Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live

Woher der Hass? Materielles

$
0
0
Neulich kam im Radio ein Weihnachtsgewinnspiel. Ein O-Ton aus einem Straßeninterview wurde eingespielt, eine Frau sagte: „Also ich finde das Wichtigste zu Weihnachten ja PIEPS und ich finde es immer besser, PIEPS zu verschenken als Dinge.” Die Zuhörer mussten dann raten, welches Wort ausgepiepst war. Was die Auflösung war, habe ich nicht mehr mitbekommen. Ich musste in den Karstadt, Geschenke besorgen. Aber vermutlich hat die Frau „Zeit” gesagt oder „Kinder“ oder so. Eigentlich ist es auch egal, was genau sie gesagt hat. Der Satz „Ich finde es immer besser PIEPS zu verschenken als Dinge“ kann so stehen bleiben und spricht für sich selbst.

Denn an Weihnachten finden wir plötzlich alles, selbst PIEPS, besser als verblödete Dinge, als Zeug, als (Ieh!) Materielles. Das ist die angesagte Weihnachtsmeinung, der Opinion-Trend unterm Mistelzweig, dieses Jahr wie jedes Jahr: Dinge sind blöd, besonders als Geschenke. Worum es wirklich geht: sich Zeit füreinander nehmen, mal wieder gute Gespräche führen, Nähe spüren. So Sachen aus den Refrains moderner Kirchenlieder. Freundeskreise verabreden zu Weihnachten, sich nichts zu schenken (man hat ja genug), Pärchen weisen ihre Bekannten an, statt Geschenken dieses Jahr einfach nur eine Spende an Homöopathen ohne Grenzen zu überweisen.



In Wahrheit richtet sich der Hass auf den Konsum auf etwas anders: auf das Schenken.

 
Diese konsum- und materialismuskritischen Anwandlungen bekommt jeder mal, deswegen gilt Entrümpeln ja gerade auch als Trend, weil man sich dabei angeblich wieder auf das Wesentliche besinnt. Andere Leute probieren sogar aus, wie das ist, ein Jahr lang gar nichts zu kaufen. Seit langem wird behauptet, wir seien inzwischen im Post-Materialismus angekommen und deswegen würden jetzt statt schicker Autos und teurer Uhren ideelle Status-Symbole zählen.

Dabei ist das Unsinn und das Materielle ist im Großen und Ganzen immer noch beliebt. Die Liebe hat sich nur verschoben: Mittlerweile wollen die Leute nichts Billiges aus Plastik mehr, sondern nur noch wertige Gegenstände, am besten mit Zertifikaten oder aus der Manufaktur. Sie kaufen wie verrückt hässliche iPhones oder Designklassiker für Küche und Bad („Meine Klobürste hab ich damals auf svpply entdeckt, von so einem japanischen Designer, der eines der großen Vorbilder von Jonathan Ive ist!“). Dass es jetzt weniger, dafür teurere Dinge sind, auf die wir abfahren, das zeigt ja nur, dass die Liebe zum Materiellen noch größer geworden ist.

Nur einmal im Jahr fällt den Leuten der Hass aufs Materielle wieder ein, zu dem sie sich dann sofort bekennen. Aber woher dieser Hass ausgerechnet an Weihnachten, dem Fest der Liebe? Was macht die Dinge in der Weihnachtszeit plötzlich so hassenswert? Dass sie alle nach Zimt riechen? Dass überall Rentier-Geweihe draufgeschraubt wurden?

Vielleicht liegt es am Schenken. Zu Weihnachten werden die Dinge verschenkt, den Rest des Jahres behält man seine Jonathan-Ive-Klobürsten für sich selbst. Womöglich hassen die Leute nicht etwa die Dinge, sondern nur das Verschenken von Dingen. Von Adorno stammt ein kurzer Text mit dem Titel „Umtausch nicht gestattet”, in dem er sich vor mehr als 60 Jahren schon darüber beklagt hat, dass die Menschen zu doof zum Schenken seien. „Wirkliches Schenken”, schrieb Adorno damals, „hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten.“ Würden aber die Leute heutzutage etwas verschenken, dann höchstens das, was sie selbst gerne hätten. Nur in billiger. Sie gehen dabei vor „mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und mit möglichst geringer Anstrengung“. Man könnte sagen: mit Hass.

Adornos Antwort auf den Satz von der Radiofrau, auf „Ich finde es immer besser PIEPS zu verschenken als Dinge“, würde übrigens lauten: Es ist doch gerade die Kunst, tolle materielle Geschenke zu machen, die uns so fehlt. Denn wer nicht mehr schenken kann, bei dem verkümmern „jene unersetzlichen Fähigkeiten, die nicht in der Isolierzelle der reinen Innerlichkeit, sondern nur in Fühlung mit der Wärme der Dinge gedeihen können”. In Fühlung mit der Wärme der Dinge, schöner kann man nicht sagen, was ein gutes materielles Geschenk ausmacht.

Wir müssen reden

$
0
0

„Dieses Land hat noch immer bekommen, was es wollte“, sagt der Prophet über die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Vereinzeltes Raunen im Publikum. Eine schmerzhaft lakonische Bemerkung – es ist nur eine der Spitzen, die Elfriede Jelinek in ihrem Stück „Das schweigende Mädchen“ verteilt.



Beim Gerichtsprozess schweigt Beate Zschäpe. Im Theater versucht Elfriede Jelinek, dieses Schweigen zu brechen.

„Offener Prozess“ heißt die viertägige Veranstaltung, mit der sich die Münchner Kammerspiele und das Residenztheater dem NSU-Komplex widmen. In Zusammenarbeit mit der Fachstelle gegen Rechtsextremismus, dem Süddeutsche Zeitung Magazin und Bayern 2 gehen Inszenierungen, Filme und Podiumsgespräche den Fragen nach, die Deutschland seit Bekanntwerden des NSU im November 2011 bewegen: Wie konnte die Zwickauer Zelle ihre Taten begehen, ohne entdeckt zu werden? Wieso wurde nicht in der rechtsradikalen Szene ermittelt? Und vor allem: Was sagt die entsetzliche Mordserie des NSU über den Staat, in dem sie stattfinden konnte?

Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, schweigt zu all dem. Jelinek versucht, dieses Schweigen zu brechen, es zum Klingen zu bringen. Die Bühne ist Gerichtssaal und Jüngstes Gericht zugleich. In einem opulenten Stream of Consciousness lässt sie einen Richter, Engel und Propheten Teile der NSU-Berichterstattung wiedergeben und verwischt dabei die Grenze zwischen Aufklärung und Abrechnung. Sätze wie „Keine Sorge Staat, nur die Diener sterben“ quittieren die Zuschauer mit spöttischer Zustimmung – das Vertrauen in die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik ist beschädigt.

„Das schweigende Mädchen“ versucht eine Sprache zu finden, mit der sich über den Terror des NSU reden lässt. „Es fühlt sich noch nach einem Stammeln an“, sagt die Schauspielerin Wiebke Puls beim Publikumsgespräch, „aber das wird sich ändern“. Annette Ramelsberger, die ebenfalls zur Diskussion geladen war, hat als Gerichtsreporterin der SZ den NSU-Prozess von Beginn an begleitet und – ebenso wie ihre Kollegen Tanjev Schultz und Rainer Stadler – Protokoll darüber geführt. Die gemeinsame szenische Lesung dieser Protokolle durch Schauspieler der Kammerspiele und des Residenztheaters bildete am Donnerstag den Auftakt der Veranstaltungsreihe. „Die Mitschriften sind durch die Aufführung dreidimensional geworden“, sagt Ramelsberger.

Im Prozess gegen Zschäpe geht es um mehr als um die Morde an zehn unschuldigen Menschen. Eine Frage, die bei der Veranstaltung permanent im Raum steht: Wer sind wir und wer sind „die anderen“?

Besonders deutlich macht dies „Urteile“, ein dokumentarisches Theaterstück von Christine Umpfenbach und Azar Mortazavi im Marstall. Umpfenbach hat dazu mit Angehörigen, Freunden und Arbeitskollegen von Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides gesprochen, den beiden NSU-Opfern aus München. Mit Mortazavi hat sie die Interviews zu einer Textcollage montiert. Die Szenen lassen erahnen, wie sich die Familien der Opfer fühlten, als die Ermittler sie fragten: War ihre Ehe in Ordnung? Welche Drogen verkaufte ihr Bruder? Und sie zeigen, wie weit sie geht, diese Unterscheidung zwischen uns und „den anderen“. Etwa so weit, dass der Tochter eines Opfers höflich nahegelegt wird, die Schule zu wechseln – kurz nach dem sie ihren Vater verloren hatte.

Dass „Offener Prozess“ nahezu ausverkauft war, dass die Reihen während der Diskussionen und Gespräche besetzt blieben, lässt hoffen: Es gibt eine Öffentlichkeit, die sich der zivilgesellschaftlichen Dimension der Aufklärung der NSU-Morde bewusst ist. Eine Öffentlichkeit, die Ulrich Chaussy Anfang der Achtzigerjahre fehlte. Chaussy ist Reporter beim Bayerischen Rundfunk und recherchiert seit mehr als drei Jahrzehnten zum Oktoberfestattentat. Bei dem Terroranschlag starben am 26. September 1980 durch eine Explosion 13 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Die Bundesanwaltschaft kam 1982 zu dem Schluss, dass ein Einzeltäter aus Hass und sexueller Frustration den Anschlag ausgeführt habe – eine Theorie, die umstritten ist. Indizien sprechen dafür, dass die neonazistische „Wehrsportgruppe Hoffmann“ an dem Anschlag beteiligt war. Schon früh wurde Chaussy auf die rechtsradikalen Hintergründe der Tat aufmerksam, doch geglaubt wurde ihm nicht. „Ich kann auch heute nicht verstehen, dass immer nur von diesem Trio gesprochen wird“, sagt Chaussy zu den NSU-Ermittlungen. 2013 wurde mit „Der blinde Fleck“ sein Leben verfilmt. Und man kann sich während des Filmes nicht gegen den Eindruck wehren: Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.

Bei der Abschlussdiskussion am Sonntag wurde vor allem eines klar: Es ist noch zu früh, um beurteilen zu können, inwiefern Behörden und Verfassungsschutz in Zusammenhang mit dem NSU versagt haben. Erst müsse rekonstruiert werden, wie die Ermittlungen im Detail abliefen, so Dirk Laabs, Autor des Buches „Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU“. Seda Basay-Yildiz, die Anwältin des ersten NSU-Opfers, hat jedoch Zweifel, wie viel man noch erfahren wird in einem Prozess, dessen Hauptangeklagte schweigt.

Eine Frage muss man sich jetzt schon stellen: Wird man lernen aus dem Fall?

So nicht, Jungs!

$
0
0
Es beginnt auf der Straße. „Hey, Baby“, raunt mir ein Zwölfjähriger im Vorbeigehen zu, der mir bis zu den Achseln reicht. Ich bin auf dem Weg zum Merton College, einem der ältesten Colleges der Universität Oxford. Während ein paar hundert Meter weiter Studenten in langen Umhängen mit Sekt und Sprühsahne ihr Examen feiern, wird hier in einem holzvertäfelten Raum mit Blick auf die englischen Rosen im Garten der „Good Lad Workshop“ abgehalten. Etwa ein Dutzend Studenten sitzen im Stuhlkreis. Neben den Stühlen türmen sich Sporttaschen und Fahrradhelme. Ein paar breite Nacken recken sich den Begriffen entgegen, die an die Wand projiziert werden: „Alltagssexismus“ und „positive Männlichkeit“. Ich nehme an der Seite Platz und hoffe, dass mein Rock nicht zu kurz ist.

David Llewellyn und Clive Eley stehen vor dem Projektor. Die Doktoranden wirken wie eine aufgeräumtere Variante von den Männern, die jetzt hier im Kreis um sie sitzen. Dave stammt aus Australien, Clive aus Südafrika. Sie haben als Außenstehende die „Lad Culture“ kennengelernt, die in der behüteten Elitehochburg Oxford floriert – eine archaische und institutionalisierte Sexismuskultur, mit der besonders Sportmannschaften englischer Unis immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Das Oxforder Rugbyteam stand zuletzt wegen einer Rundmail zu Semesterbeginn in der Kritik, in der zum Einsatz von K.O.-Tropfen auf der Ersti-Party geladen wurde. Die Betreffzeile: „Free Pussy“.

Oxford-Studenten warben für den Einsatz von K.O.-Tropfen auf einer Party. Betreff der Einladungsmail: "Free Pussy"


Damit es in Zukunft nicht mehr so weit kommt, organisieren Dave und Clive mit ihrem Mitstudenten Nikolas Kirby seit gut einem Jahr Seminare. Dabei setzen sie an der Wurzel des Problems an: dem Alltagssexismus. Es ist die landesweit einzige studentische Initiative, die sich von Männern an Männer richtet. Die Idee kam den Studenten, die selbst im Mannschaftssport aktiv sind, abends im Pub. Einer ihrer Freunde promoviert zum Thema männliche Rollenbilder. Das Gespräch, das bei ein paar Bier daraus entstand, ließ sie einen Stereotyp herausgreifen: den Lad. Den wollen sie erreichen.



"Lads" sind der Definition nach "echte Kerle", die trinken und frauenfeindliche Witze reißen. Das hier sind ein paar Teilnehmer des Seminars. Sie wollen gute Lads sein.

„Was heißt ,Lad‘ überhaupt?“, fragt Clive in die Runde. Alle, die hier sitzen, könnten das sein: Ruderer, Mannschaftskapitäne, Mitglieder des Rugbyteams. „Lads“, das sind sogenannte echte Kerle, die morgens zusammen auf dem Feld stehen, abends auf Kneipentour gehen, frauenfeindliche Witze reißen und singend durch die Straßen wanken. „Lad Culture“ ist sicherlich nicht gleich „Rape Culture“, aber sie ist ein Bereich, in dem Alltagssexismus kultiviert wird. „Was für Männer wollt ihr sein?“, fragt Clive zu Beginn des Seminars. Kräftige Schultern zucken. Die Teilnehmer sollen das heute für sich herausfinden. Aber nicht alle sind freiwillig hier: Für Rugbyteams ist der Kurs dieses Jahr Pflicht.

In der Mitte des Konferenzraumes robbt eine Dame von der BBC auf den Knien, um die Reaktionen der Teilnehmer mit dem Mikrofon aufzuzeichnen. Die britischen Medien haben aufgehorcht, seit die Universität versucht, das von Bild von den sexistischen Elitestudenten zu korrigieren.  

Clive präsentiert seinen Teilnehmern Zahlen, die belegen, dass sein Workshop in Oxford wirklich nötig ist: „Zwei von drei Studentinnen haben laut einer Studie an englischen Universitäten bereits verbale oder körperliche sexuelle Übergriffe im Universitätsumfeld erlebt, eine von sieben Studentinnen war schon einmal sexueller Gewalt ausgesetzt – in der Mehrzahl der Fälle gingen die Übergriffe von einem Mitstudenten aus.“ Schockierte Gesichter. Und Oxford ist keine Ausnahme.

„It Happens Here“ – „Es passiert hier“, lautet der Name eines Blogs, auf dem Studenten und Studentinnen anonym über sexuelle Gewalt in Oxford posten. Eine Userin schreibt: „Der einzigen Rat, den ich nach meiner Vergewaltigung von den Polizisten bekam, war, in Zukunft weniger zu trinken.“ Gerade war eine Columbia-Studentin auf dem Cover des New York Magazine zu sehen, die aus Protest gegen die verharmlosende Unipolitik ihre Matratze mit sich herumträgt, auf der sie von ihrem Ex-Freund vergewaltigt wurde. Eine 2012 veröffentlichte Studie belegt, dass mehr als 50 Prozent der europäischen Studentinnen verschiedene Formen sexueller Belästigung erfahren haben. In Deutschland sind es fast 40 Prozent. Und auch, wenn die, die jetzt schuldbewusst in einer Runde sitzen, keine Vergewaltiger sind: Sie sind trotzdem Teil einer Gruppe, die neben beherztem Grölen auch mal den Slogan „Free Pussy“ und K.O.-Tropfen als Spaß abtut.

Nach ein paar Aufwärmfragen („Ist es in Ordnung, einem Mädchen im Club an den Po zu greifen?“ – „Nein“; „Mit seinen Freunden offen über den Sex mit einer bestimmten Person zu reden?“ - „Naja.“; „Einen Deine-Mutter-Witz zu erzählen?“ – „Geht.“) stellt Clive Fallbeispiele vor, die sich in genau der Grauzone bewegen, die Alltagssexismus auszeichnen. Es geht um „banter with the boys“, so was wie: Sprücheklopfen mit den Jungs. „Ihr habt ein paar Bier getrunken und begegnet einem Mädchen auf der Straße. Einer ruft: ’Hey, falsche Richtung, die Party ist da lang!‘ Als sie nicht reagiert, fügt ein anderer hinzu: ’Wir wollen dich sowieso nicht dabei haben, du frigide Bitch!‘“ Die Studenten diskutieren: Ist der erste Kommentar noch in Ordnung oder geht er schon zu weit? Und wie kann man die Situation entschärfen?

Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her und möchte erklären, dass grölende Männer mich nicht zum Feiern animieren


„Vielleicht will sie ja wirklich mitkommen?“, sagt ein Teilnehmer. Ich rutsche auf meinem Stuhl hin- und her und möchte gerne erklären, dass eine Gruppe grölender Männer mich nicht zum Feiern animiert – und viele andere Frauen sicher auch nicht. Clive klärt die Situation mit der Frage: Für wen ist der Kommentar bestimmt? Richtet er sich wirklich an das Mädchen, oder an die Gruppe?

„Wir unterschätzen oft, wie wir als Gruppe wirken“, gibt ein Student zu. Wie aber damit umgehen, wenn jemand in der Gruppe ein Mädchen als „frigide Bitch“ beschimpft? Einer schlägt vor, sich für den pöbelnden Teamkollegen zu entschuldigen und ihn danach zur Seite zu nehmen. Genau richtig, findet Clive: „Positive Männlichkeit bedeutet, sich in Konfliktsituationen nicht passiv zu verhalten, sondern nach der bestmöglichen Lösung für alle Beteiligten zu suchen.“

Ich denke an die vollen Pubs, die Straßen, die samstagmorgens gesäumt sind von Dönermüll und Kotzflecken. Die wankenden Männergruppen, das Hinterherrufen und An-die-Haustür-pinkeln. Englands Studenten trinken gern und viel. Das erklärt aber noch nicht den Sexismus. Dahinter steckt häufig ein einfacher Herdentrieb: „Keiner will sexistisch sein, aber keiner spricht das offen aus. Also tut es jeder, um dazuzugehören“, fasst es ein Student zusammen.

Im Seminar wird auch über das Thema einvernehmlicher Sex gesprochen. Die Studenten diskutieren darüber, wie das Zögern einer Frau in einer intimen Situation zu bewerten ist – auch, wenn sie nicht eindeutig „Nein“ sagt. Ein Teilnehmer löst die Frage ganz pragmatisch: „Wenn du einen Freund fragst, ob er noch mit dir ein Bier trinken geht und er sagt ,Ich weiß nicht‘, wertest du es doch auch nicht als Ja.“ Darüber vor dem Sex zu reden empfinden einige allerdings als Stimmungskiller: „Das Problem ist, dass es einem keiner beibringt – obwohl es uns alle betrifft“, resümiert ein Student. Bei den „Good Lads“ haben sie nun Leute gefunden, die es ihnen beibringen wollen. 

Nach dem Seminar räume ich mit Dave die Stühle zusammen. Clive ist verschwunden. Er verteidigt gerade seine Doktorarbeit, während hinter der holzvertäfelten Tür noch ein paar Studenten von der Presse interviewt werden. Dave sieht müde aus. Die Workshops sind ein Vollzeitjob geworden. Sie sollen bald auch an Schulen angeboten werden. Darüber freut er sich.

„Trotzdem – die Workshops laufen ohne Publikum anders ab“, gibt Dave zu. Die Gruppe sei verkrampfter gewesen. Ich erzähle, dass ich manchmal gerne etwas gesagt hätte. „Wir wollen die Männer motivieren, offen ihre Meinung auszusprechen – und diese dann in der Gruppe zu hinterfragen. Deswegen halten wir den Kurs ohne Frauen ab. Manche fürchten den erhobenen feministischen Zeigefinger und sagen deshalb nicht, was sie wirklich denken. Gespräche wie hier führen wir sonst nie.“

Löst es aber wirklich ein globales Problem, wenn ein paar privilegierte Menschen in einem Stuhlkreis über die Bedeutung von Deine-Mutter-Witzen reden? „Wir erwarten nicht, dass sich die ganze Gesellschaft über Nacht ändert“, sagt Dave, „aber wir wollen einander die Mechanismen bewusst machen, die hinter sexistischen Verhaltensmustern liegen.“ Und ändert das wirklich etwas in Einzelsituationen? „Wir gehen im Team jetzt anders damit um. Es gab schon Momente, in denen wir uns gesagt haben: Stopp, der Kommentar ist so nicht ok“, erzählt einer der „Good Lads“.

Vielleicht zeugt eine Initiative wie „Good Lads“ auch von einem jungen Aufbegehren gegen ein überholtes Männerbild, für das auch Figuren wie der selbsternannte Pick-up-Artist Julien Blanc, der Fotograf Terry Richardson und der ehemalige American-Apparel-CEO Dov Charney stehen. Alle drei gerieten kürzlich wegen Sexismusvorwürfen in die öffentliche Kritik. Blanc erhielt Einreiseverbot in Großbritannien, nachdem ein Video seiner Seminare veröffentlicht wurde, indem er demonstrierte, wie einfach japanische Frauen rumzukriegen seien. Er drückte dabei einen imaginären Frauenkopf in seinen Schritt. Die Teilnehmer lachten.

Dass Gruppendynamik eine gefährliche Spirale für Sexismus sein kann, haben die „Good Lads“ verstanden. Sie sprechen das Problem dort an, wo es entsteht, gepflegt und toleriert wird: in der Gruppe. Der Zwölfjährige, der mir auf dem Weg zum Seminar „Hey, Baby“ zugeraunt hat, bekam erst mal einen versichernden Klaps auf die Schulter. Aber nicht von mir, sondern von seinem ebenso milchbärtigen Freund.

Fünf Songs für den Wochenstart

$
0
0

Mr. Oizo – Ham


http://vimeo.com/112974995


Dass ich mich mal über was von Mr. Oizo freuen würde – puh: Hätte ich bis gerade eben viel Geld drauf gesetzt, dass das niemals passieren wird. Aber mal ehrlich: John C. Reilly als fett- und chilly-saucen-triefender White-Trash-Irrer. Da kann man doch jeden Vorsatz über den Haufen schießen. Musik läuft in dem Clip vermutlich auch. Die hat nicht groß gestört. Das spricht für sie!



Noel Gallagher – Do The Damage

http://vimeo.com/112145472


Ich wollte diesen Song schon beiseite legen und nach etwas jüngeren Protagonisten für die Fünf Songs suchen. Dann lief „Do The Damage“ eher reflexhaft noch drei/vier Runden im Hintergrund. Und plötzlich war da wieder dieses Noel-Gallagher-Phänomen, das mich schon beim letzten Album seiner High Flying Birds übermannt hat: Bläst dich beim ersten Hören so gar nicht weg, aber irgendwas juckt im Belohnungszentrum – ganz sanft nur. Aber spürbar. Irgendwas sagt: „Hör noch mal. Hör genau hin.“ Und zack: Lieblingsalbum. Und nach der fünften Schleife hat mich auch dieser vermaledeite Song erwischt. Das Album kommt erst im März.


Wilco – Blasting Fonda


http://soundcloud.com/nonesuchrecords/wilco-blasting-fonda


In seinen schlechteren Momenten sieht Jeff Tweedy ja immer etwas aus, als hätte Neil Young ein Kind mit einer Vogelscheuche gezeugt – was etwas verwirrt, weil er in den besseren eigentlich ein hübsches Kerlchen ist. Jedenfalls haben wir das große Glück, dass stimmlich die Gene der Scheuche überwiegen. Und beim Melodiegefühl der Papa. Tweedy kann uns mit Wilco und diversen Soloprojekten also viele dieser leicht verschrobenen, aber im Kern eben doch immer noch ganz wunderbar schwelgenden Songs bescheren. Songs wie „Blasting Fonda“, ein Stück wie ein angenehm bekiffter Walzer auf einem nebligen Platz in – zum Beispiel jetzt – Paris oder einer anderen Stadt, die auch in grau noch toll aussieht. Und wenn ihr jetzt sagt: Moment mal, ist ja gar nicht neu, war doch schon im Film „Feeling Minesota“! Dann sagen wir: Stimmt! Ist aber gerade neu herausgekommen. Und zwar auf "Alpha Mike Foxtrot: Rare Tracks". Der Name erklärt, was da drauf ist. Und dazu gibt es noch Live-Kram, den man auch nicht kennt. Außerdem freue ich mich privat gerade sehr, dass auch ein Tweedy beim Komponieren ein bisschen einen Tom-Waits-Songs umgeschrieben hat ...


Deichkind – So ne Musik


http://www.youtube.com/watch?v=mdIP3hyxi3k&feature=youtu.be

Vor ein paar Tagen hat Nadja über die Giffisierung der Pop-Kultur geschrieben. Und wie um ihre These zu beweisen, haben Deichkind Freitagmittag dieses buntschwirrende Video hochgeladen, aus dem man aus der Hüfte direkt zehn Gifs rausloopen könnte. Musikalisch ist das schwer neblige Synthie-Gewaber etwas die Rückkehr zum früheren Sound der Hamburger, die – wie sie mir mal erzählt haben – eher aus Versehen vom Hip-Hop zum Krawall-Techno-Rap gewechselt sind und damit ihre Karriere gerettet haben. Außerdem freue ich mich privat gerade sehr, dass auch die Generalästheten beim Videodrehen ein bisschen ein Busta-Rhymes-Video umgefilmt haben ...





Clipping. – Get Up


http://www.youtube.com/watch?v=gTPWY8MMGOk

Dieser Song ist etwas der Rahmenhandlung geschuldet: „Mit Blut fange an und mit Blut höre auf“ – zumindest, wenn du nix mit Babys, Sex oder Wurst hast, ist schließlich eine alte Regel unter uns Medienmachern. Außerdem muss man sagen, dass Daveed Diggs schon ein paar abartig flotte Reime über dieses Nerv-Gefiepe der Experimental-Hip-Hopper aus Los Angeles legt. Ach so: Falls du hoffst, der Song würde irgendwann während der gut drei Minuten weniger anstrengend, müssen wir dich enttäuschen. Der zerfiept dir das Hirn bis zum Schluss. Viel Spaß!

Auf welchen Mitbewohner fällst du herein?

$
0
0

Du musst dringend zum Friseur. In deiner Straße gibt es fünf Läden nebeneinander, du warst noch in keinem. Du entscheidest dich für:


 [plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

Wenn du Truckerfahrer wärst,



[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]


Du willst gemeinsam mit Freunden eine Bank ausrauben. So geht die Geschichte aus:


[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

 


Du kannst noch einmal ganz von vorn anfangen. In welche Familie wirst du hineingeboren?


[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

Im Fernsehen und auf Facebook werben jetzt vor Weihnachten wieder alle möglichen Organisationen um Spenden. Wem gibst du Geld?


[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

Was war früher dein Lieblingsspielzeug?


[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

Dein Vater ruft an. Worüber redet ihr?


[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

Du hast Geburtstag. Wie feierst du?


[plugin psychotest]




[seitenumbruch]Dein Handy klingelt. Was ist zu hören?

[plugin psychotest]


 


[seitenumbruch]

[plugin psychotest ergebnis="1"]

Schleudertrauma-Pop

$
0
0
Es ist ein merkwürdiger Lapdance, der da hoch über den Köpfen der Zuschauer aufgeführt wird. Die Lapdance ist kein Verführungstänzchen, wie wir es kennen aus Musikvideos oder Bühnenshows, sondern ein ganz und gar außerweltlicher. Lustvoll winden sich die Alabasterglieder eines nackten, animierten Frauenkörpers auf der Leinwand, verformen und krümmen sich wie zähflüssiges Plastik vor einem tiefschwarzen Nichts. Seltsam körperlos ist dieses Wesen, das sich da am Freitagabend über der Bühne des Berliner Clubs Berghain biegt und dreht.



Kanye West lies vier Tracks auf "Yeezus" von Arca produzieren, Björk und FKA Twigs folgten.

Es (oder sie?) ist so etwas wie das virtuelle Alter Ego des Elektro-Produzenten Arca und tanzt für den Mann am DJ-Pult in Videoclips und bei Liveshows. Das Berlin-Konzert des gebürtigen Venezolaners war wegen der großen Nachfrage von einem kleinen Nebengebäude in die große Haupthalle verlegt worden – selbst hier in Deutschlands berühmtesten Club, so scheint es, hatte man die schrägen, dunklen Alien-Sounds des 24-jährigen Alejandro Ghersi eher als Nischenthema für Musik-Cracks verortet. Stattdessen aber erfindet Arca mit seinem im November erschienenen, gefeierten Debüt-Album „Xen“ wahrscheinlich gerade die Popmusik der Zukunft. Eine Popmusik nämlich, die sich ihrer digitalen Form- und Dehnbarkeit ganz und gar hingibt. Elastische Musik in gewissem Sinne, ohne feste Raster oder Formen.

Arca ist der Produzent der Stunde – vor allem weil sein eigenwilliger, ambivalenter Sound nicht mehr nur unter Kennern elektronischer Musik für Aufsehen sorgt, trotz seiner vermeintlich geringen Massentauglichkeit. Längst sind große Stars interessiert: Für Kanye West koproduzierte er 2013 vier Songs auf dessen wegweisenden Donnerschlag-Werk „Yeezus“ (unter anderem den besten Track des Albums „Blood On The Leaves“). Für FKA Twigs, das neue Pop-Gesicht dieses Jahres, zwirbelte er die geisterhaften Sounds ihres Hits „Water Me“ zurecht. Und dann ließ auch noch Björk höchstpersönlich verlauten, dass sie sich Ghersi für ihr neues Album ins Studio holt. Mit anderen Worten: Alles deutet darauf hin, dass dieser junge, scheue Venezolaner, der so ungern Interviews gibt und sich fotografieren lässt, gerade dabei ist, eine Art Super-Produzent der nächsten Generation zu werden. Einer, der vielleicht in diesen Tagen bestimmt, was wir in fünf Jahren so oder so ähnlich in jedem zweiten Popsong hören werden.

Schwer vorzustellen ist diese nahe Zukunft beim Anblick der bizarren Tänzerin. Auch wenn man zunächst annimmt, es ginge um bloße Provokation: Das biegsame, künstliche Geschöpft, das auf der Leinwand flackernd seine Kreise zieht, ist mit seinem Glatzkopf und der deformierten weiblichen Silhouette eine durch und durch gelungene Metapher für die neue Dehnbarkeit der Popmusik: verstörend und faszinierend zugleich, geschlechtlos und überhaupt: post-human.

Es ist ein Werk Londoner Videokünstlers Jesse Kanda, mit dem Arca befreundet ist. Sofort muss man an Chris Cunninghams Musikvideo zu „Windowlicker“ von Aphex Twin denken mit seinen schauderhaft entstellten, digital bizarr verzerrten Grimassen.

Der Vergleich mit Aphex Twin, der mit seinem neuen Album „Syro“ nach langer Pause ja auch gerade wieder von sich reden machte, passt aber nicht nur visuell ins Bild, sondern auch musikalisch. Arcas Soundvisionen nämlich muten ebenso innovativ und futuristisch an, wie 1999 die „Windowlicker EP“, die damals wie ein Fremdkörper, wie ein exotisches Einsprengsel aus dem Techno-Underground in den britischen Top 20 stand. 15 Jahre sind seitdem vergangen, was in der Popmusik ja eine halbe Ewigkeit ist. Mindestens. 15 Jahre, in denen digitales Sounddesign längst in die hintersten Winkel der Mainstream-Songkunst gekrochen ist.

Ein sphärisches, zukunftsweisendes, wildes Opus wie Arcas „Xen“ es ist – das ist heute ein wahrer Kunstgriff. Allein die Art, wie die sperrige, bedrohlich knisternde Computermusik seiner Tracks aus der Masse der Abertausenden elektronischen Produktionen, die jedes Jahr erscheinen, herausragt, ist eine kleine Sensation.

Auch beim Konzert im Berghain, wo man schon so oft ganz unterschiedlichen Spielarten der Clubmusik gelauscht hat, wird sofort klar: So gut wie nichts an diesem Sound ist konventionell.

Laut und kratzig ist er einerseits, angenehm spröde und aufgeräumt andererseits, und trotzdem gänzlich fremdartig – eine akribisch ausgearbeitete Vision, wie ein Albtraum, den man betritt, ohne Angst zu haben.

Auch wenn die bleiche, gespenstische Tänzerin auf der Leinwand uns etwas anderes weismachen möchte, gibt es keine Beats, zu den man tanzen könnte. Auch Melodien deuten sich nur an, wie gleich im Eröffnungsstück „Now You Know“, um sofort wieder im schrillen Maschinenhall zu zerbröseln. Rhythmische Muster werden mitten im Song fallen gelassen. Mal hört man verzerrte Fragmente eines Streicherensembles, mal chinesische Zupfinstrumente oder hochgepitche karibische Steeldrums – alles digital verformt bis zur Unkenntlichkeit. Irgendwo unter dem Stöhnen und Ächzen der Elektronik, unter dem Brausen und Pochen verbirgt sich das Skelett der kargen Hip-Hop-Beats, mit denen Arca vor Jahren angefangen hat und die man auf den frühen EPs 2012 noch klarer heraushört. Jetzt gibt es nur noch die Ahnung eines Reggaeton-Beats in „Thievery“, dem einzigen Stück des Albums, das man als Single bezeichnen könnte.

Aber selbst als am Ende in „Slit Thru“ heisere Scratch-Laute erklingen, nicken die Zuschauer höchstens mit dem Kopf. Die Beine aber bleiben sonderbar still. Man steht bloß da, narkotisiert wie nach einem Schleudertrauma, in einer verwunschenen Klangwelt. Ein wenig ist es wie bei einem Rorschachtest – man sieht und hört, was man sehen und hören will. Alles hier ist amorph und flüchtig – anonym wenn man so will – wie die virtuellen Identitäten, in deren Gestalt wir durchs Internet huschen. Arcas Musik reicht nah an unsere Netz-Gegenwart heran.

Am Ende des Auftritt flimmert ein grellblaues Testbild auf der Leinwand –aber keineswegs ein Versehen. Die Technik will hier längst nichts Menschliches mehr vortäuschen. Sie selbst soll fühlbar und greifbar werden – mit ihren eigenen digitalen Mitteln. Dass Menschen in gar nicht so ferner Zukunft Sex mit Computern haben werden – nach diesem Konzert kann es daran eigentlich keinen Zweifel mehr geben.

Pola Negri auf Speed

$
0
0
Ein monströser Klotz, dieses Moskauer „Theater der Russischen Armee“. Hohe Treppen, gigantische Türen. Unheimliche Säulen, die die vorbeimarschierenden Massen teilen wie Baumstämme eine Ameisenarmee. Man könnte auch sagen: Diese Szenerie vor stalinesker Kulisse wirkt wie ein gewaltiger dreidimensionaler Spezialeffekt.



In Polita erlebt der Zuschauer tatsächlich, wie sich traditionelle Theaterkunst klug mit stereoskopischer 3-D-Technik vermischt.

Dreidimensional? Ist das Leben nicht generell dreidimensional? Sogar Filmvorstellungen sind heute ja dreidimensional. Zumindest die, für die an der Kinokasse Brillen ausgehändigt werden. Man kann das mögen oder auch nicht. Manche Menschen, das ist sicher, kriegen beim Tragen von 3-D-Brillen Kopfschmerzen. Die gehen dann lieber ins Theater.

An den Saaleingängen, gleich hinter dem Barmann, der Pistazien und Snickers im Angebot hat, verteilen Ticketkontrolleure Brillen plus Putztücher. Der Zuschauer braucht sie für den Genuss des angeblich „ersten 3-D-Musicals der Welt“. Es erzählt die Geschichte des Stummfilmstars Pola Negri (1897–1987). Mit polnischen Darstellern. Auf Russisch. Ohne Untertitel. Schon bei dem Gedanken daran sind die Kopfschmerzen quasi programmiert.

Aber dann geht der Vorhang auf, und es passiert etwas Unglaubliches: Der Zuschauer erlebt tatsächlich, wie sich traditionelle Theaterkunst klug mit stereoskopischer 3-D-Technik vermischt. Was ist noch Realität? Was Projektion? Was Requisite? Was Illusion? Was ist vorne? Was ist hinten? Das Stück läuft in Polen und Russland schon seit zwei Jahren. Von deutsch- und englischsprachigen Medien wurde es bisher jedoch ignoriert. Ende Januar nun ist „Polita“ erstmals westlich der polnischen Grenze zu sehen. Für drei Abende kommt die Aufführung nach Stuttgart, Mannheim und München.

Zum Inhalt: Pola Negri war der erste weibliche Superstar der Filmgeschichte. Unter Regisseur Ernst Lubitsch stieg die Polin in den Zwanzigerjahren zur bestbezahlten Schauspielerin in Hollywood auf. Ihre Affären mit Charlie Chaplin und Rudolph Valentino produzierten viele Schlagzeilen. Mit Aufkommen des Tonfilms allerdings wurde Negri ihr Akzent zum Verhängnis. Nachdem sie auch noch infolge des Börsencrashs in finanzielle Turbulenzen geraten war, wechselte sie zur Ufa nach Berlin. Wegen ihrer Herkunft belegte Goebbels sie mit einem Drehverbot, Hitler aber – offenbar Negri-Fan – intervenierte. 1941 kehrte sie wieder in die USA zurück und galt dort als „Führers Geliebte“. Von Depressionen geplagt, schlug Negri sogar ein Angebot von Billy Wilder aus. Sie wurde Grundstücksmaklerin in Texas und starb 1987.

Eine Biografie, die für Regisseur Janusz Józefowicz Vehikel für unzählige visuelle Spielereien ist. Der bebrillte Zuschauer weiß irgendwann nicht mehr, ob die Tauben real und die Pferde falsch sind – oder vielleicht umgekehrt. Was ist mit dem Flugzeug, dem Schiff, den Oldtimern? Bewegen sich gerade die etwa 100 Darsteller oder der Hintergrund? Riecht es nicht nach Feuer? Und wie kommt es, dass das zunächst nur als 3-D-Effekt wahrgenommene Wasser einem plötzlich ganz real ins Gesicht spritzt? Die verrückte Mischung von echt und falsch – für Józefowicz ist das ein Riesenspaß.

Nach dem letzten Vorhang, als 2000 begeisterte Zuschauer das „Theater der Russischen Armee“ wieder verlassen haben, tritt Józefowicz, ein 55 Jahre alter, lachender Charismatiker mit zerzauster Frisur und brauner Cordhose, vor die Bühne. In Reihe 6 beantwortet er jetzt Fragen von interessierten Journalisten. Ja, er sei zufällig durch eine Ausstellung auf Negri aufmerksam geworden, sagt er. Später habe er dann versucht, mögliche Geldgeber von seiner Idee seines 3-D-Musicals zu begeistern. „Doch niemand verstand, was ich damit meinte. Also plünderte ich mein Konto, gab alles einer Warschauer Firma für Computereffekte und entschied: Ich mache das selbst.“ Die 3-D-Spezialisten, die Józefowicz beauftragte, hatten sich bereits mit Kurzfilmen und der Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Lars von Trier einen Namen gemacht. Theaterkomponist Janusz Stokłosa komponierte die Musik, die deutlich von östlicher Folklore und dem Charleston-Sound der Zwischenkriegsjahre inspiriert ist.

Nach ersten 3-D-Versuchen mietete Józefowicz ein Warschauer Kino an, lud Freunde und Kollegen zur Preview ein – auch einen wichtigen New Yorker Produzenten. „Ein totaler Flop“, erinnert er sich. „Der letzte Scheiß.“ Später stellte sich der Grund heraus: „Der Idiot von Filmvorführer hatte seine Projektorleuchte um 50Prozent gedimmt, um die Lebensdauer seiner teuren Lampe zu verlängern. Und schon war der ganze Effekt kaputt. Solche Kino-Idioten haben schon damals fast die Einführung des Tonfilms vermasselt.“ Józefowicz kaufte eigene, leistungsstarke Projektoren. Mit ihnen gelang das 3-D-Live-Spektakel erstmals.

Janusz Józefowicz ist ein in Polen bekannter Schauspieler, Regisseur und Choreograf. Schon seit 23 Jahren wird sein Musical „Metro“ weltweit aufgeführt. Für Roger Waters (Pink Floyd) inszenierte Józefowicz einst die Rock-Oper „Ca Ira“. Seine Ehe mit der Tänzerin und Schauspielerin Natasza Urbańska, 37, beschäftigt viele osteuropäische Gazetten: Ist sie auf ihn vielleicht eifersüchtig? Ist er ein Despot? Geht ihre Modefirma bald den Bach runter? Spekuliert wird viel. Fest steht: Józefowicz und Urbańska sind seit sechs Jahren verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter. Er ist der Macher, sie der Star. Er ist der Kopf hinter „Polita“, sie ist die Hauptdarstellerin. Während er im „Theater der Russischen Armee“ auch kurz vor Mitternacht noch begeistert erzählt und dabei wüst mit seinen Armen fuchtelt, sitzt sie, ein bisschen unscheinbar und mit einem Blumenstrauß in der Hand, am Bühnenrand. Wie ist es für sie als Schauspielerin, in einem 3-D-Stück zu agieren? „Der totale Stress“, sagt Urbańska. „Erstens siehst du nicht, was gerade hinter dir projiziert wird, und zweitens reflektieren Tausende 3-D-Brillen dir ständig Licht ins Gesicht.“ Klingt nach Kopfschmerzen.

Natürlich: Auch „Polita“ ist Kitsch. Die tanzende Negri, ihr zigarrenrauchender Ersatzvater Lubitsch, ihre schwebende Vereinigung mit Rudolph Valentino im siebten Sternenhimmel. Nun ja. Doch die Effekte sind verblüffend: Mal landen die Schauspieler mit einem Doppeldecker auf einem fahrenden Zug, dann tanzen sie mit riesigen Schlangen, oder schwimmen in einem gewaltigen Pool davon. „Ich habe „Spiderman“ am Broadway gesehen“, prahlt Józefowicz, „eine der teuersten Produktionen überhaupt. Für mich ist das: altes Theater. Langweilig.“ Und jetzt interessieren sich Amerikaner und Chinesen für seine Idee.

Gerne hätte er in seine Pola-Negri-Hommage noch viel mehr historisches Filmmaterial eingebaut. So wie es Martin Scorsese in „Hugo Cabret“ mit Szenen aus dem Archiv des Filmpioniers Georges Méliès tat. Doch allein die Rechte an einer kurzen Harold-Lloyd-Szene hätten ihn Tausende Euro gekostet, klagt Józefowicz. „Erben und Firmen sitzen mittlerweile auf allem drauf. Das ist schade. Schließlich geht es uns ja darum, die Kunst alter Tage mit modernen Mitteln wiederauferstehen zu lassen.“

Ob „Polita“ in deutschen Mehrzweckhallen auch funktioniert? Das wird sich zeigen. Den Schauspielern aber bleibt nur wenig Zeit, ihre Texte auf Deutsch zu lernen. Untertitel scheiden aus. Sie würden den malerisch gestalteten Szenen zu viel von ihrem Zauber rauben. Sprechen Lubitsch und Goebbels also womöglich Deutsch mit polnischem Akzent? Das möchte man sich lieber nicht vorstellen – bei Eintrittskarten um die 70, 80 Euro.

Doch Janusz Józefowicz glaubt an den großen Erfolg. „Meine Idee wird sich durchsetzen“, sagt der Theaterrevolutionär. Auch, weil’s einfach praktisch sei. Keine tonnenschweren Kulissen mehr! Die hätten in einer anderen Produktion ja fast mal einen Schauspieler erschlagen. In wenigen Tagen feiert Józefowiczs nächstes 3-D-Projekt Premiere. „Romeo und Julia“ in St. Petersburg – mit fliegenden Autos und anderen verrückten Dingen. Danach soll Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ folgen, die kluge Satire über Bürokratismus in der Sowjetzeit. „Alles geht in 3D“, sagt Józefowicz. „Hoffentlich macht uns die russische Politik nur keinen Strich durch die Rechnung.“

Als zwei stämmige Russen vom Sicherheitsdienst dem Besucher am Ende des Abends seine an der Garderobe immer noch nicht abgeholte Jacke vorwurfsvoll in die Hand quetschen, erzählt der Pole Józefowicz noch schnell, dass er noch nicht mal ein Copyright auf seine Idee habe. „Leider. Und nun ist es zu spät.“ Er lacht. „Ist mir doch egal! Geschichte schreiben kann ich auch so.“ Dann holt er seine Frau, die schöne Hauptdarstellerin, am Bühnenrand ab und steigt mit ihr ins Taxi.

Von den beiden wird man noch hören.

Das alte und das neue Mexiko

$
0
0
Im November färben sich die Fichten und Kiefern in der Sierra de Chincua schwarz-orange. Das liegt an den Millionen Monarchfaltern, die sich dann auf den Bäumen niederlassen. Sie migrieren von Kanada zur Paarung bis hierher in den zentralmexikanischen Bundesstaat Michoacán. Das Spektakel lockt Tausende Besucher in den Nationalpark Mariposa Monarca. Parkdirektorin Gloria Tavera freut das, allerdings sind die schwarz-orangenen Falter für sie eher Helfershelfer bei einer tiefer reichenden Mission: Wenn die zumeist mexikanischen Touristen durch die Bergwälder streifen, erfahren sie sozusagen im Vorbeigehen, was dort noch alles entsteht. Ihr Trinkwasser zum Beispiel. „Die Leute lernen hier, dass es wichtig ist, den Wald zu schützen“, sagt Gloria Tavera. Eine für Schwellenländer keineswegs selbstverständliche Einsicht, die jedoch immer überlebenswichtiger wird.



Smog über Mexiko-Stadt: Mexiko ist einer der größten Klimasünder weltweit.

Baumschutz und Schmetterlinge, mag sich da mancher fragen. Hat Mexiko nicht drängendere Probleme, den Drogenhandel mit seinen Zehntausenden Toten etwa? Überschattet der nicht alles? Zweifellos, gerade in Michoacán, das außer einem Naturparadies auch Frontstaat im Drogenkrieg ist. Doch befindet sich Mexiko in einem epischen und noch unentschiedenen Ringen: Das alte Mexiko der finsteren Clans, die weite Teile des Landes terrorisieren, gegen das neue Mexiko: gegen eine aufstrebende Mittelschicht, die neben Sicherheit auch bessere Lebensqualität und eine saubere Umwelt einfordert.

Seit der wirtschaftlichen Öffnung des lange abgeschotteten Landes in den 1990er-Jahren hat Mexiko sich zu einem Tigerstaat entwickelt, den manche schon als das China Lateinamerikas sehen. Das Wachstum ist stabil, die industrielle Entwicklung sprunghaft, kein Land hat mehr Freihandelsabkommen. Die Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto umwirbt ausländische Konzerne, die dort für den US-Markt produzieren; gerade deutsche Autofirmen tun das eifrig. Kritiker sagen, Mexiko verkaufe sich als Billiglohnland.

Die rapide Entwicklung hat die Städte explosionsartig anschwellen lassen. Vor allem der Moloch Mexiko-Stadt wächst unaufhörlich, bei 20 Millionen Einwohnern hat man zu zählen aufgehört. Für die Umwelt ist das desaströs. Nur zwölf Prozent der Abwässer werden geklärt. In Mexiko-Stadt kann das Abwasser kaum abfließen, weil die auf einem Seegrund erbaute Millionenstadt Jahr für Jahr um Zentimeter absinkt. Enorme Pumpanlagen sind nötig, um den Dreck loszuwerden. Der meiste Müll der Hauptstadt muss nach Schließung der größten Deponie in den Nachbarstaat gekarrt werden. Der Rio Lerma, Mexikos zweitlängster Fluss, der zum Pazifik fließt, ist trotz vieler Bemühungen noch eine Kloake.

Doch zunehmend macht sich die Erkenntnis breit, dass man nicht so weitermachen kann. „Mexiko ist beim Klimaschutz extrem ambitioniert für ein Schwellenland“, sagt Corinna Küsel, Landesdirektorin der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Es hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt, will Treibhausgase verringern. Die Dringlichkeit liegt auf der Hand. Das Land gehört zu den anfälligsten für Hurrikane, die sich im Zuge des Klimawandels häufen. Mexiko hat da selbst genügend Anteil. Das Land ist der zwölftgrößte Klimasünder der Welt.

Die deutsche Entwicklungshilfe will diese Ambition anschieben: durch Beratung bei der Verbreitung von Sonnenkollektoren und klimafreundlichen Kühlschränken oder Monitoring von Schutzgebieten – auch wenn Mexiko lange kein Entwicklungsland mehr ist. Aber Klimaschutz ist ja schließlich ein globales Unterfangen, bei dem den Schwellenländern eine Schlüsselrolle zuwächst.Das Waldschutzprojekt in der Sierra Chincua kann stellvertretend stehen für die wachsende Rolle des Naturschutzes. Die Bergwälder versorgen vier Millionen Menschen mit Wasser. Sie bieten aber gleichzeitig den umliegenden Dörfern Lebensunterhalt. Wie den Menschen ermöglichen, vom Wald zu leben, ohne ihn abzuholzen?

Dazu soll ein Projekt beitragen, dass von der GIZ im Auftrag des Bundesumweltministeriums unterstützt wird. Deutsche Experten helfen der Parkverwaltung beim Management des Schutzgebietes. Gemeinden, Unternehmer und Bauern sollen von der Wichtigkeit des Waldschutzes überzeugt werden. Dies ist umso dringlicher, als Mexiko eines der Länder mit der höchsten Abholzungs-Quote der Welt ist. Dem gebietet man besten Einhalt, indem man alternative Verdientquellen aufzeigt, etwa über Tourismus oder eine Wasserabgabe.

Die Schulungen scheinen gefruchtet zu haben. Bauer Diego González und seine Kollegen betonen bei der sauerstoffarmen Wanderung auf 3500 Metern Höhe, wie stolz sie auf ihre Rolle als Klimaschützer sind. „Es ist wichtig, den Wald zu schützen“, sagt González. Wie im Schwarzwald in Deutschland sieht es hier oben aus, obwohl man sich in den Tropen befindet. Der Nebel wabert, und gibt nur hin und wieder den Blick auf die sattgrünen Vulkanberge ringsum frei. Dabei gilt es, gegensätzliche Interessen unter einen Hut zu bekommen. Seit revolutionären Zeiten wird der Grund in Mexiko in Ejidos bewirtschaftet, er ist sozusagen Gemeinbesitz, Einnahmen werden zu gleichen Teilen aufgeteilt, alle reden bei allem mit. Ein Argument, dass bei der Verteidigung der schwindenden Naturreserven zunehmend eine Rolle spielt, ist, ihren wirtschaftlichen Nutzen herauszuarbeiten.

Der Natur wird ein materieller Wert zugerechnet, „Ökosystemleistungen“ heißt das in der Fachsprache, wie Andreas Gettkant, GIZ-Programmleiter in Mexiko, sagt. Kritiker sagen: so werde die Natur auch noch kapitalisiert. Aber was anders tun in einem Land, in dem Millionen jeden Peso dreimal umdrehen müssen, ob Waldbauern, Taxifahrer, Kleinhändler oder Fabrikarbeiter? Über den Geldbeutel sind die Menschen zu erreichen.

Da die deutsche Wirtschaft im Umweltbereich einiges anzubieten hat, kann die GIZ hier gleichzeitig Türöffner spielen, tut das auch, jedoch bei weitem nicht in dem Maße, wie es sich der frühere Minister Dirk Niebel (FDP) gewünscht hatte. Niebel ist nun weg, und auf eine wirtschaftspolitische Wirkungsmessung wird bewusst verzichtet, wie GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner sagt. Die deutsche Wirtschaft hat die Chancen, die in dem Nachholbedarf an Infrastruktur in Mexiko liegen, aber auch so erkannt. Sie ist präsent wie in kaum einem Schwellenland. 1400 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung gibt es in Mexiko.

Kein Wunder, denn die Zahl der Konsumenten wächst stetig. Auch die ärmeren Schichten kurbeln den Wirtschaftskreislauf inzwischen kräftig an. Sie erleben Kapitalzuwachs durch das Geld, das ausgewanderte Familienmitglieder aus den USA heimschicken. Die Supermarktkette Elektra des Salinas-Konzerns, eine Art mexikanischer Media-Markt, eröffnet eine Filiale nach den anderen. In Massen tragen dort Menschen Flachbildschirme, Computer, Handys und Herde nach Hause. Die GIZ ist auch hier dabei, hilft dem Salinas-Konzern, Energieberatung für Kunden durchzuführen. Doch wäre die größte Einsparung nicht, gar keine Unterhaltungselektronik zu kaufen? Aber wer kann den Menschen in Schwellenländern schon verbieten, das zu wollen, was wir längst haben?

Es geht aufwärts, Baby

$
0
0
Es geht bergauf. Ein kleines Stückchen nur, aber immerhin. Das Jahr 2013 war für all jene, die für die Rentenkassen und den Erhalt der Bevölkerung zuständig sind, ein Grund zum Anstoßen – wenn auch nicht gerade Champagner her musste. Soeben hat das Statistische Bundesamt ein Geburten-Plus verkündet: 682069 Babys erblickten im vergangenen Jahr in Deutschland das Licht der Welt. Exakt 8525 mehr als im Jahr davor. Und mehr ist schon mal besser als weniger, auch wenn es sich um ein winziges Mehrchen von gerade mal 1,25Prozent handelt.



Ihr erstes Baby bekommen Frauen immer später. Der Statistik für das Jahr 2013 zufolge lag das durchschnittliche Alter Erstgebärender bei 29 Jahren.

Seit 1965 schon, also mit Einführung der Anti-Baby-Pille, geht es mit den Geburten in Deutschland bergab – von damals 1,4 Millionen im Jahr auf etwa 800000 Mitte der Siebzigerjahre. Und nach einem leichten Zwischenhoch im Jahr 1991 (rund 900000 Geburten) ist es immer stiller geworden in Deutschlands Kreißsälen. Nur 2007 konnte noch einmal eine freudige Nachricht verkündet werden: ein außergewöhnliches Plus von 12140 Babys – wohl eine Verzerrung durch das am 1. Januar 2007 eingeführte Elterngeld, das manchen Kinderwunsch um ein Jahr verlagerte. Seit zehn Jahren jedenfalls dümpeln die Zahlen nun knapp unter 700000 vor sich hin. Dabei sind neben den absoluten Babyzahlen weitere Fakten wichtig, wenn man die Lage der Nation verstehen will, die sich offenbar doch schon in der Wiege entscheidet.

Ältere Mütter
Ihr erstes Baby bekommen Frauen immer später. Der Statistik für das Jahr 2013 zufolge lag das durchschnittliche Alter Erstgebärender bei 29 Jahren, im Jahr 2009 war eine Frau, die ihr erstes Baby bekam, noch 28,5 Jahre alt. Aber auch wenn die Mütter immer älter werden, sind Entbindungen nach dem 40. Lebensjahr nicht sehr häufig: Nur drei Prozent waren es im Jahr 2013. Vor allem hochqualifizierte Frauen bekommen ihre Babys erst zwischen dem 35. und 39. Lebensjahr. Zuvor etablieren sie sich meist im Beruf und sichern sich finanziell ab. Für den Soziologen Jürgen Dobritz vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) ist das einer der Gründe „für das niedrige Geburtenniveau in Deutschland, die hohe Kinderlosigkeit und die geringen Anteile von Frauen mit drei oder mehr Kindern“. Klar: Wer relativ spät erst Mutter wird, für den sinken die Chancen auf mehr Kinder.

Der produktive Osten
Im Osten und Westen Deutschlands haben sich die Geburtenraten weitgehend angeglichen. Nur nach der Wende war die Zahl in Ostdeutschland kurzzeitig drastisch eingebrochen, in den frühen Neunzigerjahren lag sie nur noch bei 0,8 Kindern pro Frau. Inzwischen liegt der Wert mit 1,46 leicht über dem des Westens. 1934 brachten Frauen in Gesamtdeutschland noch 2,2 Kinder zur Welt. Dann waren es jahrzehntelang – nämlich für die Jahrgänge 1948 bis 1972 – jeweils 2,0 Kinder pro Frau. Beim Unterschied zwischen Ost und West spielen wohl überlieferte Werte eine Rolle: Wenn Mütter kleiner Kinder arbeiten gehen, ist das auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fast der Normalzustand. Die Frauen im Westen haben stärker mit dem bösen Wort der Rabenmutter zu kämpfen.

Kinderlosigkeit
Ursache der niedrigen Geburtenrate in Deutschland ist aber weniger, dass Frauen im Durchschnitt weniger Kinder bekommen als ihre eigenen Mütter. Es sind die vielen Kinderlosen, die die Statistik vermasseln: „Der Anteil der Frauen ohne Kind hat das niedrige Geburtenniveau maßgeblich bedingt“, heißt es in einer Studie vom Statistischen Bundesamt. Jede fünfte Frau Mitte vierzig hat kein Kind. Damit ist der Anteil der kinderlosen Frauen im Vergleich zum Jahr 1900 auf das Doppelte angewachsen. Studierte Frauen sind besonders häufig kinderlos – unter den heute 45- bis 49-jährigen Akademikerinnen sind es 28 Prozent. Besonders verbreitet ist dieses Phänomen in den Stadtstaaten Hamburg (32 Prozent) und Berlin (29 Prozent) – auch der oft als Rückzugsgebiet der Latte-Macchiato-Mütter gepriesene Prenzlauer Berg kann statistisch keineswegs mit einer hohen Geburtenrate auftrumpfen. Im Jahr 2003 lag der angebliche Babyboomer-Bezirk mit einem Kind je Frau sogar deutlich unter dem Durchschnitt.

Kind und Kegel
In Ostdeutschland kommen erheblich mehr uneheliche Kinder zur Welt als in Westdeutschland. Aber auch im Westen nimmt ihr Anteil zu: 1995 wurden in Deutschland insgesamt noch rund 120000 Kinder geboren, deren Eltern keinen Trauschein hatten. 2013 hat sich die Zahl auf 237 562 quasi verdoppelt.

Die Kopftuch-Legende
Frauen mit Migrationshintergrund haben tatsächlich mehr Kinder als in Deutschland geborene Frauen. Der Unterschied ist allerdings nicht groß. 2010 bekamen deutsche Frauen 1,3 Kinder, Migrantinnen 1,6. Dabei haben sich Frauen mit ausländischen Wurzeln den deutschen angenähert. Ein Effekt, der überall beobachtet wird: Einwanderer passen sich in Fortpflanzungsfragen den Gewohnheiten des Landes an, in dem sie leben.

Geld macht’s nicht

Bei der Kinderzahl liegt Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Bereich; was die Zahl der familienpolitischen Leistungen betrifft, jedoch weit oben: Es gibt bereits 156 verschiedene Zuwendungen. Noch mehr Geld vom Staat wird vermutlich wenig bringen, wenn man die Geburtenrate erhöhen will. Viel wichtiger scheint zu sein, was in den Köpfen passiert. So kommt eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zu dem Schluss, dass sich Politik und Wissenschaft bei der Suche nach den Ursachen für die niedrige Geburtenrate zu sehr auf die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf konzentrieren. BiB-Direktor Norbert Schneider kritisiert, dass es „keine positiv besetzten Familienleitbilder in Deutschland gibt“. Die Mutter und Ehefrau, die sich nur um Haushalt und Kinder kümmert, oder die berufstätige Mutter mit Kleinkind – beide Rollenbilder seien einseitig und eher negativ besetzt. Erst wenn Frauen keine Angst mehr haben müssten, entweder als Rabenmutter oder als Heimchen am Herd dazustehen, hätten sie auch Mut für das Abenteuer Baby.

Tagesblog - 9. Dezember 2014

$
0
0
12:11 Uhr: Weil ich heute ein bisschen langsam bin, lasse ich mich von den anderen mit Material füttern. Hier Jans Beitrag mit Niedlichkeits-Overdose:
http://www.youtube.com/watch?v=JVWt4cQVFTU
Darauf ein Mittagessen!

++++

11:26 Uhr:
Achja, es ist ja Vorweihnachtszeit. Ich bin jetzt schon müde.

Und ich habe es ja dieses Jahr noch nicht gehört, aber wir diesen Mann kennt, der kommt wohl nicht drumrum:

Laaast Christmas, I...
[plugin imagelink link="http://www.watson.ch/imgdb/993a/Qx,B,0,271,572,749,238,424,91,164/2157342545477574" imagesrc="http://www.watson.ch/imgdb/993a/Qx,B,0,271,572,749,238,424,91,164/2157342545477574"]

++++

10:01 Uhr:
Ich schaffe es noch, mein Versprechen zu halten: Neuer Text vor der Konferenz! Der Studentenatlas fächert uns diese Woche Leipzig auf, heute mit der Viertelkunde und der Info, wo man Sterni direkt von der Quelle bekommt.


Leipzig a.k.a. "Hypezig"

++++

09:44 Uhr:
Ich schwöre: Vor der Konferenz gibt es noch einen neuen Text auf dieser Seite. Und jetzt schon drei zufällig ausgewählte Nachrichten:

- Das "360°" zur Flüchtlingspolitik geht heute weiter. Schon da: Ein Text über Proteste gegen Flüchtlingsheime. Später kommt dann Teil 2 der tollen "Der Zaun"-Reportage.

- In den USA soll heute ein Bericht über die Verhörmethoden der CIA veröffentlicht werden. Ex-Präsident Bush hat im Voraus schon mal die Folter verteidigt. 

- Meet&Greet der Woche: [plugin imagelink link="http://static.guim.co.uk/sys-images/Guardian/Pix/pictures/2014/12/9/1418097342242/fef74e85-1bf7-4a1b-bdc6-6a9b07d1544f-460x276.jpeg" imagesrc="http://static.guim.co.uk/sys-images/Guardian/Pix/pictures/2014/12/9/1418097342242/fef74e85-1bf7-4a1b-bdc6-6a9b07d1544f-460x276.jpeg"] via The Guardian

++++

09:15 Uhr:
Guten Morgen, geneigte Leser! Gleich geht es los mit dem Tagesblog, muss bloß vorher noch die Adventskalendertürchen von Samstag, Sonntag, Montag und heute öffnen. Bis ich fertig gekaut habe, könnt ihr euch einen meiner Liebligscartoons anschauen, der mit heute aus einem Grund, den ich nicht kenne, auf dem Fahrrad wieder eingefallen ist:
[plugin imagelink link="http://www.katzundgoldt.de/zutatenarchiv/wuscheligkeit.jpg" imagesrc="http://www.katzundgoldt.de/zutatenarchiv/wuscheligkeit.jpg"] via Katz&Goldt
Bis gleich!

Die 212-Euro-Tafel

$
0
0

Wenn mal wieder von irgendeinem teuersten Allerweltsprodukt die Rede ist, ist das natürlich meistens Quatsch. Dann liegt im Cocktail-Glas eben ein Diamant, oder die Currywurst ist mit Blattgold garniert. Kein großes Kunststück, so etwas für ein paar Tausend Dollar loszuwerden – und kein Ausweis besonderer kulinarischer Kennerschaft, so etwas zu kaufen.



Gut schmecken soll die amerikanische To'ak Schokolade schon. Für 212 Euro pro Tafel sollte sie das auch..

Wenn jetzt aber die teuerste Schokolade der Welt ausgerufen wird, dann steckt dahinter kein Juwelier, der zu jedem Edelstein eine Tafel dazulegt. Wer 260 Dollar (212 Euro) für eine 50-Gramm-Tafel der neuen Sorte To’ak bezahlt, der muss ganz einfach: gerne Schokolade essen. Mitgeliefert wird allerdings – und das dürfte einigen dann doch wieder viel Geld wert sein – eine gute Geschichte.

Und die geht so: Der heute 36-jährige amerikanische To’ak-Gründer Jerry Toth ging nach der Uni nach Ecuador, um den Regenwald zu retten. (Ganz wichtig für eine lukrative Geschichte: Es darf nicht so aussehen, als sei jemand mit der Absicht gestartet, Geld zu verdienen.) Bald führte ihn ein alter Kakao-Bauer tief in den Dschungel zu einer uralten Plantage. (Kann nie schaden: eine geheimnisvolle Aura.) So abgelegen war diese Plantage, dass sie unbeschadet die große Kakao-Plage von 1916 überstand, der fast alle anderen Pflanzungen Ecuadors zum Opfer fielen. Weil daraufhin neue, robustere Züchtungen gepflanzt wurden, ist dies womöglich die letzte Plantage, auf der die beste der alten Arriba-Sorten wächst. (Unerlässlich für die Geschichte: äußerste Exklusivität.) Natürlich ist der Ertrag sehr begrenzt, jedes Jahr gibt es daher nur einige Hundert nummerierte Tafeln. (Ganz alter Trick: Verknappung.)

Über Generationen hatten die lokalen Bauern allerdings nichts von ihrem Ausnahme-Produkt, denn die gesamte Kakao-Ernte der Region wurde von großen Aufkäufern vermischt an Massen-Produzenten verkauft. Dank To’ak verdienen die Bauern nun endlich anständig. (Das Sahnehäubchen: ein gutes Gewissen.)

Die Schokolade soll übrigens ziemlich gut schmecken.

Stilkritik: Grumpy Cat

$
0
0

Lasst uns froh und munter sein? Vergiss es. Null Bock. Wenn man als Morgenmuffel, Wintermuffel, Büromuffel, S-Bahn-Muffel, Adventsmuffel und Gesamtmuffel in einem müffeligen Zug zur Arbeit unterwegs ist und all die muffeligen Menschen sieht, könnte man glatt miese Laune bekommen. Darf aber nicht sein. Grumpf.



"Grumpy Cat" ist ein Star: Mit Merchandising-Produkten, Werbung und einem TV-Film hat die Katze in den letzten zwei jahren 100 Millionen US-Dollar verdient.

Denn ehrlicher, handfester Pessimismus gilt heutzutage als psychische Krankheit. Wer diesen seelischen Schnupfen nicht von alleine los wird, sollte sich dringend einen Glücks-Ratgeber reinpfeifen und bei einem hochbezahlten Gute-Laune-Onkel das Mantra des positiven Denkens auswendig lernen. Du bist toll! Glaube an dich! Tschakka! Und immer schön lächeln!

Mist, das macht es irgendwie auch nicht besser. Eher schlimmer. Die „Unvernunft des Willens“ im Sinne des alten Miesepeters Arthur Schopenhauer führt dazu, dass der grundsätzlich muffelige Mensch schon aufgibt, bevor er überhaupt angefangen hat mit etwas Positivem. So wird man wahrscheinlich nie reich und berühmt.

Oder doch? „Grumpy Cat“, der scheinbar schlecht gelaunte Katzen-Star, den man von Facebook-Meldungen gelangweilter Leute mit Katzenfimmel kennt, gehört jetzt zu den reichsten Stimmungskillern der Welt. Laut der britischen Tageszeitung Express hat das Viech mit den herunterhängenden Mundwinkeln in den vergangenen zwei Jahren 100 Millionen US-Dollar verdient, mit Merchandising-Produkten, Werbung und einem TV-Film.

Grumpys Besitzerin Tabatha Bundesen, 28, hat ihren Job als Kellnerin aufgegeben und wird in TV-Shows eingeladen, auch ohne ihre depressive Katze. Man möchte jetzt keine Spaßbremse sein, aber lustig ist das alles nicht. Die traurige Wahrheit: Eigentlich heißt das Tier „Tarder Sauce“ und ist behindert, es leidet an „felinem Kleinwuchs“ und Unterbiss. Dass Grumpy Cat mit den Merkel-Mundwinkeln mehr Geld eingenommen hat als der grinsende Cristiano Ronaldo mit seiner Unterhosenkollektion? Darüber kann die arme Katze nicht mal müde lächeln.

Viertelkunde: Leipzig

$
0
0


 Dieser Text erscheint im "Studentenatlas", ein Projekt von jetzt.de und SZ.de. Mehr Infos dazu findest du hier. Eine interaktive Leipzig-Karte für Studenten findest du hier.

Südvorstadt


Das bekommst du hier: zu beinahe jeder Tages- und Nachtzeit etwas zu Trinken und zu Essen; vor den Kneipen ein Plätzchen im Freien (im Winter mit Decke und Heizpilz); das passende Outfit für Leipzigs Hippie- und Hipster-Chic; das Seifenkistenrennen auf dem Fockeberg; gute Chancen, dass in deiner Nachbarwohnung heute Abend eine WG-Party steigt; Original-Leutreklame aus der DDR
Das bekommst du hier nicht: deine Ruhe; ein günstiges Zimmer in einem unsanierten Altbau (die Südvorstadt ist komplett durchsaniert); Nachbarschaft zu Langzeitarbeitslosen (das Viertel ist auch entsprechend durchgentrifiziert); die Alpha60 (Filmothek mit Filmarchiv, musste wegen der steigenden Mieten umziehen); alternative Kunstgalerien (Freiräume gibt es hier auch nicht mehr)
Durchschnittsmiete: 6,61 Euro/qm (Kaltmiete, Quelle:Immonet/LVZ-Online, Stand Ende 2013)

+++


Neustadt-Neuschönefeld und Volkmarsdorf


Das bekommst du hier: Supermärkte für türkische, arabische, russische und indische Lebensmittel; eine der letzten innenstadtnahen Gegenden, in denen noch viele Häuser und Läden leer stehen; entsprechend viele temporäre Kunstgalerien, DIY-Cafés und Kneipen; eine offene Drogenszene (entsprechend regelmäßige Blaulichteinsätze
Das bekommst du hier nicht: ein zu jeder Tages- und Nachtzeit ungetrübtes Gefühl von Sicherheit (nachts legt mancher Radfahrer auf der Eisenbahnstraße gern mal einen Zahn zu); verlässliche Öffnungszeiten der neuen In-Lokale (lieber vorher im Internet checken, da hier viele Kneipen und Clubs noch in der Ausprobierphase stecken)
Durchschnittsmiete: Neustadt-Neuschönefeld: 4,80 Euro/qm, Volkmarsdorf: 4,50 Euro/qm (Kaltmiete, Quelle: Immonet/LVZ-Online, Stand Ende 2013)


+++ 


Reudnitz-Thonberg


Das bekommst du hier: sehr günstige, große Altbauwohnungen; Sterni direkt von der Quelle; unmittelbare Nachbarschaft zum Völkerschlachtdenkmal (praktisch, wenn die Eltern zu Besuch kommen); Deutsche Nationalbibliothek (praktisch, wenn man eine Abschlussarbeit schreibt); Uniklinikum (praktisch vor allem für Medizin-Studenten); die Innenstadt ist auch nicht weit
Das bekommst du hier nicht: eine Nachbarschaft, die stolz auf ihren Ruf ist (der Osten der Stadt gilt nach wie vor als sozialer Brennpunkt); kreativ genutzte leere Fabrikgebäude (anders als im Leipziger Westen liegen viele Ruinen im Osten immer noch brach); Sicherheit für dein Fahrrad (es kursieren jede Menge Geschichten über Fahrraddiebstähle in Reudnitz - allerdings zeigt die Polizeistatistik: Die meisten Räder werden in der Innenstadt geklaut)
Durchschnittsmiete: 5,70 Euro/qm (Kaltmiete, Quelle: Immonet/LVZ-Online, Stand Ende 2013)


+++ 


Plagwitz und Lindenau


Das bekommst du hier: Industriebrachen, die an Wochenenden rege besucht sind; die Baumwollspinnereivoller Kunst, jede Menge kreative Köpfe in Tapetenwerk und Westwerk; mit guten Beziehungen und ein bisschen Glück ein Zimmer in einem Hausprojektchinesisches Essen, das den Namen verdient; selbst designten Schmuck auf regelmäßigen Trödelmärkten
Das bekommst du hier nicht: günstige Altbauten für neue Projekte (Plagwitz und Lindenau gelten als die beiden Stadtteile, die in den vergangenen Jahren die rasanteste Aufwertung erlebt haben und für die in der kommenden Zeit steigende Mieten erwartet werden)
Durchschnittsmiete: Plagwitz: 6,63 Euro/qm, Lindenau: 5,74 Euro/qm (Kaltmiete, Quelle: Immonet/LVZ-Online, Stand Ende 2013)  


+++


Schleußig


Das bekommst du hier: Wohnen am Wasser, umgeben von Parks; Treppenhäuser voller Kinderwagen;Stammwähler der Grünen als Nachbarn; einen Bio-Späti; eine englischsprachige Privatschule; einschlechtes Versteck, in dem du mal eine Pause von deinem Lohas-Dasein machen kannst
Das bekommst du hier nicht: Fastfood-Ketten, einenParkplatz für dein Auto; Ruhe vor Investoren, die deine selbst renovierte Wohnung luxuriös sanieren und weiterverkaufen wollen; schnell einen Kita-Platz für deinen Nachwuchs
Durchschnittsmiete: 6 Euro/qm (Kaltmiete, Quelle: Immonet/LVZ-Online, Stand Ende 2013)  


+++


Connewitz


Das bekommst du hier: eine links-autonome Szene, die Anfang der 90er die Stellung hielt, als sich nach dem Mauerfall allerorts junge Männer die Haare abrasierten und mit Bomberjacken und Springerstiefeln durch die Straßen zogen; besetzte Häuser, die inzwischen in eine alternative Genossenschaft umgewandelt wurden; jedes Jahr beim ersten Schneefall eine Straßenschlacht mit der Polizei; die höchste Dichte alternativer Kulturzentren der Stadt (Werk IIUT ConnewitzConne-Island und Zoro); die Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur; den Wildpark im Auenwald
Das bekommst du hier nicht: Neonazis; ruhiges Wohnen im neuen EinfamilienhausRespekt für deine Sanierungsarbeit; Filialen bekannter Drogerieketten
Durchschnittsmiete: 6,62 Euro/qm (Kaltmiete, Quelle: Immonet/LVZ-Online, Stand Ende 2013)

Wie geht Konvertieren?

$
0
0
Tanja und ich teilen uns ein Hostelzimmer in Jerusalem. Irgendwann spricht man hier ganz automatisch über Religion. Sie ist Christin, ein paar Jahre älter als ich und mit einem Muslim zusammen. Die beiden wollen heiraten, er will, dass sie zum Islam konvertiert. „Machst du das?“, frage ich. Sie hat sich noch nicht ganz entschieden, hätte aber eigentlich kein Problem damit.

Ich frage mich, ob das geht: Kann man denn einfach so vom Christentum zum Islam konvertieren? Und was ist mit dem Judentum? Wäre der Wechsel in eine jüdische Gemeinde schwieriger? Auf was muss man beim Religionswechel achten?

Wie wird man Muslim/a?


„Ganz, ganz kurz und individuell“, so beschreibt mir Ahmed Al-Khalifa vom Islamischen Zentrum in München den Weg eines Konvertiten zum Islam. Ich wäre demnach bereits Muslima, wenn ich an „den Schöpfungsgott und an dessen Barmherzigkeit“ glauben würde – und daran, dass Mohammed der letzte Prophet war, den Gott auf die Erde geschickt hat.

„Der Glaube ist eine Sache zwischen Mensch und Gott“, sagt Al-Khalifa, kein Mensch könne über den Glauben eines anderen urteilen. Deswegen müssen muslimische Konvertiten auch keine Prüfung vor anderen Muslimen ablegen.

Vor einigen Wochen habe zum Beispiel eine Frau aus einem niedersächsischen Dorf bei ihm angerufen und das erste Mal überhaupt mit jemandem über ihren Glauben gesprochen, erzählt Al-Khalifa. „Die Frau war seit 14 Jahren Muslima und niemand außer ihr und Allah wusste es.“

Konvertiten können ihren Glauben anderen Muslimen zeigen, indem sie sich öffentlich zu Gott und seinen Propheten bekennen oder regelmäßig in einer Moschee beten gehen. Eine feste Moscheegemeinde muss man dabei nicht haben: Man kann die Moschee frei wechseln. Oder einfach zu Hause beten. Die Beschneidung bei Männern ist keine Pflicht.

Wer mehr über den Islam erfahren will, kann sich bei Moscheen in der Nähe erkundigen oder bei dem Zentralrat der Muslime um Rat bitten. 

Evangelisch werden


An der Infohotline der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sagt man mir, dass man der evangelischen Kirche sogar telefonisch beitreten könnte – vorausgesetzt, man wäre bereits christlich getauft und aus seiner alten Kirchengemeinde ausgetreten. In diesem Fall bräuchte man nur die kostenlose Eintrittshotline (0800-813-813-8 oder 0711-22-27-673) zu wählen und könnte mit einer Pastorin über seinen Kircheintritt sprechen und sich die nötigen Unterlagen nach Hause schicken lassen. Nicht getaufte Konvertierungswillige können sich über die Eintrittsstellen der einzelnen Landeskirchen oder direkt im Pfarramt um die Ecke informieren. Ihnen werden Erwachsenentaufkurse angeboten, die sie auf den Eintritt in die Kirchengemeinde und ihre Taufe vorbereiten. Wie oft diese Kurse stattfinden, hängt von der Landeskirche und der Gemeinde ab.

Der Kircheneintritt an sich kostet kein Geld, allerdings muss man als Gemeindemitglied Kirchensteuer zahlen.

Der Weg in eine katholische Gemeinde


Wenn man den Katechumenatsweg bestreiten möchte, also katholisch werden will, muss man als erstes mit einem katholischen Seelsorger oder Pfarrer reden und erklären, warum man konvertieren möchte. Auf das Treffen mit dem Pfarrer folgt dann der Besuch eines katholischen Glaubensgesprächkreises. An diesem sollte man mehrmals teilnehmen, um mehr über die Feiertage und heiligen Sakramente der katholischen Kirche zu lernen.

Fühlt man sich bereit, geht’s zurück zum Pfarrer, der den Kircheneintritt des Konvertiten bei einem Bischof beantragt. Es gibt keine Prüfung oder ähnliches. Man muss während des Antrags nur konfessionsfrei sein, was heißt, dass man keiner Kirchengemeinde angehören darf. Nach einem „Ja“ des Bischofs müssen nicht getaufte Konvertierungswillige noch ihre Taufe feiern, um Mitglieder der Gemeinde zu werden. Wer bereits in einer evangelischen Gemeinde getauft wurde, muss das nicht. Auch Katholiken unterscheiden bei Konvertiten nicht zwischen katholischen und evangelischen Taufen.

Wie in der evangelischen Kirche müssen Mitglieder katholischer Gemeinden nach ihrem Kircheneintritt Kirchensteuer zahlen.

Wie lange dauert es, jüdisch zu werden?



Am aufwändigsten ist die Konversion zum Judentum. Das erfahre ich im Gespräch mit Konstantin Pal, Rabbiner und Leiter der Kultusverwaltung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. „Das Judentum hat nie missioniert, nie gesagt ‚werdet ein Teil von uns’“, erklärt Pal. Daher müsste man erst einmal einen Rabbiner in intensiven Gesprächen von seinen Motiven überzeugen. Bloßes Interesse ist kein Grund.

Ist der Rabbi überzeugt, beginnt die Lernphase. „Wer konvertieren möchte, der muss erstens lernen, jüdisch zu sein und zweitens, ein Teil der Gemeinde werden“, sagt Pal. Konversions-Anwärter müssen daher mindestens ein Jahr lang an Kursen über das Judentum teilnehmen, die Speiseregeln und jüdische Feiertage verinnerlichen und sollten auch Hebräisch lernen. In dieser Zeit kann man bereits passiv an Gottesdiensten in der Synagoge teilnehmen - damit man selbst die Gemeinde kennenlernt und die Gemeinde den Konvertiten.

Die Gemeinde und der Rabbiner sind es auch, die beschließen, wann man zur Prüfung vor dem Rabbinatsgericht Beit Din bereit ist. Das Beit Din besteht aus mindestens drei Rabbinern, die nach einem Gespräch mit dem Konvertit über dessen Eintritt in die Gemeinde entscheiden. Für Männer steht vor dem Besuch des Rabbinatsgerichts noch die Beschneidung an. Wenn nach dem Gespräch auch die Rabbiner des Beit Din einverstanden sind, ist man Teil der jüdischen Gemeinde und die Mikwe, ein religiöses Taufbad, wartet auf einen. „Das Untertauchen in die Mikwe symbolisiert einen Akt der Erneuerung, ein neues Leben“, erklärt Pal.

Ähnlich wie Christen zahlen auch Juden einen monatlichen Betrag, allerdings geht dieser direkt an die Gemeinde und variiert von Ort zu Ort.

Nadine, 24, hat seit der Reise nichts mehr von Tanja gehört und fragt sich, ob sie mittlerweile konvertiert ist – vielleicht liest sie diesen Artikel ja zufällig und meldet sich bei ihr.


Fünf grundlegende Tipps zum Religionswechsel:
1. Grundsätzlich kann jeder zu allen drei abrahamitischen Religionen (also Islam, Christentum und Judentum, die sich alle auf Abraham als Stammvater berufen) konvertieren.

2. Denkt man über einen Religionswechsel nach, sollte man als erstes mit anderen Gläubigen aus der Zielreligion über ihren Glauben sprechen.

3. Auch mit der jeweiligen Schrift (Koran, Bibel, Thora) sollte man sich schon einmal auseinandersetzen und eventuell einen Gottesdienst besuchen.

4. Ist man nach der Recherche immer noch überzeugt, seinen Glauben wechseln zu wollen, sollte man sich mit offiziellen Vertretern der betreffenden Religionen in Kontakt setzen.

5. Der Weg in die neue Religion ist unterschiedlich lang. Zum Judentum zu konvertieren ist zum Beispiel viel aufwändiger als Muslim/a zu werden. Der Aufwand, den ein Religionswechsel mit sich bringt, sollte einem bewusst sein.

Geschenketipps für Hardcore-Tinderer

$
0
0
Uah, eine Bombe - ähm - ein Vibrator!
Bisher der Horror eines jeden Fluggastes - und jetzt auch eines jeden Mitarbeiters im öffentlichen Dienst: Wenn das Sexspielzeug mit einer Bombe verwechselt wird. Ist im Gerichtsgebäude von San Diego aber passiert. Dort wurde ein "eierförmiges elektronisches Gerät mit Schnur" sichergestellt, die Feuerwehr und ein Bombenentschärfungsteam rückten an. Das Gerät entpuppte sich schnell als vibrierende Liebeskugel, der Besitzer (die Besitzerin?) hat sich allerdings bis heute nicht gemeldet.

Heiratsantrag der Woche:
Wer würde sich nicht wünschen, dass der Partner die Beziehung mit einem Lego-Starwars-Raumschiff vergleicht? Die Freundin von Stephen Dempsey aus Pennsylvania fand's scheinbar prima: Als ihr Freund sagte "(...) our love is like this ship and the people inside it. Its shields deflect and defend from any outside force wanting to get in and destroy us" und sie innen drin den Verlobungsring sah, den Darth Vader persönlich hielt, hat sie direkt "ja" gesagt.
[plugin imagelink link="http://cdn0.dailydot.com/uploaded/images/original/2014/12/8/lego-wedding11.jpg" imagesrc="http://cdn0.dailydot.com/uploaded/images/original/2014/12/8/lego-wedding11.jpg"]

Verbannung der Woche
Dieses Mal doppelte Zensur: Aus englischen Pornos werden sämtliche lebensgefährlichen Sexpraktiken verbannt, dazu gehören Facesitting, starkes Verhauen und Würgespielchen. Auf einem polnischen Spielplatz darf hingegen Pu der Bär nicht mehr gezeigt werden, weil er keine Hose trägt und ein Zwitter ist. Wie gut, dass es in beiden Ländern noch Streaming-Dienste gibt.
[plugin imagelink link="http://i.kinja-img.com/gawker-media/image/upload/s--ASJ75Z8G--/c_fit,fl_progressive,q_80,w_636/jngswrb7t2h0dtmu6qm8.jpg" imagesrc="http://i.kinja-img.com/gawker-media/image/upload/s--ASJ75Z8G--/c_fit,fl_progressive,q_80,w_636/jngswrb7t2h0dtmu6qm8.jpg"]

Hack my uterus
Auch wir auf jetzt.de haben ja sehr lange die Rubrik des "Lifehacks" betrieben - kleine Tricks, die das Leben besser machen. Nur konsequent, dass Buzzfeed sich dabei jetzt auch den großen Fragen angenommen hat - wie fixe ich Periodenschmerzen? Keine wahnsinnig neuen Erkenntnisse, aber das Bild, wie eine Hand den Uterus zerquetscht, wird einen nie wieder loslassen.
https://www.youtube.com/watch?v=nMe4MNPjchs#t=87

Noch ein Weihnachtsgeschenk gesucht?
Dann gibt es jetzt für dateaffine, aber faule Singlefreunde ein kleines Gimmick: Diese Maschine swipet automatisch jedes Tinder-Profil nach rechts, was ja bekanntermaßen für "like" steht. Ob diese Erfindung jetzt die Kritiker verstummen lässt, die behaupten, Tinder sei die oberflächlichste Dating-App der Welt? So kann man ja immer behaupten, man habe sie alle kennenlernen wollen auf der Suche nach wahrer, innerer Schönheit.
https://www.youtube.com/watch?v=Qgnxb-O-CBQ

Bleiben wir bei Weihnachten...
... die Frau, die mit ihren Brüsten twerkt (wir berichteten), ist nämlich zurück: Sara X hat ihre persönliche Jingle-Bells-Version aufgenommen. Und ja, alle Wortspiele mit "Glocken" wurden bereits gemacht.
https://www.youtube.com/watch?v=pqKb1OGpDjo

Tagesblog - 10. Dezember 2014

$
0
0
18:00: So, heute mache ich pünktlich Schluss. Ein wichtiger Geburtstag muss gefeiert werden! Schön wars heut mit euch! Habt einen guten Abend! Morgen erwartet euch hier Mercedes.

+++

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/na/nadja-schlueter/text/regular/1031385.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/na/nadja-schlueter/text/regular/1031385.jpg"](Foto: AllzweckJack / photocase.de)

17:45 Uhr:
Gleich noch was Schönes auf der Startseite: Valerie schreibt über das Phänomen "Nach-Eifersucht". Das ist die Eifersucht, die einen befällt, wenn man schon lange getrennt ist und der andere dann eine/n Neue/n hat. Und die nervt ziemlich! 

+++

17:32 Uhr: 
Mann, ihr macht ja gar nicht mit beim Demo-Generator. 

+++

17:15 Uhr:
Notiz an mich selbst: Ich muss ganz bald wieder "Stirb langsam" gucken.

+++

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/fr/franziska-deller/text/regular/1031366.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/fr/franziska-deller/text/regular/1031366.jpg"]Vielleicht stirbt Bruce dank der E-Zigarette noch langsamer.

16:56 Uhr:
Jetzt aber! Endlich tut sich wieder was auf unserer Startseite. Uns ist aufgefallen, dass immer mehr E-Zigarettenläden aufmachen. Und dass auch coole Menschen E-Zigaretten rauchen. Da mussten wir einfach überprüfen, wie legendäre Raucher damit aussehen würden. Das Ergebnis: nicht so schlimm wie erwartet!

+++

16:27 Uhr: 
Fußballfans für Holocaustleugner. Also ne. Zu beidem! Aber sehr schöne Idee von No-nazi.net, die eine kleine Hilfestellung geben, weil man mit Hogesa und Pegida und überhaupt ja schon den Überblick verlieren könnte.

[plugin imagelink link="https://fbcdn-sphotos-d-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpa1/t31.0-8/s960x960/10857223_801673349899006_7716321975859604859_o.png" imagesrc="https://fbcdn-sphotos-d-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xpa1/t31.0-8/s960x960/10857223_801673349899006_7716321975859604859_o.png"](Quelle)

Was kommt bei euch so raus?

+++

16:08 Uhr:
Mist, ich hab einen Ohrwurm. Siehe 15:16 Uhr. Suche musikalische Ablenkung. Bitte!

+++

15:45 Uhr:
Okay, es dauert doch noch ein bisschen, dafür dann mit Doppelaufschlag! Ihr merkt vielleicht, ich bin ein wenig abgelenkt heute, das liegt daran, dass ich voll am Basteln und Verpacken bin (aus Datenschutzgründen kann ich nicht mehr von dem Paket zeigen). Ich schicke nämlich gerade das Gewinnerpaket von Türchen 8 im Adventskalender los. 





+++

15:16 Uhr:
Gerade habe ich beim Googeln dieses Video gefunden und mir gedacht, ich MUSS diesen Film nochmal angucken. Vor allem wegen Sam Rockwell.

http://www.youtube.com/watch?v=_oyP0QHjty8

Wenn ihr in der kommenden halben Stunde auf die Startseite guckt, wisst ihr auch, warum. Ich kann versprechen, dass es sehr lustig wird!

+++

[plugin imagelink link="http://www.nerdcore.de/wp-content/uploads/2014/12/kiss.jpg" imagesrc="http://www.nerdcore.de/wp-content/uploads/2014/12/kiss.jpg"](Quelle)

14:47 Uhr:
Super Aktion: Vor kurzem wurde ein schwules Paar aus einem Burger King geworfen, weil die beiden sich in der Öffentlichkeit küssten. Genau dort trafen sich gerade ganz viele homosexuelle Paare und: knutschten! Super!

+++

14:32 Uhr:
Endlich ein bisschen Zeit, um durch die Usertexte zu tauchen. Immer wieder sind da momentan Texte mit tollen Plätzchenfotos dabei: Plätzchentausch-Time! Mein Paket ist zum Glück gut angekommen. Im Ticker geht's um die Winter-Playlist. Und Abis_Zett schreibt sehr nett (es reimt sich!) über Badetücher, äh Jacken und Taschen, die Sitze im Konzertsaal freihalten. Schnell lesen, alles!

+++

14:12 Uhr:
Ich plane ja schon, was ich an dem Zusatzfeiertag 2017 so machen könnte. WIr haben eben gecheckt: Es ist ein Dienstag. Bis dahin: Thema Überwachung! Dazu gibt es ein neues Video mit sieben Gründen, Überwachung zu lieben:

http://www.youtube.com/watch?v=qGvZveB1osw&feature=youtu.be

Ich empfehle dazu Friedemann Karigs sehr tollen Text "10 Gründe, warum Überwachung gar nicht so schlimm ist" und seinen sehr tollen Vortrag "Überwachung macht impotent" auf der re:publica dieses Jahr:

http://www.youtube.com/watch?v=tR5iAhyTaoc

+++

13:55 Uhr:
Sind eigentlich User aus Leipzig anwesend? Frage für einen Freund. Nein, natürlich für den Studentenatlas.

+++

12:50 Uhr:
Bin wieder aus der Mittagspause zurück! Und gleich was Neues für euch: die zehn beliebtesten Youtube-Videos weltweit aus diesem Jahr in einem großen Mix:

http://www.youtube.com/watch?v=zKx2B8WCQuw#t=166

+++

11:58 Uhr: 
Diskussionsstoff vor 12 Teil 2Jens Spahn ist seit gestern im neugewählten CDU-Präsidium - und mit 34 Jahren der Jüngste dort. Klingt erst mal nicht sonderlich seltsam, weil 34 für die Union halt wirklich "jung" ist. Wir haben in der Konferenz länger darüber diskutiert, was das bedeutet: Kann jemand mit 34 wirklich "junge Ideen" in der Politik einbringen? Vor allem, wenn sich dieser nicht wie ein 34-Jähriger, sondern wie ein Mitte-40-Jähriger gibt und auch so spricht? Man braucht natürlich eine Weile, um eine politische Laufbahn zu durchschreiten, aber, und das ist die generell, alte Frage dahinter: Sind wir jungen Menschen genug in der Politik repräsentiert? Reicht es, dass sich da jemand "der Junge" nennt? Ich bin skeptisch. Auch wenn er im Interview im ARD-Nachtmagazin gleich über Handys, Uber und die "Zukunftsthemen" sprach, die er in der Politik seiner Partei einbringen will (und für die Fotos auch mit einem Smartphone herumfuchtelte). Wie denkt ihr darüber?



Jens Spahn und sein Handy.(Foto:dpa)

+++

11:35 Uhr:
Diskussionsstoff vor 12 Teil 1: Uns Frauen sollten monatlich drei zusätzliche Krankheitstage für die Menstruation zustehen! Schlug gerade ein renommierter Gynäkologe vor. Klingt vielleicht erst seltsam, aber, weibliche jetzt-User, denkt mal drüber nach! 

+++

11:17 Uhr:
Eisbären und Pinguine werden gebasht? Aber...

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/Ch31IjylFWM8M/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/Ch31IjylFWM8M/giphy.gif"]

Und (Nachtrag von JosephineKilgannon): 

[plugin imagelink link="http://img4.wikia.nocookie.net/__cb20131117222422/madagascar/de/images/e/ec/Private_mit_mondeinhorn.jpg" imagesrc="http://img4.wikia.nocookie.net/__cb20131117222422/madagascar/de/images/e/ec/Private_mit_mondeinhorn.jpg"]

+++

11:12 Uhr: Ich komme ja kaum hinterher, so viele tolle Links werden in den Kommentaren gepostet. Vielen Dank, JosephineKilgannonDigital_Data und the-wrong-girl!

+++



(Illustration: Katharina Bitzl) 

10.51 Uhr:
Sooooo lange konferiert, aber jetzt sind wir fertig. Und es tut sich was auf der Startseite: Da geht es weiter mit dem Studentenatlas Leipzig - und wichtigen Lektionen für Neu-Leipziger. Und eine kleine Einführung ins Sächsische. Die interaktive Leipzig-Karte für Studenten findet ihr hier.

+++

09:58 Uhr:
Nachtrag zu 09:19 Uhr: 

* Pirate Bay ist (wieder mal) offline. 
* Und: gruseliger Folterbericht aus den USA!

+++

09:32 Uhr:
Oh ja, ich bin auch für Flauschiges am Morgen. Und selbst heut schon sehr lange wegen eines Geburtstages wach:



(Foto:dpa)

In Hellabrunn war gestern Eisbärengeburtstag. Mit Torte! Aus gefrorenem Obst! Danke für den Hinweis, liebe frzzzl!

+++

09:19 Uhr:
Wie jbo007 sehr richtig feststellt, die wichtigste Nachricht des Tages ist: Die Sonne scheint! Nach ungefähr zwei Monaten zum ersten Mal! Yay!

Aber heute ist noch mehr los, ziemlich viel sogar:
* Heute werden die Nobelpreise verliehen. Das freut uns vor allem bei einer: der 17-jährigen Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai. Wurde auch endlich Zeit!
* Der Prozess gegen Oscar Pistorius geht in die Berufung, der Sportler könnte nach einem neuen Prozess härter bestraft werden als in der ersten Instanz (fünf Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung).
* Und die super 360-Grad-Recherchereihe von SZ.de zum Thema Flüchtlingegeht weiter.

+++

08:37 Uhr:
Guten Morgen, liebe Freunde! Ich bin heut etwas später dran als sonst, weil ich im Bus eingeschlafen bin und die richtige Haltestelle verpasst habe. Dann wurde ich auch noch massiv angehustet. Jetzt muss ich gleich in die SZ.de-Konferenz, lasse euch aber noch ein Adventskalendertürchen hier. Das könnt ihr in der Zwischenzeit schon mal öffnen. 



Die Wunderheiler

$
0
0
Wir leben in einer herrlichen Epoche: Der Durchbruch in der Krebstherapie ist geschafft, außerdem gibt es endlich eine Behandlung gegen Alzheimer. Mit Hilfe von Stammzellen und individualisierter Medizin werden auch Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes und bestimmt auch Multiple Sklerose, Parkinson und eine Menge Tumoren bald ihren Schrecken verlieren. Goldene Zeiten für die Medizin brechen an, ein warmer Regen an Heilerfolgen für Patienten – zumindest, wenn man Berichten in Presse, Funk und Fernsehen Glauben schenkt.



Das Bild zeigt maßgeschneiderte Nervenzellen, die bei der Nervenkrankheit ALS zerstört werden. Irgendwann wollen Forscher die Zellen für ALS-Patienten produzieren können.

Die Euphorie ist fast immer verfrüht und die Sensationsmeldungen sind übertrieben. Zum Leidwesen von Ärzten wie Patienten gilt vielmehr die Regel: Von einem „Durchbruch“ in der Medizin zu sprechen, ist nur alle Jubeljahre gerechtfertigt – es sei denn, es handelt sich um einen Magendurchbruch. Verantwortlich für die vielen aufgeblasenen Erfolgsgeschichten sind jedoch entgegen vorherrschender Meinung nicht in erster Linie Journalisten, die nach einer reißerischen Schlagzeile gieren, sondern die Ärzte und Wissenschaftler selbst. Eine Analyse im British Medical Journal von diesem Mittwoch kommt zu dem Schluss, dass Forscher ihre Ergebnisse übertreiben und die Pressemeldungen aus den Kliniken und Instituten bereits jene prahlerischen Prognosen enthalten, die falsche Hoffnungen wecken (Bd. 349, S. g7015).

Ein Team um Petroc Sumner von der Universität Cardiff hat 462 Pressemeldungen von 20 führenden britischen Universitäten untersucht und mit fast 700 Berichten in Medien aus Großbritannien abgeglichen. Das Ausmaß, in dem Kliniken und Forschungseinrichtungen ihre Befunde aufbauschten, war enorm: So wurden in 40 Prozent der Nachrichten Ratschläge zum gesünderen Leben gegeben oder die Menschen dazu aufgefordert, ihr Verhalten zu ändern, was sich aus den Daten nicht ableiten ließ. In einem Drittel der Beispiele wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Dingen behauptet, die lediglich gemeinsam auftraten. Und in 36 Prozent der Berichte fanden sich Aussagen zu Diagnostik und Therapie, für die es keine andere Grundlage als Tierversuche gab.

Das Problem ist keineswegs trivial, denn die Übertreibungen werden von vielen Medien übernommen, wie die Analyse ebenfalls zeigte. Patienten richten ihre Entscheidungen für oder gegen eine Therapie häufig nach Medienberichten. Bekannt ist beispielsweise die übertrieben positive Darstellung des Brustkrebsmedikaments Herceptin, dessen Nebenwirkungen zumeist kaum erwähnt wurden.

Die Publikumsmedien sind aber selten Urheber der Übertreibung: Fand sich keine übermäßige Zuspitzung in den Presseerklärungen der Institute, kamen Zeitungen und Rundfunk nur in 18 Prozent der Fälle auf die Idee, die Forschung in ihrer Bedeutung zu überhöhen. „Dass Ergebnisse aufgeblasen und überverkauft werden, findet nicht primär in den Medien statt“, sagt Petroc Sumner. „Die Übertreibungen finden sich vielmehr bereits in den Texten, die von den Akademikern und ihrem Umfeld produziert werden.“ Die Tendenz, wissenschaftliche Befunde glamouröser darzustellen als sie sind, geht nach Ansicht der Autoren auf steigende Konkurrenz der Universitäten und Institute zurück. Die Neigung zur Selbstdarstellung unter Forschern nimmt zu – und trifft im ungünstigen Fall auf übereifrige PR-Abteilungen an ihren Instituten und dann auf Journalisten, die unter Zeitdruck immer mehr Geschichten liefern müssen.

Ben Goldacre, Forscher an der London School of Hygiene and Tropical Medicine und Autor des Bestsellers „Bad Science“ (auf Deutsch: „Die Wissenschaftslüge“), fordert in einem begleitenden Kommentar, dass die Presseerklärungen der Forschungsinstitute als Teil der wissenschaftlichen Publikation verstanden werden sollten. Wenn sich die Forscher dafür verantwortlich fühlten und mit Hilfe eines Links Originaldaten und Fachveröffentlichung eingesehen werden könnten, ließen sich Behauptungen nachverfolgen. Zudem müssten Gutachter, die darüber entscheiden, ob ein Fachartikel erscheint, auch die zugehörige Presseerklärung beurteilen.

„Auf diese Weise würde eine Spur gelegt, mit der sich Behauptungen nachvollziehen lassen“, sagt Goldacre. „Wissenschaftler wie auch Gutachter stünden dann in der Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit – vielleicht ändert sich dann das Verhalten der Akademiker, und sie würden zukünftig verhindern, dass Patienten wie Laien routinemäßig in die Irre geführt werden.“

Einsame Heldinnen

$
0
0

Vergangene Woche hat die Zeit auf ihrer Titelseite das Bild gedruckt einer sich melancholisch auf die Lippe beißenden Person, weiblich, Ende zwanzig, und dazu die Frage gestellt: „Wer hat Angst vor solchen Frauen?“ Die Publizistin und feministische Aktivistin Teresa Buecker hatte den Titel vorab auf Twitter gepostet und dazu geschrieben, ihr falle spontan sofort eine Antwort ein: „Harald Martenstein“, jener Kolumnist des Zeit-Magazins, der sich seit einigen Jahren gern über alles beschwert, was von Feministinnen, Nicht-Heterosexuellen und Nicht-Weißen als gerechtigkeitsfördernd betrachtet wird.



Die "junge Frau" ist gut ausgebildet, vernetzt, eigenständig - und einsam.

In der Tat scheint es so, als habe sich die deutsche Öffentlichkeit etwa seit der Debatte, die mit dem Hashtag #Aufschrei verbunden ist, polarisiert. Die Kampflinie lässt sich ziemlich klar zwischen „jungen Frauen“ und „alten Männern“ ziehen, wobei hier jung und alt nicht so sehr auf Jahrgänge hinweisen, sondern auf gesellschaftliche Verortung. Unter den politischen jungen Frauen befinden sich auch Männer, und umgekehrt lassen sich manche publizierenden Frauen auch relativ klar als alte Männer einordnen. Jedenfalls haben sich gerade junge Frauen zum Beispiel in den Diskussionen um Sexismus und Prostitution als Gesellschaftskritikerinnen hervorgetan und als Trägerinnen von Forderungen für eine fortschrittlichere Gesellschaft als die, die wir haben.

Im Gegensatz dazu formiert sich eine Garde „alter, weißer Männer“, die sich als die Bewahrer der Geschlechter-Ordnung und Hüter des gesunden Menschenverstandes in der Öffentlichkeit sehen. Sie möchten keine Angestellten des öffentlichen Dienstes mit ProfessX ansprechen müssen. Sie möchten sich öffentlich zu ihrer Homophobie erklären. Sie möchten gerne nicht mit Quoten belästigt werden und einer Frau doch bitte einfach ein Kompliment machen dürfen.

Man könnte also durchaus feststellen, dass es Teile der Gesellschaft gibt, die Angst haben vor jungen, politisch aktiven Frauen und den Veränderungen, die diese erreichen wollen. Dass wir uns historisch in einer einmaligen Zeit befinden, in der es tatsächlich von Vorteil sein kann, jung und weiblich zu sein. Und dass dieser Vorteil eher relativ ist, wenn man bedenkt, von wie vielen Parametern er abhängt (Bildung, Einkommen, Herkunft, Attraktivität) und wie viel Abwehr er auslöst. Man könnte also feststellen, dass das Junge-Frau-Sein etwas von seiner traditionellen Gefängnishaftigkeit verloren hat, aber noch längst nicht Freiheit oder gar Macht in Aussicht stellt.

Aber dafür hat die Zeit keine Zeit, denn es gilt einen neuen Deutungskomplex zu eröffnen für die wohl meist gedeutete Gruppe unserer Gesellschaft. „Die junge Frau“ wird hier als Archetyp definiert, und zwar als Protagonistin einer „neuen Einsamkeit“. Es ist wenig überraschend, dass eine der Autorinnen selbst eine junge Frau ist, die im vergangenen Jahr mit einem Text über „Die Schmerzensmänner“ Aufsehen erregt hatte, in der es um die romantische Unentschlossenheit junger Männer ging. Jetzt wird der „jungen Frau“ romantische Unfähigkeit attestiert.

Top ausgebildet, bestens vernetzt und sexuell durchaus aktiv sei sie, fände aber „keinen Mann“. Junge Frauen blieben heute gefährlich lange unverpartnert und sorgten dadurch einerseits für Sorge und Unbehagen in der Rest-Gesellschaft – weil sie sich der „fetischisierten Norm des Paares“, wie es Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken ausdrückt, verweigerten.

Sie erzeugten durch ihre geistige und wirtschaftliche Eigenständigkeit andererseits aber auch Wut und Ressentiments. Als Kronzeugin dafür wird in einem beispiellosen Fall von überdrehtem Deutungsopportunismus die Lehramtsstudentin Tuğçe Albayrak ins Feld geführt, die Ende November auf einem Parkplatz in Offenbach von einem betrunkenen, sexuell aggressiven jungen Mann erschlagen wurde. Auch sie sei eine der „weiblich selbstbewussten Premiumsingles“, um die es gehen müsse, heißt es da, „jung, schön“, mit einem großen Freundeskreis ausgestattet, aber trotzdem ein Beispiel für „gebildete, frauenvernetzte Einsamkeit“ – schließlich habe sie die ganze Nacht nur mit ihren Freundinnen verbracht, was die Autorin offenbar für sehr modern und bemerkenswert hält. (Laut Presseberichten stand Albayrak tatsächlich kurz vor der Verlobung mit ihrem Freund.) Und das alles steht dann irgendwie in einem Zusammenhang mit der Fernsehserie „Girls“, dem Sado-Maso-Film „Nymphomaniac“ und der hohen Aktivität junger Frauen in sozialen Netzwerken.

Diese Engführung ist skurril und auch recht geschmacklos. Sie zeigt aber sehr schön den fatalen Hang zur Romantisierung, der sich sofort einstellt, wenn es um junge Frauen geht. Die einzige Bedrohlichkeit, die ihnen unterstellt werden darf, ist eine, die vom Beziehungsstatus ausgeht. Denn junge Frauen mögen zwar in der Öffentlichkeit präsent wie nie sein – nach wie vor beschränkt sich ihre Funktion dennoch fast immer allein darauf, für die Verhandlung des Geschlechterdispositivs zur Verfügung zu stehen. Also: Die junge Frau ist offensichtlich nicht deutbar, ohne dass sie ins Verhältnis zum Mann gestellt wird und ohne dass ihre Biologie zum Thema wird. Sie ist das nicht einmal für Frauen selbst, wie man am Beispiel der Zeit sieht.

Und vielsagend war auch die Debatte, bei der am Beispiel einer Reproduktionstechnologie letztlich die gesellschaftliche Funktion junger Frauen verhandelt wurde. Denn in der Debatte um „Social Freezing“, also das Einfrieren fruchtbarer Eizellen (eine Art biologischer Bausparvertrag für die irgendwann auf jeden Fall vorzunehmende Familiengründung), wurden junge Frauen nicht als einsame Arbeitnehmerinnen charakterisiert, sondern: von Befürworterinnen als selbstbestimmte Trägerinnen und Umsetzerinnen von Karriereplänen und Kinderwünschen. Und von Gegnern als cryofanatische Lebenslaufperfektionistinnen.

Interessant ist hier, dass keine Seite dazu in der Lage schien, den Kinderwunsch als Teil der condition humaine anzuerkennen, mal erfüllbar, mal nicht, mal vorhanden, mal nicht. Stattdessen ging es, gerade auch bei den frauenfreundlich gesinnten Befürworterinnen des Vorgangs, immer um Freiheit. Eine Freiheit jedoch, die immer nur definierbar ist in Bezug auf andere: den richtigen Partner, der noch nicht gefunden sein mag. Die richtige Karrierestufe, die noch nicht erreicht sein mag. Der „richtige Zeitpunkt“, der von allen möglichen Umständen abhängig ist.

Ganz egal, ob junge Frauen statistisch gesehen wirklich besonders alleine sind (es gibt übrigens auch Statistiken, die gerade der jungen Generation einen besonders ausgeprägten Willen zur fetischisierten Paar-Norm nachweisen): Die junge qualifizierte Frau ist in unserer Öffentlichkeit immer die zukünftige Partnerin, die begehrte Arbeitnehmerin, die potenzielle Mutter. Und so bleibt am Ende das größte Problem der jungen Frau das, was sie schon immer hatte: In den Augen der anderen und in ihren eigenen Augen soll sie alles Mögliche sein. Aber nie einfach nur ein Mensch unter vielen.

Drachenzähmen für Fortgeschrittene

$
0
0
Am Anfang stirbt ein Drache, am Ende stirbt ein Zwerg, und dazwischen macht es ordentlich Wumms, in „Die Schlacht der fünf Heere“, dem letzten Film der „Hobbit“-Trilogie.



Martin Freeman spielt den Hobbit Bilbo Beutlin diesmal besonders schmunzelig.

Für „Hobbit“-Quereinsteiger: In Teil eins wurde hauptsächlich gegessen und geredet – 169 Minuten lang. In Teil zwei wurde dann sehr viel herumgeschlichen und herangepirscht, verteilt auf 161 Minuten. Weshalb es sich jetzt dramaturgisch wohl gar nicht mehr verhindern ließ, dass in Teil drei endlich mal was passiert.

Peter Jackson, der unbedingt das Kunststück fertigbringen wollte, aus der dickleibigen Tolkien-Bibel „Herr der Ringe“ nur drei Filme und aus der schmalen Tolkien-Fibel „Der kleine Hobbit“, nun ja, auch drei Filme zu machen, hatte sich und seinen Zuschauern mit dieser fixen Idee bislang wirklich keinen Gefallen getan.

Wie er aber nun nach dreizehn Jahren und mehr als tausend Filmminuten seinen Tolkien-Zyklus mit einem finalen Mittelerde-Knall beendet, ist wirklich aufregend anzuschauen – und das nicht nur, weil „Die Schlacht der fünf Heere“ mit 144 Minuten quasi ein Kurzfilm geworden ist.

In dem gewaltigen Kampf zwischen Tausenden Menschen, Zwergen, Elben, Orks und einem Hobbit um den Goldschatz im Einsamen Berg, definiert Jackson wie derzeit kein anderer Kollege die Rolle des Regisseurs im modernen Blockbusterkino. Der muss heute vor allem eines sein: ein perfekter Choreograf.

Im vergangenen Jahrzehnt wurden die letzten großen Hürden der digitalen Effektkunst mit viel Pixel-Power überwunden – gerade dank Jackson und seiner fleißigen Crew, zu der in erster Linie seine neuseeländische Trickschmiede Weta gehört.

Seitdem sind Blockbuster-Regisseuren kaum noch Grenzen zur Realisierung ihrer Traumbilder gesetzt. Und genau hier liegt das Problem vieler aktueller Hollywoodfilme: Vor lauter digital entfesselten Zauber- und Superheldenwelten hat man immer öfter das Gefühl, dass die Filmemacher in ihren eigenen Schlachtgemälden den Überblick verlieren: Überall zischt und knallt und blitzt es so laut, so grell und so lange, bis man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist.

Neue Spielzeuge mit selbstbewussten Namen wie „Epic“ – die Superdigitalkameras, mit denen der „Hobbit“ gefilmt wurde – oder „Massive“ – die Supersoftware, mit denen die Riesenschlachten animiert wurden – muss man beherrschen können. Sonst beherrschen die Werkzeuge die Filme. Jackson ist in dieser Hinsicht einer der ganz wenigen Hollywood-Regisseure, dem seine eigenen Tricks nicht um die Ohren fliegen wie dem Zauberlehrling sein Besen.

Dabei ist das Geheimnis hinter seiner Choreografie-Kunst eigentlich gar keins, weil es seit der Frühzeit des Films von allen schlauen Regisseuren angewandt wird, und wohl nur im Rausch der Effekte immer mehr in Vergessenheit geriet. Das perfekte Beispiel findet sich gleich zu Beginn des neuen „Hobbit“, als der gewaltige Drache Smaug, im Original donnernd von Benedict Cumberbatch gesprochen, Feuer speiend eine Art Mittelerde-Venedig zerlegt. Das inszeniert Jackson auch nicht viel anders als Fritz Lang den Drachenauftritt in seinem fünfstündigen „Nibelungen“-Epos von 1924. Lang musste sich zwar noch eine zwanzig Meter große Puppe basteln lassen, die von siebzehn kräftigen Assistenten bedient wurde, während Jackson seinen Drachen schuppengenau digital animieren ließ.

Doch heute wie damals gilt, dass so ein Drachenvieh nur in der richtigen Proportion zum Restspektakel Furcht einflößend funktioniert. Dies war auch schon die große Computer-Pionierleistung im „Herr der Ringe“, was man geblendet von der Opulenz der Schlachten schnell vergisst: Die Größenverhältnisse zwischen den Fabelwesen richtig hinzubekommen, so dass man Zwerge und Zauberer im selben Bild zeigen kann, ohne dass es lächerlich aussieht. Wenn er sich selber lässt und sich nicht in ewigen Elb-Monologen verheddert, dann gelingt ihm so eine atemberaubende Sequenz wie der Drachenangriff und dessen anschließender Todestanz über den winzigen Menschenhäuslein. Und auch das toppt Jackson noch: Mit einem irren Duell zwischen Chef-Ork und Chef-Zwerg an einem gefrorenen Wasserfall. Die Kombattanten prügeln sich auf einer abgebrochenen Eisscholle kurz vor dem Abgrund, während im Hintergrund die Monsterschlacht tobt – eine der eindrucksvollsten Szenen dieses Kinojahres.

Drache, Zwerg, Ork – nur wo bleibt der titelgebende Hobbit? Der hat im letzten Teil eher eine Sidekick-Funktion: Weil alle verrückt spielen, muss der besonnene Bilbo Beutlin als freundlicher Diplomat zwischen den Fronten vermitteln. Martin Freeman, der momentan sehr erfolgreich im Fernsehen unterwegs ist, als Dr. Watson in „Sherlock“ oder in der neuen Hitserie „Fargo“, spielt ihn diesmal besonders schmunzelig.

Er muss einen obsessiven Zwerg besänftigen, gegen den Gollum und Smaug leichte Verhandlungspartner waren. Er muss den irren Anweisungen des Zaubermeisters Gandalf Folge leisten – und grinst trotzdem spitzbübisch, als säße er schon wieder beim Bier im Auenland. Wohin er laut Tolkien-Imperativ ja auch wieder zurück muss, damit 60 Jahre nach den „Hobbit“-Geschehnissen der „Herr der Ringe“ losgehen kann. Warum es in der Reihenfolge der Verfilmungen jetzt andersherum war? Schuld sind alte, sehr komplizierte Verträge über die Filmrechte, die noch zu Lebzeiten Tolkiens abgeschlossen wurden. Zu verfilmen gäbe es heute noch diverse Fragmente wie das „Silmarillion“ oder die „Nachrichten aus Mittelerde“. Aber das schloss Jackson anlässlich der Londoner Weltpremiere von „Die Schlacht der fünf Heere“ vehement aus. Zum einen, weil so ein Hobbit-Film eine nervenzerreibende Sache sei. Zum anderen, weil die Tolkien-Erben, die schon permanent auf den bisherigen Filmen herumgehackt haben, die restlichen Werke bewachen wie der Drache Smaug seinen Goldschatz.

Andererseits: Das Jackson-Imperium hat in Neuseeland, in dessen wilden Landschaften die Filme gedreht wurden, mit viel Hollywoodgeld eine veritable Film- und Tourismusindustrie geschaffen, an der jetzt Tausende Arbeitsplätze hängen. Der Hobbit steht als Exportschlager nicht mehr weit hinter der Kiwi – vielleicht verlangt schlicht die Staatsräson bald eine weitere Fortsetzung. Und auch wenn Drachen zu Raserei und Tobsucht neigen: Wie jeder eifrige Tolkien-Leser weiß, kann man mit genug Chuzpe selbst den fiesesten Feuerspucker erlegen.

Heilig’s Fläschle

$
0
0
Eines Tages fiel etwas vom Himmel. Die Geschichte beginnt mit einem Piloten in einem kleinen Propellerflugzeug, der über die botswanische Steppe fliegt, das Fenster öffnet, und eine leere Coca-Cola-Flasche hinauswirft. Für Stammeshäuptling Xi, dem die Flasche vor die Füße fällt, beginnt die Geschichte mit einer Frage: Warum hatten die Götter so etwas Seltsames geschickt? „Es sah aus wie Wasser, aber es war härter als alles, was er kannte. Das schönste und seltsamste Ding, das sie je gesehen hatten“ – so beschreibt der Erzähler aus dem Off die Verwunderung in Xis Stamm ob dieser Gabe Gottes.



Längs verlaufende Wölbungen, schlanke Taille und stolz geschwellte Brust: die Coca-Cola Glasflasche ist eine Ikone und soll keinesfalls von Pepsi kopiert werden, findet der Konzern.

Es ist einer dieser Filme, die gefühlt mindestens einmal pro Monat im Fernsehen laufen: „Die Götter müssen verrückt sein“, Botswana 1980. Es ist eine grandiose Parabel über den Widerspruch zwischen menschlichem Ursprung und der Colaflasche als Symbol der kapitalistischen Weltherrschaft, die dann leider in sprödem Slapstick mündet.

Das Kulturgut Colaflasche taugt auch heute noch für Klamauk. Diesmal: Australien 2014, oberstes Bundesgericht in Adelaide, auch ziemlich sonnig, auch eine Art Kulturkampf. Nämlich der zwischen Coca-Cola und seinem alten und größten Rivalen Pepsi. Letzterer hatte auf dem fünften Kontinent vor einigen Jahren begonnen, seine braune Konkurrenzbrause in Glasflaschen abzufüllen, die der klassischen Colaflasche mit den längs verlaufenden Wölbungen, der schlanken Taille und dem auf stolz geschwellte Brust geprägten weißen Coca-Cola-Schriftzug zum Verwechseln ähnlich sehen. So jedenfalls argumentierten die Anwälte von Coca-Cola: Verwechslungsgefahr! Markenrechte! Ihr nutzt unser gutes Image aus!

Kurz zusammengefasst geht die Urteilsbegründung des vorsitzenden Richters Anthony Besanko in etwa so: nö. In der Langfassung argumentierte das Gericht natürlich rechtlich einwandfrei, fast schon philosophisch. Die Pepsi-Flasche sei nun mal nicht ähnlich genug, befand der Richter, denn sie habe weder Kannelüren (Kannelüre: senkrechte Rille am Säulenschaft, von lat. canna = Rohr, frz. cannelure = Rinne, Furche), noch habe sie wie das Behältnis der Konkurrenz ein klar abgegrenztes, flaches Gürtelband mit dem Schriftzug. Viel mehr prägten horizontale Wellen die Flaschenform. „Außerdem“, sagte Besanko über die Pepsi-Version, „ist ihre Taille gradueller und scheint sie sich an der Flasche höher auszudehnen.“

Und dann ist da noch die Sache mit den Markenlogos. Experten hätten Besanko verraten, der Coca-Cola-Schriftzug in der bis 1925 offiziellen Schulschreibschrift der USA sei „eines der am besten wiederzuerkennenden Werbebilder der Welt“. Es sei schon schwierig nachzuvollziehen, warum ein gewöhnlicher Konsument seine Entscheidung nicht auch wegen der Marken oder Logos treffen sollte.

Äh. Ja. Coca-Cola oder Pepsi, das ist unter Zuckerbrausetrinkern vor allem in den USA eine uralte Glaubensfrage. Verwechseln gibt’s da nicht. Aber irgendwie kann man es verstehen, wenn Coca-Cola sich einen vierjährigen Prozess antut. Als das Unternehmen 1916 seine neue Flasche präsentierte, hatte der Designer Earl R. Dean einen Wettbewerb gewonnen, dessen Ergebnis „eine Flasche, die jemand sogar im Dunkeln erkennt, so geformt, dass jeder weiß, was es war, selbst wenn sie zerbrochen ist“ sein sollte. Das Ding ist eben heilig.
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live




Latest Images