mode längst nicht mehr vom Roten Teppich ausgeht.

09:21 Uhr
Guten Morgen, bin spät, deshalb mach ich hier keine große Einleitung, sondern knalle gleich die Zeitung auf den Tisch:

In Bamberg erhielt ein Schüler wegen seiner "zu linksorientierten Gesinnung" einen veschärften Verweis. Der Schulleiter sei "menschlich enttäuscht" von seinem Schüler. Zuhülf!

Heute wird im Bundestag über die Gesetzesentwürfe zur Maut diskutiert. Scheint sich alles noch etwas verworren zu gestalten.

Huch, das war aber eine kurze Zeitung. Später mehr.


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