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Tagesblog - 12. Dezember 2014

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16:54 Uhr: So, jetzt ist Zeit für den Feierabend. Ich wünsche euch allen ein wunderbares Wochenende. Was macht ihr so? Ich ja nix. Auch irgendwie super! Außer natürlich auf dem Sofa abhängen....[plugin imagelink link="http://cdn77.sadanduseless.com/wp-content/uploads/2014/12/stay-warm16.jpg" imagesrc="http://cdn77.sadanduseless.com/wp-content/uploads/2014/12/stay-warm16.jpg"]
Jedenfalls: Eine schöne Woche euch allen und bis zur nächsten! Es war mal wieder ein einziges Vergnügen!


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15:33 Uhr:
Mein Leben, jede Nacht: [plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xap1/v/t1.0-9/10353720_627414174030186_5729310099012066841_n.jpg?oh=d390b88dd9214dd004634c95f9a7342f&oe=554796F2&__gda__=1427562798_59a407674e532d021f97b4b271fea0b6" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xap1/v/t1.0-9/10353720_627414174030186_5729310099012066841_n.jpg?oh=d390b88dd9214dd004634c95f9a7342f&oe=554796F2&__gda__=1427562798_59a407674e532d021f97b4b271fea0b6"]

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15:36 Uhr:
So ungefähr sehe ich aus, wenn ich auf den Briefträger warte. 
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15:26 Uhr:
So, jetzt folgt eine kleine Fluffigkeits-Attacke auf Wunsch von @chocolatecat:

Statt "Jesus Take The Wheel" "Hedgehog Take The Wheel But Don't Fuck It Up - You're On Probation!" [plugin imagelink link="http://dailypicksandflicks.com/wp-content/uploads/2014/12/picdump-1258-27.jpg" imagesrc="http://dailypicksandflicks.com/wp-content/uploads/2014/12/picdump-1258-27.jpg"]


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15:16 Uhr:
Seit Wochen überlege ich hin und her, ob und wie und wann ich es sagen soll, aber ich glaube, ich sage es jetzt einfach, obwohl es mich ganz traurig macht.
Nächste Woche ist meine letzte Woche bei jetzt.de - diesmal in echt und ganz ohne Mutterschutz/Elternzeit.
Weil: Ab 1. Januar arbeite ich im Job&Karriere-Ressort bei süddeutsche.de. Ich werde euch alle schrecklich vermissen - ihr allerbesten User der Welt. Aber wir sind ja nicht weit voneinander entfernt und ich darf jederzeit zu Besuch kommen und werde euch auch weiterhin lieb haben und ihr werdet weiterhin meine Kinder sein. (Äh das klang jetzt irgendwie schräg...)

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14:07 Uhr:
Habt ihr alle gelesen? Über die sehr einfachen und sehr effektiven Proteste in Niedersachsen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen? Der Text ist im Zusammenhang mit der großen Reihe Der Zaun auf süddeutsche.de, die ich wirklich nur allen sehr ans Herz legen kann.


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12:51 Uhr:
Oh, kaum bin ich vom Mittagstisch zurück, schon gibt es die genialen Renaissance-Babys!! Ich sitze hier und mein vollgefressener Bauch bebt vor lachen. Vielen Dank @alcofribas. Mein liebstes:
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12:18 Uhr:
Aber bevor ich abhaue noch schnell der Hinweis auf die Leipzig-Protokolle mit superberühmten jetzt.de-Promis.

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12:12 Uhr:
So, jetzt geht's gleich los im Gänsemarsch in die Kantine. Boys and Girls, see you on the other side...
[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/s2mZ6fE.gif" imagesrc="http://i.imgur.com/s2mZ6fE.gif"]

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11:35 Uhr:
@the-wrong-girl hat es in den Kommentaren gerade aufgeschrieben: Eines der berühmtesten Wandbilder in Berlin wurde übermalt. Und zwar weder von Polizei, noch von den Hausbesitzern. Hier ein Hintergrundbericht.

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11:19 Uhr:
Weil ja bald Weihnachten ist, hier ein Bild von Maria beim Anblick ihres Jesuskindleins: [plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/12/painting-1.jpg" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/12/painting-1.jpg"]
(so schaue ich ungefähr, wenn das gerade gewickelte Kind schon wieder in die Windel gemacht hat)

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10:59 Uhr:
NIEMAND! Darf Marvin Gaye so zerstören! Einzige Ausnahme: Steve Carell, Jimmy Fallon und seine A-Capella-Truppe "The Ragtime Gals"
http://www.youtube.com/watch?v=j2-IxBgL-SU#t=25

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10:45 Uhr:
Freunde und Innen: Aus unerfindlichen Gründen lache ich jedes Mal wie eine Bekloppte, wenn ich dieses schon in die Jahre gekommene Gif sehe. Ich glaube, es liegt an den vielen Eskalationsstufen. Aus diesem Grund möchte ich es euch nicht vorenthalten. Man hat ja sonst nicht viel zu lachen:
[plugin imagelink link="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/12/ezgif.com-resize-14.gif" imagesrc="http://www.pleated-jeans.com/wp-content/uploads/2014/12/ezgif.com-resize-14.gif"]

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9:35 Uhr:
Weiter geht's im Text. Der Tagesticker handelt heute vom Glücklichsein und der Frage, ob nur der richtig glücklich sein kann, der richtig dumm ist? Gute Frage.


Und das sind die Themen aus der sz.de-Konferenz:

- In Nürnberg haben drei Flüchtlingsheime gebrannt, auf einem waren Hakenkreuzschmierereien. Das Gute: Die Heime waren noch nicht fertiggestellt, es wohnten also keine Flüchtlinge darin. Das Schlechte: Es gab einen Brandanschlag auf Flüchtlingsheime.
- Gleichzeitig wirbt Innenminister De Maizière um Verständnis für die Teilnehmer an den "Pegida-Demonstrationen. Zur Erinnerung: Pegida steht für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" 
- Und unbedingt immer empfehlenswert: Die Artikel aus der Reihe "Der Zaun" - heute unter anderem ein großer Bericht über die Schlepper, die die Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa bringen und über deren Schuld am Tod vieler Flüchtlinge. 


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9:20 Uhr:
Uff, bin schon wieder total durchgeschwitzt, weil ich gerade in ungefähr tausend offenen Tabs den heutigen Gewinn des Adventskalenders installiert habe oder wie man das heutzutage nennt... Jedenfalls: Guckst du hier. (Meine dreijährige Tochter heute greinend beim Anblick des heutigen Säckchen-Inhalts: "Warum ist das so wenig, ich will lieber viel!!!" - Glücklicherweise hat sie sich dann doch gefreut, als sie es ausgepackt hat. Es war eine Girlande, also doch viel)

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9:11 Uhr: 
Leute! Es tut mir leid, dass ich so spät dran bin, ich war in der längsten SZ.de-Konferenz aller Zeiten und bin immer noch ganz aufgejazzt! Aber jetzt! Gleich! Geht's! Los!



Ein Schock nach 30 Jahren

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Waterboarding ist nicht neu. Die Foltermethode, bei der die Atemwege eines Gefangenen unter Wasser gesetzt werden, wurde nicht erst im „Krieg gegen den Terror“ entwickelt. Sie war auch gängiges Mittel der Repression in lateinamerikanischen Militärdiktaturen, vor allem in Brasilien. Das Land setzt sich derzeit, ähnlich wie die USA, so intensiv wie nie zuvor mit kriminellen Methoden seiner eigenen Sicherheitskräfte auseinander. Präsidentin Dilma Rousseff hatte eine Wahrheitskommission zu den während der Diktatur von 1964 bis 1985 verübten Verbrechen eingesetzt. Was die berichtet, rüttelt die Nation auf. Bislang hinkte Brasilien bei der Vergangenheitsbewältigung Nachbarländern wie Argentinien oder Chile hinterher.



Dilma Rousseff bei der Vorstellung des Berichts der Wahrheitskommission zu den während der Diktatur verübten Verbrechen.

Ein „Dokument des Grauens“ hat der Kommissionsvorsitzende, der Anwalt Pedro Dallari, seinen Bericht genannt. Demnach sind während der brasilianischen Militärdiktatur 434 Menschen getötet worden oder verschwunden. Das sind viel weniger als in Argentinien, wo Menschenrechtsgruppen von 30000 Opfern ausgehen. Dennoch waren Verfolgung und Folter auch in Brasilien durchorganisiert und vom Staat gewollt, sagte Dallari, und „nicht das Werk einzelner Psychopathen“, wie das Militär glauben machen will. Eines der Opfer war die Staatspräsidentin selbst, die als junge Aktivistin in den 1970er-Jahren im Kerker landete. „Die Spuren der Folter sind ein Teil von mir“, sagte Rousseff unlängst in einer ihrer wenigen persönlichen Äußerungen zu dem Thema. Bei der Vorstellung des Berichts kamen der 66-Jährigen die Tränen, minutenlang konnte sie nicht sprechen. Es ist Rousseffs Initiative zu verdanken, dass die Kommission 2012 überhaupt eingesetzt wurde. Unter ihren Vorgängern hatte es nur zaghafte Versuche gegeben und das Militär hintertrieb sie durch Obstruktion und Aktenvernichtung. Auch jetzt hatte die Kommission keinen Zugriff auf viele Dokumente, die in Kasernen lagern. Ihr Aufruf, das Militär müsse Verantwortung für seine Taten übernehmen, verhallte ungehört.

Dass Brasilien sich so zögerlich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, hat damit zu tun, dass große Teile der Ober- und Mittelschicht sich mit den Generälen arrangiert hatten. Die Ärmeren fütterte man ab mit Fußball und einer Art Samba- Nationalismus. Die Demokratisierung ging in den 1980er-Jahren behutsam vonstatten, man war um Konsens bemüht, um ja den fragilen Übergang nicht zu gefährden. Ähnlich wie in Spanien wurde deshalb auf die Verurteilung von Folterern verzichtet. Stattdessen wurde ein „Pakt des Schweigens“ etabliert. 1979 gab es eine Amnestie für die Generäle, sie gilt bis heute, und auch Rousseff will sie im Sinne der „nationalen Einheit“ nicht infrage stellen. Ihr gehe es um „Versöhnung“, sagte sie. Doch für exzessive Gewalt dürfe die Amnestie nicht gelten, befindet nun das Kommissionsmitglied José Carlos Dias, einst Justizminister unter dem konservativen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Viele Taten seien einfach zu brutal gewesen.

Wie brutal, darüber gibt der Bericht Auskunft. Die Kommission sprach mit Folteropfern im ganzen Land, mit früheren Aktivisten, Studenten, Gewerkschaftern. Sie brachten auch Opfer und Täter zusammen, es kam dabei zu heftigen Szenen. Etwa als Carlos Ustra, Ex-Chef der Geheimpolizei, sich lauthals brüstete, Brasilien vor Terroristen geschützt zu haben. In der Tat ähnelt die Rechtfertigungslinie stark jener der Folter-Apologeten in den USA. Von dem verstorbenen Junta-Führer Ernesto Geisel ist die Aussage überliefert: „Ich rechtfertige Folter nicht, aber ich erkenne an, dass es Umstände gibt, unter denen der Einzelne gezwungen ist, Folter anzuwenden, um bestimmte Geständnisse zu erhalten und auf diese Weise größeres Übel zu verhindern.“ Der 84-jährige General Nilton Cerqueira, der in dem Bericht neben 376 anderen Offizieren und Politikern namentlich als Täter erwähnt ist, sagte dazu der Zeitung Folha de São Paulo: „Bin nur ich es, der Menschenrechte missachtet hat? Was ist mit den Terroristen, inklusive der Terroristin, die heute Präsidentin ist?“

Doch es gab auch Offiziere, die auspackten. Coronel Paulo Malhaes gab zu, dass er systematisch gefoltert hat. Im April dieses Jahres wurde er ermordet – vermutlich, um weitere Geständnisse zu verhindern. Malhaes hatte auch berichtet, einen Teil des Handwerks in Großbritannien gelernt zu haben, wo der Geheimdienst subtilere, im Nordirlandkonflikt erprobte Methoden anwendete als die brasilianische „Papageienschaukel“. Andere Folterer wurden an der School of the Americas in Panamas Kanalzone von US-Amerikanern ausgebildet.

Die Kommission warnte nun, wenn ihre Ergebnisse juristisch folgenlos bleiben sollten, schade dies der Demokratie. Werde Folter nicht geahndet, könne sie leicht als legitimes Mittel der Verbrechensverhinderung missdeutet werden. Das scheint in Brasilien ohnehin zu geschehen, wie die vielen Berichte über Polizei-Misshandlungen in den Armenvierteln, den Favelas, nahelegen.

Eine Eisenbahn, aber mit Ochsenantrieb

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Es gibt sehr subtile Formen der Rache. Die Kaiserinwitwe Cixi weiß, wie sie ihren Schwager und alten Widersacher Prinz Chun zermalmen kann: Nach dem Tod des bisherigen Kaisers liegt es bei ihr, wer sein Nachfolger werden soll, und da erweist sie Chun die hohe Ehre, dessen einjährigen Sohn zu ernennen. Sollte er nicht überglücklich sein?



Fast ein halbes Jahrhundert lang, von 1861 bis zu ihrem Tod 1908 regierte Cixi und führte China in die Moderne.

Es geschieht daraufhin aber das Folgende: „Prinz Chun war anwesend, und die Mitteilung erfreute ihn keineswegs, sondern versetzte ihm einen Schock. Vor dem Thron kniend, verfiel er in Zuckungen, schrie und schlug den Kopf auf den Boden, bis er ohnmächtig wurde – ein Berg aus Hofgewändern und Unterwäsche. Der Junge war damals sein einziges Kind, seine Frau und er hegten ihn geradezu verzweifelt wie einen Schatz, nicht zuletzt, weil ihr älterer Sohn gestorben war. Es sah so aus, als würde er seinen einzigen Sohn für immer verlieren. Cixi wirkte ungerührt und befahl, ihn aus der Halle zu schaffen. Ein Augenzeuge berichtete, ‚er lag in einer Ecke, ohne dass ihn jemand beachtete. Es war ein jämmerlicher, verzweifelter Anblick.‘“ Prinz Chun wird seinen Sohn, den nunmehr die undurchdringliche Mauer des Zeremoniells umgibt, nie wieder sehen. Und für Cixi ist ein einjähriger Kaiser ungemein praktisch, sichert er doch den Fortbestand ihrer eigenen Macht. (Als er dann volljährig wird und ihr Missfallen erregt, sperrt sie ihn lebenslänglich in Hausarrest.)

Fast ein halbes Jahrhundert lang, von 1861 bis zu ihrem Tod 1908, hat Cixi, die „Empress Dowager“ (so der gängige englische Ausdruck), faktisch über das Chinesische Reich geherrscht. Es waren Chinas schlimmste Jahre, an die sich das Land bis heute mit tiefem Groll erinnert: Die westlichen Mächte zwangen ihm ihre „ungleichen Verträge“ auf, französische Truppen hatten den Sommerpalast niedergebrannt, Japan versenkte im Krieg von 1894 kampflos die chinesische Marine und annektierte Korea, Russland eignete sich die Mandschurei an; im Inneren wurde es vom Taiping-Aufstand erschüttert, der Millionen Menschen das Leben kostete, der Boxeraufstand von 1900 führte zu einer neuen alliierten Invasion, vor der die Kaiserinwitwe unter erbärmlichen Umständen aus der Hauptstadt fliehen musste. Und doch war sie in diesem Chaos eines handlungsunfähigen Riesenreichs viele Jahre lang der ruhende Pol und einzige Fixpunkt. Bis spät in ihrem Leben, als sie sich von Westlern malen und fotografieren ließ, bekam sie kaum ein Mensch zu Gesicht, denn sie pflegte bei Audienzen verborgen hinter einem Wandschirm zu thronen.

Kein Wunder, dass sich um sie die Geheimnisse rankten. Bis heute weiß man mit Sicherheit nicht einmal ihren Geburtsnamen. Fest steht, dass sie als junges Mädchen beim großen Konkubinen-Wettbewerb gut abschnitt; nach dem frühen Tod ihres Gatten schaffte sie es durch eine für sie lebensgefährliche Palastintrige die Macht an sich zu reißen, um sie nie wieder wirklich aus der Hand zu geben. In westlichen Quellen hat man von ihr oft ein düsteres Bild gezeichnet, als grausame Ränkeschmiedin und verknöchertes Fossil. Dem tritt die Autorin Jung Chang, 1951 in der Provinz Sichuan geboren, Täterin und Opfer der Großen Proletarischen Kulturrevolution und erste Chinesin, die einen Doktor der Philosophie an einer britischen Hochschule erwarb, mit Nachdruck entgegen. „Die Konkubine, die Chinas Weg in die Moderne ebnete“ heißt ihr Buch mit programmatischem Untertitel, im Englischen knapper zugespitzt: „The Concubine Who Launched Modern China“.

Keineswegs verschweigt Jung Chang, wie schwer es ihrer Heldin (denn das ist sie) fiel, die Notwendigkeit solcher Modernisierung einzusehen. Als die erste chinesische Eisenbahn gebaut wurde, setzte sie persönlich durch, dass der Zug statt von einer Lokomotive von Ochsengespannen gezogen wurde, damit die Ruhe der Kaisergräber ungestört blieb. Und doch, darauf besteht Jung Chang, war es Cixi, die über den tiefen Schatten der chinesischen Überlieferung sprang, die Bindung der „Lilienfüße“ bei den Frauen verbot, den Foltertod der „Tausend Schnitte“ abschaffte, lernbegierige Untertanen nach Europa und Amerika schickte und die erste Universität ins Leben rief. „Sie hatte ihre Fehler“, resümiert Jung Chang, „aber sie war keine Despotin. Verglichen mit ihren Vorgängern und Nachfolgern war sie eine milde Herrscherin. Wie in diesem Buch geschildert, ließ sie in vier Jahrzehnten absoluter Herrschaft nicht mehr als einige Dutzend Menschen aus politischen Gründen umbringen (...)“

Das ist mit einigem Trotz gesagt. Eine andere als die despotische Staatsform stand Cixi gar nicht zur Verfügung. Doch sorgte sie, ob freiwillig (wie Jung Chang andeutet) oder nicht, dafür, dass das dynastische China sie nicht überlebte; nur drei Jahre nach ihrem Tod wurde Pu Yi, wiederum ein Kindkaiser, dem sie noch auf den Thron verholfen hatte, gestürzt und die Republik ausgerufen.

Jung Chang hat ihr Ziel als Geschichtsschreiberin nicht in vollem Umfang erreicht. Sie versucht, Cixi als einzelne Figur von der Folie des Kaiserhofs abzuheben – aber das geht in dieser anti-individuellen Gesellschaft nicht ohne weiteres. In deren für uns westliche Leser oft rätselhafte Voraussetzungen bleibt sie eng eingebunden. Zeugnisse von der Hand der Kaiserin selbst existieren in so geringer Zahl, dass man schwer eine Persönlichkeit im westlich-neuzeitlichen Sinn herausbuchstabieren kann. Auch wenn sie China die Moderne gebracht hat: Sie selbst gehört noch ganz der alten Zeit an. Dazu sind die Geschehnisse von einer oft atemberaubenden Komplexität, die Akteure tragen im Lauf ihres Lebens ein halbes Dutzend verschiedene Namen, die für unsere Ohren auch noch alle so verwechselbar klingen. Bei aller Überfülle der Informationen geht eine gewisse elementare, indiskrete Neugier, von der sich Biografien-Leser gern leiten lassen, leer aus.

Die englischsprachige Kritik hat der Autorin, wie schon bei ihrer Biografie über Mao, dem sie ablehnend gegenübersteht, Einseitigkeit vorgeworfen. Dies dürfte seine Berechtigung haben, trifft aber nicht den Kern: Das Buch will ganz unverhohlen die Grundlagen einer neuen historischen Tradition liefern, einer Tradition, die nicht erst mit dem absoluten Bruch der kommunistischen Revolution anhebt, sondern Kontinuität mit der älteren chinesischen Geschichte auch und gerade in ihren dunklen Abschnitten sucht – und auch den Frauen, die in China meist nicht viel galten, den angemessenen Platz zuweist. Jung Changs Werk ist in China verboten, soll dort aber in einer großen Zahl von Raubkopien kursieren.

Wie lebt es sich in ... Leipzig

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Mein liebster Platz in Leipzig ist der Clara-Park, der sowohl im Winter, als auch im Sommer ein schöner Ort zum Ausspannen ist. An jeder Ecke stehen Leute und machen Musik. Man trifft immer jemanden zum Spielen oder zum Sport machen. Manchmal denke ich aber auch, Leipzig ist übertrieben sportlich, zum Beispiel wenn die Ski-Langlauftrainingsstrecke noch im Sommer genutzt wird. Ich selbst treffe mich im Park vor allem mit Freunden zum picknicken oder gehe mit meiner Tochter auf den Spielplatz.

Manchmal bin ich von Leipzig irritiert, etwa wenn ich Nachrichten über Kriminalität lese. Dann denke ich oft erstaunt: Huch, so etwas passiert also auch? Ich merke dann, das Leipzig doch recht groß ist. In der Kleinstadt, aus der ich komme, gab es das nicht. Hier aber wurde bei mir selbst schon eingebrochen, mir wurde eine Tasche geklaut und vielen Freunden von mir sind ähnliche Dinge passiert.

Gewohnt habe ich lange Zeit in der Südvorstadt. Nun, da ich es aber ein bisschen ruhiger haben mag, möchte ich gerne ins Waldstraßenviertel umziehen. Das ist sehr zentral gelegen, in den Gründerzeithäusern dort gibt es sehr schöne Wohnungen und zudem liegt es direkt am Park.

Nachts bin ich vor allem im Süden unterwegs, wo ich das Café Puschkin oder das Mc Cormacks sehr gerne mag. In Plagwitz beziehungsweise Lindenau gehe ich am liebsten ins Tante Manfred, das ist die Bar im Neuen Schauspiel. Wenn ich tanzen will, bin ich oft im Elipamanoke. Ansonsten ist dort in der Gegend auch die Baumwollspinnerei ein schöner Ausgehort.

Ich frühstücke meist unterwegs, aber wenn ich mich mit jemandem treffe, dann im Café Maître auf der Karl-Liebknecht-Straße.

Ist das Wetter richtig schön, bin natürlich auch ich gerne an den Seen, also am Kulkwitzer- oder Cospudener See. Wenn wir einen Ausflug mit dem Fahrrad machen wollen, fahren wir bis zum Störmthaler See. Der ist noch ein bisschen weiter weg aber für reine Radtour sehr geeignet. Bei Regen bleib ich am liebsten zu Hause. Und wenn es wirklich kalt ist, ist die Tropenhalle Gondwanaland im Zoo ein gutes Ausflugsziel, denn darin ist es schön warm.


Marie, 28, studiert in Leipzig Englisch und Ethik auf Lehramt


 


[seitenumbruch]




Ich bin ich vor 10 Jahren nach Leipzig gekommen, um BWL zu studieren. Nach dem Studium habe ich in der Stadt einen Job gefunden. Zum Ausgleich zu meiner Büroarbeit gehe ich gern raus in die Natur - und da hat Leipzig mit seiner Sieben-Seen-Landschaft einiges zu bieten. Im Süden und Norden der Stadt gibt es insgesamt sieben künstliche Seen. Früher wurde dort Braunkohle abgebaut, später wurden die Tagebaulöcher geflutet und nach und nach miteinander verbunden. Alle Seen haben eine sehr gute Wasserqualität und bieten von Wassersport über Rundweg zum Spazieren, Joggen, Fahrradfahren und ruhige Ecken (fast) alles, was das Herz begehrt. Vom Stadtzentrum aus sind der Kulkwitzer, der Cospudener und der Markkleeberger See am besten erreichbar.

An die ständigen Baustellen in der Stadt kann ich mich allerdings nicht gewöhnen. Leipzig verändert sich laufend. Neubau, Umbau, Ausbau, Straßensperrung, Umleitung. Aber die Leipziger sind im Allgemeinen sehr anpassungsfähig.

Wenn es warm ist und die Sonne scheint ist der Clara-Zetkin-Park einer der schönsten Orte hier. Man holt sich ein Eis am Musikpavillion, läuft über die Wiesen und spielt eine Runde Mölky (ein skandinavisches Wurfspiel, bei dem man Hölzer mit Zahlen treffen und am Ende genau 50 Punkte erreichen muss). Dann schlendert man am Elsterflutbecken entlang, kauft einen Kaffee vom Kaffeefahrrad, sucht sich ein schattiges Plätzchen schaut dem Treiben rund um die Sachenbrücke zu, wo sich im Sommer die halbe Stadt trifft.

Im Winter sollte man unbedingt den Leipziger Weihnachtsmarkt in der Innenstadt meiden. Dort zwängt sich eine einzige wabernde, quasselnde Menschentraube zwischen den Buden und Fahrgeschäften hindurch und es riecht überall nach billigen Glühwein, Bratwurst und Backwerk. Wer nach Geschenken sucht, sollte vielleicht lieber auf den alternativen Weihnachtsmarkt ins Werk 2 am Connewitzer Kreuz gehen.

Wenn es regnet, gehe ich am liebsten in eines der vielen Museen, ins Asisi-Panometer, in die Sachsen-Therme oder in den Leipziger Zoo. Dort kann man im beispielsweise im Pongoland Menschenaffen in ihren sehr geräumigen Gruppengehegen beobachten und bleibt dabei trocken.

Die Südvorstadt und Plagwitz sind meiner Meinung nach die besten Viertel in der Stadt. Beide Gegenden haben eine bunte Bewohnermischung, bieten unzählige Restaurants, Bar und Clubs zum Nachtschwärmen, sind wohn- und verkehrstechnisch gut gelegen – aber dennoch in Architektur und Stil sehr unterschiedlich.

Wenn ich zum Frühstücken ausgehe, dann am liebsten ins Plagwitzer Stelzenhaus am Karl-Heine-Kanal. Das ist ein schickes und etwas teureres Restaurant mit ruhigem Ambiente, aber sonntags gibt es dort ein großes Brunch-Buffett, das zehn Euro pro Person kostet und damit recht günstig ist. Wochenendbrunch ist ohnehin sehr beliebt in Leipzig, fast jede Bar und jedes Cafe bietet eins an. In beliebten Locations sollte man mindestens eine Woche vorher reservieren.

Wenn ich ausnahmsweise mal in ein Café gehe - was eher selten vorkommt, weil ich mehr der Bar-Typ bin - dann geh ich gern in die Luise in der Gottschedtstraße. Das ist gemütlich, man trifft dort eine Menge Künstler und Schauspieler vom benachbarten Schauspielhaus, es ist gemütlich und es gibt mit leckeren Kuchen und Kaffee.

Gehe ich mit Freunden essen, dann am liebsten in den Casablanca Salon in Plagwitz. Sie kochen dort marokkanisch, haben eine wechselnde Tageskarte und wenn es warm ist, gibt es einen schönen Freisitz an der belebten Karl-Heine-Straße.

Kommen meine Eltern zu Besuch, nehme ich sie mit ins Don Giovanni in der Schwartzestraße. Das ist ein Italiener mit anständiger Küche und einem etwas kitschigen Interieur aus Tischen, Palmen, Olivenbäumen, Springbrunnen und Vogelvolieren. Meine Eltern finden das sehr abwechslungsreich. Und was Kinos angeht, kann ich den Regina Palast im Leipziger Osten empfehlen. Der hat zwar nur sechs Säle, ist aber gemütlich und die Ticketpreise sind von sechs, beziehungsweise acht Euro für 3-D-Vorführungen sind für Studenten angemessen. Dort gibt es manchmal auch Filme abseits des einschlägigen Mainstreams.

jetzt-User Thunnus


[seitenumbruch]




Zur Zeit ärgere ich mich vor allem darüber, dass die Theaterwissenschaft an der Leipziger Uni geschlossen werden soll, genau wie die Archäologie. Die Kürzung ganzer Institute, das ist falsch. Eines Tages haben wir hier keine Volluniversität mehr.

Was aber die Stadt angeht, kann ich mich kaum auf einen liebsten Ort festlegen. Ich hab schon immer in Leipzig gelebt und es gibt hier einfach so viele schöne Plätze. Einer davon ist aber auf jeden Fall das Rosenthal, ein richtiger Wald und damit Natur pur. Dort gibt es den Wackelturm. Das ist eine stählerne Aussichtsplattform, die lustig hin und her schwingt, wenn man oben drauf steht.

Niemals gewöhnen werde ich mich dagegen an die unheimlich vielen Menschen auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt. Das ist jedes Jahr aufs neue ein grausames Erlebnis. Entweder du folgst den Massen oder du wirst niedergetrampelt. Glühwein finde ich trotzdem super, aber da empfehle ich eher den auf dem Campus. Der Becher kostet dort nur einen Euro. Der Geschmack ist zwar, naja, aber dafür ist die Wirkung ordentlich.

Eutritzsch ist definitiv mein liebstes Wohnviertel, dort leben vor allem alte Menschen und Kinder. Es ist nicht so angesagt, wie die Karl-Liebknecht-Straße oder Plagwitz, folglich hat man seine Ruhe.


Wenn ich nachts unterwegs bin, gehe ich am liebsten in Irish-Pubs. Die besten sind das KCP oder das Morrisons. Beide liegen mitten in der Innenstadt. Und auch beim Frühstück bevorzuge ich irische Kost. Die bekommt man zum Beispiel im Spizz, wo es irish Breakfast mit schönen, dicken Bohnen, Tomatensauce und Rührei gibt.

Wenn es im Sommer richtig warm ist, lauf ich am liebsten zum Theklaer Bagger, einem See im Nordosten der Stadt. Der Weg dorthin führt nur durch grüne Parks, das ist wunderschön und am Ziel kann man prima baden gehen. Wenn es nasskalt ist, rolle ich mich am liebsten zu Hause ein. Ist es dagegen warmes Regenwetter, spaziere ich am liebsten durch den Arthur-Bretschneider-Park, der ist gleich bei mir um die Ecke.

Was Cafés angeht, muss ich ein bisschen überlegen. Ich geh so selten in eines. Die beste Touristenfalle ist auf jeden Fall das Café Riquet, das im Kolonial-Stil eingerichtet ist. Dort trifft man zwar kaum auf Studenten, sondern vor allem auf alte Leute. Das macht es aber besonders großartig. Im Hintergrund läuft meist klassische Musik, dazu kann man sehr gut die Menschen beobachten, die draußen auf der Straße an den großen Fenstern vorbei laufen.


Patrick, 24, studiert in Leipzig Theaterwissenschaften

“Ich bin Taha!”–“Ich auch!”

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Es gibt schönere Orte als diesen Parkplatz am Stadtrand von Osnabrück. Es ist 6 Uhr morgens und noch dunkel, leichter Regen fällt. Hinter einem hohen Zaun liegt die alte Kaserne, die zu einem Sammellager für Asylbewerber umgebaut wurde. Kathrin, 28, steigt aus ihrem Wagen, sie ist heute besonders früh aufgestanden, um weitere Unterstützer abzuholen und hierher zu bringen. In einer Stunde soll die Abschiebung von Taha stattfinden.

Knapp hundert Menschen stehen vor der Flüchtlingsunterkunft, trotz der Uhrzeit. Über Telefonlisten und SMS-Verteiler wurden sie spontan über die Abschiebung informiert. Auch Bewohner des Sammellagers stehen hier, sie verteilen Kekse, Schmalzgebäck und Tee. Kathrin unterhält sich mit den Umstehenden, schielt immer wieder zur Straße. 23 Abschiebungen haben sie und das „Bündnis gegen Abschiebungen“ bereits verhindert. Heute soll die vierundzwanzigste dazukommen.
 

Kathrin frühmorgens vor einer Flüchtlingsunterkunft in Osnabrück. Durch eine Blockade wurde hier heute die Abschiebung des Sudanesen Taha verhindert.

Nur jeder vierte Asylantrag wird in Deutschland gewährt, viele werden gar nicht erst geprüft. Ein Grund dafür ist die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Derzufolge muss ein Flüchtling in dem europäischen Land seinen Antrag stellen, das er nach seiner Flucht zuerst betreten hat. In Tahas Fall sind das die Niederlande. Dort steht ihm allerdings die Obdachlosigkeit bevor. Der Sudanese ist 37 Jahre alt, seine Flucht dauert jetzt schon mehr als fünf Jahre. In den Niederlanden lebte er auf der Straße. Das will er nicht mehr. Seine Zukunft sieht er in Deutschland.



Kurz nach sieben Uhr fährt ein weißer Transporter vor. Es ist der Wagen der  Ausländerbehörde. Aus den vielen losen Grüppchen wird sofort eine dichte Menschenmasse. Dazwischen steht Taha. Wie von der Behörde angeordnet, hält er sich pünktlich vor dem Sammellager bereit. Zwischen den vielen Demonstranten ist er allerdings schnell zu übersehen. Ein Beamter ruft seinen Namen. „Hier!“, ruft Taha. „Hier!“, rufen auch alle anderen. Knapp hundert Menschen sind an diesem Morgen Taha. Die Beamten beratschlagen sich, ziehen schließlich ab. Kurz darauf bricht Jubel aus: Eine weitere Abschiebung wurde vorerst verhindert.

Der Protest aus Niedersachsen ist erfolgreich. Mehr als 30 Abschiebungen wurden durch Sitzblockaden und Flashmobs bereits verhindert. Die Aktionen fallen meistens unter "zivilen Ungehorsam" und der ist an sich nicht strafbar, solange sich die Handlungen im gesetzlichen Rahmen bewegen und gewaltfrei sind. Kürzlich versperrten Aktivisten in Göttingen den Zugang zu einem Haus, in dem eine somalische Familie auf ihre Abschiebung wartete. In Hannover wurde ein Treppenhaus belagert, das zu der Wohnung eines Flüchtlings führte. Bis auf einzelne Ausnahmen bleiben die Zusammentreffen von Demonstranten und Polizei friedlich.


Als die Ausländerbehörde vorfährt, schließen sich die verschiedenen Grüppchen zu einer Menschenmenge zusammen.

Der Asylbewerber selbst verstößt dabei nicht gegen Recht. Immerhin befindet er sich zur angegebenen Zeit am angegebenen Ort. Das ist wichtig, sonst würde er als untergetaucht gelten. Ist seine Abschiebung verhindert, muss ein neuer Termin angesetzt werden – das dauert oft drei bis vier Wochen. Zeit, die der Flüchtling nutzen kann, um juristischen Beistand oder Kirchenasyl zu suchen. Hält sich ein geduldeter Flüchtling zudem sechs Monate in Deutschland auf, gilt die Dublin-Regelung nicht mehr und Deutschland übernimmt die Prüfung des Asylantrags. So kann es schließlich zu einem legalen Aufenthaltsstatus kommen.

„Anfangs war es etwas Persönliches“, sagt Kathrin. Sie ist Angestellte, mit Asylpolitik hat sie sich lange nicht beschäftigt. Dann freundet sie sich mit einem Somalier an, kommt mit anderen Flüchtlingen ins Gespräch. Sie erfährt von der Dublin-Verordnung, dem zahlreichen Hin- und Hergeschiebe. „Ich konnte nicht glauben, dass alle diesen krassen Fluchtweg auf sich nehmen – und dann geht’s hier erst richtig los!“ Obwohl Asylpolitik meist von linken Gruppen aufgegriffen wird, definiert sich Kathrin nicht als links. „Hier geht’s um fundamentale Menschenrechte, die gehen jeden was an.“ Als ein Freund von Kathrin abgeschoben werden soll, der in der Stadt gut vernetzt ist, entsteht eine Solidaritätsbewegung. Seitdem begleitet Kathrin fast jede Abschiebung in Osnabrück, oft eine pro Woche, mitten in der Nacht oder früh morgens. Das zuständige Bundesamt legt die Abschiebetermine möglichst ungünstig, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen.

Dass der Widerstand in Niedersachsen besonders gut funktioniert, liegt vor allem an zwei Faktoren: Zum einen sind die Abschiebungs-Gegner hier besonders breit aufgestellt. Greenpeace, Antifa, Caritas und Kirchengemeinden haben sich in Osnabrück beispielsweise zusammengeschlossen. Ein Bündnis, das durch alle politischen und sozialen Schichten geht. Das macht es schwieriger, sie zu ignorieren – oder als Spartengruppe abzustempeln.

Zum anderen ist aber auch die Einstellung der Landespolitik entscheidend. Der niedersächsische Innenminister betont, dass er die Aktivisten nicht verurteilt. Den friedlichen Einsatz für Flüchtlinge findet er „grundsätzlich gut“, an der zurückhaltenden Polizeistrategie will er nichts ändern. Zudem werden Abschiebetermine dort rechtzeitig bekanntgegeben. Das ist nicht selbstverständlich. In anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Bayern, werden Abschiebungen zwar auch häufiger angekündigt. Die Regel ist es dort aber noch lange nicht. Die Politik hat also gewisse Spielräume – wenn sie diese nutzen will.

Als der Himmel hell wird, bedankt sich Taha bei seinen Unterstützern. Er lächelt sehr breit. Mehrmals wiederholt er, wie glücklich er ist. Selten wird der Erfolg eines Protestes so sichtbar.

Dieser Text erscheint ihm Rahmen von "360 Grad Europas Flüchtlingsdrama", einem Themenschwerpunkt von sueddeutsche.de

Wir haben verstanden: KW 50

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Von Wodka-Brause wird einem auch mit 26 noch so schlecht wie mit 16.

Nach der Weihnachtsfeier am nächsten Tag als einzige zufällig frei zu haben ist besser als Weihnachten.

WarumWahl-Kacke wichtig ist.

Kommen alle Züge pünktlich, landet man nur viel zu früh im Büro. Hat schon alles seinen Sinn.

Apple-Tastaturen überleben Großangriffe von Wassergläsern unbeschädigt. Sie müssen nur eine Nacht drüber schlafen.

Wer noch "kurz" seine Wolljacke trockenföhnen will sollte dafür mindestens eine Stunde einplanen oder es einfach ganz lassen.

Wenn die besten Freunde zu Besuch sind und man nur vier Stunden geschlafen hat, fühlen sich die vier Stunden morgens an wie mindestens sieben.





Man kann nie genug Käse essen. Nie.

Und auch nie genug Wein dazu trinken.

Wowi wird jetzt Imker (vielleicht).  

Ab und zu einfach mal den besten Freund anrufen. Seine Stimme macht alles, alles wieder gut.

Beste Atmosphäre? Nachts an der Uni!

Wenn man nicht genug schläft, verschiebt sich die Wirklichkeit um einige Zentimeter. Man sollte sich dann selbst nicht mehr über den Weg trauen. Und den Mund halten. Und schlafen gehen.

Dezember = zu viele Süßigkeiten.

Es ist wieder Verlagsvorschauenzeit. Und man denkt wieder: Wer zur Hölle soll all diese Bücher lesen?

Krasses Gefühl, wenn nach Wochen das erste Mal wieder die Sonne scheint.

Walnüsse sind ein sehr gutes Abendessen.

Überhaupt: mehr Nüsse knacken. Das ist eine so schöne Beschäftigung.

Jungs, warum seid ihr so leicht zu haben?

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Die Mädchenfrage:
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Liebe Jungs,

Es geht heute ums Angeflirtet-werden oder eigentlich: ums Nicht-angeflirtet-werden. Ihr versteht da nämlich gelegentlich etwas falsch und hängt mit „Na, Hallöchen“-Miene an unserem Haken, obwohl wir gar keinen Köder ausgeworfen haben. Nicht absichtlich jedenfalls. Wenn wir zum Beispiel in der Bahn einen Augenblick zu lang in eure Richtung gucken, dann haben wir in den meisten Fällen einfach nur müde vor uns hingeträumt und irgendjemanden dabei angeguckt. Irgendjemanden.

Ihr registriert unseren Blick trotzdem und reagiert sofort mit dem Klassiker, dem hoffnungsvollen Kopfheber, oder interessierten Blicken. Irgendwie seid ihr im Bezug aufs Flirten ständig auf Empfang gestellt – und wirkt dabei wie ein Hund im Park, der es nicht erwarten kann, dass ihm jemand den Frisbee zuwirft, und deswegen bei jeder kleinen Bewegung zuckt.

Klar schielen wir manchmal ganz angetan zu euch rüber und hoffen, ihr merkt's. Aber dass nicht jedes Lächeln und nicht jeder Augenkontakt gleich Interesse bedeuten, müsstet ihr doch wissen. Und dass die nette Kellnerin, die euch die Hand auf die Schulter legt und über eure Witze lacht, meistens nicht scharf auf eure Nummer, sondern auf euer Trinkgeld ist, doch auch. Warum geht ihr dann trotzdem drauf ein? Jungs, ernsthaft, seid ihr so leicht zu beeindrucken? Reichen ein paar warme Worte und ein nettes Lächeln manchmal schon, damit ihr euch heiß begehrt fühlt? Seid ihr wirklich so leicht zu überzeugen, dass da was geht? Die meisten von euch sind doch sonst so rational, warum dann nicht auch beim Flirten?

Oder verstehen wir das völlig falsch und ihr wisst meistens eigentlich schon, dass euer Gegenüber kein wirkliches Interesse an euch hat und wollt einfach ein bisschen spielen? Dann sagt es uns doch bitte. Dann müssen wir nämlich das nächste Mal kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir in der Bahn wieder zu lange gestarrt oder eine nette gedankenlose Bemerkung zu viel gemacht haben.

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von jakob-biazza.[seitenumbruch]Die Jungsantwort:
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Liebe Mädchen,

ich fasse das mal zusammen. Ihr so: verträumte Feen-Wesen, die hin und wieder – und dann aber natürlich auch immer ganz aus versehen und eigentlich auch, ohne es zu merken – ein bisschen Zauberstaub fallen lassen. Schlafzimmerblick höchstens wegen Schlafmangel. Wir so: Hund, Frisbee, Tendenz heraushängende Zunge, treudoof. Bisschen Sabber auch.

Nennt mich polemisch (oder unausgeschlafen). Aber: Am Arsch!

Wobei ich mich am allerwenigsten an der Hunde-Metapher störe. Paarungsbereiter Kerl und frisbee-geiler Köter: meinetwegen. Den hoffnungsvollen Kopfheber interpretiert ihr auch ganz richtig. Um das alles also schnell abzuhaken: Ja. Wenn ihr uns länger anlächelt, interpretieren wir das als Interesse. Wenn ihr uns gefallt (und das „wenn“ möchte ich bitte mit einem kapitalen „W“ verstanden wissen), freuen wir uns drüber. Niveau: Schneekönig.

Das hat, grob verkürzt, mit Häufigkeit zu tun: Es passiert den meisten von uns nicht sehr oft. Ergo ist es etwas Besonderes. Und dann kann’s schon gut passieren, dass wir nach dem Frisbee springen oder sogar schnappen. Weil: Interesse zieht eben Interesse nach sich. Wie bei einem guten Gespräch, bei dem sich die Menschen gegenseitig Dinge fragen. Den Effekt der Kellnerinnen-Hand auf der Schulter hat die Wissenschaft belegt: mehr Trinkgeld. Allerdings gilt das für beide Geschlechter.

Was mich an diesem ganzen Bild stört, sind zwei Punkte. Der erste betrifft den Begriff "Interesse". Ihr benutzt den tendenziell so, als wäre es – quasi zwangsläufig – der erste Schritt zu einer säftelnden Anmache mit Macho-Plattitüden. Und da haben unsere Mütter doch wenigstens die Guten unter uns anders erzogen.

Dazu kommt der Umkehrschluss, den ich euch einfach nicht abnehme. Etwas zugespitzt würde der ja meinen, dass ihr als unterkühlte Eisengel durch die Welt schwebt. Attitüde: Scheuklappe. Verführungs-Chance: null. Und das ist doch, mit Verlaub, hanebüchener Unfug. Wir hören doch, wie ihr euch über den Kollegen unterhaltet, der immer etwas so läuft, als sei er gerade vom Pferd gestiegen, und würde sich jetzt für ein Duell in Stellung bringen. Oder über den etwas zerrockten Chor-Mitsänger. Tut doch also nicht so, als würde euer Herz nicht auch einen Schlag auslassen, und die nächsten zwei dafür ganz schnell nachzuckeln, wenn die euch zulächeln (oder gar -zwinkern).

Genauso, wie wir merken, dass die Kellnerin dem Typen mit rotem Kopf und Button-Down-Karo-Hemd am Nebentisch die Hand auch auf die Schulter legt, merken wir nämlich auch, dass ihr auch gerne mal Interesse bekommen wollt. Nur eben nicht von jedem. Und da sind wir uns wiederum sehr, sehr ähnlich.

Girly-Adopter

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Da kommt Freund D. plötzlich richtig ins Schwärmen. Seine Freundin, sagt D., sei „supererfolgreich“: Die Promotion schon angemeldet und der nächste Workshop zusammen mit dem Professor geplant. Drei Jobs nebenbei und am Wochenende muss sie wieder einen Vortrag auf irgendeinem Kongress halten. Im Laufe des Gesprächs wird mir klar: Mein Freund trägt seine Freundin wie ein edles Kleidungsstück - von dem er jedem ungefragt erzählt, dass es teuer war.

Seit einiger Zeit beobachte ich diesen Mechanismus verstärkt bei meinen Freunden. Das könnte ja zunächst sehr erfreulich sein. Es bricht mit dem Klischeebild vom „ganzen Kerl“, der sagt, wo’s langgeht. Doch irgendetwas daran ist auch irritierend. Denn fragt man diese Männer dann, was sie denn so machten, erfährt man, dass es bei ihnen eher so mittelmäßig läuft gerade. Vieles an der Uni vor sich hergeschoben. Bisschen abhängen im Moment. Noch offen halten, wo das alles so hingeht mit dem Studium.





Ist ja grundsätzlich nicht schlimm, wenn jemand noch nicht weiß, wo es so hingeht im Leben. Doch so, wie mein Freund die Geschichte erzählt, fühlt sie sich komisch an. Und scheint gleichzeitig höchst interessant. Denn man kannte das Phänomen bislang ja eher vom Frauen-Typ der Sorte „Arzt - oder Unternehmergattin“, die bei Kaffee und Kuchen ein bisschen angeben mit den beruflichen Erfolgen des Gatten. Auch um selber besser dazustehen. Oder? Was steckt sonst hinter penetrant nach außen getragenem Lob für den Partner, wenn nicht der Wunsch nach Erhöhung des eigenen Egos?

Und bei meinem Freund sehe ich dieses erhöhte Ego auch. Allerdings nur an der Oberfläche. Untendrunter kommt er mir nicht gerade wie ein besonders glücklicher Mensch vor. Es ist vielmehr so, als hätte er aufgeben und sich mit seinem Schicksal in der Bedeutungslosigkeit abgefunden. Mit der erfolgreichen Freundin führt D. einen Kampf um gemeinsame Zeit und Beachtung - möchte er ihn gewinnen, muss er nachgeben. Seine eigenen Pläne werden kontinuierlich ein bisschen weniger wichtig, während die Freundin das Tempo des Alltags vorgibt. Ihre Prüfungen oder Deadlines für Hausarbeiten entscheiden, ob die beiden die Staffel „Breaking Bad“ jemals zusammen durchgeschaut bekommen - oder er ihr die Kurzzusammenfassung schnell am Frühstückstisch erzählen muss. Man bekommt schnell das Gefühl einer fehlenden Selbstreflektion, wenn er von ihr erzählt. Ihr Erfolg, so scheint er zu glauben, wird automatisch auch zu seinem Erfolg. D. muss sich um die Freundin drehen, wie die Erde um die Sonne. Denn ohne ihrenGlanz und ihr Licht, wäre Leben auf seinem Planeten gar nicht möglich.

Kommt es jetzt also auf die Frau an, die man hat – oder eben nicht? Ist mein Freund ein Early-Adopter der weiblichen Überlegenheit? Zumindest hat er erkannt, dass bei ihr mehr geht als bei ihm. Er packt die Evolution bei den Hörnern und versucht seine Freundin noch stärker zu machen, indem er sie unterstützt und ihre Erfolge in die Welt hinaus trägt. Das klingt erstmal schön, doch wenn er dabei sich selbst vergisst und die eigenen Bedürfnisse zurückstellt, wacht er vielleicht eines Tages auf und merkt, dass der eigene Lebenslauf nur spärlich bedruckt ist.

Und das fällt dann auf seine Freundin zurück. Denn nur weil sich Arzt-Gattinnen schon immer an ihren Männern aufrichteten und dann irgendwann merkten, dass das Leben an ihnen vorbeigezogen ist, sorgt es nicht automatisch für ausgleichende Gerechtigkeit, wenn es jetzt auch immer mehr Männer gibt, die so leben. Denn das Hochziehen am Partner war eines schon immer - und wird es auch immer bleiben: Unsexy und unselbstständig! Ich sollte mal seine Freundin fragen.

Die vorletze Woche 2014

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Wichtigster Tag diese Woche: Der Sonntag. Da mache ich ne Party, beziehungsweise ein Freund macht sie, und ich helfe ihm dabei. Im Ampere im Muffatwerk, mit zwei guten Konzerten (Flow, Monobo Son) und einem Auftritt meiner selbst mit dem Kneipenchor, der an manchen Stellen auch ein bisschen schräg werden könnte. Sorry, das war jetzt Eigenwerbung, aber ist nun mal die ehrliche Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Tag.


Kulturelles Highlight: Das Konzert von Pardon Ms Arden im Atomic Café am 23.. Klassische Zwei-Fliegen-eine-Klappe-Situation: Noch mal ins Atomic gehen, bevor da Schluss ist. Und ne Band sehen, die ich eigentlich eh immer mal live sehen wollte.


Politisch interessiert mich: Wie es in Sachen Folterbericht der CIA in den USA weitergeht. Nachdem der Senatsbericht der vergangenen Woche bewiesen hatte, was längst alle vermutet haben, hat am Freitag der Geheimdienstchef ausgesagt. Seiner Meinung nach habe es sich um Einzelfälle gehandelt, strafwürdig sei nichts davon. Das aber ist genau die Sache, die es in der nächsten Zeit zu klären gilt, wenn die USA und der Westen insgesamt im Kampf gegen Terroristen noch einen Funken Glaubwürdigkeit behalten wollen: Es braucht Gerichtsverfahren, die das Geschehene so aufarbeiten, wie es sich in Rechtsstaaten gehört.


Soundtrack: Nachdem ich mich durch die CD-Neuerscheinungen der nächsten Woche geklickt habe, tendiere ich dazu, doch lieber in Dauerschleife Weihnachtslieder zu hören. Immer noch besser als Après-Ski-„Hitgiganten“ und die neue Platte von Nickelback.


Kinogang? Eher nicht, keine Zeit. Wenn, würde ich mich aber wahrscheinlich mal in einen Western wagen: Tommy Lee Jones bringt diese Woche einen ins Kino. Er heißt „The Homesman“ und ist einer der wenigen Western, in denen es mal hauptsächlich um Frauen geht – und zwar nicht um welche, die als Amüsierdamen im Saloon die wilden Cowboys bezirzen.


https://www.youtube.com/watch?v=gUfJf1lmITA


Geht gut diese Woche: Vorfreude auf ordentlich Schnee.


Keine Chance diese Woche: In die Innenstadt ohne Hass auf die Menschheit zu entwickeln.

Coole Geschäfte

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Wer cool ist, der interessiert sich nicht besonders für die Welt um ihn herum. Es kümmert ihn nicht, dass da die Schauspielerin Kirsten Dunst auf einem Sessel in der Ecke fläzt, dass die junge Frau am Pool kein Bikinioberteil trägt oder dass man einen wunderbaren Blick auf die Skyline von Los Angeles hat. Wichtig ist zunächst einmal die eigene Erscheinung und die Tatsache, dass man anwesend ist. So gesehen ist die Lounge Upstairs auf der Dachterrasse des Ace Hotels in Downtown Los Angeles der coolste Ort der Welt.



Das Ace Hotel in Los Angeles ist immer noch gefragt. Vergangene Woche feierte der Film "The Interview" dort Premiere.

Genau das hatte Alex Calderwood im Sinn, als er 1999 in Seattle den ersten Ableger von Ace Hotel eröffnete: Es sollte ein Ort sein von verrückten Typen für verrückte Typen, von Künstlern für Künstler.

Calderwood war Fashiondesigner, Verlagsleiter, besaß einen Friseurladen, ein Plattenlabel und Tattoo-Studios. Mittlerweile gibt es neben den Hotels in Los Angeles und Seattle Häuser in New York, London, Panama und Palm Springs. Sie symbolisieren die Idee von Calderwood, und damit auch ein Problem: Calderwood wurde im November 2013 im Alter von 47 Jahren tot in einem Londoner Hotelzimmer gefunden. Zuvor hatte er sich von seinem Freund und Geschäftspartner Jack Barron getrennt, die Mitbegründer Wade Weigel und Doug Herrick hatten ihre Anteile bereits verkauft. Die Frage lautete nach dem Tod von Calderwood: Kann so eine Hotelkette ohne seine Galionsfigur, ohne den umtriebigen Workaholic überhaupt existieren?

Die finanzielle Antwort bisher: Ja, es funktioniert. Die Einnahmen der Kette in diesem Jahr werden auf 110 Millionen Dollar geschätzt. Diese verfügt in den sieben Städten über insgesamt 1045 Zimmer, weshalb der sogenannte RevPAR – der Logis-Erlös pro verfügbarem Zimmer – bei 288 Dollar liegt. Eine Studie der amerikanischen Hotelindustrie ergab, dass die Kennziffer bei vergleichbaren Hotels 156,93 Dollar beträgt. Die Ace-Hotels sind also immer noch cool, und sie generieren auch ordentliche Einnahmen. In einer Mitteilung des Unternehmens klingt das so: „Bei Ace wurde zwar immens über den Verlust von Alex getrauert. Aber auf den Verkauf von Hotelzimmern hatte es keinen Einfluss.“

Das freilich ist ganz im Sinn der Unternehmen, mit denen sich Calderwood bereits vor seinem Tod zusammengetan – und weshalb er seine Freunde verjagt hat. Barron etwa begründete die Trennung mit Calderwoods zunehmendem Alkoholkonsum: „Ab einem gewissen Alter ist es nicht mehr lustig, es macht keinen Spaß mehr.“ Weigel wurde noch direkter: „Das Leben bei Ace hat sich verändert, wir haben nun große Chefs – ich arbeite aber lieber an kleineren Projekten.“ Calderwood jedoch brauchte Investoren wie GB Lodging, um seine gewaltigen Ideen umzusetzen. Die jedoch schreiben auf ihren Webseiten nichts von Coolness, sondern davon, „den Wohlstand der Investoren zu maximieren“.

Genau so wirkt es nun, wenn man die Filiale in der Innenstadt von Los Angeles besucht: cool, gewiss, aber auch sehr gewinnorientiert. Die Bleistift-Zeichnungen in der Bar im Erdgeschoss stammen von den Malerzwillingen Simon und Nikolai Haas, die in regelmäßigen Abständen neue verdeckte Hinweise auf die Eigenheiten dieser Stadt anbringen. Die bildende Künstlerin Alia Penner entwarf die Möbelbezüge für die Sessel auf der Dachterrasse, der Designer Michael Schmidt ist für die Eisenketten an der Decke verantwortlich, die bereits 1927 hier waren, als das Gebäude noch der Vereinigung unabhängiger Künstler gehörte.

Die Zimmer aber sind spartanisch eingerichtet, man sieht zunächst einmal ganz viel Beton. Auffällig ist die Gitarre an der Wand und das Aufnahmegerät neben dem Bett. Das Ganze wirkt nicht luxuriös, sondern wie die Enklave eines Schriftstellers, der einen Roman zu Ende schreiben und deshalb nicht abgelenkt werden will. Das kann der Besucher nun als cool bezeichnen, aber auch als langweilig und sparsam.

Es gibt einen neuen Präsidenten bei Ace, er heißt Brad Wilson und sagt Sätze wie diesen: „Das Ziel von allem, was immer wir tun in Bezug auf Design, zielt darauf ab, wie wir die Nachfrage erhöhen und Einnahmen für ein bestimmtes Objekt erzielen.“ Aus dem Mund von Calderwood wäre so ein Satz undenkbar gewesen. Bisher hatte Calderwood bei jedem einzelnen Hotel sämtliche Details bestimmt und auch die Künstler mit dem Design beauftragt; er hatte dafür gar die Berufsbezeichnung „Cultural Engineer“ erfunden, die er erst sich selbst und dann handverlesenen Mitarbeitern verliehen hatte. Im kommenden Jahr soll der Ableger in Pittsburgh eröffnet werden – der erste, an dem Calderwood nicht beteiligt war. Erst dann wird sich wirklich zeigen, ob Coolness und Geschäft zusammenpassen.

In die Jahre gekommen

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Montagnachmittag, 16.15 Uhr. Langsam füllen sich im Hörsaal E1 der Universität Landau in der Pfalz die Reihen. Die Vorlesung „Einführung in die Politikwissenschaft“ steht auf dem Programm, sie richtet sich an Bachelor-Studenten der Sozialwissenschaften. Unter ihnen ist Annemarie Harwood, Studentin im zweiten Semester. Ein Neuling fast, wie die meisten Kommilitonen. Und doch unterscheidet sie sich in einem wesentlichen Punkt von den anderen Studenten: Sie ist 49 Jahre alt. Biografien wie ihre sind von Politik und Wirtschaft erwünscht. Der Begriff „lebenslanges Lernen“ fehlt in nahezu keiner Debatte. Allerdings: Wer studiert und älter ist als 30 Jahre (im Bachelor) oder 35 Jahre (im Master), erhält vom Staat keine Förderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz – und hat es vielleicht schwerer zu studieren. Daran wird sich auch mit der Novelle des Bafög nichts ändern, die an diesem Freitag im Bundesrat ansteht.

Im März 2013, kurz nach ihrem Amtsantritt, stellte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erstmals Bafög-Pläne vor. „Das Bafög geht heute teilweise an der Lebenswirklichkeit vorbei“, sagte die CDU-Politikerin. Es gebe viele Menschen, die neben dem Job studierten oder nach einer ersten Berufstätigkeit. „Die Förderung muss weiter geöffnet werden“, so Wanka, „an die heutigen Realitäten angepasst“. Als Pfeiler einer Reform waren fortan eben großzügigere Altersgrenzen im Gespräch.



Bundesbildungsministerin Johanna Wanka bei einer Debatte um das Bafög im Oktober 2014.

Zweifelsohne hat die nun vorgelegte Reform historischen Charakter. So will der Bund vom Jahr 2015 an das Bafög allein tragen, bislang steuern die Länder ein Drittel der Kosten bei. Die 16 Länderminister sollen das gesparte Geld wieder in Bildung stecken. Ob das genau so kommt, wird spannend. Klarer Vorteil der Änderung ist: Schon bei kleinen Bafög-Erhöhungen in der Vergangenheit hatten die Ministerpräsidenten im Bundesrat oft gefeilscht. Der Bund in Eigenregie könnte flexibler sein.

Ansonsten ist die Reform jedoch ein eher mittelgroßer Wurf: So will der Bund zwar unter anderem die Sätze und Freibeträge zum Herbst 2016 um sieben Prozent erhöhen, der monatliche Höchstsatz steigt von 670 auf 735 Euro. So könnten laut Ministerium zusätzliche 110000 Empfänger Geld erhalten. Allerdings gab es seit Jahren schon keine Erhöhung mehr beziehungsweise nur ein winziges Plus. Kritiker rügen den späten Termin im Jahr 2016.

Beachtlich sind sieben Prozent an sich schon. Doch ist das die Anpassung an die „Lebenswirklichkeit“, wie von Wanka versprochen? Studenten über 35 müssen den Hochschulbesuch weiter auf eigene Faust finanzieren. Angeblich gab es bei der Entwicklung der Reform heiße Debatten mit dem Finanzminister. Der Koalitionsvertrag sagt dazu jedenfalls nichts – dort findet sich kein Wort zum Bafög. Ein „redaktioneller Irrtum“, hieß es, in den nächtlichen Sitzungen habe man das schlichtweg vergessen. „Wir machen eine Bafög-Reform, darauf können Sie sich verlassen“, stellte Wanka danach umgehend klar.

Studentin Harwood kann sich auch verlassen – auf ihren Ehemann. „Ohne seine Unterstützung könnte ich nie studieren“, sagt sie. Jeden Cent dreimal umdrehen muss sie nicht. Dennoch empfindet sie es als ungerecht, dass die Politik ihr – anders als ihren jungen Kommilitonen – indirekt Hürden auferlegt. „Das Gerede vom lebenslangen Lernen wird durch so eine Regelung doch ad absurdum geführt“, sagt sie. Und schließlich gibt es Spät-Studenten, die Singles sind oder in knapperen finanziellen Verhältnissen leben. Mit der Kritik steht Harwood nicht alleine. „Die Altersgrenzen beim Bafög gehören abgeschafft“, fordert Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. „Das Bafög muss viel stärker gesehen werden als das Herzstück eines künftigen Systems zur Finanzierung des lebenslangen Lernens.“ Auch Studentenvertreter sehen es kritisch, dass sich die Regierung nicht an die Altersgrenzen herantraut. „Sehr enttäuschend“ nennt das Daniel Gaittet, Vorstandsmitglied im Studenten-Dachverband fzs. „Die Politik fordert, dass Menschen sich möglichst ein Leben lang weiterbilden und versäumt es dann, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.“

Das Ministerium bestätigt auf SZ-Anfrage indirekt das Veto des Bundesfinanzministers. „Es ist und bleibt klare Politik der großen Koalition, weiter zur Haushaltskonsolidierung beizutragen“, sagte der Sprecher. Aber das Thema Altersgrenzen berge zudem Probleme. Schwierig sei die Bemessung des Bedarfs, wenn deutlich mehr Empfänger etwa eine Familie zu versorgen hätten; auch würde die Rückzahlung (normales Bafög wird je zur Hälfte als Zuschuss und Darlehen gewährt) womöglich bis ins Rentenalter reichen. Insgesamt, so der Sprecher, müsse mit der aus Steuermitteln finanzierten Sozialleistung zunächst etwas „im Interesse der Chancengerechtigkeit junger Menschen“ getan werden – dies sei die Priorität gewesen.

Eine Hoffnung bleibt: Die Zuständigkeit des Bundes könne Neuerungen „im Einzelfall beschleunigen“, sagt der Sprecher, der Bund werde „flexibler auf studentische Anliegen eingehen können“. Womöglich irgendwann die der älteren Studenten? Des Problems ist sich Wanka bewusst. Mit der Bologna-Reform und den Abschlüssen Bachelor und Master ist das Thema wichtiger geworden. Die Politik betont oft, dass der Bachelor berufsqualifizierend sei – schließlich könne man nach einer Berufstätigkeit den Master später noch nachholen. „Hochschulen sind in ihrem Selbstverständnis meist nur auf das Alter zwischen 18 und 25 ausgerichtet“, heißt es beim Stifterverband für die Wissenschaft, einer Initiative der Wirtschaft. In Zukunft säßen im Studium jedoch bunte Truppen aus Schulabgängern und Mittvierzigern mit Berufserfahrung. Das Bafög mit Altersgrenzen scheint da in die Jahre gekommen zu sein – wie die neue Klientel an den Universitäten.

Annemarie Harwood verspricht sich vom Studium, mit Anfang 50 bessere Jobangebote zu bekommen: Nachdem sie sich eine Auszeit genommen hat, um zwei Kinder großzuziehen, sei das nicht der Fall gewesen. „Ich habe Abitur, eine Ausbildung als Industriekauffrau und war für meine Firma mehrere Jahre im Ausland. Als ich wieder einsteigen wollte, war das alles nicht mehr viel wert. Also dachte ich: Du musst mehr tun und zur Uni gehen."

Tod auf Bestellung

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Mit den Medien kennt sich Huang Jiefu aus. Seit Jahren ist der frühere Vizegesundheitsminister nun schon Vorsitzender der Organspendekommission in China. Und er weiß die Presse für seine Zwecke einzusetzen, auch die ausländische. „China stoppt Organentnahme von Exekutierten“, hieß es Anfang Dezember in zahlreichen internationalen Medien. Zum 1. Januar schon wolle China damit aufhören, Hingerichtete als Organspender zu nutzen. Das klang großartig. Kenner der Szene rieben sich allerdings die Augen.



Schätzungsweise 10000 Organe werden im Jahr in der Volksrepublik China transplantiert. „Aber nur 1500 von diesen Organen kommen von freien Bürgern“, weiß Professor Li von der Uni Mainz.

„Wie sollte das gehen? Schließlich gibt es in China außerhalb von Gefängnissen kaum Organspenden“, sagt Huige Li, ein Professor der Uni Mainz, der sich bei der Organisation DAFOH (Ärzte gegen erzwungene Organspende) engagiert. Schätzungsweise 10000 Organe werden im Jahr in der Volksrepublik China transplantiert. „Aber nur 1500 von diesen Organen kommen von freien Bürgern“, so Li. Umso größer sei das Interesse an den Organen Inhaftierter, die bisher meist nach persönlichen Abkommen zwischen Polizei, Richtern und Ärzten einflussreichen oder zahlungskräftigen Kranken zugeschanzt würden. Einer der vielen Belege dafür: Im Jahr 2006 hat der damalige Polizeichef von Jinhou, Wang Lijun, einen mit umgerechnet 200000 Euro dotierten Preis erhalten – weil er an Tausenden Transplantationen mitgewirkt habe. „Wohlgemerkt: der Polizeichef“, so Li.

Wer genau hinsieht, kann erkennen: Kommissionschef Huang Jiefu hat überhaupt nicht vor, die Organspenden von Exekutierten in China zu beenden. „Er nennt die Gefangenen nur nicht mehr Gefangene“, sagt Arne Schwarz, ein Menschenrechtsexperte, der sich seit Jahren gegen die Verwendung von Organen Hingerichteter engagiert. Neu ist, dass Huang die Organe künftig offenbar ohne die bisherige Korruption über das staatliche Organspendesystem vergeben will. „Freiwillige Spenden sollen künftig die einzige Quelle für Organe sein“, heißt es in der staatlichen Tageszeitung China Daily, in der nichts erscheint, was nicht von der politischen Führung gebilligt wird. Gefangene blieben aber „qualifizierte Kandidaten“, deren Organe „im Computersystem registriert anstatt für privates Handeln genutzt“ würden. Das sei der Unterschied. Schließlich könne man Organe von Gefangenen nicht ablehnen, wenn die nach ihrem Ableben damit noch etwas Gutes tun wollten. Bedingung sei, dass sie „freiwillig spenden und ihre Familien die Entscheidung begrüßen“. Soweit die Staatszeitung.

„Aber was ist schon freiwillig, wenn man mit dem Tod bedroht wird?“, fragt Professor Li. Aus gutem Grund werde die Verwendung von Gefangenen als Organspender von Ärztegesellschaften und Menschenrechtsorganisationen weltweit verurteilt. Vor einem Jahr ist dies auch in einer Resolution des EU-Parlaments geschehen.

Li sorgt sich, dass sich das Unrecht mit der neuen Regelung verschleiern lasse: „Wenn Huangs Pläne wahr werden, sind alle Bemühungen der internationalen Gesellschaft umsonst gewesen“, sagt er. „Dann können Organe von Hingerichteten immer über das staatliche Organspendesystem weißgewaschen werden.“

Und der Westen? Ist nicht unbeteiligt am Organraub in China. Viele Ärzte und Wissenschaftler suchen den Austausch mit dem zweitgrößten Transplantationssystem der Welt, das ihnen Publikationen einbringen und mitunter auch finanzielle Interessen befriedigen kann. Auch Pharmafirmen nutzen die große Zahl von Transplantationen in China. Sie lassen dort Medikamente testen, die etwa die Abstoßung von Organen unterdrücken sollen. In den entsprechenden wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird dann nur kurz erwähnt, von was für Spendern die Organe stammen: „Todesursache: Hirnverletzung“, steht dort. „Übersetzt heißt das: Kopfschuss“, sagt Arne Schwarz.

Das Interesse der Patienten ist dennoch ungebrochen. Im Internet finden sie große Versprechen: Ganz offen wird auf den Websites von Krankenhäusern um zahlungskräftige Organempfänger aus dem Ausland geworben. Oft beträgt die Wartezeit für eine Spenderleber nur wenige Wochen. Beim Shanghai Changzheng Hospital ist es sogar nur eine Woche.

Der Andrang ist so groß, dass sich die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) fragt, wie mit solchen Patienten zu verfahren ist. Was passiert, wenn jemand mit Komplikationen in eine deutsche Klinik kommt? Hat er ein Anrecht auf eine hiesige Spenderleber, wenn seine chinesische Leber versagt? „Es gibt auch unter Ärzten große Irritationen, was das betrifft“, sagt Gertrud Greif-Higer, Vizevorsitzende der Ethikkommission der DTG. Die Gesellschaft wolle nun einen Kodex entwickeln, wie mit solchen Patienten zu verfahren ist.

Einige Organempfänger aus dem Westen argumentieren, dass die Gefangenen in China doch sowieso exekutiert würden. Aber so einfach ist die Sache nicht: Die Patienten bestimmen, welcher Gefangene wann den Tod findet. Schließlich müssen die Organe in ihrer Größe und auch von der Blutgruppe her zum Empfänger passen.

Dass die Exekutionen nach Bedarf vorgenommen werden, zeigt auch ein Erlebnis, das der Herzchirurg Franz Immer von der Schweizer Organspendestiftung schildert. Im Jahr 2007 wollten ihm Ärzte in einem Pekinger Krankenhaus eine Herztransplantation zeigen. Wann er denn Zeit habe, wurde der Gast aus dem Westen gefragt. Morgen? Ja, gut. Wann denn: lieber vormittags oder nachmittags? In diesem Moment, so Immer, sei ihm klar geworden, dass zu eben dieser Zeit wohl ein Gefangener exekutiert würde. Die Transplantation sollte schlicht in den Terminkalender des Besuchers passen. „Da“, sagt er, „habe ich mich geweigert, daran teilzunehmen.“

Es schwele der Teer für alle Zeiten

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Nun also ist die deutsche Kultusministerkonferenz der Aufforderung der Unesco nachgekommen, eine Liste immaterieller Kulturgüter vorzulegen, die in besonderem Maß als schutzwürdig erscheinen. 27 Stück sind es geworden, im März 2015 werden sie offiziell eingereicht: ein Zeugnis dafür, wie es in der amtlichen Verlautbarung heißt, „mit welch großartigem Engagement die Zivilgesellschaft kulturelle Bräuche und Traditionen bis heute pflegt, modern interpretiert und an die nachfolgenden Generationen weitergibt“.



Das Krawattenabschneiden an Weiberfastnacht ist Tradition und läutet im Rheinland den Straßenkarneval ein.

Es sind Einrichtungen darunter wie die Limmersdorfer Lindenkirchweih, wo „Kerwaburschen“ und „Kerwasmadla“ in der Lindenkrone tanzen, oder das Malchower Volksfest, weil es dazu dient, „sich gut gelaunt dem Alltag zu entziehen und zusammen lachen zu können“. Dabei sind altehrwürdige Künste wie die Flößerei in Bremen oder die Köhlerei und Teerschwelerei in Sachsen; die Schwäbisch-Alemannische Fastnacht wird ebenso unter Schutz gestellt wie der Rheinische Karneval. Das Singen von Liedern der deutschen Arbeiterbewegung hat es auf die Liste geschafft (besonders hervorzuheben: die Internationale und „Bella Ciao“), die deutsche Brotkultur und die Falknerei. Berücksichtigt sind neben der Chormusik der 60000 deutschen Amateurchöre und der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft als solcher auch die „Genossenschaftsidee“ und die „Auseinandersetzung mit dem Rattenfänger von Hameln“.

Wie, um Himmels willen, schützt man eine Auseinandersetzung? Das Konzept des Unesco-Weltkulturerbes ging aus von einzelnen, eben materiellen Orten, die jeder sehen und anfassen kann und für die sich leicht etwas Materielles tun ließ, indem man zum Beispiel einem alten Schlossgemäuer neue Standfestigkeit gab. Dieses leicht begreifliche, obwohl nicht immer überzeugende Konzept hatte in den letzten Jahrzehnten erheblichen Erfolg (vor allem touristischen). Der Status des Weltkulturerbes kam einer Heiligsprechung gleich und erwies sich als Zauberstab der Finanzierung. Er musste zu heftiger Lobbyarbeit verlocken.

Diese immaterielle Parallel-Liste kann gar nicht anders, als alle lebendige Praxis nach dem Muster des im Raum stillgestellten Objekts zu behandeln. Nicht nur ist es aussichtslos, gleich die gesamte deutsche Theater- oder Laienchor-Landschaft auf diese Weise retten zu wollen, denn da verteilen sich Aufmerksamkeit und Gelder notwendig nach einem Gießkannenprinzip, von dem keiner was hat.

Vor allem hat es keinen Sinn, das, was die Leute so von sich aus tun und jemals getan haben, einer amtlichen Fürsorge und damit Aufsicht zu unterstellen, die gerade der gerühmten „Zivilgesellschaft“ fernsteht. Der Rheinische Karneval (funktioniert er noch so, wie man ihn geschützt sehen will?) lebt von der Verspottung genau solcher Denkungsart. Warum um alles in der Welt soll man Flößerei und Teerschwelerei fortsetzen, wenn es für diese altertümlichen Mühseligkeiten längst viel besseren Ersatz gibt? Und die angeblich altehrwürdige Brotkultur ist eine Errungenschaft aus jüngster Zeit, möglich geworden durch einen Wohlstand und eine Wahlfreiheit, die früher einfach nicht existierten.

Nein, wenn man wirklich so etwas wie Tradition bewahren oder auch neu anknüpfen will, muss man schon ein bisschen mehr machen, als ein Etikett draufkleben. Die Genossenschaftsidee wird nicht blühen, weil jemand eine Glasglocke drüberstülpt, sondern nur, wenn die Menschen sich tatsächlich als Genossen fühlen. Das ganze Unesco-Projekt sollte von Rechts wegen den Namen „Dornröschen“ führen: Denn sein Trachten geht darauf, alles Lebendige, das es berührt, bis hin zur erhobenen Hand des Kochs, der den Küchenjungen ohrfeigen will, in einen todesähnlichen Schlaf zu versetzen.

Der Zorn des Südens auf das „Vierte Reich“

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Als sich in der vergangenen Woche Giorgio Napolitano, der Staatspräsident Italiens, und Joachim Gauck in Turin trafen, um gemeinsam einer Veranstaltung beizuwohnen, die den schönen Namen „Italian – German High Level Dialogue“ trug, hatten sie einen Mann aus der Wissenschaft hinzugeladen: den Turiner Historiker und Politologen Gian Enrico Rusconi, den ehemaligen Leiter des deutsch-italienischen historischen Instituts in Trient. Er nutzte die Gelegenheit zu einer Ansprache, die mehr Beschwerde als Festrede war: Der Euro, sagte er, habe sich von einem „Gemeingut“ (er benutzte das Wort auch im Sinne von „gutes Gemeines“) in ein „Instrument der Ungleichheit“ verwandelt, das nicht nur die „schwachen“ Völker Europas bedrohe, sondern letztlich auch die Interessen der Deutschen. Während die „Partner“ in ihrer „Impotenz“ gelähmt seien, sei Deutschland die eine europäische Nation, die darüber entscheide, was zur Rettung der Währung und Europas unternommen werde.



Joachim Gauck und Giorgio Napolitano beim "Italian - German High Level Dialogue" in Turin.

Der Vorwurf, der so erhoben wird, ist weder politischer noch ökonomischer, sondern moralischer Natur. Er besteht in der Klage, Deutschland habe, aus welchen Gründen auch immer, den Geist der Gemeinschaft verraten. Verschanzt hinter einem „mechanisch inflexiblen Geldsystem“, werde das reichste Land des Kontinents zu einer Hegemonialmacht, angesichts derer die Bürger der anderen Staaten in der Union das Gefühl gewönnen, ihre demokratische Souveränität verloren zu haben. Solche Vorwürfe sind, wie immer, keine Kritik. Stattdessen fordern sie Rücksichtnahme ein, Anerkennung, vielleicht sogar Mitleid. Gian Enrico Rusconi liebt deswegen das deutsche Wort „Gesprächspartner“. Er sagt: „Wenn ich nach Deutschland komme, empfinde ich mich nicht mehr als Gesprächspartner.“ Joachim Gauck, gelernter Pfarrer, kann mit Klagen dieser Art umgehen: Man solle häufiger miteinander reden, meint er.

Ein wenig Ökonomie hätte an dieser Stelle womöglich mehr geholfen: Seit Einführung des Euro im Januar 2002 ist Italiens Wirtschaft kaum noch gewachsen, seit Beginn der immer noch andauernden Krise im Jahr 2008 verliert das Land mit großer Geschwindigkeit seine Industrie, und was vor ein paar Jahren immer noch an international konkurrenzfähigen Branchen im herstellenden Gewerbe im Land war, löst sich auf: Feinmechanik, Automobilbau, die Herstellung von Haushaltsgeräten, das alles findet sich mittlerweile in Ländern wieder, in denen das Produzieren billiger und effizienter ist.

Und wenn nun Matteo Renzi, der Ministerpräsident, kommt und sagt, es müsse alles anders werden, dann klingt das vielleicht gut, in den Ohren vieler Italiener und bei den europäischen Finanzpolitikern sowieso. Es zeigt aber auch, dass immer noch keiner aussprechen will, was längst offenbar ist: dass nämlich die Einführung des Euro, um den man in Italien in den Neunzigern mit härtesten Mitteln gekämpft hatte, ein gescheiterter Versuch war, mit den Mitteln eines europäischen Kredits nachholend die Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen, mit der andere Staaten in die Währungsunion eingestiegen waren.

Oder anders gesagt: An Italien erfüllt sich das Gesetz der Gleichheit. Es besagt, dass Ungleiches, wenn es gleich behandelt wird, keineswegs verschwindet, sondern immer ungleicher wird. Es trifft also zu, wenn Gian Enrico Rusconi erklärt, der Euro habe die Unterschiede zwischen den europäischen Nationen vergrößert. Und es trifft auch zu, dass in dieser Differenz die Macht und der Reichtum Deutschlands immer weiter wuchsen, während Italien darin verlor und weiter verliert – erkennbar schon an „lo spread“, dem Unterschied zwischen den Zinssätzen für Deutschland und denen für Italien, die südlich der Alpen behandelt werden wie andernorts der Wetterbericht. Verschwunden ist aber in der Klage, Deutschland lasse es an Rücksicht und Teilnahme fehlen, der Umstand, dass Italien die entsprechenden Vereinbarungen nicht nur selbst traf, sondern auch verlangte – in der Hoffnung, seinerseits zu triumphieren.

Und wenn das Land nun die Verpflichtung auf die Stabilitätskriterien des Euro als Fron empfindet, so ist dieses Diktat nur die andere Seite der Hoffnung, die Teilhabe am Euro werde Italien alle Freiheiten einer großen ökonomischen Macht eröffnen. Von Gründen und Ursachen aber wollen viele italienische Gelehrte und Publizisten nicht wissen.

Lieber macht man sich auf die Suche nach Schuldigen. In diesem Bemühen weitergekommen als Gian Enrico Rusconi sind die Publizisten Vittorio Feltri, der Herausgeber der Mailänder Tageszeitung Il Giornale, und Gennaro Sangiuliano, stellvertretender Direktor des staatlichen Nachrichtenprogramms „Telegiornale1“ („Tg1“). „Il Quarto Reich“, „Das Vierte Reich“ heißt ihr im Oktober bei Mondadori erschienener Essay, der seitdem zu den bestverkauften politischen Büchern des Landes gehört: „come la Germania ha sottomesso l’Europa“ – „wie Deutschland Europa unterworfen hat“.

Das Buch ist zwar nicht ganz so spektakulär wie der Titel: Das Wort vom „Vierten Reich“ ist eigentlich ein Zitat, das sich die beiden Autoren bei der amerikanisch-polnischen Historikerin Anne Applebaum ausgeliehen haben (die wiederum den Verdacht, in Deutschland sei ein „Viertes Reich“ entstanden, zurückwiesen hatte). Die Vorwürfe aber wiederholen sich, wenngleich in verschärfter Form: Deutschland benutze seine ökonomische Überlegenheit, um seine Waren in der ganzen Welt zu verkaufen – also die Konkurrenz aus anderen Ländern zu verdrängen –, anstatt zu investieren –, also andere an sich verdienen zu lassen. Und es verberge seine imperialen Interessen hinter einer „seelenlosen Technokratie“. Überhaupt gebe es keinen Grund, dieses neue „Reich“ irgend zu bewundern.

Das Problem besteht indessen auch im Falle dieses Büchleins im moralischen Furor. Denn wäre Deutschland tatsächlich ein Imperium, ginge es auch Italien besser als unter gegenwärtigen Umständen. In einem „Reich“ würde man darauf achten, dass keine Provinz verloren geht, es gäbe Solidarzuschläge ohne Ende, und asphaltierte Straßen würden bis an die äußersten Grenzen der Macht gelegt. Insofern ist Deutschland alles andere als ein „Viertes Reich“: indem es nämlich den italienischen Staat dazu zwingt, seine Verarmung selbst zu organisieren. Auf solche Details kommt es jedoch bei einer Formel wie der vom „Vierten Reich“ nicht an. Das Wort gibt es, weil es ein Superlativ der Schuldzuweisung ist – einer Schuldzuweisung zumal, gegen die man sich nicht wehren können soll, ohne noch einmal Rechenschaft für das „Dritte Reich“ leisten zu müssen.

Aber auch dieser Moralismus lässt sich noch steigern: Gian Enrico Rusconi erwähnt nur, dass der Aufstieg der europafeindlichen Parteien in vielen Ländern des Kontinents etwas mit einem Widerstand gegen Deutschland und den Euro zu tun haben könnte. Die Autoren des „Vierten Reiches“ sind radikaler: Am Triumph des französischen Front National bei den jüngsten Europawahlen interessiert sie vor allem, dass er Internet-Kampagnen unter Namen wie „Radio London“ oder „Maquis“ hervorbrachte – also zwei Adressen des Widerstands gegen das „Dritte Reich“ und seinen Weltkrieg.

Warum es den französischen Rechtspopulismus gibt, was er mit den Eigenarten dieses Zentralstaats zu tun hat oder damit, wie er sich seinen Migranten gegenüber verhält, oder warum der Front National sich schon seit dem Jahr 1972 erhält – das alles interessiert nicht mehr, wenn es gelingen kann, seine schiere Existenz in einen Zeichen des Widerstands gegen Deutschland zu verwandeln.

Eines ist es, sich mit Reden wie der Gian Enrico Rusconis auseinanderzusetzen, oder mit Büchern, die das „Vierte Reich“ beschwören, um einen Schuldigen für den ökonomischen Niedergang eines ganzen Landes zu finden. Ein anderes ist es, mit dem Zorn umzugehen. Denn selbst wenn er irrt, so gibt es ihn doch, laut, schrill und zunehmend schwer erträglich.

Tagesblog - 15. Dezember 2014

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18:04 Uhr: Gibt es einen besseren (Arbeits-)Tagesausklang als die fünf ultimativ besten und/oder wichtigsten Songs der Woche? Dafür garantiert Jan, der sich den ganzen Tag durch sämtliche Spotifiy-Playlisten und Youtube-Channels gehört und geklickt hat, um euch diese erlesene Auswahl präsentieren zu können.

Klar, rhetorische Frage. Nein, gibt es natürlich nicht. Und deshalb verabschiede ich mich mit dem Hinweis auf die Fünf Songs für den Wochenstart - mit "kapitalen Gitarrenbrettern", einer prima Band aus Österreich (nicht Wanda) und "wippenden, soulkundigen Halswirbelsäulen".





++++

16:16 Uhr
: Um den Kommentar von Montrose aufzugreifen (und um hier mal wieder für ein bisschen Betrieb zu sorgen), erlaube ich mir, das, letztendlich dann doch sehr großartige Heute-Show-RT-Fake-Video einzubetten. Ich hab's ja eigentlich nicht so mit Welke und verstehe nicht ganz, warum der dermaßen abgefeiert wird (m.E. ein meist eher müder Abklatsch von Jon Stewart), aber einzelne Ideen sind halt einfach gut. Diese hier zum Beispiel:

https://www.youtube.com/watch?v=9EZA293UFZw

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14:20 Uhr
: Juchu, die Startseite bewegt sich! Und die Freude ist doppelt groß, weil sie das tut, um Platz für einen Text von Nadja zu machen. Wie jeden Montag rätselt sie, "Woher der Hass" kommt - die Frage diesmal: Woher der Hass auf Paketboten?

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590505/Woher-der-Hass-Paketboten" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/charlotte-haunhorst/text/regular/1031631.jpg"]

Mein Lieblingsabsatz:
Alle sind im großen Fußgängerzonen-Vermeidungs-Taumel und setzen sich an den Computer, um Geschenke im Internet zu bestellen. „Per Mausklick“, wie Medien mit Bart das gerne nennen. Weil es die Lieferdrohnen noch nicht gibt, müssen Paketboten dafür sorgen, dass die bestellten Dinge als Päckchen in unsere Häuser geliefert werden, und haben gerade sehr viel zu tun. Gleichzeitig müssen sie nämlich auch noch allen Medien mit Bart Interviews geben, wie viel sie zu tun haben.

Wobei ich den hier auch sehr gerne mag:
Da trifft etwas aufeinander, das eine ganz gefährliche Mischung ergibt: der Hass und die Moral. Beides zusammen macht die Menschen bigott. Und: noch wütender. Weil sie eigentlich ja wissen, dass sie nicht auf der einen Seite auf den Paketboten schimpfen können und auf der anderen Seite auf die Politik und die Wirtschaft, die nichts für ihre Dienstleister tut. Und auf der dritten Seite auch noch alle Geschenke im Internet bestellen. Das Ergebnis ist eine astreine Abwehrhaltung à la „Angriff ist die beste Verteidigung“. Hass auf die faulen Paketboten, die nie klingeln. Hass auf die faulen Politiker, die nichts für die Bürger tun. Hass auf die faulen Bürger, die alles im Internet bestellen.

Aber bevor ich jetzt den ganzen Text hier reinkopiere, lest ihr ihn besser selbst. Das lohnt sich nämlich.

++++

14:07
: Die wunderbare Nadine hat mich gerade auf den ebenfalls wunderbaren Hashtag #illridewithyou aufmerksam gemacht. Buzzfeed hat das sehr schön zusammengefasst. (Wer's seriöser mag: Beim Guardian gibt's das Gleiche in grün.)

Nach den ganzen unerfreulichen Pegida-Nachrichten tut es gut, auch mal sowas zu lesen.

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13:13
: Nix los im Tagesblog? Nun gut, vielleicht liegt das auch an mir. Dann stelle ich nach dem Pegida-Thema mal eine zweite Frage in den Raum, die mich gerade beschäftigt: Findet ihr es okay, was Tom getan hat? Heiraten, obwohl man weiß, dass man eine Straftat begeht? Und würdet ihr ggf. sogar selbst eine Schutzehe eingehen, wenn ihr damit einen anderen Menschen vor der Abschiebung retten könnt?

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12:14 Uhr
: Ich erlaube mir mal, alcofribas zu zitieren. Weil wichtig:

Deswegen fand ichs so gut, dass gestern in der ansonsten schaurigen Jauch-Sendung Frau Schwan drauf hingewiesen hat, dass Ressentiments gegen "Fremde", Flüchtlinge und Einwanderer eben nicht nur bei dezidierten "Nazis" / NPD-wählenden Hools auftauchen, sondern eben weit in die angblich so unverdächtige "Mitte" der Gesellschaft reichen, man kann gut situiert sein, CDU-oder SPD-Wähler, Akademiker und trotzdem ein stinkender Rassist.

Das trifft es meiner Meinung nach sehr, sehr gut. Kann man gar nicht oft genug darauf hinweisen. Erst kürzlich gab es die jährliche FES-Studie, die mir mal wieder die Schuhe ausgezogen hat: Jeder dritte Ostdeutsche ist ausländerfeindlich. Beschreibt sehr gut, dass sich vermeintlich extremistische Einstellungen wie Fremdenhass und Antisemitismus längst in der "Mitte der Gesellschaft" breit gemacht haben.

Fragt sich nur: Wie wird man die wieder los?

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11:23 Uhr
: Jetzt komme ich zum ersten Mal in die Verlegenheit, hier im Tagesblog meinen eigenen Text ankündigen zu müssen. Deshalb mache ich es kurz und schmerzlos: voilà!

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590506/Geheimbund" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ch/charlotte-haunhorst/text/regular/1031619.jpg"]

(Hintergrund: Für den Text war ich letzte Woche unterwegs auf Recherche und habe jemanden getroffen, der eine Geflüchtete geheiratet hat, um sie vor der Abschiebung zu retten. Die Behörden nennen das "Scheinehe", Flüchtlingsorganisationen und linke Aktivisten "Schutzehe".)

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10:49 Uhr
: Ich ziehe die Frage, die Digital_Data in den Kommentaren aufgeworfen hat, mal hier hoch:

Ich finde ja, dass man denen viel zu viel Raum bietet. Ich meine, jede Erwähnung ist auch eine Werbung für die. Jeder erklärt dauernd, was Pegida bedeutet etc. Das sollten die Satire-Shows abhandeln. Wenn es in einem Monat noch aktiv ist, dann kann man sich mal damit beschäftigen.

Ich finde das extrem schwierig. Einerseits verstehe ich den Impuls, Pegida-Sympathisanten zu ignorieren, weil jede noch so kluge Analyse das Phänomen größer macht - dazu passt zum Beispiel dieser Kommentar bei Zeit Online: "Nehmt Pegida nicht so wichtig".

Demgegenüber stehen diese Zahlen: Jeder Dritte befürchtet Islamisierung Deutschlands. Da fühlt sich offenbar eine verdammt (ich finde: beängstigend) große Minderheit nicht ernst genommen und leidet an (ich finde: absurden) Besitzstandswahrungs-Ängsten; das ist fruchtbarer Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie, frei nach dem Motto: Wenn es nicht genug für uns gibt, dann können wir uns keine Ausländer leisten.

Das macht mir Angst. Und ich glaube schon, dass man diese Ängste ernst nehmen muss und versuchen sollte zu verstehen, wie sich eine solche Stimmung entwickeln konnte. Und was man dagegen tun kann. Wohin Ignoranz führt, haben wir in der deutschen Geschichte leider zu oft gesehen (damit meine ich nicht unbedingt die NS-Zeit, sondern auch und vor allem Rostock-Lichtenhagen).

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9:44 Uhr:
Falls es tatsächlich jemanden interessieren sollte: hier findet ihr die Site-Kritik, die ich vorhin gehalten habe. Mich würde ja interessieren, was ihr auf die Fragen geantwortet hättet.

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09:24 Uhr
: Besser spät als nie: guten Morgen zusammen!

Warum so spät? Weil die SZ-Konferenz heute länger gedauert hat. Was auch an mir lag. Ich musste nämlich mein erstes "SZ Besser" halten; das ist die tägliche Blattkritik (bei einem Online-Medium eher: Site-Kritik) mit sieben festgelegten Fragen:

  1. Was war unsere beste Geschichte und warum?

  2. Welche Überschrift und welcher Teaser haben zum Lesen verführt?

  3. Welcher nicht und wie sähe er besser aus?4. Wo bist du vorzeitig ausgestiegen?

  4. Wo bist du vorzeitig ausgestiegen?

  5. Gutes Foto – schlechtes Foto?

  6. Welcher Tweet hätte mehr Liebe vertragen können?

  7. Über welche Geschichte der Konkurrenz müssen wir uns ärgern?

Was ich so geantwortet habe, erzähle ich gleich. Jetzt muss ich mich erstmal an meinem neuen Arbeitsplatz einrichten, Jan hat mich nämlich vertrieben.

Geheimbund

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"Wo hatten Sie das erste Mal Geschlechtsverkehr?“ Als der Beamte der Ausländerbehörde Toms Zögern auf die Frage bemerkt, hakt er nach: „Wie haben Sie verhütet?“ Tom tut so, als würde er versuchen, sich zu erinnern. Tatsächlich überlegt er, was Sina, der in einem anderen Raum gerade die gleiche Frage gestellt wird, wohl antwortet. Je länger die Stille, desto misstrauischer wird sein Gegenüber werden. „Bei mir“, sagt Tom. „Wir haben ein Kondom benutzt.“

Es war die richtige Antwort. Jedenfalls war es die gleiche, die auch Sina gegeben hat. Das war großes Glück, denn Sina und Tom haben noch nie miteinander geschlafen. Und trotzdem haben sie geheiratet.





„Nicht aus Liebe“, sagt Sina und Tom ergänzt: „Aber ich finde, unser Motiv war genauso wichtig und ehrenwert.“ In ihrer Heimat wird Sina gesellschaftlich geächtet und hätte sich prostituieren müssen, um zu überleben. Um in Deutschland Asyl zu erhalten, muss man allerdings nachweisen, dass man politisch verfolgt wird - ohne die Hochzeit wäre Sina also abgeschoben worden. Die beiden etwa 30-Jährigen, die eigentlich anders heißen, sitzen jetzt am Küchentisch in der gemeinsamen Wohnung. Zumindest ist es die Wohnung, in der sie zusammen gemeldet sind. Eigentlich wohnt Tom hier alleine und Sinas Zahnbürste im Bad, Sinas Bettwäsche im Schlafzimmer und Sinas Schuhe im Hausflur sind nur eine Inszenierung.

Drei Buchstaben machen einen großen Unterschied


So wie überhaupt ihre ganze Ehe inszeniert ist. Spricht man mit Standesbeamten oder Ausländerbehörden darüber, hört man die Bezeichnung „Scheinehe“. Tom macht das wütend: „Viele vermeintlich echte Ehen sind mehr Schein als unsere. In Deutschland wird aus vielen Gründen geheiratet und Liebe ist nur einer davon.“ Tom nennt seinen Bund mit Sina lieber „Schutzehe“. Drei Buchstaben, die für ihn einen großen Unterschied machen: „Unser Ja-Wort hat Sina vor der Abschiebung und einem ungewissen Schicksal in ihrem Heimatland gerettet.“

Bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe drohen Deutschen, die Geflüchtete nur heiraten, um ihnen ein Bleiberecht zu verschaffen, und damit den Straftatbestand „Einschleusen von Ausländern“ erfüllen. Tatsächlich bleibt es meist bei einer Geldbuße. Viel schwerwiegender sind die Folgen für die ausländischen Partner: Wenn ein Richter urteilt, dass keine „eheliche Lebensgemeinschaft“ besteht, erlischt der Schutz, den das deutsche Grundgesetz dafür vorsieht. Die Aufenthaltserlaubnis verliert ihre Gültigkeit und die Abschiebung ins Heimatland wird eingeleitet.

"Generalverdacht" gegenüber binationalen Ehen


„Letztendlich war es gar kein so großes Risiko“, sagt Sina, während sie drei Tassen auf den Tisch stellt. „Selbst wenn wir aufgeflogen wären – mit einem guten Anwalt wäre Tom wohl ohne Vorstrafe davongekommen. Und ich hatte eh nichts zu verlieren. Meine Familie hat mich verstoßen, alleine hätte ich keine Chance gehabt.“ Obwohl Sina nicht bei Tom wohnt, bewegt sie sich, als wäre sie hier zu Hause. Sie weiß, wie die Kaffeemaschine funktioniert und wo die Zuckerdose steht. „Nach unserer Hochzeit haben wir in der ständigen Angst gelebt, dass Mitarbeiter von der Ausländerbehörde vorbeikommen und uns kontrollieren“, sagt sie. „Wenn ich dann erst mal Tom hätte fragen müssen, wie man mit diesem Ding da einen Espresso macht, hätten wir uns ja gleich selbst anzeigen können.“

Ihre Sorge ist begründet. Bei binationalen Ehen sind Ausländerbehörden häufig misstrauisch. „Ich würde das durchaus als Generalverdacht bezeichnen“, sagt Hiltrud Stöcker-Zafari, die Bundesgeschäftsführerin des Verbands binationaler Partnerschaften. Standesbeamte dürfen keinen Trauschein ausstellen, wenn es Anzeichen auf eine sogenannte Scheinehe gibt. „Innerhalb der Behörden gibt es Kriterien, wann man besonders genau hinschauen sollte. Wenn etwa ein großer Altersunterschied besteht oder das Paar auf eine schnelle Eheschließung drängt, sind Sachbearbeiter angehalten, eine Schutzehe auszuschließen.“ Dafür können die Standesbeamten selbst getrennte Befragungen der beiden Ehepartner durchführen oder die Ausländerbehörde einschalten.

Wie viele sogenannte Scheinehen in Deutschland geschlossen werden, lässt sich nicht exakt sagen. Die Bundespolizei und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklären sich für nicht zuständig, die lokalen Ausländerbehörden kennen keine bundesweiten Zahlen. Der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge haben im Jahr 2013 322 Personen durch Scheinehen ein Visum bekommen, 329 eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungsbefugnis. Zu diesen etwa 650 polizeibekannten Fällen kommt aber noch eine schwer zu schätzende Dunkelziffer.

Das Ja-Wort war ein komisches Gefühl


Manche binationale Paare bekommen schon auf dem Standesamt Probleme. „Das war bei uns ganz anders“, sagt Sina. „Die Standesbeamtin war total herzlich, von Misstrauen keine Spur. Ich glaube, sie hatte selbst einen Migrationshintergrund und offensichtlich keine Lust, in unserem Privatleben herumzuwühlen.“ Vielleicht hatten sich Sina und Tom aber auch nur besonders gut vorbereitet und mit ihrem Auftreten mögliche Zweifel im Keim erstickt.   Auch bei der Hochzeit selbst lief alles glatt: „Wir haben im kleinen Kreis gefeiert“, sagt Tom. „Alle Gäste waren eingeweiht, auch meine Eltern. Der Standesbeamtin mussten wir natürlich trotzdem etwas vorspielen. Deshalb haben wir vorher zusammen Ringe gekauft und ein Kleid ausgesucht. Der Kuss und das Jawort haben sich schon komisch angefühlt, aber ich glaube, als Schauspieler machen wir uns ganz gut.“ Wenn man sieht, wie die beiden zu zweit das Haus verlassen oder Hand in Hand über den Weihnachtsmarkt schlendern, wirken sie zwar nicht unbedingt frisch verliebt, aber doch vertraut.

Diese gemeinsamen öffentlichen Auftritte sind immer noch nötig: Mehrfach hätten nach der Heirat Mitarbeiter der Ausländerbehörde bei ihnen geklingelt, sagt Tom. „Beim ersten Mal war ich alleine zu Hause und habe sie abgewimmelt. Die hatten ja keinen Durchsuchungsbeschluss, da muss ich niemandem die Tür aufmachen. Allerdings haben mir Freunde dann erzählt, dass man eher in Ruhe gelassen werde, wenn man möglichst gutgläubig auftritt, so nach dem Motto: ‚Wir haben nichts zu verbergen. Kommen Se rinn, da können Se raus kieken!‘ Als sie dann das nächste Mal vor der Tür standen, haben Sina und ich eine kleine Wohnungsführung gegeben.“

Obwohl Sinas Schminke im Bad steht, obwohl ein Buch mit Lesezeichen auf ihrem Nachttisch drapiert ist – „habe ich noch nie aufgeschlagen, das liegt da seit Monaten“ – obwohl sie einen eigenen Kleiderschrank hat, blieben die Beamten skeptisch. Getrennte Befragungen wolle man durchführen, um letzte Zweifel auszuräumen. „Da sind wir dann schon nervös geworden“, gibt Tom zu, „eigentlich war alles perfekt inszeniert, wir hatten ja auch schon jede Menge Übung im Ehepaar-Spielen. Und trotzdem sollten wir noch mal einzeln auf der Behörde vernommen werden. Was haben wir falsch gemacht?“

Mit einer Heirat ein Leben verändern


Vermutlich gar nichts. Nicht ihr Verhalten hat Sina und Tom verdächtig gemacht, sondern die Umstände der Heirat. Während seiner Studienzeit hat sich Tom in der antirassistischen Szene engagiert und immer wieder für die Rechte von Geflüchteten demonstriert. „Als ich dann in ein anderes Bundesland gezogen bin, wollte ich mehr tun, als ein paar Mal im Jahr mit einer Sitzblockade eine Abschiebung hinauszuzögern. Das deutsche Asylrecht kann ich alleine nicht verändern – das Leben einer Geflüchteten aber schon.“ Über Freunde lernte Tom Sina kennen, deren Asylverfahren gerade lief. Die Chancen standen schlecht, ohne Toms Hilfe wären ihr vermutlich nur noch wenige Wochen in Deutschland geblieben. Die schnelle Hochzeit kam der Abschiebung zuvor. Diese Anhaltspunkte machen Ausländerbehörden grundsätzlich misstrauisch.

Weil es keine harten Kriterien gibt, wann eine Ehe eine Scheinehe ist, untersuchen die Behörden das Lebensumfeld des Ehepaares, als Ultima Ratio warten die getrennten Befragungen. „Dafür haben wir uns die Listen besorgt, mit denen sich die Beamten vorbereiten“, sagt Tom. „Diese Fragebögen bekommt man in der linken Szene oder man sucht sie sich im Netz. Die sind wir gemeinsam durchgegangen, so wie man für eine Führerscheinprüfung lernt.“ Sina wusste danach, dass sich Tom ausschließlich nass rasiert, und sie einigten sich, wer auf welcher Bettseite schläft. Nur die Frage nach dem ersten Mal traf sie unvorbereitet: Doch anscheinend sind Sina und Tom gute Schauspieler: „Das war eine ekelhafte Situation. Du weißt: Wenn du jetzt was anderes sagst als Tom, dann sitzt du in ein paar Wochen im Flugzeug. Aber irgendwer oder irgendetwas wollte wohl, dass ich in Deutschland bleibe“, sagt Sina.

Seitdem haben Sina und Tom nichts mehr von der Behörde gehört. Sie achten immer noch darauf, dass die Wohnung auch für einen spontanen Besucher aussieht wie die eines Ehepaares, doch die ständige Anspannung hat nachgelassen. Sina lebt in ihrer WG und besucht Tom nur noch gelegentlich. Bei einem normalen Paar würde man sagen: Sie haben sich auseinandergelebt, jetzt folgen die Trennung und das Feilschen um den gemeinsamen Besitz. Bei Sina und Tom ist das Gegenteil der Fall: „Ich bin so froh, dass ich Sina kennengelernt habe. Denn mittlerweile sind wir richtig gute Freunde geworden.“

Freundschaft ja, Liebe nein


Wird aus der Schutzehe also doch noch eine Liebesehe? „Oh Gott, nein!“, sagt Sina. „Das würde alles viel zu kompliziert machen. Wir kennen einen Fall, wo das passiert ist – und es hat kein gutes Ende genommen. Sie haben sich erst verliebt, nach einem Jahr wieder getrennt und dann wurde plötzlich klar, wie ungleich die Machtverhältnisse in der Beziehung sind.“ Erst nach drei Jahren Ehe erwirbt man das Recht auf einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland. Wenn sich die deutsche Freundin hätte scheiden lassen, wäre ihr ausländischer Partner wohl abgeschoben worden. „Die Beiden haben sich dann zum Glück zusammengerauft und mit der Scheidung noch so lange gewartet, bis er die Aufenthaltsgenehmigung beantragen konnte. Aber dieses Beispiel hat uns abgeschreckt. Freundschaft ja, Liebe nein, das haben wir einander versprochen.“

Wirksamer als dieses Versprechen dürfte die Tatsache sein, dass Tom inzwischen eine deutsche Freundin hat. „Das macht es für uns einfacher“, sagt er. So harmonisch die Beziehung zwischen Sina und Tom auch wirkt, scheiden lassen wollen sie sich trotzdem. „Natürlich bedeutet das noch mal jede Menge lästigen Papierkram“, sagt Tom. „Aber vielleicht will einer von uns ja später richtig heiraten. Eigentlich war ich mir immer sicher, dass ich keine Lust auf dieses ganze Brimborium habe. Aber bei unserer Hochzeit habe ich gemerkt, wie schön so ein Fest mit Freunden und Tanzen und Torte sein kann. Ich glaube, das möchte ich noch mal erleben – und Sina wird dann meine Trauzeugin.“

Woher der Hass? Paketboten

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Weihnachtszeit, Plätzchenzeit! Ach nein, pardon, ich meinte natürlich: Päckchenzeit! Alle sind im großen Fußgängerzonen-Vermeidungs-Taumel und setzen sich an den Computer, um Geschenke im Internet zu bestellen. „Per Mausklick“, wie Medien mit Bart das gerne nennen. Weil es die Lieferdrohnen noch nicht gibt, müssen Paketboten dafür sorgen, dass die bestellten Dinge als Päckchen in unsere Häuser geliefert werden, und haben gerade sehr viel zu tun. Gleichzeitig müssen sie nämlich auch noch allen Medien mit Bart Interviews geben, wie viel sie zu tun haben.





Keine leichte Jahreszeit für Paketboten also. Aber ach, gibt es die überhaupt? Erstens wird ja immer viel und immer mehr online bestellt und ausgeliefert, Paketboten haben also das ganze Jahr immer viel und immer mehr zu tun. Und zweitens wird dann noch dauernd über sie geschimpft. Beliebtes Smalltalkthema von Menschen, die im Erdgeschoss wohnen: „Der Paketbote gibt dauernd alle Päckchen für das ganze Haus bei mir ab. Sie blockieren meinen Flur!“ Beliebtes Smalltalkthema von Leuten, die unterm Dach wohnen: „Der Paketbote gibt dauernd alle Päckchen im Erdgeschoss ab, ohne bei mir zu klingeln.“ Es gibt Geschichten von Leuten, die sich die Kniescheibe zertrümmert haben, weil sie über Pakete im Flur gestolpert sind. Oder von Geburtstagskuchen, die das Geburtstagskind Tage zu spät erreicht haben, weil sie beim kurz nach dem Paketbotenbesuch übers Wochenende verreisten Nachbarn im Flur lagerten. Und am Ende, denken die Hasser, ist daran der DHL- oder der Hermes- oder der UPS-Mann Schuld. Den sie sowieso immer so unfreundlich und hektisch und verschwitzt finden.

Die Deutschen schimpfen gern


Die Deutschen haben einen ausgeprägten Dienstleistungsfetisch. Menschen, die etwas für andere Menschen tun (ihnen Essen kochen, die Haare schneiden oder den Hosensaum umnähen) und dafür Geld bekommen, sollen das bitte gründlich, gewissenhaft und freundlich tun. Darum schimpfen die Deutschen so sehr auf die Paketboten, die nicht mit einem Lächeln im Gesicht in jedes Stockwerk rennen, und lesen Ratgebertexte wie den in der Kölnischen Rundschau mit dem Titel: „So vermeiden Sie Ärger mit dem Paketboten“.

Die Deutschen haben aber auch ein Faible fürs Anprangern. Eine Schande seien die Arbeitsbedingungen in der Logistik-Branche, sagen sie gern, und verschlingen nach dem Artikel aus der Kölnischen Rundschau alle Dokumentationen und Investigativreportagen von Günter Wallraff und Talkshows zum Thema „überarbeitete Paketboten“ und haben Mitleid, weil die Boten kaputte Rücken haben und keine Zeit, und dem einen ist auch noch die Frau weggelaufen, weil er nie daheim sein konnte!

Hass und Moral: eine gefährliche Mischung


Da trifft etwas aufeinander, das eine ganz gefährliche Mischung ergibt: der Hass und die Moral. Beides zusammen macht die Menschen bigott. Und: noch wütender. Weil sie eigentlich ja wissen, dass sie nicht auf der einen Seite auf den Paketboten schimpfen können und auf der anderen Seite auf die Politik und die Wirtschaft, die nichts für ihre Dienstleister tut. Und auf der dritten Seite auch noch alle Geschenke im Internet bestellen. Das Ergebnis ist eine astreine Abwehrhaltung à la „Angriff ist die beste Verteidigung“. Hass auf die faulen Paketboten, die nie klingeln. Hass auf die faulen Politiker, die nichts für die Bürger tun. Hass auf die faulen Bürger, die alles im Internet bestellen.

Ein Mittel gegen den Paketbotenhass könnte sein, sich die amerikanische Sitcom „King of Queens“ anzuschauen. Der Protagonist Doug Heffernan ist ein liebenswert-trotteliger Kurierfahrer mit gemütlicher Statur, dem seine Frau nicht wegläuft. Doug ist das Gegenteil von Günter Wallraff und man würde ihm fast alles verzeihen, ganz bestimmt aber, wenn er mal nicht klingelt. Und wenn man die DVD-Box heute noch im Internet bestellt, wird sie vielleicht morgen schon beim Nachbarn abgegeben!

Fünf Songs für den Wochenstart

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The Munitors - Walls Collide

http://www.youtube.com/watch?v=BLV_lOJtIzc


Nanu? Die Munitors sind uns noch nie aufgefallen, liegt das an uns Dämlacks oder an der Indie-Randlage von Hessen, wo die herkommen? Egal, wir preisen es hiermit länderübergreifend als kapital an, was die Jungs da an Gitarrenbrettern raussägen aus einem eher durchschnittlichen Video.



Bilderbuch - OM

http://www.youtube.com/watch?v=-Yo2WOJ4WMY


Musik aus Österreich, jaja, damit macht man sich wenig Feinde zur Zeit. Nur kurz angemerkt, weil wir’s uns gerade dachten: Was Bilderbuch in dem ganzen Reigen aus wildgewordener Geilmusik auszeichnet, die da zurzeit hinter den Bergen rappelt, ist ja nicht nur die Audiospur. Sondern die Videos! Sind bei denen ja nämlich immer gleich Lookbooks für den Szenemann von morgen. Wenn die demnächst Ohrringe und Satin-Hosen per Webshop vertreiben – eine Kiste würden wir nehmen!


 


D’Angelo - Sugah Daddy

https://soundcloud.com/dangelomusicofficial/sugah-daddy


Hierzu wippen gerade weltweit sehr viele soulkundige Halswirbelsäulen. Der Track kam am Wochenende raus, am Montag polterte dann unangekündigt das ganze Album hinterher – das erste Lebenszeichen von D’Angelo, seit er irgendwann nach dem letzten Weltkrieg mit ohne Shirt auf VH1 unterwegs war. Und was für eins! Questlove von den Roots hat mitproduziert, da darf man schon mal zwei Sätze hintereinander mit Ausrufezeichen beenden! Oder drei!


 
Tubbe – Punkopa


http://www.youtube.com/watch?v=7zhmgjqASqM


An dieser Stelle ein Lob auf den Audiolith-Newsletter, der diesen Song an uns ranspülte. So ein E-Mail-Programm ist ja wie eine Firmenfeier, überall wortkarge Kollegen und knöchriges Rumhüsteln. Da benimmt sich der Audiolith-Newsletter jede Woche wie der Typ aus der Poststelle mit dem Arschdekolletee, der als erster besoffen ist und im Windfang einen Joint anzündet. Einfach stark, immer wieder!


Der Mann - OMG


http://www.youtube.com/watch?v=2deiNm_MT9E


Jap, einen sausmarten Namen haben sich die Jungs von den Türen da mal wieder einfallen lassen für ihr Feierabendprojekt. Der Songtitel im Internetjargon, das Video mit Spiegelkabinett-Effekt, knallt alles, check! Aber kommt bei so viel Rumkonzepterei die Musik überhaupt noch mit? Überraschenderweise summen wir alle: hmmmabsolut - schnips! 

Tagesblog - 16. Dezember 2014

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18:45 Uhr: Und jetzt aber tschüss! 

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18:30 Uhr:
Lange Pause hier, wir mussten hobeln und schreinern für einen Text, der hier morgen früh kommt - heute Abend hab ich aber auch noch einen feinen Wurstzipfel für euch!

Der Serien- und Filmfreund Jakob findet: Wir brauchen wieder mehr Plakatives. Brachiale, mit dem Presslufthammer gezeichnete Charaktere, die sich nicht ewig entwickeln und vielschichtig sind. Schluss mit der ständigen Differenzierung!

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15:40 Uhr:
Gibt neues! Hier zum lesen: Wir haben uns das Format 5aus2014 ausgedacht. Mit dem wählen wir in den letzten Wochen vor Neujahr noch Dinge aus dem ablaufenden Jahr aus, die wichtig waren. Und die in einem Zusammenhang zueinander stehen.

Los geht's mit fünf Alltagsgegenständen, die zu Protest-Symbolen umgedeutet wurden. Zum Beispiel:

Banane
Klobürste
Matratze

Hä, fragst du? Dann lies mal hier! 

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14:45 Uhr:
Zacka, wir rollen mit Schwung in den Nachmittag!



 



Ride the Lightning ⚡️ #JkJhnsn in Montreal 🎥 @gx1000



Ein von THRASHER MAGAZINE (@thrashermag) gepostetes Video am Dez 12, 2014 at 9:17 PST






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13:15 Uhr:
Was ich heute Morgen echt gern angeschaut habe: Die aktuelle Videokolumne unseres Innenpolitik-Oberbosses Prantl. Es geht heute um Pegida. Und mit so viel Schwung und ungedämpfter Empörung über diese angeblichen Verteidiger des Abendlandes habe ich noch niemanden über das Thema reden hören.

"Diese Demonstrationen sind ein Hort für alles Rückwärtsgewandte. Nicht den Demonstranten in Dresden geht es schlecht, sondern den Flüchtlingen in Deutschland geht es schlecht."

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13:10 Uhr:
Es mag seltsam anmuten, bzw. "random", wie wir hier im Pressekindergarten sagen, aber wir geben tatsächlich schon vor Weihnachten wieder die ersten Tipps zum Joggen! Superpraktikantin Franzi wollte nämlich wissen, wie sie sich auf den Marathon vorbereitet, den sie demnächst mal laufen will. Die Antwort des Laufexperten: Fang am besten jetzt schon an!




So begab es sich aber zu der Zeit, dass wir bei Franzi einen Eintrag im Lexikon des guten Leben bestellten, der erklärt: Wie bereite ich mich eigentlich auf einen Marathon vor? Hier ab sofort zu lesen.

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13:00 Uhr:
Mittagspause vorbei hier im Pressekindergarten in München Ost!

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11:00 Uhr:
Weil dieser Tagesblog ja unter anderem dokumentieren soll, was gerade "los ist in der Welt": Es ist gerade sehr viel los in der Welt des Surfens. Jaja, Kollege Helten und ich posten ständig irgendwelche Wellenvideos, die kein Mensch sehen will - aber in diesen Tagen tut sich wirklich ganz enorm viel in dieser Szene!

- Am Nordufer von Hawaii läuft in dieser Woche das Finale der Surfweltmeisterschaft. Bei perfekten Bedingungen. Der Brasilianer Gabriel Medina könnte zum ersten Mal Weltmeister werden.

- In einem Dorf namens Nazaré in Portugal werden gerade reihenweise Rekorde im Big-Wave-Surfen gerissen. Bis die Experten genau nachgemessen haben, wie groß die Dinger sind, dauert es noch - aber ein neuer Weltrekord dürfte es auf jeden Fall sein.

Hier das Video vom letzten Wochenende. Bei Sekunde 56 legt sich so ein Schatten über den Typen - da bekomm ich Gänsehaut auf den Fußnägeln.


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9:50 Uhr:





Habt ihr Bock auf Musik? Hm? Ja? Die Franzi, eine von zwei Superpraktikantinnen des Monats, hat letzte Woche ihren Audiokonsum für uns festgehalten. Wenn ihr wissen wollt, was sie zum Backen hört und welches das furchtbarschrecklichste Konzert ihres Lebens war, klickt hier. 

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9:00 Uhr:
Guten Tag, liebe Leser.

NUR NOCH ACHT MAL SCHLAFEN!

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Der Präsident vergibt keinem

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Fuat Avni hat wieder alles im Voraus gewusst. Wer Fuat Avni ist, weiß dagegen keiner. Man weiß nur, er ist der bekannteste Twitterer der Türkei, aber seinen Namen kennt man nicht. Der Unbekannte warnte schon vor Tagen vor einer großen Verhaftungswelle und nannte Namen. Am Sonntag war es soweit. Polizisten zogen vor dem Redaktionsgebäude der regierungskritischen Zeitung Zaman auf. Als die Beamten Chefredakteur Ekrem Dumanlı abführten, umringten bereits etwa 2000 Menschen aus Protest die Polizeiwagen. Zaman ist das Sprachrohr der Gülen-Bewegung. Der Prediger Fethullah Gülen, der seit 1999 im US-Exil lebt, ist einer der härtesten Kritiker von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.



Gülen-Anhänger demonstrieren gegen die Verhaftungswelle, indem sie die regierungskritische Zeitung Zaman hochhalten.

Die Festgenommenen, von denen 24 am Montag noch in Haft waren, sollen alle Sympathisanten von Gülen sein. Darunter sind neben mehreren Journalisten und TV-Produzenten auch – wie schon in den vergangenen Monaten – hohe Polizeioffiziere. Ihnen allen wird laut Staatsanwaltschaft Istanbul vorgeworfen, eine „bewaffnete Terrororganisation“ gegründet zu haben, zudem Fälschung und Verleumdung. Die Polizisten und Journalisten sollen 2010 auch eine islamische Gruppe namens Tahşiyeciler „fälschlicherweise“ beschuldigt haben, zu al-Qaida zu gehören. Darauf wurden deren Mitglieder inhaftiert. Der Ex-Polizeichef von Hakkari, Tufan Ergüder, der die Vorwürfe 2010 öffentlich begründete, wurde nun auch festgenommen. „Zeit der Abrechnung“, titelte am Montag das regierungsnahe Blatt Yeni Safak.

Mit der Großrazzia in 13 Provinzen hat die Auseinandersetzung zwischen Erdoğan und Gülen einen neuen Höhepunkt erreicht. „Der Verdächtige Nummer eins ist Gülen“, titelte die ebenfalls regierungsnahe Zeitung Akşam. Seit genau vor einem Jahr Korruptionsermittlungen die Türkei erschütterten, wirft Erdoğan Gülen vor, er habe einen „zivilen Coup“ geplant. Die Korruptionsvorwürfe gegen mehrere Ministersöhne, Politiker und regierungsnahe Unternehmer nannte Erdoğan eine „Verschwörung“ und machte dafür Gülen-nahe Staatsanwälte verantwortlich. Oppositionschef Kemal Kılıcdaroğlu bezeichnete wiederum das, was nun in der Türkei passiert, als Schritte zu einem „Putsch“.

Fuat Avni, der Mysteriöse, hatte auch Festnahmen von Journalisten säkularer Massenmedien, wie Hürriyet, vorausgesagt. Dann aber mitgeteilt, diese seien noch verschont worden, weil die Aktion im Voraus bekannt wurde. Die englischsprachige Hürriyet Daily News kommentierte: „Die Medien-Razzia vergrößert die politische Konfusion in der Türkei.“ Selbst einigen Regierungsbefürwortern ging die Aktion zu weit. So meinte der Kommentator von Yeni Şafak, Abdülkadir Selvi, die Türkei blamiere sich in der Welt: „Ich sage es ganz klar, es war falsch, die Journalisten festzunehmen.“

Aus der EU und aus den USA kam ebenfalls heftige Kritik. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini meinte, die jüngste Operation sei nicht vereinbar mit europäischen Werten und Standards. Erdoğan sagte daraufhin, Brüssel solle sich „um seine eigenen Angelegenheiten kümmern“. Woraufhin Mogherini sich am Montag „sehr überrascht“ zeigte. Die Türkei verhandelt mit der EU seit 2005 über einen Beitritt, die Gespräche aber stocken seit Langem. Die USA appellierten „als Freund und Verbündeter“ an die Türkei, sicherzustellen, dass ihre Handlungen die demokratischen Fundamente des Landes nicht verletzen. Und der deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von einem „weiteren Alarmsignal“ dafür, dass sich die Türkei von Europa und der Demokratie entferne.

In der Türkei erinnerte man daran, dass erst vergangene Woche die Justizgesetze verschärft wurden und nun bereits bei „logischem Verdacht“ Durchsuchungen möglich sind. Zuvor musste ein Verdacht „begründet“ sein. Das Gesetz wird dafür sorgen, dass in höchsten Gerichten mehr als 150 Richterposten neu besetzt werden.

Erdoğan, lange Weggefährte Gülens, hatte schon am Freitag angekündigt, man werde die Anhänger des Predigers „bis in ihre Schlupfwinkel“ verfolgen. Gülen selbst sprach in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung von einer „Hexenjagd“ in seinem Land. Der Prediger wirft Erdoğan vor, die Türkei in einen „Ein-Mann-Staat“ zu verwandeln. Erdoğan wiederum beschuldigt Gülen, dessen Gemeinde unterwandere den Staat, um eine gewählte Regierung „zu beseitigen“.

Die Korruptionsverfahren vom vergangenen Dezember wurden inzwischen eingestellt, die ermittelnden Staatsanwälte versetzt. Nur im Parlament beschäftigt sich noch ein Untersuchungsausschuss damit. Der hörte jüngst mehrere von Erdoğan nach Bekanntwerden der Vorwürfe entlassene Minister. In die Medien drang davon nur wenig, über den Ausschuss darf nicht berichtet werden.
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