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Der 13-Euro-Lehrer

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Es ist so zermürbend“, sagt Marcus Bender. Da hat man ein Pädagogik-Diplom, ist zudem Energieelektroniker und noch Fachausbilder für den Sanitätsdienst, arbeitet 39 Stunden die Woche mit jungen Leuten, die kaum die einfachsten Wörter kennen, und dann verdient man weniger als am Bau. Bender ist Fachanleiter am Bildungszentrum Köln und unterrichtet Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Eine schwierige Klientel. Der Großteil habe noch nicht eine einzige Bewerbung geschrieben, was auch kein Wunder sei, da viele nicht einmal im Ansatz rechnen und schreiben könnten, sagt er. „Wir versuchen hier in zehn Monaten, zehn Jahre nachzuholen.“



Jugendlichen eine neue Perspektive geben: Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen.

Bender arbeitet in einer der sogenannten Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB), die kürzlich wieder bundesweit begonnen haben. Solche Kurse zahlt die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Teilnehmer sollen hinterher eine Lehre beginnen. Doch obwohl die Ausbilder oft hochqualifiziert sind, werden sie mit einem Mindestlohn von 13 Euro brutto die Stunde abgefertigt. So wie auch in anderen staatlich finanzierten Bildungsprogrammen. Das hat Folgen für die Qualität der Kurse und für die Anbieter. „37 Prozent unserer Mitgliedsorganisationen, die Arbeitsförderung betrieben haben, sind zwischen 2010 und 2013 aus der Arbeitsförderung ausgestiegen oder in Konkurs gegangen“, sagt Tina Hofmann, Referentin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim Paritätischen Gesamtverband. 2012 konnte zwar ein Mindestlohntarifvertrag abgeschlossen werden, der Tarif sieht bis Ende 2015 aber nur ein Gehalt von 13,35 Euro in West- und 12,50 Euro in Ostdeutschland vor. Und das auch nur für pädagogisches Personal. Zum Vergleich: Der Mindestlohn für Fachkräfte im Baugewerbe liegt 2015 bei 14,20 Euro.

Und diese unterbezahlten Leute sollen dann Jugendliche in berufsvorbereitenden Programmen motivieren und so weit bringen, dass sie einen Ausbildungsplatz finden. Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen, mit Vätern, die womöglich selbst keine Berufsausbildung haben. Jugendliche, die oft nicht einmal den Hauptschulabschluss haben: Prekariat unterrichtet Prekariat.

Die Vorbereitungskurse, in denen auch Marcus Bender arbeitet, gehören zum sogenannten Übergangsbereich zwischen Schule und Berufsleben. In dem landeten 2013 laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) immerhin 258000 Jugendliche. 47000 begannen eine Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme.

Bildungsgänge des Übergangsbereichs sollen vor allem dreierlei erreichen: Sie sollen Jugendliche reif machen für einen Ausbildungsplatz, ihnen einen Hauptschul- oder höherwertigen Abschluss ermöglichen, und sie sollen für ausbildungsreife Jugendliche, die keine Lehrstelle bekommen haben, eine Überbrückung schaffen. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Angebote.

Bildungsexperten streiten seit Jahren über den Sinn der Maßnahmen. Kritiker nennen sie „Warteschleife“. Friedel Schier, der sich am BIBB mit dem Thema beschäftigt, sagt: „Ich spreche nicht vom Übergangssystem, denn es findet kein Übergang statt – und es gibt kein System, auch wenn viel Geld und viel Engagement drinsteckt.“ Es könne passieren, dass ein Jugendlicher nach einer schulischen Maßnahme eine Maßnahme der Arbeitsagentur beginne, danach in eine Jugendhilfemaßnahme komme und dann wieder in eine schulische Maßnahme. „Und keiner kriegt das mit.“ Nach Schiers Meinung kann es „nicht angehen, dass Jugendliche zum Teil Jahre in so einem System verbringen und hinterher kaum qualifizierter sind als vorher“.

Studien darüber, wie sinnvoll Maßnahmen aus dem Übergangsbereich sind, gibt es kaum. Eine ältere Untersuchung des BIBB von 2009 zieht den Schulabschluss heran. Wenn also ein Hauptschul- oder höherwertiger Abschluss erzielt werde, heißt es da, verbessere das immerhin die Chancen. Bei BvB könne sich jedoch nur etwa jeder Zehnte verbessern, in teilqualifizierenden Berufsfachschulen (BFS) seien es immerhin mehr als die Hälfte der Teilnehmer. Schier gibt allerdings zu bedenken, dass Erfolg und Wirkung bei Maßnahmen aus dem Übergangsbereich schwer zu messen seien. In Berufsschulen habe Weiterbildung eher den höheren Abschluss zum Ziel, während BvB Jugendliche zu einer Lehrstelle verhelfen sollten.

Die Arbeitsagentur hat eine eigene Forschungseinrichtung, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt hat. In Westdeutschland haben demnach 28 Prozent der Teilnehmer einer BvB hinterher eine Berufsausbildung begonnen, im Osten zehn Prozent. Doch hier handelt es sich teils auch um junge Leute, die schon vorher ausbildungsreif waren, aber zunächst keine Stelle gefunden hatten. Die Studie kommt übrigens noch zu einem weiteren Ergebnis: Wenn der Übergang in eine betriebliche Ausbildung gelinge, dann am ehesten über ein Praktikum.

Für Marcus Bender, der für den Internationalen Bund arbeitet, ist der Nutzen klar: „Die Maßnahmen sind sehr wichtig, denn wenn wir die jungen Leute nicht betreuen, stehen sie auf der Straße.“ Er setze gerne die Jugendlichen auf die Schiene, damit sie ihren Weg im Leben machen könnten, doch sei die Bezahlung für den „unheimlich nervenbelastenden Job“ einfach ein Witz. 2205 Euro brutto verdient der verheiratete Vater von drei Kindern, „und ich schreibe mir die Finger wund mit Anträgen auf Wohngeld und Kinderzulage“. Da er beides bekommt, ist von Amts wegen festgestellt, dass sein Gehalt nicht ausreicht, um seine Familie durchzubringen. Hintergrund der Misere ist nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dass der Bund die Mittel für Aus- und Weiterbildung über die Jahre massiv gekürzt habe, und die Arbeitsagentur den billigsten Anbietern den Zuschlag gebe. Das habe zu einem existenzbedrohenden Unterbietungswettbewerb geführt. Arbeitsagentur und Wirtschaftsministerium weisen dies zurück. Nicht der Billigste werde genommen, sondern derjenige, der einen gewissen Qualitätsstandard einhalte und dabei das beste Preis-Leistungsverhältnis anbiete. Dennoch – das Trägersterben geht weiter. Eben erst hat sich ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Verbänden formiert, das im Gespräch mit Arbeits- und Wirtschaftsministerium Verbesserungen erreichen will. Die Chancen stehen so schlecht nicht, denn bis 2016 muss die europäische Vergabereform in nationales Recht umgesetzt werden, die dafür Spielraum schafft. Zu den Zielen des Bündnisses gehören der Abschluss langfristiger Rahmenverträge und bessere Arbeitsbedingungen in der Branche.

Der Diplom-Religionspädagoge Marcus Bender freilich wird bis dahin noch viele qualifizierte Kollegen gehen sehen, die wegen der miesen Bezahlung hinwerfen. Und er wird weiter Antrag um Antrag auf staatliche Beihilfen schreiben, Gehaltsbescheinigungen beilegen, Konten offenlegen und Einkommensnachweise beifügen. Er selbst nennt das „Seelenstriptease“.

Woher der Hass? Randlose Brillen

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Stephan Weil ist Ministerpräsident von Niedersachsen. Könnte passieren, dass man das einmal kurz vergisst, weil Stephan Weil nicht so oft in den Medien vorkommt und als eher unauffälliger Mensch gilt. Kommt er doch einmal in den Medien vor, steht da vor allem, wie unauffällig er ist. Dass Weil zu den blassen Spießertypen gehört, muss in den Texten dann auch nicht über viele Absätze hinweg begründet werden. Es reicht einfach, seine Brille zu erwähnen: der „unauffällige Mann mit der farb- und randlosen Brille“ (Main-Post), „weißes Hemd mit halbem Arm, Krawatte, randlose Brille“ (Die Welt), „Schütteres Haar, randlose Brille, mittlere Größe, schlank – ein vollkommen unauffälliger Typ“ (stern.de).
 


Nun mag Unauffälligkeit unter Politikern vielleicht eine Tugend sein wie unter Ninjas oder Schneeeulen – in der Modewelt ist sie ein Todesurteil. Die randlose Brille hat es deshalb zu einer Art Nullpunkt der Mode gebracht, zum Unfashion Item schlechthin. Wie verstörend diese Modelle sein können, merkt man vor allem, wenn man sich Randlose-Brillen-Werbung ansieht. Ein auf Randlosigkeit spezialisierter Hersteller hat für eine Kampagne die Schauspieler Patrick Dempsey und Cate Blanchett engagiert. Und wenn man die Fotos sieht, kann man hinter der Brille zwar irgendwie noch Reste von Sexappeal und Glamour ausmachen, aber irgendetwas stimmt da nicht. Warum will mir Cate Blanchett plötzlich eine Berufsunfähigkeitsversicherung verkaufen?
 
Das zeigt, wie die Welt gerade auf dem Kopf steht: Eigentlich war ja die Nerd-Brille mit ihrem extradicken Rahmen der Paria im Brillenetui. Inzwischen trägt sie jeder Profi-Fußballer. Das Außenseitermerkmal gehört jetzt ihrer randlosen Antithese. Für die Brille mit dickem Rand wird man von den coolen Jungs in der Pausenhof-Raucherecke mit Fist-Bump begrüßt. Für eine randlose Brille wird man im Sportumkleideraum mit seiner Unterhose am Kleiderhaken aufgehängt.
 
Woher kommt diese Ablehnung also? Da ist natürlich dieser völlig aus der Zeit gefallene, naive Funktionalismus, der auf stilsichere Menschen abschreckend wirkt. Brillenhersteller geben als Vorteile randloser Brillen an: die Leichtigkeit, die uneingeschränkte Sicht, die Freiheit in der Wahl der Glasform. Wer sich wegen so etwas für eine randlose Brillen entscheidet, der tauscht auch seine schönen Altbaufenster gegen weiße Plastikgucklöcher, um einen Energiepass beantragen zu können – so lästern die Stil-Menschen und blicken angewidert durch ihre Jil-Sander-Gestelle.
 
Vielleicht wäre die ganze Sache auch weniger seltsam, wenn randlose Modelle tatsächlich völlig verschwinden würden im Gesicht der Träger. Aber man sieht sie ja immer noch und in ihrer betonten Unauffälligkeit fällt sie noch mehr auf. Die randlose Brille ist wie das drübergekämmte Haar bei Halbglatze: „Heyhey, fällt gar nicht auf, dass ich ne Brille trage, so randlos wie die ist, was?“, schreit einen das Gesicht des Trägers ständig an. Deswegen kommt die randlose Brille Journalisten ja auch als erstes in den Sinn, wenn sie über Stephan Weil schreiben. Stephan Weil ist übrigens Ministerpräsident von Niedersachsen, falls es jemand schon wieder vergessen haben sollte. 

Die Ersten am Schreckensort

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Können eigentlich auch Filme auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden? Am 24. Oktober startet mit „E-Team“ auf Netflix ein Dokumentarfilm über die Arbeit der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, der Kinder so konsequent als Sympathiefänger einsetzt, dass man das Gefühl bekommt, man laufe 90 Minuten lang an einem Misereor-Plakat vorbei.



"Human Rights Watch" untersucht Kriegsschauplätze auf der Suche nach Menschenrechtsverletzungen.

Da sind auf der einen Seite die Kinder, die bei den Giftgasangriffen, Plünderungen und Bombardements im Kosovo oder in Syrien ums Leben gekommen sind und deren verunstaltete Leichen hier immer wieder bedrückend über den Bildschirm flimmern.

Und auf der anderen Seite der 12-jährige Sohn der Protagonisten Ole Solvang und Anna Neistat, die als Ermittler im Auftrag von „Human Rights Watch“ in Krisengebiete reisen, um dort Beweise für Menschenrechtsverletzungen zu sammeln: Während anderswo seine Altersgenossen im Bombenhagel umkommen, schaut er „Mr. & Mrs. Smith“ auf dem Laptop und amüsiert sich über die Explosionen.

Nun gilt ja oft die Faustregel: je greller der Kontrast, desto selbstherrlicher die Gewissensagitation. „Human Rights Watch“ ist eine NGO, die sich einem wichtigen Ziel verschrieben hat: Sie dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, um Regierungen dazu zu bewegen, unschuldige Zivilisten zu beschützen, und internationalen Gerichtshöfen im Falle eines Prozesses Beweise zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig ist die NGO auf Spenden angewiesen, weshalb sie in ihrer öffentlichen Kommunikation internationale Politik bisweilen auf fahrlässige Weise vereinfacht und verkitscht. Spendenbereitschaft ist ein seltenes Gut, um das ein hart umkämpfter Markt entstanden ist.

Statt diese Zwangslage mitzuerzählen, spielen die Regisseure Ross Kauffman und Katy Chevigny das Spiel mit und beschädigen so ihre Geschichte. Das hat sie nicht verdient, dafür ist sie zu wichtig: Zweieinhalb Jahre haben Kauffman und Chevigny die Ermittler von „Human Rights Watch“ dabei beobachtet, wie sie nach Bombardements und Plünderungen beharrlich ihr Leben riskieren, um vor Ort die Opfer zu zählen, Spuren zu fotografieren und Überlebende zu befragen – alles ohne politisches Mandat, im Auftrag der Menschlichkeit. Sonst macht es ja niemand.

Weil sie keinen Regierungsauftrag im Rücken haben und im Notfall auch illegal in Krisengebiete reisen, sind sie oft die Ersten an den Schauplätzen der Grausamkeit: 1998 war es der HRW-Ermittler Fred Abrahams, der als erster Ausländer das kosovarische Dorf Gornje Obrinje betrat, in dem die jugoslawische Armee gerade ein Massaker begangen hatte. Er erstellte einen Bericht, der wenig später von der New York Times aufgegriffen wurde und so mittelbar zur Intervention der Nato führte. Später sagte Abrahams selbst als Zeuge gegen Milošević aus.

In einem der Schlüsselmomente des Films sind Ole Solvang und Anna Neistat gerade in Syrien unterwegs, als Assad die Stadt Azaz nördlich von Aleppo bombardieren lässt. Als sie dort ankommen, liegt noch der Staub der zertrümmerten Wohnhäuser in der Luft. Die Szene ist einer der wenigen Momente, in dem sich der Film dem Rhythmus seiner Protagonisten überlässt: Professionell befragen die Ermittler die Überlebenden, sie zählen die Opfer und informieren die New Yorker Zentrale, die wiederum sofort eine Pressemitteilung herausgibt. Wie bürokratisch diese Arbeit oft ist, sieht man selten. Der Film unterschlägt das nach Möglichkeit.

Wie es der Titel schon andeutet, inszeniert „E-Team“ die NGO-Ermittler stattdessen als sympathische Idealisten, die mit Block und Bleistift unermüdlich gegen die übermächtigen „Bad Guys“ antreten. Damit werden die Oscar- und Emmy-prämierten Regisseure ihrem Gegenstand aber nicht gerecht. Der Film reduziert sich ohne Not auf das Niveau eines Rekrutierungsfilms, wie ihn auch Armeen produzieren lassen. Das ist durchaus verräterisch: Wenn zwei widerstrebende Ideen auf demselben Marktplatz angeboten werden, gibt es in dieser Konkurrenz nur einen garantierten Gewinner: den Marktplatz.

SMS aus Syrien

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Manchmal sprechen die Leute Mohammed Iqbel Ben Rejeb auf der Straße an, wenn er zu seiner Arbeit in einem Telefonladen auf der Avenue Bourguiba geht. Er ist in Tunesien bekannt, seitdem er das Schicksal seiner Familie ins Fernsehen getragen hat – ein Schicksal, das Tausende Familien teilen in dem Land mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern. Sein Bruder Hamza, damals 23 Jahre alt und Informatikstudent, war mit Freunden nach Syrien gegangen, um sich der Al-Nusra-Front anzuschließen. Ben Rejeb hielt ein Foto von ihm in die Kamera, flehte den Bruder an, wieder nach Hause zu kommen. „Er hat nichts gesagt, er ist morgens mit einem Freund aufgebrochen, sie wollten an der Universität Papiere abholen“, erinnert sich Ben Rejeb an den Tag im März 2013, an dem Hamza verschwand.

Das nächste Lebenszeichen, das er von ihm bekam, war eine SMS aus Syrien. Ben Rejeb fand sich nach seinem TV-Auftritt auf den Titelseiten der Zeitungen. Er hatte eine Mauer des Schweigens gebrochen, über das Thema wollte hier lange kaum jemand reden, obwohl immer mehr junge Männer in den Krieg zogen. Etwa 3000 Tunesier sollen nach unabhängigen Schätzungen derzeit in Syrien und im Irak kämpfen, die meisten von ihnen für die Terrormiliz Islamischer Staat. Intern nennen die Behörden noch höhere Zahlen, von 4000 bis 5000 ist die Rede. Mehr als 9000 Tunesier haben sie nach eigenen Angaben aufgehalten. Hunderte sind schon ums Leben gekommen – und etwa 500 sollen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sein.



Oft der einzige Kontakt der Angehörigen zu rekrutierten IS-Kämpfern: SMS.

Tunesier stellen vermutlich die größte Gruppe ausländischer Kämpfer in Syrien und im Irak, wobei nicht klar ist, ob die Zahlen aus Libyen und anderen Ländern stimmen. „Es gibt in Tunesien kaum eine Familie, die nicht irgendwie davon betroffen ist“, sagt Ben Rejeb. Er hat eine Vereinigung gegründet, die diese Familien unterstützt, die versucht, deren Söhne zur Rückkehr zu bewegen, die ankämpft gegen mögliche Ursachen für den Exodus in den Krieg. Seit der Revolution vor mehr als dreieinhalb Jahren können die Menschen in Tunesien ihre Meinung weitgehend ungehindert kundtun. Viele sind dennoch frustriert, haben das Gefühl, dass sich nichts geändert hat, dass es ihnen wirtschaftlich sogar eher schlechter geht als unter dem gestürzten Diktator Zine el-Abidine Ben Ali. Es ist nicht schwierig, auf den Straßen von Tunis Jugendliche zu finden, die Sympathie für die Kopfabschneider des Islamischen Staates äußern – sei es aus Überzeugung oder um gezielt zu provozieren.

Doch warnt Ben Rejeb vor dem Schluss, dass vor allem sozial benachteiligte junge Männer in den Krieg ziehen, die keine Arbeit finden. „Sie kommen aus allen Schichten, viele von ihnen sind gut ausgebildet“, sagt er – und er kennt zahlreiche Fälle. Sein Bruder sei religiös gewesen, aber nicht extremistisch, behauptet er, auch wenn Hamza sich nach der Rückkehr, zehn Tage nach seinem Verschwinden, im Fernsehen als überzeugten Islamisten darstellte. „Das Problem sind die Imame, die Scheichs, die Indoktrinierung. Sie waschen den Jungen das Gehirn“, klagt Ben Rejeb, oft ohne dass es Eltern oder Freunde bemerken. „Die meisten sind zwischen 18 und 27 Jahren alt“, sagt er – und geistig noch nicht gefestigt. Auffällig viele Naturwissenschaftler seien unter ihnen. „Die Prediger erzählen denen dann etwas vom Dschihad in Syrien“, fährt er fort. „Und der Dschihad ist Pflicht für alle Muslime – aber in Syrien gibt es keinen Dschihad!“, ruft er. Der Mufti von Tunis habe das klargestellt. Ben Rejeb weigert sich daher, von Dschihadisten zu sprechen – er redet nur von Kämpfern.

Tatsächlich hat eine Reihe von Faktoren es Islamisten lange leicht gemacht, in Tunesien zu rekrutieren. Religiöser Extremismus ist nicht neu hier, er wurde nur unter der Diktatur wirksam von Polizei und Geheimdiensten unterdrückt. Seif Allah Ben Hassine etwa, bekannt unter dem Namen Abu Iyadh, kämpfte schon mit den Mudschaheddin gegen die Sowjets in Afghanistan. Später stieg er in die Führung von al-Qaida auf. Er warb zwei Landsleute an, die 2001 ein Selbstmordattentat auf Ahmed Schah Massud verübten, den Anführer der Nordallianz. 2003 geriet er in Tunesien in Haft, die Türkei hatte ihn abgeschoben. Wie Tausende andere Islamisten und politische Gefangene kam er nach der Revolution frei. Er gründete die inzwischen als terroristisch verbotene Ansar al-Schariah, die bis zu 40000 Anhänger haben soll. Zugleich wurden Anti-Terror-Einheiten der Polizei aufgelöst, waren sie doch Teil des Unterdrückungsapparates von Ben Ali.

Unbehelligt bekannten einflussreiche Imame wie Mokhtar al-Jebali oder der unter der Regierung der islamistischen Ennahda als Religionsminister amtierende Noureddine el-Khademi offen ihre Unterstützung für die Kämpfer in Syrien. In Hunderten Moscheen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, werben salafistische Prediger bis heute Kämpfer an. Professionelle Rekrutierungszellen stellen Verbindungen zu den Milizen her, sie sollen zwischen 3000 und 10000 Dollar für jede Anwerbung erhalten, Geld, das oft aus dem Ausland kommt. Die IS-Milizionäre brauchen ausgebildete Leute, um ihren Parastaat am Laufen zu halten. Die finden sie unter den Tunesiern eher als unter anderen Nationalitäten. Zudem war der Landweg über Libyen lange eine billige und problemlose Route, um außer Landes und weiter nach Syrien zu gelangen – Tunesier brauchen kein Visum, sie werden nicht einmal elektronisch registriert. Die tunesischen Behörden haben die Überwachung der Grenze deswegen verstärkt.

Ben Rejeb wirft ihnen dennoch vor, zu wenig zu tun, gerade was die Rückkehrer angeht. „Sie sind an der Waffe ausgebildet, manche haben Menschen getötet“, warnt er. „Sie sind wie eine Bombe.“ Sie würden von der Polizei befragt und überwacht, manche auch verurteilt und eingesperrt. Aber niemand kümmere sich darum, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren, das Gedankengut in ihrem Kopf zu entschärfen. Irgendwann, fürchtet Ben Rejeb, „werden sie explodieren wie ein Vulkan“.

Gemeinsam im Sumpf

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Sprecher der beiden größten spanischen Parteien, der regierenden konservativen Volkspartei (PP) und der oppositionellen Sozialisten (PSOE), haben in Madrid einen gemeinsam „Pakt gegen Korruption“ angekündigt. Man wolle ein entsprechendes Gesetzespaket schnüren. Doch für die Kommentatoren der meisten Medien ist diese Ankündigung kaum mehr als eine „Flucht nach vorn“. Denn beide Parteien sind in den Umfragen deutlich abgesackt, weil führende Köpfe aus ihren Reihen in Korruptionsaffären verstrickt sind. In einem Jahr wird in Spanien ein neues Parlament gewählt. Nach jüngsten Umfragen dürfte die PP, die 2011 noch 44 Prozent der Wähler hinter sich gebracht hat, kaum über 20 Prozent hinauskommen. Die PSOE schneidet nicht besser ab. In der vergangenen Woche hat die Staatsanwaltschaft im Verfahren wegen schwarzer Kassen der PP deren früheren Generalsekretär und mehrmaligen Minister Ángel Acebes für schuldig erklärt. Acebes war vor genau einem Jahrzehnt als Innenminister zum Symbol für das Lügen in der Politik geworden, als er aus wahltaktischen Gründen die baskische Terrororganisation Eta einer Anschlagserie auf Madrider Züge beschuldigte, obwohl er wusste, dass es Islamisten waren. Die Wähler glaubten ihm nicht und schickten die PP in die Opposition.



Das spanische Parlament sendet ein Signal gegen Korruption.

Ein Prozess droht ebenfalls dem früheren Superminister für Finanzen und Wirtschaft, Rodrigo Rato, der auch Chef des Internationalen Währungsfonds war, wegen „schwarzer Kreditkarten“, die die von ihm vorübergehend geführte Bank Caja Madrid an Politiker im Aufsichtsrat ausgegeben hat. Laut Staatsanwaltschaft hat Rato mit den Karten, deren Finanzierung auf alle Privatanleger umgelegt wurde, die Willfährigkeit der Politiker gekauft. Rato wurde zur Hassfigur der spanischen Protestbewegung, weil er bei seinem Rücktritt als Vorstandsvorsitzender der staatlichen Gruppe Bankia eine Millionenabfindung einstrich, obwohl in seiner Amtszeit Zehntausende Kleinanleger einen Großteil ihrer Guthaben verloren.

Die PSOE hat nach wie vor mit einer gigantischen Unterschlagungsaffäre zu kämpfen: EU-Gelder in dreistelliger Millionenhöhe, die für Umschulungen und Weiterbildungen Arbeitsloser vorgesehen wurden, haben die Sozialisten der Region Andalusien in Privatschatullen umgelenkt. In die Affäre verstrickt ist die frühere Vizepräsidentin der Europäischen Investitionsbank, Magdalena Álvarez. Auch die Gewerkschaften haben mit ähnlichen Affären zu kämpfen.

In der Region Katalonien machten wiederum in der vergangenen Woche die Söhne des langjährigen Regionalpräsidenten Jordi Pujol Schlagzeilen: Einer der Söhne wurde wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung festgenommen. Gegen zwei weitere Söhne sind wegen ähnlicher Delikte Verfahren eingeleitet. Der 84-jährige Pujol, der von 1980 bis 2003 in Barcelona regierte, musste im Sommer öffentlich einräumen, dass er eine nicht näher bezeichnete große Summe im Ausland angelegt hat, ohne sie zu versteuern.

Die PP-Politiker Acebes und Rato sind offenkundig eher der Normalfall denn eine Ausnahme. In Finanzaffären ist die Mehrheit der früheren Minister verstrickt, die unter dem konservativen Premier José María Aznar (1996 – 2004) dem Kabinett angehörten. Der frühere Umweltminister Jaume Matas musste im Juli wegen Korruption eine Haftstrafe antreten. Doch war diese von ursprünglich sechs Jahren auf neun Monate reduziert worden. Wegen guter Führung dürfte Matas eher freikommen. Ihm wurde zur Last gelegt, auf seinem späteren Posten als Regionalpräsident der Balearen Bestechungsgelder kassiert zu haben.

Ein Großteil der früheren Minister Aznars, er eingeschlossen, steht auf den Listen der Empfänger von Schwarzgeld, die der frühere PP-Generalsekretär Luis Bárcenas der Staatsanwaltschaft übergeben hat. Auch der jetzige Premier Mariano Rajoy ist darauf verzeichnet. Allerdings konnten die Behörden der Presse zufolge bislang keine weiteren Beweise präsentieren, das Verfahren tritt auf der Stelle. In der PP-Zentrale wurden zwar Computerfestplatten zerstört, doch nur Bárcenas sitzt in Untersuchungshaft.

Der krasse Gegensatz zwischen Medienaufruhr und strafrechtlicher Ahndung der Korruptionsaffären hat sogar Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce auf den Plan gerufen: Nicht nur Korruption und Bestechung, sondern auch deren mangelnde Aufarbeitung hätten ein staatsgefährdendes Ausmaß erreicht, da sie den gesellschaftlichen Frieden gefährde.

So befindet sich der Unternehmer Francisco Correa weiterhin auf freiem Fuß. Correa, der nicht verhehlt, dass er ein Luxusleben führt, hat einem korrupten Netzwerk zwischen PP-Politikern und der Baubranche seinen Namen gegeben: Ein sprachkundiger Ermittler nannte die Sonderkommission auf Deutsch „Gürtel“, so lautet die Übersetzung des Nachnamens des Unternehmers, der Vermittler bei staatlichen Investitionen in die Infrastruktur. Nach Meinung der Ermittler flossen dabei auch Millionenbeträge aus Brüssel auf Privatkonten. Auch in mehreren Regionen beschäftigen Korruptionsaffären bei öffentlichen Aufträgen die Justiz.

„Die Verunsicherung wächst“

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Bernd Huber spricht von einer „entscheidenden Komponente“ für die Forschung, einer „Kernbastion“, die da bedroht ist. „Wenn sie wegfiele, wäre dies eine ernsthafte Bedrohung“, sagt der Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität München. Was Huber zu solchen Superlativen greifen lässt, ist die Programmpauschale für Hochschulen. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich eine jährlich 320 Millionen starke Forschungsförderung, die nun infrage steht. Der Bund will sie nicht mehr alleine zahlen, die Länder wollen sich nicht beteiligen. Der Streit lässt die Unruhe an den Hochschulen wachsen. „Das muss jetzt schleunigst vom Tisch, die Verunsicherung wächst von Woche zu Woche“, sagt Huber.



Die Länder erhoffen sich mehr finanzielle Hilfe vom Bund für die Forschung - der will aber am liebsten gar nicht mehr zahlen. 

Die Forschung an Universitäten wird zu einem großen Teil durch Drittmittel von außerhalb finanziert, größter Geldgeber ist die von Bund und Ländern finanzierte Forschungsgemeinschaft (DFG). Bewilligt sie ein Projekt, können zum Beispiel Wissenschaftler eingestellt oder Geräte gekauft werden. Allerdings entstehen auch weitere Kosten, etwa für Strom, Räume oder die Verwaltung. Hierfür gibt der Bund 20 Prozent auf die Fördersumme obendrauf – und zwar der Bund alleine. Damit soll nun Schluss sein. „Der Bund ist bereit, seinen Beitrag fortzuschreiben, wenn die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden und sich ihrerseits angemessen an der Finanzierung der Programmpauschalen beteiligen“, schrieb Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) kürzlich an den Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler. Schließlich seien grundsätzlich die Länder für die Grundfinanzierung der Hochschulen verantwortlich – und damit eben auch für Strom.

Die sehen das naturgemäß anders, schließlich geht es um Geld. Insbesondere die SPD-geführten Länder haben mit Unterstützung aus der Bundestagsfraktion Widerstand mobilisiert. Die rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerin Doris Ahnen (SPD) argumentiert, dass laut einem Gutachten für das Bundesbildungsministerium bei einem Forschungsprojekt im Schnitt sogar gut 40 Prozent zusätzliche Nebenkosten anfallen. Mehr als die Hälfte der Kosten für Forschungsprojekte trügen also schon heute die Länder.

Was nach einer fairen Lastenteilung klingt, hat ein paar Haken: Der Bund zahlt seine Pauschale erst seit 2007, damals kam der Zuschuss noch als freundliche Zugabe aus Berlin daher. Inzwischen aber sehen viele Bildungspolitiker dies als Pflicht des Bundes an. Zum Beispiel SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. „Der Bund muss die Programmpauschalen bis 2020 fortführen“, sagt er. Wenn die Pauschale Ende 2015 auslaufe, ist Wanka schuld, so die Botschaft. Das klingt noch weit entfernt, ist für die Hochschulen mit ihrem langen Vorlauf bei Forschungsprojekten und befristeten Arbeitsverträgen aber gar nicht so lange.

Der Bundesrechnungshof ist entschieden anderer Meinung als die SPD. Die Pauschale führe zu einem „beachtlichen Finanztransfer vom Bund zu den Ländern“, schreiben die Rechnungsprüfer in einer Stellungnahme, er entlaste die Länder bei einer Aufgabe, für die eigentlich nur sie zuständig seien: die Hochschulen. Die Rechnungsprüfer nehmen sich aber auch das Bildungsministerium vor: Es habe schon früher eine Beteiligung der Länder gefordert, aber nichts erreicht. Man kann es auch so ausdrücken: Bisher hat der Bund schlecht verhandelt.

Zu Gast bei Ausbeutern

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Die Lösung ist ein Reisgericht. Eine verdammte Paella. Ganz einfach, sagt Miguel in die elf Gesichter, die ihn anstarren: Die Spanier sollen kochen. Abends, bei jemandem zu Hause, für den Rest der ausländischen Belegschaft. Für die Portugiesen, die Griechen, die Italiener. Ist doch klar, sagt Miguel: Keiner hört sich nach Feierabend gern Reden von Gewerkschaftern an. „Aber jeder isst gern.“ Und wenn Menschen zusammen Paella essen, reden sie auch miteinander, egal, woher sie kommen. Zum Beispiel über ungerechte Löhne, miese Arbeitsbedingungen und erpresserische Strafzahlungen. Und aufs Reden kommt es an, sagt Miguel.

Er lehnt sich in das zersessene Sofa zurück, vor sich sein Notizbuch, sein iPhone 3 und ein halb geleertes Glas Erdinger Weißbier. Er guckt erwartungsvoll. Der 34-Jährige und die elf Menschen sitzen in Jacken im kalt verrauchten Hinterzimmer eines Cafés in Kreuzberg. Die Plakate an den Wänden rufen zur Unterstützung des „Volkskriegs in Indien“ auf und zum Kampf gegen „DNA-Sammelwahn“ und „RAF-Paragraf §129“. Linker Kampfgeist aus drei Jahrzehnten klebt an der Wand.
 
Miguel und die elf Menschen, die heute Abend im Halbkreis vor ihm sitzen, sind Spanier. Geologen, Krankenpfleger, Chemiker, Sozialarbeiter. Sie sind Auswanderer. Wobei Miguel das Wort „Exilanten“ lieber mag. In „Exil“ schwingt mit: Verbannung, Vertreibung, Zwangsumsiedlung. Das klingt mehr nach dem, was sie aus Spanien hierher in den deutschen Herbst getrieben hat, in dieses kalte Hinterzimmer: die Krise in der Heimat.


Miguel Sanz, Marta Cazorla Rodriguez und Steffen Mena Ángel (v. l.) haben die Grupo de Acción Sindical mitgegründet - eine Art Guerilla-Gewerkschaft für Spanier. Aber viele haben Angst, sich zu organisieren.

Die Paella ist Miguels Lösungsansatz für das Problem zweier spanischer Krankenpfleger an einer Klinik in Brandenburg. Sie haben sich über Facebook bei ihm gemeldet. Sie seien am Ende, sagt Miguel. Zwölf-Stunden-Schichten, kaum Pausen. Außerdem haben sie herausgefunden, dass sie fünf Euro pro Stunde weniger bekommen als die deutschen Kollegen. Sie wollen kündigen. Aber ihnen droht mal wieder: „la multa“. Die Strafe. „Wie viel?“, fragt einer schräg gegenüber von Miguel. „Zwölftausend“, sagt Miguel.

12 000 Euro Strafe, wenn die Spanier ihren Vertrag vorzeitig kündigen: Das ist „la multa“, und das dahinter stehende juristische Konstrukt hält derzeit tausende EU-Migranten in Deutschland in schlechten Arbeitsverhältnissen. Dazu gleich mehr. Wegen la multa sitzen Miguel und die anderen hier, seit Monaten, jeden zweiten Dienstagabend. Wegen la multa fahren sie einmal die Woche in Miguels altem VW-Golf mit spanischem Kennzeichen durch Ostdeutschland und besuchen andere Spanier, die sich an ihrem Arbeitsplatz in der Fremde nicht mehr zu helfen wissen. Sie erklären ihnen, wie sie sich wehren können, was ein Betriebsrat ist. Vermitteln den Kontakt zur zuständigen Gewerkschaft.

55 Prozent der jungen Spanier sind arbeitslos. Das ist eine gute Nachricht für den deutschen Pflegemarkt


Miguels Gemeinschaft nennt sich Grupo de Acción Sindical, Abkürzung GAS, auf Deutsch „Gruppe für Gewerkschaftsaktion“. Sie vermitteln zwischen Arbeitern, die oft nicht mal wissen, was Gewerkschaft auf Deutsch heißt, und Gewerkschaften wie Verdi, wo wiederum kaum jemand Spanisch spricht.

Das nächste Thema im Kreuzberger Hinterzimmer: Eine Chemie-Laborantin in Berlin hat sich gemeldet, weil sie ohne Atemschutz mit giftigen Chemikalien arbeiten muss. Miguel öffnet sein Notizbuch: „Wer erkundigt sich zum Thema Arbeitssicherheit?“ Handzeichen. „Und wer kommt morgen mit nach Brandenburg und schlägt denen das mit der Paella vor?“ Handzeichen.

Miguel Sanz, 34, wuchs in der spanischen Arbeiterbewegung auf. Seine Eltern waren in der kommunistischen Partei in Andalusien. Dort kämpften die Gewerkschaften zu der Zeit noch gegen Hungersnöte unter den Landarbeitern. Miguel studiert Umweltwissenschaften. Als er 2010 wie Millionen andere seinen Job verliert, widmet er sich hauptamtlich dem Arbeitskampf. Einmal plündern er und andere Aktivisten symbolisch die Gemüseabteilung eines Supermarkts und verteilen das Essen an Arbeitslose. 2011 türmt sich die Unzufriedenheit der jungen Leute in Spanien zu einem landesweiten Protest. Monatelang besetzen junge Arbeitslose die öffentlichen Plätze. Die Bewegung des 15. Mai entsteht, kurz: 15-M. Miguel schließt sich ihr an.

2013 kommt er nach Berlin, seine Freundin ist Deutsche. Auch hier sind inzwischen Hunderte Mitglieder der 15-M-Bewegung, sie vernetzen sich, eher aus Gewohnheit als aus Notwendigkeit. Miguel macht mit. Und merkt an einem Abend im Januar, dass seine Erfahrung nützlich sein kann.

An jenem Abend kommen drei spanische Pflegerinnen zum Treffen der 15-M-Leute. Sie sehen müde aus. Sie sagen, sie halten die Arbeit nicht mehr aus, die langen Schichten bei Patienten, die mitten in der Provinz leben, neun Tage am Stück. Sie haben versucht, ihren Dreijahresvertrag vorzeitig zu kündigen. Aber das Unternehmen verlangt für die Kündigung tausende Euro Strafe. Miguel ahnt, dass es in diesem Land eine neue Aufgabe für ihn gibt.

Hinter der „Strafe“, gegen die er kämpft, steht ein Wort wie ein grauer Aktenordner: Pflegenotstand. Die Deutschen werden älter und schwächer, es fehlen Leute, die sie pflegen. Zur Stunde gibt es 30 000 offene Stellen in der Altenpflege. Jedes dritte Krankenhaus findet nicht genügend Pflegepersonal. Diesem Land fehlt eine Kleinstadt voller Pfleger. Aber es gibt sie nicht. Zumindest nicht in Deutschland.

Deshalb werben Pflegeheime und Krankenhäuser schon seit Jahren ihr Fachpersonal im Ausland an. Erst in Polen, Bulgarien, Rumänien. Seit 2010 hat sich eine neue, wertvollere Quelle aufgetan: Die Krise hat in Südeuropa Millionen junger, gut ausgebildeter Menschen einer Perspektive beraubt. In Spanien sind derzeit 55 Prozent der jungen Leute arbeitslos – eine gute Nachricht für den deutschen Pflegemarkt. Eine Generation fertig ausgebildeter junger Menschen, die daheim keine Zukunft hat, bedeutet in der Logik des Kapitalismus in Zeiten der offenen Grenzen: Viel gute Arbeit für sehr wenig Geld.

Private Pflege- und Klinik-Konzerne veranstalten in Spanien deshalb neuerdings Massenbewerbungsgespräche. Sie bringen stapelweise fertige Arbeitsverträge mit und bekommen Wochen darauf Ryanair-Flugzeugladungen voller Mitarbeiter, die motiviert sind, weil sie endlich einen Job haben. Etwa 1500 junge Leute aus dem EU-Ausland werden jedes Jahr in Deutschland als Pfleger anerkannt. Sie beheben den Pflegenotstand, der Staat zahlt ihnen dafür zum Beispiel den Sprachkurs.

In einem Hochhaus in Berlin-Mitte sitzt Paula Hernández auf einer Couch unter einer niedrigen Decke. Die 27-Jährige heißt in Wahrheit anders. Sie war eines der Mädchen, die sich im Januar an Miguel wandten. Sie hat fünf Jahre studiert, in Spanien lernt man Krankenpflege an der Uni. Vor einem Jahr hat sie mit 14 anderen Pflegern in Madrid einen Arbeitsvertrag unterschrieben: Bei der Gesellschaft für medizinische Intensivpflege, die kranke Menschen zu Hause versorgt. Ein lohnenswertes Geschäft, das viele Pflegefirmen für sich entdeckt haben. Die Krankenkassen zahlen ihnen pro Patient 20 000 Euro im Monat und mehr, heißt es. Paula bekam 9,50 Euro die Stunde, die Gewerkschaft Verdi rechnet vor, dass die Kosten bei fünf spanischen Pflegern pro Patient insgesamt bei etwa 14 000 Euro im Monat liegen. Der Rest bleibt bei der Firma.

Drei Monate später saß Paula irgendwo in Schleswig-Holstein im Haus einer Frau mit einem schwerbehinderten Sohn und sollte putzen. Danach im Supermarkt einkaufen. Und dann den Hund Gassi führen. Zwölf Stunden am Tag. Paula wirkt mit ihren kräftigen Händen und flinken Augen nicht wie jemand, der sich schnell überfordert fühlt. Aber nach drei Monaten war sie am Ende. Sie wollte kündigen. „Und plötzlich schuldete ich der Firma 3600 Euro.“
[seitenumbruch]

Wer vor Ablauf des Vertrages kündigt, dem drohen Strafen - schließlich hatte das Unternehmen Kosten


Der Grund: Damit ein spanischer Pfleger in Deutschland als Krankenpfleger arbeiten darf, muss er deutsch können. Der Staat fordert Sprachniveau B2, die vierte Stufe auf der sechsstufigen „Kompetenzskala“ der EU. Zeitbedarf: sechs Monate. Weil der Staat den wertvollen Fachkräften den Deutschkurs zahlt, sparen die Unternehmen viel Geld. Sie müssen die Fachkräfte während dieser Zeit nur freistellen. Sind die aber unzufrieden und wollen kündigen, sagen die Unternehmen: Wir hatten Kosten, weil wir euch für den Sprachkurs freigestellt haben. Wenn ihr vor Ablauf des Vertrags kündigt, wollen wir diese Kosten zurück. Bis zu 12 000 Euro.

Kalle Kunkel ist zuständiger Sekretär bei Verdi, Miguel hat ihn im Frühjahr auf die Verträge mit den spanischen Pflegern aufmerksam gemacht. Für den Gewerkschafter sind sie eine „Strategie, mit der die Unternehmen billige Fachkräfte anwerben.“ Kunkel hat die Klauseln mit der Strafzahlung seither überall entdeckt, nicht nur in Paulas ehemaliger Firma. „Das ist ein flächendeckendes Phänomen in der ganzen Branche.“ Die Unternehmen binden die jungen Arbeitslosen in Spanien mit Verträgen gezielt für mehrere Jahre an sich. Gerade für die unangenehmen Aufgaben, für die man etwa sechs Tage die Woche weit weg von der eigenen Wohnung bei Patienten auf dem Land arbeitet. „Und zwar für knapp über dem Mindestlohn“, sagt Kunkel, „und bevor die Leute in Deutschland sind und merken, dass hier im Schnitt deutlich besser bezahlt wird.“ Pfleger im öffentlichen Dienst bekommen pro Stunde knapp fünf Euro über dem Mindestlohn.

Am nächsten Morgen sitzt Miguel in seinem staubigen VW-Golf am Berliner Ostkreuz und stopft sein Handy wütend in die Jackentasche. Draußen ist es oktoberlich nassgrau, neben Miguel sitzt sein Kollege Steffen, der mit zur Klinik in Brandenburg fahren sollte. Eigentlich wollten sie mit den beiden Spaniern zu Mittag essen. Ihnen raten, sich mit anderen ausländischen Pflegern zusammenzuschließen. Die Paella zu kochen. Am besten einen Betriebsrat zu gründen! Aber eben rief der eine an. Er sei krank. Dann rief der andere an. Er habe spontan einen Termin bei der Botschaft. „Wer weiß, ob das stimmt“, sagt Miguel und lässt den Motor an. Er kennt das: Die Leute haben Angst, sich zu organisieren.

Miguel ist es gewohnt, dass Menschen absagen. Wer der Armut entkommen ist, hat Angst, erneut alles zu verlieren


Auch Florian Wilde kennt das. Er ist Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, zuständig für Gewerkschaftspolitik. Gelegentlich arbeitet er mit Miguel und der GAS zusammen. „Das Risiko gibt es in allen Bereichen prekärer Beschäftigung“, sagt er: „Wo es noch keinen Betriebsrat gibt, gehen die Arbeitgeber oft harsch gegen Leute vor, die sich organisieren wollen. Und diese Migranten kommen ja gerade her, weil sie der Armut daheim entkommen wollen. Die tun sich extra schwer, hier alles aufs Spiel zu setzen.“

Paula, die Pflegerin in Schleswig-Holstein, blieb damals. Die 3600 Euro hätten sie ruiniert. Sie arbeitete weiter, bis Miguel und die GAS ein Treffen mit Kalle Kunkel von Verdi organisierten. Dann kündigte sie, das Unternehmen behielt ihren letzten Monatslohn. Den Rest hat es bis heute nicht eingeklagt. Am Telefon weist eine Sprecherin der Firma auf eine schriftliche Erklärung im Internet hin: „Wir erwarten, dass die Pflegekräfte die erworbenen (Deutsch-, d. Red.) Qualifikationen zunächst dem Unternehmen zur Verfügung stellen“, steht da. „Nur wenn der Mitarbeiter grundlos oder fristlos das Arbeitsverhältnis abbricht, muss er sich anteilig (...) an den entstandenen Kosten beteiligen.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund betreibt in ganz Deutschland Beratungsstellen, die EU-Ausländern helfen sollen, faire Löhne durchzusetzen. Seit ein paar Monaten ist man dort gut damit beschäftigt, Spanier zu beraten, die durch Vertragsstrafen an der Kündigung gehindert werden sollen. Grob geschätzt 5000 ausländische Pfleger dürften derartige Verträge haben. Die Berliner Beraterin des Gewerkschaftsbunds beobachtet „ein ganz neues Geschäftsmodell“, das sich mit den Fachkräften aus den Krisenländern entwickelt hat: „Die holen inzwischen turnusmäßig Pfleger nach Deutschland. Wenn die das Arbeitspensum schaffen, sind sie gutes, billiges Personal.“ Wenn sie frustriert und erschöpft kündigen, „bekommen die Unternehmen durch die Strafe ihr Geld zurück und holen die nächsten.“

Solche Klauseln sind nicht illegal, sagt Kalle Kunkel von Verdi. „Aber sie nutzen die Notlage in den Krisenländern bewusst aus und importieren sie nach Deutschland.“
 
Paula hat innerhalb einer Woche einen neuen Job gefunden. Sie arbeitet jetzt in Berlin, gleich ums Eck, und bekommt 14 Euro die Stunde. Wie ihre Kollegen. Den Deutschkurs macht sie in ihrer Freizeit.

Sträflich vernachlässigt

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Sie befragen seit 1977 anonym Jurastudierende zu den Themen „Kriminalität und Strafe“. Bei der ersten Befragung sprachen sich noch rund elf Prozent für die Todesstrafe aus, 2012 waren es gut 30. Woran könnte das liegen?

Prof. Dr. Streng:
Ich habe in den Fragebögen einen Beispielfall vorgegeben, in dem jemand in einem Affekt einen anderen Menschen tötet. Die Studenten sollten dann ein aus ihrer Sicht angemessenes Strafmaß nennen. Ab 1995/97 stiegen die Forderungen von ursprünglich sechs auf etwa neuneinhalb Jahre Freiheitsentzug für diesen Totschlag im Affekt. Die Punitivität (Anm. d. R.: Bereitschaft, Normabweichungen hart zu sanktionieren) hat insgesamt zugenommen.

Woher kommt dieser Wunsch nach härteren Strafen?

Ich habe dafür zwei Hinweise in den Daten gefunden. Zum einen: Je mehr die Befragten die Opferperspektive eingenommen haben, umso mehr forderten sie Genugtuung für das Opfer oder seine Angehörigen und deshalb auch höhere Strafen. In den vergangenen drei Jahrzehnten bekam der Opferschutz im deutsche Rechtssystem immer mehr Aufmerksamkeit. Das führt offenbar zu einer Tendenz, höhere Strafen zu verlangen. Der zweite Punkt ist, dass diejenigen, die besonders viele Medien mit einem Schwerpunkt auf Kriminalthemen konsumieren, auch höhere Strafen verlangen.

Wer gerne die Rot- und Blaulichtthemen in der Bildzeitung liest, fordert auch höhere Strafen?

Ich habe das im Fragebogen aufs Kino und aufs Fernsehen bezogen. Dort gibt es viele Sendungen, wie den „Tatort“ oder amerikanische Kriminalserien, die Verbrechen behandeln. Das bleibt anscheinend nicht ohne Folgen. Viele Kriminologen vermuten, dass Medien mit ihrer zunehmenden Kriminalitätsfixierung auch Veränderungen in den Köpfen der Leute bewirken.

Haben Sie damit gerechnet, dass die Todesstrafe im Laufe der Jahre wieder mehr Befürworter findet
?
Nein. Interessanterweise hatte ich die Frage nach der Todesstrafe nach meiner ersten Studie 1977 zunächst gar nicht mehr gestellt. Schließlich war sie in unserem Rechtssystem überhaupt nicht vorgesehen. Ich bin also davon ausgegangen, dass das niemanden mehr wirklich interessiert. Allerdings konnte man zu einer anderen Frage angeben, ob man unsere Maximalstrafe, den lebenslangen Freiheitsentzug, als zu milde empfindet. Bei dieser Frage gab es bemerkenswerte Veränderungen und ich bin misstrauisch geworden. Deshalb habe ich 2007 und 2010 die Frage nach der Todesstrafe wieder direkt gestellt.

Sie haben für ihre Studie nur Jurastudierende befragt. Gibt es auch Erkenntnisse über andere Studiengänge und deren Einstellung zur Todesstrafe?

Es gibt eine Studie von einem Konstanzer Sozialwissenschaftler, der deutschlandweit Studierende unterschiedlicher Fakultäten befragt hat. Auch er hat eine Veränderung der Strafhaltung gemessen, allerdings mit nur einer einzigen Frage. Diese liefert  allerdings ein Indiz dafür, dass die Veränderung der Haltung zu dem Thema nicht nur Juristen in Süddeutschland betrifft (lacht).

Im Tagesspiegel haben sie die aktuelle Entwicklung als „beunruhigend“ bezeichnet. Was kann man dagegen tun?

Meine Mahnungen gehen an die Schulen, aber auch an uns in den Universitäten. Extreme Strafen müssen stärker problematisiert werden. Das Erstaunliche ist ja, dass in den Medien sehr stark Fehlurteile in den USA thematisiert werden. Dort hat man durch die neuen forensischen Untersuchungsmethoden die Unschuld von Menschen beweisen können, die schon seit Jahren auf die Todesstrafe warten. Dass das unsere jungen Leute nicht beeindruckt, finde ich beunruhigend.

Ich hätte gedacht, dass gerade Deutschland für die Todesstrafe enorm sensibilisiert ist. Hier gibt es bei drohenden Hinrichtungen im Ausland zahlreiche Proteste, die USA werden für ihre Hinrichtungspolitik offen kritisiert...

Nach dem Todesstrafe-Exzess im Dritten Reich hatte sich in der Bundesrepublik eine entschiedene Sensibilisierung ergeben. Leider haben gerade bei den jungen Leuten die Presseberichte aus den USA die Sensibilisierung gegenüber der Todesstrafe nicht im wünschenswerten Umfang weitergeführt. Bemerkenswert ist, dass auch ein Sinken der Angst vor Kriminalität keine kritische Haltung gegenüber der Todesstrafe befördert hat. Ich habe ja mehrere Generationen junger Leute verglichen.

Wie unterscheiden sich die Generationen?
Die befragten Generationen unmittelbar nach dem Mauerfall waren durch die politischen Umbrüche eigentlich sehr verunsichert. Trotzdem befürworteten weniger unter ihnen extreme Sanktionen. Seit Mitte der Neunzigerjahre herrscht in Deutschland hingegen ein großes Sicherheitsgefühl vor. Trotzdem wollen die Menschen höhere Strafen. Man muss deshalb darüber nachdenken, ob sich in diesem höheren Strafwunsch eine allgemeine Verunsicherung über den Zustand der Welt widerspiegelt und die Menschen deshalb wenigstens bei gefassten Straftätern Handlungsfähigkeit demonstrieren möchten.

Trotzdem ist es ja gerade in einem intellektuellen Milieu in Deutschland sehr verpönt, sich für die Todesstrafe auszusprechen.

Dadurch, dass die Befragung anonym war, konnten die Studierenden Dinge aussprechen, die sie in einer Gruppe oder in einem persönlichen Interview vielleicht nicht sagen würden. Allerdings kann man so davon ausgehen, dass diejenigen, die die Todesstrafe positiv bewerten, das in der Studie auch zugegeben haben. Es gibt dort also keine noch höhere Dunkelziffer.

Wie haben die Studierenden selbst auf Ihre Ergebnisse reagiert?

Ich habe mir stets die Zeit genommen und den Studenten die Ergebnisse in einer Vorlesung präsentiert. Das wurde schweigend hingenommen, obwohl ich ja bereit war, darüber zu reden. Trotzdem habe ich jetzt von Seiten der Bibliothek gehört, dass einige Studierende den Abschlussbericht der Studie anfordern. Im Internet gibt es auch schon Diskussionen in Blogs über das Thema. Wie die Studenten dort  argumentieren, habe ich aber nicht systematisch ausgewertet. 

Prof. Dr. Franz Streng ist Leiter der Forschungsstelle für Kriminologie und Sanktionenrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Studie "Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität im Wandel"" führt er in abgewandelter Form seit 1977 durch. Wer sich genauer für die Studie interessiert: Legal Tribune Online hat die Ergebnisse der vergangenen Jahre auch für Jura-Laien lesenswert zusammengefasst.

Wo liegt deine Absage-Hemmschwelle?

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Es wurde kein schöner Abend. Ich hatte es vermutet. Aber nicht darauf gehört.

Es war einer dieser Freitagabende, für den ich mich schon vor einer Woche verabredet hatte. Mit Daniel, den ich zufällig mal wieder auf dem Heimweg getroffen hatte, hey, Wahnsinn, krass lange nicht gesehen, sollten mal wieder ein Bier trinken gehen.

Ich hatte diesen Vorschlag ernst gemeint, ich freute mich wirklich auf das Bier mit Daniel. Aber eben nicht mehr an dem Abend, an dem es getrunken werden sollte. Der Freitag war ein mieser gewesen: leichte Erkältung, Nieselregen, auf dem Heimweg die Fahrradkette rausgesprungen, Supermarkt schon zu. Die Müdigkeit nach einer Woche mit zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf. Meine Laune war keine Biertrinklaune, ich hatte so viel Verlangen nach einem abendfüllenden Gespräch wie ein Pflasterstein.



"Nö, heute nicht so."

Abgesagt habe ich Daniel trotzdem nicht. Weil ich zwar keine Lust hatte, aber fand, dass das kein hinreichender Grund für eine Absage sei. Ein „Ich habe heute keinen Bock“ hätte Daniel vielleicht falsch interpretiert, selbst wenn ich gesagt hätte, dass der nicht vorhandene Bock echt nichts mit ihm zu tun habe. Auch die anderen Gründe hätten vielleicht geklungen wie vorgeschoben: „War echt ne harte Woche“ – „Bin bisschen erkältet“ – „Bin heute einfach nicht so in Stimmung“.

Und so saß ich mit Daniel in einer Kneipe. Ich gähnte viel und redete wenig und ärgerte mich, dass ich mich darüber ärgerte, dass ich überhaupt hier war.

Warum hatte ich nicht einfach abgesagt? Weil ich mich nicht traute, zu sagen, wie es ist. Weil ich fand, meine Gründe für eine Absage seien keine ausreichenden Gründe; sie hinderten mich ja nicht wirklich daran, mich mit Daniel zu treffen. Nicht so, wie unvorhergesehene Überstunden oder ein gebrochenes Bein mich hindern würden. Es waren keine „Ich kann nicht“-Gründe, sondern „Ich möchte lieber nicht“-Gründe. Und die sind, so glaube ich, für viele Menschen keine richtigen Gründe. Weil sie keine Gründe sind, für die man nichts kann. Sondern weil man eine Entscheidung trifft und diesen Gründen erst selbst eine Bedeutung zuteil werden lässt. Und zwar eine Bedeutung, die größer ist als die der Verabredung.

Wie verhältst du dich in solchen Situationen? Sagst du Leuten ab, wenn du doch keine Lust auf Kino, Party oder Schlauchbootfahren hast? Ab wann ist für dich da die Hemmschwelle überschritten? Sind Schnupfen oder schlechte Laune ausreichende Gründe, um abzusagen? Was denkst du oder was würdest du denken, wenn deine Verabredung sich mit der Begründung „nicht so in Stimmung“ abmeldet?

Tagesblog - 28. Oktober

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18:02 Uhr: So, Gregor gewinnt das Socken-Battle. Mein Minion und ich sagen, weil wir gerade beim Bayerischen sind, "Servus, machts guat". Habt einen schönen Abend! Es war wie immer toll mit euch. Und ihr sehr lieb zu mir. Da kann ich heute sicher gut schlafen.

Morgen begrüßt euch hier die wunderbare Nadja. 

Vorher teile ich noch dieses GIF von JosephineKilgannon mit euch. Und betone, dass ich Maulwürfe sehr mag!

[plugin imagelink link="http://img-9gag-lol.9cache.com/photo/aoZgn0m_460sa_v1.gif" imagesrc="http://img-9gag-lol.9cache.com/photo/aoZgn0m_460sa_v1.gif"](Quelle)

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[plugin imagelink link="http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014-10/deutschlandkarte-dialekt/bitblt-920x1120-339db0ae19b8f65a3b07a281053c7c05c7b424d3/deutschlandkarte-dialekt-full.jpg" imagesrc="http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014-10/deutschlandkarte-dialekt/bitblt-920x1120-339db0ae19b8f65a3b07a281053c7c05c7b424d3/deutschlandkarte-dialekt-full.jpg"](Quelle)

17:47 Uhr
: Die ziemlich tolle Deutschlandkarte des "Zeit Magazins" hat dieses Mal ein Herzensthema von mir aufgegriffen: "Ne, wa und gell". Oder: das, was man an den Satz "Das ist ein herrliches Wetter heute ..." dran hängt. Bei mir ist es, eh klar, "gell" (ausgesprochen aber wie englisch "gay" und mit sehr langem "ay"). Ich glaube ja, das ist das wichtigste Wort im Bayerischen. Ungefähr so essentiell wichtig wie "fei". Gell.

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(Illustration: Daniela Rudolf)

17:31 Uhr: Und nochmal ein schöner Text auf unserer Startseite: Nadja hat zusammengefasst, was man über Poetry Slam wissen muss. Von A wie Auftritt bis Z wie Zug. Finde ich super! Julia Engelmann ist auch dabei. Hier geht's lang zum Text!

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17:12 Uhr: Kurz vor Feierabend noch ein Battle. Abstimmung bitte in den Kommentaren. Jakob hat nämlich Socken-Konkurrenz bekommen. Erratet ihr, von wem?

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16:51 Uhr:
Im Lexikon des guten Lebens geht es diese Woche um ein Thema, an das ich mich noch nicht mal denken getraut hab: Aktien. Nicola erklärt uns, wie das grundsätzlich funktioniert mit dem Aktienkauf. Kaufen trau' ich mich aber immer noch nicht. Aber das macht ja nichts.

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16:27 Uhr:
Zensur! Skandal! Also vielleicht. Die neue Folge von "Walulis sieht fern" wird heute Abend nicht ausgestrahlt. Der Grund: "Die Ministerpräsidenten von Sachsen, Bayern und Hessen haben sich gegen die Ausstrahlung der neuen Folge ausgesprochen." So steht es auf der Facebook-Seite der Sendung. Leider nichts Genaueres. 

Walulis sieht fern sollte man übrigens unbedingt kennen. Zum Beispiel deshalb:

http://www.youtube.com/watch?v=MrwH4NYjBLU

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[plugin imagelink link="http://blog.neon.de/s/wp-content/uploads/2014/10/eiswuerfel2.png" imagesrc="http://blog.neon.de/s/wp-content/uploads/2014/10/eiswuerfel2.png"](Quelle)

"Die eigentliche soziale Kälte hinter dieser ganzen Debatte steckt nicht in der Tatsache, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Frauen ihren Kinderwunsch aufschieben, sondern darin, wie stark ihnen noch immer das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen wird."


15:59 Uhr:
Jetzt wird's hier mal ein bisschen ernster. Endlich! Die wunderbare Judith Liere hat in einem Text ALLES aufgeschrieben, was es über Apple und Facebook, die ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen bezahlen wollen (hier die Nachricht auf SZ.de) zu sagen gibt. Vielen Dank dafür!

+++

15:40 Uhr: Hier gehen gerade die letzten Kuchenreste weg (ich fände nichts trauriger als ihn wieder mit nach Hause nehmen zu müssen!).





Und gleichzeitig sehe ich das hier auf Facebook. So sehr ich Katzen-Content ablehne, bei Hunde-Content bin ich dabei! Meiner sieht nämlich auch immer ungefähr so aus, wenn er Süßes riecht:

[plugin imagelink link="https://igcdn-photos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfa1/10723796_394185144062886_1436478378_n.jpg" imagesrc="https://igcdn-photos-g-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xfa1/10723796_394185144062886_1436478378_n.jpg"](Quelle)

+++

15:05 Uhr:
Wir hatten heute ja Besuch von jbo007 und Serfafahm. Sehr schön war das! Und sehr schön ist auch jbo007s Bildergeschichte über ihren Besuch bei uns:

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/jb/jbo007/text/regular/1028489.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/jb/jbo007/text/regular/1028489.jpg"](Quelle)

Den Minion durfte ich übrigens behalten. Vielen Dank dafür! Er hat schon einen festen Platz: 





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14:48 Uhr
: [plugin imagelink link="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2014/10/the-bigger-picture-famous-album-cover-art-aptitude-1.jpg" imagesrc="http://static.boredpanda.com/blog/wp-content/uploads/2014/10/the-bigger-picture-famous-album-cover-art-aptitude-1.jpg"]

Ich sage ja, ich muss Einiges aufholen heute. Danke an Jan für den Link zu dieser tollen Sammlung von Boredpanda mit Album-Covern - extended. Geniale Idee, finde ich!

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(Illustration: Christina Gransow)

14:32 Uhr:
Auch auf der jetzt.de-Startseite tut sich was: Die wunderbare Nadja hat in diesem wunderbaren Text aufgeschrieben, wie seltsam es oft ist, im Freundeskreis die einzige zu sein, die schon Geld verdient. Unbedingt lesen!

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14:10 Uhr:
Und weiter geht's mit Herzeigen. Zum Beispiel dieses Bild, aufgenommen in der LMU:

[plugin imagelink link="http://photos-d.ak.instagram.com/hphotos-ak-xaf1/10724247_968594416490211_530028125_n.jpg" imagesrc="http://photos-d.ak.instagram.com/hphotos-ak-xaf1/10724247_968594416490211_530028125_n.jpg"]

+++

13:48 Uhr: Apropos Demonstrationsrecht. Das beste GIF seit Langem! Danke, Simon, fürs Weiterleiten!

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/M5laf9S.gif" imagesrc="http://i.imgur.com/M5laf9S.gif"](Quelle)

+++

13:35 Uhr: Oje, ich kann kaum glauben, wie lange ich hier nichts gepostet habe. ENTSCHULDIGUNG! Aber ich habe die bestmögliche Ausrede: jbo007 und Serfafahm haben uns in der Redaktion besucht.  Ich habe euch auch zwei Fotos mitgebracht:

Einmal in der Kantine...


... und beim Besuch im Redaktionszimmer:



Schön, dass ihr da wart!

+++

[plugin imagelink link="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ga/gartenfrau/text/regular/1028286.jpg" imagesrc="http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ga/gartenfrau/text/regular/1028286.jpg"]

11:28 Uhr:
Unser Besuch rückt immer näher, darum wird es gleich ein wenig leiser hier... Vorher noch ein wichtiger Hinweis: Es werden wieder Plätzchen getauscht im jetzt-Kosmos. Danke fürs Darumkümmern, gartenfrau! Ich mache mit. Wer noch?

+++

11:24 Uhr: Nochmal zu Köln und zum vergangenen Wochenende: Bei SZ.de wird gerade über ein strengeres Demonstrationsrecht diskutiert. Ich bin dagegen!

+++

10:57 Uhr: 
Am Freitag ist ja Halloween. In den USA gibt es dazu gerade einen Shitstorm gegen Walmart, die Kostüme für "fette Mädchen" im Sortiment haben bzw. hatten. Ich frag mich ja sehr oft, was sich die Leute denken, bei dem, was sie tun. Zum Glück gibt's das Internet!

[plugin imagelink link="http://www.adweek.com/files/imagecache/node-blog/blogs/walmart-plus-halloween-hed-2014.png" imagesrc="http://www.adweek.com/files/imagecache/node-blog/blogs/walmart-plus-halloween-hed-2014.png"](Quelle)

+++

10:37 Uhr:
Auskonferiert! Und auf der Startseite tut sich auch was! Gregor hat im neuen Kosmoshörer seine musikalische Woche notiert. Mit Blümchen. Kein Schmarrn!

http://www.youtube.com/watch?v=OgR4S1dSkVQ

Hört rein!

+++

09:58 Uhr:
Vor der Konferenz eine kleine Nachrichtenumschau. Außer Snowden 2 wird heute wichtig:

* In Berlin beginnt heute eine Konferenz über Syriens Flüchtlinge.
* Sehr empfehlen kann ich die Multimedia-Reportage der SZ-Kollegen zum Thema Pest und andere Seuchen.
* Nach den Krawallen am Samstag in Köln erklärt der Fan-Experte (ja, so was gibt es) Michael Gabriel im Interview, was Hooligans und Rechtsextremisten gemeinsam haben.
* Wie Windows 93 (ja, 93!) ausgesehen haben könnte, kann man hier im Browser sehen.
* In Berlin klebt - anscheinend - so was in den U-Bahnen: 

[plugin imagelink link="http://www.schleckysilberstein.com/wp-content/uploads/2014/10/bvg-for-black-people.jpg.client.x675.jpg" imagesrc="http://www.schleckysilberstein.com/wp-content/uploads/2014/10/bvg-for-black-people.jpg.client.x675.jpg"](Quelle)

* Und Robbie Williams hat seine Frau im Kreißsaal wohl ein bisschen genervt...

+++

09:25 Uhr:
 Dieter Nuhr kann lustig sein. Glaubt ihr nicht? Gut, stimmt auch nicht ganz. Trotzdem hab ich heute schon wegen Dieter Nuhr gelacht: Dank Nadja, die mir den Link zum Text "Zehn Witze, für die Dieter Nuhr ins Gefängnis gehört" geschickt hat. Die hat der Autor Michael Bittner gesammelt - inklusive des jeweiligen Straftatbestands. Zwei Beispiele:

(Nuhr:) Saudi-Arabien verbietet Cadburyschokoladen wegen Spuren von Schweine-DNA. Dachte da wäre nur Pferd drin.
Straftatbestand: Pferdefleischwitz

(Nuhr:) Bild findet Görings Modelleisenbahn! Kein ICE! Sonst alles normal. Im RegionalExpress ist jedenfalls das Klo kaputt.

Straftatbestand: unappetitlicher Fäkalhumor; strafverschärfend: unmotivierte Nazierwähnung

+++



(Foto: inkje/photocase.de)

08:34 Uhr:
Jetzt aber thematisch weg von mir und hin zum Ticker des Tages: Heute geht es um die Hemmschwelle beim Absagen. Ist "keine Lust" schon ein ausreichender Grund um eine Verabredung zu canceln? Ich finde ja schon (trau mich das aber selbst praktisch nie). Und ihr so?

+++

08:24 Uhr: 
Für den Besuch (habs eh schon präzisiert, eha) bin ich heute sogar extra früh aufgestanden und habe meine Küche so hinterlassen:





Für Aufräumen war keine Zeit mehr. Dafür scheint das Ergebnis zu stimmen. Als ich nämlich kurz draußen war, sah die Teigschüssel so aus:





Und wir wissen ja: Wenn der Kuchenteig schmeckt, kann der Kuchen nicht so verkehrt werden. (Ihr seht es nicht, aber ich klopfe dabei auf meinen Schreibtisch.)

+++

08:15 Uhr: Guten Morgen, ihr Lieben! Ich bin ziemlich aufgeregt. Erstens: Wir bekommen heute Userbesuch in der Redaktion! Zweitens: Es soll einen zweiten NSA-Whistleblower geben! Ich muss mich jetzt erst einmal beruhigen!

Leserausch

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Die Zeitschriftenflatrate von Readly gibt es nun auch in Deutschland. Am Montag startete das schwedische Unternehmen offiziell sein deutsches Angebot, nachdem es schon Anfang des Monats Titel der Bauer Media Group in seinen internationalen Kiosk aufgenommen hatte. Unter de.readly.com möchte man nun den vierten Markt nach Schweden, Großbritannien und den USA erobern. Readly Deutschland soll dabei als eigenständige Filiale in Berlin mit zehn bis fünfzehn Mitarbeitern etabliert werden, erzählt Stefan Ohlsson, der Chief Content Officer.

Für den Preis von 9,99 Euro monatlich erhalten Readly-Nutzer unbegrenzten Zugriff auf PDF-Versionen von mehr als 750 internationalen Zeitschriften, darunter nun rund 70 deutsche Titel. Zum Start dabei sind Magazine von Bauer (Bravo, TV Movie, Das Neue Blatt), Funke Mediengruppe (Hörzu, Bild der Frau, Herzstück), vom Computerfachverlag IDG Communications Media AG (PC-Welt, GamePro) und der auf Hobbytitel spezialisierten Wellhausen & Marquardt Medien (Puppen & Spielzeug, Rad & Kette, Teddys Kreativ). Hinzu kommt noch die deutsche Vice-Ausgabe.



Zeitschriften-Flatrate für das Tablet oder den PC: der neue Online-Leseservice "Readly" kommt jetzt auch nach Deutschland.

Den Lesern verspricht Readly Lesevielfalt, den Verlagen einen zusätzlichen Verbreitungskanal, der nach den Erfahrungen in Schweden auch nicht auf Kosten bestehender Angebote gehen soll. Es habe sich gezeigt, dass es keine Kannibalisierung gebe, sagt Stefan Ohlsson. Stattdessen führe Readly den Printanzeigen der Verlage neue Beachtung zu. Nach dem ersten Leserausch (Neukunden blättern sich im ersten Monat durch 25 bis 35 Magazine) pendele sich der Zeitschriftenkonsum der Nutzer im Schnitt bei fünf bis sieben Titeln monatlich ein – aus Verleger- und Werbersicht ein immer noch sehr erfreulicher Wert. Zumal Readly Leserforschungsdaten in Echtzeit liefert und die Werbemöglichkeiten auch noch erweitern könnte. Zu im Heft abgedruckten Webadressen etwa werden auf Wunsch bereits jetzt Hyperlinks gesetzt: Der Leser kann dann auf seinem Tablet direkt aus dem Magazin in einen Webshop gelangen. Andere interaktive oder animierte Werbeformen seien denkbar, sagt Ohlsson. In Schweden bietet Readly in getrennten Angeboten auch Flatrates für Tageszeitungen und Bücher an, auch dies sind Marktsegmente, die Ohlsson langfristig in Deutschland gern erschließen möchte. Ob man – nach dem Vorbild Netflix – auch selbst Inhalte produzieren werde, lässt er dagegen offen: „Der Stand von heute ist, dass wir ein Service sind. Wir bringen den Verlagen neue Leser. Was aber die Zukunft bringt, wissen wir nicht.“

Nicht bei Readly erhältlich sind vorläufig die Zeitschriften von Gruner + Jahr oder Axel Springer. Das muss zwar nicht unbedingt so bleiben, fürs erste allerdings setzt namentlich Springer auf ein anderes Startup, nämlich das niederländische Blendle, das ein iTunes-ähnliches Modell anbietet. Das in Utrecht ansässige Unternehmen will Zeitungen und Zeitschriften neue Online-Leserschaften erschließen, indem sie einzelne Printartikel an zentraler Stelle und für Centbeträge einkaufen können, der Verlag bekommt 70 Prozent. Gemeinsam mit der New York Times Company, so gab Blendle gestern bekannt, investiert die Axel Springer Digital Ventures nun drei Millionen Euro bei den Niederländern. „Blendle hat das Potenzial, vor allem junge internetaffine Leser anzusprechen“, ließ sich Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner zitieren. In den nächsten zwei Jahren wollen die Blendle-Gründer Alexander Klöpping und Marten Blanksteijn in neue Märkte expandieren, Deutschland steht ganz oben auf der Liste. Einer der ersten Partner dafür dürfte mit Springers Einstieg wohl feststehen.

Ein Herz ist nicht genug

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An einem sonnigen Nachmittag in der ehemaligen Radsporthalle auf dem Münchner Olympiagelände klappt ein freundlicher Herr ein Holzgitter nach oben und nach unten, ein Gitter, von dem man schon bald erfahren wird, dass es Leben retten kann. Das Holzgestell ist befestigt an einer hübschen und entsprechend kostspieligen Vollholzkommode, man kann es in dem Möbelstück versenken und bei Bedarf kann man es nach oben holen – und das sollte man auch. „Sie glauben ja gar nicht“, sagt der freundliche Herr, „wie viele Kinder beim Sturz von der Wickelkommode verunglücken.“

Herr und Kommode stehen im zweiten Stock der „Babywelt“, einer „Messe rund um Ihr Kind“. Es ist, das muss man so deutlich sagen, die Hölle aller nervös gewordenen Eltern und supernervösen werdenden Eltern. Insgesamt 160 Aussteller ziehen mit der Messe durchs Land, gerade waren sie in München, Anfang November sind die Muttis und Vatis der Hauptstadt im Visier. 160 Aussteller, die all den zahlreich herbeigeeilten jungen Paaren (sichtlich in Erwartung eines Kindes oder mit tütenbeladenen Kinderwägen) zeigen, was man für so ein Baby alles braucht. Es ist mehr, als man glaubt – viel mehr.



Knapp 700.000 Geburten im Jahr 2013 sind ein großer Markt für eine boomende Baby-Industrie.

Es gibt „für jedes Alter das richtige Öl“, das richtige Schlafsäckchen und die richtige Decke (im Design mal lausbubenfrech, mal minimalistisch), dazu einen Fotografen, der das Neugeborene in eine Stricksocke, ein Bastkörbchen oder auf Wunsch sicher auch in eine aufgeschnittene Gemüsehälfte legt. Am besten etwa zehn Tage nach der Geburt, lernt man, da werden die Bilder besonders schön. Dazu ein heiteres Rahmenprogramm für Vater, Mutter, Kind mit singender Ente – „Eins! Zwei! Drei! Quak! Quak! Quak!“ – und einem halben Dutzend Mütter, die sich ihre ratlos dreinschauenden Kleinkinder auf Bauch und Rücken schnallen, um derart bepackt dem geneigten Messebesucher einen Gruppentanz vorzuführen.

Was lernt die werdende Mutter an einem Nachmittag auf so einer Veranstaltung? Die zentralen Voraussetzungen für ein glückliches, nein, überhaupt für ein Babyleben sind dem Slalomlauf zwischen Messeständen zufolge: Biobaumwolle, Bioessen und Biogetränke (auch im Tetrapack), dazu Trage- und Schiebevorrichtungen und Nahrungsergänzungsmittel. Alles käuflich zu erwerben, am liebsten gleich am Stand. Vollkommen gratis gibt es dafür die Erkenntnis: Die größte Bedrohung für dein Kind bist du selbst.

Wer schon mal in einem Drogeriemarkt vor dem Regal mit den Folsäure-Präparaten stand, der weiß, dass sich die wahrscheinliche Gesundheit und das Glück eines Kindes schon lange vor dessen Geburt anhand der elterlichen Konsumbereitschaft errechnen lassen. In den Regalen gibt es nebeneinander etwa zehn Varianten des Vitamins von unterschiedlichen Herstellern für ein paar Euro – und es gibt die hübsche Packung mit der gezeichneten Schwangeren auf der Schachtel. Die kostet geschätzt das Vierfache.

Die Preispolitik auf dem Markt für Kleinkindprodukte erinnert an den für Eheleute. Alles, auf dem das Wort „Hochzeit“ geschrieben steht, etwa ein Brautstrauß, kostet das Doppelte. Alles, auf dem das Wort „Baby“ steht, sowieso. Angeblich, so teilen es Frauen im Internet mit, kann der Körper die Folsäure aus der hübschen Packung besser aufnehmen, also lässt man am Ende seinen Verstand in der Drogerie und kauft die teure Schachtel. Sein Kind ist nun wirklich die allerletzte Stelle, an der man gespart haben will.

Auch der Fabrikant für die schön gestalteten Schwangerschaftsvitamine hat natürlich einen Stand auf der Babywelt, und gemeinsam mit all den Versicherungsvertretern („Damit die junge Familie gesund und munter bleibt!“), Herstellern TÜV-geprüfter und ergonomischer Sitz- und Liegegelegenheiten für den Säugling, Produzenten tiefgekühlter Biobeikost und ewig haltbarer Krabbelschuhe, mit Betreibern von Geburtskliniken und mit Still-Lobbyistinnen erzählt eine Veranstaltung wie diese eine so simple wie Furcht einflößende Geschichte: Alles, ihr lieben Eltern, liegt in eurer Hand. Beziehungsweise in eurem Geldbeutel. Wer alles kauft und alles berücksichtigt, der bekommt quasi einen Garantieschein für ein gesundes und ausgeglichenes Kind mitgeliefert. Wer sich verweigert, der ist am Ende selber schuld.

Man ist schon ganz benommen vom gewaltigen Lärm der Messe und der biologisch abbaubaren Gehirnwäsche, als man noch einer Dame mit einem Packen Flyer in die Hände läuft: Entbindung unter Hypnose. Die ersten drei Geburten, berichtet sie lächelnd, habe sie ohne Hypnose gemacht, auch sehr schöne Erfahrungen. „Aber als ich beim vierten Kind mit den Übungen angefangen habe, da ist es einfach ganz toll durchgelaufen.“

Darauf einen Liter Folsäure.

Wenn Insider auspacken

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Köln – Das Phöbus-Kartell ist legendär: In den 1920er-Jahren vereinbarten führende Hersteller von Glühbirnen aus den USA und Europa in Genf die künstliche Verkürzung der Leuchtdauer, auf dass die Leuchtmittel schneller kaputtgehen und mehr davon verkauft werden können. Das Kartell war äußerst erfolgreich.



Wenn Unternehmen ihre Preise absprechen zahlen die Verbraucher meist zuviel - das Bundeskartellamt versucht immer erfolgreicher das zu verhindern.

Allerdings machten die beteiligten Unternehmen, darunter General Electric, Osram, Philips, einen entscheidenden Fehler. Sie führten fein säuberlich Buch, auch über die Strafzahlungen für diejenigen Kartellmitglieder, die sich nicht an die verbotenen Absprachen hielten. Das erleichterte später amerikanischen Wettbewerbshütern die Arbeit. 1942 klagte die US-Regierung General Electric und andere wegen illegaler Preisabsprachen und unlauteren Wettbewerbs an. Elf Jahre dauerte der Rechtsstreit. Dann verboten die Richter den Unternehmen 1953 die verkürzte Leuchtdauer für Glühbirnen.
So leicht wird es den Kartellbehörden heute nicht mehr gemacht. Unternehmen schließen ihre Absprachen in der Regel im Geheimen ab, oder sie beschränken belastende Unterlagen auf ein Minimum. Meist ist nur ein kleiner Kreis von Managern eingeweiht. Entsprechend schwierig ist es, Kartellen illegales Verhalten nachzuweisen, die den Wettbewerb außer Kraft setzen, zum Schaden ihrer Kunden und unbeteiligter Konkurrenten.

Vor allem deswegen wurde in Deutschland im Jahr 2000 eine Kronzeugenregelung bei Kartellvergehen eingeführt, das sogenannte Bonussystem. Mit Erfolg: Alleine in diesem Jahr wird Kartellamtspräsident Andreas Mundt Bußgelder in Höhe von mehr einer Milliarde Euro verhängen, so viel wie noch nie seit der Etablierung der Behörde in den Fünfzigerjahren. Das liegt natürlich auch daran, dass 2014 gleich drei große Verfahren abgeschlossen werden konnten, gegen Wurst-, Zucker- und Bierhersteller. Von einem „Ausreißerjahr“ ist deshalb in Bonn die Rede. Im Durchschnitt liegen die Bußgelder bei etwa 300 Millionen Euro im Jahr.

Und trotzdem: Die Kornzeugenregelung ermuntert immer öfter Insider, aus einem Kartell auszuscheren und auszupacken. Im Gegenzug erhalten sie teilweisen oder völligen Strafnachlass. Heute wird in Deutschland einem Beteiligten das Bußgeld erlassen, wenn er sich als Erster an die Wettbewerbshüter wendet und das Kartell aufdeckt. Zunächst reicht es, wenn der Kronzeuge einige Mindestangaben über das Kartell macht, um sich den Rang als erster Antragsteller zu sichern. Die restlichen Angaben muss er im Verlauf von maximal acht Wochen nachreichen.

Ein Effekt der Bonusregelung: Kartelle werden instabiler, keiner weiß, ob und wann der andere überläuft. Tatsächlich können sich die beteiligten Mitglieder weniger sicher sein, dass ihre illegale Absprache unentdeckt bleibt. Die Stabilität eines Kartells wird vor allem in Phasen geschwächt, in denen die Beteiligten über ihr Vorgehen uneins sind.

Vergangenes Jahr erreichte die Anzahl dieser Bonusanträge beim Kartellamt mit 65 fast den Rekordwert von 69 aus dem Jahr 2005. Die Bonusregelung können prinzipiell alle Kartellbeteiligten, egal ob natürliche oder juristische Personen wie Unternehmen, in Anspruch nehmen. Kein Pardon kennen die Wettbewerbshüter allerdings bei alleinigen Anführern eines Kartells oder Mitgliedern, die andere zur Teilnahme zwingen.
Inzwischen ermöglichen Kronzeugen etwa jedes zweite Kartellverfahren des Bundeskartellamtes, so wie beim Bierkartell, bei dem Anfang des Jahres hohe Bußgelder verhängt wurden. Anheuser-Busch Inbev Deutschland hatte das Verfahren wegen Preisabsprachen bei Fass- und Flaschenbier ins Rollen gebracht, in dessen Verlauf die Wettbewerbshüter rund 25 Vertreter von Brauereien vernahmen. Neben AB Inbev – unter anderem Hersteller von Beck’s – kooperierten im Laufe des Verfahrens auch die Bierbrauer Krombacher, Veltins und Warsteiner mit den Ermittlern. Für eine solche Kooperation hat das Kartellamt ebenfalls Anreize geschaffen: Wer als Zweiter oder Dritter ein Kartell meldet, kann seine Geldbuße noch um bis zur Hälfte reduzieren. Entscheidend für den Abschlag ist der Zeitpunkt der Kooperationsanzeige. Bislang verhängte das Kartellamt wegen des Bierkartells Strafen in Höhe von mehr als 330 Millionen Euro. Sechs Unternehmen und ein Verband haben Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt.

Für seine Offensive bei der Bekämpfung von Kartellen seit Anfang des Jahrtausends haben die deutschen Behörden neben der Bonusregelung weitere Maßnahmen getroffen: Die Bußgelder wurden durch die 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verschärft, spezielle Abteilungen für die Bekämpfung von widerstandsfähigen Kartellen eingeführt und ein anonymes Hinweisgebersystem eingerichtet. Das System gebe Informanten, die Angst vor Repressalien hätten, eine Möglichkeit, die Kartellverfolgung zu unterstützen, sagte Behördenchef Mundt. Gemessen an der Anzahl abgeschlossener Kartellverfahren haben sich all diese Maßnahmen gelohnt. Während es Anfang des Jahrtausends Jahre gab, in denen gerade einmal ein oder zwei Kartellverfahren abgeschlossen wurden, waren es in den vergangenen drei Jahren 16, 17 und 12 Verfahren.

Für Kartellsünder kann eine Verurteilung richtig teuer werden: Nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kann das Kartellamt bis zu einem Zehntel des betroffenen Jahresumsatzes eines Sünders als Geldbuße verhängen. Der Bundesgerichtshof hat erst im vergangenen Jahr die Verfassungsmäßigkeit dieser unter Rechtswissenschaftlern umstrittenen Norm bestätigt. Geklagt hatten Mitglieder eines Zementkartells gegen ihrer Meinung nach zu hohe Bußgeldbescheide.

Manch einem geht die Macht der rund 350Mitarbeiter des Kartellamts, die im ehemaligen Bundespräsidialamt in Bonn arbeiten, mittlerweile aber zu weit. Dazu zählen Detlef Brendel und Florian Josef Hoffmann, die in ihrem Buch das Kartellamt als „Krake“ bezeichnen, die die Wirtschaft im Griff habe. In ihren Augen sind Unternehmensabsprachen sogar notwendig, um in einer globalen Wirtschaft als Unternehmen zu bestehen. Zweifel an dieser gewagten These kann man jedoch bekommen, allein schon wegen der Machtballung bei wenigen Konzernen. Gerade einmal 150 Unternehmen teilen sich knapp die Hälfte des Weltmarktes, schreibt der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick in „Machtwirtschaft“. Er plädierte für ein unabhängiges europäische Kartellamt.

Immerhin: Das Kartellamt kann für 2014 eine gute Bilanz vorlegen. Die Bußgelder fließen übrigens in vollem Umfang in den Bundeshaushalt ein.

Sprachlos in Köln

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Am Ende dieses Nachmittags kam dann tatsächlich noch Helene Fischer aus den Lautsprechern, „Atemlos“ in einer Akustikversion, gespielt vom Pianisten Davide Martello, der immer da auftritt, wo es brennt, der Menschen, die aufeinander

losgehen, durch seine Musik beruhigen will: In Kundus war er schon, auf dem Maidan in Kiew und auf dem Taksim in Istanbul.

In diese Reihe darf sich nun auch Köln aufgenommen fühlen. Auf dem Breslauer Platz waren Junggesellenabschiede bisher das größte Problem. Am Sonntag klimperte Martello, als die Hooligans den Platz verließen, der einem Schlachtfeld glich. Nach einem Tag, der einen eher sprach- als atemlos gemacht hatte.

So etwas hatte es lange nicht mehr gegeben in Deutschland, eine so große Zusammenkunft von Rechtsextremisten. Mitten in Köln, direkt vor dem Dom. Ein pöbelnder Mob zwischen Familien, gleich neben chinesischen Touristen und dem Sonntagsreiseverkehr auf einem der größten Bahnhöfe des Landes.



NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD)

„Man hat die Lage nicht präzise eingeschätzt“, sagt der CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet. Über Wochen hatte man den „Hooligans gegen Salafisten“ im Internet zuschauen können, wie die Mobilisierung stieg, wie immer mehr Leute auf Facebook ihr Kommen ansagten. Und dann schien die Polizei doch in der Unterzahl zu sein – und überrascht.

Auf der rechten Seite des Bahnhofs wurden Flaschen geworfen und ein Polizeiauto umgestürzt, 49 Polizisten wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Auf der anderen Seite, vor dem Dom, protestierten Linke und Gewerkschaften gegen die Rechten, die Polizei hatte es für eine gute Idee gehalten, einfach die Bahnhofshalle dazwischen zur neutralen Zone zu machen. Dort trafen und rangelten sich Rechte und Linke dann immer mal wieder beim Bierholen. Wobei die Hooligans in beiden Kategorien deutlich in der Überzahl waren, beim Alkohol und den Teilnehmern. Mehr als 4000 sollen es nach den neuesten Schätzungen gewesen sein, die vor dem Bahnhof grölten und tranken. „Hooligans gegen Salafisten“ nannten sich die, die zum Protest aufgerufen hatten. Es war dann eine explosive Mischung verschiedener Gruppen: Rocker waren dabei und rechte Autonome, die genauso aussehen wie die auf der linken Seite, mit Piercings und schwarzem Kapuzenpulli. Ein paar Kurden spazierten herum mit ihrer Flagge und auch „SS-Siggi“ war da, ein Neonazi-Aktivist aus Dortmund. Es waren Leute, die normalerweise so nicht zusammenkommen, die sogenannten Gewaltaffinen aus der Fußballszene, die sich normalerweise gegenseitig verprügeln. Nun standen sie in Köln und brüllten gemeinsam gegen Salafisten.

Als „neue Formation“ bezeichnete Innenminister Ralf Jäger (SPD) die Konstellation am rechten Rand. Viele Veteranen der Hooliganszene waren zu sehen, die sich im fortgeschrittenen Alter offenbar nach festen Strukturen sehnen, die zeigen wollen, dass es sie auch noch gibt. Von einer breiten Bewegung gegen Salafismus und Islamischen Staat (IS) sprachen viele Redner, von der Öffnung zur Gesellschaft hin. Sie haben wohl verstanden, dass man in Deutschland mit Ausländerfeindlichkeit nicht wirklich punkten kann. Wohl aber mit einer aggressiven Haltung gegenüber den Salafisten und dem IS in Syrien. Vor denen haben alle Angst, sogar die Linken.

„Und wir tun aber auch was“, sagt ein Demonstrant auf dem Breslauer Platz. Er kommt noch einmal zurück und befiehlt: „Schreib das auf.“ Mit einem Dosenbier in der Hand für die westlichen Werte, die Aufklärung und so. Vorbild könnte auch die English Defence League sein, die sich in England aus der Hooligan-Szene entwickelte und dort eine der größten antiislamischen Organisationen ist. Für die Demonstration in Köln meldete sich auch eine German Defence League an.

Politik ist Politik. Und Fußball ist Fußball, so traten viele Hooligans früher auf. Längst vermischt sich das Ganze aber. Rechtsextremisten hätten sich der Bewegung angeschlossen, sie aber nicht gesteuert, sagte der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier. Unter anderem seien Mitglieder der Parteien Die Rechte und NPD beteiligt gewesen. Dominik Roeseler von der rechtsradikalen Pro-NRW hatte die Versammlung mit angemeldet, wurde dann aber von der Parteiführung zurückgepfiffen. Die wollte nicht mit gewalttätigen Hooligans in Verbindung gebracht werden. Letztlich, so kann man es sagen, haben sich die Traditionalisten unter den Hools durchgesetzt, diejenigen, die saufen und prügeln wollten.

Für Innenminister Ralf Jäger sind die Krawalle von Köln ein doppeltes Problem. Er hat den Kampf gegen rechts zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht. Und in den vergangenen Monaten gleichzeitig ein neues Konzept eingeführt, das die Polizeipräsenz in den Stadien reduzieren, den Fans und Vereinen mehr Eigenverantwortung übertragen sollte. Innovative Ideen waren das eigentlich.

Doch nun steht Jäger vor einem Scherbenhaufen. Denn die Hooligans sind nicht verschwunden, sie haben sich sogar mit denen anderer Vereine verbündet und sind in so großer Zahl aufgetaucht wie selten zuvor. Jäger sagt nun, es werde gegen alle Gewalttäter ermittelt, 50 Strafanzeigen gibt es schon. „Wir werden die Erkenntnisse dazu nutzen, solche Demonstrationen von gewaltbereiten Hooligans künftig zu verbieten“, verspricht Jäger. „Die rechtlichen Hürden für ein solches Verbot sind hoch, aber die Krawalle in Köln sind schockierend und eine wichtige Grundlage für ein solches Vorgehen.“

Brüsseler Eiertanz

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Glückwünsche nach friedlichen und freien Wahlen gehören zur Brüsseler Routine. Die Beamten von Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso besprechen in solchen Fällen für gewöhnlich rasch die Formulierung, dann geht die gemeinsame Pressemitteilung an den üblichen Verteiler. So war es auch am Montag nach der Abstimmung über das neue ukrainische Parlament. Nur gedauert hat es diesmal vielleicht ein wenig länger als sonst. Man möge sich noch ein bisschen gedulden, bat Barrosos Sprecherin bei der mittäglichen Pressekonferenz. Es seien noch die Einschätzungen von EU-Wahlbeobachtern abzuwarten. Tatsächlich hat die EU sich angewöhnt, in Sachen Ukraine jedes Wort zu wägen.

So klingt dann auch die Erklärung, die am Nachmittag schließlich verschickt wurde. „Dies war ein Sieg der Menschen in der Ukraine und der Demokratie“, ist der einzige Satz, der nach Begeisterung klingt. Ansonsten transportieren die drei Absätze vor allem Sorge, Mahnung und Rat. Auf der Grundlage des Wahlergebnisses müsse nun ein „breiter nationaler Konsens“ gesucht werden angesichts dringend nötiger wirtschaftlicher und politischer Reformen. Ein landesweiter Dialog sei nötig, um die Integration mit der EU voranzutreiben. Worte sind das, die seltsam nüchtern klingen angesichts einer Wahl, in der nach den Schrecken der vergangenen Monate eine große Mehrheit der Ukrainer auf die proeuropäische Karte gesetzt haben.



Der ukrainische Premierminister Jazenjuk

Die vorsichtigen Worte sind auch Ausdruck der sehr unterschiedlichen Erwartungen, mit denen es die EU im Falle der Ukraine zu tun hat. Die Ukraine selbst hat klargemacht, dass sie im kürzlich in Kraft getretenen Assoziierungsabkommen einen Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft sieht. Das aber wird von vielen Mitgliedsländern, vor allem im Westen und Süden, mit größter Skepsis gesehen. Dahinter stehen zum einen Zweifel an der Modernisierungsfähigkeit der Ukraine, zum anderen aber auch die Angst, das könne den russischen Präsidenten Wladimir Putin weiter reizen. Mit starken Worten, militärischer Gewalt und der Unterstützung der Separatisten im Donbass hat der Kremlchef deutlich gemacht, dass er die Zukunft der Ukraine eben nicht in der EU sieht.

Mit überwältigender Mehrheit hätten die Ukrainer Parteien gewählt, die „für eine Annäherung an die EU und deren Werte stehen und die die Unabhängigkeit ihres Landes gegen Moskau verteidigen wollen“, lobte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU). „Russlandfreundliche, kommunistische und rechtsradikale Parteien“ hätten eine Abfuhr erhalten.

„Proukrainisch, prodemokratisch und proeuropäisch“, nannte Rebecca Harms, Fraktionschefin der europäischen Grünen, den Wahlausgang. Sie hatte sich als Wahlbeobachterin in Arbeitervierteln von Kiew ein Bild von der Abstimmung gemacht. Ruhig und „total gut organisiert“ sei die Wahl dort verlaufen. Die Ukraine habe mittlerweile erkennbar Routine im Abhalten von Wahlen. Von der Organisation könne „mancher in der EU noch etwas lernen“.

Auf die Frage, welche Verpflichtungen sich aus der proeuropäischen Wahl für die EU ergeben, antwortete auch Harms vorsichtig. Von langfristigen „Versprechungen“ halte sie wenig. „Wir müssen jetzt viel enger zusammenarbeiten, damit die Ukraine die Reformen durchführen kann, die eine Mitgliedschaft überhaupt erst möglich machen“, forderte sie stattdessen. Außerdem erwarteten die Menschen in der Ukraine von der EU Druck auf Putin. Denn nur wenn der Kreml-Chef Einfluss nehme auf die prorussischen Separatisten, gebe es eine Chance auf Frieden.

Die Menschen in der Ukraine hätten sich für einen Neustart ohne Regierungsbeteiligung von „Extremisten und Populisten“ ausgesprochen, würdigte in Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert die Wahl. Die Bundesregierung begrüße das starke Abschneiden der proeuropäischen Kräfte. Die Wahl sei ein „wichtiger Schritt“ auf dem Weg zur weiteren Stabilisierung der Ukraine, fügte der Regierungssprecher an. Zu bedauern sei, dass einige Teile im Osten der Ukraine nicht „wie erhofft“ in die Wahl einbezogen werden konnten, weil sie von prorussischen Separatisten kontrolliert werden. Damit hätten die dortigen Bürger „ihr demokratisches Recht nicht wahrnehmen“ können.

Die russische Regierung reagierte erwartungsgemäß verhalten. „Ich denke, dass wir diese Wahl anerkennen werden“, sagte Außenminister Sergej Lawrow dem Fernsehsender Life News. Russland liege daran, dass die neue Führung „effektiv“ die innenpolitischen Probleme angehe. Die ukrainischen Politiker müssten „ darüber nachdenken, wie die Einheit des Landes gewährleistet werden kann“.

Union der Unsolidarischen

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Es ist in den vergangenen Monaten viel von Solidarität die Rede gewesen, von europäischer Lastenteilung in der Flüchtlingskrise. Doch tatsächlich offenbaren so manche Staaten der Europäischen Union in der Misere ihren Egoismus und ihre Ignoranz gegenüber EU-Recht: Sie nehmen kaum Flüchtlinge auf und zeigen allenfalls laues Interesse an einer gemeinsamen Verantwortung für die Hunderttausenden Syrer, Iraker oder Somalier, die jedes Jahr in die EU kommen. „Die fehlende Solidarität zwischen den EU-Ländern ist möglicherweise unsere größte Herausforderung“, sagte kürzlich die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström.

Diese Kernfrage hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) denn auch ausgeblendet, wenn er an diesem Dienstag den internationalen Flüchtlingsgipfel in Berlin eröffnet. Stattdessen beraten Minister und Regierungsvertreter aus Dutzenden Ländern sowie UN-Repräsentanten darüber, wie sie den Nachbarstaaten Syriens helfen können, die mit Abstand die meisten Schutzsuchenden aus dem Bürgerkriegsland aufnehmen. Die Bundesregierung kann dabei auf ihr Hilfsprogramm für die Region verweisen, für das sie seit 2012 gut 630 Millionen Euro investiert hat. Davon entfallen etwa 300 Millionen Euro auf humanitäre Hilfe, Mitarbeiter des Technisches Hilfswerkes versorgen zudem Flüchtlinge in Jordanien und im Nordirak mit Wasser.



Steinmeier (SPD, r.) mit dem libanesischen Ministerpräsident Salam

Je länger die Flüchtlinge jedoch in den Nachbarländern ausharren müssen und je schlechter ihre Perspektive auf eine Rückkehr wird, desto lauter werden die Fragen, wo sie langfristig unterkommen sollen. Denn trotz aller Unterstützung für die Türkei, den Libanon, Irak und Jordanien können die Flüchtlinge dort nicht alle bleiben – und sie wollen dies auch nicht. Viele machen sich auf den Weg in die EU – womit sich erneut die Frage nach der Verteilung dort stellt.

Dass Deutschland und andere Länder im Zentrum der EU die Lasten an die Grenzstaaten im Süden abschieben, gilt schon lange nicht mehr. Dies zeigt ein Blick auf die Zahl der Asylbewerber im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Länder. Diese muss man fairerweise berücksichtigen, da es einen großen Unterschied macht, ob ein kleines Land wie Luxemburg 50000 Flüchtlinge aufnimmt – oder ein großes wie Frankreich. Demnach empfängt Schweden mit gut 7000 Flüchtlingen pro einer Million Bürgern die meisten Schutzsuchenden in der EU, gefolgt von Malta und Luxemburg. Deutschland steht an vierter Stelle. Die Zahlen sind klein im Vergleich zu den Nachbarn Syriens, jedoch groß mit Blick auf Länder wie Portugal, Rumänien oder Tschechien, an denen der Flüchtlingsstrom nahezu vollständig vorbeigeht.

Natürlich geben diese offiziellen Zahlen nicht das ganze Bild wieder. Denn nachdem ein Flüchtling seinen Asylantrag gestellt hat, wird per Datenbank geprüft, ob nach den Regeln des sogenannten Dublin-Systems ein anderer EU-Staat für sein Asylverfahren zuständig ist, nämlich der, den der Schutzsuchende zuerst betreten hat. Es werden also Flüchtlinge nachträglich umverteilt. Dies ändert das Bild jedoch nicht entscheidend: Deutschland zum Beispiel hat vergangenes Jahr etwa 4700 Asylbewerber in einen anderen EU-Staat abgeschoben und 1900 aufgenommen – bei insgesamt fast 110000 neuen Asylanträgen. Deshalb skizzieren die offiziellen Asylzahlen trotz allem gut die Lage.

Die Hauptursache für die Lastenverschiebung ist der faktische Zusammenbruch des Dublin-Systems. Begonnen hat er mit gravierenden Mängeln im griechischen Asylsystem. Die vielen Flüchtlinge, die über die Türkei kommen, überfordern das Land. Die Asylverfahren haben Mängel, ebenso viele Unterkünfte. Tausende Flüchtlinge strandeten auf der Straße. Dies erklärt die niedrigen offiziellen Asylzahlen Griechenlands, obwohl weiterhin Zehntausende Flüchtlinge in das Land kommen. Nach einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2010 schieben deutsche Behörden nicht mehr nach Griechenland ab. Faktisch bedeutet dies: Jeder, der über Griechenland einreist, bekommt in Deutschland ein Asylverfahren.

Ähnlich verhält es sich mit Italien. Rom hatte jahrelang eine Lastenteilung gefordert, war jedoch weitgehend auf taube Ohren gestoßen. Die EU-Partner unterstützten Italien nur beim Grenzschutz und Abkommen mit Nachbarstaaten, um die Flüchtlinge zurückzuhalten. Darunter Deutschland, das vor fünf Jahren noch weniger als 30000 Asylbewerber registrierte. Spätestens in diesem Jahr sind die italienischen Behörden jedoch dazu übergegangen, viele Flüchtlinge nicht oder nicht vollständig zu registrieren. Sie reisen einfach weiter, in die Schweiz, nach Deutschland oder Schweden. Eigentlich wäre Italien für sie zuständig, da sie aber nicht in der europaweiten Datenbank Eurodac erfasst sind, lässt sich dies für die Behörden der anderen Länder kaum noch nachweisen. Damit verstößt Italien gegen EU-Recht und hebelt das Dublin-System aus.

Hinzu kommt die sehr unterschiedliche Wirtschaftslage. Italien und Griechenland leiden noch immer an der Krise, es gibt viele Arbeitslose. Deutschland, aber auch Luxemburg oder der Schweiz geht es vergleichsweise gut, hier haben auch Flüchtlinge gewisse Chancen auf einen Job. Und auf eine Arbeit hoffen viele Asylbewerber. Die Krise in Südeuropa führt dazu, dass auch die Flüchtlinge weiterwandern, Richtung Norden, dem Wohlstand hinterher.

Kosmoshörer (Folge 37)

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Montag:
Sirenengesang zieht mich aus dem Bett. Schlaf. Schlurf. Schlürf. Denke ernsthaft über pinke Haare nach. Vielleicht fahr ich heute auch mit dem Skateboard in die Arbeit. Man muss auf jeden Fall mehr Musik mit Frauen-Gesang hören, ihr Machos. Verzaubert.  

https://www.youtube.com/watch?v=ie6plcFQ330

Dienstag:  
Dieses Jahr war ich auf Mallorca im Urlaub. Im Sonnenuntergang fuhren wir nach Hause und fühlten uns leicht. „Mallorca 95.8-Das Inselradio“ spielte dieses Lied.Und das war ein krasser Moment, weil ich das schon immer kannte, aber nie verstanden habe, wie gut das eigentlich ist. Wenn das jetzt im Radio kommt, freue ich mich heimlich, weil ich glaube, dass nur ich das verstehe.  

http://www.youtube.com/watch?v=SqdWTeXWvOg

Mittwoch:  
Ein Freund hat mir letztes Jahr ein Arthur-Russel-Album zum Geburtstag geschenkt. Anfangs spröde und sperrig, musste ich es immer wieder anhören. Jetzt höre ich darin so viele Melodien, die ich nie wieder los werde. Der Musiker Arthur Russel hat in den Achtzigern mit seinem Cello düstere Disco-Tracks gespielt! Nur wenige kannten ihn. Und jetzt klingt das so frisch.  

http://www.youtube.com/watch?v=eq5gjfN5lns  

Donnerstag: 
Wegen des nächsten Stückes habe ich mal kurzzeitig gedacht, „Minimal“verstanden zu haben. Bis mir einer erzählt hat, dass „Minimal“ ganz anders ist. Ich erinnere mich noch, dass ich „Evil Dub“ mal zum Einschlafen mit Kopfhörern ganz laut hören wollte und fast verrückt geworden bin. Psychoaktive Musik. Kopfhörer vom Kopf gerissen. Herzklopfen gehabt.  

http://www.youtube.com/watch?v=oot1vO2o3pI    

Freitag: 
Freitag wird gefeiert. Kleinstadtjunge sein. Wie ein Großstadtjunge fühlen. Kopfsprung vom Zehner machen.  
http://www.youtube.com/watch?v=U7-q1WRaKNg  

Samstag: 
Am Samstag pfeifen doch noch die Ohren vom Ausgehen. Gedankengänge fallen schwer. Man hat Kopfweh. Und Alt-J klingen auf einmal so komisch:  

https://www.youtube.com/watch?v=jD_92f3eiWY#t=50    

Sonntag: 
Am Sonntag muss man sich beruhigen. Einen Spaziergang machen. Mit den besten Freunden Torten essen. Und wenigstens einmal in der Woche hochkulturell sein. Eine Tageszeitung zur Gänze durchlesen. Ein geistreiches Telefonat führen. Die Haare waschen. Mal die Füße genauer anschauen. Einfach ein spanischer Edelmann sein:  

https://www.youtube.com/watch?v=ye-FvKCZp3s    
[seitenumbruch]Gute Musik – was ist das für dich?   
Gute Musik sollte in mir irgendwas öffnen oder auslösen. Einen fiktiven Raum oder eine ungewöhnliche Sichtweise. Und sie muss einen schon länger begleiten. Sonst hat sie den Test nicht bestanden.


Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?  
Ich besitze keinen MP3-Player und die Buchse von meinem Handy ist kaputt. Das führt dazu, dass ich die Fähigkeit verloren habe, ganze Alben zu hören. Es gelingt mir immer seltener, ein aktuelles Album durchzuhören. Wenn es aber mal passiert - und das Album auch noch gut ist -, laufe ich missionarisch herum und erzähle es jedem.
 

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen? 
 
Daheim. Zum Lesen und Außenwelt-Aussperren.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst? 
Ich würde es wohl wichtig finden, ein „Gesamtwerk“ zu kennen, aber gelungen ist mir das noch nie. Wo fängt man an, wo hört man auf? Von neueren Bands kenne ich schon oft alle Alben und kann Entwicklungen sehen. Ich kann dir aber nicht erzählen, wo, wie und wann die Beatles psychedelisch wurden.  

Welche Musik magst du gar nicht und warum? 
 
Das kann ich nur abstrakt sagen. Vielleicht Musik ohne Geist. Und das meine ich wörtlich. Spuk-Geist. Angst-Geist. Erschreck-Geist. Flüster-Geist. Muss hier vorsichtig sein, sonst gehen die Pferde mit mir durch. Eigentlich ist viel Musik hassenswert.Man kann ja schon froh sein, wenn man überhaupt noch checkt, was gut oder schlecht ist. Das fällt immer schwerer, finde ich.
 

Was war deine erste eigene Platte – und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus? 
 
Ich denke „Backstreet Boys“. Ohne großen Bruder oder große Schwester ist man ein musikalischer Niemand, wenn man klein ist. Dann kommen Freunde. Die übernehmen dann die musikalische Erziehung. Nach den Boys kam Noise. Jetzt mag ich Gitarren und Elektronisches. Aber eine Vorliebe für ausgefeilte Choreographien ist geblieben.

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?  
Ich mag Konzerte, aber gehe nicht so oft. Mein letztes ganz großes Konzert waren wohl die Foals in Hamburg. Das ist aber schon lange her, merke ich gerade. Öfters besuche ich aber kleine Konzerte von da wo ich herkomme – wenn da wer vorbeikommt.„Red Fang“ zum Beispiel haben einen bleibenden Schaden hinterlassen; wegen Dosenbierstechen und infernalischen Gitarren-Brettern.

http://www.youtube.com/watch?v=xuR_GxPYFGU  

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung? 
 
Über Freunde und das Internet. Wahrscheinlich ist mein Musikgeschmack viel stärker von irgendwelchen Algorithmen beeinflusst als ich das begreife. Meine neueste Entdeckung:  

https://www.youtube.com/watch?v=CfUVmzWmrow
  

Verrate uns einen guten Song zum...   
Aufwachen: 

https://www.youtube.com/watch?v=tUX4OMkSRpI


Tanzen: 
 

https://www.youtube.com/watch?v=bibXZUZVonw
 

Traurig sein:
  

http://www.youtube.com/watch?v=2z_gi6AniEo
 

Sport treiben:


Das gibt schnell einen Herzkasperl. Also immer langsam zuerst.  

https://www.youtube.com/watch?v=OgR4S1dSkVQ  

Als nächsten Kosmoshörer wünsche ich mir:

Meinen einzigen jetzt-Freund JoergZentes.

Wie lege ich Geld in Aktien an?

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Der erste Job, das erste feste Einkommen. Das Gefühl: Was mache ich jetzt damit? Früher war das klar: Während der Schulzeit hatte ich mein Taschengeld auf meinem Sparbuch gesammelt und mich am Jahresende über ein paar Euro Zinsen gefreut. In der zehnten Klasse bat ich meine Eltern, einen Bundesschatzbrief für mich zu kaufen, mit einer Laufzeit von mehreren Jahren. Zu Beginn meines Studiums eröffnete ich ein Online-Depot mit Tages- und Festgeldkonten. Und jetzt? Vielleicht mal Aktien? „Nur wenige junge Leute investieren in Aktien“, sagt Rüdiger von Nitzsch, Professor für Entscheidungsforschung und Finanzdienstleistungen an der Aachener RWTH University. „Viele sind unsicher, wollen das Risiko nicht auf sich nehmen.“ Dabei sei es eigentlich ein Vorteil, schon früh Wertpapiere zu kaufen, weil man „schrittweise investieren und die Papiere lange behalten“ könne, sagt von Nitzsch. 

Das Risiko kann man natürlich nicht leugnen. Als Aktieninhaber ist man Miteigentümer an den Vermögenswerten eines Unternehmens. Steigt der Wert des Unternehmens, gewinnt man, fällt er, sinkt auch der Wert des eigenen Anteils. Diese Abhängigkeit von den Kursen gilt als riskant, weil Schwankungen nicht vorhersehbar sind. Wertpapiere haben aber im Vergleich zu anderen Anlageformen auch einen Vorteil: Sie besitzen Sachwertcharakter. Viele Großunternehmen bestehen schon lange, ihre Aktien haben Währungsreformen und auch Staatsbankrotte überlebt, während Sparbücher und Bankguthaben so oftmals entwertet worden sind. Anders aber als weitere Sachwerte wie beispielsweise Gold bieten Aktien zusätzlich laufende Erträge: Dividenden, also Anteile am Gewinn eines Unternehmens, die regelmäßig ausgeschüttet werden.

Wie riskant ist es wirklich, in Aktien zu investieren? Grob gesagt: Es kommt darauf an, was man kauft. Um das Risiko einzuschätzen, kann man die Risikoklassen zu Rate ziehen, die Bundestag und Bundesrat in Deutschland festgelegt haben. Anlagen in Tages- oder Festgeld, Spareinlagen und Pfandbriefe, aber auch europäische Geldmarktfonds zählen auf dieser Skala zur ersten, also sichersten Klasse. Festverzinsliche Wertpapiere finden sich in der zweiten Risikoklasse wieder, Aktien von großen, global agierenden Unternehmen (sogenannten Blue Chips: Das sind die großen, global agierenden Unternehmen im Aktiensprech.) in der dritten. Einige Aktien und Fonds sind in der fünften und höchsten Klasse zu finden – das sind Papiere, mit denen man auf Preisentwicklungen in der Zukunft wetten kann und die für Anfänger eher nicht geeignet sind.

An der Börse kann man Aktien nicht direkt kaufen oder verkaufen, sondern nur über einen Broker, den man mit der Durchführung von Wertpapierordern beauftragt und der dafür eine Courtage erhält. Oft übernimmt diese Aufgabe die eigene Bank, bei der man ein Wertpapierdepot eröffnet hat. Aktienbesitzer entscheiden sich, sich von einer bestimmten Anzahl eines ihrer Papiere zu trennen und legen einen Mindestpreis fest, zu dem sie verkaufen wollen. Andere Anleger beschließen, Aktien zu kaufen und legen einen Höchstpreis fest, den sie zu zahlen bereit sind. Wenn diese Werte sich treffen, kommen sogenannte „Orders“ - so nennt man Kauf- oder Verkaufsaufträge an der Börse, zustande.

Ein Wertpapierdepot kann man oft bei der eigenen Hausbank oder über Direktbanken eröffnen, die es nur online gibt. Bei den Direktbanken sind die Konditionen oft besser. Am wichtigsten ist es, bei der Kontoeröffnung auf die Kosten und Provisionen zu achten: Gewährt eine Bank eine bestimmte Anzahl kostenloser Orders pro Monat? Nimmt sie eine Pauschale pro Kauf oder Verkauf? Wie passt das zu deinem eigenen Vorhaben?

Aber: Wie legt man denn jetzt am besten an? Wenn man langfristig Vermögen aufbauen will, gibt es einige Grundregeln, an die man sich halten kann. „Zuerst einmal sollte man schauen: Wie viel Geld kann ich pro Monat zur Seite legen? Welchen Betrag brauche ich nicht für den Alltag? Und diese Summe dann Monat für Monat investieren“, sagt von Nitzsch. „Es reichen auch schon 50 bis 100 Euro, man muss nicht gleich ein Vermögen investieren.“ Er betont, dass man auf keinen Fall Geld investieren solle, auf das man eventuell angewiesen ist. So kann man das Kapital langfristig angelegt lassen. „Anfängern empfehle ich außerdem, breit zu diversifizieren, weltweit aufgestellt zu sein“, sagt von Nitzsch. Damit meint er, dass Einsteiger möglichst Aktien aus unterschiedlichen Branchen, Ländern, Regionen und Währungsräumen kaufen sollten, um das Verlustrisiko zu minimieren. Fällt mal ein Kurs oder macht ein Unternehmen nicht so viel Gewinn, gleicht sich das so aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer anderen Anlage aus. Von Nitzsch empfiehlt außerdem, auch über eine Investition in Indizes nachzudenken, also in ganze Märkte zu investieren. Vorstellen kann man sich das, als würde man in ein Bündel von Aktien investieren – denkt man, dass die deutschen Aktien insgesamt steigen werden, würde man also auf den Deutschen Aktienindex (DAX) setzen. Genau so geht das aber auch mit Rohstoffen – glaubt man, dass der Kaffeepreis steigen wird, setzt man genau darauf.

„Ganz wichtig: Liegen lassen“, sagt von Nitzsch außerdem. Zehn bis 15 Jahre sollte man sein Geld investiert lassen, sich bloß nicht von Kursfällen abschrecken lassen, weder in Angst verfallen noch in Gier. Wenn man sich nicht zutraut, diese Emotionen unter Kontrolle zu haben, ist es immer noch am besten, man setzt sich ein Limit, überlegt sich also, bei welcher Kurshöhe man verkaufen will, sollte der Kurs zu sehr fallen oder aber steigen – ansonsten ist die Gefahr groß, dass man immer mehr will und am Ende eventuell zu viel verliert. 

Zusätzlich zum profitorientierten Anlegen empfiehlt von Nitzsch außerdem, aus ethischen Gründen auf die Ausrichtung von Unternehmen zu achten. „Es gibt nicht so viele Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit und ethische Standards setzen“, sagt er. „Oft muss man bei diesen Unternehmen auch eine höhere Broker-Gebühr bezahlen.“ Trotzdem empfiehlt er zu überlegen, ob einem etwas weniger Gewinn es wert ist, ein Unternehmen zu unterstützen, dass beispielsweise auf faire Arbeitsbedingungen und Umweltschutz achtet. „Besonders in Krisenzeiten lohnt es sich sicher, diese Unternehmen näher ins Visier zu nehmen“, sagt von Nitzsch, er vermutet, dass die ethisch handelnden Unternehmen stärker durch Krisen gehen.

Übrigens: Erträge aus Aktiengeschäften unterliegen in Deutschland der Steuerpflicht. Seit 2009 sind Kapitalerträge pauschal mit einem Steuersatz von 25 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer belegt. Allerdings kann die Kapitalertragssteuer vom Finanzamt zurückgefordert werden: Steuerpflichtigen steht ein jährlicher Freibetrag in Höhe von 801 Euro für alle Kapitalerträge zu.
Fünf Tipps für den Aktienkauf:

1. In Aktien solltest du nur investieren, wenn du Geld übrig hast, das du für nichts Anderes brauchst. Da reichen schon etwa 50 bis 100 Euro im Monat, die du regelmäßig anlegst.
2. Lege nicht nur in eine Aktie an, sondern streue deine Anlagen über Branchen, Regionen und Währungsräume.
3. Relativ sicher kannst du zu Beginn auch in Indizes investieren.
4. Achte darauf, dass deine Anlagen mit deinen ethischen Wertvorstellungen übereinstimmen – die Spekulation mit Wertpapieren kann den realen Preis von beispielsweise Grundnahrungsmitteln stark beeinflussen.
5. Werde nicht panisch, wenn deine Aktien an Wert verlieren. Werde aber auch nicht gierig, wenn die Werte deiner Papiere steigen.


Nicola Staender, 23, ist neugierig und will die Tipps des Entscheidungs- und Finanzdienstleistungsprofessoren anwenden. Sie muss aber noch ausrechnen, wie viel Geld sie pro Monat zur Seite legen kann, um es in Aktien anzulegen.

E wie Engelmann-Peak

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Auftritt

Klar: Auf der Bühne zu stehen, ist für jeden Poetry Slammer das Wichtigste. Er oder sie geht da raus, trägt einen selbstgeschriebenen Text vor und stellt sich der Wertung des Publikums (→ Jury). So ein Auftritt ist oft sehr kurz, da es ein Zeitlimit gibt (→ Regeln) – unter Umständen reist ein Slammer also acht Stunden von Freiburg nach Kiel (→ Zug), um fünf Minuten aufzutreten.

Beruf
Gerne und oft an Slammer gestellte Frage: „Kann man davon leben?“ Die Antwort lautet: jein. Für Auftritte bei Poetry Slams gibt es oft gar keine oder nur eine kleine Gage, den Teilnehmern von außerhalb werden die Fahrtkosten und eine Übernachtung gezahlt (oder sie werden privat untergebracht). Viele machen sich aber einen Namen als Solo-Künstler, Comedians, Kabarettisten, Musiker oder Buchautoren – die Karrieren, für die Slam ein Sprungbrett sein kann, sind vielfältig. Wurzeln im Slam haben zum Beispiel Marc-Uwe Kling, Nora Gomringer, Julius Fischer, Sebastian 23 und Fiva.

Champion
Gibt es am Ende jedes Poetry Slams – egal, ob er im örtlichen Gymnasium vor den Eltern der Teilnehmer oder in der o2-Arena in Hamburg stattfindet. Der Sieger bekommt Ruhm, Ehre und Schnaps oder einen Büchergutschein. Bei den deutschsprachigen Meisterschaften fällt der Preis etwas größer aus. Im vergangenen Jahr reiste der Sieger zum Beispiel in die USA, das Ursprungsland des Poetry Slams (→ Papi → Ursprünge).

Duktus
Slammern wird gerne vorgeworfen, sie klängen „alle gleich“. Das stimmt natürlich nicht – aber man kann auch nicht leugnen, dass es einen bestimmten Slam-Duktus gibt, den viele, vor allem frei vortragende Slammer und diese vor allem bei lyrischen, ernsten Texten pflegen. Ein berühmtes Beispiel: Julia Engelmann (→ Engelmann-Peak).

Engelmann-Peak
Durch die Schauspielerin und Slammerin Julia Engelmann Anfang 2014 verursachtes Aufmerksamkeits-Hoch für Poetry Slams, das sich auch in den Zuschauerzahlen der Veranstaltungen niederschlug. Im Mai 2013 trug Engelmann beim Bielefelder „Hörsaal-Slam“ ihren Text „One Day / Reckoning Text“ vor. Aus einem bis heute unbekannten Grund ging das → YouTube-Video des Auftritts fast ein Jahr später auf einmal viral und hat mittlerweile mehr als sieben Millionen Views.

FK Interslam 09
Die offizielle Fußballmannschaft der Slam-Szene, die jedes Jahr im Rahmen der deutschsprachigen Meisterschaften gegen ein ausgewähltes Team antritt. Gegner in diesem Jahr: die Damen-Regionalliga-Mannschaft 1. FFC Fortuna Dresden. Deren Vorteil: regelmäßige Spielpraxis. Vorteil des FK Inter Slam: kreative Schmähgesänge.

Genre
Solange man sich an die → Regeln hält, darf man alles machen, was man möchte: Lyrik, Prosa, Hip-Hop, Ein-Mann-Theaterstücke, Mehr-Mann-Theaterstücke (→ Team) oder irgendwas, was bisher noch nicht erfunden wurde.

„Heavy Metal!“
Ausruf von Slammern im Publikum, wenn der oder die Vortragende auf der Bühne einen Texthänger hat. Sorgt für Zwischenapplaus und Jubel statt peinlichem Schweigen, hält das Publikum bei Laune und hilft dabei, Gedächtnislücken zu schließen.

Irrtümer, beliebte
Poetry Slams sind immer lustig. Poetry Slams sind fair (→ Jury → Losglück). Ein auf einem Poetry Slam vorgetragener Text heißt „Slam“.

Jury
Sieger und Verlierer eines Slams werden von einer Publikums-Jury bestimmt. Das Bewertungssystem ist allerdings von Veranstaltung zu Veranstaltung verschieden. Mal werden zufällig zehn Personen ausgewählt, die mithilfe von Jury-Tafeln nach jedem Vortrag Punkte von 1 bis 10 vergeben, mal wird per Applauslautstärke abgestimmt, mal hat jeder im Publikum eine Stimme, die zum Beispiel durch Handzeichen, das Hochhalten eines brennenden Feuerzeugs oder einen auf einen Stab gesteckten Dichtungsring abgegeben wird.

kollektiver Orgasmus
Bei einer Bewertung der Slammer durch → Jury-Tafeln wird das Punkte-Spektrum (angelehnt an die Worte des amerikanischen Slammers und Slam-Veranstalters Bob Holman) vom → Slam-Master gerne so erklärt: „Eine Null für einen Text, der nie hätte geschrieben werden dürfen. Eine Zehn für einen Text, der einen kollektiven Orgasmus im Publikum auslöst.“

Losglück
Die Auftritts-Reihenfolge bei einem Slam wird gelost. Weil der Wettbewerb über mehrere Runden geht (mindestens Vorrunde und Finale, oft auch mit Halbfinale), die Bewertung der → Jury meist unmittelbar nach jedem Text erfolgt und sie erfahrungsgemäß höher ausfällt, je später der Abend ist (wegen der Stimmungskurve und wegen Bier), hat man am wenigsten Chancen die Vorrunde zu überstehen, wenn man auf einem der vorderen Startplätze landet. Slammer-Erzählungen von Niederlagen beginnen darum oft mit dem Satz „Ich wurde auf Startplatz 1 gelost....“. Teils wird versucht, dem Faktor des Losglücks mit einem→ Opferlamm entgegenzuwirken.

Motzerei
Poetry Slam wird geliebt – und gehasst. In den Feuilletons und bei den Literaten des Landes kommt er oft schlecht weg. Beliebte Punkte: Die literarische Qualität lasse zu wünschen übrig; zu viel flacher Humor, zu wenig Anspruch; die Texte klängen alle gleich (→ Duktus); aus der einstigen Subkultur sei eine brave, gefallsüchtige Mainstream-Veranstaltung geworden.

Auf der nächsten Seite: von N wie "Nachwuchs" bis Z wie "Zug".
[seitenumbruch]Nachwuchs
Seit einigen Jahren wird der Poetry-Slam-Nachwuchs stark gefördert, es gibt Workshops an Schulen und in Kulturzentren und eigene Veranstaltungen für Teilnehmer, die jünger sind als 20 Jahre. Mittlerweile finden sogar separate U20-Slam-Meisterschaften für Nachwuchs-Slammer und -Slammerinnen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum statt, die in diesem Jahr in Berlin ausgetragen wurden.

Opferlamm
Slammer oder Slammerin, der oder die vor dem Beginn des eigentlichen Slams außer Konkurrenz antritt, damit die → Jury eine Eichwertung abgeben kann, an der sie sich für den Rest der Veranstaltung orientieren soll. Wie gesagt: soll. Macht sie natürlich nicht immer (→ Losglück).

Papi
oder „Slam-Papi“. Liebevolle Bezeichnung für den Erfinder des Poetry Slams, den Dichter Marc Kelly Smith aus Chicago (→ Ursprünge).

Qualifikation
Das ursprüngliche Veranstaltungskonzept sieht vor, dass jeder mitmachen kann, der mitmachen will. Darum hat man auf Slam-Bühnen schon die erstaunlichsten Auftritte gesehen und Texte gehört – von unfassbar gut bis grottenschlecht. Viele, vor allem größere und etablierte Veranstaltungen laufen aber mittlerweile zum großen Teil oder sogar ganz über Einladungen. Dann kann nur auftreten, wen der Veranstalter ausgewählt hat. Und für die deutschsprachigen Meisterschaften muss man sich über einen regelmäßig stattfindenden Slam oder eine Landesmeisterschaft qualifizieren.

Regeln
Sind simpel, aber unbedingt einzuhalten: selbstgeschriebene Texte, kein Gesang (nur als Zitat), keine Requisite (Textblätter oder Bücher sind erlaubt), keine Verkleidung, Zeitlimit (meist zwischen fünf und sieben Minuten).

Slam-Master
Veranstalter und/oder Moderator eines Poetry Slams. Alle Slam-Master treffen sich ein Mal im Jahr im Rahmen der deutschsprachigen Meisterschaften, um über verschiedene, die Slam-Szene betreffende Themen zu sprechen und darüber abzustimmen, wo die nächsten Meisterschaften stattfinden sollen.

Teams
Wenn mindestens zwei sich zusammentun, können sie als Slam-Team auftreten. Die Kategorie „Team“ ist auch fester (und beliebter!) Bestandteil der jährlichen deutschsprachigen Meisterschaften. Vorteil im Team: mehr Performance-Möglichkeiten. Nachteil im Team: mehr Arbeit.

Ursprünge
Erfinder Marc Kelly Smith (→ Papi) gründete 1986 den ersten Poetry Slam der Welt in der Chicagoer „Get Me High Lounge“. Von dort zog er bald in den Jazz-Club „Green Mill“ um, der heute als Wiege des Slams gilt. Der erste Slam Deutschlands fand in Berlin statt, es folgten München, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg. 1997 fanden die ersten deutschsprachigen Meisterschaften statt. → Champion wurde damals der Berliner Slammer Bas Böttcher.

Varianten
Man muss ja nicht immer nur Leute ihre selbst geschriebenen Texte vortragen lassen. Darum gibt es zum Beispiel Dead or Alive Slams (Poetry Slammer vs. Schauspieler, die Texte berühmter, bereits verstorbener Autoren performen), Science Slams (Wissenschaftler treten mit Power-Point-Präsentationen zu ihrem Spezialthema gegeneinander an), Song Slams (Liedermacher vs. andere Liedermacher), Jazz Poetry Slams (Poetry Slam mit Jazz-Band-Begleitung), Hate Poetry Slams (Journalisten lesen fiese Leserbriefe vor), Box Slams (Slam im Boxring, Verkleidung erlaubt) und viele andere Spielarten – Hauptsache, das Publikum ist die → Jury und am Ende gibt es einen → Champion.

Wachstumsrate
Extrem hoch! In den vergangenen zwanzig Jahren sind allein in Deutschland mehr als 250 Poetry Slams entstanden. Auf myslam.net gibt es eine (nicht vollständige) Karte, auf der deutsche Slams verzeichnet sind. 

Xóchil A. Schütz
Bekannte deutsche Poetry Slammerin, die das Glück hat, einen Namen mit X zu tragen und so einen eigenen Platz in diesem ABC zu bekommen.

YouTube
Vielleicht (und aus Versehen) die größte Poetry-Slam-Plattform des Internets. Es gibt dort unzählige Videos von verschiedensten Auftritten, mal professionell aufgenommen, mal mit der Handykamera mitgeschnitten. Texte können so zu Hits werden wie einzelne Songs (→ Engelmann-Peak) und Slammer hören nach einem Auftritt oft den Satz „Ich kenn’ dich von YouTube!“ Aber auch in anderen Medien gibt es Poetry Slams, weil sich alle gerne mit etwas schmücken, das im besten Falle „Literatur“ und „Jugend“ vereint. Slams gab es daher schon auf SWR 2, im WDR, auf Sat1 Comedy oder ZDF Kultur.

Zug
Hauptverkehrsmittel der meisten aktiven Slammer. Neben vielen Siegen und vielen Einladungen zu Slams ist der Bahn-Comfort-Status (den man erreicht, wenn man (mit Bahn Card!) für mehr als 2000 Euro im Jahr mit der Bahn fährt) ein wichtiges Indiz für den Erfolg (oder zumindest die Umtriebigkeit) eines Slammers.

Die 18. deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften finden dieses Jahr in Dresden statt - Startschuss ist am Dienstagabend mit der Eröffnungsgala, das Finale wird am Samstag, 01.11., im Alten Schlachthof ausgetragen.

Ich hasse, was du liebst

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Es gibt Dinge, die haben klammheimlich Einzug gehalten in den erlauchten Kreis der Sachen, die man einfach gut finden muss. Unumstößlich stehen sie auf einem Sockel der kollektiven Anbetung – und so schnell wird keiner kommen, um sie dort runterzuholen. Weil es eben „common sense“ ist, sie für gut und bedeutend zu halten.

Ich weiß noch, wie mir auf einer gar lustigen Party jemand erzählte, er gehe jetzt bald zu einem „Holi-Fest“. Da gäbe es dann Techno und irgendwann schmeißen sich alle für teures Geld gekaufte Farbbeutel ins Gesicht und schießen ein paar Selfies für die Daheimgebliebenen.



Sieht total nach Spaß aus - kann man aber auch doof finden.

Der Party-Gast tat mir leid. Vor meinem inneren Auge sah ich schon, wie sich alle von dem kindischen Gast abwenden würden und er mit zitternder Unterlippe darüber nachzudenken hätte, wie er sich mit diesem peinlichen Geständnis so ins Abseits hatte schießen können.

Doch zu meinem Entsetzen waren die umstehenden Gäste voller Neid und Bewunderung für die mutige und spaßige Annäherung an die indische Kultur, die der Partygast vorhatte.

Und ich merkte, dass es da wohl etwas gibt, das alle supertoll finden. Ich aber nicht.

Das war eine existentielle Erfahrung, denn ich spürte eine innere Leere in mir aufsteigen. Ich gehörte nicht dazu und auf Mitgefühl oder Zustimmung konnte ich nicht hoffen. Auf einmal war ich allein. Und würde ich meine Abneigung öffentlich aussprechen, wüsste ich nicht einmal, wie ich argumentieren sollte.

Sollte ich sagen, „Ich finde das einfach doof“, würde ich klingen wie ein bockiges Kind. Man könnte es sachlich probieren, dachte ich mir: „Holi-Feste sind ein Ausdruck jugendlicher Dekadenz und unangebrachter Unbekümmertheit in weltpolitisch unsicheren Zeiten!“ Aber niemand mag neunmalkluge bockige Kinder. Ich blieb also lieber still.

Mit dieser Erfahrung bin ich nicht alleine. Nur selten brechen mutige Menschen das Schweigen und bekennen öffentlich ihre Abneigung gegen Katzen oder die eigene Verwandtschaft: Tabubrüche, die einen schnell mal zum Außenseiter machen. Oder hast du schon mal versucht, was gegen „Radiohead“ zu sagen?

Deswegen heute unser Abrechnungs-Ticker: Was finden alle toll, du aber überhaupt nicht? Und woher kommt diese Abneigung, die es eigentlich nicht geben „darf“?
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