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„Maas liegt voll daneben“

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In der großen Koalition wird die Gefahr der Pegida-Bewegung offenbar unterschiedlich eingeschätzt. Während Kanzlerin Angela Merkel die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ verurteilte, attackierte die CSU Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wegen seiner Kritik an Pegida scharf. Maas liege mit seinen Äußerungen „voll daneben“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. „Es ist eine ungeheure Verunglimpfung, friedlich demonstrierende Menschen, die ihre Sorgen ausdrücken, als ‚Schande für Deutschland’ zu bezeichnen.“ Scheuer betonte: „Die CSU distanziert sich von den zwielichtigen Pegida-Organisatoren und den rechtsextremen Dumpfbacken, die dort auch mitlaufen.“ Aber die Partei nehme die Sorgen der Bürger aus der Mitte der Gesellschaft ernst. Maas hatte die Proteste in der Süddeutschen Zeitung vom Montag als „Schande für Deutschland“ verurteilt und die Befürchtung geäußert, dass Deutschland „gerade eine neue Eskalationsstufe der Agitation gegen Zuwanderer und Flüchtlinge“ erlebe.



An der Pegida-Demonstration in Dresden nahmen am gestrigen Montag über 15.000 Menschen teil. Die Regierung sieht die Anti-Islam-Bewegung überwiegend kritisch.

Merkel wiederum warnte die Teilnehmer der Demonstrationen der Anti-Islam-Gruppierung Pegida in Dresden davor, ausländerfeindlichen Strömungen in die Hände zu spielen. „In Deutschland gibt es zwar die Demonstrationsfreiheit. Aber es ist kein Platz für Hetze und Verleumdung von Menschen, die aus anderen Länder zu uns kommen“, sagte Merkel in Berlin.

In Dresden hatte die Pegida zum neunten Mal zu einer Demonstration aufgerufen. Die Polizei zählte rund 15000 Teilnehmer. An Gegenkundgebungen beteiligten sich mehr als 5600 Menschen. Auch in Bonn versammelten sich Rechtspopulisten: Zum Aufmarsch der „Bonner gegen die Islamisierung des Abendlandes“ kamen nach Angaben der Polizei etwa 300 Teilnehmer. Ihnen traten rund 1600 Demonstranten entgegen und verhinderten den geplanten Marsch. Es blieb zunächst gewaltfrei und friedlich.

Der Interkulturelle Rat in Deutschland und die Organisation Pro Asyl stufen die in Dresden entstandene Protestbewegung als rassistisch ein. Pegida versuche offensiv, Rassismus im politischen Diskurs zu etablieren. „Die Anführer dieser Demonstrationen sind keine Patrioten, sondern Rassisten, die Menschenrechte infrage stellen“, betonte Jürgen Micksch, Vorsitzender des Interkulturellen Rates. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zeigt die Bewegung die Angst der Menschen vor der Zukunft. Sie sorgten sich um ihren Arbeitsplatz und suchten Sündenböcke, sagte Mazyek.

Einer Umfrage zufolge hat knapp die Hälfte der Deutschen Verständnis für die Demonstrationen. Wie Zeit online mitteilte, antworteten 30 Prozent auf die Frage nach den Protesten gegen „die Islamisierung des Abendlandes“, sie hätten voll und ganz Verständnis für die Anliegen der Demonstranten. 19 Prozent antworteten mit „eher ja“.

Ein ganz Lieber

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Bernd Reichart macht Privatfernsehen, und er tut niemandem wirklich weh. Das klingt paradox, weil Kommerzkanäle normalerweise von der Ausbeutung verlorener Seelen leben, aber bei dem Sender, dem Reichart seit zwei Jahren als Geschäftsführer vorsteht, läuft ohnehin manches anders als bei anderen. Reichart reicht Kekse. Selbstgebacken. Hat man selten bei Geschäftsführern, die ein imposantes Büro mit Domblick in der Kölner RTL-Zentrale vorweisen können. Aber es gibt eine Erklärung. Reichart leitet Vox.



Die Sänger Sasha und Sandra Nasic bei der 16. Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in der Kategorie 'Beste Unterhaltung' für Sing meinen Song - Das Tauschkonzert.

Vox gilt selbst unter Kritikern als der am wenigsten schlimme Privatsender. Man kann zuschauen, ohne sich ernsthaft zu verletzen. Man kann bestenfalls sogar Spaß haben an der im Übermaß servierten Dokutainment-Mixtur aus Mode-, Koch- und Auswanderungsspielchen. So wie die Juroren des Deutschen Fernsehpreises, die Vox in diesem Jahr gleich zwei Auszeichnungen zukommen ließen, was eine kleine Sensation war, denn bisher galten beim Fernsehpreis die Kommerzkanäle als die ungeliebten Stiefkinder. Die Trauer über das Aus für den Fernsehpreis hielt sich entsprechend bei den Privaten in Grenzen.

Ein Preis ging an den von Vox groß gemachten Shopping Queen-Juror Guido Maria Kretschmer, ein anderer an Sing meinen Song, ein quotenstarkes Format, bei dem bekannte Sänger ihre Lieder austauschen und sagen, was sie so mögen am Werk des Gegenübers. Alles ganz lieb. Kein Wunder, dass Reichart da prompt reagierte: An diesem Dienstag läuft die Weihnachtsausgabe des prominent besetzten Vorsingetreffens.

Leider korrelieren die Achtungserfolge beim Fernsehpreis nicht mit dem Ergebnis des Gesamtsenders. „Wir schaffen die Sieben diesmal nicht“, sagt Reichart mit Bezug auf die Zielgruppe der Menschen unter 50 Jahren. Der 40-Jährige sagt das gelassen. Ohne Frust in der Stimme. Ist halt so. Natürlich ist das eine Niederlage, denn lange galt Vox als der Sender mit der stabilen Sieben im Marktanteil, als einer, der das Zeug hat, auch die Acht im Jahresergebnis zu knacken. Damit wird es wohl nichts werden. Zu sehr haben Olympia und die Fußball-WM bei der Konkurrenz geschadet.

Reichart hat sogar die Hoffnung fahren lassen, dass es starke Werte im Dezember noch rausreißen könnten. „Die Frauen, die unsere größte Quotenlast tragen, sind gerade viel unterwegs“, sagt er. Frauen schauen jetzt nicht nur bei Vox zu, wie andere Frauen shoppen, sie nehmen sich vor dem Fest ein Beispiel und kaufen selber ein.

Vox ist sozusagen der größte deutsche Frauensender. Auf einen Frauenanteil von knapp 65 Prozent kommt die Senderbilanz von Januar bis November. Das hat viel damit zu tun, dass Vox weniger auf das Scheitern als vielmehr auf das Gelingen setzt. Woanders wird lustvoll zelebriert, wenn Menschen ihr Unvermögen demonstrieren oder wenn sie vor die Wand laufen. Natürlich laufen sie auch bei Vox mal vor die Wand, aber wenn sie das tun, steht ihnen der Sender stets mit schwesterlichem Mitgefühl zur Seite. Zum Stil des Senders passe keine Häme, sagt Reichart.

So wie er und sein 2013 zum RTL-Chef aufgestiegener Vorgänger Frank Hoffmann Vox konzipiert haben, ist es ein leiser Sender, einer, der weniger auf das große Spektakel setzt als vielmehr auf freundliche Beständigkeit. Auf Vox kann man sich verlassen. Bei Vox läuft immer irgendetwas mit einem perfekten Dinner, mit Umdiewetteeinkaufen oder mit Auswandern.

Guido Maria Kretschmer gilt immer noch als Vox-Star, obwohl er längst auch beim Vox-Mutterschiff RTL Supertalente ermittelt. Auch Daniela Katzenberger ist ein Vox-Gewächs, allerdings eines, das nicht mehr ganz so prächtig sprießt und blüht. „Die Notwendigkeit, mehr zu erzählen als nur ihre persönliche Geschichte, ist offensichtlich“, kommentiert Reichart die Quotenschwäche der jüngsten Katzenberger-Sendungen. Er will an ihr festhalten, weil es das Vox-Publikum kaum goutieren würde, wenn der Sender sie fallen ließe.

Vox muss vorsichtig sein. Vertrauen ist schnell verspielt, wird aber nur mühsam zurückgewonnen. Gerade ist Reichart mit dem Versuch, eine ganz eigene Farbe ins Fernsehen einzuführen, krachend gescheitert. Einfach unzertrennlich hieß eine deutsche Kurzcomedy, die mit 15-Minuten-Auftritten den Vorabend beleben sollte und nach einer Quotenbruchlandung früh aus dem televisionären Verkehr gezogen wurde. „Das war eine Spur zu wenig aggressiv zu Ende gedacht. Da fehlte der Punch.“

Der nächste Versuch soll eine Serie sein, die ihn faszinierte, als er in Spanien für die RTL-Gruppe aktiv war. Dort sah er Pulseras rojas, eine Krankenhausserie, die ausnahmsweise nicht aus Sicht der Ärzte, sondern aus der Perspektive der Patienten erzählt wird. „Man fühlt sich ein wenig wie bei Ziemlich beste Freunde trotz bedrückender Kulisse. Es geht um Hoffnung, Optimismus, um Freundschaft“, schwärmt Reichart. Wenn er erzählt von dem Projekt, das im Herbst 2015 auf den Schirm soll, weicht für einen Moment seine freundliche Gelassenheit. „Das ist unsere Kür“, sagt er und bebt beinahe. Für ihn ist es auch der Versuch, zu zeigen, dass Vox im Fiktionalen mehr kann als US-Serien abzunudeln: „Unter unserem Markenschirm ist mehr Platz, als man uns bisher zuschreibt.“

Von Bedeutung ist die neue Serie vor allem, weil seit einiger Zeit Versorgungsengpässe bei amerikanischen Serien absehbar sind. „Die Sachen, die es nur bei Vox gibt, werden wichtiger“, sagt Reichart, der sich mit derzeit 70 Prozent Eigenproduktionen nicht zufrieden gibt. „Das werden wir tendenziell ausbauen“, sagt er. Die Anweisung im Fall von Misserfolg hat er auch parat. „Mund abputzen und den nächsten Versuch wagen“, lautet sein Motto.

Die selbstgebackenen Kekse erweisen sich als ein bisschen zu hart. Das passt irgendwie zum beruhigenden Fazit, dass im Fernsehgeschäft selbst ein ambitionierter Senderchef nicht für ständiges Gelingen garantieren kann.



Im Minenfeld

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Er hat es jetzt nicht mehr so weit bis zu seinem Sohn, aber das macht die Sache für ihn nur schlimmer. „Haben Sie Kinder?“, fragt Anatolij Schewtschuk. Aber er antwortet gern selber: „Eltern geht es immer dann gut, wenn es den Kindern gut geht.“ Also: Anatolij Schewtschuk geht es nicht gut. Obwohl sein Sohn in der Nähe ist. „Da unten, der mit der Nummer 13“, sagt er, „da läuft er.“



Das Champions League-Spiel in der Lwiw-Arena statt, in Lemberg, ganz im Westen des Landes.

Die Halbzeitpause ist gerade zu Ende gegangen, Anatolij Schewtschuk, dick eingemummt, jeden Atemzug ein Wölkchen ausstoßend, hat sich was zu trinken geholt und steht nun auf der Haupttribüne. Er zeigt auf einen verschwitzten Kerl im schwarz-roten Trikot, den der Krieg in der Ukraine quer durch das Land getrieben hat. 50, 60 Meter weiter unten trabt er auf dem Rasen. Wjatscheslaw Schewtschuk, 35, dunkelblond, 184 cm groß, Linksverteidiger bei Schachtjor Donezk. Er spielt jetzt gegen Dnjepropetrowsk. Ukrainische Liga, ein Spitzenspiel zweier ostukrainischer Mannschaften in der Lwiw-Arena. Ein seltsamer Ort ist das für diese Begegnung. Und da muss jetzt bald auch der FC Bayern hin.

Champions League, Achtelfinale, der Gegner: Donezk. Bis nach Donezk, in den Osten der Ukraine, werden die Bayern allerdings gar nicht kommen. Auch dieses Spiel findet in Lwiw statt, in Lemberg, ganz im Westen des Landes. Nur thematisch werden die Bayern also den Konflikt im Osten des Landes touchieren – und das, was dieser mit dem Fußballklub Schachtjor Donezk gemacht hat.

Die Lwiw-Arena ist ein neues Stadion, es wurde vor ein paar Jahren für die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine gebaut. Danach sollte eigentlich der Verein Karpaty Lwiw darin spielen. Von Schachtjor Donezk war nie die Rede gewesen. Warum auch? Es hatte ja selber ein neues Stadion. Aber es hat auch niemand an Krieg gedacht. Der Krieg hat alles verändert. Auch den Fußball. Auch für die Schewtschuks.

Sohn Wjatscheslaw musste wie der ganze Verein raus aus dem umkämpften Donezk, wo er vor vielen Jahren hingezogen war wegen Schachtjor. Jetzt lebt er in Kiew, im Zentrum der Ukraine. Da trainiert auch der Verein. Zu den Heimspielen aber muss er mit der Mannschaft noch weiter in den Westen. Nach Lwiw. Logistisch ist das für seinen Vater natürlich großartig. Anatolij Schewtschuk braucht nur etwa zwei Stunden, um von seiner Heimatstadt Luzk aus bis nach Lwiw zu fahren. Zwei Stunden durch den ukrainischen Westen. Ohne Krieg und ohne Panzerrohre, ohne Checkpoints, an denen waffenstarrende Männer in Camouflage-Uniform kontrollieren. Schewtschuk kann einfach einsteigen in sein Auto, losfahren, ankommen und Fußball gucken. Seinen Sohn spielen sehen. Aber lieber würde er dafür nach Donezk fahren. In ein friedliches Donezk, und alles wäre wie immer.

Für Schachtjor und die Schewtschuks ist das Spiel gegen Dnjepropetrowsk offiziell ein Heimspiel, aber es ist ein Heimspiel, bei dem einem die Ohren sausen vor lauter Pfiffen. Vor dem Anstoß läuft das Musikband mit Schachtjors Vereinshymne ab, und am Mittelkreis wird das große aufgespannte Emblem eingerollt. Die Menschen pfeifen. Sie pfeifen auch, wenn Schachtjor einen Freistoß kurz vor der Strafraumgrenze erhält. Sie pfeifen, wenn Schachtjor einen Konter startet. Nicht einmal über ein Tor – es fällt ohnehin keins – würden sie sich freuen. Jedenfalls nicht über eines von Schachtjor. Die Anhänger von Dnjepropetrowsk und von Karpaty Lwiw pflegen eine Fanfreundschaft, da hat Schachtjor wenig gegenzusetzen – 1200 Kilometer von Donezk entfernt hat es kaum eigene Fans. Für den Verein und für die Schewtschuks ist das bitter.

Anatolij Schewtschuk hat sich einen orangefarbenen Schal um den Hals gewickelt. Mehr an sichtbarer Zuneigung für den Klub leistet sich keiner der Zuschauer.

Die Lwiw-Arena in Lwiw, Westukraine – die Donbass-Arena in Donezk, Ostukraine. Das waren immer die zwei Pole im Fußball-Land Ukraine. Aber die Heimat von Schachtjor liegt jetzt im Herrschaftsgebiet der prorussischen Separatisten. Deshalb kann es da nicht mehr Fußball spielen. Ein Fußballverein, der beste, der erfolgreichste im Land, vertrieben vom Krieg in der Ostukraine. „Es ist jetzt sehr schwierig für meinen Sohn“, sagt Anatolij Schewtschuk. 22419 Zuschauer sind offiziell im Stadion, und sie sind fast alle gegen Schachtjor. „In Donezk wären jetzt mindestens 40000 Zuschauer im Stadion. Sie würden die Mannschaft nach vorn treiben. Aber so? Wie ein Auswärtsspiel.“ Vielleicht reicht es auch deswegen gerade nur für Platz zwei.

Es war der 23. August, als der Klub in den Konflikt hineingezogen wurde. Zwei Sprengsätze explodierten bei den Gefechten und trafen die Donbass-Arena. Die Detonation hat Teile des Dachs um 30 Zentimeter nach oben gehoben. Mühsam muss die Arena nun repariert werden. Aber was wird dann? Das Stadion ist gerade mal fünf Jahre alt, es hat geschätzte 400 Millionen Dollar gekostet, und niemand weiß, wann der Verein dorthin zurückkehren kann. Ob er es überhaupt jemals kann.

Und so ist das Duell Schachtjor gegen Dnjepropetrowsk ein merkwürdiges Duell. Die Politik, der Patriotismus, spielen irgendwie auch mit. Die Angst, das Land könnte zerfallen, der Osten sich abspalten. Eine Gruppe von Fans stimmt die ukrainische Nationalhymne an, und alle Zuschauer stehen auf und singen die Hymne. Es schallt und schmettert auf den Rängen, und man versucht sich vorzustellen, wie das wohl wäre, wenn mitten in einem Bayern-Spiel gegen Hoffenheim oder Werder Bremen auf den Rängen die deutsche Nationalhymne gesungen würde.

Auf dem Platz passiert nicht sonderlich viel, das sind die Momente, in denen die Menge sich selber unterhält. Auf einer Tribünenseite ruft sie „Slawa Ukraini“, Ruhm der Ukraine, von der anderen donnert das Echo: „Slawa.“ So geht das minutenlang hin und her, rechts „Slawa Ukraini“ – links „Slawa“. Einmal ruft es aus dem Zuschauerblock „Donezk ist Ukraine“. Natürlich. Aber gemeint ist es wohl so: Donezk ist nicht Russland. Nicht Neurussland.

Was für eine Ironie ist das nur, dass ausgerechnet im Westen der Verein um Punkte kämpft. Rinat Achmetow, der Milliardär und Oligarch, der reichste Mensch in der Ukraine – er ist auch der Präsident des Klubs. Früher war Dynamo Kiew der dominierende ukrainische Verein, und man kannte in Europa vor allem Oleg Blochin, diesen pfeilschnellen Stürmer. Aber Achmetow, der sein Industrie-Imperium im Donbass hat, wollte den Osten zum Zentrum des nationalen Fußballs machen. Viel Geld steckte er in den Verein. Er holte große Namen aus dem Ausland, Nevio Scala kam, der Italiener, auch Bernd Schuster, der „blonde Engel“, war einmal Trainer. Jetzt ist der Klub Serienmeister, dauerpräsent in der Champions League. Rund ein Dutzend Brasilianer spielt für den Verein, Luiz Adriano führt die Torschützenliste der Champions League an, vor Lionel Messi. Schachtjor ist seit Jahren schon die beste Adresse in der Ukraine. Donezk ist es nicht mehr.

Klub-Präsident Achmetow ist wegen der Separatisten nach Kiew geflüchtet. Im Sommer hatten sie eine seiner Fabriken besetzt. Der Verein selber logiert nun vorübergehend in einem vornehmen Hotel in Kiew. Auch die Spieler mussten mit den Familien ihre Wohnungen im Osten verlassen, sie leben nun in der Hauptstadt. Das Klubmuseum, vor zwei Jahren als das größte der Ukraine eröffnet und mit einem „European Museum of the Year 2012 Award“ ausgezeichnet, ist geschlossen. Die Exponate mussten in Sicherheit gebracht werden, unter ihnen fünf Meistertrophäen aus den vergangenen fünf Jahren, der Uefa- Pokal von 2009, der in der Mitte eines Ausstellungsraums auf einem Sockel thronte. All das lagert nun an einem geheimen Ort. „Wo, das kann ich Ihnen nicht verraten“, sagt der Museumsdirektor Andrej Babeschko. „Aber es ist unsere ganze Geschichte.“

Es gibt noch andere Fragen, die ungeklärt sind. Wie es weitergehen soll mit dem Fußball in der Ostukraine, was passiert, wenn der Krieg zu einem dieser Konflikte wird, die man eingefroren nennt, weil sie einfach ausharren, ungelöst, jederzeit erhitzbar. Und ob Schachtjor Donezk irgendwann die Heimat wiedersieht. Kapitän Darijo Srna hat mal gesagt, „eines Tages wird der Krieg enden, wir werden zurückgehen nach Donezk und seine Straßen küssen“.

Aber was für ein Minenfeld der politische Konflikt für einen Fußballer sein kann, hat der Verteidiger Jaroslaw Rakizkij erfahren. Bei einem Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft verzichtete er darauf, die Hymne der Ukraine zu singen, und ukrainische Medien zogen gegen ihn zu Felde, warfen ihm vor, mit den Separatisten zu sympathisieren, sich am liebsten auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim erholen zu wollen. Rakizkij sagte zu all dem dann nichts. Und auch die Klubführung gibt sich wortkarg. Sie ließ mehrere Anfragen für ein Gespräch ins Leere laufen, lehnte längere Spieler-Interviews ab. Als wäre der Verein auf der Hut in diesen empfindlichen Zeiten.

Es ist ja vieles durcheinandergeraten in den letzten Monaten. Viele Fans von Schachtjor haben wegen der Separatisten die Region verlassen, einige haben sich an der „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Armee beteiligt. Einmal, als Schachtjor noch in der Donbass-Arena spielte, waren bei einem Spiel gegen Mariupol gerade mal noch 18000 Zuschauer. Es kam zu Spannungen zwischen Fans und Verein. Nicht nur, aber auch, weil der Präsident und Unternehmer Achmetow eine unklare Rolle im politischen Konflikt spielt. Er ist Opfer der Separatisten-Herrschaft, einerseits. Denn diese haben sich ja breit gemacht in seinem Revier der Bergarbeiter, der „Schachtjori“. Aber es gibt auch Kritik, dass er sich nicht deutlich genug gegen sie stellt. In der Lwiw-Arena hat er sich bisher nicht sehen lassen.

Und so begegnen die Menschen im Westen der Ukraine dem Verein zwiespältig. Wissen nicht so recht, wofür der Klub aus dem Osten und sein reicher Präsident eigentlich stehen, außer für Erfolg und großartigen Fußball. Für manche Ukrainer steht Schachtjor stellvertretend für den russisch geprägten Osten, während es die Westukrainer, die Menschen in Lwiw, nach Europa zieht. Aber der Klub ist eben auch Opfer des Konflikts, entwurzelt. Jedenfalls: Die Ukraine im Tempel Champions League – das ist Schachtjor.

Die Separatisten der „Volksrepublik Donezk“ rechnen offenbar nicht mehr mit dem Verein. Sie denken nach Berichten ukrainischer Medien schon darüber nach, in ihrem Herrschaftsgebiet einen neuen Klub zu gründen, einen „Volksklub Schachtjor“. Umgekehrt gab es zuletzt Gerüchte, Schachtjor spiele schon mit dem Gedanken, sich in Lwiw einzurichten, weil es ein Zurück vorerst ohnehin nicht gibt. Aber Donezk dauerhaft in Lwiw, das wäre genau das, was Wolodymyr nicht will.

Wolodymyr, seinen Nachnamen will er nicht nennen, ist 27, ein schlaksiger junger Mann, der sich die Spiele von Schachtjor nicht entgehen lässt. Nicht in seiner Stadt. Er leitet in Lwiw den Fanklub von Schachtjor Donezk. Ein Fan der Schwarz-Orangen im Westen, das ist eine Rarität. Die wenigen, die im Spiel gegen Dnjepropetrowsk für Schachtjor klatschen, sind aus dem Osten geflüchtet, sind aus Kiew oder der Umgebung angereist oder mit organisierten Bussen aus Donezk. Wolodymyr hat mal zwei Jahre in Donezk gelebt, sein Großonkel war dort Bergmann. Aber er hat andere Gründe für seine Leidenschaft. Ihn hat es gepackt, als Schachtjor mal vor vielen Jahren in einem Champions-League-Spiel den FC Arsenal an den Rand einer Niederlage brachte, 2:0 führte, und dann doch noch verlor.

So ist das in der Ukraine: Wer die Champions-League-Hymne hören will, muss dorthin, wo Schachtjor Donezk spielt. Wolodymyr glaubt, die nächsten Jahre wird das Lwiw sein. „Aber wir Fans wollen, dass das zeitlich befristet ist.“ Er hofft, dass irgendwann die Separatisten das Feld vielleicht doch noch verlassen. Und Schachtjor wieder dorthin geht, wo es für ihn hingehört. Zurück von West nach Ost. Von Frank Nienhuysen

Lies an einem anderen Tag

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Jetzt also auch James Bond. Man sollte es für die Kernkompetenz eines Geheimagenten halten, wenigstens ein Drehbuch mit dem Vermerk „Top Secret“ zu bewachen – aber in Zeiten der Globalisierung werden auch die Abenteuer von 007 nicht mehr allein in London ersonnen. Die Sony-MGM Studios in den USA haben als Auftraggeber ein Wort mitzureden, und dort ist die Sache jetzt aufgeflogen: Im Zuge des spektakuläre Datenklaus bei Sony, der seit Wochen immer weitere Kreise zieht, ist jetzt auch das vollständige Script von „Spectre“ online aufgetaucht – jenes neuen Bond-Films, den Regisseur Sam Mendes, Star Daniel Craig und Superschurke Christoph Waltz seit voiger Woche in den Londoner Pinewood Studios drehen.



Daniel Craig und Christoph Waltz beim Pressetermin zu Beginn der Dreharbeiten des neuen Bond-Films "Spectre". Der Film soll im Oktober 2015 erscheinen, das gesamte Skript wurde aber bereits von Hackern im Internet veröffentlicht.

Echten James-Bond-Fans, die sich über jeden Twist und Turn freuen und sich beim großen pyrotechnischen Finalfeuerwerk gern überraschen lassen, mit welch spektakulären Mitteln wieder einmal die Welt gerettet wird, kann man an dieser Stelle nur eines raten: Hört sofort auf zu lesen – und vermeidet im nächsten Jahr jede Schlagzeile und jeden Blogeintrag, der das Stichwort James Bond enthält. Was eine weise Haltung ist, die mit erhöhtem Filmgenuss einhergeht. Sie wird selbstverständlich auch von den Bond-Produzenten propagiert: In einem zugleich drohenden und flehenden Statement drohen sie jedem, der das Script im Netz zugänglich macht oder weiterverbreitet, mit fürchterlichen juristischen Konsequenzen.

Andererseits ist da diese fatale Neugier, die einen anderen Teil der Fans doch immer weitertreibt. Ihre grenzenlose Gier nach News hat schon in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass die Herstellung populärer Blockbuster immer mehr zur Hochsicherheitsoperation wird: mit Drehbüchern, die selbst Superstars nur noch allein in einer Zelle lesen und keineswegs mit nach Hause nehmen dürfen, und mit Außensets, die allenfalls noch per Überflug mit einer Spionagedrohne ausgespäht werden können. Wer miterlebt hat, wie beim Dreh von „Skyfall“, dem bisher letzten Bond, die halbe Istanbuler Innenstadt mit Sichtschutz-Planen verhängt wurde, vor denen dann im Abstand von weniger als zwei Metern auch noch hünenhafte und grimmige Sicherheitsleute postiert waren – der weiß, dass um jeden Überraschungsmoment auf der Leinwand inzwischen mit härtesten Mitteln gekämpft wird.

Umso schmerzvoller muss es für die Bond-Schöpfer sein, dass ihre neuesten Ideen jetzt online diskutiert werden. Und, zusätzliche Schmach: Gemeinsam mit dem Script wurden auch interne E-Mails des Studios publik, in denen die Sony-Bosse Alarm schlagen: Der erste Teil des Scripts (Bond zerstört versehentlich und unautorisiert die Hälfte von Mexiko City, wird wieder einmal kaltgestellt, verführt die Frau eines Mannes, den er zuvor umgebracht hat, und so fort...) sei ja noch ganz nett, heißt es in den Memos. Die zweite Hälfte (in der dann Christoph Waltz auftaucht, als Bösewicht natürlich, was sonst) falle aber leider ab, sei fast unverständlich und laufe gerade nicht auf einen Knaller hinaus. Fazit: Da bleibe noch verdammt viel Arbeit zu tun, während aber gleichzeitig die Dreharbeiten schon laufen.

Selbst Gags auf den geleakten Scriptseiten, die in riesenhaften Sicherheitslettern mit dem Namen von Jonathan Glickman gestempelt sind, dem Chef der Filmdivision von MGM, werden im Netz bereits analysiert und sogar als ziemlich lahm verhöhnt. Wie kann das sein, denkt man sich, wenn doch das wirklich clevere „Skyfall“-Team wieder für das Drehbuch verantwortlich ist? Die einzige Bond-würdige Antwort lautet: Es kann gar nicht sein. In bester Geheimdienst-Logik läuft alles auf eine alternative Erklärung hinaus: Die Amis gelten als zu unsicher, sie haben aus London nur wertlose Dummy-Drehbücher bekommen. Die wahren Geheimnisse lagern anderswo – und sie werden uns noch total überraschen.

Frankreichs Krieg der Krippen

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Grauer Laminatboden, senfgelbe Wände, vielleicht ein staubiger Gummibaum. Behörden fallen ihrem Ruf nach eher selten durch Schmuck auf. In Frankreich aber hat weihnachtliche Dekoration zu einer nationalen Debatte geführt: Ein Verwaltungsgericht in Nantes untersagte dem Département Vendée, die Eingangshalle seiner Behörde mit einer Krippe zu schmücken. Maria, Josef, Jesuskind, so entschied das Gericht, widersprechen dem Gebot zur religiösen Neutralität.



Die Krippen haben in Frankreich eine Tradition, die älter ist als der Laizismus.

Dass die aus Heu, Zweigen und Figuren gestaltete biblischen Krippenszene weg soll, ärgert viele Franzosen. Nicht nur die Gegner von sterilem Behörden-Schick, vor allem die dem Brauchtum Verbundenen im ganzen Land. Die Tageszeitung Le Parisien warnte vor einem „Krieg der Krippen“. Die Debatte schwelt bereits länger. Schon vor zwei Jahren hatte die „Nationalen Vereinigung der Freidenker“, eine Organisation, die religiösen Dogmatismus bekämpfen will, Klage eingereicht: Krippen seien Symbole des Katholizismus und gehörten nicht in öffentliche Gebäude. Die Vereinigung beruft sich auf den Laizismus, die vor knapp 110 Jahren beschlossene Trennung von Staat und Kirche. Demnach sind „die Errichtung oder Anbringung religiöser Embleme auf öffentlichen Monumenten oder öffentlichen Plätzen“ verboten.

Dieser Vorschrift zum Trotz stellten Beamte im Advent in vielen französischen Rathäusern und Gemeindestuben Krippen auf. Denn die Krippe hat im Land eine Tradition, die älter ist als der Laizismus: Vor allem im Süden werden die „Santons“, die kleinen Heiligenfiguren, seit mehr als 200 Jahren produziert. Gestört hat das lange Zeit kaum jemanden – wenn dann in Einzelfällen. 2010 etwa maßregelte das Verwaltungsgericht von Amiens einen Bürgermeister wegen Verletzung laizistischer Prinzipien. Drei Jahre später einen Ratsherrn im Département Aveyron. In Avignon, wo ein Szenario mit 600 Figuren seit 1999 die Säulenhalle des historischen Rathauses geschmückt hatte, beschloss man Anfang des Jahres, die Touristenattraktion in eine Kirche zu verlegen.

Seit dem Urteil von Nantes sollen Lokalpolitiker der rechtsextremen Front National (FN) die Debatte anheizen. In einigen FN-geführten Gebietskörperschaften sind laut Medienberichten neue Krippen aufgestellt worden. Manche der Bürgermeister scheinen die Gelegenheit zu nutzen, als Verfechter abendländisch verankerter Traditionen aufzutreten. Im südfranzösischen Béziers etwa ließ der FN-nahe Robert Ménard eine Krippe im Rathaus platzieren. In der folgenden Abmahnung des zuständigen Präfekten hieß es: „Das entspricht nicht dem Prinzip des Laizismus und ist auch keine lokale Tradition, in Wahrheit handelt es sich um eine Erfindung der neuen Stadtverwaltung.“ Ménard verteidigte sich umgehend: „Wir leben in einem Land jüdisch-christlicher Kultur, ob das einer Handvoll Fundamentalisten gefällt oder nicht.“ Dieses Jahr, sagte er, würde die Heilige Jungfrau nicht vor die Tür gesetzt wie vor 2000 Jahren, sie bleibe „bei uns im warmen Rathaus“.

Kosmoshörer (Folge 43)

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Montag:
Montags ist das Aufstehen immer besonders schlimm. Aber heute morgen mache ich im Zug kein Nickerchen – ich habe eine Mission. Am Wochenende war ich auf dem Konzert von Marteria in Nürnberg und da haben mich in der Tanz- und Musikeuphorie Zweifel beschlichen: Vielleicht ist das neue Album doch nicht so schlecht? Also noch mal reinhören.
Fazit: Doch, definitiv ist das erste viel besser. Einen Ohrwurm habe ich jetzt trotzdem:

http://www.youtube.com/watch?v=XXoRoLdXnvU

Dienstag:

Der Blick aus unserem Bürofenster:





Deprimierend, in den vergangenen Tagen konnten wir wenigstens noch die Schafe vom Bauernhof gegenüber beobachten. Das letzte Mal, dass ich in so einem Nebelloch saß, war im Februar. Da habe ich in Oslo gewohnt – kein einziger Sonnenstrahl von Januar bis März. Was mich auch an das hier erinnert:

http://www.youtube.com/watch?v=jofNR_WkoCE

Völlig sinnloses, farbenfrohes Rumgehampel macht sich ganz gut heute.

Mittwoch:

Nicht so mein Tag, bin irgendwie unzufrieden mit mir und dem Rest der Welt. Da hilft:

http://www.youtube.com/watch?v=3vkE5Xs5omA

Ganz laut aufgedreht.

Donnerstag:

Schon morgens auf dem Weg zum Zug deutet sich an, dass heute ein guter Tag wird:





Seit Wochen erstmals wieder Sonne, da kann ich nur fröhlich und übermütig sein. Als wir abends aus dem SZ-Hochhaus kommen, ist die Sonne zwar schon wieder weg, dafür stürmt es ordentlich – auch gut. Den großen Tannenbaum draußen auf dem Vorplatz schüttelt es ganz schön.





Trotz aller Peinlichkeiten (kommt immerhin in „Twilight“ vor) passt dazu meiner Meinung nach das hier:

http://soundcloud.com/muse/supermassive-black-hole

Freitag:

Schon fast Wochenende! Das fängt gefühlt sogar ein bisschen früher an als sonst: Am Nachmittag gehe ich zu einer Presse-Filmvorführung (und komme mir dabei sehr wichtig vor). Der Film ist gut, aber heftig. Deswegen suche ich auf dem Heimweg etwas Beruhigendes auf meinem Mp3-Player und lande bei ihm hier:

http://www.youtube.com/watch?v=zm1lbSLZ4SU

Samstag:

Endlich mal Zeit für ein bisschen Weihnachtsstimmung. Endlich habe ich den Kopf, mir Gedanken über Weihnachtsgeschenke zu machen. Und ich habe Lust auf Weihnachtsbäckerei! Mein Freund und ich machen den wahrscheinlich besten Christstollen, der je gebacken wurde.




Rechts ist meiner!

Im Kopf dazu: Buena Vista Social Club. Das läuft bei uns daheim an Weihnachten pausenlos, weil es die einzige CD im Haus ist, auf die wir uns einigen können.

http://www.youtube.com/watch?v=tnFfKbxIHD0

Sonntag:
Ausschlafen, ausgiebig frühstücken, lange spazieren gehen, schön kochen, gemütlich sein. Das ganze Sonntagsgenussprogramm und dazu:

http://www.youtube.com/watch?v=Eco4z98nIQY

Auf der nächsten Seite findest du den ausgefüllten Musikfragebogen von franziska-deller
[seitenumbruch] 

Gute Musik – was ist das für dich?
Musik mit viel Bass und Rhythmus, ich glaub das ist für mich das Allerwichtigste. Und dazu halt ein guter Text und eine schöne Melodie.

Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?

Meistens höre ich Musik auf meinem Mp3-Player mit Kopfhörern. 

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?

Vor allem unterwegs, im Zug oder im Flugzeug. Oder daheim zum Beruhigen, wenn ich aufgewühlt bin.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?

Nein. Es gibt von jeder Band, die ich so höre, Alben, die ich nicht so gern mag.

Welche Musik magst du gar nicht und warum?

Ich bin einmal auf einem Festival in ein System-of-a-Down-Konzert geraten. Das war so ziemlich das Schlimmste überhaupt. Irgendwie verstehe ich die Musik nicht, das klingt für mich völlig zusammenhangslos zusammengemixt. Außerdem war damals das ganze Drumherum auch ziemlich traumatisch – lauter blasse Jungs in schwarzen T-Shirts, die pausenlos gepogt haben, und ich mittendrin.

Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?

Ich glaube, es war „Viel“ von den Fantastischen Vier  -  find ich heute noch ziemlich gut. Von da aus ging es weiter über Clueso, Freundeskreis, Blumentopf, merkwürdigerweise aber auch die Beatsteaks, Seeed, Peter Fox, heute viel Parov Stelar, Fritz Kalkbrenner...

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?
Ich gehe sehr gern und relativ oft auf Konzerte. Zuletzt Marteria, vor einer Woche.

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung?

Ich selbst stöbere nicht so gern nach Musik, deswegen kriege ich das meiste von meinem großen Bruder vorgestellt. Deswegen kann ich im Moment auch keine neuen Entdeckungen vorweisen.


Verrate uns einen guten Song zum...  

Aufwachen:

http://www.youtube.com/watch?v=qIiga70s0Oc

Tanzen:

http://vimeo.com/52789301

Traurig sein:

http://www.youtube.com/watch?v=MjBzElQrm4E

Sport treiben:

http://www.youtube.com/watch?v=lMp9oFKKUIo
Mein Lieblingslied für die letzten Meter beim Laufen


Als nächsten Kosmoshörer wünsche ich mir:  christina-waechter!

Möchtest du auch Kosmoshörer werden und deine Musik-Gewohnheiten dokumentieren? Dann schreib eine jetzt-Botschaft an teresa-fries oder eine Mail an teresa.fries@sueddeutsche.de

Wie bereite ich mich auf einen Marathon vor?

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Einmal einen echten Marathon laufen – das steht seit Jahren auf meiner „Was ich in meinem Leben gemacht haben will“-Liste. Mit einem Halbmarathon habe ich es sogar schon einmal versucht. Leider nur mit mäßigem Erfolg. Denn zu einem richtigen Marathonlauf gehört eben auch die richtige Vorbereitung. Und vor der habe ich mich bisher gedrückt. Unter anderem deshalb, weil es im Internet zwar unzählige Ratgeber zum Thema Marathonlauf-Training gibt, ich mir aber nie sicher bin, welche der Tipps wirklich nützlich sind.

Um endlich zu erfahren, wie ich am besten vorgehen sollte, rufe ich Herbert Steffny an.  Er ist nicht nur ehemaliger deutscher Meister im Marathonlauf, sondern war sogar bei der Europameisterschaft  1986 Drittplatzierter. Heute ist er vor allem als Lauf-Guru bekannt. Sein „großes Laufbuch“ gilt als das Basiswerk zum Thema Laufen. Seine Empfehlung lautet: „Man sollte durchschnittlich über wenigstens eineinhalb Jahre kontinuierliche Lauferfahrung verfügen. So lange braucht der Körper für den Aufbau der notwendigen orthopädischen Stabilität und einer verlässlichen Kondition. Auch der Stoffwechsel und die Feindurchblutung der beteiligten Organe brauchen eine gewisse Zeit, bis sie sich auf das intensive Lauftraining eingestellt haben.“ Zehn Wochen dauere dann die letzte spezielle Trainingsphase vor dem geplanten Marathon, so Steffny.

Bevor man damit aber loslegt, sollte man sicher gehen, dass der Körper den extremen Belastungen, die ein Marathon mit sich bringt, überhaupt gewachsen ist. Laufen geht auf die Gelenke. Vor allem Menschen mit X- oder O-Beinen bekommen schnell Beschwerden. „Deshalb sollte man zuvor von einem sporterfahrenen Arzt grünes Licht erhalten und sich im Fachgeschäft zu individuell geeigneten Laufschuhen beraten lassen.“ Auch das Gewicht spielt eine Rolle: „Man sollte möglichst unter einem Body- Mass-Index von 25 liegen, so läuft man leichter und orthopädisch weniger riskant“, sagt Steffny.

Nach diesem Check kann das intensive Marathontraining beginnen. Hier gilt: Ausdauer vor  Geschwindigkeit. Am besten bleibt man im „aeroben grünen“ Bereich um 70-80 Prozent der maximalen Herzfrequenz. „Aerob“ bedeutet, dass der aufgenommene Sauerstoff ausreicht, um die Muskeln während der Bewegung zu versorgen. Das sollte bei Ausdauersportarten der Fall sein. Wer für einen Marathon trainiert,  muss also nicht zwangsläufig schneller als ein „normaler“ Jogger laufen. Er sollte aber mehr laufen:  „Während ein Gesundheitsläufer mit dreimal pro Woche 60 Minuten auskommt, muss ein Marathonläufer fleißiger sein. Viermal Training pro Woche mit einem langen Lauf, der in den letzten Wochen schrittweise bis auf 32 Kilometer gesteigert wird, sind für den erfolgreichen Debütanten nötig.“ Dazu empfiehlt Steffny Gymnastik mit Muskeldehnung und Kräftigungsübungen für die Rumpfmuskulatur.

Zu einer optimalen Vorbereitung gehört auch die richtige Ernährung. Ein sportlicher Körper braucht wenig Fett, dafür viele Kohlenhydrate und Eiweiß. Es sollten also viel Gemüse, Kartoffeln, Vollkornprodukte, Linsen, Sojaprodukte und Ähnliches auf dem Speiseplan stehen. Viele Sportler trinken gern spezielle Sportgetränke als Ausgleich für den starken Salz- und Flüssigkeitsverlust beim Schwitzen. Laut Steffny reicht dazu aber auch eine schwach gesalzene Fruchtsaftschorle: „Nahrungsergänzungsmittel sind bei einer vollwertigen Ernährung in der Regel nicht nötig.“Alkohol solle man reduzieren oder auf ihn verzichten, auch, weil der Körper mit Alkohol im Blut mehr Zeit für die Regeneration braucht.

Befolgt man diese Ratschläge, steht einer erfolgreichen Marathonteilnahme eigentlich nichts mehr im Weg. Allerdings sollte man beim Training auf seinen Körper achten und Schmerzen nicht einfach ignorieren. „Einen Marathon zu schaffen erfordert schon eine gewisse Konsequenz und Härte, aber wichtig dabei ist, dass man mit dem Körper, nicht gegen ihn trainiert. Schmerzen signalisieren eine Überlastung und einen Fehler im Trainingssystem. Das Signal sollte man ernst nehmen und nicht mit Schmerzmitteln unterdrücken, sondern die Ursachen mit einem Trainer oder Arzt herausfinden und abstellen“, sagt Steffny.

Es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis Franziska es schafft, über ein halbes Jahr lang kontinuierlich Laufen zu gehen. Trotzdem glaubt sie fest daran, dass es eines Tages passieren wird.


Fünf Tipps für eine erfolgreiche Marathonvorbereitung

  1. Regelmäßig laufen gehen – aber nicht erst zwei Wochen vor dem Start.
    Mindestens ein halbes Jahr lang sollte man joggen, bevor man sich an eine intensive Marathonvorbereitung macht.

  2. In den richtigen Schuhen laufen. Die Laufschuhe sollten dem Gewicht, Laufstil und der Größe des Läufers entsprechen. In vielen Sportgeschäften kann man  sich mit Hilfe einer Laufbandanalyse den optimalen Schuh anpassen lassen. Außerdem gilt: Man kann Laufschuhe nicht ewig tragen. Meistens gibt der Hersteller für das Modell eine Lebensdauer in Kilometern an. Wer sich auf einen Marathon vorbereitet, sollte außerdem lieber (mindestens) zwei Paar Laufschuhe verwenden, damit keine einseitige Belastung entsteht.

  3. Auf eine fettarme, dafür kohlenhydrat- und proteinreiche Ernährung achten. Außerdem muss man durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr das viele Schwitzen ausgleichen.

  4. Für das intensive Marathontraining  etwa 10 Wochen mit vier Mal Laufen pro Woche anpeilen. Einmal pro Woche steht ein langer Lauf an, der nach und nach bis auf 32km ausgeweitet wird.  

  5. Schmerz nicht ignorieren, sondern auf Ursachensuche gehen. Im Zweifelsfall lieber eine Zeit lang auf das Fahrrad umsteigen bis sich der Körper erholt hat.


 


 

Mit Schirm, Scham und Banane

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1. Die Matratze


[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/ByGV9NzIAAEYui5.jpg:large" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/ByGV9NzIAAEYui5.jpg:large"] (Quelle)

Die amerikanische Kunststudentin Emma Sulkowicz, 21, wurde in ihrem eigenen Bett im Studentenheim der Columbia University vergewaltigt. Lange schwieg sie aus Scham, bevor sie zur Universitätsleitung ging und die Tat bei der Polizei anzeigte. Die Columbia-Universität entschied, diesem Vorwurf nicht nachzugehen. Seitdem trägt Emma die dunkelblaue Matratze, die sie ihr Leben lang an den Vergewaltiger erinnern wird, mit sich herum: in den Hörsaal, zum Einkaufen, ins Café. Sie tut das, um auf sexuelle Übergriffe an Unis aufmerksam zu machen – und zwar solange der Vergewaltiger denselben Campus besucht wie sie. 


Bereits im Mai 2014 reichte Emma mit weiteren Studentinnen eine Beschwerde bei der US-Regierung über den Umgang der Columbia-Universität mit sexuellen Übergriffen ein. Amerikanische Universitäten hatten in der Vergangenheit zum Teil betroffene Frauen dazu gedrängt, außerhalb des Verfahrens über die Vorfälle zu schweigen. Die ungeschriebene Regel: "Was auf dem Campus geschieht, bleibt auf dem Campus." Dabei geht unter, dass Studien zufolge jede fünfte Studentin in den USA Opfer eines sexuellen Übergriffs wird und weniger als ein Drittel dieser Täter von der Uni ausgeschlossen werden. Erst Emmas Aktion brachte das Thema an die Öffentlichkeit. Ein neues, umstrittenes Gesetz in Kalifornien fordert an Hochschulen die ausdrückliche Zustimmung des Partners vor dem Sex durch "ein Nicken oder ein Ja". 2014 wurde in den USA so viel über sexuelle Übergriffe in der akademischen Welt gesprochen wie nie.


http://www.youtube.com/watch?v=l9hHZbuYVnU


2. Die Banane








#somostodosmacacos #weareallmonkeys #somostodosmonos #totssommonos


Ein von Nj (@neymarjr) gepostetes Foto am Apr 4, 2014 at 3:27 PDT





Bei Fußballspielen werfen Zuschauer immer wieder Bananen aufs Spielfeld, um Spieler rassistisch zu beleidigen. Als der FC Barcelona im April gegen den FC Villarreal spielte, schmiss ein Zuschauer eine Banane nach Dani Alves: Seine Reaktion ging in die Fußballgeschichte ein: Alves bückte sich nach der Banane, schälte und aß sie. Sein Mannschaftskollege Neymar postete daraufhin auf Instagram ein Foto von sich und seinem Sohn mit einer echten und einer Stofftier-Banane sowie den Hashtags #SomosTodosMacacos und #WeAreAllMonkeys (Wir sind alle Affen). Mehr als 100.000 Tweets mit Solidaritäts-Selfies folgten in den sozialen Netzwerken. Bald stellte sich heraus, dass Alves und Neymar die scheinbar spontane Aktion lange geplant hatten. Was nichts daran ändert, dass sie – zusammen mit Twitter-, Instagram- und Facebook-Nutzern aus der ganzen Welt – es  geschafft haben, die rassistische Geste in ein Symbol gegen Rassismus umzudeuten. Wenigstens im Netz. Im Stadion bleiben Reaktionen nach wie vor meistens aus. "Die Werfer fühlen sich dadurch bestärkt. Denen ist es völlig egal, wie cool oder uncool der Spieler reagiert", sagte Professor Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld im Interview mit jetzt.de.

3. Der Regenschirm




(Foto:dpa)

Im September besetzten zehntausende Studenten, Schüler und Vertreter der Bürgerbewegung "Occupy Central with Love and Peace" den Hongkonger Finanzbezirk. Die Demonstranten forderten freie Wahlen in Hongkong und den Rücktritt des Regierungschefs Leun Chun-ying. Peking hatte zuvor für 2017 zwar direkte Wahlen angekündigt, jedoch keine freie Nominierung der Kandidaten für das Amt des Regierungschefs. Somit ist es faktisch unmöglich, dass ein Regierungskritiker kandidieren kann.) Die Proteste verliefen friedlich, die Polizei trieb die Demonstranten jedoch gewaltsam auseinander: mit Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfern. Mit Regenschirmen schützten sich die Demonstranten davor. Eigentlich war als Symbol für die Proteste eine gelbe Schleife vorgesehen – das Meer von aufgespannten Regenschirmen auf den Fotos in den Medien war stärker. Der Schirm wurde aus der Not heraus zum Symbol: für die Gewalt gegen Unbewaffnete – und damit zu einem Mahnmal, das die Forderungen der Demonstrationen unterstreicht.   

4. Die Klobürste




 (Foto: dpa)

Das banalste Protestsymbol des Jahres entstand aus dem Zufall heraus: Im Januar richtete die Polizei Gefahrengebiete in mehreren Stadtteilen Hamburgs ein. Anlass waren Ausschreitungen bei einer Demonstration zum Erhalt des linksautonomen Kulturzentrums "Rote Flora" im Dezember 2013 sowie Angriffe auf Polizeiwachen. Symbol und Hashtag der Bewegung gegen die Gefahrengebiete wurde die Klobürste. Auslöser war wohl ein Mann, der durchsucht wurde, weil Polizisten einen Knüppel in seiner Hosentasche vermuteten – dieser entpuppte sich als Klobürste. Fortan führten Demonstranten Klobürsten und (schmutzige) Unterwäsche als Bombenattrappen bei sich, um ein Zeichen gegen willkürliche Polizeikontrollen zu setzen.


5. Der aufgemalte Bart



[plugin imagelink link="http://bilder2.n-tv.de/img/incoming/origs12808281/0928257845-w778-h550/RTR3OKW3.jpg" imagesrc="http://bilder2.n-tv.de/img/incoming/origs12808281/0928257845-w778-h550/RTR3OKW3.jpg"] (Quelle)

Nach dem Hipstertrend zum Holzfällerbart wurde der Vollbart in diesem Jahr zum politischen Statement: Schon vor dem Eurovision Songcontest in Kopenhagen wurde die Travestiekünstlerin Conchita Wurst– mit langer Mähne, viel Schminke und Vollbart – aus Österreich massiv angefeindet. In ihrem Heimatland sammelte eine Facebook-Gruppe gegen Conchitas Teilnahme am ESC innerhalb weniger Wochen mehr als 40.000 Fans. In Weißrussland wurde eine Petition gegen ihre Teilnahme eingereicht. Mit aufgemalten oder gehäkelten Vollbärten zeigten Fans und Moderatoren Solidarität und setzten ein Zeichen gegen Diskriminierung. Als Conchita Wurst mit ihrem Song "Rise like a Phoenix" den ESC gewann, sahen das viele als "länderübergreifendes Statement gegen Diskriminierung und Homophobie", als "Ohrfeige für alle Homophoben in Europa", wie eine norwegische Zeitung titelte. Die Sängerin brach unsere Sehgewohnheiten und brachte das ESC-Publikum zum Weinen. Und vor allem ein bisschen zum Nachdenken.

 


Bis Jahresende veröffentlichen wir unter dem Label 5aus2014 mehr, was uns aus diesem Jahr in Erinnerung bleibt.


Lob des Plakativen

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Alison hat viel Gewicht verloren in den vergangenen Monaten. Sehr viel. Alison sieht klapperig aus, knochig, blutarm, ungesund – als würde es leise knirschen, wenn sich das Mädchen streckt. Trotzdem bekommt ihr Gesicht ein seliges Leuchten, als die Klassenkameradinnen sie halb neidisch, halb verstört auf ihre Figur ansprechen. Alison – das hätte man schon verstanden bevor man sieht, wie sie ein Forum für Kalorienverweigerer besucht – ist magersüchtig. Noch eher im Anfangsstadium. Es reicht aber schon, damit sie eine Fehlgeburt haben wird, nachdem sie vom ersten Sex ihres Lebens (natürlich mit einem rüpeligen Kerl, der sie hinterher ignoriert) schwanger geworden ist.
 
Möglicherweise hätte sie die bigott-überbehütende Mutter Patricia gebraucht, die ihre eigene Tochter (Brandy) dauerüberwacht, sämtliche Facebook- und SMS-Nachrichten mitliest und quasi jeden Schritt mittels Handyortung verfolgt. Womit sie Brandy selbstverständlich in eine heimliche Beziehung treibt und zwar mit Tim. Der war mal Football-Star. Dann depressiv. Jetzt spielt er hauptsächlich, ergo mit schwerer Neigung zur Sucht, das Online-Rollenspiel „Guild Wars“.




Weniger: Manchmal doch mehr!
 
Es gibt noch ein paar weitere Akteure in „#Zeitgeist“, dem aktuellen Film von Regisseur Jason Reitman. Aber keiner von ihnen ist entscheidend subtiler charakterisiert. Stattdessen gibt es viele sehr plakative Bilder für Entfremdung und Nähe im digitalen Zeitalter (Chats, Pornos, Seitensprung-Foren – alles macht irgendwas oder irgendwen irgendwie kaputt und seltener glücklich). Die Kritiker prügeln dafür gerade ziemlich doll auf Reitman ein. Zu Recht doch auch, oder? Es klingt ja tatsächlich schrecklich eindimensional, gell? Und darin ja auch schwer aus der Zeit gefallen, nicht wahr?
 
Ist es aber nicht. Es ist eine Erlösung. Wenigstens für mich. Wenigstens gerade. Ich habe kurz überlegt, ob man Reitmans Film nicht sogar als Zeitenwende ausgeben kann. Als Anfang der Ära der „Post-Differenzierung“ vielleicht. Als das wenigstens zwischenzeitliche Ende der multipel getriebenen Protagonisten. Der Mann hat schließlich mit „Juno“ einen der bewegendsten Charaktere der vergangenen Jahre geschaffen. Wenn so einer die Dimensionen plötzlich wieder reduziert, passiert das doch nicht zufällig. Sollte es sich also tatsächlich zum Trend auswachsen: Ich hab’s euch ja gesagt.
 
Für den Moment muss aber wohl noch meine ganz private Gemütsverfassung genügen. Ich habe den Film vor ein paar Tagen gesehen. Eher zufällig. Keine Kritiken gelesen vorher. Und ich habe festgestellt, dass er mich emotional mehr angefasst hat, als viele der subtil entwickelnden Serien und Filme, die in den vergangenen Monaten in meinem DVD-Player lagen.
 
Weil ich, glaube ich, das Überdifferenzierte etwas satt habe, das so viele Filme und Serien – eigentlich vielleicht sogar die ganze Pop-Kultur – gerade so bestimmt.
 
Und natürlich muss ich das gleich etwas relativieren. Auch ich halte die Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre für die großartigsten der vergangenen hundert. Ich habe jede Sekunde genossen, in der mir nicht klar war, warum ich Vic Mackey aus „The Shield“ immer noch als sympathisch liebevollen Familienvater und loyalen Menschen schätze, obwohl er in der ersten Folge einen Kollegen erschießt. Ich saß quasi-fassungslos im Film „Drive“, überwältigt davon, den namenlosen Hauptdarsteller charakterlich nicht enträtseln zu können. Über die Brillanz von Walter Whites schleichender Verwandlung in „Breaking Bad“ wird niemand ernsthaft diskutieren wollen.
 
Zum ersten Mal zu viel wurde es mir aber bei „Parade’s End“: Historien-Drama, Erster Weltkrieg, Benedict Cumberbatch als stocksteifer Brite mit kruder Frühes-20.-Jahrhundert-Moral. Kennt man nicht, weil es im Abendprogramm von Arte versteckt lief. Aber das Feuilleton flippte milde aus und lobte: „Weder können die Figuren sich in ihrer Ganzheit erkennen, noch können wir uns ein vollständiges Bild von ihnen und der Zeit, in der sie leben, machen.“ Genau!
 
Parade’s End war für mich ein Wendepunkt. Hyperrealismus. Hyperdifferenzierung. Hyperintelligent bestimmt, aber auch kaum noch entspannt anzusehen. Parade’s End ist der Diskurspop der Serienunterhaltung. Bestimmt wichtig. Aber tanzen oder weinen kann man dazu nicht mehr.
 
#Zeitgeist verhält sich dazu, wie die Eels zu The Notwist, oder Dendemann zu Tocotronic: ein Eck einfacher, ein Pfund entspannter. Es kennt und kann die Ambivalenz, die Vielschichtigkeit, die Multikausalität – und entscheidet sich bewusst dagegen. Es setzt auf den schnellen, den brachialen, meinetwegen auch den billigen Effekt. Mir hat das für den Moment mal wieder sehr gut getan. Und wenn ich es recht überlege: Eigentlich möchte ich es doch als Trend ausrufen. Mindestens aber als sehr gewinnbringendes Nebeneinander, das ab jetzt möglich ist.

Tagesblog - 17. Dezember 2014

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18:20 Uhr: Liebe Freunde, ich verabschiede mich für heute. Morgen voll krass Premiere: User-Tagesblog! Ihr dürf jetzt raten, wer ihn macht. Den Gewinner präsentieren die zwei (das ist schon mal ein Tipp) Tagesblogger von morgen exlusiv im - na, Tagesblog! Habt einen guten Abend!

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17:47 Uhr: Es ist ja schon dunkel, das reicht mit als Anlass für dieses wunderschöne Video (außerdem gabs auch noch keinen Weltraum-Content im Tagesblog):

http://vimeo.com/113287920

Während eines Stromausfalls in L.A. riefen Leute bei der Polizei an und erzählten von seltsamen Wolken über der Stadt - die sich als Milchstraße herausstellten. Als Nicholas Buer das hörte, hatt er die Idee zu diesem Video: In London gehen die Lichter wegen eines Stromausfalls auf dem Boden aus - und am Himmel an. Krass schön! (Mehr dazu steht hier.)


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(Foto: Juri Gottschall)

17:02 Uhr:
Supertraurig für uns: Charlotte geht nach Berlin. Supertraurig für sie: Es gibt ganz viel, das sie noch nicht in München gemacht hat. In den Eisbach gehüpft zum Beispiel. Oder ein Bier auf dem Parkhaus beim Atomic Café getrunken. Das hat sie jetzt alles nachgeholt - und wunderschön aufgeschrieben. Hier geht's lang zum Text! 
Ihr könnt euch mich in den kommenden Wochen also so vorm Computer vorstellen:

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/IqctlaFVnX3SE/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/IqctlaFVnX3SE/giphy.gif"]

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16:38 Uhr: Ich deute euer Schweigen mal als Tendenz zum Kleinschweigen. Dann versuch ichs mit dem Thema Weihnachtsfeier. Unsere steht heute Abend an. Und bei euch? Und wie sieht die Weihnachtsfeierei bei euch in der Arbeit, Uni oder Schule aus?

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16:07 Uhr:
(Nachtrag zu 15:48 Uhr:) Bei diesem Tweet bin ich mir aber sicher, dass ich ihn zurecht retweete:



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15:48 Uhr: Ich versuche erneut ein bisschen Politik, ein bisschen Diskussion. Ich hab nämlich gerade über diesen Tweet gekichert und automatisch auf "Favorisieren" geklickt.



Und dann dachte ich: War das gut? Ich bin, ich glaube seit heute Morgen, wieder an dem Punkt, an dem ich mich frage, ob es gut ist, so viel über diese Pegida-Spinner zu berichten. Einerseits ist es ja wichtig aufzuklären. Andererseits bekommen diese  dadurch seit Wochen eine ungeheuerliche Präsenz in den Medien. Wie seht ihr das? (Mir ging es vor kurzem mit der AfD so, wen es interessiert, das kann man hier nachlesen.)

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15:21 Uhr:
Ein bisschen Spannungmachen für gleich: Hier wird grad voll philosophiert zum Thema Schafkopfen. Die Auflösung kommt bald!

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14:53 Uhr: Gibt es einen Satz, der die Top5 der beliebtesten Wörter in den Charts der 2010er Jahre darstellen könne? Ja, so was gibt es, wie Nerdcore feststellt. Grundlage ist diese tolle Infografik:

[plugin imagelink link="http://www.nerdcore.de/wp-content/uploads/2014/12/billboard.gif" imagesrc="http://www.nerdcore.de/wp-content/uploads/2014/12/billboard.gif"](Quelle)

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14:40 Uhr: Ich hatte ja noch gute Nachrichten versprochen. Hier kommt eine: Ein Obdachloser bot einer Studentin aus Großbritannien vor einer Weile nachts sein letztes Kleingeld fürs Taxi an. Inzwischen hat sie Tausende Pfund für den Mann gesammelt. Super Aktion, das!

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(Illustration: Katharina Bitzl)

14:33 Uhr:
Es gibt wieder was Neues auf der Startseite: die Verstandenpunkte von unserer München-Seite in der SZ. Heute mit Pegida, Bagida und wie sie alle heißen. Und einem Food-Truck-Markt. In München! Heute Abend!

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14:10 Uhr: Oje, jetzt kamen Mittagspause und eine Sonderkonferenz zusammen. ABer jetzt bin ich wieder da! Mit Geburtstagsgrüßen für die Simpsons und dem Synchronsprecher von Homer, Norbert Gastell, einem sehr sympathischen älteren Münchner. Den hat die SZ vor zwei Jahren schon mal sehr schön portraitiert.

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12:45 Uhr:
Digital_Data hat eben auf dieses Video aufmerksam gemacht, das ich gern noch extra teilen möchte:

http://www.youtube.com/watch?v=IFAtCecCZcY

Ist zwar schon ein paar Tage alt, aber der Schluss einfach nur stark!

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12:08 Uhr:
Ui, gerade habe ich einen wunderbaren Zeitvertreib entdeckt, den ich euch nicht vorenthalten kann. What colour is it? Grad ist es so nachtblaufarben spät, würd ich sagen. (via SZ Magazin)

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(Foto:Katharina Bitzl)

11:50 Uhr:
Es gibt wieder einen Psychotest! Ich breche mir gerade die Finger dabei, obige Pose zu versuchen...

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10:55 Uhr:
Ein Klassiker, aber weil es so schön zu Pegida passt:

[plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfa1/v/t1.0-9/10155761_10152606152078918_4701636369336191364_n.jpg?oh=b52a612fd5d77cbd5016993f8e61d002&oe=5504B102&__gda__=1426232559_d911d97dbbe2999d4ca154c9dce2d35e" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfa1/v/t1.0-9/10155761_10152606152078918_4701636369336191364_n.jpg?oh=b52a612fd5d77cbd5016993f8e61d002&oe=5504B102&__gda__=1426232559_d911d97dbbe2999d4ca154c9dce2d35e"]

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10:32 Uhr:
Endlich hab ich die Fotos soweit! Mit freundlicher Unterstützung von sandra-langecker hab ichs geschafft (ich hab nämlich kein gscheites Fotobearbeitungsprogramm am Rechner). Dieses Paket lag heute in meiner Post zwischen Reisekostenabrechnungen und ähnlich Langweiligem. Vielen, vielen Dank, liebe frzzzl! Ich freu mich riesig darüber! Hier geht's zum Inhalt!

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09:48 Uhr:
Kleinen Moment dauert es noch, ich bin noch am Fotos zuschneiden... 

Bis dahin ein kleiner Nachrichtenüberblick:


1. Pegida. Macht mir ne Scheißangst! Hier ein super Kommentar dazu auf Spiegel Online.

Und ein Tipp: super Aktion am Montag in München: Kundgebung Platz da! – Flüchtlinge sind willkommen! Gemeinsam gegen Pegida, Rassismus & Hetze, organisiert von den super Menschen hinter Bellevue di Monaco. Hingehen!, sag ich mal.


Hier könnt ihr übrigens sehen, ob Facebook-Freunde Pegida geliked haben. Ich hab ja leider einen Treffer. Hatte.


2. Später kann ich hoffentlich auch noch gute Nachrichten liefern. Bis dahin empfehle ich zum Taliban-Angriff auf eine Schule in der pakistanischen Stadt Peschawar diesen sehr eindrücklichen Text. Und zur Geiselnahme in einem Café in Sydney diese tolle Übersicht.


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09:15 Uhr:
Ich lebe noch! Das ist auch gut so. Es war nämlich ein wunderschönes Päckchen für mich in der Post. Zeig ich euch gleich.

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08:31 Uhr:
Guten Morgen, liebes jetzt.de! Drückt mir die Daumen, gleich muss ich vor Leuten sprechen. Das ist so ungefähr die schlimmste Strafe für mich. Ich bin gleich wieder da, solange könnt ihr ja schon mal den Adventskalender aufmachen:



Karriere eines Islamisten

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Unter all den radikalen Islamisten in Deutschland war der Deutsch-Ägypter Reda Seyam die wohl auffälligste Erscheinung: Die ARD widmete dem Deutsch-Ägypter schon vor Jahren eine TV-Dokumentation. Er galt als wirklich gefährlicher Gefährder, was ihm sogar gefiel, denn der schlagwütige Mann stellte sich Fremden schon mal mit „Reda Seyam, Al-Qaida-Mitglied“ vor. Das fand er lustig.




Seyam auf einem Archivbild von 2003. Schon damals ermittelte das Bundeskriminalamt gegen ihn.

Offenbar hat er es noch weiter gebracht. Aus deutschen Sicherheitskreisen ist zu erfahren, dass der einige Jahre in Berlin-Charlottenburg lebende Islamist, der sieben Kinder hat, zwischenzeitlich Bildungsminister in der vom IS besetzten Stadt Mossul geworden sein soll. Er soll dort nach Informationen von SZ, NDR und WDR unter dem Namen Dhul Qaranain amtiert haben.

Seyam, der es für eine „Pflicht“ hielt, „Ungläubige umzubringen“, soll unter anderem verfügt haben, dass die Fächer Musik, Kunst, Philosophie und christliche Theologie an Universitäten und Schulen in der zweitgrößten irakischen Stadt nicht mehr unterrichtet werden durften. Nach unbestätigten Informationen einer irakischen Nachrichtenseite soll er Anfang Dezember bei Gefechten nahe Mossul getötet worden sein. Auch die Regierung in Bagdad bestätigte am Dienstag seinen Tod.

Zwanzig Jahre lang war der gelernte Mathematiker an der Front im Heiligen Krieg. Nach Erkenntnissen von Sicherheitsbehörden soll er 1994 nach Bosnien gezogen sein, um den Glaubensbrüdern im Krieg gegen die Serben zu helfen. Offiziell war er für die Organisation „Menschen helfen Menschen“ im Einsatz. Vermutlich war das nur Tarnung. Er soll die Mudschaheddin mit Waffen und Geld unterstützt haben.

Seine frühere Frau, eine Deutsche, hat unter dem Pseudonym Doris Glück ein Buch über die Ehe mit dem Islamisten geschrieben. Sie erzählt, auf dem Balkan habe Seyam Kontakt mit Ramzi Binalshibh gehabt, einem der Planer der Anschläge vom 11. September 2001.

Schlagzeilen machte Seyam 2002 in Indonesien. Der gebürtige Ägypter, der als Filmer in den diversen Kriegen der Islamisten unterwegs war, wurde verdächtigt, einer der Hintermänner eines Sprengstoffattentats auf Bali gewesen zu sein, bei dem mehr als 200 Menschen ums Leben kamen. Er bestritt die Vorwürfe und wurde in Indonesien nur wegen eines Visumsvergehens zu zehn Monaten Haft verurteilt.

Sein Fall beschäftigte damals auch das Kanzleramt. Als seine Haftentlassung näher rückte, erklärte Seyam, er wolle nach Saudi-Arabien zu seiner zweiten Frau reisen. Es gab in Berlin die Befürchtung, ein Geheimdienst könne ihn dort kidnappen und nach Guantánamo bringen. Das sollte verhindert werden. Die Bundesregierung entschied sich, Seyam auf Staatskosten zurückzuholen. Beamte des Bundeskriminalamts brachten ihn zum Flughafen und blieben bis zur Landung an seiner Seite.

Er lebte zeitweise in Ulm, zog dann nach Berlin, wo er mit seiner zweiten Frau, einer gebürtigen Albanerin, in Charlottenburg wohnte. Die Familie lebte von Hartz IV, er war als Propagandist des Dschihad unterwegs und so nannte er auch einen seiner Söhne – „Djehad“. Die Namenseintragung setzte er mithilfe eines Gutachtens und Berliner Gerichte durch.

Seyam pflegte engen Kontakt zu Dennis Cuspert, der als Gangster-Rapper unter dem Namen Deso Dogg bekannt war und inzwischen unter einem Kampfnamen in Syrien für den IS kämpft. Cuspert und Seyam waren im Mai 2012 an der salafistischen Demonstration in Bonn beteiligt, bei der 29 Polizisten verletzt wurden. Dann zog Seyam nach Ägypten. Report Mainz berichtete 2013, Seyam halte sich in Syrien auf.


Ein kleines bisschen Nähe

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Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ist nicht gerade die Lieblingsministerin der Wirtschaftsverbände. Ob Rente mit 63 oder Mindestlohn – was die emsige SPD-Politikerin auf den Weg bringt, löst bei den Lobbyisten der Unternehmen regelmäßig scharfe Kritik aus. In den vergangenen Wochen waren Nahles und die Beamten ihres Hauses wieder fleißig. Ihr Ministerium legte den Entwurf für ein kleines Paragrafenwerk mit dem klangvollen Namen „Mindestlohndokumentationspflichten-Einschränkungs-Verordnung“ vor.



8,50 Euro pro Stunde: Diesen Betrag sollen auch Arbeitnehmer in für Schwarzarbeit anfälligen Branchen bekommen. Um die Unternehmen an der Unterwanderung des Mindestlohns zu hindern, arbeitet das Bundesarbeitsministerium an der Verordnung einer Dokumentationspflicht.

Diese soll Arbeitgeber verpflichten, für bestimmte Arbeitnehmer genau aufzuschreiben, wann und wie lange sie täglich arbeiten, um ein Unterlaufen des von 2015 an geltenden Mindestlohns von 8,50 Euro zu verhindern. Wieder gab es einen Proteststurm der Wirtschaft – diesmal mit Erfolg, zumindest teilweise. Auf den letzten Drücker, einen Tag vor der geplanten Verabschiedung im Kabinett, kam Nahles den Arbeitgebern entgegen.

Das Mindestlohngesetz sieht vor, dass Arbeitgeber „Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit“ zu dokumentieren und diese Angaben zwei Jahre lang aufzubewahren haben. Dies gilt zunächst aber nur für Arbeitnehmer in neun Branchen, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten. Dazu zählen etwa das Baugewerbe, das Hotel-, Gaststätten- und Reinigungsgewerbe, die Taxibranche oder die Fleischwirtschaft. Diese Aufzeichnungspflichten gelten vor allem für gewerbliche Mitarbeiter, also nicht für Sekretärinnen oder Buchführer.

Nahles wollte nun die Dokumentation der Arbeitszeiten auf jeden Beschäftigten in diesen Branchen erweitern, der nicht mehr als 4500 Euro im Monat verdient und nicht als Führungskraft eingestuft wird. Diese Gehaltsgrenze sorgte für allgemeine Verwunderung, liegt sie doch weit über dem Mindestlohn, mit dem man monatlich auf etwa 1400 Euro brutto kommt. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), warnte deshalb: „Tausende Betriebe und Hunderttausende gut verdienende Beschäftigte werden damit unnötig gegängelt.“

Dies leuchtete offenbar auch dem Arbeitsministerium und dem Kanzleramt ein. Dort verständigte man sich jetzt auf eine neue Gehaltsoberschwelle in Höhe von 2958 Euro pro Monat. Unterstellt ist dabei, dass ein Arbeitnehmer 12 Stunden täglich 29 Tage zu 8,50 Euro die Stunde arbeitet. „Der Betrag entspricht dem, was ein Arbeitnehmer unter Zugrundelegung der arbeitszeitschutzrechtlich maximal zulässigen Arbeitszeit im Monat bei einer Entlohnung mit dem Mindestlohnstundensatz von 8,50 Euro monatlich zu erhalten hat“, teilt ein Sprecher des Ministeriums mit. Auch ob einer eine Führungskraft sei oder nicht, spiele in der neuen Verordnung, die am 1. Januar in Kraft treten soll, keine Rolle mehr. Insgesamt sei damit gewährleistet, dass der Mindestlohn auch bei einem sehr hohen monatlichen Arbeitsvolumen nicht unterlaufen werden könne.

Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hält die Grenze von fast 3000 Euro jedoch immer noch für zu hoch. Damit arbeite man nicht in der Nähe des Mindestlohns. „Bei einer realistischen Arbeitszeit von rund 185 Stunden im Monat bedeutet das einen Stundenlohn von 16 Euro.“ Das sei fast das Doppelte des Mindestlohns, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die neue Vorschrift weite den Anwendungsbereich der geltenden Aufzeichnungspflichten „übermäßig aus“. Kramer plädiert dafür, die Aufzeichnungspflicht auf Arbeitnehmer mit einem Gehalt von höchstens 2400 Euro zu beschränken.

Als positiv bewertete er, dass es sich bei den von den Dokumentationsauflagen ausgenommenen Arbeitnehmern nicht mehr um Führungskräfte handeln muss. Er kritisiert jedoch, dass die strengen Auflagen für die Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit zusätzlich für Minijobber in allen Branchen (außer Privathaushalten) gelten sollen. Hier will Nahles keinesfalls locker lassen – die Möglichkeiten, die 8,50 Euro zu umgehen, gelten bei den geringfügig Beschäftigten als besonders groß.

Steinbachs Intervention

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Der großen Koalition droht ein heftiger Streit, und das ausgerechnet um die Zukunft des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR). Während sich die Bundesregierung gerne ihrer Menschenrechtspolitik rühmt und sich sehr freut, dass von Januar an ein Deutscher den Vorsitz im UN-Menschenrechtsrat übernehmen wird, gelingt es Union und SPD nicht, sich auf ein Gesetz für das deutsche Institut zu einigen. Die Grünen fürchten deshalb einen peinlichen Imageschaden. „Das Ansehen Deutschlands ist in Gefahr“, warnt ihr Abgeordneter Tom Koenigs.



Während die SPD das DIMR in seiner jetzigen Form belassen will, fordert Steinbach eine stärkere Anbindung des Instituts an das Öffentliche Recht.

Seit acht Wochen streiten das Bundesjustizministerium und die Menschenrechtspolitiker der Union, allen voran Erika Steinbach, darüber, wie das Institut auf eine neue gesetzliche Basis gestellt werden kann. Zunächst hatte Justizminister Heiko Maas (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der in der Ressortabstimmung das Plazet aller Ministerien erhielt. Dann erfuhr Steinbach davon, intervenierte im Kanzleramt und konnte mit Hilfe von Staatsminister Helge Braun einen Beschluss des Kabinetts gerade noch verhindern. Seither ist Maas verärgert, weil alles klar zu sein schien und jetzt wieder alles in der Luft hängt. Und Steinbach ist kampfeslustig, weil sie sich übergangen fühlt und ganz andere Ziele verfolgt als der Justizminister.

Das Institut für Menschenrechte wurde unter Rot-Grün 2001 ins Leben gerufen. Alle Fraktionen hatten der Idee damals ihre Stimme gegeben. Das Institut sitzt in Berlin und kümmert sich vor allem um die Menschenrechtslage in Deutschland. Einer größeren Öffentlichkeit ist es nicht bekannt, weil es keine Kampagnen startet.

In Fachkreisen, vor allem in juristischen, genießt es einen guten Ruf wegen seiner Beratungen und Gutachten.

Finanziert wird es von vier Bundesministerien, das Budget beläuft sich auf rund 2,3 Millionen Euro. Politisch ist es als eingetragener Verein dennoch unabhängig. Liberale Rechtspolitiker loben das; der Union ist es ein Dorn im Auge. Auch deshalb scheiterten alle Versuche, sich auf ein Gesetz zu verständigen. Das könnte Folgen haben.

Das Institut wurde als Antwort auf die Pariser Prinzipien aus dem Jahre 1993 gegründet. In ihnen hatte die UN-Generalversammlung Kriterien zur Gründung nationaler Menschenrechtsinstitute formuliert. Sie sollen politisch unabhängig sein, gut finanziell ausgestattet werden, den Blick auf die Menschenrechtslage im jeweiligen Land lenken und einen gesicherten rechtlichen Status haben. Letzteres ist das Problem: Bis heute gibt es kein Gesetz, auf das sich das Institut stützen könnte. Und weil das so ist, könnte es passieren, dass Deutschland das Recht verspielt, im UN-Menschenrechtsrat zu sprechen oder Einfluss auf die Tagesordnung zu nehmen. Gibt es bis März nicht ein Gesetz, dann könnten die internationalen Menschenrechtsinstitutionen Deutschland den dafür nötigen A-Status entziehen.

Statt sich also zusammenzuraufen, haben sich SPD und Union verhakt. Die Sozialdemokraten wollen das DIMR in seiner jetzigen Form belassen und seine Unabhängigkeit schützen. Steinbach will es zu einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts machen und den Einfluss der Politik erhöhen. Die SPD wirft ihr vor, sie wolle die Menschenrechtslage viel lieber anderswo prüfen lassen und ignoriere den drohenden internationalen Image-Schaden. Steinbach kontert, auch Länder wie Aserbaidschan und Russland hätten den A-Status; das zeige in Wahrheit, dass der Status gar keine erstrebenswerte Auszeichnung sei.

Die Grünen können darüber nur noch den Kopf schütteln. Ihr menschenrechtspolitischer Sprecher Koenigs verweist vor allem darauf, mit welcher Schärfe Steinbach versuche, dem Institut seine politische und wissenschaftliche Unabhängigkeit zu nehmen. Bislang heißt es in der Satzung, das Institut handele „eigeninitiativ und unabhängig von jedweden Vorgaben durch die Bundesregierung“. In Steinbachs Version ist so etwas nicht mehr zu finden. Stattdessen heißt es dort, das wissenschaftliche Personal forsche „in den Zeiten selbständig, in denen ihm keine anderen Aufgaben übertragen werden“. Wer ihm also Freiheiten nehmen will, muss es nur mit sehr viel Arbeit zuschütten.

Stürmische Wasser

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Thomas Lange lehnt mit dem Rücken an der Glasscheibe. „Es ist noch nicht so weit, dass ich auf Partys meinen Job leugnen muss“, sagt er und atmet tief aus. Das Ausatmen klingt ein wenig wie: „Aber bald könnte es so weit sein.“ Lange ist Delfinpfleger im Duisburger Zoo, aus dem grün-blau leuchtenden Pausenraum blickt er jetzt ins Wasser des Aquariums. Es sind noch ein paar Minuten bis zur Fütterung. Lange und Tierärztin Kerstin Ternes stellen erst mal die beiden Delfine vor, die gerade vorbeischwimmen: „Das ist Ivo, unser Männchen, daneben ist Pepina.“



Artgerecht oder Tierquälerei? Über diese Frage sind sich Zoos und Tierschützer seit Jahren uneinig.

Die Frage, die nun in dem Pausenraum mit Unterwasserblick steht, ist, ob Thomas Lange und Kerstin Ternes böse sind. Man muss die Frage so krass stellen, weil es viele Menschen gibt, die das glauben.

Ivo stupst mit der Schnauze an die Scheibe, und das ist auch der Grund, warum viele so über Lange und Ternes denken. In der Freiheit des Meeres gibt es keine Scheiben. Neben Ivo und Pepina ziehen noch Delphi und Daisy durchs Wasser. Sie lächeln, aber das tun sie natürlich nur, weil ihr Schnabel so geformt ist. Delfine lächeln nicht wirklich. Aber sind sie deshalb unglücklich? Geht es dem Delfin-Quartett von Duisburg in seinem Becken schlecht?

Einer, der das behauptet, arbeitet in einem Büro in Hagen. Im Delfinarium nennen sie Jürgen Ortmüller meist „den Steuerberater“, das ist sein Hauptberuf. Nebenbei ist er Geschäftsführer des Wal- und Delfinschutzforums, einer gemeinnützigen Unternehmergesellschaft. Er fordert die Schließung der beiden verbliebenen deutschen Delfinarien in Duisburg und Nürnberg. Ortmüller ist nicht der Einzige, der das tut. Aber er tut es am lautesten.

„Die Situation ist nach wie vor katastrophal“, sagt er am Telefon, die Stimme fest. Zu wenig Platz für die Delfine, artfremdes Verhalten, hohe Sterberaten, Medikamentenmissbrauch. Wenn man Ortmüller so zuhört, könnte man Lange und Ternes tatsächlich für Tierquäler halten.

Wenn man Kerstin Ternes anruft und fragt, ob man sich das Duisburger Delfinarium mal anschauen dürfe, wirkt sie fast erleichtert. Sie steht am Zoo-Eingang, kurze Haare, blaue Jacke. Auf dem Weg zum Delfinarium rennt sie fast und redet viel. Sie nimmt den Hintereingang, vor einer Wand von Bildschirmen bleibt sie stehen. „Unser Überwachungsraum.“ Wenn ein Weibchen trächtig ist, wird es hier 24 Stunden lang beobachtet. In dem Becken hinter den Bildschirmen schwimmen drei gesunde Delfinkinder. Aber das ist die Ausnahme. „Die Sterberate bei jungen Delfinen ist sehr hoch.“ Von 26 Geburten hätten 18 Tiere das erste Jahr nicht überlebt. Also stimmt es, was Ortmüller schreibt?

„Nein, nein“, sagt Ternes. Die Zahlen klängen natürlich erschreckend. Aber die Sterblichkeit in freier Wildbahn sei nachweislich genauso hoch. Und im Gegensatz zu frei lebenden Delfinen seien Schwangerschaften in Gefangenschaft eben besser dokumentiert. In die Statistik fließen auch Fehlgeburten ein, die man in freier Wildbahn nie mitbekommen würde.

Ternes geht weiter in die Futterküche, wo die Eimer mit den Fischen stehen. An der Wand der Taucher-Dusche: ein Autogramm von Günther Jauch. „Er hat mal bei ,Stern TV‘ gesagt, er würde niemals ein Delfinarium betreten“, sagt Ternes. Sie führt durch die Filteranlagen und erklärt, warum gesichert ist, dass die Tiere keinen Lärm bemerken, und warum hier nicht mit Chlor gefiltert wird. Dann kommt sie in den Pausenraum und setzt sich auf einen Stuhl. „Wir müssen uns auch davon verabschieden“, sagt sie und holt Luft, „in Delfinen diese Übertiere zu sehen. Die sind unserer Erfahrung nach nicht intelligenter als andere Tiere.“ Sie seien unglaublich lernbereit, das schon. Tatsächlich ist die Frage nach der Intelligenz höchst umstritten. Zu jeder Studie, die das eine sagt, gibt es eine Studie, die das andere behauptet.

Und der Platz? Das enge Becken? Das kann doch nicht richtig sein für ein Tier, das im offenen Meer täglich mehrere Hundert Kilometer weit schwimmt? Ternes schaut zu Lange. „Willst du die Platzfrage beantworten?“ Lange will. Delfine, sagt er, schwimmen die vielen Kilometer nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen. Es gäbe gut untersuchte Delfingruppen, die ihr ganzes Leben in Buchten verbringen würden. Die beiden verbliebenen Wildfänge in Duisburg kämen aus einer solchen Bucht. Er zuckt mit den Schultern. „Klar, größer ist immer besser.“ Aber man fordere die Tiere hier körperlich und geistig, man habe keine Anzeichen dafür, dass es ihnen schlecht gehe.

Das sieht Jürgen Ortmüller natürlich ganz anders. Sein stärkstes Argument: Psychopharmaka-Missbrauch. Werden die Delfine unter Drogen gesetzt, damit sie die Gefangenschaft ertragen? Ortmüller bezieht sich auf tiermedizinische Aufzeichnungen des Tiergartens Nürnberg, die öffentlich geworden waren, er findet, die Akten läsen sich wie ein „Bericht von der Intensivstation“. Die Tiere würden Diazepam erhalten, auch bekannt unter dem Namen Valium. Ortmüller nennt die Medikamentenvergabe „unverhältnismäßig und skandalös“. Der Tiergarten Nürnberg hält dagegen, es handele sich um normale tiermedizinische Behandlungen, die von Tierschützern schlicht skandalisiert würden. „Wir sind dazu verpflichtet, die uns anvertrauten Tiere tiermedizinisch zu versorgen“, sagt Dag Encke, der Direktor des Nürnberger Tiergartens. Da würden sich fachfremde Menschen zu fachlichen Fragen äußern.

Die wissenschaftliche Fundierung könnte wirklich ein wunder Punkt in Ortmüllers Argumentation sein. Die Nürnberger Aufzeichnungen etwa hat eine junge Biologin ausgewertet, die zwar mit Schweinswalen forscht, aber keinen Veterinärbezug hat. Sie selbst hält sich gerade deswegen für unabhängig. Der Zoo hält sie für nicht qualifiziert. Ein anderer Experte, auf den sich Ortmüller – etwa in Sachen Platzbedarf – immer wieder bezieht, ist Altphilologe und publiziert über Friedrich Schiller und Hildegard von Bingen.

Was nicht heißt, dass es keine Wissenschaftler gibt, die sich gegen Delfinhaltung aussprechen würden. Es sind nur erstaunlich wenige. Laut Ortmüller liegt das an einem Komplott zwischen Tierärzten und Forschern, die alle von der Delfinhaltung profitieren würden. Einer der Walforscher, die sich öffentlich gegen die Haltung aussprechen, ist Karsten Brensing. Er hat ein Buch über die „Persönlichkeitsrechte“ von Tieren geschrieben. Tierärztin Ternes teilt seine Position nicht, sagt aber, er sei „sicherlich kein dummer Mensch“. Auch der Nürnberger Encke hat sich mit Brensing schon zu Diskussionen getroffen.

Ternes will unbedingt den Eindruck vermeiden, dass man in Duisburg oder Nürnberg nicht kritikfähig sei. „Klar kann man über Tierhaltung diskutieren“, sagt sie, immer noch mit Blick auf das Delfinbecken. „Aber dann auf wissenschaftlicher Basis und mit gleichen Maßstäben für alle Tiere.“ Wenn man die Delfinhaltung aus den üblicherweise genannten Gründen verbieten wolle, dürfe man konsequenterweise auch keine Wellensittiche in Käfigen oder Katzen in Stadtwohnungen halten, ergänzt Thomas Lange. Was sie sich wünschen, sagen Ternes und Lange, sei eine sachliche Debatte. Ihr Image, das wüssten sie natürlich, habe schon ziemlich stark gelitten. Einige Naturschutzgruppen wollen vom Zoo Duisburg keine Spenden mehr annehmen.

„Vorwürfe sind immer schnell in den Raum geworfen“, sagt Ternes und wirkt jetzt ein wenig müde. „Ob etwas dahintersteckt, ist die andere Frage.“

Virtuelle Seidentapete

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Es passiert gerade etwas mit der öffentlichen Präsenz von Schriftstellern. Reihenweise starten die bekannten Verlagshäuser der Republik eigene Blogs, in denen ihre Autoren sich kontinuierlich mit Essays und Interviews, aber auch persönlichem Kleinkram wie Foto-Schnappschüssen von der Buchmesse darstellen sollen. Im Oktober hat auch Zeit online den Ausbau seiner Kulturseite bekanntgegeben: Unter dem Namen „Freitext“ sollen auch dort die Schriftsteller diverser Verlage eigene Beiträge veröffentlichen und debattieren.



Bücher schreiben ist nicht mehr die einzige Aufgabe eines Autors. Die öffentliche Repräsentation wird immer wichtiger. Einige Verlagshäuser starten deswegen eigene Blogs.

Den Schriftstellern der neuen Verlagsblogs und Plattformen werden eigene Orte geschaffen, um sich zu Wort zu melden. Es wird einiger Aufwand darauf verwendet, sie in einem bestimmten Rahmen zu präsentieren. Dieser Aufwand erzählt zwei Geschichten über die Gegenwartsliteratur: eine vom Funktionswandel der Verlage und eine vom Funktionswandel der Autoren.

Zuerst die Verlage. Der Blog des S. Fischer Verlags heißt „Hundertvierzehn“, nach der Frankfurter Verlagsadresse in der Hedderichstraße 114. Auf einer schlicht und schön gestalteten Webseite werden wildwuchernd die unterschiedlichsten Ideen von den unterschiedlichsten Intellektuellen verhandelt. Der junge Autor Franz Friedrich präsentiert eine Landkarte der Topografien seines Romandebüts „Die Meisen von Uusimaa singen nicht mehr“. Die Fischer-Sachbuchlektorin Tanja Hommen hat Thesen zur Zukunft des historischen Sachbuchs formuliert, auf die ihr drei Historiker klug antworten. Der 88-jährige Franz Mon, lebenslang ein großer Widerständler der Konkreten Poesie, sitzt in einem Videointerview im Blaukittel vor seiner Olympia-Schreibmaschine und beantwortet poetische Fragen wie die nach seinem Lieblingstier (die Stubenfliege) oder nach der Bedeutung von Freiheit. „Am besten gelingt sie am Rand“, ruft Mon vergnügt in die Kamera.

Wen ein solcher Blog nicht so wie eine gutgemachten Zeitschrift in Bann schlägt, der ist eigentlich schon verloren. Auf einer Höhe mit „Hundervierzehn“ ist sonst nur noch der Suhrkamp-Blog, das „Logbuch“ –inzwischen kooperieren Fischer und Suhrkamp auch gelegentlich und ließen kürzlich etwa Kathrin Röggla und Friedrich von Borries blogübergreifend aufeinander reagieren. Ansonsten gibt es im „Logbuch“ beispielsweise regelmäßig: eindringliche Erklärungen vom Theaterlektor Frank Kroll zum Gegenwartstheater, neugierige Notizen vom freundlichsten aller Berlin-Chronisten, Detlev Kuhlbrodt, und die vielen anderswo ausgeführten Reden und Essays der Verlagsautoren in guter Mischung. Neu gestartet und mit Elan unterwegs ist auch der „Resonanzboden“-Blog des Ullstein Verlags. Deutlich marketingorientierter wirken die Blog-Einträge von Kiepenheuer & Witsch, wo abfotografierte Seiten aus dem Notizbuch des Verlagschefs Helge Malchow meist direkt in Werbehinweise auf ein aktuelles Buch übergehen.

Geht es aber nicht bei allen diesen neuen Verlagsaktivitäten um Marketing – darum, durch Content und Klicks potenzielle Käufer auf die Saisonware aufmerksam zu machen? „Nein“, sagt dazu der S. Fischer-Programmleiter Oliver Vogel am Telefon, für die neuen Verlagsblogs würde ein ganz anderer Mechanismus gelten: „Wir Verlage haben einfach die Möglichkeit! Wir sprechen ständig mit unseren Autoren, und ständig entstehen bei so vielen Autoren wie im Nebenbei interessante Dinge. Dieses literarische Gespräch wollen wir nach außen tragen.“

Und dennoch: Zwar sind die Publikumsverlage nach wie vor ökonomisch erfolgreich; aller Schwarzmalerei zum Trotz steht das Geschäftsmodell auch in Zeiten neuer digitaler Vertriebsformen keineswegs vor dem Aus. Aber durch die Zuspitzung im Buchhandel auf eine immer geringere Zahl besonders vielversprechender Titel und durch weniger Raum im Print-Feuilleton für Rezensionen stellt sich den Verlagen gleichwohl immer dringlicher die Frage, wie sie überhaupt noch ihr Gesamtprogramm öffentlich machen und ihren unverwechselbaren Fingerabdruck hinterlassen können. Es war immer schon eine Utopie, dass Bücher etwa von Suhrkamp einfach so ihre Leser finden. Beim Durchklicken des Suhrkamp-„Logbuchs“ aber wird sie ganz besonders lebendig, die berühmte „Suhrkamp-Kultur“. Ihr Funktionswandel führt die Verlage also paradoxerweise auf sich selbst zurück. Die Salonkultur der neuen Blogs ist öffentliche Bewusstmachung der Köpfe und Ideen der Verlagskultur.

Das Zelebrieren bürgerlicher Salonkultur war aber schon immer eine zerbrechliche Konstruktion, jenseits der Seidentapeten lauerte stets die ökonomische Wirklichkeit. Womit wir zum Funktionswandel der Autoren kommen, die ähnlichem Veränderungsdruck ausgesetzt sind wie die Verlage: Gemeinsam mit dem stationären Buchhandel wankt auch die deutsche Autorenfinanzierung durch Lesungen, und die Vielfalt der „Midlist“-Autoren, die von ihren Verlagen nicht als Top-Favoriten großgemacht werden können, verschwindet wesentlich stärker als früher vom Bildschirm.

„Es sind doch aber immer noch die Stimmen der Schriftsteller, die man hören will“, sagt Rabea Weihser, die Ressortleiterin Kultur bei Zeit online, wo Freitext angesiedelt ist. Aus ihrer Sicht ist die Erweiterung des Online-Kulturteils um Texte von Schriftstellern ein notwendiger Schritt im Medienwandel: „Es muss viel mehr Verschiedenes ausprobiert werden im OnlineJournalismus, gerade weil er immer wichtiger werden wird.“ Für die Zukunft erhofft sie sich Anstöße für gesellschaftliche Debatten, die von den Beiträgen von Schriftstellern ausgehen könnten, wie das bislang eben vor allem über das gedruckte Feuilleton geschehen sei.

Ihre Autorität beziehen die auf „Freitext“ und den Verlagsblogs veröffentlichenden Schriftsteller nach wie vor aus der angestammten Welt ihrer Print-Veröffentlichungen. Honorare auf Freie-Journalisten-Niveau beziehen sie aber bei den meisten Verlagsblogs jetzt auch für ihre Online-Texte, was angesichts ihrer Finanzierungsmöglichkeiten nicht zu unterschätzen ist. Und vor allem beziehen sie symbolisches Kapital: Sie zeigen sich als Angehörige der Welt der renommierten Verlage, sie gehören dazu. Ob sie dabei den intellektuellen Stichwortgeber geben wie einst zu Zeiten der Gruppe 47 oder aber dem interessierten Publikum einfach nur ihre Foto-Schnappschüsse präsentieren, ist letztlich einerlei: Auch der Funktionswandel der Autoren führt diese paradoxerweise auf sich selbst zurück. Sie dokumentieren im Rahmen der Salonkultur der neuen Blogs ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Liga der unverkennbaren Köpfe und Ideen.

Bleibt der Umstand, dass die intellektuelle Landschaft sich seit den Zeiten der Gruppe 47 und ihrer Nachfolgetrupps grundlegend gewandelt hat. Sie hat sich aber nicht einfach entleert, sondern horizontalisiert, wenn heute in vielen Medien und von vielen Plattformen aus viele verschiedene Personen miteinander diskutieren. Die Geste, noch einmal Schriftsteller als eine Art Instanz in Gated Communities aufs Podest zu heben, wirkt da äußerst selbstbewusst. Aber falsch und anachronistisch ist sie deshalb noch lange nicht. Wie in einer Aufmerksamkeitsübung wird den Lesern vorgeführt, warum sie eigentlich nach wie vor guten Verlagen und ihren Autoren symbolischen Wert zumessen – und warum sie das wahrscheinlich noch lange tun werden, bei derart diskursiv angeregten, freigiebigen, so viele Qualitäten des fortwährenden Verlagszeitalters bündelnden Blogs.

Welches Handzeichen passt zu dir? - Die Ergebnisse

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Der Pfaffenhofen-Süd-Checker



Neulich erst, auf der Hochzeit vom Markus, hast du sie wieder für das Gruppenfoto gemacht: die P-Hood-Hand. „P-Hood“, das habt ihr euch im Sommer ’99 beim Skaten auf dem Parkplatz vorm Getränke-Bülow ausgedacht. Der Markus, der Axel, der Philipp und du. Die Abkürzung steht für Pfaffenhofen-Süd. Klang irgendwie nach den Beastie Boys, fandet ihr, und wenn ihr skaten wart, sollte Pfaffenhofen ja immer ein bisschen so sein wie das New York, durch das die Beastie Boys in ihren Videoclips sprangen. Der Markus, der Axel, der Philipp und du, ihr wart damals Nachbarn. In der Kollwitz-Siedlung hinter der Stadtbibliothek, in der deine Mutter heute noch arbeitet. Du hast studiert und arbeitest heute irgendwo, wo man in Meetings Turnschuhe tragen darf. Der Axel ist heute Vater und der Philipp fährt einen Mini Countryman. Nur die „P-Hood-Hand“ hat sich irgendwie gehalten. Als kleiner Insider zwischen euch, wenn ihr euch kurz vor Weihnachten mal wieder in der Kollwitz-Siedlung trefft. Wenn du ehrlich bist, fändest du es sogar gar nicht mehr soooo schlimm, selbst irgendwann mal wieder in „P-Hood“ zu wohnen – die Eltern in der Nähe haben, das ist halt wie ein gratis Babysitter!

Der Gildengrüßer



An sich bist du sehr im Reinen mit dir. Ein paar Sachen suchst du seit vielen Jahren aber trotzdem händeringend: den Grund, warum die meisten Menschen so schrecklich langsam denken, die ergonomisch perfekte Computer-Maus, einen Haarschnitt und Distanz zu Mutti. Am meisten aber plagt dich die Frage, wie das mit der Ironie funktioniert. Genauer: Warum sie dir nie ganz gelingen will?! Wenn du dich von Arbeitskollegen mit dem Vulkanier-Gruß und den Worten „Live long and prosper!“ verabschiedest, erntest du jedenfalls meistens einen Blick, als rieche es irgendwo faulig. Im Trekkie-Video-Forum ist das anders. Kein Wunder. Da verstehen sie ja auch deinen aktuellen Lieblingswitz (Buy a new Pentium. You will be able to reboot faster!). An sich würde dir der Spock-Move völlig genügen. Was für Sheldon Cooper gut ist, kann für dich schließlich nicht schlecht sein. Aber die Leute in deiner World-of-Warcraft-Gilde halten Star Trek für nostalgische Kinderkacke. Deshalb habt ihr im Shenthul-Quest den Gruß der Zerschmetterten Hand geübt. Seither muss du immer, wenn du, (...), ach, lange Geschichte.

Der Daumen-rauf-Typ



Du bist ein positiver Mensch, keine Frage, und du bist fest davon überzeugt, dass jeder das sein kann, wenn er sich nur gesund ernährt, ab und zu ein bisschen Sport macht und sich jeden Tag sagt, dass die Welt ein guter Ort und das Leben verdammt super ist. So einfach ist das! Und darum freust du dich immer und über alles, egal, wo du gerade bist. Die Pumas im Zoo? Findest du einfach „top“. Deine Freunde? Findest du sowieso „top“. Und David Guetta? „Megatop!“ Gut, dass es für dich und deine Geisteshaltung die passende Geste gibt: den Daumen nach oben. Denkbar einfach, denkbar unmissverständlich, denkbar top! Und so sieht man dich grinsend mit dem Daumen nach oben vorm Pumakäfig, auf dem Gruppenfoto mit deinen Kumpels aus dem Studium (Lehramt Sport) und neben David Guetta (da sogar mit zwei Daumen nach oben, weil megatop). Da weiß gleich jeder Bescheid. Zu mehr (selbstausgedachtes Geheimzeichen, Underground-Gruß) bist du deswegen auch nicht bereit – das stiftet ja nur Verwirrung und Verwirrung nervt. Was gerade noch so geht: das Ackermann-V. Und eventuell der Mittelfinger, wenn dir jemand blöd kommt. Aber eigentlich ist dafür alles viel zu top!

Der Westcoast-Poser



Okay, Darmstadt ist jetzt nicht der coolste Spot auf Erden – aber du findest, wenn man die richtigen Leute und die richtigen Orte kennt, kann auch Hessen ein bisschen Westcoast sein! Wichtig ist natürlich, dass man gleich erkennt, wer dazugehört und laut Perso zwar ein Mittelschichtssöhnchen aus Darmstadt-Wixhausen ist, aber gerne ein Gangbanger aus South Central wäre. Also haben du und deine Leute eine gemeinsame Geste. Keine ganz eigene, natürlich, immerhin wollt ihr das Lebensgefühl der schweren Jungs von Compton Crips oder Mara Salvatrucha kopieren – drum kopiert ihr auch deren Geste. Oder post halt gleich mit der, die eigentlich sogar Onkel Ralf kennt: das Westcoast-W. Blöd nur, dass deine Hände (und eventuell noch deine Füße, weil du ja sehr genau darauf achtest, welche Turnschuhe du trägst) das einzige sind, was du mit Drive-By-Shootern oder Battle-Rappern gemeinsam hast. Mehr geht nicht, sorry. Wegen Abi. Wegen weiß. Und wegen Wixhausen.

Welches Handzeichen passt zu dir?

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Guck mal schnell in deinen „Gesendet“-Ordner - wie unterschreibst du deine Mails?

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[seitenumbruch]Ey, hast du schon mal geklaut?

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Bei "perfekter Welle" denkst du an:


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Offenes Gespräch mit den Best Friends, es geht um Sex und alles, was dazugehört. Welcher Satz könnte von dir stammen?


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Montag, der schlimmste Tag der Woche. Was hasst du an diesem Tag am allerallermeisten?


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Vervollständige diesen Satz: "Helene Fischer ist..."


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[seitenumbruch]Deine schönste Kindheitserinnerung?

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Alle Ergebnisse findest du hier.

Ich kann die Sterne sehen!

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Für mich war heute schon ein bisschen Weihnachten. Der Grund: Ein wunderschönes Päckchen lag heute zwischen Verlagsprogrammen und Reisekostenabrechnungen:





frzzzl ist die Absenderin, das verheißt Gutes! Und ich werde nicht enttäuscht! In dem Paket ist die schönste Plätzchendose, die ich je gesehen habe: 





Darin eine unfassbar liebe Weltraum-Postkarte von Loriot und selbstgebastelte, goldfarbene und rote Dekosterne:





Und dann erst die Plätzchen! Super Makronen (Schoko-Kardamom, Hastelnuss und Wespennester!), super Zimtsterne, super Lebkuchen, super Marmordackel (was für eine tolle Form!) und super Mince Pies!





Vielen, vielen, vielen Dank, liebe frzzzl!

Wir haben verstanden - über München

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Jede Woche lernen wir in unserer Stadt etwas dazu. Um es nicht zu vergessen, schreiben wir es hier auf. Wenn du auch etwas verstanden hast, schreibe doch eine Mail an muenchen@jetzt.de:





. . . es gibt jetzt auch einen Bayernableger der Pegida – die „Bagida“. Stand Mittwochabend haben die etwa 10 000 Likes auf Facebook. In Worten: Zehntausend. Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl von Planegg.  

. . . auf der Seite posten Menschen Text wie diesen: „Merk es Dir doch endlich mal: ICH, DU, ER, SIE, ES, WIR SIND KEINE NAZIS, nur weil wir Wahrheiten offen aussprechen, die andere nicht hören wollen!“  

. . . wir sehen das anders und weisen deshalb hier tatsächlich mal auf eine Demonstration hin: Das Bündnis Bellevue die Monaco lädt am Montag, 22. Dezember, 18 Uhr, zu einer Kundgebung auf dem Max-Josef-Platz, vor der Staatsoper. Titel: „Platz da! Flüchtlinge sind willkommen! Gemeinsam gegen Pegida, Rassismus und Hetze“.  

. . . damit dann zu Schönerem: Endlich mal den chinesischen Imbiss in der Amalienstraße getestet. Yi Nong heißt der und ist ziemlich fantastisch.    

. . . apropos gute chinesische Imbisse in der Amalienstraße: Wo ist eigentlich Ni Hao hinverschwunden?  

. . . die beste Grabsteinbeschriftung der Welt gibt es ja übrigens auf dem Haidhauser Friedhof. Sie lautet: „Cool bleiben“.  

. . . aus der Reihe seltsame Bald-nicht-mehr-existent-Orte: Der Wartesaal und der Bahnsteig für Autozugverkehr am Ostbahnhof.  

. . . Alternative zur Bratwurscht auf dem Christkindlmarkt: der „Holy Foodtruck Market“ beim Amerikahaus (17. Dezember).

Servus

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Das erste, woran ich mich in München erinnere, sind die Hochhäuser. Das klingt natürlich seltsam, schließlich ist München überhaupt keine Wolkenkratzerstadt. Aber als ich im Oktober 2011 ankam, auf dem Beifahrersitz eines weißen Mercedes Sprinter, den der Fahrer später noch gegen einen Gartenzaun setzen sollte, waren die Hochhäuser des nördlichen Mittleren Ringes das Begrüßungskomitee. Meine Füße lagen auf dem Armaturenbrett, die Fahrt von Bremen aus war lang gewesen und dann tauchten auf einmal in der Dunkelheit die Lichter von Fujitsu-Siemens-Turm und Marriott-Hotel auf.





Wir hielten vor einem Bogenhausener Mehrfamilienhaus und räumten viel zu viele Möbel in das Dachgeschosszimmer, dessen Decken ich viel höher in Erinnerung gehabt hatte und das für die kommenden zwei Masterjahre mein neues Zuhause werden sollte. In der Nacht schlief ich schlecht. Was ich gesehen hatte, passte so gar nicht zu meiner Vorstellung von München.
 
Wenn man von sehr weit her in eine neue Stadt zieht, birgt das ein großes Risiko: Man bleibt sehr lange Tourist. Man hat Reiseführervorstellungen. Man tut Reiseführerdinge. Ich guckte sehr viele Schlösser an, bestellte kichernd „ein Helles“, stapfte mehrfach den Alten Peter für einen Euro hoch, um norddeutschen Freunden Bilder von den Alpen zu schicken. Zu Weihnachten verschenkte ich Schokolade von Dallmayr.
 
Dann verlängerte sich mein Aufenthalt. Aus geplanten 20 Monaten wurden 38. Aus dem Touristenblick wurde ein Einblick: Ich zog in die Maxvorstadt. Ich sagte beim Bäcker keine falschen Sachen mehr, ich verstand das Ring-System des MVV (also vermutlich). Ich beantragte einen neuen Personalausweis. Als Wohnort steht da „München“.
 
Anfangs habe ich gesagt „Wegen des Jobs“, wenn Leute fragten, warum ich da unten sei. „Wegen der Freunde“, sagte ich später. Und jetzt sage ich manchmal, ganz leise: „Wegen der Stadt.“ Weil sie halt doch wahnsinnig gut zu mir war. Und jetzt gehe ich. Nach Berlin, wo immer alle hingehen. Und merke dabei – Einblick hin oder her –, dass ich viel Münchnerisches noch nie getan habe. Also haben die Kollegen mir eine Liste mit Dingen geschrieben, die ich unbedingt gemacht haben muss, bevor ich weg darf. Eine eilige Aufholarbeit also:
 

Fahr mit dem Cabrio die Leopoldstraße runter





Eigentlich eine Sache, für die der Sommer 2014 prädestiniert war. Nach erfolgreichen WM-Spielen haben die Menschen auf der Leopoldstraße Konvois gebildet und Fähnchen geschwenkt – wurde mir zumindest so erzählt. Ich hab’s nicht so mit Fantum. Und auch kein Cabrio. Eine sehr liebe Freundin muss also aushelfen und mir ihr Auto leihen. Dreier Golf. Die Heizung funktioniert hervorragend. Mit offenem Verdeck bei acht Grad und Nieselregen will trotzdem keine rechte Euphorie aufkommen.

Am Siegestor drehe ich also laut M94,5 auf. Da läuft allerdings schlecht gelaunter Mittelklasse-Deutschpop. Hebt die Stimmung auch nicht. So fahre ich noch weiter bis zur Münchner Freiheit und drehe dann auf Höhe der Ungererstraße um. Von den anderen Autofahrern zeigt sich keiner richtig irritiert über die Frau mit den nass-zauseligen Haaren und dem offenen Verdeck. Punkt eins: check.
 

Erlebe, wie das Atomic Café zumacht – dieses Mal wirklich


Als ob man das mit letzter Gewissheit erfüllen könnte! Als die Idee zu diesem Text aufkam, sollte das Atomic noch bis Nikolaus aufhaben – traurig für die Betreiber, gut für mich. Am 2. Dezember hatte ich dort einen Auftritt mit dem Münchner Kneipenchor. Es gab viel Alkohol und die Menschen waren traurig, dass die orangefarbene Innendeko bald verschwinden würde. Den Punkt konnte ich auf meiner Liste abhaken. Kurz vor Nikolaus dann die Pressemeldung: Das Atomic verlängert bis zum Jahresende. Da bin ich schon weg. Aber irgendwie traue ich ihnen ja doch zu, dass sie dann noch mal verlängern. Würde uns doch alle freuen. Und die Betreiber können ja immer noch behaupten: „Wir haben ja nie gesagt, bis zu welchem Jahresende.“

Drücke die Champagnerklingel im Hotel Lux


Darf man eigentlich kaum laut sagen, weil dann wieder alle was mit „Münchner Dekadenz“ schimpfen, aber: In der Bar Lux in der Ledererstraße gibt es vier Klingeln, auf denen mit Schnörkelschrift „Ring for Champagne“ steht. Wenn man auf die drückt, leuchtet vorne an der Bar eine Champagnerflasche auf. Ich bin ein wenig aufgeregt – so oft bestellt man dann ja doch keinen Schampus. Ein kurzer Dreiklang, dann kommt der Kellner mit zwei Gläsern und flötet: „Ladies! Etwas, das prickelt und perlt für Sie! Cincin!“ 12,50 Euro das Glas. Später erzählt der Keller noch, dass die Klingel natürlich ziemlich oft Betrunkene drücken und dann sagen „Ich wollte nur mal wissen, was passiert!“. Aber steht ja eigentlich ziemlich unmissverständlich drauf, findet er.
 

Einmal im Eisbach treiben lassen






Ich mag Wasser. Vielleicht ist Schwimmen sogar die einzige Sportart, die ich einigermaßen beherrsche. Ich war in der Isar, im Müller’schen Volksbad und auch im Starnberger See. Nur den Eisbach habe ich irgendwie verpasst. Vielleicht, weil die Isar die Stadt nicht nur landschaftlich teilt, sondern auch die Badeplätze sehr genau festlegt. Bogenhausen war Isarrevier. Entsprechend toll finde ich die Eisbach-Idee. Prinzipiell. Mitte Dezember braucht es aber schon Druck, um das wirklich zu tun. Und Ausrüstung. Also leihe ich mir einen Neoprenanzug und Surferschuhe und stapfe mit einem sehr großen Handtuch von der Veterinärstraße zu dem Strom im Englischen Garten, den ich immer für den Eisbach hielt. Lerne dann aber, dass das der Schwabinger Bach ist. Der Eisbach teilt sich nämlich hinterm Haus der Kunst.
 
Also in einem Gummianzug im Dezember durch den Englischen Garten laufen. Ich fühle mich komisch – und falle nicht mal ein bisschen auf. Keiner dreht sich um, niemand schaut mich schief an. Es wird nicht viele Städte in Deutschland geben, in denen das so ist.
 
Eigentlich will ich direkt hinter der Brücke bei den Surfern reingehen. Aber ich traue mich nicht. Sieht irgendwie doch lächerlich aus, so ganz ohne Surfbrett. Und die Strömung ist auch sehr stark. Zurück zur ersten Brücke also, hinter dem kleinen Wasserfall. Das Wasser hat sieben Grad. Ich halte zunächst nur einen Fuß rein: mit Surferschuhen gar nicht so schlimm. Bevor ich es mir doch noch anders überlege, stoße ich mich vom Rand ab – und bin drin.

Es dauert einige Sekunden, bis der Anzug mit dem kalten Wasser vollläuft. Da ich so überrascht davon bin, im flach aussehenden Fluss nicht stehen zu können, nehme ich die Kälte kaum wahr. Ich schaue nach oben und merke, dass ich wegen der starken Strömung schon unter der Brücke durchtreibe und fange an zu paddeln. Den Ausstieg beim Eisbach zu bekommen, ist nämlich am schwierigsten. Sagen immer alle. Ich schlucke ein bisschen Wasser, greife nach einem Stein am Rand und ziehe mich raus. Aus meinen Handschuhen läuft bräunliches Wasser. Das hat Spaß gemacht – ich mach’s direkt noch mal. Und erfahre erst ein paar Tage später, dass das Baden im Eisbach offiziell verboten ist. Haben die Kollegen mir gar nicht gesagt.
 

Trinke ein Bier auf dem Parkhaus beim Atomic Café






 Ein bisschen illegal fühlt es sich ja schon an. Alle anderen in diesem kotzgrünen Metallaufzug haben hier ein Auto stehen. Ich habe statt eines Autoschlüssels Bier in der Tasche. Der Lift zeigt die Sechs an, das oberste Stockwerk. Meine Begleitung und ich treten raus aufs Parkdeck. Der Boden glitzert vom Regen, unter uns gehen in den Gassen der Münchner Altstadt die ersten orangefarbenen Lichter an. Von hier oben hat man einen der schönsten Blicke über die Dächer der Stadt. Ein junges Paar findet das auch. Halbdiskret knutschen sie hinter einem Vorsprung auf dem kiesbedeckten Vordach. Ob die Erbauer des Parkhauses wohl damals ahnten, dass sie hier den besten Ort für Münchens Liebespaare schaffen?
 

Iss Weißwürste in der Großmarkthalle


Wenn ich meiner Familie beweisen möchte, dass ich wirklich in Bayern lebe, bringe ich Weißwürste mit. Bislang immer von da, wo ich eben gerade welche herbekam. Die besten Weißwürste Münchens, sagen zumindest mehrere meiner Freunde unabhängig voneinander, soll es allerdings in der Gaststätte Großmarkthalle in Sendling geben. Also schnappe ich mir an einem Mittwochmorgen meine echt-niederbayerische Mitbewohnerin und gehe hin.
 
In der Gaststätte ist es überraschend voll. Viele sprechen Dialekt. Viel mehr als sonst in München. Ich stelle mir vor, dass die Menschen hier alle mit ihren Händen arbeiten, Kisten im Großmarkt schleppen oder im Schlachthof tote Tiere verfrachten. Viele haben rote Nasen von der Kälte draußen. Fachmännisch bestelle ich „Weißwurscht“ (den Anfängerfehler mit dem „Paar“ mache ich nicht mehr), die Bedienung im Dirndl wirkt amüsiert. Als die Würste kommen, sagt mein niederbayerischer Beistand: „Da ist viel Grün drin, das ist immer ein gutes Zeichen!“ Und tatsächlich – sie schmecken ganz ausgezeichnet.
 

Lerne Schafkopfen und lass dich von einer Profirunde anpöbeln, weil du als Spieler „suchst“


Wollte ich ja. Aber: Mal eben schnell eine Schafkopfrunde für jemanden finden, der bis vor kurzem noch dachte, es hieße „Schafskopf“ – unmöglich. Zum Glück gibt es die App „Sauspiel“, mit der man das Spiel angeblich lernen kann – inklusive Pöbeleien auf Knopfdruck.
 
Ich merke aber fix: klappt nicht. Die App erklärt die Regeln nicht. Stattdessen geht das Spiel direkt los. Ich habe keine Ahnung, warum jemand „auf die Kugel“ spielt und wer hier eigentlich die Sau ist. Auch das Regeln-Googlen hilft nicht, auf einmal will nämlich jemand irgendwas mit „blau“ – aber die Farbe gibt’s im Kartendeck ja gar nicht. Die niederbayerische Kollegin versucht aufzuklären: Blau sei Gras. „Die Blaue“ die Grassau. Auch die Worte Schell’n und „Hundsg’fickte“ fallen. Und jetzt will ich wirklich nach Berlin. Da ist sicher nicht alles besser, aber das Gras ist wenigstens immer noch grün.
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