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Der Brokkoli des General Tso

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Zunächst die Zahlen, dann die süß-saure Soße. Glaubt man den Statements einiger Hollywood-Studios, dann bricht jetzt die goldene Ära des Video on Demand (VoD) an. Nachdem die Skandalkomödie „The Interview“ nur klein im Kino und groß als Internet-Video, als Stream, vertrieben wurde – und so bislang über 30 Millionen Dollar einspielte –, sei, verlautbart das produzierende Sony-Studio, ein Präzedenzfall geschaffen: Blockbuster seien fortan nicht mehr nur von der Kinoauswertung abhängig.

Das ist eine Behauptung, die derzeit niemand belegen kann. Denn erstens kommt es selten vor, dass – wie „The Interview“ – ein Film nach der Hacker-Attacke auf Sony sogar vom US-Präsidenten Werbung erhält. Und zweitens halten fast alle Studios ihre VoD-Zahlen streng geheim und protzen nur gelegentlich und auch nur im Erfolgsfall mit reißerischen Dollarzahlen wie gerade Sony. Die aber sind nicht aussagekräftig. Denn im Gegensatz zu den Kinoeinnahmen, die halbwegs salomonisch zwischen Kinobetreibern und Studios geteilt werden, sind mit den diversen VoD-Plattformen wie Google Play, Amazon Instant Video oder iTunes ganz individuelle, ganz unterschiedliche und teils exklusive Verträge ausgehandelt worden. Und ob diese wirklich eine klassische Kinoauswertung finanziell abfedern können, bezweifeln die meisten Branchenanalysten in Hollywood.



Eine Fastfood-Meile in Hongkong. Chinesisches Fastfood wird seit dem 19. Jahrhundert in den USA immer populärer


Weshalb Video on Demand weiterhin vor allem fürs Independent-Kino interessant ist. Für kleine Produktionen also, die keine oder nur eine ganz kleine Kinoauswertungen stemmen können, ihren Film aber trotzdem an möglichst viele Zuschauer bringen wollen. Ein US-Indie, der als einer der ersten mit VoD experimentiert hat, ist IFC, eine Firma, die sich gerne des von Produzenten und Verleihern oft etwas stiefmütterlich behandelten Genres des Dokumentarfilms annimmt. Womit nun die süß-saure Soße ins Spiel kommt. Zum Jahresbeginn hat IFC die wunderbar schräge Doku „The Search for General Tso“ als Video on Demand veröffentlicht, die im letzten Jahr schon auf einigen Festivals zu sehen war.

General Tso ist ein im Wok frittiertes, in viel Soßenpampe mariniertes und auch noch mit Brokkoli dekoriertes Hühnerschlegelgericht. Es steht in den USA auf der Speisekarte praktisch aller chinesischen Imbisse und Restaurants.

Regisseur Ian Cheney stellt im Film diverse Theorien zur Herkunft dieses Fast-Food-Klassikers auf und nimmt ihn zum Anlass, die Geschichte der chinesischen Küche auf den Speiseplänen der westlichen Welt zu erforschen. Was neben sehr viel Fett auch eine sehr lustige Gesellschaftskunde für die USA des 20. Jahrhunderts zutage fördert. Cheney interviewt Soziologen, Historiker, Köche und Glückskeksfabrikbesitzer. Gemeinsam rollen sie die amerikanische Hassliebe zum chinesischen Essen auf, seit dem kalifornischen Goldrausch der 1850er-Jahre, als die ersten Chinesen ins Land kamen. Die wirkten auf die meisten Amerikaner wie Außerirdische, komische Typen, die Opium rauchten und ihr Essen mit kleinen Holzstäbchen zu sich nahmen. So suspekt erschienen die Einwanderer, dass 1882 ein „Chinese Exclusion Act“ verabschiedet wurde, der für einige Jahre festlegte, dass keine chinesischen Arbeiter mehr ins Land kommen durften. Erst als sich die Emigranten langsam von der Westküste aus auf das gesamte Land zu verteilen begannen und ihre heimischen Speisen mit amerikanischer Fritteusen-Finesse kombinierten, setzte sich um die Jahrhundertwende chinesisches Fast Food in den USA durch.

Trotzdem kam es knapp fünfzig Jahre später noch einmal zu einem dramatischen Tiefpunkt in der amerikanischen Liebe zu chinesischem Essen: die Chop-Suey-Krise der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Nach der kommunistischen Revolution und Maos Siegeszug in China wurde es in den USA quasi zur patriotischen Bürgerpflicht, die frittierten Hähnchen aus dem Reich der Mitte links liegen zu lassen. Hunderte Restaurants mussten schließen. Erst als Präsident Nixon im Februar 1971 eine Versöhnungsreise nach China machte, bildeten sich wieder Schlangen vor den Lokalen. Der Essens-Hype ging dann Mitte der Siebziger sogar so weit, dass es unter europäischen Emigranten, die in die USA eingewandert waren, als Einbürgerungsstatement galt, in der neuen Heimat beim Chinesen essen zu gehen.

„The Search for General Tso“ gibt es als Video on Demand für 6,99 Dollar unter anderem im amerikanischen iTunes-Store oder bei Amazon USA.


Lieber die Unsicherheit in Nahost

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Tel Aviv – Frankreichs Katastrophe ist auch eine Tragödie für Israel. Die vier Juden, die bei der Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt in Paris getötet wurden, haben Schockwellen übers Mittelmeer gesendet. Die Angst vor dem alten Antisemitismus in Europa erhält neue Nahrung. Die Antwort darauf hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nun sehr schnell und sehr direkt gegeben: Er ruft alle französischen Juden zur Auswanderung auf. „Israel ist nicht nur der Ort, wohin ihr euch zum Gebet wendet“, erklärte er, „Israel ist auch eure Heimat.“

Dieser Ruf ist nicht neu, schließlich gehört es zur israelischen Staatsräson, möglichst alle über den Globus verstreuten Juden ins Gelobte Land zu holen. Bislang lebt noch etwa die Hälfte in der Diaspora, meist in den USA. Doch mit mehr als 500000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde in Frankreich die größte in Europa. Hier liegt für Israel also ein erhebliches Einwanderer-Potenzial – und auf Einwanderer ist der jüdische Staat seit jeher angewiesen.



Ein Restaurant im jüdischen Viertel von Paris. 2014 zogen 7000 französische Juden nach Israel


Die eigens dafür gegründete Jewish Agency wirbt weltweit für die Immigration, die Alijah genannt wird. Auf Deutsch heißt das Aufstieg. Schon in den vergangenen Jahren hatte die Organisation ihren Fokus auf Frankreich gerichtet und dabei aus traurigen Gründen – wegen der Wirtschaftskrise, aber vor allem eben wegen des anwachsenden Antisemitismus – einigen Erfolg gehabt. Von Frankreichs Regierung wird dies allerdings mit deutlichem Missfallen betrachtet. Als Netanjahu bei einem Besuch im Élysée-Palast 2012 für die Alijah warb, konterte sein Gastgeber François Hollande kühl: „Der Platz der französischen Juden ist in Frankreich.“ Auch der französische Premier Manuel Valls erklärte nun, „wenn 100000 französische Juden das Land verlassen, wird Frankreich nicht mehr Frankreich sein“.

Das jedoch sehen immer mehr französische Juden anders. In großen Sprüngen ist deren Einwanderung nach Israel angestiegen, bis sie mit 7000 Immigranten im Jahr 2014 schließlich erstmals die Spitzenposition im Nationen-Ranking einnahmen. Selbst im Jahr des Gaza-Kriegs also zogen viele französische Juden die Unsicherheit im Nahen Osten der Bedrohung zu Hause vor. Der wachsende französische Einfluss ist übrigens bereits überall im Land zu spüren, nicht zuletzt daran, dass es plötzlich in Tel Aviv und andernorts wunderbare Baguettes gibt.

Netanjahu hat nun angekündigt, dass sich schon in dieser Woche eine Ministerrunde damit befassen werde, wie man die Einwanderung von Juden aus Frankreich weiter befördern könne. „Ihr werdet hier mit offenen Armen empfangen, und wir werden euch bei der Integration helfen“, versprach er. Konkret werden bereits jetzt für alle jüdischen Einwanderer Eingliederungshilfen – vom staatlich finanzierten Sprachkurs bis zur Hilfe bei der Wohnungs- und Jobsuche – angeboten.

Am Sonntag ist Netanjahu auch zur großen Solidaritäts-Kundgebung nach Paris geflogen. Anfangs hatte er noch gezögert, sein Büro hatte das mit Sicherheitsbedenken wegen des öffentlichen Schweigemarschs begründet. Doch als dann Außenminister Avigdor Lieberman und Wirtschaftsminister Naftali Bennett vorpreschten und ihre Reise nach Paris ankündigten, blieb auch Netanjahu in Wahlkampfzeiten wohl kaum eine andere Wahl. Wenn er zurückfliegt nach Israel, wartet dort bereits ein trauriger Termin auf ihn. Mindestens einer der vier Getöteten aus dem Supermarkt soll am Dienstag in Jerusalem beerdigt werden.

Da, wo ich heute schlafe

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Der Puff


Das Haus, in dem ich wohne, steht zwischen zwei Eisenbahnbrücken und ist mittelmäßig gepflegt. Im Erdgeschoss ist eine Kneipe – nicht unbedingt Heidelbergs feinste, aber auch keine Spelunke. Ich war daher einigermaßen überrascht, als ich von der pikanten Vergangenheit des Hauses erfuhr.

Das passierte unvermittelt. Ich stand mit meinem Vermieter im Flur meiner Wohnung. Er hatte gerade irgendwas repariert. Darüber kamen wir ins Gespräch und ich machte mich eher beiläufig über die Zimmeraufteilung in der Wohnung lustig. „Haja...“, hat mein Vermieter da gesagt und gelacht, „das war halt mal ein Puff!“ Wie diese Nutzung den Grundriss meiner Wohnung erklärt, habe ich zwar nicht verstanden, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass in meinem Zimmer nicht der Empfang war und auch nicht die Bar. Ich kann also davon ausgehen, dass da, wo ich heute schlafe, ganz ordentlich Dienst geleistet wurde.

Auf ähnliche Weise erfuhr ich wenig später, dass mein Vorvormieter ein Junkie war, der sich irgendwann auf meinem Dielenboden den goldenen Schuss setzte, und dass auch die Kneipe im Erdgeschoss dem Drogendezernat bekannt war. Kurz: Mein Haus war mal Freudenhaus, Heidelbergs Drogenumschlagplatz Nummer Eins und Treffpunkt der dubiosesten Bikerclubs im Umland. Im Erdgeschoss wurde Business gemacht und in meinem Zimmer entspannt, wenn nicht gerade Razzia war.

Mittlerweile wohne ich seit mehr als drei Jahren in der Wohnung. Ab und zu klingeln noch verirrte Seelen, die ihr Anliegen nicht recht erläutern können. Alteingesessenen Heidelbergern schaudert es beim Klang meiner Adresse ein bisschen. Aber in den meisten Wohnungen leben jetzt Studenten, das mit den Drogen ist viel besser geworden und auch die Polizei rückt nur noch selten an.

Piet van Riesenbeck




Die Besetzer


Spätestens als Bastian Schweinsteiger mein Nachbar wurde, wollte ich weg. Wenn man wie ich am Gärtnerplatz in München aufgewachsen ist und erlebt, wie alles um einen herum schicker und teurer wird, sehnt man sich irgendwann nach unsanierten Altbauten und ranzigen Dönerläden.

Ich zog nach Berlin, in ein Haus in Schöneberg. Auch hier wird vieles schicker und teurer. Außer in meiner Straße, der Potsdamer Straße. Hier ist der Straßenstrich, hier steht der mit Sattelitenschüsseln überdeckte „Sozialpalast“. Und hier steht die „Potse“. So heißt der große Altbau mit idyllischem Hinterhof, in dem ich wohne. Dass das Haus eine besondere Vergangenheit hat, spürte ich schon bei meinem ersten Besuch. Im Treppenhaus und im obersten Stockwerk hängen Fotos aus vergangenen Tagen. Auf einem sieht man eine Gruppe Demonstranten nackt durch eine Straße in Berlin rennen.

Die Potse wurde 1981 von einer Gruppe Studenten besetzt. Damals gehörte das Gebäude dem Deutschen Gewerkschaftsbund und war unbewohnbar. Nach zähen Verhandlungen konnten die Besetzer einen Mietvertrag mit der Stadt aushandeln. Von den ehemaligen Besetzern leben heute noch fünf im Haus. Eine von ihnen ist meine Mitbewohnerin. Mit ihr und ihrem 20-jährigen Sohn teile ich eine WG.

Meine Wohnung ist Teil einer alternativen Hausgemeinschaft. Die Wohnungstüren sind nie abgeschlossen. Im obersten Stockwerk ist ein Gemeinschaftsraum, inklusive Kicker, Tischtennisplatte und Dachterrasse. Früher wurden hier oft Partys gefeiert, heute ist unter der Woche ab 23 Uhr Nachtruhe. Auch Hausbesetzer werden älter.

Das Aktivisten-Erbe ist den Besetzern aber immer noch bewusst. Schließlich wurde das Haus auch aus politischen Motiven besetzt – gegen den zunehmenden Mietpreisanstieg bei gleichzeitigem Häuserleerstand. Wenn sich die Hausbewohner einmal im Monat zum Plenum zusammensetzen, fliegen die Fetzen, kommen alte Grabenkämpfe zum Vorschein, diskutieren neue, junge Hausbewohner mit den älteren. In solchen Momenten erkenne ich sie wieder, die jungen Demonstranten, die nackt durch die Straßen Berlins rennen und für ein besseres Wohnen demonstrieren.

Alexander Gutsfeld
[seitenumbruch]

Das Party-Eldorado


So genau habe ich bis heute nicht rausgefunden, wie alt Paula ist. Mindestens über 80, schätze ich. Das habe ich mir zusammengerechnet. Nachhaken kann ich nicht, eine Dame wie Paula fragt man nicht nach ihrem Alter. Was ich aber weiß: Paula lebt seit 1952 in der Wohnung unter uns. Sie hat sie sich mit ihrem Mann ausgesucht, als unser Haus in der Münchner Theresienstraße noch ein Rohbau war – gegenüber Einöde, drumherum zerbombte Trümmer. Paula ist gelernte Schneiderin, hatte ein eigenes Mode-Atelier an der Oper, ihr Mann starb früh. Selten habe ich eine so kluge und emanzipierte Frau getroffen. Ich würde noch mehr über Paula erzählen, aber es geht ja um meine Wohnung: fünfter Stock, vier Zimmer, riesiger Südbalkon, saniert. Als wir eingezogen sind, wunderte ich mich über das hellblau gestrichene Stein-Fensterbrett im Schlafzimmer, die bunten Mosaikfliesen am Balkon und die fensterlose Kammer, die irgendwann ein stattliches Ankleidezimmer gewesen sein muss – man sieht noch die Regalschatten an der Wand.

Seit ich mit Paula ein Piccolöchen getrunken habe, weiß ich, dass unsere Wohnung in den späten Fünfzigern ein Party-Eldorado gewesen sein muss. Die Familie Münzinger vom berühmten Sporthaus am Marienplatz soll hier gewohnt haben. Die Hausherrin war angeblich Amerikanerin, trug Pfennigabsätze und hatte eine Vorliebe für schrille Farben. Sie brachte die neusten Deko- und Kleidungstrends in die tief bayerische Theresienstraße. Die Leute liebten es. Kunterbunt soll unsere Wohnung gewesen sein: pinke Schranktüren, hellgrüne Simse, zitronengelbe Türknäufe. Sagt Paula. Und immer war was los. Bis die Herrschaften nach Grünwald in eine Villa zogen.

Ob die Münzingers wirklich hier gewohnt haben, weiß ich nicht. Deshalb der Konjunktiv. Ich habe versucht, die Nachkommen zu finden. Die stehen natürlich nicht im Telefonbuch, das Sporthaus ist längst verkauft. Macht aber nichts. Ich finde die Vorstellung, dass hier vor mehr als 50 Jahren eine Art privates Studio 54 untergebracht war, hervorragend. Und ich hätte gerne mit der Paula von damals gefeiert.

Michèle Loetzner

Der Mörder


Geklingelt habe ich dann doch nicht. Wäre ja doch nur eines dieser schnell ins Verlegene rutschenden Gespräche gewesen. „Ach, Sie wohnen jetzt hier, ja, ich früher auch, wussten Sie eigentlich...“ Nee. Lieber nur durch das Glasfenster der Haustür gucken. Diese steile Holztreppe. Und der gleiche Gedanke wie damals: Wie oft ich wohl die Stufen zu meiner Wohnung in den zweiten Stock hochgelaufen bin? 1000 Mal? 10 000 Mal? Und die vier Frauen nur einmal. Nur einmal, dafür ganz nach oben. Und nie wieder zurück.

Ganz oben lebte Fritz Honka. „Der Frauenmörder von St. Pauli“. Obwohl hier Hamburg-Ottensen ist. Das niedliche Ottensen, dieses Dorf mitten in der Großstadt, in das sich so viele verlieben, dass die Preise dauernd ansteigen. Ich ja auch damals. Was für ein Glück, die Wohnung zu bekommen! Von Frauenleichen hat die Maklerin natürlich nichts gesagt.

Ein Jahr später „Zeißstraße“ gegoogelt. Erstes Ergebnis: „Fritz Honka“ bei Wikipedia. „...1967 zog er in die Zeißstraße Nr. 74 in Hamburg-Ottensen“. Meine Adresse. Puh. Fritz Honka, nie gehört. 1975 kannte den wohl jeder in Deutschland. Im Internet kann man noch alles nachvollziehen. Vergewaltigung, Erdrosseln, Zersägen. Zwischendurch ein Aufatmen: Honka wohnte in der Mansarde, zwei Etagen über mir. Da hat er die Frauen hineingelockt und ermordet. Die Leichenteile nebenan auf dem Dachboden versteckt. Jetzt ist das alles eine Wohnung. Wissen die Mieter das? Soll ich denen das sagen? Kenne sie ja nicht, man macht das ja nicht mehr, dass man sich vorstellt.

Und ich, habe ich mich anders gefühlt? Eigentlich nicht, auch keine Alpträume oder so. Das Schrecklichste: dass niemand im Haus etwas mitbekommen hat. Die Leichenteile auf dem Dachboden hätte niemand gefunden, hätte es kein Feuer gegeben. Jahre lagen die da. Einfach so.

Ein halbes Jahr habe ich noch dort gewohnt und es weiter gemocht. Nach dem Einzug in meine Berliner Wohnung dann an jeder Tür geklingelt und die Nachbarn begrüßt. Alle haben sich gefreut.

Constantin Wißmann
[seitenumbruch]

Die Helfer


Sie hat drei Zimmer, ist ein Altbau, spottgünstig und liegt mitten im noblen München-Neuhausen. Meine Freundin und ich sind im Herbst eingezogen. Wir waren überwältigt von unserem Wohnungsglück, wir redeten von fast nichts anderem.
Unsere Vermieter sind großartig. Sie gehen pro Woche auf mehr politische Diskussionsveranstaltungen als ich in einem Jahr, haben zu jedem Thema eine Meinung und sagen, dass sie mit dem Vermieten wenig Profit machen wollen, solange sie von ihrer Rente leben können. Anfang der 90er Jahre lebten sie in unserer Wohnung. Damals löste der Jugoslawienkrieg ähnlich steigende Flüchtlingszahlen aus wie heute. 1992 riefen die SPD und andere die Bürger mit der Aktion „Den Winter überleben“ dazu auf, bosnische Flüchtlinge bei sich Zuhause aufzunehmen. Unsere Vermieter überlegten nicht lange: Sie sagten zu.

Anfangs kam aus Bosnien nur Aisha mit ihren zwei kleinen Kindern zu ihnen, bald holte sie ihren Mann nach. Wie in einer WG lebten unsere Vermieter, Aisha und ihre Familie zusammen. Und zwar unglaubliche neun Jahre lang. Heute ist einer der Söhne der Familie Ingenieur bei BMW in München, der andere ist zurück nach Bosnien gegangen. Unsere Vermieter sind immer mal wieder dorthin gereist. Und wir, meine Freundin und ich?

Mitte Oktober radelte ich das erste Mal von unserer neuen Wohnung aus zur Münchner Bayernkaserne, wo tausende neuankommende Flüchtlinge unter schlicht katastrophalen Bedingungen untergebracht waren. Teilweise übernachteten sie vor den Baracken auf dem Erdboden, in dünne Decken gehüllt. Ich beschloss, mich beim Bayerischen Flüchtlingsrat zu melden, um irgendwie zu helfen, zumindest, wenigstens. Aber abends, in unserer Wohnung, wenn ich das prächtige alte Fischgrätparkett anschaue, denke ich, dass man offensichtlich noch viel mehr ausrichten kann, wenn man nur will. Die Wohnung macht mir dann ein schlechtes Gewissen. Und solange mitten in einer Stadt wie München von der Staatsregierung verordnete Lagerpflicht herrscht und Flüchtlinge in Decken auf dem Boden schlafen müssen, solange können wir alle noch viel, viel mehr schlechtes Gewissen gebrauchen.

Florian Kessler

Der Ehebruch


Ein absoluter Glücksfall: Der künftige Schwager meines Mitbewohners gab die Wohnung auf, die er mit seiner Ex-Frau in spe geteilt hatte. Perfekte Lage im Münchner Glockenbachviertel, geringe Miete und netter Kontakt zum Vermieter.

Auszug und Einzug fielen auf denselben Tag. Schwager Jürgen warf klein gehackte Bretter auf die Ladefläche seines Wagens, als wir ankamen. Bei dem Kleinholz handelte es sich um sein Bett. „Das will ich verbrennen. Nur Mist ist passiert hier“, murrte er. An der Decke eines Zimmers war ein großer Haken befestigt. „Da hing so ein freischwebender Sixties-Sessel dran. Den kriegt man kaum raus, bombenfest das Ding, sorry“, sagte Jürgen und verließ die Wohnung ohne jegliche Sentimentalität.

Ein halbes Jahr später, an einem Abend im März, war ich auf einem Geburtstag eingeladen und rief bei der Mutter meiner vierjährigen Tochter an. Sie sagte, sie sei auch eingeladen, ihre Schwester Kathrin könne aber unsere Tochter übernehmen.

Eine halbe Stunde später klingelte es. Meine Tochter sprang Kathrin an den Hals. Aber die setzte sie direkt wieder ab und drehte sich im Kreis, mit offenem Mund die Wände und Türen anstarrend. „Ich war hier schon mal. Das kann ja nicht sein!“ Sie betrat mein Zimmer. „War das mal ein Schlafzimmer?“, fragte sie. Ich bejahte, hier hatte Schwager Jürgen sein Bett kleingehackt. „JÜRGEN! Das ist seine Wohnung!“ rief Kathrin. Sie sah den Haken an der Decke. „Hier hing die Schaukel!“ „Wer ist Jürgen? Wo hing die Schaukel?“, fragte meine Tochter.

Kathrin erzählte mir, dass sie wohl maßgeblich am Scheitern von Jürgens erster Ehe beteiligt gewesen sei. Auf der Schaukel. Und in dem Bett, von dem nun nur noch ein Haufen Asche übrig ist. Nur der große Haken in der Decke, der sitzt bis heute bombenfest.

Benjamin Resch

Woher der Hass? Die Zukunft

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In einem Interview antwortete der britische Maler David Hockney auf die Frage „Was ist das größte Missverständnis der Moderne?“ mit einer Anekdote: „1920 schlugen amerikanische Futurologen Alarm. Um 1960, so hatten neueste Berechnungen ergeben, würde die Welt so viele Telefonvermittler brauchen, dass die Menschen praktisch keinem anderen Beruf mehr nachgehen könnten. Die Berechnungen waren korrekt, sie hatten nur ein entscheidendes Detail übersehen: 1960 besaß jeder längst sein eigenes Telefon.“ Gleich darauf zitierte Hockney Sam Goldwyn: „Es ist sehr schwer, Vorhersagen zu treffen, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.”

Trotzdem wird das gerne gemacht. Und die Vorhersagen sind meistens nicht so gut. Es geht dabei um Dinge wie den Klimawandel und das Verschwinden von Inselgruppen oder die Verschärfung lokaler und globaler Konflikte. Die Welt: kurz vor dem Untergang. Oder es geht um Szenarien wie das von Hockney beschriebene, die mit technischem Fortschritt zu tun haben. Die Welt: kurz davor, verrückt zu werden.
 
All diese Aussichten, egal ob Klimawandel oder Technisierung, machen den Menschen erst einmal Angst. Und dann fangen sie an zu hassen. Manche im Kleinen, indem sie zum Beispiel kulturpessimistisches Zeug brabbeln und dabei die drei Dauerbrennerbegriffe „früher”, „alles” und „besser” fallen lassen. Oder sich sozialen Netzwerken verweigern, außer YouTube, weil sie da Gary Turks Anti-Smartphone-Video „Look up” auf Dauerschleife anschauen können. Und manche auch im Großen, indem sie etwa auf die Straße gehen und Parolen brüllen, mit denen sie ganze Bevölkerungsgruppen verleumden.

Dabei ist der Hass auf die Zukunft völlig unlogisch. Weil gegenstandslos. Wie soll man denn bitteschön etwas hassen, das es noch gar nicht gibt? Angst haben davor, ja, das kann man durchaus, Angst hat ja oft damit zu tun, dass man nicht genau weiß, was kommt. Aber hassen kann man nur etwas, das schon da ist. Darum zielt der Hass auch gar nicht auf die Zukunft an sich, die ist zu abstrakt. Sondern auf Stellvertreter. Dinge, die sich noch weiterentwickeln. Menschen, die entscheiden oder in Bewegung sind. Smartphones, Google Glasses, Roboter. Gentechnik, Banker, Flüchtlinge. Ganz egal, Hauptsache jeder hat schon mal davon gehört, dann sind die Chancen größer, dass man mit seinem Hass nicht alleine ist und Mitstreiter gewinnen kann.

Warum die Menschen das tun, ist schnell erklärt: weil sie ihren eigenen Hass leichter ertragen als ihre eigene Angst. Denn das Dilemma ist ja, dass man feststeckt in der Gegenwart. Eingeklemmt zwischen Vergangenheit und Zukunft. Man kann weder vor noch zurück, da kann man schon mal Panik kriegen. Und anschließend wütend werden. Wie in einem Aufzug, der nicht mehr weiterfährt und man weiß nicht: Stürzt er jetzt ab oder geht es gleich weiter nach oben? Da fällt man erst in eine Schockstarre und dann trommelt man an die Tür und schreit „Holt mich hier raus, verdammt!”

Besser als die Zukunft zu hassen wäre es, man würde sich von David Hockney oder irgendwem, der das genauso gut kann, noch ein paar Anekdoten erzählen lassen. Das kann sehr tröstlich sein, weil es zeigt: Hat sich alles immer wieder eingerenkt. Weil man in den Prognosen etwas nicht mit eingerechnet hatte, was man nicht einrechnen konnte, weil es noch nicht da war. Man muss sich einfach darauf verlassen, dass es kommen wird. Wir zum Beispiel wissen noch nicht, was nach dieser Kolumne kommt. Aber irgendetwas wird es schon sein. 

Fünf Songs für die dritte Kalenderwoche

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And The Golden Choir – Dead End Street

http://vimeo.com/114279850


Ein schickes goldgerahmtes Indie-Album ist am Freitag rausgekommen, es entstammt einem Projekt namens "And The Golden Choir". Mal wieder so ein Name, den wir uns garantiert nie merken könnten – wenn sich dahinter nicht dieser doch sauschmissige Piano-Gospelpop verstecken würde. Eine Ein-Mann-Band aus Berlin, die jeden Shout-out wert ist!

Lady Lamb the Beekeeper – Billions of Eyes


https://www.youtube.com/watch?v=qMadelP88VA

Der Stimmungsaward für den Montagssong der Woche geht an diese Lady. Zeitgemäß schrullige Folkmusik mit Da-da-da-da-Refrain und einer Textzeile, die wir uns, wenn wir’s recht überlegen, demnächst eigentlich mal auf den Oberschenkel tätowieren könnten, so gut ist die: "I just want to fall into a pile of warm laundry"!

Marcel Gein – Marathon

https://www.youtube.com/watch?v=1QLmc03vQ5s

Der älteste Marathonläufer der Welt, so will es die Legende und der Plattenfirmen-Newsletter, war ein Hundertjähriger. Marcel Gein, den wir bisher genauso wenig kannten wie die Legende, hat dem alten Marathonläufer diesen kleinen Song gewidmet. Wir müssten jetzt lügen, wenn wir abstritten, dass in dieser Nummer etwas viel Befindlichkeit und Schmerzensmann-Attitüde mitsuppt. Sogar der Sänger selbst kündigte das Video auf Facebook mit dem Satz an: "Freunde der weinerlichen Musik!" Was wir dann aber wiederum so nett fanden, dass wir für ein paar Minuten gerne zu diesen Freunden gehören.

The Dø – Trustful Hands

https://soundcloud.com/thedo/trustful-hands/s-2kAWQ

Jaja, schon ein paar Monate her, dass das neue Album dieser Trendfranzosen bei uns rauskam. Nun ist es aber so, dass die Platte in diesen Tagen auch in Übersee veröffentlicht wird. Weshalb dort die Musikpresse plötzlich ganz wuschig diese Songs teilt und ulkige Mutmaßungen anstellt: Haben Phoenix hier vielleicht die Gitarrenspur beigesteuert und Giorgio Moroder wohl den Cosmic-Synthie? (Kommen doch schließlich auch aus Europa!) Leider weder noch. Trotzdem ein starkes Stück.

The Afghan Whigs – The Lottery

https://www.youtube.com/watch?v=FsTJf37tkEo

Diese Herren Alternativrocker sind ja ein bisschen an uns vorbeigealtert (Gründungsjahr ’86), weshalb sich dieser Song trotz seiner faktischen Neuheit in unseren Ohren so anhört, als hätte man ihn 1998 auf einer Grundig-Kassette im Handschuhfach gefunden. In dieser Liste ist er wegen des Videos: Die Band kam nämlich auf die schon ziemlich supere Idee, ihren eigenen Mischer mal dabei zu filmen, wie er Afghan-Whigs-Konzerte abmischt. Ein besseres Testimonial hätten sie nicht finden können, so und nicht anders sieht Leidenschaft für Musik aus, heute und in den Achtzigern und auf immer und ewig, Amen.

Tagesblog - 13. Januar 2015

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17:30 Uhr: Und damit blasen wir hier zum Rückzug. Schönen Abend, wir sehen uns morgen!

http://www.youtube.com/watch?v=rNdXezVKeOA

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17:25 Uhr:
Feierabend, sagt mein Schreibtischnachbar. Muss man sich auch mal was gönnen, sagt mein Schreibtischnachbar.





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16:15 Uhr:
Hier ein Lesetipp: Ein Wissenschaftler hat vor Jahren ein psychologisches System entwickelt, mit dem er es schaffte, dass sich zwei Menschen im Labor ineinander verlieben. Sie mussten sich gegenseitig 36 Fragen beantworten und sich danach vier Minuten in die Augen blicken. Zwei Probanden heirateten daraufhin. Eine Autorin der New York Times hat dieses Experiment nun nach einer Trennung selbst ausprobiert. Hat's geklappt? Lies mal diesen schönen Text!

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16:10 Uhr:
Schade. Hadi El-Dor hat den Boxkampf abgesagt. Ich schätze mal, er hat noch rechtzeitig unser Lexikon des guten Lebens gelesen.

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15:45 Uhr: Wenn ihr in Berlin wohnt und morgen Nachmittag noch nix vorhabt: Um 17 Uhr findet ein Jahrhundertfaustkampf statt. Zwischen Gangsta-Rapper Fler und Hadi El-Dor, dem Manager des 18-jährigen Rappers Sierra Kidd. Haben die beiden zumindest ziemlich verbindlich auf Twitter verabredet:

[plugin imagelink link="http://mitvergnuegen.com/wp-content/uploads/2015/01/Fler_vs__Hadi_El-Dor__Streit_eskaliert___Termin_zum_Einzelkampf____Spit-TV_de-3.jpg" imagesrc="http://mitvergnuegen.com/wp-content/uploads/2015/01/Fler_vs__Hadi_El-Dor__Streit_eskaliert___Termin_zum_Einzelkampf____Spit-TV_de-3.jpg"]

Irgendjemand hat daraus zum Glück einen Event auf Facebook gemacht, zu dem sich inzwischen mehr als 5.000 Zuschauer angekündigt haben. Empfiehlt sich also, früh da zu sein. Aber vielleicht verlegen sie's ja noch in die Max-Schmeling-Halle. 

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15:00 Uhr:
Das Lexikon des guten Lebens meldet sich zurück. Mit der Lösung für ein Problem, das unsere neue Powerpraktikantin Lucia neulich in die Konferenz schleppte: Sie wird immer so aggressiv in der U-Bahn, sagte sie. Muss man doch was gegen tun können. Also hat sie mit Anti-Aggressionstrainern gesprochen und erklärt hier, wie man gelassen wird und was das Wort "Achtsamkeit" damit zu tun hat.





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14:45 Uhr:
Übrigens, wo wir bei überraschenden Ähnlichkeiten sind:

[plugin imagelink link="http://i.kinja-img.com/gawker-media/image/upload/s--YIivpf8i--/c_fit,fl_progressive,q_80,w_636/dulq8fb7g8h1iwk5tp6g.jpg" imagesrc="http://i.kinja-img.com/gawker-media/image/upload/s--YIivpf8i--/c_fit,fl_progressive,q_80,w_636/dulq8fb7g8h1iwk5tp6g.jpg"] 

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13:30 Uhr:
Wir hatten heute eine junge Frau aus Hamburg zur Blattkritik bei uns. Nach dem Mittagessen hat sie uns beim Kaffeetrinken fotografiert. Wir sehen auf dem Bild aus wie eine Band, findet Jakob (Mitte). Und er sieht aus wie der Frontmann, findet Jakob. 

Hm.





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12:45 Uhr:
Was wir jetzt übrigens machen.

[plugin imagelink link="http://www.kappit.com/img/pics/201412_2027_iggch.jpg" imagesrc="http://www.kappit.com/img/pics/201412_2027_iggch.jpg"]
 

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12:00 Uhr:
Gute Nachrichten, lieber Kosmos. Es gibt sie noch, sogar in diesen empathielosen Zeiten voller Hass und Kaltschultrigkeit: aufopfernde Liebe, die einen auch mal im Anorak in einen Baggersee rennen lässt. 

http://www.youtube.com/watch?v=HwHETxDN0nM

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11:40 Uhr:
So, die Contentkanone ist geladen und gestopft - los geht's mit einem Gespräch darüber, wie man den Islam als Zeichnerin illustrieren kann. Alexandra Klobouk hat ein Buch über den Islam gezeichnet und mit Charlotte darüber gesprochen, an welchen Stellen sie sich fast zensiert hätte und warum sie Mohammeds Gesicht dann doch nicht abgebildet hat.




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9:40 Uhr:
Was übrigens so los ist heute Morgen:

- Es ist Dienstag, also reden alle über die Pegida-Demos von gestern Abend (in Dresden demonstrierten 25.000 Menschen, mehr denn je - Deutschlandweit waren es dafür 100.000 Gegendemonstranten)

- Das Cover der morgigen Ausgabe von Charlie Hebdo sieht so aus:

[plugin imagelink link="http://polpix.sueddeutsche.com/polopoly_fs/1.2301725.1421125922!/httpImage/image.jpg_gen/derivatives/860x860/image.jpg" imagesrc="http://polpix.sueddeutsche.com/polopoly_fs/1.2301725.1421125922!/httpImage/image.jpg_gen/derivatives/860x860/image.jpg"] (Darüber steht: "Alles ist vergeben")

- Ronaldo ist schon wieder Weltfußballer 

- Leonardo DiCaprio hat ein Selfie von 50 Cent und Naomi Campbell gephotobombt.

[plugin imagelink link="http://i.kinja-img.com/gawker-media/image/upload/s--yUS6OSYg--/gsjnisumqtgzqhtduno6.png" imagesrc="http://i.kinja-img.com/gawker-media/image/upload/s--yUS6OSYg--/gsjnisumqtgzqhtduno6.png"]

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9:00 Uhr:
Na, wen haben wir denn da? Guten Morgen, jetzt-Kosmos!

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"Der Terror ist die Bedrohung, nicht die Religion"

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jetzt.de: Alexandra, du hast 2012 das Buch „Der Islam für Kinder und Erwachsene“ illustriert. Wie fühlst du dich bei der aktuellen Diskussion?
Alexandra Klobouk: Wir dürfen uns keine Angst machen lassen, aber das gilt für Zeichner genauso wie für den Rest der Gesellschaft, Muslime eingeschlossen. Allerdings befinde ich mich auf der anderen Seite des Spektrums als Charlie Hebdo, weil es bei meinen Illustrationen zum Islam ja nicht um Provokation, sondern um Vermittlung geht. Ich will muslimische und nicht-muslimische Lesern neugierig machen und Grundlagen, die so vielleicht nicht bekannt sind, spannend vermitteln.

Haben Zeichnungen wie die von Charlie Hebdo den Spalt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen vertieft?
Zeichnung ist ja erstmal ein neutrales Mittel wie Text oder Musik. Zum einen glaube ich nicht, dass es sich bei muslimischen und beispielsweise konfessionsfreiem Leben um zwei Welten handelt - wir leben alle miteinander und beeinflussen uns gegenseitig und haben wesentlich mehr Eigenschaften als unsere Religionszugehörigkeit. Zum anderen denke ich nicht, dass die Zeichnungen zu einer Spaltung beigetragen haben, auch wenn sie bestimmt viele Gläubige verletzt haben. Was spaltet, ist dass Menschen über den Islam sprechen, wenn sie Terrorismus meinen.



Alexandra illustriert die Frage: Warum tragen muslimische Frauen Kopftuch?


Du kommst aus Regensburg und bist keine Muslima. Wie kam es, dass ausgerechnet du ein Buch über den Islam illustriert hast?

Während meines Studiums in Berlin ist mir aufgefallen, dass ich hier mit vielen türkischstämmigen Leuten zusammenlebe und trotzdem keine Ahnung von ihrer Kultur habe und teilweise auch unbewusste, schräge Vorurteile. Ich habe deshalb mein Auslandssemester in Istanbul gemacht, dabei konnte ich kaum Türkisch. Aber durch meine türkischen Freunde hatte ich das Glück, die Kultur sozusagen von innen heraus kennen zu lernen. Als ich zurück kam, haben mich viele gefragt, wie es denn in Istanbul für mich war, als junge Frau in einem muslimischen Land. So kam ich auf die Idee, meine Istanbul-Erfahrungen in einem Buch zusammenzufassen - um meinen persönlichen Einblick in die Kultur auch anderen zugänglich zu machen. Als das Buch rauskam, war Sarrazin mit seinen Thesen über Migration gerade sehr präsent, absurderweise habe ich davon profitiert, denn so wurde mein Buch als Gegenentwurf gesehen – eine junge deutsche Frau, die sich für die türkische Kultur begeistert. Eine Mitarbeiterin beim Beck-Verlag hatte zu diesem Zeitpunkt wiederum das Manuskript für ein Buch über den Islam vorliegen und dachte dann, ich wäre eine gute Illustratorin dafür.

An wen richtet sich das Buch?
Von Seiten der Autorinnen Lama Kaddor und Rabeya Müller, zwei liberalen Islamwissenschaftlerinnen, war das Buch für junge muslimische Leser gedacht, der Verlag aber wollte, dass es sich an jugendliche Leser jeglichen Glaubens richtet, deshalb ist auch Basiswissen über den Islam erklärt. Aus meiner Sicht ist es ein Buch, das in den Schulunterricht gehört, denn momentan ist nichts wichtiger, als dass die Leute endlich anfangen, miteinander zu reden – und zwar alle Seiten. Seit dem 11. September verbreitet sich eine latente Angst vor dem Islam. Blätter wie der Focus titeln jede zweite Woche zur „Bedrohung Islam“. Der Terror ist die Bedrohung, nicht die Religion. Auf der anderen Seite soll das Buch jungen Muslimen umfassende Informationen über die Quellen ihres Glaubens zu geben. Es zeigt die Aussagen in ihrem geschichtlichen Kontext und vermittelt die verschiedenen Interpretationen, damit sie sich mit ihrer Religion selbständig auseinandersetzen und ihre Meinung bilden können.



Alexandra Klobouk, 31, arbeitet als Illustratorin in Berlin. Die gebürtige Regensburgerin verarbeitete 2010 ihr Auslandssemester in Istanbul in ihrem ersten Buch "Istanbul, mit scharfe Sauce?", das von vielen Kritikern als Gegenentwurf zu den Anti-islamischen Thesen von Thilo Sarrazin gefeiert wurde. 2012 illustrierte sie das Buch "Der Islam für Kinder und Erwachsene", in Zusammenarbeit mit den Islamwissenschaftlerinnen Lamya Kaddor and Rabeya Müller.


Was ist denn die Haltung des Buches zum Islam?
Das Buch ist aus einer liberalen muslimischen Warte heraus geschrieben. Die Autorinnen sind frauenrechtlich engagiert und diskussionsfreudig und vermitteln den Ansatz, dass es nicht eine einzigwahre Auslegung des Glaubenssätze gibt. Stattdessen wird jeder Muslim dazu aufgerufen, den Islam für sich selbst zu interpretieren.

In dem Buch werden auch heikle Themen angesprochen – die Rolle der Frauen, Islamismus, Homosexualität. Hast du dir beim Illustrieren dieser Themen Gedanken gemacht, ob das später Probleme verursachen könnte?
Mir war es wichtig, mich in den Darstellungenformen nicht beschneiden zu lassen. Ich arbeite viel mit Witz. Weil das Lesen Spaß machen muss. Und weil er es möglich macht, an Grenzen zu rütteln. Aber in diesem Kontext war es mir auch wichtig, niemanden zu verletzen. Es hilft nicht, jemanden vor den Kopf zu stoßen, mit dem man ins Gespräch kommen möchte. In dem Buch gibt es beispielsweise eine Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot im Islam. Laut den Autorinnen findet sich kein konkretes Bilderverbot im Koran. Trotzdem gibt es Überlieferungen, nach denen - je nach Interpretation - bestimmte Dinge nicht dargestellt werden sollen. Deshalb wird das Gesicht Mohammeds auf islamischen Darstellungen oft verschleiert oder nicht gezeigt. Darüber haben wir diskutiert und uns dafür entschieden, sein Gesicht nicht abzubilden. Trotzdem wollte ich kein Tabu platzieren. Deswegen ist das Gesicht nicht verschleiert, sondern verschwindet zum Beispiel wie zufällig gerade hinter einem Ast.



 Paradies und Hölle im Islam.


Du sagst, du willst niemanden vor den Kopf stoßen. Fandest du die Zeichnungen von Charlie Hebdo dann angemessen?
Charlie Hebdo ist Satire und Satire muss beißen. Meinungsfreiheit ist eine unserer größten Errungenschaften. Das heißt nicht, dass ich alles gut finde, was im Rahmen der Meinungsfreiheit so geäußert wird. Dass zum Beispiel Pegidas im 25.000-er Pack durch Dresden ziehen, um für die Idiotisierung des Abendlandes zu werben, geht mir ganz gehörig gegen den Strich.

Gab es denn überhaupt kritische Reaktionen auf deine Bücher?
Nein, es gab eigentlich ausschließlich positive Reaktionen. Insbesondere von Türkischstämmigen habe ich viel positives Feedback bekommen. Türkische Kultur war in Deutschland lange Zeit selten in einem positiven Kontext wahrgenommen worden, das hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise etwas verändert. Auch Bedenken, dass es wegen der Illustration zum Islam für Kinder negative Reaktionen geben könnte, waren unbegründet.

Würde das Islam-Buch jetzt erst rauskommen – würdest du es anders illustrieren?
Ich habe mir ja vorher auch schon Gedanken gemacht und würde somit genauso arbeiten.Die Angst vor Attentaten ist sehr diffus – die Wahrscheinlichkeit ist vermutlich so hoch, wie an einem Papierschnitt zu sterben. Aber man muss vorsichtig sein, sich nicht von der Paranoia anstecken zu lassen und überlegt schon, welche Aussage vielleicht wen stören könnte. Deshalb achte ich jetzt mehr darauf, ob ich mich vielleicht doch präventiv zensiere – denn mir selber den Mund verbieten möchte ich auf keinen Fall.

Wie werde ich gelassener?

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Es gibt sie, diese Tage, an denen man sich fragt, warum man nicht einfach zu Hause geblieben ist, am besten unter der Bettdecke. Man hat verpennt. Für Frühstück oder Dusche reicht es nicht, man rennt zur U-Bahn, die einem die Türen vor der Nase zuhaut. Es regnet. Man quetscht sich in die nächste Bahn, sie ist überfüllt, die Scheiben beschlagen, es riecht nach Schweiß und nassem Hund. Menschen treten einem auf den Fuß. Menschen drücken einem ihre Taschen und Schirme in die Seite. Menschen reden zu laut über anstrengende Themen. Menschen riechen, zu streng oder zu parfümiert. Die U-Bahn bleibt stecken. Die Luft wird dicker, der Sauerstoff weniger. Mitmenschen können anstrengend sein.

Ärger steigt auf. Hass auf die Menschen um einen herum. Man ist genervt davon, dass man ärgerlich und immer gereizter wird und gerade gerne laut herumschreien würde. Dabei sieht man sich selbst doch viel lieber als entspannter und friedfertiger Mensch. Man weiß auch, dass die Wut auf die anderen weder etwas bringt noch gerechtfertigt ist. Aber wie wird man sie los? Wie bleibt man gelassen, wenn Alltagskleinigkeiten bis zum Ausrasten nerven?

Ärger oder Wut sind Basisemotionen des Menschen. Also ein Grundgefühl, das kulturübergreifend ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Existenz ist.

Ich frage den Sozialpädagogen Andreas Sandvoß. Sandvoß ist Anti-Aggressivitäts-Trainer, Coolness-Trainer, Dozent und Geschäftsführer des Zentrums für Konfrontative Pädagogik. Er meint, dass Ärger vor allem dann aufkommt, wenn sich eine Person hilflos oder gescheitert fühlt. In dem Beispiel beginnt der Tag also vielleicht schon mit einem leichten Gefühl des Scheiterns, da ich verpennt habe. Dass ich in der U-Bahn mit all diesen Menschen gefangen bin, lässt mich hilflos fühlen.

Zum allgemeinen Umgang mit Ärger rät er: „Feststellen was ärgerlich macht. Dieses dann entweder vermeiden oder sich einen geeigneten (nicht-aggressiven) Umgang damit aneignen. Konfliktmanagement lernen.“ Im Beispiel mit der Bahn wäre eine Möglichkeit, in Zukunft ein anderes Verkehrsmittel zu wählen, wenn man es dort einfach nicht aushält oder zu versuchen, besser in den Tag zu starten. Oder eben: In der U-Bahn bleiben, tief durchatmen, Kopfhörer aufsetzen, entspannte Musik hören, bis es weitergeht. Zum Beispiel.

Ein gewisses Ausmaß an Ärger sei sowieso normal, das kenne jeder Mensch, meint Sandvoß. Pathologisch werde es dann, „wenn nichts mehr Freude bereitet. Wenn alle alltäglichen Begegnungen und Vorkommnisse nur noch Ärger auslösen.“ Dann müsse professionelle Hilfe her, etwa in Form einer Therapie oder besagten Trainings.

Wichtig sei auch, wie man in die Welt tritt. Erwarte ich Missgunst von außen, könne das zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen: Ich erwarte Unangenehmes, zum Beispiel Ablehnung von meinen Mitmenschen, trete also misstrauisch nach außen und rückgemeldet bekomme ich – welch Wunder – Unangenehmes. Vielleicht also versuchen, in der Bahn nicht ganz so böse vor sich hinzustarren, sondern offen zu bleiben, ob vielleicht der eine oder andere um einen herum doch eigentlich ganz in Ordnung sein könnte.

Als weitere Möglichkeit bieten buddhistische Traditionen mit dem Konzept der Achtsamkeit (engl.: mindfulness) eine Alternative zwischen Ausrasten und Herunterschlucken des Ärgers. In vielen Studien wurde gezeigt, wie hilfreich dieses Prinzip zur Emotionsregulation, so auch zur Regulation von Ärger, ist. Immer häufiger werden Achtsamkeitstrainings daher in Psychologie, Pädagogik, aber auch in alltäglichen Kontexten eingesetzt.

Achtsamkeit
ist eine bestimmte Art der Aufmerksamkeit, in der es darum geht, seine Wahrnehmung absichtsvoll auf den gegenwärtigen Moment zu richten, das Innen und Außen genau wahrzunehmen, das Wahrgenommene aber nicht zu bewerten. Sie besteht, kurz gesagt, aus Präsenz und Akzeptanz. Es ist also wichtig, die Emotion (Ärger) zwar wahrzunehmen, nicht aber zu bewerten („Ich sollte mich nicht immer so ärgern“), sondern zu akzeptieren („Ich bin jetzt eben sauer“).

Wenn man in sich hineinfühlt, wo der Ärger sitzt, wie er sich anfühlt, wird man bemerken, dass die Emotion an sich keine schlimmen Konsequenzen hat und sich nach einer gewissen Zeit meistens auch einfach von selbst wieder verzieht. Übertragen auf das Beispiel hieße das dann: Ich bleibe in der U-Bahn, atme einmal tief durch, fühle in mich hinein und „betrachte“ mein Ärgergefühl, ohne davon auch noch genervt zu sein. Und dann geht es bestimmt auch bald wieder weiter.

Achtsamkeit hat man entweder von Natur aus, oder man kann sie lernen. Mit der Zeit gelangt man dadurch zu einer besseren Selbsteinschätzung und durchschaut viel schneller, was einen wann und warum sauer macht und was man dagegen tun kann.

Unsere Autorin Lucia Heller versucht nun, die ganzen guten Tipps gegen Ärger zu beherzigen. Sie rastet auch nur noch selten in der U-Bahn aus
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Fünf Tipps zum Umgang mit Ärger:

1. Versuche feststellen, was genau dich eigentlich ärgerlich macht. Wenn Ärger aufkommt, hole tief Luft und versuche, einen klaren Kopf zu bewahren. Dann kläre einige Dinge vorab. Entscheide, ob der Gegenstand des Ärgers etwas ist, das du ändern kannst, oder nicht. Wenn du es ändern kannst, versuche es zu ändern.

2. Ist es etwas, das du mit anderen aushandeln musst? Wenn ja, trete in Kontakt. Überlege dir genau, was du eigentlich mitteilen willst, versuche dabei sachlich zu bleiben.

3. Wenn es nicht zu ändern ist, versuche es entweder zu vermeiden oder, besser noch, zu akzeptieren (siehe 5.).

4. Schlucke den Ärger nicht einfach runter. Dauerhaft unterdrückte Wut kann krank machen und zu psychosomatischen Erscheinungen führen. Überspitzt gesagt, kann zuviel „Wut im Bauch“ auf lange Sicht sogar zu Magengeschwüren und Ähnlichem führen.

5. Achtsam werden. Versuche, die Emotion (Ärger) zwar wahrzunehmen, nicht aber zu bewerten („Ich sollte mich nicht immer so ärgern“), sondern zu akzeptieren („Ich bin jetzt eben sauer“). Das gilt übrigens für alle Emotionen.

Europa rüstet gegen den Terror

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München – Nach den Terroranschlägen in Frankreich suchen die europäischen Staaten jetzt nach einer Antwort auf die Gewalttaten. Die französische Regierung versucht, mit einem massiven Einsatz von Polizei und Armee weitere Attentate zu verhindern. Das Verteidigungsministerium in Paris verkündete am Montag, 10000 Soldaten zum Schutz von Bürgern und Gebäuden einzusetzen, so viele wie selten zuvor im Inland. Außerdem stellt die Regierung 4700 Polizisten und Gendarmen zur Verfügung, um jüdische Schulen und Synagogen zu bewachen, die als besonders gefährdet gelten.



Bundesamt für Verfassungsschutz. Nach den Anschlägen in Frankreich will auch Deutschland die Terrorbekämpfung vorantreiben.


„Die Bedrohung bleibt, und wir müssen uns vor ihr schützen“, sagte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian nach einer Kabinettssitzung. Premier Manuel Valls versprach mehr Geld für die Geheimdienste und wirksamere Abhörmaßnahmen. Zugleich kündigte er an, islamistische Gewalttäter in den Haftanstalten von anderen Gefangenen zu isolieren. Zwei der drei Terroristen, die in der vergangenen Woche bei einem Doppelschlag der Sicherheitskräfte getötet wurden, standen in ihrer Haftzeit in Kontakt miteinander. Die Ermittler arbeiteten mit Hochdruck an der Aufklärung der Taten, die mit dem Überfall auf die Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo begannen. Die französische Regierung vermutet, dass die Täter einen oder mehrere Komplizen hatten, die jetzt gesucht werden. Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments soll zudem klären, warum die Geheimdienste die drei militanten Islamisten nicht besser überwacht hatten.

Vertreter der konservativen Opposition verlangten, Frankreich müsse nach dem Vorbild des amerikanischen Patriot Act Ausnahmegesetze gegen den Terror erlassen. Der britische Premierminister David Cameron forderte am Montag die Sicherheitsdienste des Landes auf, sich besser auf ähnliche Terroranschläge wie in Frankreich vorzubereiten.

Das Bundesinnenministerium kündigte an, dass die Innenminister der EU den Austausch von Informationen über so genannte Gefährder deutlich verbessern wollen. Das solle auch für Fluggastdaten gelten, hieß es weiter. Zu diesem Zweck werden sich die EU-Staaten um einen Kompromiss mit dem Europäischen Parlament bemühen. Dieses hatte den Austausch aus Datenschutzgründen zuletzt abgelehnt.

In Deutschland will die Bundesregierung die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung vorantreiben. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte am Montag, er werde noch im Januar ein Maßnahmenpaket vorlegen. Dabei geht es um Reisebeschränkungen für potenzielle dschihadistische Kämpfer sowie strengere Strafandrohungen für die Terrorismusfinanzierung. „Es wird ein neues Gesetz geben, um bereits die Ausreise von Dschihadisten unter Strafe zu stellen“, sagte Maas. Zudem will Maas einen Straftatbestand Terrorismusfinanzierung schaffen, der auch bereits Kleinbeträge erfassen soll. Beide Gesetzesänderungen hatte Maas schon im Oktober angekündigt.

Das Kabinett will am Mittwoch außerdem beschließen, dass radikalen Islamisten künftig der Personalausweis abgenommen werden kann, um sie an der Ausreise in Kampfgebiete wie Irak oder Syrien zu hindern. Der Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht vor, Dschihadisten für bis zu 18 Monate ein Ersatzdokument auszustellen. Darin soll ausdrücklich der Vermerk enthalten sein, dass dem Inhaber eine Ausreise aus Deutschland verboten ist. Wie es aus Koalitionskreisen hieß, denkt die Regierung auch daran, die Mittel für Ausstattung und Personal der Sicherheitsbehörden zu erhöhen.

Nichts Strafbares im Hamam

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Kairo – Ein Gericht in Ägyptens Hauptstadt Kairo hat 26 Männer in erster Instanz freigesprochen, die wegen „sexueller Ausschweifungen“ angeklagt waren. Das meldeten am Montag staatliche Medien unter Berufungen auf Quellen im Gerichtssaal.

Die Polizei hatte Anfang Dezember ein Badehaus im Stadtteil Asbakeja gestürmt, nachdem offenbar eine Reporterin des regimenahen Privatsenders al-Kahera wal-Nas die Besucher bei der Staatsmacht denunziert hatte, sie würden in dem Hamam „homosexuelle Orgien“ feiern.
Die Razzia hatte international, aber auch in Ägypten Empörung ausgelöst, weil die Männer vor laufender Kamera halbnackt abgeführt wurden und der Sender dies ausstrahlte, ohne die Beschuldigten unkenntlich zu machen – und so in Kauf nahm, ihr Leben und soziales Umfeld zu zerstören.



Reaktion eines Angeklagten in Kairo, nachdem das Gericht 26 Männer freigesprochen hatte, die gegen das Sittlichkeitsgesetz verstoßen haben sollen


Man habe „die schlimmste Höhle der Gruppen-Perversion im Herzen Kairos ausgehoben“, schrieb die Reporterin stolz auf Facebook. Die Männer seien „alle auf frischer Tat ertappt und verhaftet worden“. Belege für strafbares Verhalten konnte sie nicht vorweisen – und nun auch das Gericht nicht erkennen. Bei den Ermittlungen wurden die Männer medizinisch getestet, ob sie Geschlechtsverkehr miteinander hatten. Dies kritisieren Menschenrechtler als Verstoß gegen das Recht körperlicher Unversehrtheit und die Anti-Folter-Konvention.

Homosexualität ist in Ägypten nicht verboten, wohl aber gibt es einen Gummiparagrafen in einem Sittlichkeitsgesetz von 1961, der „sexuelle Ausschweifungen“ unter Strafe stellt. Bei einer Verurteilung hätten die Männer mit mehrjähriger Haft rechnen müssen und wären der Gefahr von Misshandlungen im Gefängnis ausgesetzt gewesen. In den vergangenen Monaten gab es mehrere Verfahren gegen Schwule, was Menschenrechtler als breiter angelegte Kampagne werteten. Die Verfolgung verschärfte sich nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär im August 2013.

EndeDezember hatte ein Berufungsgericht in Kairo acht Ägypter wegen einer angeblichen Homosexuellen-Hochzeit zu je einem Jahr Haft verurteilt. Damit senkte das Gericht das Strafmaß, hielt aber den Schuldspruch aufrecht. In erster Instanz wurden die Männer im November wegen „Anstachelung zu unsittlichem Verhalten“ zu drei Jahren verurteilt. Sie waren im September verhaftet worden, nachdem im Internet ein Video aufgetaucht war, in dem die Männer bei der angeblichen Zeremonie auf einem Boot auf dem Nil zu sehen waren. Sie beteuerten, es sei lediglich ein Scherz gewesen. Gesellschaftlich ist Homosexualität in Ägypten noch immer geächtet; die Mehrheit der Muslime wie der koptischen Christen ist konservativ.

Eine US-Umfrage ergab 2013, dass nur drei Prozent der Ägypter finden, Homosexualität sollte akzeptiert werden. Menschenrechtler kritisieren, die Regierung unterdrücke und kriminalisiere nicht nur Opposition, sondern jedes abweichende Verhalten. Neben Homosexuellen wurden jüngst immer wieder Atheisten verfolgt. Auch in diesen Fällen berichteten Medien ohne Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.

„Ein kleines Eigentor“

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Seite an Seite marschierten am Sonntag Vertreter von Regierungen aus aller Welt durch Paris – gemeinsam mit 1,5Millionen Normalbürgern. Ein Zeichen für die Pressefreiheit wollten sie setzen. Bei genauerem Hinschauen war es dann aber doch erstaunlich, wer sich da alles eingehakt hatte. Der türkische Ministerpräsident zum Beispiel – dabei saßen 2013 in keinem anderen Land der Welt mehr Journalisten im Gefängnis als in der Türkei. Oder der Außenminister von Bahrain: Auf der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation Reporter ohne Grenzen Jahr für Jahr aufstellt, rangierte das Land zuletzt auf Platz 163 von 180. Christian Mihr ist der Geschäftsführer der Organisation.



Staatschefs beim "Marche Republicaine" am Sonntag in Paris


SZ: Über wen haben Sie sich am Sonntag am meisten gewundert?


Christian Mihr: Ach, da gab es eine lange Latte von überraschenden Kandidaten. Der türkische Premier natürlich, aber auch der russische Außenminister. Dabei mussten sich in Moskau in den vergangenen Tagen Aktivisten, die auf der Straße ein Schild mit „Je suis Charlie“ hochgehalten haben, wegen einer Ordnungswidrigkeit verantworten. Darum ist es auch so wichtig, nicht nur an die Solidarität mit Charlie Hebdo zu denken. Man muss sich klarmachen, dass es noch ganz viele andere Charlies auf dieser Welt gibt, wenn man so will. Pressefreiheit ist nicht selbstverständlich, nicht einmal bei uns in Europa.

Was glauben Sie, warum geht jemand dort mit, der es im eigenen Land selbst nicht so genau nimmt mit der Pressefreiheit?


Gute Frage, ich kann da auch nur spekulieren. Ich bin aber davon überzeugt, dass diese Regierungen sich das vorher sehr gut überlegt haben. Das war sicher keine emotionale Übersprungshandlung vor lauter Rührung nach dem Attentat. Sicher dachten einige Regierungen, dass sie so an schöne PR-Bilder kommen können.

Klingt so, als zweifelten Sie an dem Erfolg dieser Maßnahme.


Wenn die Regierungen diese Bilder jetzt haben, müssen sie sich ja auch an ihnen messen lassen. Charlie Hebdo ist ein Medium, das die Pressefreiheit durch seine radikale Form der Satire immer auch sehr radikal eingefordert hat. Wenn man jetzt für dieses Medium auf die Straße geht, muss man sich auch Zuhause an vorderster Front für die Pressefreiheit einsetzen. Sonst werden die schönen PR-Bilder sehr schnell sehr unglaubwürdig. Insofern hat sich der ein oder andere, der am Sonntag in Paris mitgelaufen ist, vielleicht ein kleines Eigentor geschossen.

Weil sich jetzt auch Aktivisten in den Heimatländern auf dieses Bekenntnis berufen können?


Genau.

Könnte doch auch sein, dass die Ereignisse der vergangenen Tage wirklich bei manchem zu einem Umdenken geführt haben.


Ich würde es mir natürlich wünschen, dass in der Türkei oder den Emiraten oder in Russland die Pressefreiheit auf einmal hochgehalten wird. Aber das ist ein frommer Wunsch, ich glaube nicht daran.

Telefonterror

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Wenn mein Telefon klingelt, ist das für mich immer, wie wenn jemand ohne anzuklopfen in mein Zimmer läuft. Vielleicht sogar in mein Badezimmer. In der Arbeit zu telefonieren, ist dagegen irgendwie okay. Ich habe ja mit einem Vertrag eingewilligt, dass ich an einem bestimmten Ort und unter einer bestimmten Nummer erreichbar bin. Alle anderen Anrufe sind mir bis auf seltene Ausnahmen zuwider. Und mir ist es völlig egal, dass ein klassischer Anruf einfacher ist und unmissverständlicher und schneller und bla. Ich hasse Telefonieren einfach.

Das ist sicher seltsam, aber wenigstens bin ich nicht alleine seltsam. Dank SMS, diversen Messengern, Skype und Emails sank in den vergangenen Jahren die durchschnittliche Zeit, die wir telefonierend am Telefon verbrachten, immer mehr. Damit könnte bald Schluss sein. „Wir werden unser Telefon ... zum Sprechen benutzen“, schrieb das Online-Magazin Matter eben in seiner optimistischen Jahresvorschau„Why 2015 won’t suck“. Wir sprechen bald also wieder in unsere Telefone, wenn auch anders, nicht zum Telefonieren im klassischen Sinn. Ich atmete kurz auf nach dieser Zusatzinformation. Doch es wird viel schlimmer!

Derzeit erscheinen immer mehr Apps, mit denen man sich gegenseitig Audioaufnahmen schicken kann. Mit denen man nicht mehr schlampig weil eilig „Komme 10 minzuten später“ ins Handy tippen muss, während man zur U-Bahn läuft und versucht, nicht auf der Treppe zu stolpern. Sondern einfach ins Smartphone spricht: „Hey, sorry, der Bus kam nicht, jetzt muss ich die U-Bahn nehmen und komme zehn Minuten zu spät. Wir sehen uns gleich!“ Apps, mit denen man ein Lied singen und es aufnehmen und verschicken kann. Oder eine ironische Bemerkung, die als Text haufenweise Smileys oder Emojis bräuchte, um am Ende auch wirklich richtig verstanden zu werden.

„Die nächste Welle digitaler Kommunikation“

Apps wie Zello, Chitchat , Cord und Voxer sollen unser Kommunikationsverhalten revolutionieren. Dem Technikportal The Verge zufolge sind Audio-Nachrichten „die nächste Welle digitaler Kommunikation“. Thomas Gayno and Jeff Baxter, die Gründer von Cord, sind zwei ehemalige Google-Mitarbeiter, was in der Szene so viel heißt wie: Das wird was.

Mit den Apps kann man mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand, begrenzt oder unbegrenzt lange Audio-Botschaften versenden. Zum Teil werden die Nachrichten abgespielt, ohne dass man auf „Play“ drückt. Manche Apps löschen die Nachrichten nach dem Anhören oder nach einer bestimmten Zeit. Auch Apple hat im neuen iPhone-Betriebssystem eine solche Funktion, genau wie der Facebook-Messenger, Whatsapp, Skype und SIMSme, der Messenger der Deutschen Post.

Nun hat das gesprochene Wort schon Vorteile. Lange Nachrichten zu tippen, so groß die Smartphone-Displays auch sind, macht keinen Spaß. Gesprochen kann man alles viel schneller mitteilen. Ausführlicher auch, weil das Tippen ja nicht so nervt. Wenn man Auto fährt und nicht tippen darf und vor allem nicht wirklich tippen kann, könnte man die Einkaufsliste einfach einsprechen und verschicken. Oder wenn es um Ironie geht, um das, was viele zwischen den Zeilen halt doch nicht herauslesen. Alle wären netter, weil man sich halt doch mehr schreiben als sagen traut. Dialekt müsste man nicht umständlich auszuschreiben versuchen. Und wir haben eh schon genug Text im Leben und sind so technik-übersättigt, dass uns ein bisschen menschliche Nähe, wenn auch nur transportiert über eine Stimme, gut tut. „Stimme ist ein Weg der Kommunikation, der authentisch menschlich ist“, sagte der Zello-Mitgründer Bill Moore. „So viele Menschen sind heute isoliert, weil sie so viel Zeit im Internet verbringen.“

In bestimmten Situationen kann es sicherer sein, Informationen nicht auszuschreiben, weil sie in gesprochener Form zumindest schwieriger sortier- und zurückverfolgbar sind. Zello zum Beispiel wurde im Krieg in der Ukraine viel benutzt: Mit der App hätten die Menschen einander vor Luftangriffen gewarnt, sagte der Mitgründer Alexey Gavrilov, die Push-to-Talk-Funktion macht ein Smartphone quasi zu einem Walkie Talkie. Außerdem werden damit Proteste organisiert, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Venezuela, Thailand und in der Türkei, weil gesprochene Informationen nicht so leicht gefunden werden wie ein Austausch auf Twitter oder andere Plattformen. Manchmal mögen die Audio-Messages unsere Kommunikation ergänzen. Am Ende sind sie aber doch nichts anderes als Anrufbeantworternachrichten, nur dass einen das Gesagte nicht ganz so überrascht, weil man vorher weiß, wer die Botschaft eingesprochen hat, und entscheiden kann, ob man sie hören möchte oder nicht. Und ohne 30 Sekunden Mailbox-Standardtext, den man vor der eigentlichen Nachricht anhören muss.

An der unangenehmen Eigenart der Anrufbeantworterbesprechens, dass man eine Art Selbstgespräch ohne Feedback führt, ändert sich nichts. Darum dürften die Audio-Files hoffentlich am Ende ähnlich unbeliebt sein wie Mailbox-Nachrichten, die jetzt schon fast nur noch unsere Eltern hinterlassen. Oder unbeliebter. Bei vielen Apps werden die Audio-Dateien nämlich im Nachrichtenverlauf gespeichert und das Gestammel zwischen Haustür und U-Bahn auf ewig konserviert. Dann telefoniere ich doch lieber. 


Tagesblog - 14. Januar 2015

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18:45 Uhr: Wie ihr in den Kommentaren schon lesen könnt, dranbleiben lohnt sich. Es kommt noch ein neuer Text. Und ein Astronautenvideo! Bis dahin habe ich noch was Feines für euch: ziemlich kitschige Taikonauten-Propagandaposter aus China.

[plugin imagelink link="http://chineseposters.net/images/e15-478.jpg" imagesrc="http://chineseposters.net/images/e15-478.jpg"](Quelle; via)

Vielen Dank, Internet, für solche Schätze, und Simon, fürs Weiterleiten!

+++

18:09 Uhr:
Das Bild der Staatschefs eingehakt beim Trauermarsch in Paris kennt ihr sicher. Das sah ja eigentlich so aus:

[plugin imagelink link="http://media1.faz.net/ppmedia/video/4157554272/1.3368311/article_multimedia_overview/vor-dem-trauermarsch-in-paris-maennliche-und-weibliche-politikerinnen-wie-sie-fuer-das-foto-wirklich-beisammen-standen.jpg" imagesrc="http://media1.faz.net/ppmedia/video/4157554272/1.3368311/article_multimedia_overview/vor-dem-trauermarsch-in-paris-maennliche-und-weibliche-politikerinnen-wie-sie-fuer-das-foto-wirklich-beisammen-standen.jpg"](Quelle)

In den ultraorthodoxen Zeitungen Hamodia und Hamevaser aus Israel erschien das Foto allerdings so:

[plugin imagelink link="http://media0.faz.net/ppmedia/aktuell/politik/3122722840/1.3368292/article_multimedia_overview/gruppenbild-ohne-damen-so-erschien-das-foto-in-ultraorthodoxen-zeitungen.jpg" imagesrc="http://media0.faz.net/ppmedia/aktuell/politik/3122722840/1.3368292/article_multimedia_overview/gruppenbild-ohne-damen-so-erschien-das-foto-in-ultraorthodoxen-zeitungen.jpg"](Quelle)

Alle Frauen wurden rausretuschiert, was für viele Diskussionen sorgte.

Als Reaktion darauf veröffentlichte die irische Satireseite Waterford Whispers eine eigene Version des Bildes: ohne Männer. Und leider auch ohne die Schweizer Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Schade, sonst hätte ich nochmal Jakobs "cooler Move" zitieren müssen.


+++

17:47 Uhr:
Und gleich noch ein Hinweis aus den Kommentaren (Danke erneut, JosephineKilgannon!), den ich vorher auch schon weitergeben wollte: Die TU Dresden hat nach einer Umfrage unter Pegida-Demonstrationsteilnehmern das Profil eines klassischen Anhängers der Bewegung entworfen. Das Ergebnis überrascht mich nicht besonders, so habe ich das auch auf den Fotos der Demos wahrgenommen: Die Pedigisten (sagt man so?) sind ungefähr 48 Jahre alt, männlich, aus der Mittelschicht, gut ausgebildet und berufstätig. Mehr dazu steht bei den Kollegen von SZ.de. 

+++

17:32 Uhr:
Wir sind wieder da. Entschuldigt bitte die lange Pause. Und ich muss chocolatecat Recht geben. Den Aufstand gegen die Salamisierung des Abendbrots muss ich hier unbedingt noch zeigen. Danke für den Hinweis!

[plugin imagelink link="http://www.schleckysilberstein.com/wp-content/uploads/2015/01/6833_d8a4.jpeg" imagesrc="http://www.schleckysilberstein.com/wp-content/uploads/2015/01/6833_d8a4.jpeg"](via)

+++

15:58 Uhr:
Gleich sind wir alle nochmal in einer Konferenz, drum wird es gleich etwas ruhiger, bevor ich mich mit nochmal mit Neuem melde.

Bis dahin könnt ihr euch ja schon mal die neue Snowden-Doku in der Mediathek anschauen, die gerade im Fernsehen lief (wer sie am Montag wie ich verpasst hat) und Bescheid geben, wie sie ist. Ich hab sie mir für heute Abend aufgehoben. 

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15:12 Uhr:
Anschläge sind also out. Genauso out wie Falschmeldungen über einen Schlagerdings und ein Handy im Schnee. 



Ich überlege noch, ob man da jetzt lachen darf. Oder sollte.

(Quelle: @MarioGrabner, via SZ Magazin)

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14:53 Uhr: 

[plugin imagelink link="http://kleinerdrei.org/wp-content/uploads/2015/01/kleinerdrei-beutel.jpg" imagesrc="http://kleinerdrei.org/wp-content/uploads/2015/01/kleinerdrei-beutel.jpg"]

Das wunderbare Magazin Kleinerdrei hat übrigens Geburtstag. Zwei Jahre gibt's euch schon wieder. Herzlichen Glückwunsch!, sag ich auf diesem Weg. Und danke für die vielen tollen Geschichten!

+++

14:28 Uhr:
Shahak Shapira wurde am Neujahrsmorgen in Berlin verprügelt, nachdem er antisemitische Gesänge gefilmt hatte. Er befeuert nach dem Vorfall aber nicht die Antisemitismus-Debatte, sondern diskutiert lieber darüber, auch mit Muslimen. Zum Beispiel gestern Abend. Charlotte war dabei und hat für uns sehr lesenswert zusammengefasst, wie es war. 



Shahak Shapira (Foto: Charlotte Haunhorst)

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13:45 Uhr:


Simon schickt mir eben einen Link zu diesen tollen Fotos. Und ich muss ihm zustimmen, ich mag auch dieses im Stil von Piet Mondrian am liebsten:

[plugin imagelink link="http://laughingsquid.com/wp-content/uploads/2015/01/food-classics-tanya-shkondina5-940x940-750x750.jpg" imagesrc="http://laughingsquid.com/wp-content/uploads/2015/01/food-classics-tanya-shkondina5-940x940-750x750.jpg"](Quelle)

Dalí, van Gogh und Picasso sind aber auch ziemlich gut. Das wär doch auch mal was für "Your Task Today"?

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13:14 Uhr:
Hier kommt noch ein bisschen News-Stoff:

* In vielen Kiosken in Frankreich war heute Morgen die neue Ausgabe des Satiremagazins Charlie Hebdonach nach kurzer Zeit ausverkauft.

* Heute ist ein Bekennervideo dazu von Al Kaida aufgetaucht. Es ist noch unklar, ob es echt ist.

* In Dresden, wo die islamkritische Bewegung Pegida den stärksten Zulauf hat, wurde die Einrichtung eines Asylbewerberheims verhindert. Nachtrag (danke, JosephineKilgannon): Außerdem wurde in der Stadt ein Flüchtling aus Eritrea tot aufgefunden, die Umstände seines Todes sind noch unklar.

* Und weil ich eine Schwäche für Agentengeschichten habe: Im Sommer wurde ein Doppelspion beim BND enttarnt, nun wurde öffentlich, dass er wohl eine Liste mit 3500 Agenten-Namen gestohlen hat.

* Und weil ich eine Schwäche für die Raumfahrt habe: Im US-Segment der Internationalen Raumstation ist Ammoniak ausgetreten. Die beiden US-amerikanischen Astronauten an Bord sind im russischen Teil der ISS in Sicherheit

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12:44 Uhr:
Ihr müsst dringend mal ins Label "Yourtasktoday" sehen. Die neue Herausforderung lautet: Be a berühmtes Foto. Und die Ergebnisse sind sehr lustig! 

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ap/apollyon/text/regular/1033212.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ap/apollyon/text/regular/1033212.jpg"](Quelle: apollyon)

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12:13 Uhr: 


"Mein Bruder,


mein Bruder, wenn Du wüsstest, wie schlecht ich mich heute fühle für Dich, Dich und Deine schöne Religion, die so beschmutzt, gedemütigt, beschuldigt wurde."



Der französische Regisseur Luc Besson schrieb auf Facebook einen unglaublich rührenden offenen Brief an seinen muslimischen Bruder nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo. Die Kollegen von den Krautreportern waren so lieb und haben eine Übersetzung online gestellt. Unbedingt lesen!

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11:52 Uhr
: Habt ihr vielleicht schon gesehen:



Naina ist 17, Schülerin und hat das vor ein paar Tagen getwittert und (erstaunlicherweise, aber das Thema funktioniert anscheinend immer) eine Diskussion ausgelöst. Es ist natürlich eine alte Frage: Was soll Schule, was muss Schule vermitteln? Steuern, Miete und Versicherungen gehören für mich jetzt nicht in die Schule, außer in die Berufsschule für Steuer- oder Versicherungsberater-Azubis. Ich bin sehr froh um die Sprachen, auch und besonders um Latein, die ich in der Schule gelernt habe. Für Physik, Gedichtinterpretationen und Stochastik. Wie ist das bei euch?

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11:25 Uhr: 
Wenn man selbst schon lange in einer Beziehung steckt, ist es nicht so leicht, Single-Freunde nach Flirts und One-Night-Stands zu fragen, ohne nach ihrer eigenen Großmutter zu klingen. Jakob versucht's trotzdem. Ein Glück für ihn und seine Freunde! Und er hat aufgeschrieben, wie. Glück für uns! 

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11:13 Uhr:

Dieses Foto wird im Internet gerade ziemlich gefeiert:

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/6qdJkRq.jpg" imagesrc="http://i.imgur.com/6qdJkRq.jpg"](Quelle)

Und was schreibt man jetzt, schreibe ich, zu diesem Bild? Ich weiß es nicht, also schreibe ich: cooler Move. Auch wenn Jakob dann bestimmt wieder sagt, ich hab ihm das geklaut. Oder: coolstes "Wir sind jetzt schwanger"-Foto aller Zeiten!

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10:54 Uhr:
Was für ne lange Konferenz! Heute zum erstem Mal mit Charlotte per Videokonferenz. Das erinnert mich, wie auch der leere Platz neben mir, wieder daran, dass sie viel zu weit weg ist.





Vielleicht sollte ich als kleinen Trost ja so was hier basteln:

http://www.youtube.com/watch?v=_bIoeBpSeU4

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09:55 Uhr:
Hier geht's ja gleich weiter mit Konferenz Nummer zwei. Damit es euch nicht langweilig wird, lasse ich euch den Link auf den tollen Tumblr "Wortschatzneulang" der tollen Sophie Servaes hier. Letzter Eintrag:



(Quelle)

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09:33 Uhr:
Bis Montag ist ja noch ein bisschen Zeit. Bis dahin könnt ihr schon mal diesen Song einstudieren:

http://soundcloud.com/yellowumbrella2/no-pegida-yellow-umbrella-ronny-trettmann-tiny-dawson

Puls hat mit dem Sänger Ronny Trettmann gesprochen. Ich erinnere an dieser Stelle gern an Jan Böhmermanns Pegida-Charts und: Montags sind sie immer da!

http://www.youtube.com/watch?v=LMz0ZbgMVBk

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09:16 Uhr:
Ich bin zurück aus der Konferenz mit einem Nachtrag zu 08:17 Uhr, genauer einem Link-Tipp. Die Welt hat sich ziemlich gut mit dem Mythos des Darstellungsverbots im Islam befasst. Der Bruch dieses Verbots wird, abgesehen von der satirischen Überzeichnung, als einer der Auslöser für die Anschläge gesehen.

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08:36 Uhr:
Meine erste Tasse Glückstee ist leer, ich verschwinde kurz in die Konferenz, bin aber gleich wieder da!

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08:17 Uhr
: Guten Morgen allerseits! Ich beginne den Tag mit einem Blick auf das SZ-Titelbild:





In Frankreich ist gestern die erste "Charlie Hebdo"-Ausgabe nach dem Anschlag auf das Satire-Magazin erschienen. Auf dem Titel ist der Prophet Mohammed abgebildet. Einige internationale Medien zeigen das Titelbild trotzdem, andere aus Respekt nicht. Ich habe gleich nachgeschaut, wie die SZ das gelöst hat, und finde, ziemlich gut: in der Hand von Chefredakteur Gérard Biard. Buzzfeed hat eine gute Übersicht über den Umgang internationalen Medien damit. Viele Medien und auch Privatleute posten das Cover auf Facebook und Twitter.
Was denkt ihr? Ist es gut, das Cover zu zeigen? Ja, muss man das sogar, wegen der Pressefreiheit und aus Solidarität? Oder soll man lieber darauf verzichten, wenn auch nicht aus Angst vor Anschlägen, aber aus Respekt? 


Wer bin ich?

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Um 11.52 Uhr, nur eine halbe Stunde nach dem Massaker in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo, verschickte Joachim Roncin, künstlerischer Direktor und Musikjournalist bei einem Pariser Gratis-Magazin, über Twitter den Dreiwortsatz „Je suis Charlie“. Schon am Abend war daraus ein über die sozialen Netze hinaus international präsenter Slogan geworden, sichtbar im Stadtraum, als Schriftzug in Weiß und Grau auf schwarzem Grund, in der Typografie der attackierten Zeitschrift.

Der Dreiwortsatz enthält keine Präpositionen, wie sie uns in Parolen häufig begegnen: kein „gegen“, kein „für“, kein „vorwärts mit“, kein „nieder mit“. Er koppelt lediglich die erste Person Singular des Personalpronomens und des Hilfsverbs und damit jeden, der ihn benutzt und wie auch immer er heißt, an den Namen „Charlie“. Niemand versteht diese Koppelung als Tatsachenbehauptung, jeder als sprachliche Geste der symbolischen Identifikation.



Der Schriftzug 'Je suis Charlie' wird hier in Kassel auf einer Gegendemo gegen eine Kundgebung der Anti-Islam Bewegung 'Kagida' verwendet.


So hat es auch der Urheber des Slogans beschrieben. Ich habe mich gemeint gefühlt, sagte Joachim Roncin, persönlich ins Visier genommen. Er hat aber noch etwas hinzugefügt. Er lese mit seinem Sohn sehr gern die „Où est Charlie?“-Bücher, jene in Deutschland mit „Wo ist Walter?“ betitelten Wimmelbücher, in denen es darum geht, die im Gewühl versteckte Titelfigur zu finden. Man darf vermuten, dass der Kinderbuch-Charlie dazu beigetragen hat, dass aus dem Dreiwortsatz nicht der Vierwortsatz „Je suis Charlie Hebdo“ wurde.

Diese Verkürzung und leichte Lockerung der Bindung an den Namen der Zeitschrift kam der Entwicklung entgegen, die der Slogan rasch nahm. „Je suis Charlie“ ruft die ermordeten Karikaturisten auf, aber zugleich die Pressefreiheit, die sie in Anspruch nahmen. Der Dreiwortsatz, ans Revers geheftet oder als Schild auf einer Demonstration getragen, meint: „Ich protestiere gegen die Gewalt als Antwort auf Karikaturen.“ „Ich bin mit gemeint, wenn das Recht auf freie Meinungsäußerung angegriffen wird.“ Und wenn der Satz, wie bei der Demonstration in Paris am vergangenen Sonntag, auf den Arc de Triomphe projiziert wird oder öffentliche Gebäude schmückt, bekräftigt er indirekt auch das Gewaltmonopol des modernen Staates.

In den Erfolg von „Je suis Charlie“, der nun schon die ersten kommerziellen Verwerter auf T-Shirts und Tassen auf den Plan ruft, mischt sich das Unbehagen an diesem Erfolg. Da ist zum einen der Vorwurf, er sei nur ein Gemeinplatz, bedeute „gar nichts“ und verpflichte auch zu nichts. Aber dieser Vorwurf trägt nicht sehr weit. Denn die Entwicklung von „Charlie“ zum Symbol für die bedrohte Öffentlichkeit und demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung insgesamt gehört zu den Voraussetzungen dafür, dass der Terror selbst ernannter Gotteskrieger von Massendemonstrationen beantwortet wird, die weit über das Publikum von Charlie Hebdo hinausgehen. Und es wird zu Recht sofort zum Gegenstand der öffentlichen Debatte, wenn Akteure den Slogan „Ich bin Charlie“ für sich in Anspruch nehmen, die zugleich die Verschärfung von Blasphemieparagrafen fordern.

Bedenkenswert aber ist, dass der Erfolg des Slogans „Je suis Charlie“ sowohl von Erweiterungen wie von Einschränkungen begleitet ist. Es war wegen seines Doppelcharakters als Symbol des Beharrens auf der Pressefreiheit und als Geste der Trauer um die Opfer notwendig, dass er sich vermehrte, zum Modellsatz wurde für „Je suis Ahmed“ und „Je suis Juif“. Denn auch der Überfall auf den an ein jüdisches Publikum adressierten koscheren Supermarkt war ja kein auf die allgemeine Großstadtmenge gerichteter Anschlag. Die jüdischen Opfer mussten keine Mohammed-Karikaturen zeichnen, um ins Visier von Amedy Coulibaly zu geraten. Es reichte, dass sie Juden waren. Der Slogan „Je suis Juif“ hebt hervor, dass diese Mordtat der Logik antisemitischer Selektion folgte.

Der Satz „Je suis Ahmed“ erinnert an den Polizisten und gläubigen Muslim Ahmed Merabet, der von den Charlie-Hebdo Attentätern auf offener Straße exekutiert wurde. Er ist aber nicht nur in der Welt, damit diese nicht vergisst, dass zu den Opfern dieses wie vieler anderer Anschläge auch Muslime zählen. Er ergänzt den Slogan „Je suis Charlie“ nicht nur, er schränkt ihn auch ein, bis hin zur Negation, so in der Formulierung: „Ich bin nicht Charlie, ich bin Ahmed der tote Polizist. Charlie hat meinen Glauben und meine Kultur lächerlich gemacht, und ich starb in Verteidigung seines Rechts, das zu tun.“

Mit einer Absage an die Pressefreiheit ist dieses „Je ne suis pas Charlie“ nicht notwendig gekoppelt. Aber diese Negation der konkreten Adresse Charlie Hebdo ruft den Echoraum in Erinnerung, in dem die aktuellen Ereignisse und Debatten stattfinden: die Diskussionen nach dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh 2004 und um die dänischen Mohammed-Karikaturen 2005.

„Soumission“, Unterwerfung, heißt nicht nur der aktuelle Roman von Michel Houellebecq, „Submission“ hieß auch der islamkritische Film, den Theo van Gogh 2004 nach einem Drehbuch von Ayaan Hirsi Ali drehte. In Reaktion auf ihre 2006 in Berlin gehaltene Rede „Das Recht zu beleidigen“ nannte Timothy Garton Ash sie damals eine „Fundamentalistin der Aufklärung“. Darauf spielt nun der Charlie-Hebdo-Chefredakteur Gérard Biard an, wenn er sagt: „Ich hoffe, man wird uns nie wieder ,laizistische Fundamentalisten‘ nennen, und also nie wieder das gleiche Wort – Fundamentalist – für die Mörder und die Opfer verwenden.“ Mit dieser Verwahrung gegen den Fundamentalismus-Vorwurf hat Gérard Biard zweifellos recht. Aber das Problem ist damit nicht vom Tisch. Denn der strikte Laizismus ist nicht die einzige Antwort auf den unter Berufung auf Religionen ausgeübten Terror. Die moderne säkulare Gesellschaft ist säkular unter Einschluss der Religionen. Darum kann auch der deutsche Bundespräsident sagen: „Ich bin Charlie“ und die Kanzlerin bekräftigen: „Der Islam gehört zu Deutschland.“

Oliver Maria Schmitt, ehemaliger Chefredakteur der deutschen Satirezeitschrift Titanic, hat im Interview mit der Berliner Zeitung auf die Frage, wie es mit den Karikaturen jetzt weitergeht, so geantwortet: „Wenn Allah tatsächlich groß ist, dann wird er Charlie Hebdo so lange regelmäßig erscheinen lassen, bis auch der letzte Koran, die letzte Bibel und die letzte Thorarolle wegen Menschenfeindlichkeit eingestampft worden sind.“ Und er fügte hinzu: „Gegen Islamophobie habe ich persönlich nichts – man sollte aber jeden Glauben verachten.“

Man tut dieser Position nicht unrecht, wenn man sie als aggressiven Laizismus bezeichnet. Sie ist unter dem Slogan „Je suis Charlie“ zwanglos möglich. Aber gnade uns Gott, wenn die Verteidigung der Pressefreiheit als Feldzug gegen jegliche Religiosität geführt wird.

Wettbewerb der Solidarisierung

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Die Sicherheit, schon wieder die Sicherheit. Eigentlich wollte man an diesem Dienstag in Berlin über Wohlfahrtsangebote für die vier Millionen Muslime in Deutschland sprechen, allerlei muslimische Verbandsvertreter und Ministerialbeamte hatten die große Runde mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) monatelang munitioniert. Nach den Terroranschlägen von Paris dämmerte den Beteiligten jedoch rasch, dass kultursensible Kindergärten und Altenpflege für Muslime nicht im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen dürften. Also sagt Erol Pürlü als Sprecher der versammelten Islamverbände bei der Islamkonferenz das, was die Muslimvertreter seit Tagen in allerlei Variationen wiederholen: Man verurteile die „menschenverachtenden Angriffe aufs schärfste“, keiner solle nach einer Legitimierung des Terrors suchen, die Anschläge seien auch ein Angriff auf „unsere muslimischen Werte“. Und von de Maizière darf der Hinweis nicht fehlen, dass man „mit aller Härte“ gegen Terroristen vorgehe.



Familienministerin Manuela Schwesig, Innenminister Thomas de Maiziere, und Erol Pürlü, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, bei einer Pressekonferenz in Berlin über die Fachtagung der Islamkonferenz zum Thema Wohlfahrtspflege.

Das Thema Sicherheit in der Islamkonferenz hat eine Vorgeschichte und das macht den Umgang damit so delikat. Die großen Religionsverbände wie der Islamrat und der Zentralrat der Muslime wehren sich seit Jahren dagegen, Extremisten und Terrorverhütung in den Mittelpunkt zu stellen, sie fühlen sich dadurch einem Generalverdacht ausgesetzt, sie wollen lieber die Gleichstellung mit den Kirchen vorantreiben und praktische Erleichterung wie islamkonforme Bestattungsregeln durchsetzen.

Darf die Islamkonferenz auch eine Sicherheitskonferenz sein? Im offenen Streit um diese Frage gingen de Maizières Vorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) und mehrere Islamverbände erst vor wenigen Jahren auseinander. Danach war die Islamkonferenz ein Torso, bis de Maizière sie mit einer Auslagerung der Sicherheitsfragen in separate Gremien wiederbelebte.

Und nun die Anschläge. Und nicht nur das: Dienstagmorgen fordert der CSU-Innenexperte Stephan Mayer in der Rheinischen Post, die Islamkonferenz sollte sich doch auch darüber austauschen, wie man „der zunehmenden Radikalisierung von jungen Moslems“ und der Zuwendung zum Salafismus „entgegenwirken kann“. Mayer hätte genauso gut eine Portion Reizgas in die Runde sprühen können, das hätte ähnlich integrierende Wirkung entfaltet. De Maizière lehnt den Vorschlag denn auch klar ab, die Sicherheit sei Thema mit den Islamverbänden, „aber nicht unter der Dachüberschrift Islamkonferenz“.

In diesem Rahmen entfaltet sich eine Dynamik in der Gesprächsrunde, wie mehrere Teilnehmer berichten. Muslime und Politiker beschwören die gemeinsamen Werte, auf der Pressekonferenz zelebriert man diese Einigkeit. Der Bundesinnenminister dankt den Muslimvertretern „auch persönlich“ für ihre klare Verurteilung der Anschläge, „in diesen schwierigen Zeiten müssen wir zusammenstehen“, sagt Pürlü. Und Schwesig lobt öffentlich den CDU-Minister de Maizière für seine Moderation der Islamkonferenz, was auch nicht alle Tage vorkommt. „Die islamischen Verbände haben sich noch nie so mit diesem Land identifiziert“, sagt ein Teilnehmer aus der Türkischen Gemeinde. Man erlebe einen „Wettbewerb der Solidarisierung“, die schrecklichen Taten von Paris hätten die Zusammenarbeit in der Konferenz faktisch verbessert. Die Anschläge, sie lassen zusammenrücken.

Und das eigentliche Thema, die Wohlfahrt? De Maizière und Schwesig versuchen, möglichst elegant die Kurve von der Sicherheit zu muslimkonformen Altenheimen zu nehmen. Solche Angebote seien ein „wertvoller Beitrag für ein friedliches Zusammenleben“, sagt de Maizière. Angebote an muslimische Senioren, die in Deutschland alt werden wollten, seien Teil des „sozialen Kits“, sagt Schwesig. Konkret geht es zum Beispiel darum, dass muslimische Frauen oft darauf Wert legen, von einer Frau gepflegt zu werden. Und dass muslimische Jugendvereine radikalen Gruppen den Boden entzögen, weil sie sich um die Probleme der Jugendlichen wie Diskriminierung kümmerten, sagt Schwesig.

Die Ministerin für Familie und Jugend, in deren Haus es nun ein Referat für „Demokratie und Vielfalt“ gibt, nutzte die Gelegenheit, um ihre Bundesprojekte gegen Extremismus ins Licht zu rücken, für die seit Jahresbeginn zehn Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen. Das Budget wurde von 30,5 auf 40,5 Millionen Euro aufgestockt. Das Geld soll in Projekte gegen gewaltorientierten Salafismus, Antisemitismus und Islamismus fließen. Gedacht wird an Präventionsarbeit in Schulen oder Ausstiegsangebote für radikalisierte Muslime. Auch Anlaufstellen für Angehörige von Jugendlichen, die in Extremistenkreise geraten, sind geplant. Am Ende ist selbst die Familienministerin nicht um die Frage nach der Sicherheit herumgekommen.

Die Zukunft beginnt in Afrika

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Die ehemalige bayerische Zentralbank neben dem Festspielhaus in Bayreuth heißt seit einiger Zeit Iwalewa-Haus und beherbergt ein Afrika-Kulturzentrum. Dort richtete zum Beispiel die vor zwei Jahren gegründete „Academy of Advanced African Studies“ der Universität Bayreuth ihr jährliches „49°“-Festival aus. Paul D. Miller war dort vor einiger Zeit zu Gast, der unter dem Namen DJ Spooky als der Intellektuelle des Hip-Hop bekannt geworden ist. Und wer anders könnte akademische Erkenntnisse zur Zukunft Afrikas in Musik fassen?

Afro-Futurismus in Bayreuth: „Das ist eine längst fällige Korrektur eines verdrängten Kapitels deutscher Geistesgeschichte“, sagt die Afrika-Dozentin und Mit-Initiatorin des Projekts „Future of Africa – Visions of Time“ Susan Arndt. „Afrika galt lange als Kontinent ohne Geschichte - was impliziert, dass es hier auch keine Vision von Zukunft gibt.“ Sie führt den Rassismus Wagners und Hegels an, oder Kants Rechtfertigung der Sklaverei mit dem mangelnden Zukunftssinn angeblich „tierischer“ schwarzer Menschen. „Deshalb wollen wir Afrika als Ort mit einer Geschichte von Zukunftsvisionen zeigen“. Vor allem afrikanisch inspirierte Kulturtechniken erlangten heute weltweite Bedeutung. Schon mal über die Afro-Wurzeln von Share-Ware, Sample-Technik und laufend modifizierten Apps nachgedacht?



Weltatlas mit Karte des südlichen Afrikas. Neue Formen digitaler Kommunikation hebeln alte Afrika-Klischees aus


Wer DJ Spooky zuhört, wie er im Iwalewa-Haus ein Streichquartett dirigiert, dessen erste Takte im Computer abspeichert, durch seinen Mixer jagt, gegen die Musiker anspielen lässt, dazu ein Drum-Sample eines James-Brown-Stücks spielt, der hat bereits ein wenig vom Afro-Futurismus begriffen. Beziehungsweise von dessen grundlegender Methode: Dem Remix.

„Die Kunst ist ein Ort unbegrenzter Möglichkeiten“, sagt er. „Und der Afro-Futurismus spielt mit diesem Potenzial. Ich möchte den Menschen Werkzeuge an die Hand geben, um über alternative Geschichten nachzudenken. Und alternative Zukunftsentwürfe“. Dann fragt er belustigt: „Kennen Sie das?“ Und lässt Zitate von Sun Ra bis Heidegger, Steve Jobs bis Afrika Bambaataa abspielen, neben Richard Wagner und Ludwig Feuerbach, über die Miller einst seine Doktorarbeit schrieb.

Die Masse an Information kann leicht verwirren. Zumal Spooky jeden Anspruch auf Eindeutigkeit und Endgültigkeit entschieden abwehrt, er sei doch kein Anthropologe, sondern Remix-Künstler und als solcher dem afrikanischen Prinzip des niemals Abgeschlossenen verpflichtet. Der Gegner allerdings ist klar: Die Fiktion der Ethnizität und der Nationalstaaten, „die die Europäer einst nötig hatten, um sich selbst gegen das Andere zu definieren, und die all die Monströsitäten und Ideologien des 20. Jahrhunderts nach sich zogen“.

Da passt es, wenn Susan Arndt die Ideen nationaler Befreiungsbewegungen als eine von vielen afrikanischen Antworten sieht. Die Unabhängigkeitsdenker des Kontinents hätten zwar eine weltweite Ausstrahlung gehabt. Andererseits schaffe die Technologie-Freudigkeit der Afrikaner einen Umbruch von unten: Gerade die Orte in der Diaspora – und dazu gehört in den Advanced African Studies auch Afroamerika – fungierten als Scharniere zwischen politischen und kulturellen Entwicklungen auf dem Kontinent und dem Westen. „Ob Jazz, Surrealismus oder die digitale Alltagskultur von heute, sie sind von der schwarzen Diaspora geprägt, und ihr Wissen wandert wieder zurück nach Afrika“. So würden Nationalgrenzen zunehmend irrelevant, hätten sich etwa die schwul-lesbischen Communities Afrikas dank Internet längst transnational vernetzt. Schlagwort: postethnische Gesellschaft und Postkulturalismus.

Wenn Philosophen wie Kwame Anthony Appiah die dazugehörige Theorie liefern, spielt DJ Spooky mit den Fragmenten, baut er in seinen Multimedia-Installationen selbst an deren Umsetzung mit. Der New Yorker, hatte Arndt geschwärmt, spekuliere entlang derselben großen Zukunftslinien, die insgesamt 50 Forschungsprojekte der Advanced African Studies akademisch aufbereiteten. Nur dass er als Künstler assoziativer arbeiten könne.

„Ich möchte mithilfe elektronischer Musik einen Sinn aus den hyper-beschleunigten Umbrüchen unserer Gegenwart filtern. Die Poesie der Daten erwecken.“ Hatte nicht Marshall McLuhan bereits in den 70er-Jahren eine Zukunft, in der alle ihr Wissen miteinander teilen, vorausgesagt? Er nannte sie „new Africa“. Und weil DJ Spooky mit McLuhan daran glaubt, dass Zukunft erst durch den Rückgriff auf die Vergangenheit entsteht, kommt der Sohn eines einst für Angela Davis engagierten Rechtsanwalts auf die im Netz scheinbar überholten Faktoren Rasse und Klasse zu sprechen.

Sehr weiß und sehr männlich habe die Computertechnik in den Dreißigerjahren begonnen – die kybernetischen Innovationen von heute verdankten sich ursprünglich dem Wettlauf um das Knacken geheimer Codes im Zweiten Weltkrieg, einem Datenkrieg zwischen Deutschen und Alliierten. Lange blieben Computer die Domäne von genialen Spinnern und einsamen Nerds. Selbst Computer-generierte Musik hatte etwas Feierliches und Steifes. Bis ein paar Schwarze kamen und die Technik zweckentfremdeten, Beats auf Computern kreierten und alles Dagewesene remixten: Was zuvor elitär behaftet war, entwickelte sich dank der neuen DJ-Kultur und dem respektlosen „Archiv-Fieber“ des Hip-Hop zu einem Freizeitvergnügen.

Share Ware und Apps taten das Ihre zur Schaffung einer weltweiten digitalen Pop-Kultur. DJ Spooky aber erinnert an die afrikanischen Wurzeln dieser nomadischen Ästhetik: „Die Art und Weise, wie Afroamerikaner Kultur im 19. und 20. Jahrhundert erlebten, ihre Idee von Fragmentierung, Umformulierung und mehrfach besetzten Codes hat die digitale Revolution vorweggenommen“.

Um kulturelle und gesellschaftliche Codierungen geht es auch den rund 80 Post-Doktoranden der Advanced African Studies in Bayreuth, ihre Forschungsergebnisse finden weltweit Beachtung. Das Fach gliedert sich in fünf Teilprojekte: Afrikanische Zukunftsvisionen im 19. und 20.Jahrhundert spielen ebenso eine Rolle wie ökologische und soziale Modelle, die Strategien des Naturschutzes oder des Umgangs mit dem Klimawandel enthalten. Die Mittelschichten werden als Ausdruck des sozialen Aufbruchs untersucht, und – unter dem Stichwort „Revolution 3.0“ – die kulturellen und gesellschaftlichen Ikonografien afrikanischer Revolutionen anthologisiert. Afrika, sagt Arndt, bezeichne hier keinen Kontinent der Opfer. Sondern einen der Akteure.

Ihr Forschungsprojekt „Zukunft Internet und Diasporas“ betrachte die schwarzen Communities in Amerika und Europa als Motoren afrikanischer Zukunftsvisionen. Gerade die neuen Formen digitaler Kommunikation würden alte Afrika-Klischees aushebeln, auch auf dem Kontinent selbst: „Wer glaubt noch an den Mythos vom angeblichen ‚digitalen Graben‘ zwischen dem Westen und Afrika? Selbst wenn sie nicht den neuesten Mac haben: Die Afrikaner haben uns in punkto digitaler Kompetenz längst überholt.“

Arndt zufolge sei „Unterentwicklung“ ein problematischer Begriff: Im Gegenteil bewege sich Europa auf Afrika zu: Viel selbstverständlicher als hierzulande würden sich Afrikaner über ihre Handys in weitläufigen sozialen Netzen bewegen, mit Apps improvisieren, ihr Wissen online teilen und umgekehrt auf akademisches Wissen aus dem Westen zurückgreifen. DJ Spookys postethnische Multimedia-Vision spiegele da bereits mancherorts die Realität. „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungleichmäßig verteilt“, hatte DJ Spooky behauptet. Susan Arndt ergänzt, dass Afrikaner sehr wohl gezielt in diese Richtung investierten: „In Ruanda hatte ich ein sehr viel schnelleres Internet als hier in Bayreuth“.

Rauschende Rückkehr

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Am Ende sind es immerhin zwölf Paparazzi, die den Weg vor den Eingang zur wichtigsten Modenschau des Jahres gefunden haben. Kreischbunte Blogger oder schaulaufende Moderedakteure sind aber nirgendwo zu sehen. Nicht etwa, weil es in Strömen regnet. Man hat sie verbannt, vom Hof gejagt. Mitte Dezember ging es los, als die Pressestelle erklärte, Einladungen nur an „Freunde des Hauses“ erteilen zu wollen. Bei einer Branche, in der jeder mit jedem gern auf eng macht, kann solch ein Satz zu herben Enttäuschungen führen. Das Ganze gipfelt in einer kleinen Groteske: Die Pressestelle verschweigt bis zuletzt sogar den Ort, an dem John Galliano sein Comeback mit der Haute-Couture-Kollektion für Maison Martin Margiela will. Offiziell ist nur die Stadt: London.



Der Modeschöpfer John Galliano feierte am Montag sein Comeback nach vier Jahren Pause mit einer Haute-Couture-Kollektion für Margiela.

Vor fast vier Jahren verschwand der Designer aus der Öffentlichkeit, weil er in einer Pariser Kneipe unter Einfluss von Drogen den Satz „Ich liebe Hitler“ fallen ließ. Er verlor den Posten als Chefdesigner bei Dior und musste auch von seinem eigenen Label zurücktreten. Sein Status als Fashion-Superstar war dahin. Der Job als Chefdesigner bei Margiela ist nun seine erste große und auch letzte Chance. Er muss ihn deshalb mit einem Paukenschlag beginnen, perfekt gesteuert, er darf ihn auf keinen Fall dem Zufall überlassen. Darum bleibt die Adresse der Show ein Staatsgeheimnis, darum ist die Gästeliste so ausgesucht wie überhaupt nur möglich. Wenn sich viele Menschen darüber ärgern, nicht eingeladen zu sein, weckt das ganz vortrefflich Begehrlichkeiten.

Der erlauchte Publikumskreis besteht dann tatsächlich nur aus knapp 100 Mitgliedern. Gegen 16 Uhr, 30 Minuten vor Beginn der Show, fahren die ersten schwarzen Limousinen vor einem Bürobunker in Buckingham Gate 62 vor, Stadtteil Westminster. Alber Elbaz, Kreativchef von Lanvin, ist extra aus Paris eingeflogen, Diesel-Designer Nicholas Formichetti aus Italien angereist; Burberry-Boss Christopher Bailey kommt einfach von seiner eigenen Show ein paar Straßen weiter rüber. Natürlich kommt auch Kate Moss, die selbst in Gallianos schwersten Zeiten immer zu ihm gehalten hat. Die Chefredakteurinnen der wichtigsten Ableger von Vogue, Elle und Harper’s Bazaar sind da, gefolgt von der obersten Riege der Modekritiker.

Keiner weiß, was hier gleich zwischen zwei weißen Stuhlreihen und einfachen Baustrahlern auf silbrig-grauschimmerndem Fußboden gezeigt wird. Keiner kann sich diesen Mann bei diesem Label so richtig vorstellen: Galliano, Narziss der Mode, der seine phantastisch-pompös geschnittenen Roben immer so schwelgerisch und doch provokativ präsentiert hat – als Nachfolger von Martin Margiela, der nie in die Öffentlichkeit trat. Der eben jene Modenschauspektakel dekonstruierte, indem er seine Kollektionen in Metroschächten und Turnhallen nicht an Models, sondern an Schaufensterpuppen präsentieren ließ. Der Nähte und Reißverschlüsse nach außen kehrte, um den Aufbau eines Kleidungsstückes sichtbar zu machen. Der auf hautfarbene Trikots schwarze BHs malte, um Nacktheit vorzutäuschen.

Genau das ist dann aber das, was Galliano mit ein paar Looks müde zitiert. Auf einem nudefarbenen Body sitzt ein hochglanzpoliertes Gebilde aus schwarzen Muscheln und Rosen. Von einem anderen Look – ob Kleid, Hemd oder Cape lässt sich nicht sagen – schauen dem Betrachter unterhalb des Busens angesetzte Augen ohne Augäpfel entgegen. Manche Strumpfhosen hält man für aufgemalt, dann entpuppen sie sich aber als echt. Das Gesicht des letzten Models ist mit einer Maske unkenntlich gemacht, die aus Perlen, Edelsteinen und Gold-Elementen besteht. Dinge, die wir eigentlich als kostbar und schön empfinden, sind hier so angeordnet, dass sie eine verstörende Fratze bilden.

Andere Teile haben mit Margiela nichts zu tun. Die Ankle-Boots zum Beispiel, mit Fesselriemen und kunstvoll gegossenen Absätzen wie früher bei Alexander McQueen. Eine taillenhohe Jeansshorts mit dicker Gürtelschnalle, die aus jedem x-beliebigen Kaufhaus hätte stammen können. Und schließlich Kleider, bodenlange Mäntel, und Korsagen, die eine eindeutige Handschrift tragen: Galliano. Asymmetrisch und zerfleddert hängen sie in Rot und Schwarz an den Models herab, dies aber perfekt. Der Designer hat sie großartig dekonstruiert, allerdings ganz anders als früher Margiela. Nicht so tiefgründig, dafür mit viel Marktschreierei.

Zum Schluss Jubel, der Song „Hey, Big Spender“ wird eingespielt. Jemand ruft „He is back!“ Für den Bruchteil einer Sekunde zeigt sich Galliano, mit frisch geglättetem Gesicht und im weißen Kittel. Für viele ist genau das jetzt die eigentliche Verbeugung vor dem Gründer: Der weiße Umhang ist so etwas wie die Arbeitsuniform für alle Mitarbeiter bei Maison Martin Margiela, alle tragen ihn, weil alle irgendwie gleich sein sollen. Galliano als Teil der Familie und nicht als Oberhaupt. Abgang.

Justine Picardie, Chefredakteurin der britischen Harper’s Bazaar, nennt das einfach nur „fabulous“. Katie Grand vom Love Magazine meint sogar, dass Galliano es allen gezeigt hätte. Die Mode hat vergeben. Sie hat ihr Genie wieder.

Im Hintergrund des Trubels draußen auf der Straße findet eine Kundin und Sammlerin das dagegen alles ganz furchtbar. Ihren Namen will sie – wie so häufig bei Frauen, die Haute Couture kaufen – nicht verraten. Die Kleider seien längst nicht so klug gewesen wie zu Martin Margielas Zeiten, platzt es aus ihr heraus: „Margiela hat diese Kollektion nicht verdient.“

Spur nach Syrien

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„Die Jagd geht weiter“, hat Frankreichs Premier Manuel Valls anlässlich der Fahndung nach Komplizen und Gesinnungsgenossen der drei islamistischen Attentäter von Paris angekündigt. Dass es sie gibt, daran haben Premier und Ermittler keine Zweifel, mehr teilen sie bisher nicht mit. Von sechs noch freien Personen aus dem Umfeld der Mörder ist französischen Medien zufolge die Rede. Und eine der Fragen ist, ob hinter den Taten eine ganze Terrorzelle steckt und ob sie ferngesteuert wurde – von al-Qaida oder dem IS.



Die Polizei glaubt, dass Amedy Coulibaly, Cherif Kouachi und Said Kouachi, die Attentäter von Paris, Komplizen hatten. Hayat Boumeddiene, die Freundin von Coulibaly, soll sich nun in Syrien aufhalten.

Während in Frankreich 10000 Soldaten zusätzlich für Sicherheit sorgen sollen und weiter die höchste Terror-Alarmstufe gilt, hat nun Bulgarien eine Festnahme gemeldet. Fritz-Joly J., ein 29 Jahre alter Franzose haitianischen Ursprungs, wurde gefasst, als er die Grenze zur Türkei überqueren wollte. Das war allerdings bereits vor dem mörderischen Anschlag auf Charlie Hebdo geschehen, in der Nacht zum 1. Januar, wie der bulgarische Innenminister am Dienstag mitteilte. J. sei auf Grundlage eines von Frankreich ausgestellten europäischen Haftbefehls an der Grenze zur Türkei festgenommen worden. Da war er noch gesucht wegen Kindesentziehung. Es heißt, er habe seinen dreijährigen Sohn in Syrien zum Kämpfer ausbilden lassen wollen. Unterdessen bestätigte eine bulgarische Staatsanwältin, dass J. wiederholt Kontakt hatte mit Chérif Kouachi, einem der beiden Brüder, die bei Charlie Hebdo mordeten. Frankreich erließ deshalb einen neuen Haftbefehl – wegen Verdachts der „Mitgliedschaft in einer bewaffneten kriminellen Organisation zur Vorbereitung von Terrorakten“. Ob Bulgarien J. ausliefert, wird voraussichtlich am Freitag entschieden.

J. soll auf dem Weg nach Syrien gewesen sein. Dort befindet sich wahrscheinlich die meistgesuchte Frau Frankreichs, die 26-jährige Hayat Boumeddiene, Partnerin des dritten Attentäters von Paris, Amedy Coulibaly. Er erschoss eine Polizistin und brachte dann am Freitag vier Menschen in einem jüdischen Supermarkt um. In einem vor der Tat aufgenommenen Video behauptete Coulibaly, dass er Komplize der Kouachi-Brüder Saïd und Chérif sei und sich dem IS angeschlossen habe.

Dass er alleine handelte, erscheint als unwahrscheinlich. Zumindest muss ihn jemand im Auto von Hayat Boumeddiene zur Geiselnahme im Supermarkt Cacher gefahren haben. Boumeddiene selbst aber hatte Frankreich da bereits verlassen. Wenige Stunden nach den Morden bei Charlie Hebdo rief sie Coulibaly aber noch einmal an. Überwachungskameras hatten sie am 2. Januar am Flughafen von Istanbul aufgenommen. Sie war aus Madrid angekommen: eine eher kleine Frau, das Haar mit einem weißen Tuch verhüllt, neben sich einen Mann. Die Türkei war nur Transitland: Boumeddiene habe am 8. Januar mit ihrem Begleiter die Grenze zu Syrien passiert, teilte die türkische Regierung mit.

Dass Boumeddiene in die Terrorpläne eingeweiht war, ist fast sicher. Sie soll mit Coulibaly durch eine religiöse Zeremonie verheiratet gewesen sein und hat sich offenbar gleichzeitig mit ihm radikalisiert, seit dieser im März 2014 nach einer Haftstrafe freikam. Sie hatte zudem häufig mit der Frau von Chérif Kouachi telefoniert. Der Mann, mit dem Boumeddiene reiste, ist türkischen Medien zufolge der aus Nordafrika stammende Franzose Mehdy Sabry B., 23. Auch er soll einem islamistischen Umfeld von Paris angehören.

Gegen die These, dass Coulibaly allein handelte, spricht nicht nur, dass er zur Geiselnahme gefahren wurde. War er es oder ein Helfer, der in den Tagen vor der Geiselnahme auf einen Jogger schoss? Konnte er, wie er sich im Video brüstete, allein eine Autobombe präpariert haben – die ohne weiteren Schaden im Vorort Villejuif gezündet wurde?

Fragen werfen auch die Waffen auf, die Coulibaly und vor allem die Kouachis hatten. Ein Experte schätzte, auf dem Schwarzmarkt zahle man dafür 6000 respektive 7000 Euro. Woher kam das Geld? Konnten sie die Arsenale selbst beschaffen? Falls die Ermittler mehr wissen, verschweigen sie es.

Brillis im Bühnenlicht

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Cristiano Ronaldo brüllte „Uuuuuuuuuuuuu“, damit endete der offizielle Teil des Abends. Und die aufgebrezelte Fußball-Gesellschaft mit ihren Smokings und Fliegen, mit ihren Steckfrisuren und geschlitzten Abendkleidern fand sich doch noch für einen Moment auf dem Fußballplatz wieder, wo sich die Sieger auf die Brust trommeln und Triumphgeheul ausstoßen. Wenn das Testosteron die Kontrolle übernimmt.

Aber der globale Fußball will ja längst mehr sein als nur auf dem Platz, also war er am Montag im Zürcher Kongresshaus mal wieder alles durcheinander: Der moderne Fußball war Glamour, soziales Ereignis, Charlie, Ebola-Bekämpfer, Selbstbeweihräucherer. Vor allem Letzteres. Er war aber auch mal demütig (Joachim Löw), nachdenklich (Ralf Kellermann), und er war alles in allem ziemlich deutsch, wenn man mal von der prestigeträchtigsten Preiskategorie absieht: der des Weltfußballers bei den Männern. Wenn man also Cristiano Ronaldo mal für einen Moment beiseite lässt.



Christiano Ronaldo ist wieder Weltfußballer. Und freut sich


Aber Cristiano Ronaldo beiseite lassen, das ist eben gar nicht so leicht, was nicht nur an seinen Brilli-Ohrringen liegt, die im Bühnenlicht besonders grell funkeln, sondern auch daran, dass er ja immerhin mit Real Madrid die Champions League gewonnen und auch maßgeblich geprägt hat mit seinen Toren. Die wahlberechtigten Nationalelf-Kapitäne, Nationaltrainer und Journalisten aus 209 Fifa-Mitgliedsländern haben den stolzen Portugiesen mit eigenem Museum auf Madeira jedenfalls so oft angeklickt bei der Abstimmung zum „Ballon d’Or“, dass Ronaldo, 29, am Ende deutlich vor Lionel Messi, 27, und Manuel Neuer, 28, ins Ziel kam. Ronaldo und Messi, das sind, wenn man so will, die größten Stars der Branche und zugleich die kleinsten gemeinsamen Nenner der jährlichen Branchenwahl: dreimal Ronaldo (2008, 2013, 2014), viermal Messi (2009 – 2012), so heißen die Weltfußballer der letzten sieben Jahre. Und es ist wohl kein Geheimnis, wie es weitergehen wird mit dem Goldenen Ball, solange die beiden zur Wahl stehen.

„Ich will in die Geschichte des Fußballs als der Beste eingehen, und ich bin auf dem richtigen Weg“, sagte Ronaldo, kurz vor dem „Uuuuuuuuuuuuu“, und kurz nachdem er den Goldenen Ball überreicht bekommen hatte. Während er im Rahmen einer belanglosen Presseplauderei am Nachmittag noch behauptet hatte, der Beste zu sein, das sei ihm eigentlich gar nicht so wichtig. Trophäen, Rekorde, ach: „Es gibt Wichtigeres im Leben.“ Ja, was denn nun?

Am späten Montagabend jedenfalls brach am Privatjet-Terminal des Zürcher Flughafens vor lauter Vergötterung das Chaos aus hinter den Absperrgittern, als Ronaldo zu seinem Flieger eilte. Insofern hat die Auszeichnung zumindest aus Sicht des Publikums den Richtigen getroffen. Von der Abreise der deutschen Delegation am Dienstag wurden keine verehrungsbedingten Komplikationen gemeldet.

Der inoffizielle Teil des Montagabends hatte zuvor damit begonnen, dass der deutsche Torwart Manuel Neuer sehr entspannt durch die Gänge des alten Kongresshauses am Zürisee geschlendert war, nicht als Geschlagener, wie ihm das manche einreden wollten angesichts seines dritten Platzes: „Ich werde mit einem Lächeln nach Hause gehen.“ Und damit, dass Nadine Keßler, 26, es immer noch nicht fassen konnte, dass sie jetzt tatsächlich die Weltfußballerin 2014 ist, Siegerin der Frauen-Wahl vor der Brasilianerin Marta und Abby Wambach aus den USA. „Unglaublich“, sagte Keßler, „alles kribbelt!“

Bei den Männern hatten also wieder einmal die beiden Ikonen gewonnen. Die globalen Werbebotschafter, die im Rahmenprogramm der Gala konsequent die balkengroßen Schriftzüge ihrer Ausrüster durch Zürich getragen hatten, während Neuer einfach einen dunklen Pulli anhatte – was den Unterschied zwischen Weltmarke und Weltmanuel griffig illustrierte.

Frage an Nadine Keßler: Wer genau hat nun bei den Frauen gewonnen?

„Ja, da ist es ganz sicher anders“, sagte Keßler: „Da sind Marta und Abby Wambach die Ikonen, die ich immer verehrt habe, mit denen ich mich nie vergleichen würde. Und jetzt hier zu stehen mit dieser Auszeichnung – unglaublich.“ Eine baugleiche Trophäe trug auch Ralf Kellermann, 46, durchs Kongresshaus, Keßlers Trainer, der Wolfsburg mit einigem VW-Geld, aber mindestens mit ebenso viel Leidenschaft und Akribie inzwischen zur ersten Adresse des Frauenfußballs gemacht hat, zum Champions-League-Sieger 2013 und 2014.

Joachim Löw, 54, der Weltmeister-Coach und Trainer des Jahres bei den Männern, komplettierte den deutschen Abend von Zürich. Außerdem Philipp Lahm, Toni Kroos und eben Manuel Neuer mit ihren Berufungen in die sogenannte Welt-Elf.

„Ist doch schön, so viele Teamkollegen hier zu sehen“, sagte der Bayern-Kapitän Lahm – dass Neuer ohne Goldenen Ball zurückreisen müsse ins Trainingslager nach Katar, dürfe man „nicht so schlimm nehmen, das hat sicher auch mit seiner Position zu tun“. Seit 1991 gibt es die Weltfußballer-Wahl der Fifa, 2010 wurde sie mit dem „Ballon d’Or“ des Fachmagazins France Football fusioniert, aber ein Torhüter ist noch nie Weltfußballer geworden.

Joachim Löw wertete den Ausgang dieser Wahl auch als Beleg dafür, „dass wir bei der WM in Brasilien eben nicht den einen überragenden Superstar in der Mannschaft hatten, aber dafür viele, die über sich hinausgewachsen sind“. Und Manuel Neuer fand schon seine Nominierung in die Top drei einen „Volltreffer“: „für mich, für die Mannschaften, in denen ich spiele, und auch für die Torhüterschaft“. Und nicht zuletzt war der Torwart Neuer auch froh, dass er am Ende keine Rede halten musste. „Ich hatte da nichts geplant“, verriet er, „und Cristiano hatte ja offenbar ein bisschen was vorbereitet. Insofern passt das schon so.“

Ja, diese Choreografie hätten sich Zürich und die Fußballwelt in der Tat ungern entgehen lassen.
„Uuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!“

Und?

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Freundin T. also, und zwar mit dem Bekannten P.: Eine ganz übliche Bar-Feierszene eigentlich. Ein bisschen tanzen, ein bisschen flirten. Und dann eben ein bisschen miteinander nach Hause gehen. Ich habe da an sich ein recht gesundes Desinteresse – wollte ich sagen. Aber eigentlich stimmt das natürlich nicht. Man hat schließlich eben gerade kein Desinteresse, auch kein gesundes, wenn Freunde und Bekannte jemanden abschleppen. Es gibt ja so schon kaum etwas Aufregenderes als die Anziehung zwischen Menschen. Bei Freunden gebieten es dann wohl auch noch Anstand und Interesse, nachzufragen.
 
Wenn man selbst schon lang in einer durchaus stabilen Beziehung steckt, ist das allerdings ein besonders kniffliges Kapitel im großen Buch „Wie ich mich als Pärchen gegenüber Singles verhalte“.




„Wir so: Der Opa und ich, wir haben in 56 Ehejahren nicht einen Tag getrennt geschlafen. Du so: Arme Wurst.“

In diesem Fall sogar noch etwas kniffliger. Ich mag Freundin T. sehr gerne und halte den Bekannten P. für einen kapitalen Scheißkopf; wenn auch in sehr nett. Freundin T. hatte in den vergangenen Monaten (eigentlich Jahren) wenig Glück bei der Partnersuche, der Bekannte P. etwas zu viel. Das ist keine gute Kombination, also war ich angemessen besorgt. Und weil Sorge doch schnell mit einem Bein im Feld von Mitleid - also fast auch im Bereich der Überheblichkeit - steht, war ich auch noch besorgt, zu besorgt zu wirken. Mütterlich. Oder paternalistisch. Oder eben irgendetwas anderes, das man gegenüber Freunden nicht sein sollte.
 
Es wird also nicht überraschend, dass das „Und?“, das ich am nächsten Tag am Telefon irgendwann nonchalant fallenlassen wollte, und tatsächlich nach sieben Sekunden maximalverkrampft hervornäselte, mit Anlauf misslang. Wenigstens gefühlt schaffte ich es sogar, die beiden Pole freundschaftlicher Grenzwertigkeit in diese eine Silbe zu packen: übertriebene, und damit kleinmachende Sorge – und Sensationsgier.
 
Denn das ist es doch, was viel zu oft rüberkommt, wenn Pärchen-Menschen ihre Single-Freunde nach deren Flirts, Affären oder One-Night-Stands fragen. Entweder, sie klingen wie ihre eigenen Großmütter, oder wie eine Reporterin der Gala, die wissen möchte, wie der Fürst von Irgendwas denn nun so war – knick knack.
 
Wie ihre eigenen Großmütter, weil ihr Wertesystem („Wir so: Der Opa und ich, wir haben in 56 Ehejahren nicht einen Tag getrennt geschlafen. Du so: Arme Wurst.“) in der Frage mitschwingen kann. Dann nämlich, wenn das „Und?“ wissen will, ob der Sexualpartner von gestern denn nun Beziehungsmaterial von morgen sei. Endlich mal. Weil das doch schließlich das einzige sei, was zählt. Weil es so leicht assoziiert, dass der andere ja bestimmt auch will, was man selbst hat – eine Beziehung. Und weil es narzisstisch ist, wenn man mit dieser Annahme falsch liegt. Und demütigend, wenn man recht hat.
 
Wie säftelnde Boulevardmedien wiederum, weil die wahrscheinlich legitime Neugier doch so furchtbar leicht kippt. Weil: Neu- und Sensationsgier – den will ich kennenlernen, der das in jeder Lage absolut trennscharf auseinanderklamüsert. Und allzu leicht labt man sich dann doch insgeheim etwas an der ganz außeralltäglichen, noch bettwarmen Erotik, die so ein One-Night-Stand oder Flirt oder eine Affäre zurücklässt – zumindest, wenn es gut war.
 
Was nun den Ausweg aus dem Dilemma betrifft: Habe ich nicht. Wie auch? Es ist ja tatsächlich eine dieser ungeneralisierbaren Von-Fall-zu-Fall-anders-Situationen, abhängend davon, wie man in der Freundschaft sonst miteinander redet, wie viel und in welchem Ton man sich solche Dinge erzählt und wie glücklich oder unglücklich das Single-Leben ist? So Kram eben. Aus der Mögliche-Fragen-Liste, die ich unter Freunden und Kollegen in den vergangenen Tagen gesammelt habe, war mir jedenfalls diese am sympathischsten: „Habt ihr geknutscht?“ Die lässt viel Luft nach oben und etwas nach unten. Man kann also noch gut ausweichen, bevor es krampfig würde. Und ein niedliches Wort enthält sie auch.
 
Der Scheißkopf P. stellte sich übrigens als ganz umfassend galanter Gentleman heraus. Er klärte im Vorfeld (und offenbar auch noch im genau richtigen Ton), dass er keine Beziehung will. Und am nächsten Tag fuhr er Freundin T. wie versprochen nach Hause. Frühstück hat er ihr auch noch gemacht. T. äußerte sich begeistert, will aber auch nicht mit ihm zusammen sein.
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