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Primania in Deutschland

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Berlin – Es ist kurz vor neun Uhr morgens, die Sonne knallt auf die zubetonierte Alexanderplatz-Wüste, und Jessica steht mit ihrer Freundin vor dem Eingang der Primark-Filiale. Drei Stunden werden die beiden 13-jährigen Mädchen ausharren. Seit Wochen fiebern sie der Eröffnung von Deutschlands 13. Primark-Filiale entgegen. Müssten sie nicht in der Schule sein? „Für Primark schwänzen wir“, sagt Jessica. 100 Euro hat sie dabei

– und ein kleines schlechtes Gewissen: „Ja, klar, die Kleider von Primark werden bestimmt alle von Kindern genäht, aber ich kann mir kein T-Shirt für 30 Euro leisten.“ Beim irischen Discounter kosten T-Shirts 2,50 Euro. Die meisten verlieren schon nach einer Wäsche die Fassung. Jessica findet das: „Egal. Bei zwei Euro für ein T-Shirt schmeiße ich es eben weg, wenn es nicht mehr passt.“



Der Primark in Berlin kurz vor der Eröffnung und dem großen Ansturm.

Drinnen steht Breege O’Donoghue, die Primark-Chefin. Gerade wartet sie, dass Irlands Premierminister Enda Kenny, der später noch die Bundeskanzlerin treffen wird, zur Shop-Einweihung eintrifft. O’Donoghue ist 70 Jahre alt, sie kommt zu jeder Eröffnung. Mit ihrem Alter (und ihrem Vorstandsgehalt) ist sie ziemlich weit entfernt von ihrer Zielgruppe. Spricht man sie darauf an, sagt sie: „Alles, was ich trage, ist von Primark und hat nur 42 Euro gekostet“. Das goldglänzende Armband auch? „Of course not“, sagt sie.

Primarks Erfolgsrezept sei, „dass wir so preiswert sind“. Vermutlich aber auch, dass die Kette in Ländern herstellen lässt, in denen der Monatslohn 70 Euro beträgt? Ihre Lippen werden schmal. „Wir betreiben ethischen Handel“, sagt sie. Abrupt wendet sie sich ab. Sie müsse ihre Rede noch mal überfliegen.

Es gibt inzwischen schon ein Wort für den Wahnsinn, der sich abspielt, wenn Primark eine neue Filiale eröffnet: „Primania“. Auf der Internetseite von Primark können Kunden unter diesem Stichwort seit ein paar Monaten Fotos hochladen, die sie in Primark-Klamotten zeigen. Der Wahnsinn ist, dass die Kunden das tatsächlich machen. Primark ist eine Geldmaschine, die vor allem deshalb schwarze Zahlen schreibt, weil sie auf Werbung und Online-Versand verzichtet und auf etwas setzt, was Deutsche gerne praktizieren: Geiz.

Bei der Gier nach Schnäppchen setzt oft das Gewissen aus. Vielleicht sollte man für einen Moment einfach mal diese Zahlen für sich sprechen lassen: Gibt man bei Google die Wörter „Primark“ und „Arbeitsbedingungen“ ein, erhält man 150000 Suchergebnisse. Wer „Primark“ und „Shopping“ eintippt, bekommt 5,5 Millionen Ergebnisse. Darunter auch sehr viele Youtube-Videos, auf denen Mädchen ihre Primark-Tüten auspacken und die Ausbeute vorführen. Eine bessere Werbung kann sich der Konzern gar nicht wünschen – sie kostet ihn nichts und kapitalisiert die Lust junger Mädchen, sich in sozialen Netzwerken zur Schau zu stellen.

Manche dieser Videos sind schon über eine Million Mal angeklickt worden. Youtube platziert auf ihnen Werbung. Auch das ist wohl eine Art Volks-Wirtschaft: Ein Konzern schaltet keine Anzeigen, weil seine Kunden die besten Werbeträger sind. Die Kunden filmen sich in Primark-Bikinis und Primark-Blusen und bekommen von Youtube Geld, weil der Dienst ihre Videos mit Werbung zupflastert. Mit dem Youtube-Lohn finanzieren die Primark-Kunden ihre Shoppingtouren. In diesem geschlossenen System sind alle glücklich, bis auf die, die keine acht Euro besitzen für Jeans: Die Primark-Näher.

Im vergangenen Jahr ist in Bangladesch ein neungeschossiges Gebäude eingestürzt, 1134 Menschen wurden damals getötet und 2438 verletzt. Im zweiten Stock hatten 580 Angestellte des Primark-Zulieferers „New Wave Bottoms“ Hosen und Hemden zusammengenäht – die meisten von ihnen haben den Einsturz nicht überlebt. Primark hat nach eigenen Angaben 12 Millionen US-Dollar Entschädigung an die Opfer und hinterbliebene Familienangehörige gezahlt. Ob der Konzern die Löhne in Bangladesch erhöht hat, darüber macht das Unternehmen keine Angaben.

Hubertus Thiermeyer ist Landesfachbereichsleiter für Handel der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Bayern. Er sagt: „Wer ein T-Shirt für zwei Euro kauft, muss wissen, dass jemand anderes den Preis dafür bezahlen muss.“ Primark gehört zum britischen Giga-Konzern Associated British Foods, der unter anderem Marken wie die Teefirma Twinings besitzt und das aus der Schweiz stammende Malzgetränk Ovomaltine. 276 Primark-Filialen gibt es in neun europäischen Ländern – der Umsatz ist so gigantisch, dass der Konzern jetzt in die USA expandieren wird.

Am Ende eines Tages gleichen Primark-Läden Schlachtfeldern. Horden von Mädchen, Frauen und jungen Männern probieren mitten im Laden an, weil die Schlangen vor den Umkleidekabinen endlos sind. Die Sachen, die sie nicht kaufen, lassen sie auf dem Boden liegen. Doch weder Wühltisch-Ambiente noch angebliche Hilferufe chinesischer Arbeiter können dem Label etwas anhaben. Vor wenigen Tagen waren in Primark-Kleidern Etiketten entdeckt worden, auf denen angeblich Arbeiter Hilferufe notiert hatten wie „bis zur Erschöpfung zum Arbeiten gezwungen“. Der Konzern ließ prüfen und kam zu dem Befund, dass es sich bei den Hilferufen um Fälschungen handele. In dem walisischen Ort Swansea, wo die beiden Primark-Kleider gekauft worden waren, habe Monate zuvor eine Kunstaktion mit solchen Etiketten stattgefunden, bei der Besucher ermutigt worden waren, solche Etiketten in Kleidung einzunähen. Inzwischen ist auch ein dritter „Fall“ bekannt geworden, bei dem eine Kundin in Belfast in einer Dreiviertel-Hose einen auf Chinesisch verfassten Hilferuf gefunden habe. Die örtliche Zeitung South Wales Evening Post berichtete nun, eine Kunststudentin habe für ein Projekt mit einer chinesischen Universität ähnliche Zettel hergestellt. Die Studentin habe auf Anfragen bisher nicht reagiert – und ihr Twitter- und Facebook-Profil gelöscht.

Drei Stunden nach der Eröffnung steht die Luft in Berlins zweiter Primark-Filiale am Alexanderplatz. Zwei junge Mädchen verteilen am Eingang Zettel, auf denen steht: „Ausbeutung ziehen wir nicht an.“ Ein 52 Jahre alter Mann kommt auf sie zu und sagt: „Ich hoffe, dass in Berlin noch mehr solche Läden aufmachen.“ Die Mädchen sind perplex. „Aber wissen Sie, wie die Arbeitsbedingungen bei Primark sind? Würden Sie 14 Stunden sechs Tage in der Woche in einer Fabrik nähen, ohne Krankenversicherung?“
Der Mann macht es kurz: „Ja, würde ich. Denn von Eurer Ideologie werde ich nicht satt. Ich sammele Pfandflaschen, um meine spärliche Rente aufzubessern.“

Ich Opfer

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Paris – Er fühlt sich rein und unschuldig wie ein Lamm. „Niemals“, so hat Nicolas Sarkozy im Fernsehinterview geschworen, „niemals habe ich das Vertrauen der Franzosen gebrochen.“ Genauso, wie der Ex-Präsident „niemals“ etwas getan haben will, „was gegen das Recht verstößt“. Sarkozy, seit Dienstag der Korruption und der illegalen Einflussnahme verdächtigt, wähnt sich als Opfer. Die Bösewichte, die wahren Täter sieht er auf der anderen Seite: Unter jenen, die ihn seit Jahren „jagen“ würden und die ihn nun in 15-stündigen Vernehmungen „erniedrigt“ hätten – in der Justiz also. Es ist eine alte Feindschaft, die Frankreichs früherer Präsident da im Fernsehen zelebrierte.



Nicolas Sarkozy fühlt sich nicht nur von der Presse, sondern auch von der Justiz verfolgt.

Schon vor zehn Jahren, damals noch als Innenminister, hatte er einen Magistrat wegen dessen lästigen Ermittlungseifers attackiert. Allen voran die Untersuchungsrichter ziehen seinen Zorn auf sich. Sie dürfen in Frankreich in größter Unabhängigkeit und mit bisweilen erstaunlich drastischen Methoden ermitteln: Sarkozys Telefonate mit seinem Anwalt wurden monatelang abgehört. Mal beschimpfte er die Richter als „kleine Erbsen“, mal wollte er sie gleich ganz abschaffen. Nun greift Sarkozy wieder an. Per Breitseite prangert er eine angebliche „politische Instrumentalisierung der Justiz“ an. Und er teilt gezielte Hiebe aus: Allen voran attackiert der frühere Präsident „diese beiden Damen“, die ihn kurz nach Mitternacht am Mittwochmorgen – bewacht von fünf Polizisten – zum Verhör in Paris einbestellt und „grotesken Vorwürfen“ ausgesetzt hätten. Beide Untersuchungsrichterinnen, so lautet sein Vorwurf, seien voreingenommen und parteiisch. Sie wollten „Revanche“, nicht Gerechtigkeit.

Sarkozy ging im TV-Interview nicht so weit, die Namen seiner angeblichen Häscherinnen zu nennen. Aber sie sind bekannt. Patricia Simon und Claire Thépaut, Sarkozys „Damen“ genießen unter Kollegen wie sogar bei Anwälten von Mandanten, denen sie in der Vergangenheit zusetzen, einen ausgezeichneten Ruf. Patricia Simon, mit 47 Jahren die Ältere und Erfahrene der beiden, hat sich vor Jahren auf Finanzdelikte und Korruption spezialisiert und steht im Ruf, eine hartnäckige Ermittlerin und „ein wahres Arbeitstier“ zu sein.
Claire Thépaut, 42 Jahre alt, arbeitete jahrelang in den rauen Vorstädten nördlich von Paris, ehe sie vor zwei Jahren auf ihren heutigen Posten als Untersuchungsrichterin für Wirtschafts- und Finanzkriminalität im Herzen der Hauptstadt wechselte. Von keiner der beiden Frauen gibt es Fotos, ihre Gesichter bleiben anonym. Das dient auch ihrer Sicherheit – denn Sarkozys Helfer sind seit Dienstag dabei, ein Zerrbild von ihnen zu malen. In ihr Visier geraten ist vor allem Claire Thépaut. Prominente Politiker aus den Reihen der konservativen Oppositionspartei UMP werfen ihr „Parteilichkeit“ vor und unterstellen ihr, sie sei gegenüber Sarkozy „von Gefühlen des Hasses“ getrieben. Als Beweis genügt ihnen Thépauts Mitgliedschaft in einer kleinen, sehr wohl linken Gewerkschaft: dem Syndicat de la Magistrature (SM).

Diese linke Standesorganisation war zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, als Journalisten in ihrem Büro eine Pinnwand voller Fotos französischer Prominenter entdeckten: „Mur de Cons“ (Mauer der Idioten) stand über den Konterfeis zumeist rechter Politiker, Publizisten und Journalisten – und mittendrin hing ein Bild von Sarkozy. Zudem hatte das Syndikat 2012 dazu aufgerufen, bei der Präsidentschaftswahl gegen Sarkozy zu stimmen.

Jenseits des Gewerkschaftsausweises gibt es keine Beweise für eine persönliche Befangenheit der Richterin. Rechte Vorhaltungen, Thépaut sei einst Funktionärin der Gewerkschaft gewesen oder habe einen Hetzartikel gegen Sarkozy verfasst, erwiesen sich als falsch. Auch der Verdacht, sie sei von der linken Regierung gesteuert worden, zerstoben. Was zurückbleibt sind Zitate aus einem Interview, in dem Thépaut nach der Abwahl Sarkozys die Hoffnung äußerte, fortan wieder „in Ruhe und Gelassenheit“ und „mit mehr Respekt für die Gewaltenteilung“ arbeiten zu können.

Beim Volk scheinen die Klagen Sarkozys bisher wenig zu verfangen. 63 Prozent seiner Landsleute glauben laut einer Umfrage im Le Parisien vom Donnerstag, ihr ehemaliges Staatsoberhaupt werde von der Justiz „wie jeder andere Verdächtige auch“ behandelt. Allerdings äußern 80 Prozent der UMP-Anhänger den Verdacht, Sarkozy werde übermäßig hart angefasst. Sarkozys Sterne scheinen unter dem Eindruck seiner Affären zu sinken. Laut einer Umfrage des Fernsehsenders BFMTV hoffen zwar 75 Prozent seiner Parteifreunde, dass ihr Idol 2017 bei der Präsidentschaftswahl wieder antritt. Aber 65 Prozent aller Franzosen haben genug von ihm.

Urlaubsplaner vs. Spontanreisende

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Hund und Katz, Noel und Liam, Anwohner und Barbesucher: klar. Die hassen einander von Berufs wegen. Aber es gibt schönere, subtilere Feindschaften. Denen widmen wir die Serie "Alltagsduell". Hier findest du alle Folgen.

Die Situation:  


Wer fünf Monate im Voraus einen Flug nach Bangkok bucht, zahlt nur einen Schnäppchenpreis. Der Reiseplaner weiß das. Mit Hilfe des neuesten Lonely Planets legt er gleich die Reiseroute für die ersten anderthalb Wochen fest. Die Übernachtungen in Hostels (natürlich nur in denen mit guter Bewertung) hat er online gleich günstig dazu gebucht - super, alles save! Die restlichen anderthalb Wochen will er dann anhand von Empfehlungen der anderen Backpacker im Hostel planen, gleich nach Ankunft, damit man auch sicher ein Zimmer in den jeweiligen Orten bekommt - und dank Smartphone ist das ja auch in Bangkok echt easy.
 


Beide wollen nur eines - Urlaub machen. Doch wenn der Spontanreisende auf den Urlaubsplaner trifft, gibt's Spannungen.

Der Spontane hat hingegen gerade die letzte Prüfung geschrieben, jetzt sind Semesterferien! Sechs Wochen Zeit. Was tun? Asien wäre mal was, nur die Flüge sind so kurzfristig ziemlich teuer. Egal, da muss Oma den Geburtstagsbonus dieses Jahr eben schon mal früher rausrücken. Zwei Tage später geht’s los, nach fast 24 Stunden Reisezeit (nur die Flüge mit Zwischenstopps waren noch halbwegs bezahlbar) rinnt der Schweiß und das Hostel, vor dem der Taxifahrer anhält, kommt dem Spontanen sehr gelegen. Glück muss man haben! Ein Bett ist noch frei und sauber ist es auch. Vielleicht hat der Typ im Bett nebenan ja einen Plan, wo man hier am besten was zu essen bekommt und was man generell in Thailand so gesehen haben sollte...

Nach dem dritten Bier beschließen sie, ab morgen gemeinsam weiterzureisen. Der Typ scheint einen krassen Reiseplan zu haben, aber das stresst den Spontanreisenden nicht. “Ich will morgen erstmal ausschlafen. Dann können wir ja sehen, wie es weitergeht…” Dass der Planer schon ein Busticket gekauft und ein Hotelzimmer gebucht hat, kommt dank der Reise-Euphorie gar nicht beim Spontanen an.

Dort treffen sie aufeinander:


In überfüllten Hostelzimmern, der Hostelküche oder der hauseigenen Backpacker-Bar. Selten auch an Bus-Stationen, wo der Planer gezielt nach dem Bus 533 Ausschau hält, der Spontanreisende hingegen gerade nur falsch abgebogen und daher zufällig dort gestrandet ist.   

Darum hassen sie einander:   


Der Unentbehrlichkeit des Anderen wegen. Alleine reisen macht auf Dauer einsam. Der erste Schluck Bier nach einem schwülen Tag zwischen Kamikaze-Moped-Fahrern, die einen fast mit in den Tod reißen, schmeckt einfach besser wenn jemand neben einem sitzt. Der Planer kann jedoch nicht mit anderen Planern reisen, da dies häufig zu Plan-Kollisionen führt, der Spontanreisende wäre mit anderen Spontanen komplett verloren und müsste auf der Parkbank übernachten, weil alle Hostels voll sind. Gemeinsam versuchen sie der Reise-Einsamkeit zu entfliehen und sich gegenseitig zu bekehren. Die Konfusität und Planlosigkeit treibt den Planer spätestens bei der ersten unfreiwilligen Änderung seiner Reiseroute in den Wahnsinn. Dem Spontanreisenden, der des Planers Strukturiertheit zu Beginn noch amüsant findet, vergeht ebenso schnell das Lachen und er beginnt den Planer samt seiner Engstirnigkeit satt zu haben.

Das ist die besondere Schönheit dieses Konflikts:


Während der Spontane versucht gegen die klar strukturierten Routen des Planers anzukämpfen und der Planer sich verzweifelt gegen die Planlosigkeit des Spontanen wehrt, geschieht etwas, was beide nicht gleich bemerken. Der Planer und der Spontane arbeiten sich nicht nur aneinander ab - sie nähern sich auch einander an. Der Planer beginnt den Reiz spontaner Entscheidungen zu erkennen und der Spontane muss zugeben, wie beruhigend ein im Voraus gebuchtes Hostelzimmer sein kann.

Das können wir von ihnen lernen:  


Eigentlich findet der Planer den Spontanreisenden ja toll - er ist so frei, so entspannt! Der Spontanreisende bewundert hingegen klammheimlich den Durchblick des Planers, der immer weiß wie es weiter geht und keine Sehenswürdigkeit verpasst.
Bei dem Zusammenstoß zweier Grundhaltungen - strikte Planung und planloses Chaos - entsteht so etwas Neues: Die beiden treffen sich in der Mitte und üben sich in Gelassenheit und Organisation.

Meine Theorie: Internetlügen machen klüger

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Mit 12 Jahren habe ich eine ganz schlimme Mail bekommen: Ein Mädchen namens Nathalie war schwer an Leukämie erkrankt und suchte ganz dringend einen Blutspender. AB-negativ sollte der sein, eine seltene Blutgruppe, die in meiner Familie aber zufällig jemand hat. Ich war völlig durch den Wind, zeigte die Mail meiner Mutter und machte mir nächtelang Gedanken über die arme Nathalie. Irgendwann gab meine damals ebenfalls noch internetunerfahrene Mutter nach und wir schrieben dem Mädchen zurück. Direkt darauf kam eine automatisierte Antwort: sie schrieb, sie sei Opfer eines üblen Scherzes geworden, habe überhaupt keine Leukämie und man solle sie bitte in Ruhe lassen. Mein erster Hoax.  

Jetzt also „Wubbing“. Vergangene Woche wurde das Video bereits auf viralfördernden Seiten wie Schlecky Silberstein oder Eye said it before geteilt, dabei soll es sich um einen Tanz handeln, bei dem man eine Radlerhose mit Phallusartigem Schlegel anzieht. In dem sehr professionellen Filmchen erzählen junge Schwarze, wie sie deshalb verhaftet wurden und eine Pseudo-Managerin erklärt, man könne damit auch in Europa durchstarten.
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=Yyk1qezYKXk

Das Gute an dem Video: Niemand kommt mehr auf die Idee zu fragen „Ist das echt?“ Die Frage lautet nur noch: „Wer steckt dahinter?“ Da auf der Webseite alle Links zu McDonald’s führen, wird ein Unternehmenssprecher angerufen, der sagt, er wisse von nix. „Lüge“ unken die ersten bereits, denn: Das kennen wir ja von Opel. Die hatten auch ganz Deutschland mit ihrer komischen „Umparken im Kopf“ Kampagne vollgepflastert und auf Nachfrage erstmal geschwiegen. Am Ende sagten sie dann aber doch stolz: Jep, das war von uns. Habt ihr nicht gedacht, hm? Reingefallen.  

Glaube keinem Video, das du nicht selbst gefälscht hast


Wenn ich mir Videos oder kleine Geschichtchen im Internet angucke (und das passiert sehr oft, schließlich arbeite ich bei jetzt.de und wir verlinken das Zeug ja auch fleißig im Tagesblog), ist es mir gar nicht mehr möglich zu denken „Ach nett / lustig / traurig / furchtbar.“ Ich frage mich nur noch, was die Absicht dieser viralen Geschichte ist. Ein bisschen wie bei den Statistiken, die man ja auch nur glauben soll, wenn man sie selber gefälscht hat -  jeder, wirklich jeder, der etwas im Netz hochlädt, verfolgt damit ein Ziel.  
Das war so lange okay, wie es ersichtlich war. Wenn Friedrich Liechtenstein für Edeka „Supergeil“ singt, finde ich das transparent, weil am Ende eben „Edeka“ steht. Bei vielen anderen Filmchen wünscht man sich mittlerweile allerdings oft eine Bundesprüfstelle wie die der ARD, die Youtube Videos aus Kriegsgebieten auf Echtheit überprüft. Jemand der einem sagt: „Diese total lustige Selfie von Ellen deGeneres auf der Oscar-Verleihung war von Samsung gesponsert – du machst dich zum werbegesteuerten Trottel, wenn du es teilst“. Der einen davor warnt, der Familie eines kleinen entstellten Mädchens Geld zu spenden, das nach einer Hundeattacke angeblich bei Kentucky Fried Chicken rausflog. Weil die Familie die Geschichte vermutlich erfunden hat (die Hundeattacke leider nicht).

Ich will gar nicht behaupten, dass das Internet je ein Ort der Unschuld war. Aber je mehr die Werbung Internetnutzer als Zielgruppe erkennt und Klickzahlen die Erfolgsmarke sind, umso mehr werden wir auch mit Geschichten geflutet, die vor allem eins sind: Nicht wahr.  


In Anbetracht der täglichen neuen Filmchen und Geschichten im Internet fällt es schwer, nicht auf einen Hoax reinzufallen

Nun könnte man virale Geschichten einfach boykottieren. Faktisch bringt das nichts. Zum einen, weil die Menschheit auch ohne mich auf sie stoßen wird, zum anderen, weil diese Geschichten, ob wahr oder erfunden, nun einmal doch oft sehr unterhaltsam sind. Das Meme von Ryan Gosling, der ein T-Shirt trägt auf dem Malcaulay Culkin ein T-Shirt mit Ryan Gosling trägt, war gephotoshopt. Das macht’s natürlich weniger lustig, sieht aber immer noch gut aus.

Da eine Hoax-Bundesprüfstelle momentan nicht realistisch ist (die haben ja nicht mal ein Internetministerium), bleibt nur eins zu hoffen: Dass wir tatsächlich lernfähig sind. Youtube-Videos und Memes als eine Art Kunst betrachten, die beim Zuschauer eine Reaktion provoziert, aber nicht automatisch aus dem echten Leben stammt. Wenn dieses Denken so sehr auf die Spitze getrieben wird, wie bei den vom „Zentrum für politische Schönheit“ angeblich organisierten„Kindertransporten des Bundes“ für syrische Flüchtlinge, kann es sogar wieder umgekehrt funktionieren: Da war eine Aktion von Anfang an ein offensichtlicher Hoax, der aber zum Nachdenken über eine wichtige Sache geführt hat.  

Die „Wubbing“-Geschichte war übrigens tatsächlich keine Aktion von McDonald's, sondern von dem US-Komiker Jimmy Kimmel.„Damn you, Jimmy Kimmel“ war einer der häufigsten Kommentare von Leuten, die darauf reingefallen waren. Wenn Leute wie er, die uns nur eine Sendung und zumindest kein Produkt verkaufen wollen, so etwas noch ein paar Mal öfter machen, bleibt die Hoffnung, dass es irgendwann auch der letzte kapiert hat: Das Internet lügt verdammt oft. 

Wir haben verstanden: KW 27

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  • Um Tilo Jungs Frauenbild steht’s nicht zum besten

  • Ein Film ist nicht automatisch gut, weil Scarlett Johansson darin nackt ist

  • Studenten sind genau so wichtig wie Angela Merkel – findet zumindest die NSA

  • Nicht verstanden: Wie soll man Vorurteile gegenüber Franzosen abbauen, wenn sie die Präsidenten einfach selber jedes mögliche Klischee erfüllen? Kurz vor wichtigen WM-Spielen liegt sehr viel Hektik in der Luft.

  • Es gibt viel zu viel zu lesen auf der Welt. Es gibt ja schon zuviel zu lesen neben dem eigenen Bett!

  • Dinge, auf die es ankommt im Leben: Knutschen, Mittagsschläfchen und immer genug Geld für eine Packung M&M Peanuts in der Tasche haben.

  • Vielleicht hat es einen Grund, dass die meisten super klingenden Kinofilme vom Filmfest es dann doch nicht richtig ins Kino schaffen. Nämlich den, dass sie einfach ein bisschen zu langweilig sind.

  • Eigentlich ganz schön dufte, wenn man einen Freund hat, der im geheimen Nebenberuf Limohersteller, Eismacher, Koch, Schreiner und Innenarchitekt ist. 

  • Wenn man mal wirklich ernsthaft regelmäßig Medikamente nehmen muss, schafft man es immer. Schade, dass das mit all diesen gesunden prophylaktischen Vitamin-, Cranberry-, Zink- und Hefetabletten nicht auch so laufen kann, die bleiben nämlich immer liegen, bis sie ablaufen.

  • WG-Feiern sind auch kein werbefreies Umfeld mehr.

  •  Diese Fußball-WM ist schon krass aufregend. So aufregend, dass Mehmet Scholl “Gänsehautentzündung” bekommt.

  • Aber in den Achtelfinals war es wie bei Partys: Es reicht, wenn man eine Stunde nach Beginn da ist, vorher ist eh nix los.

  • Eigentlich ist das, was Lionel Messi auf dem Fußballplatz macht, vollkommen unmöglich

  • Wenn man kurze Hosen und T-Shirts trägt, gibt es auch weniger Stoff am Körper, den man mit Soßentropfen eines Döners vollkleckern kann.

  • Zukunftsangst macht reiselustig.

  • Wenn Deutschland Syrien wäre, wäre ganz Leverkusen tot.

  • Frische Baumstriezel am Samstagmorgen = geiler Scheiß.

Mädchen, warum seid ihr immer so furchtbar nett?

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Das Wort „Stoffel“ ist laut Duden eine Koseform von „Christoph“, und da fängt es schon an. Stoffel sind die, die sich nicht vorstellen, wenn sie sich als letzte an einen Tisch setzen. Die auf den Boden starren, wenn man sie an der U-Bahn-Haltestange wiedererkennt. Stoffel legen keinen Wert auf sozialen Schmierstoff, der die Verzahnung von Fremden und nur spärlich Bekannten leichtgängig macht. Statt zu lächeln und zu plaudern, mit unverbindlichem Floskulieren um schwierige Situationen zu tänzeln, schweigen die Stoffel. Die Beklommenheit, die sich so teuflisch schnell und dröhnend unangenehm zwischen Halbfremde schiebt - sie sitzen sie aus. Stoffel sind die Parkkrallen unter den Mitmenschen. Und sie sind eigentlich immer: männlich.


Der Christoph, auf den der Begriff zurückgeht, war der Legende nach ein Typ, der sich gelegentlich zu einer „ungeschlachten Gestalt“ verwandelte. Er war also eine Art Hulk unter den volkstümlichen Chimären. Bis heute sieht der Duden im Stoffel eine „ungehobelte, etwas tölpelhafte“, aber eben auch „männliche Person“. Einer der berühmtesten Popkultur-Stoffel ist Jack Nicholson in „Besser geht’s nicht“, ein herablassender, grober Klotz voller Zwangsneurosen und Vorurteilen. Robert DeNiro hat seit „Meine Braut, ihr Vater und ich“ eigentlich nur noch Stoffel gespielt, der Stoffel ist die Rolle seines Lebensabends.


Vom ungeschlachten Christoph bis zu dem Typen, der im selben Stockwerk arbeitet und auch nach zwei Jahren geteilter Teeküche nicht Hallo sagt: Warum fallen uns nur Männer ein, die mit dieser desinteressierten Kauzigkeit ihre Mitmenschen frustrieren? Ein weiblicher Stoffel ist uns nämlich weder aus Funk noch Fernsehen noch aus persönlicher Anschauung bekannt. Es scheint, als trüge auch die verbittertste Altjungfer immer noch ein paar alte Reserven an Nettigkeiten in der Handtasche, für den Fall dass das schwergängige Uhrwerk, das dieses soziale Miteinander ja leider sehr oft ist, noch ein bisschen geölt werden muss.


Warum bloß seid ihr immer so umgänglich? So unkauzig, so fluffig-angenehm, so unbürokratisch nett? So grundsätzlich an guten Vibes und smoothem Smalltalk interessiert? Arbeitet ihr hart daran? Lernt ihr es auf dem Weg zur Erwachsenen? Oder kommt euch das Nettsein ganz natürlich aus der Hüfte? Und wenn wir mal ganz eigennützig fragen dürfen: Was ist der Trick?


[seitenumbruch]




  Stoffel: Wie gut ich sie kenne in allen Ausformungen und Aggregatszuständen. Und du hast recht, zu 90 Prozent sind sie männlich (und gehen mir unfassbar auf die Nerven, je älter ich werde).  

Es ist schon etwas dran an diesen altbekannten Gemeinplätzen, dass Mädchen schon im Kleinkind-Alter eingebimst wird, sich sozial zu verhalten. Zu teilen, andere Kinder in ihr Spiel mit einzubeziehen, nett und höflich zu den Mitmenschen zu sein. Kurz gesagt: Das Miteinander für alle Beteiligten so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir üben das ein. Und mit gutem Grund: Bis vor nicht allzu langer Zeit war es die wichtigste (und oft einzig mögliche) Rolle von Frauen, der Schmierstoff im sozialen Miteinander zu sein, das Leben für die Menschen um sie herum so angenehm wie möglich zu machen, was eben auch bedeutet, Reibungen minimal zu halten, damit es flutscht. Weil es sonst einfach zu anstrengend wird. Und ein echtes Zaubermittel dafür ist: Nett sein. Umgekehrt bedeutete das Jahrhunderte lang für die Männer, dass es für sie nicht ganz so wichtig war, soziale Kompetenzen zu erlernen, weil dieser Bereich ja auf ihre Mütter, Schwestern, Gattinnen ausgelagert war – die hielten die Familie zusammen, erinnerten sich an sämtliche Geburtstage aller Erbtanten und sorgten dafür, dass ihr Fred Feuerstein-Gatte bei nachbarschaftlichen Konflikten nicht gleich die Keule auspackte, sondern es erst einmal mit einem Gespräch versuchte.  

Nicht, dass wir uns da falsch verstehen: Es gibt viele Mädchen und Frauen, denen Smalltalk ein Graus ist und die von Natur aus eher die Tendenz zum Eremitendasein haben. Aber wir arbeiten dagegen an, unter anderem auch, weil es uns gar nicht erlaubt ist, in dieser Hinsicht aus der Bahn zu scheren. Heute können wir zumindest theoretisch alles werden, was wir uns in den Kopf gesetzt haben: Karrierefrau, Profi-Sportlerin, Verteidigungsministerin, feministische Hausfrau.
Nicht akzeptiert dagegen sind die Berufszweige verrückte Professorin, eigenbrötlerische Wissenschaftlerin oder noch im Elternhaus lebende Videospielerin ohne jegliche Sozialkompetenz. Diese Berufsfelder bleiben weitestgehend euch überlassen. Ich beneide solche kauzigen Menschen manchmal sehr. Einfach mal genau das sagen, was einem gerade durch den Kopf geht. Sich nicht ständig rückversichern, ob das nun gesellschaftlich akzeptables Verhalten ist oder nicht. Nicht ständig Gespräche mit Menschen führen, für die man sich eigentlich gar nicht besonders interessiert. Das muss ganz schön befreiend sein, wenn man so ganz ohne Schere im Kopf und Maulkorb vor dem Mund einfach so daher reden kann und sich über niemanden Gedanken machen muss, außer sich selbst. Leider ist es aber unfassbar unangenehm für alle anderen Beteiligten, die mit solchen Menschen zu tun haben.  

Selbstverständlich kenne ich auch einige weibliche Super-Stoffel (um genau zu sein: zwei). Komischerweise rege ich mich über die nicht ganz so auf, wie über ihre männlichen Pendants. Zum einen liegt es daran, dass der weibliche Kauz so selten vorkommt, dass er geradezu exotisch und erfrischend anders wirkt, wenn man ihm zum ersten Mal begegnet. Zum anderen habe ich festgestellt, dass ich bei Frauen mit extremen zwischenmenschlichen Defiziten oft eher den Eindruck habe, dass hinter dem Verhalten keine Unverschämtheit und Wurschtigkeit anderen Menschen gegenüber steckt, sondern eine handfeste psychische Störung. Was vermutlich nur daran liegt, dass man tatsächlich geradezu schockiert ist, wenn man diesem Verhalten bei einer Frau begegnet.    

Übrigens ist die Kehrseite unserer so tief verwurzelten Neigung, Konflikte zu vermeiden, dass es uns tendenziell schwer fällt, sie offen anzusprechen und aus dem Weg zu räumen. Und so gut wir darin sind, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, so gut sind wir darin, sie sehr zielgenau zu torpedieren. Aber das ist ein ganz anderes Fass, das ein andermal aufgemacht werden soll.   

christina-waechter

Wochenvorschau: So wird die KW 28

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Wichtigster Tag der Woche:  
Der Samstag! Zum einen ist da Wochenende, was immer großartig ist - zum anderen feiert eine Freundin Geburtstag und je nach Wetter gibt es vielleicht eine Grill-Sause auf dem Balkon, was noch viel großartiger ist.


Kulturelles Highlight: 
Am Freitag wird die Jahresausstellung
der “Akademie der Bildenden Künste München” eröffnet - da gibt es aktuelle Arbeiten von Studierenden zu sehen, zum Beispiel aus so spannenden Fachrichtungen wie “Schmuck und Gerät” aber auch Malerei, Medienkunst und ganz viel mehr. Außerdem kann ich endlich mal eigene Werke von den Spreez-Jungs sehen - fünf Studenten, die in Eigenregie einen coolen "Off-Space" im Westend eröffnet haben. Dort zeigen sie aber keine eigenen Werke, sondern solche Dinge:



Soundtrack: 
Am Donnerstag spielt Shantel mit seinem Bucovina Club Orkestar auf dem Tollwood und da will ich unbedingt hin. Bei seinen Balkan-Beats kriege ich einfach immer gute Laune. Und seine Konzerte sind meistens eine große Tanz-Party!


http://www.youtube.com/watch?v=5Qi5UeL5ECM


Wochenlektüre: 
Schon viel zu lange liegt “Quasikristalle” von Eva Menasse bei mir auf dem Nachttisch und wartet darauf, von mir endlich fertig gelesen zu werden. In 13 Geschichten wird aus den unterschiedlichsten Perspektiven das Leben der Xane Molin erzählt. Spannend, wie die Identität eines Menschen durch den jeweiligen Betrachter konstruiert und verändert wird.

Kinogang:
Die Woche soll es ja leider wieder regnerisch werden. Da passt es gut, dass am Mittwoch das zweite WM-Halbfinale ist. Ein bisschen beneide ich aber die absolut Fußball-Desinteressierten: Die können zur Shorts Attackim Werkstattkino in München gehen. Unter dem Motto “Beach me!” werden dort zehn Kurzfilme zum Thema Sommer, Sonne und Strand gezeigt.

Geht gut diese Woche:  
Bei hoffentlich trockenem Wetter endlich mal wieder klettern gehen!

Geht gar nicht:
Sich von zu vielen Freizeitoptionen stressen lassen - im Sommer gibt es einfach immer mehr tolle Dinge, als man tatsächlich machen kann.

Woher der Hass? TV-Kommentatoren

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Auch diese WM ist für Béla Réthy keine leichte. Aber was ist schon leicht, wenn man Fußballspiele kommentieren muss? Im Internet fordern Leute ständig, dass er gefälligst abgesetzt werde, oder sie erzählen, dass sie grundsätzlich den Ton ausschalten, wenn er seine Arbeit macht: "Ich lass immer auf einem zweiten Fernseher eine Dauerwerbesendung laufen, wenn Béla kommentiert. Selbst wenn es um Pfannen und Töpfe geht – es passt fast immer besser zum Spiel."

Für Béla Réthy ist das besonders fies, denn es wirkt dann immer so, als sei er ein besonders schlechter Fußballkommentator. Das ist natürlich Quatsch, denn Fußballkommentatoren sind alle gleich schlecht. Auch Wolff-Christoph Fuss würde von allen gehasst, müsste er im ZDF Deutschlandspiele kommentieren. Ein Kommentator hat einen Job, in dem er nichts richtig machen kann. Entweder er ist zu parteiisch oder zu emotionslos. Entweder er hat keine Ahnung oder er gibt an mit Detailwissen, das ihm Praktikanten zurechtgelegt haben. Nicht mal richtig sprechen kann er, beschwerte sich die Frankfurter Allgemeine neulich, nämlich nur "entweder mit der Ignoranz eines Fanmeilenprolls (Albizeleste, Selesau) oder mit jener prätentiösen Überkorrektheit, die das exotische Wesen fremder Mannschaften erst recht unterstreicht".



In einer Angela-Merkel-Welt der abgesichterten Mini-Statements steht der Fußball-Kommentator im rauen Wind des Zufalls.


Der Kommentator kann im Gegensatz zu den Spielern unter ihm auf dem Platz nur verlieren. Dauernd passiert irgendwas Spontanes und irgendwie soll er das auch noch vorausahnen. Lobt er einen Spieler, fällt genau der im Moment des Lobes durch eine dumme Abwehraktion auf. Hält der Kommentator die Spannung hoch ("Alles ist noch drin, man denke nur an das Champions-League-Finale Bayern gegen Manchester"), passiert dann doch nichts mehr. Erklärt der Kommentator das Spiel für beendet ("Man kann schon mal zum Einzug ins Halbfinale gratulieren"), kippt dann doch alles noch um. Ruft der Kommentator "Abseits", war’s doch keins, sagt er "Hier lag der Schiedsrichter falsch", straft ihn die Video-Wiederholung Lügen.

An dieser Stelle muss nun Angela Merkel ins Spiel kommen. Denn man sollte sich klar machen, was für eine außergewöhnliche Tätigkeit das Live-Kommentieren eines unberechenbaren Spiels in Zeiten der Merkel-Republik ist; in Zeiten also, in der die oberste Maxime von Menschen in der Öffentlichkeit ist, bloß keine Angriffsfläche zu bieten. Wer im Fernsehen zu sehen oder auch nur zu hören ist, weiß, dass er nur wasserdichte, aseptische Kurzstatements abliefern darf, die alles oder nichts heißen können. Bloß nichts sagen, was sich morgen als falsch erweisen könnte, sonst wird man nachher bei Günther Jauch darauf angesprochen.

Nur der Fußballkommentator steht noch draußen im rauen Wind des Zufalls, in einer Welt, in der nichts sicher ist, aber uns trotzdem immer jemand sagen soll, was genau gerade passiert, wie das einzuordnen ist und welche Auswirkungen es auf unser Wochenende hat. Konsequenterweise hassen wir ihn, weil er sich dabei manchmal irrt. An Béla Réthy statuieren wir ein Exempel: Wer sich aus dem Fenster lehnt, den schubsen wir auf jeden Fall hinaus.


Wo traust du dich nicht mehr hin?

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Anfang des Jahres hatte ich einen guten Vorsatz: Ich wollte regelmäßig schwimmen gehen. Am 2. Januar war ich das letzte Mal im Becken. Es ist nicht meine Schuld, echt nicht. Ich war wirklich motiviert. Gerade erst war ich in eine Wohnung in unmittelbarer Schwimmbadnähe gezogen und meine Schwestern hatten mir zur Unterstützung meiner großkotzig verkündeten Pläne (drei Mal die Woche! Vor der Arbeit!) sogar eine Zehner-Karte zu Weihnachten geschenkt. Neun Mal habe ich immer noch.

Als ich zum ersten Mal in meinem Triangel-Bikini der vorletzten Strandsaison über die Fußpilzfliesen des Hallenbads watschelte, hörte ich folgenden Satz: „Hammse eijentlich Knieschmerzen?“ Er kam vom Bademeister und beantwortete damit eine Frage, die ich mir stelle, seit ich das Seepferdchen gemacht habe: Kann man vom Beckenrand aus sehen, dass ich meine Beine wie ein Hund bewege? Unschuldig schüttelte ich den Kopf. „Werdense aber bald!“, prophezeite er und begann sogleich in Trockenübung die empfohlene Brustschwimm-Beinbewegung vorzuturnen.  

Er hätte es dabei belassen können. Er hätte mich und meine Beine in Ruhe und Würde üben lassen können. Aber: Ihm war langweilig. Niemand musste beaufsichtigt werden, niemand brauchte Hilfe. Außer mir. Fand er. Darum spazierte er neben mir her, während ich unter größten Anstrengungen versuchte, den Hund zum Frosch werden zu lassen. Anscheinend ohne sichtbare Erfolge, denn bereits nach einer Bahn machte er mir den Vorschlag, ein Brettchen in meine Bemühungen einzubeziehen. „Wennse sich nich zu fein sind.“ Ich schluckte Wasser. Ich prustete. Iiiiiich mir zu fein? Wie kam er denn da drauf?


Nach einem peinlichen Erlebnis meidet unsere Autorin das Schwimmbad.

Er hätte mir auch Schwimmflügel geben können, es wäre ebenso erniedrigend gewesen. Ich kam nur langsam voran und hatte Mühe, das Gebilde aus Brettchen und mir in der Spur zu halten. So brachte ich ständig die reibungslose Choreografie der Adidasschwimmanzüge und Dreiecksbadehosen durcheinander, wofür mich teils erboste, teils mitleidige Blicke trafen. Ich versuchte mir einzureden, sie könnten denken, mein Brettchen sei Teil eines Fitnessprogramms für Profischwimmer (besonderes Belastungstraining der Beine oder so). Oder dass es sich um eine Physiotherapie handelte, die mir nach einem schweren Reitunfall wieder das Laufen beibringen sollte. Aber dafür fehlten wohl die Delfine im Wasser.  

Nach vier Bahnen hatte ich genug und gab dem Bademeister sein Brettchen zurück. Ich müsse dann mal. Es sei ja schon spät. Man dürfe nicht übertreiben. Übermorgen sei ja auch noch ein Tag. Verständnisvoll nickte der Bademeister und versprach mir, übermorgen auch da zu sein. Dann könne man ja mal an meiner Kopfhaltung arbeiten. Meine 10er-Karte ist zum Glück auch fürs Freibad gültig.  

Seitdem war ich nicht mehr im Schwimmbad. Hast du auch einen Ort, an den du nicht mehr gehen kannst? Das Café, in dem der Typ arbeitet, der deine Nummer auf der Serviette einfach nicht wählen wollte? Oder der Laden, in dem dich zwei Verkäuferinnen mit vereinten Kräften aus der zu engen Lederleggins ziehen mussten? Um welche Orte machst du einen großen Bogen, weil dir dort etwas sehr Blödes oder Peinliches passiert ist?

Kleines Geld für kleinen Beamten

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München – Knarzende Parkettböden, ledergepolsterte Doppeltüren und dahinter Agenten, die über Kontinente Drähte spannen und Konspiration in allen Lebenslagen beherrschen – das ist das Bild, das Thriller-Autoren gern von Geheimdiensten zeichnen. Der Verrat ist nur dann Verrat, wenn echte Agenten das ganz große Ding drehen. So geht die Legende vom Verrat.



Die Einfahrt zum BND-Sitz in Pullach. Hier hat der Beamte die Berichte deutscher Agenten ordentilich sortieren und verarbeiten sollen. 

Ein kleiner Sachbearbeiter des Bundesnachrichtendienstes in Pullach, der in der Abteilung EA „Einsatzgebiete/Auslandsbeziehungen“ des Dienstes arbeitet und auf dessen Schreibtisch seit Jahren die Berichte deutscher Agenten nur deshalb landen, weil er all das Zeug ordentlich sortieren und verarbeiten soll, passt nicht in dieses Bild vom großen Fall.

Der Beamte des Mittleren Dienstes, der lange unauffällig blieb und fast unsichtbar in dem Apparat war, entspricht nicht den weit verbreiteten Vorstellungen über echte Geheimnisträger und Geheimdienste. Der 31 Jahre alte körperbehinderte Beamte, dem seine Umgebung nicht misstraute, soll zwei Jahre lang heimlich für amerikanische Dienste mehr als zweihundert Dokumente abgezweigt und dafür insgesamt 25000 Euro kassiert haben. Kleines Geld für den kleinen Aktenverwalter. Macht das den Fall weniger dramatisch?

Als am Freitag voriger Woche der angebliche Verratsfall in Umrissen bekannt wurde, hieß es in Berlin, man dürfe das nicht überbewerten. Es handele sich nur um einen kleinen Mitarbeiter in der Poststelle, der wenig qualifiziert sei und – warum auch immer – Material abgezweigt habe. Das mit der Poststelle war falsch, der Verweis auf die angeblich mangelnde Qualifikation in diesem Zusammenhang war Unsinn und offenbarte zugleich ein großes Missverständnis, wie die Beschaffung von Material funktioniert.

Für die Bedeutung eines Falles ist es völlig gleichgültig, ob der Lieferant des geheimen Materials ein großer Agent oder nur eine graue Maus in der Registratur ist. Der Chef ist für Beschaffer aller Art in der Regel weniger wichtig als die Person im Vorzimmer. Die kennt sich zumindest aus.

Für jeden fremden Geheimdienst ist deshalb die Registratur des anderen Dienstes und deren Zuarbeitersystem ein Angriffsziel. Dort, wo alles landet, wo die Quellen zusammenfließen, muss man hocken. „Die Registratur ist bei jeder Behörde die weiche Stelle “, sagt ein früherer hochrangiger deutscher Nachrichtendienstler, und für die Richtigkeit dieser These steht der Fall eines früheren Beamten des Auswärtigen Amtes (AA), der viel mit Verschlusssachen zu tun hatte. Auch er hat sie nicht beschafft, er hat sie aber registriert.

Der Beamte wurde Anfang der Neunzigerjahre wegen Spionage in einem besonders schweren Fall zu fünf Jahren Haft verurteilt. Seine Geschichte ist beispielhaft für den Schaden, den Aktenverwalter anrichten können; und dafür, wie leicht ihnen manchmal das Beschaffen gemacht wird. Während der Golfkrise 1990 hatte er den Irakern bergeweise Verschlusssachen des Westens verraten. Er arbeitete zwar in einer Abteilung für West-und Zentralafrika, aber weil er sich mehr für den Nahen und Mittleren Osten interessierte, stöberte er in den Registraturen der für diesen Bereich zuständigen Referate. Er trug wichtigste Dokumente aus dem Amt, die er dann in Bonn einem damaligen irakischen Militärattaché übergab.

Natürlich gab es auch im AA Eigensicherung, aber gut funktionierte sie nicht. Er verhielt sich nicht mal unauffällig. Manchmal nahm er aus dem Botenzimmer Mappen mit Verschlusssachen mit nach Hause, öffnete sie daheim unter Wasserdampf , kopierte sie und brachte sie dann in das Zimmer zurück. Er bot den sogenannten VS–Boten an, das Material selbst zu transportieren, und fiel nicht auf.

Als er kurzfristig die Geheimregistratur der Nahost-Referate übernahm, ließ er sich beim Schlüsseldienst eine Doublette des Schlüssels für die Aktenbestände zu Nahost fertigen. Es handelte sich um vertraulichste Einschätzungen aus den USA, um Dossiers des BND über die Lage im Irak, um Material über Bomber und Raketenstellungen und sogar um persönliche Korrespondenz zwischen dem damaligen US-Präsidenten George Bush und dem damaligen Kanzler Helmut Kohl.

Beste Ware vom Aktenmann, der nur aufflog, weil die Iraker über ihre gute Quelle in Deutschland am Telefon so schwätzten und natürlich dabei belauscht wurden. Über drei Monate hatten ihn damals Spezialisten des Bundesamtes für Verfassungsschutz beobachtet, und sie schlugen lange Zeit nicht zu, weil sie einen Komplizen festnehmen wollten, den es aber nicht gab. Der Registrator hatte bei seiner Festnahme 51Geheimdokumente in der Tasche. Als die Düsseldorfer Richter später einen Verfassungsschützer fragten, warum die Spionageabwehr dem Mann keine manipulierten Dokumente untergeschoben hätten, deren Weitergabe keinen Schaden angerichtet hätte, erklärte der Zeuge, das sei „aus Zeitgründen“ nicht möglich gewesen.

Der Fall des in Untersuchungshaft einsitzenden BND-Mitarbeiters, der nach eigenen Aussagen die amerikanischen Dienste beliefert haben will, ist in vielen Details noch nicht klar, aber so ähnlich wie bei dem früheren AA-Spion könnte es an manchen Stellen schon gelaufen sein. Immerhin hat diesmal die Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutzes Ende Mai schnell geschaltet und Anfang Juni den BND informiert, der dann dem eigenen Mann nachspürte.

Ob der BND-Man aus Geltungssucht oder Geldgier ein eigenes Agentengeschäft aufgemacht hat, ist am Ende egal. Der AA-Registrator, der 1982 zum Islam konvertiert war, gab später an, aus politischen Gründen dem Irak geholfen zu haben. „Ich war im Krieg“, sagte er, und sein Posten sei die Registratur im AA gewesen.

Karo-Hemd und harte Hand

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Medan – In der Kantine der Universität sitzt Razidun Sinotang und kippt drei große Löffel Zucker in seinen Tee. Er rührt und rührt. „Dieses Mal fällt es schwer, sich zu entscheiden“, sagt der 28-jährige Soziologie-Student. Soll er seine Stimme Joko Widodo geben, dem Gouverneur von Jakarta, den alle Jokowi nennen? Oder doch Prabowo Subianto, dem pensionierten General? „Vielleicht werde ich es erst wissen, wenn ich am 9. Juli zum Wahllokal gehe,“ sagt Sinotang.



Der Ex-General Prabawo Sublanto (mitte) bei einer Pressekonferenz.

Erkundungen auf dem Campus von Medan, im Norden Sumatras. Unter den Studenten fällt auf, was Umfragen belegen: Fast jeder fünfte Stimmberechtigte ist kurz vor der Wahl unentschlossen wie Sinotang. Das macht das Rennen um die indonesische Präsidentschaft sehr spannend.

Der aufstrebende rohstoffreiche Vielvölkerstaat ist mit 250 Millionen Einwohnern das Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt. Jakarta ist ein begehrter Partner in Ost und West. Indonesien lockt mit einem großen Markt, ist aber auch strategisch von Gewicht. So wird der Wahlkampf in den großen Hauptstädten, aber auch von Konzernen und Banken genau verfolgt. Zwar hatte Joko Widodo lange Zeit als unschlagbarer Favorit gegolten. Doch im zunehmend schmutzigen Wahlkampf ist sein Vorsprung erheblich geschrumpft. Jokowis Sieg ist also nicht mehr so sicher.

Draußen unter den Bäumen auf dem Campus sitzt Mega Olivia Sibarani, eine aufgeweckte Studentin, die nicht lange überlegen muss, wen sie wählt: Ihr Held heißt Jokowi. Die 18-Jährige studiert öffentliches Gesundheitswesen im ersten Semester, aber das kann sie nur, weil sie mit guten Noten ein Stipendium ergattert hat. „Meine Eltern sind Bauern, sie könnten niemals so viel Geld für mich aufbringen.“

Die Bauern kann keiner der Kandidaten ignorieren. Jeder sechste der fast 190 Millionen Stimmberechtigten arbeitet in der Landwirtschaft. Zugleich haben gerade Bauern und Fischer oft das Gefühl, dass sie vom Aufschwung und dem jährlichen Wachstum bis zu sechs Prozent kaum profitieren. So umwerben beide Kandidaten die Bauern. Prabowo hat das größere Netzwerk, aber Jokowi gilt als einfacher Mann, „einer wie du und ich“. Das schafft Nähe.

Und die Bauerntochter, die es nun an die Universität geschafft hat – warum wählt sie den Gouverneur von Jakarta? „Er hat bewiesen, dass er etwas bewegen kann“, sagt Sibarani. „Und ich glaube, dass er sauber ist.“ Prabowo sei sein ganzes Leben nur Soldat gewesen, was ihn noch lange nicht als guten Politiker qualifiziere. Dann schimpft die junge Frau über Vetternwirtschaft und Korruption. „Es fängt schon an, wenn ich einen neuen Ausweis brauche. Dann muss ich erst mal unter dem Tisch Geld durchschieben, sonst bekomme ich gar nichts“, sagt sie. Sibarani setzt darauf, dass Jokowi diese Übel beenden kann, so wie er damit im Amt des Bürgermeisters begonnen hat. Korrupte Beamte und Politiker fürchten ihn.

„Jokowi vertritt die Interessen der einfachen Leute“, sagt die Studentin. „Bislang ist es doch so: Wer keine Beziehungen hat, kann in Indonesien nur schwer etwas werden. Man kann sich anstrengen, und doch hilft das am Ende wenig.“ Von verhassten Mauscheleien und bestechlichen Politikern hört man fast überall auf Reisen durch Indonesiens Inselwelt. Jokowis Anhänger hoffen, dass er bessere Spielregeln durchsetzt, faire Chancen für alle schafft.

Der 52-jährige Kandidat ist kometenhaft aufgestiegen, manche halten ihn für eine Sensation auf der politischen Bühne Indonesiens. Sein Markenzeichen ist das karierte Hemd, das er nur dann gegen einen dunklen Anzug tauscht, wenn er zum Fernsehduell gegen Prabowo antritt. Jokowi war mittelständischer Unternehmer und stellte Möbel her, bevor ihn Bekannte drängten, sich um den Posten des Bürgermeisters in der javanischen Stadt Solo zu bewerben. Viele waren beeindruckt von der redlichen Art, wie er seine Firma leitete. Manchmal führten ihn die Geschäfte damals auch zu Messen in Deutschland.

Als Stadtoberhaupt festigte sich sein Ruf des guten Managers, der das Gemeinwohl fördert und über Probleme nicht nur lamentiert, sondern sie anpackt. So stieg er auf bis zum Gouverneur von Jakarta. Nun könnte er ganz nach oben durchstarten, wenn er den Vorsprung der Umfragen halten kann. In Jakarta feierten ihn die Leute wie einen Messias, in ihrer Begeisterung spiegelt sich die Sehnsucht nach einem bürgernahen Politiker, der den abgehobenen Eliten die Stirn bietet. Inwieweit Jokowi dieses Idealbild auf nationaler Ebene ausfüllen kann, weiß man nicht. Aber er hat ein Heer an Freiwilligen um sich geschart, die rastlos für ihn werben.

Doch ihm steht ein entschlossener und geschickter Rivale gegenüber, der seinen Aufstieg an die Spitze des Staates schon viel länger als Jokowi plant: Prabowo Subianto, 62, ehemaliger General der indonesischen Armee und einst Schwiegersohn des gestürzten Diktators Suharto. Sein Wahlkampf ist gut organisiert, und es mangelt ihm nicht an Sponsoren. Hinter ihm scharen sich einflussreiche Kräfte, er kann auf Netzwerke zurückgreifen, die bis weit in die Provinzen Einfluss haben. Viele sehen im Saubermann Jokowi eine Gefahr für ihre Pfründe, andere halten ihn zwar für ehrenhaft, glauben aber, dass er der nationalen Bühne nicht gewachsen sei.

Die beiden Männer sind völlig unterschiedlicher Natur, wobei Prabowo von seinem Image als starker Mann profitiert. Als Ex-General verkörpert er die strenge Hand. Das gefällt vielen, die durch die zögerliche Politik des scheidenden Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono enttäuscht wurden.

Das ist auch der Grund, warum sich der Student Edwin Nande Rumanige vom Jokowi-Fieber nicht anstecken lässt. Ein guter Charakter reiche nicht aus, um ein Land zu führen, sagt der junge Mann auf dem Campus von Medan. „Ich werde Prabowo wählen, weil unser Staat eine starke Hand braucht.“ Der Ex-General werde Indonesiens Interessen auch in der Welt besser vertreten, glaubt er.

Prabowo entstammt einer elitären javanischen Familie. Einen Teil seiner Jugend verbrachte er im Ausland, im Gegensatz zu Joko spricht er fließendes Englisch. Unter Suharto trat er in die Armee ein, und als er dessen Tochter heiratete, führte ihn die Ehe in den innersten Kreis der Macht. 2001 wurde die Verbindung geschieden. Als Kommandeur der Spezialkräfte Kopassus erwarb sich Prabowo den Ruf eines skrupellosen Jägers; es hält sich der Verdacht, er sei in diverse Massaker verwickelt gewesen, doch viele Vorwürfe gegen Verantwortliche in der Armee sind nie juristisch aufgearbeitet worden.

Im Wahlkampf konnte der Ex-General seiner Vergangenheit nicht ganz entfliehen. Sein damaliger Vorgesetzter, Generalstabschef Wiranto, erklärte, Prabowo habe 1998 eigenmächtig Aktivisten der Demokratiebewegung entführen lassen. Einige der damals Verschwundenen sind nie wieder aufgetaucht. Ob die Enthüllungen Prabowo schaden, ist nicht gewiss. Denn Wiranto, der ihn nun angeschwärzt hat, steht auf der Seite Jokowis. Geschichte wird so zur Waffe im Wahlkampf, und alle wissen es. Der Gegner kann die Attacke als durchschaubares Manöver abwehren.

Den 28-jährigen Studenten Rumanige, der für Prabowo stimmen will, stören die Schatten der Vergangenheit offenbar nicht. Indonesien müsse nach vorne blicken. Rumanige trägt an diesem Tag ein T-Shirt des deutschen Fußballbundes. Seinen Namen verdankt er seinem Vater, der ein Fan von Karl-Heinz Rummenigge war. Dazu passt, dass der Kandidat Prabowo nun allen verspricht, er wolle die Fußball-Weltmeisterschaft baldmöglichst nach Indonesien holen und das eigene Team fit machen für den großen Kampf. Das wirkt kühn; noch nie konnte sich das Land für eine WM qualifizieren. Aber Prabowo lässt keine Gelegenheit aus, um den Vorkämpfer für die stolze Nation zu geben.

Im Duell Jokowi gegen Prabowo dreht sich alles um Image und Persönlichkeit ungleicher Rivalen. Programme spielen kaum eine Rolle. Dennoch fällt auf, dass jeder auf seine Art an die nationalen Gefühle appelliert. Jokowi spricht gern davon, dass die Indonesier eigenständiger werden müssten. Und Prabowo gibt gerne den Hüter der Nation. Er peitscht Emotionen auf, wenn er die Weltwirtschaft beschimpft, sie habe die Indonesier in Lakaien verwandelt. Tatsächlich gibt es in der Wirtschaft Sorge, dass beide Kandidaten zu protektionistischen Mitteln greifen könnten, um sich als Nationalisten zu beweisen.

In den vergangenen Jahrzehnten war Indonesien meistens mit sich selber beschäftigt. Mal kämpfte der Staat gegen Separatisten in Aceh oder Papua, dann konzentrierte er sich auf den Konflikt um das annektierte Osttimor, das inzwischen unabhängig ist. Zugleich musste der Staat den mühsamen Wandel von der Suharto-Diktatur zur Demokratie bewältigen. Nun aber dürften die internationalen Anforderungen an den größten Staat Südostasiens wachsen. Der Westen bemüht sich um engere Beziehungen zu Jakarta, das zunehmend als Gegengewicht zu Peking gesehen wird. Die Rivalitäten im Südchinesischen Meer werden auch in Indonesien mit Sorge betrachtet. Im Wahlkampf spielte das Thema aber nur eine geringe Rolle. Obgleich auch indonesische Seegebiete womöglich mit chinesischen Ansprüchen überlappen, hat sich Jakarta aus den Streitigkeiten bislang herausgehalten.

Sollte Prabowo am Mittwoch doch noch der Triumph gelingen, dürfte dies einigen internationalen Partnern Unbehagen bereiten, wenn sie an seine Spezialeinsätze von einst denken. Joko Widodo die Hand zu schütteln, dürfte Diplomaten leichter fallen. Aber das Rennen wird nicht im Ausland entschieden – sondern in den Amtsstuben Indonesiens, auf all den Märkten, den Plantagen und den vielen Reisfeldern.

Gesichtsverlust

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Seit drei Jahren gibt es ein französisches Gesetz, das die Vollverschleierung von muslimischen Frauen in der Öffentlichkeit verbietet. Vor einigen Tagen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dieses Gesetz für rechtens erklärt. Das große Problem an der Bewertung dieses Urteils ist die erregte politische Atmosphäre. Das Gesetz wurde nämlich, obwohl es geschickterweise ganz allgemein, ohne Religionsbezug, die Verhüllung des Gesichts in der französischen Öffentlichkeit unter Strafe stellt, ausdrücklich auf den Weg gebracht, um die Angst vor dem Islam zu bedienen.



In Frankreich steht es unter Strafe, wenn Frauen ihr Gesicht in der Öffentlichkeit verschleiern - ein Gesetz ohne Religionsbezug. Eigentlich.

Und überhaupt gehen die allermeisten Angriffe auf das Tragen von Nikab (mit Augenschlitz) oder Burka (mit Gesichtsgitter), was in den europäischen Ländern bisher nur von jeweils einigen Hundert Frauen praktiziert wird, auf radikal-laizistische bis fremdenfeindliche Motive zurück. So ist die Auseinandersetzung darüber leider sehr schwer zu trennen von jener Vergiftung des demokratischen Diskurses, die die fremdenfeindlichen Parteien Europas seit einigen Jahren betreiben und die sich zuletzt in ihren Erfolgen bei der Europawahl bestaunen ließ.

Es geht da meist nicht um ein allgemeines Befremden angesichts von Frauen, die sich den Blicken entziehen. Es geht um eine spezifische Religiosität, die als Bedrohung empfunden wird. „Was in Europa Angst und Misstrauen schürt, das ist nicht die Verschleierung an sich, sondern die muslimische Verschleierung“, schreibt die Philosophin Martha Nussbaum. In ihrem Land, den USA, genießen die Religionen breite Entfaltungsmöglichkeiten – ein Recht, das in Amerika nicht zuletzt durch den Kampf der Katholiken gegen ihre Diskriminierung ausgebaut wurde.

Aber auch Europa hat eigentlich, infolge der Glaubensspaltung und der Konfessionskriege, einige Übung im Zurückstellen von Wahrheitsansprüchen, Übung in Toleranz. Dies gilt besonders für die Rechtsordnungen in Großbritannien und in Deutschland, in denen ein Burka-Verbot wohl im Moment auch am wenigsten vorstellbar wäre. Dabei sieht man die Vollverschleierten auch zunehmend hier bei uns: in der staubigen Variante rund um die Moscheen und Gemüseläden, in der Luxusvariante bei den reichen arabischen Touristinnen auf der Münchner Maximilianstraße oder auf der Düsseldorfer Königsallee.

Eine beliebte Propagandamethode der fremdenfeindlichen Parteien ist es, die Menschenrechte demonstrativ hochzuhalten – nicht um ihrer selbst willen, nicht zur besseren Verständigung, sondern zu Zwecken der Abwehr und des Ausschlusses. Deshalb muss man zunächst grundsätzlich festhalten, dass der westliche Pluralismus nicht ohne eine breite Anerkennung der negativen und positiven Religionsfreiheit zu haben ist, also der Gewissensfreiheit ebenso wie der freien Ausübung des Glaubens jeglicher Konfession. Es gibt in einer offenen Gesellschaft einfach keinen Anspruch darauf, nicht von Frömmigkeit gestört zu werden. Oder wie es die zwei Richterinnen, die in Straßburg gegen das französische Burka-Verbot stimmten, in ihrem Sondervotum formuliert haben: „Es gibt kein Recht, nicht schockiert oder provoziert zu werden von unterschiedlichen Modellen kultureller oder religiöser Identität, auch von solchen, die vom üblichen französischen oder europäischen Lebensstil sehr weit entfernt sind.“

Das Straßburger Urteil aber erlaubt es nun Frankreich, zugunsten eines republikanischen Ideals des Zusammenlebens die Vollverschleierung zu untersagen. Dieses „französische Prinzip“ namens „Zusammenleben“, vivre ensemble, klingt zwar ein bisschen nach einem dieser französischen Beziehungsfilme, und das Gericht gibt selbst zu, dass es als rechtlicher Begriff „flexibel“ ist, sprich: sehr schwammig. Dennoch wird dem nationalen Gesetzgeber der Spielraum eingeräumt. Er darf seine Auffassung durchsetzen, dass die Burka gegen die in Revolutionszeiten verkündete Fraternité, die Brüderlichkeit, verstoße (wozu heute auch die Schwesterlichkeit zu rechnen wäre), auch deshalb, so das Gericht, weil es in dieser Frage „keinen europäischen Konsens“ gebe. „Das Gericht kann akzeptieren, dass es ein Staat für wichtig erachtet, in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht auf die Interaktion zwischen Individuen zu legen.“

In den vergangenen Tagen seit dem Urteil frohlocken nun einerseits die Rechtspopulisten – in der Schweiz, in Österreich, in Dänemark – in der Hoffnung, jetzt auch ein Burka-Verbot durchsetzen zu können. Andererseits entrüsten sich Menschenrechtsorganisationen: Die Frauen, die angeblich vor Diskriminierung geschützt werden sollten, würden durch das Verbot erst recht gettoisiert.
Natürlich ist es unglücklich, dass dieses delikate Thema in die Fronten ressentimentgetriebener politischer Mobilisierung gerät. Dies sollte aber nicht davon abhalten, vorurteilsfrei darüber nachzudenken. Vor allem wäre es, gerade im Blick auf künftiges „Zusammenleben“ in Europa, sehr unklug, die offenkundige Verstörung, die die Vollverschleierung bei den allermeisten auslöst, einfach als reaktionär und intolerant zur Seite zu schieben.

Genau dies tut aber eine bestimmte liberale, verfassungsrechtliche Sichtweise, die in Deutschland fast schon eine Orthodoxie ist. Sie hat einen bestimmten Ursprung: Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht heraus – „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ heißt es im Grundgesetz – wurde in Kombination mit der Menschenwürde immer stärker das Recht entwickelt und ausgebaut, nicht nur mit seiner Persönlichkeit in der Gesellschaft sichtbar sein zu dürfen, sondern auch umgekehrt, wenn man es möchte, gerade nicht sichtbar zu sein. Anonymität ist Grundrecht – dazu gehört auch die derzeit, in NSA-Zeiten, sehr aktuelle Freiheit von Überwachung oder auch das „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet.

In diesem Geist schreibt etwa der glänzende, mit polemischer Wucht begnadete Jura-Blogger Maximilian Steinbeis: „Ich will, wenn mir danach ist, mein Gesicht verbergen, eine große Sonnenbrille aufsetzen, einen Schal um mein Gesicht schlingen und unerkannt herumlaufen dürfen.“ Ein Vollverschleierungsverbot sei, so Steinbeis, „Ausdruck eines Gesellschaftsbilds oppressiver Transparenz, das mir Angst macht“.

Und im Straßburger Minderheitsvotum, mitverfasst von der deutschen Richterin Angelika Nußberger, steht ein Satz, der beinahe schon existenzialistisch klingt: „Kommunikation ist zugegebenermaßen essenziell für das Leben in Gesellschaft, aber das Recht des Respekts für die Privatsphäre umfasst auch das Recht, nicht zu kommunizieren und nicht mit anderen auf öffentlichen Plätzen in Kontakt zu treten – das Recht, ein Außenseiter zu sein.“ Demnach wäre also auch der Nichtausdruck der Persönlichkeit der vollverschleierten Frauen ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Und ihr Anblick wäre für die Umgebung zu ertragen, so wie der religiöse Mensch auch den Anblick des säkularen Alltags zu ertragen hat, zum Beispiel großflächige Bikini-Reklame der Firma Calzedonia. Und sei es nur durch einen Sehschlitz.

Doch diese Auffassung macht es sich in ihrer toleranten Radikalität zu einfach. Keine Frage: Nicht hervorzutreten, in Ruhe gelassen zu werden, das gehört in bestimmtem Maße notwendig zu einer freiheitlichen Gesellschaft. Doch wenn alle sich immer von der Gemeinschaft abschotteten, wenn alle Bürger von jenem Recht pausenlos Gebrauch machen würden – dann gäbe es überhaupt keine Menschen mehr, aus denen sich eine liberale, demokratische Gesellschaft konstituieren könnte; dann gäbe es nicht nur kein „Zusammenleben“, sondern es gäbe auch gar keinen Rechtsstaat und keine demokratischen Institutionen, die das Zusammenleben und das Inanspruchnehmen von Grundrechten überhaupt erst möglich machen.
Das heißt: Auch bürgerliche Rechte auf Privatsphäre, auf Schutz religiöser Minderheiten, auf Indifferenz können nur dann entstehen und garantiert werden, wenn nicht alle Bürger die öffentliche Kommunikation und Sichtbarkeit verweigern. Man stelle sich nur einmal vor, alle Verfassungsrichter würden bei der Verkündung eines Urteils ihr Gesicht verhüllen und ihren Namen verschweigen – etwa weil sie in Ausübung ihres Persönlichkeitsrechtes alle nicht als Personen, sondern lieber nur als Vertreter eines Verfassungsorgans wahrgenommen werden möchten. Dies würde mit einigem Recht nicht als liberal, sondern als repressiv empfunden werden.

Religiöse Trachten von Gläubigen sind, so hat Jan Philipp Reemtsma in einem Aufsatz geschrieben, zu tolerieren, „solange sie die Spielregeln der säkularen Gesellschaft respektieren“. Die Frage ist: Tun Burka- und Nikab-Trägerinnen das? Und tun es ihre Männer? Man kann durchaus dafür argumentieren, dass eine komplette Verhüllung des Gesichts in der demokratischen Öffentlichkeit eine prinzipielle Ablehnung an der Teilnahme an ebendieser Öffentlichkeit darstellt.
Das ergibt sich erst einmal allgemein aus dem kulturellen Kontext: Das Gesicht ist nun einmal – nicht nur in der europäischen Tradition, aber bildgeschichtlich und politisch in besonderer Weise dort – Träger der Persönlichkeit und der Individualität, das Fenster des Menschseins, das man nicht einfach so zumachen kann.

Dies drückt sich in der Wertschätzung des Porträts aus von den charakteristischen Marmorköpfen der alten Römer bis zur massenhaften Digitalfotografie mit ihren „Selfies“. Und es gehört selbstverständlich zu diesem Ausdruck bürgerlicher Individualität mit dem Gesicht hinzu, dass auch alle Frauen daran teilhaben.
Die Versuche, selbst die Vollverschleierung noch feministisch zu adeln und nicht als Erniedrigung oder zumindest Exklusion der Frauen anzusehen – etwa unter Berufung auf die durchaus kenntnisreiche türkische Soziologin Nilüfer Göle, die in Paris lehrt – dürften wenigen einleuchten, die sich für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzen. Insofern ist die Vollverschleierung, anders als inzwischen das normale Kopftuch, nicht einfach nur eine Provokation der „kulturellen oder religiösen Identität“, sondern auch ganz konkret eine Provokation des liberaleren weiblichen Selbstverständnisses anderer Frauen im öffentlichen Raum.

Aber auch aus engerer staatsrechtlicher Perspektive ergeben sich Schwierigkeiten: Es ist vielleicht nicht unmöglich, aber sehr schwierig, Grundrechte in Anspruch zu nehmen, wenn der Rechteinhaber nicht einfach nur scheu ist oder gelegentlich Schal und Sonnenbrille wie Maximilian Steinbeis oder einen Skihelm oder eine Karnevalsmaske trägt, sondern wenn er – hier: sie – eine technische Vorkehrung getroffen hat, die einen außerhalb der eigenen vier Wände grundsätzlich nicht als unterscheidbare Person in Erscheinung treten lässt. „Pluralismus und Demokratie“, sagen die Straßburger Richter, „müssen auch auf Dialog und einem Geist des Kompromisses beruhen.“ Allerdings verweist die verweigerte Partizipation, die hier augenfällig wird, auch auf den stets prekären Zustand der Demokratie überhaupt: Beteiligung daran kann ja immer nur gewünscht, aber nicht zwingend eingefordert werden, und das gilt weiß Gott nicht nur für Vollverschleierte.

Wenn die Kritiker des Straßburger Urteils nach der Verhältnismäßigkeit des Verbots fragen, darf man auch nach der Verhältnismäßigkeit der Vollverschleierung im Rahmen der Gebote des Islams fragen. Sie ist ja in der jetzigen Form eine radikalisierende Erfindung aus jüngerer Zeit. Dies hat zwar möglicherweise – so eine gängige Meinung in Sachen Religionsfreiheit – den säkularen Staat gar nicht zu interessieren, weil es reicht, dass eine bestimmte Praxis als ein Gebot des Glaubens aufgefasst wird. Aber die Bürger, die ins öffentliche Leben treten und sich nicht verhüllen, interessiert diese Frage trotzdem, wozu ja auch die große gemäßigte Mehrheit der muslimischen Bürger gehört. Es ist zur Bewertung des Konfrontationspotenzials einer religiösen Praxis eben schon ein Unterschied, ob es sich um die allgemeine Ausübung einer Weltreligion handelt oder um deren allerstrengste, extrem abweichende Auslegung. Die Behauptung des Straßburger Sondervotums, die Burka- und Nikab-Trägerinnen seien einfach „treu zu ihren Traditionen“, ist daher ziemlich fragwürdig – erst recht wenn man weiß, dass nach der jüngsten Erhebung ein Viertel der vollverschleierten Musliminnen in Frankreich Konvertiten sind.

Gleichwohl hat ein Gesetz, das Gesichtsverhüllung verbietet, auch selbst etwas Intolerantes. Das gilt für Sonderfälle wie Brandopfer oder Lichtkranke, aber auch darüber hinaus angesichts heute allgegenwärtiger Blicke nicht nur von Menschen, sondern von Maschinen, die ihre Kameras zur Gesichtserkennung einsetzen. Das Gesicht ist nicht nur stolze Individualität, es hat auch seine eigene Problemgeschichte vom fröhlichen Flirt bis zur totalitären Erfassung. Man sollte nicht zu triumphal-abendländisch damit herumlaufen. Wer sein Gesicht zeigt, zeigt bekanntlich auch nicht immer sein „wahres“. Es ist eine Maske im sozialen Spiel. Weiteres Unbehagen stellt sich schnell ein, weil man mit einer Kritik der Vollverschleierung viele falsche Freunde gewinnt. Das sind die Leute, deren fanatischer Kampf gegen den Islam ein, milde gesagt, sehr selektiver Einsatz für die Menschenrechte ist und von denen man sehr ungern Leserbriefe erhält.

Das ist aber kein Grund, über die gewichtigeren Einwände nicht offen zu debattieren, wo es geht, auch mit den Betroffenen selbst – das einfache Laufenlassen ist hingegen eine allzu bequeme Haltung. Es braucht eben doch ein bisschen „vivre ensemble“, ein bisschen Zusammenleben. Eine Portion französischer Republikanismus ist nicht gleich Unterdrückung. Es muss weiter Streit darüber geben, ob aus dem Verhalten der Vollverschleierten – so eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Religionsfreiheit aus den Siebzigerjahren – „fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrechte anderer erwachsen“. Die Argumente, die zugunsten eines Burka-Verbots vorgebracht werden, sind nicht alle falsch. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob diese Argumente auf dem Wege des Verbots ihre Wirksamkeit entfalten werden.

Das Abi aus Neukölln

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Tamam ist 15 Jahre alt, in drei Jahren will die junge Berlinerin ihr Abitur machen, und dann studieren. „Hier sind so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, das gefällt mir“, sagt das muslimische Mädchen über ihre Schule in Neukölln. Es gibt Kinder, deren Eltern aus Afrika kommen, Kurden, Türken und Araber. „Hier begegnen sich so viele interessante Kulturen.“ Das ist für sie das Besondere ihrer Schule. Und dann all die Angebote, gerade hat sie in einer Arbeitsgemeinschaft gelernt, wie sie Menschen in Not erste Hilfe leisten kann. Sie hat einen Kurs in Arabisch bestanden, ihrer Muttersprache, sie wird ihn als zweite Fremdsprache für ihr Abiturzeugnis einbringen können.



Ein Bild von 2006: Damals stand die Schule unter Poizeischutz, dann kamm der Bankrott. Nun haben die ersten Schüler ihr Abi bestanden.

Ihr fällt zusammen mit ihrer Klassenkameradin Rim noch einiges ein, was besonders ist an der Schule. Nur der Name und die jüngere Geschichte, die spielen dabei keine Rolle. Sie haben mal gehört, dass da was war, das schon. Es hat vielleicht auch mal jemand gefragt, wie es denn so zugeht auf der Rütli-Schule in Neukölln. Aber selbst das kommt kaum vor. „Nein, das spielt keine Rolle.“ Die beiden wissen höchstens vom Hörensagen, dass hier mal was los war, gewaltig Schlagzeilen produzierte. „Manchmal erzählen wir Lehrer ihnen von früher“, scherzt die Pädagogin Hilde Holtmanns. So richtig vorstellen können die Schüler sich das dann nicht.

So schnell kann das gehen, so schnell kann sich etwas ändern, obwohl manche damals meinten, dass es niemals besser werden könne, weil Neukölln nun einmal ein Problemquartier ist.

Gerade acht Jahre liegt es zurück, dass die Lehrer der Rütli-Schule, damals eine reine Hauptschule, eine Art Hilferuf aufsetzten, der bundesweit eine Debatte über die Zustände, die Hoffnungslosigkeit an Hauptschulen in sozialen Brennpunkten auslöste. Das Schreiben wird hier noch heute „der Brandbrief“ genannt. Als der Brief öffentlich wurde, änderte sich alles. „Als ich an diesem Morgen zur Schule kam, fragte ich erst mal, ob hier der Oscar verliehen werden sollte“, erinnert sich Hilde Holtmanns, die seit 30 Jahren an der Schule unterrichtet. Die Fernsehteams wollten die Welt der Lehrer filmen, die einen unzumutbaren Alltag beschrieben , wo „Gegenstände zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen“ flogen, einige Lehrkräfte sich nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen wagten, damit sie Hilfe anfordern konnten. Die Schule hatte zu wenig Lehrer und faktisch keine Leitung. Den Lehrern fehlten Zeit, Kraft und Mittel, um mit Schülern aus aller Herren Länder umzugehen. Die Rütli-Schule wurde zum Symbol für das Versagen im Umgang mit Migration und Armut, nun könnte sie zum Symbol für das Gelingen werden. Sie muss aber auch mit dem Vorwurf leben, zu privilegiert zu sein, um als Modell zu dienen.

Genaugenommen gibt es die Rütli-Schule nicht mehr, nur der Name ist noch da, aber mit anderem Sound versehen. „Campus Rütli“ heißt der Verbund jetzt, drei Schulen vereinten sich zur Gemeinschaftsschule. Alle Schulabschlüsse sind möglich, seit 2011 gibt es eine gymnasiale Oberstufe. Gerade haben die ersten 23 Abiturienten ihr Zeugnis erhalten. Das war 2008 unvorstellbar. Darunter sind vier, denen einst der Besuch der Hauptschule empfohlen worden war. Elf kommen aus einem arabischen Elternhaus, andere haben einen türkischen oder albanischen Hintergrund. Nicht nur in der Spitze zeichnet sich die Schule aus. Es verlassen, sagt Schulleiterin Cordula Heckmann, unterdurchschnittlich wenig Schüler den Campus ohne einen Abschluss.

Nach dem Brandbrief ging es wie im Zeitraffer. Schnell engagierten sich Stiftungen und Künstler, Sozialarbeiter und Schulpsychologen wurden eingestellt. Entscheidend aber war die grundsätzliche Neuausrichtung. Aus einer Hauptschule, als Restschule für Chancenlose abgeschrieben, wurde eine Ganztagsschule, die alle Schulformen flexibel vereint. Mit einem großen Angebot von der Musikschule bis hin zur Berufsförderung für Schüler mit Schwächen. Ein inzwischen stark verjüngtes Lehrerkollegium zeigt sich offen für Lernformen, die auf individuelle Förderung setzen, wie den Jül, den jahrgangsübergreifenden Unterricht bis zur 6. Klasse. „Hier werden nicht Klassen unterrichtet. Im Mittelpunkt steht der einzelne Schüler“, sagt Schulleiterin Heckmann. Was so einfach klingt, „war kein Sonntagsspaziergang“, sagt Christina Rau, die Witwe des früheren Bundespräsidenten, die sich hier als Schirmherrin des Campus Rütli engagiert. Lehrer, Eltern, Kinder und Politiker aus dem Bezirk entwickelten das Konzept für den Campus, der mit enormen Mitteln ausgebaut wird. Zum Campus gehören schon jetzt eine große „Quartierssporthalle“, neue Spielplätze, ein Freizeittreff.

Während einst Lehrer vom Rütli weg wollten, bewerben sich nun junge Pädagogen gezielt, um bei diesem spannenden Modell mitzumachen, in dem neue Ideen oft aus dem Kollegium heraus entwickelt werden. Die Schule profitiert auch davon, dass das Quartier rundum hip geworden ist. Gleich neben der Schule wirbt ein Restaurant mit einem Plakat für „japanische Maultaschen“. Neue Cafés und eher schicke Läden machen auf. Junge deutsche Familien ziehen her, in den jüngeren Klassen merkt man das schon.

Dass es so viel Aufmerksamkeit gab, manche Zuwendungen, hat schon Neid ausgelöst - wohl auch an anderen Schulen, wo die Verhältnisse schwierig sind. Der Bezirk Neukölln und das Land Berlin erhoffen sich aber, dass das Projekt mit seinem „erheblichen finanziellen und personellen Aufwand eine positive Strahlwirkung auf die anderen Bildungseinrichtungen im Neuköllner Norden und Vorbildcharakter für ähnliche Projekte über Neukölln hinaus haben kann“, erklärt Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey.
„Es tut manchmal ein bisschen weh, wenn uns gesagt wird, es gehe uns so gut, weil wir so viel Geld hätten“, sagt Schulleiterin Heckmann. Das Geld sei nicht entscheidend für den Wandel. „Hier passiert viel ehrenamtlich.“ Von einer Luxusausstattung kann man ohnehin nicht sprechen, der Rütli-Campus ist einfach eine Berliner Schule. Und der Stadtteil noch immer kein Idyll. Die Mehrheit der Schüler kommt weiterhin aus ärmeren, manchmal schwierigen Verhältnissen. Fast alle haben einen Migrationshintergrund. „Meine Kinder könnten ihnen Geschichten erzählen, da wären sie sehr gerührt“, sagt Heckmann. „Aber wir wissen: Auch in einem sozialen Brennpunkt gibt es große Potenziale.“

Was macht den Unterschied aus? „Es sind die gleichen Kinder, aber sie haben jetzt eine Perspektive“, sagt die Lehrerin Holtmanns, die den Wandel über die Jahre mitgeprägt hat und die Schüler beim Einstieg in den Beruf berät. Die Schule kooperiert mit Unternehmen wie der Bahn, die Praktikanten aufnehmen, Auszubildende hier finden. Es gibt jetzt ein Leben nach der Schule. „Früher“, so sagt die Lehrerin, „mussten sie manche von der Schule gehen lassen, ohne zu wissen, was aus ihnen wird. Das gibt es jetzt nicht mehr.“ So, wie es jetzt auch keine Lehrer mehr gebe, die Angst hätten, in eine Klasse zu gehen.

Das dreisteste Start-up der Welt

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San Francisco – Vor einer Woche hatte Brian Mayer die Idee für ein neues Start-up, wenige Tage später ist er der meistgehasste Mann San Franciscos. Dabei wollte er eigentlich nur schneller an sein Essen kommen. Was also ist da passiert?



Für fünf bis zehn Dollar kann man bei "Reservation Hop" reservierte Plätze in Nobelrestaurans kaufen.

Die Idee des Jung-Entrepreneurs entstand, als er an einer der vielen Imbisswagen in der Stadt eine halbe Stunde auf einen Burrito warten musste. „Es muss einen Markt für die Menschen geben, die in den besten Restaurants der Stadt auf einen Tisch warten“, beschreibt er seine Überlegung in einem Blogeintrag. Wie Mayer diesen Markt schafft, ist so clever wie unverschämt: Zunächst reserviert er unter falschen Namen möglichst viele Tische in Nobelrestaurants, danach bietet er sie auf seiner Seite „Reservation Hop“ für fünf bis zehn Dollar zum Kauf an. Den falschen Reservierungsnamen erhalten die Nutzer kurz vor ihrem Restaurantbesuch. Klingt einfach – ist aber auch ziemlich dreist!

Nun ist Dreistigkeit Teil der Technologiekultur rund um San Francisco, doch bei „Reservation Hop“ hört der Spaß offensichtlich auf: Schon Stunden nach dem Start hagelte es via Twitter Kritik von Einwohnern und aus der Branche. Sein Dienst sei „technologiegetriebene Abzocke“, und Mayer der „schäbigste Tech-Drecksack“ der Gegend. Vor allem aber zeige die Idee den Mangel an Moral, weswegen das Silicon Valley immer größeres Misstrauen auf sich ziehe, finden viele.

Vor wenigen Wochen hatte die App „Monkey Parking“ für ähnlich viel Aufregung gesorgt. Mit ihrer Hilfe konnten Parkende in San Francisco ihren Stellplatz versteigern. Wer gerade ausparkt, wartet einfach darauf, dass ein Parkplatz-Sucher in der Nähe ihm per Smartphone Geld für das Freihalten bietet, und „Monkey Parking“ erhält eine Provision. Die Stadt hat den Dienst inzwischen per Unterlassungserklärung gestoppt. Nun sind Zwischenhändler kein neues Phänomen, Online-Zweitmärkte für Eintrittskarten beispielsweise funktionieren ähnlich. Die Reservierung eines Tischs oder das Finden eines freien Parkplatzes im öffentlichen Raum waren bislang allerdings in der Regel kostenlos. Die neuen Dienste schaffen nun einen künstlichen Markt, der den Alltag verteuert und kommerzialisiert, in dem das Start-up aber keinerlei Risiko trägt.

Ein Großteil der Akteure im Silicon Valley ist sich bewusst, dass diese Entwicklung nicht im Sinne des Erfinders ist. Fast alle Meinungsmacher können sich deshalb darauf einigen, dass ein Dienst wie „Reservation Hop“ unethisch ist und nur einen Namen verdient hat: „Jerk-Tech“ also „Dummkopf-Technologie“. Parker Higgins von der digitalen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation beschreibt das Phänomen so: „Das utopische Versprechen der Computertechnik war, Mehrwert für jeden zu schaffen. Nun wird das auf den Kopf gestellt: Jerk-Tech geht es um ständiges Aussaugen.“

Entrepreneur Mayer sieht dies natürlich anders und verteidigt sich in einem Blogeintrag. „Ist es wirklich unethisch, wenn jemand dafür bezahlen möchte?“, fragt er, um dann aber gleichzeitig zuzugeben, er habe sich gar nicht erst um moralische Fragen gekümmert. Und auch nicht darüber nachgedacht, was die Restaurants davon halten, dass er an ihrem Angebot heimlich mitverdienen möchte. Die Seite sei „ein Experiment“, und er werde sich womöglich mit den Gastronomen in Verbindung setzen, erklärte er. Falls aber jemand einen guten Tisch suche: Die Seite sei natürlich weiterhin online.

Veteranen des Silicon Valley nehmen mit Sorge zur Kenntnis, wie gerade eine Generation junger weißer Männer das einst von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ausgegebene Motto „Bewege dich schnell und mach Dinge kaputt“ derzeit auf die Spitze treibt. Die Rücksichtslosigkeit und Arroganz, die sich in fragwürdigen Geschäftsmodellen ebenso wie in den Sexismusvorwürfen gegen einige bekannte Junggründer widerspiegelt, schadet dem Ruf der Branche inzwischen massiv.

Vielleicht sei ja das viele Risikokapital, das gerade auf dem Markt ist, schuld daran, vermutet der Tech-Beobachter Mathew Ingram. Es sei immer schwieriger, einige Start-up-Ideen von bitterbösen Parodien zu unterscheiden. Immerhin: Dass eine Idee wie „Reservation Hop“ kollektive Abscheu hervorrufe, sei „ein Indiz, dass es noch Hoffnung gibt“.

Tagesblog am 7. Juli 2014

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18:22 Uhr: Herrschaften, da draußen vor meinem Fenster tut sich gerade eine Lücke in den Gewitterfronten auf. Die gedenke ich zu nutzen, um trockenen Fußes nach Hause zu kommen. Selbstverständlich nicht, ohne noch eine gute Nachricht zu hinterlassen, und zwar für alle Menschen, die schon mal - wahrscheinlich war es während der Pubertät - einen Pimmel an eine Wand geschmiert haben. Die können sich jetzt nämlich zu ihrer Verteidigung auf die alten Griechen berufen, und die haben ja schließlich einen Ruf als höchst kultivierte Menschen. Pimmel gemalt haben sie aber trotzdem.

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18:00 Uhr:
So. Jetzt gehts um Geld. Ums Geldverdienen. Geldverdienen mit Blogs. Wollen viele, können nur wenige. Marlene Halser hat nachgefragt, was man tun muss, damit sich das Bloggen finanziell lohnt. Und es ins Lexikon des guten Lebens geschrieben.


(Foto: dpa)

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16:33 Uhr:
Aus der Rubrik Fremdschämen deluxe stammt dieses Video, auf das dankenswerterweise jetzt-Userin JosephineKilgannon in einem jetzt-Moment aufmerksam gemacht hat: Junggrüne erzählen darin aus dem EU-Parlamentsalltag. Solange Jan Philipp Albrecht und Ska Keller das alleine tun, funktioniert das. Bei Sekunde 13 des Videos ist dann aber Schluss. Dann wird es schlimm. Sehr, sehr schlimm.   https://www.youtube.com/watch?v=XRNkVSuvNC4#t=20

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15:56 Uhr:
P.S. zum vorangegangenen Eintrag: Das leicht gluckernde Kichern im Hintergrund des Redaktionssport-Films stammt von nadja-schlueter. Könnt ich mir ja den ganzen Tag im Repeat-Modus anhören.

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15:49 Uhr:
Wir haben soeben einen neuen Redaktionssport erfunden und in einem Video festgehalten. Funktioniert wie früher als Kind im Wirtshaus, wenn einem langweilig war und man einen (oder als Profi sehr viele) Bierdeckel auf die Tischkante legte, ihn mit einem gekonnten Schubser der Fingerrücken zu einem Salto veranlasste, um ihn dann in einer fließenden Handbewegung gleich wieder zu fangen. Nur eben nicht im Wirts-, sondern im Bürohaus und mit Bürohauszugangskarte statt Bierdeckel. Hach, wie hat sich das Leben doch verändert, seit ich 12 war!




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15:06 Uhr:
Erinnert sich noch jemand an Eminems Kinofilm? Darin ging es um einen weißen Straßenrapper, der sich via Rap-Battle Respekt bei den anderen Rappern verdient (so in etwa könnte man den Plot glaube ich zusammenfassen).  

Mittlerweile hat Eminem das Thema Battle-Rap noch mal anders aufbereitet: Am 12. Juli sollen in seiner Live-Show namens Total Slaughter zwei Rapper gegeneinander mit dem Mikrofon antreten. Übertragen wird die Show auf Youtube, allerdings nur in den USA und im Pay-Per-View-Modus, für dezente 19,95 Dollar. Weil das ein ziemlich saftiger Preis ist, musste Eminem den Anreiz offenbar erhöhen. Der Trailer jedenfalls sieht aus, als würde ein dreistündiges Hollywood-Epos angepriesen, in dem es um Boxer und/oder Gladiatoren geht. Auch verbal kann man keine Zurückhaltung erkennen: Two Titans will clash The most anmticipated Rap Battle of all times. Nur: Bei mir hats tatsächlich funktioniert. Würd ich mir am Samstag eher anschauen als das WM-Spiel um Platz drei zwischen Brasilien und Argentinien.

https://www.youtube.com/watch?v=tf7prNtarcQ#t=160

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14:34 Uhr:
In einer Werbeagentur zu arbeiten, muss bisweilen ein Job sein, der einen ausrasten lässt. Ein paar Kreative in Irland haben sich ihre Wutausbrüche gespart und ihren Ärger lieber in eine Plakatserie kanalisiert, die ich ziemlich hervorragend finde. Sie haben einfach das dümmste Feedback ihrer Kunden auf Plakate gebannt. Kostprobe? I like it, but can the snow look a little warmer? Can we make the pig sexier? I have printed it out but the animated gif is not moving.

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[plugin imagelink link="http://payload102.cargocollective.com/1/0/15801/4345819/Gianni.jpg" imagesrc="http://payload102.cargocollective.com/1/0/15801/4345819/Gianni.jpg"]
Die Plakate kann man bestellen, die Erlöse gehen an ein Kinderkrankenhaus.

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14:04 Uhr:
Noch mal Musik, diesmal aber nicht von alten Herren, sondern im Kosmoshörer von Mercedes "The Groovy Camel" Lauenstein. Bäm!




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13:42 Uhr:
Pink Floyd bringen im Herbst ein neues Album raus. Zumnindest twitterte das am Wochenende die Frau von Pink Floyd Gitarrist David Gilmour. Jetzt mag manch einer sagen: Hä? Wie? Neues Album? Gibts Pink Floyd überhaupt noch? Dem sei gesagt: Die Aufnahmen sind nicht neu, sondern stammen von 1994, als Pink Floyd ihr letztes Album aufgenommen haben. Man könnte also auch behaupten, Pink Floyd bringen alten, unveröffentlichten Müll raus, der bislang nicht gut genug war.

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12:37 Uhr:
Wer mal ein Plakat der "Mach's mit"-Kampagne gesehen hat, weiß, wie man besser nicht für den Gebrauch von Kondomen werben sollte. Das französische Institut für Prävention und Gesundheitserziehung hat es jetzt anders versucht. Wie super das inhaltlich ist, kann ich nicht sagen, dazu ist mein Französisch zu schlecht. Aber: Einen Film zu machen, in dem animierte Manga-Vaginas und -Pimmel herumlaufen und von einer Superheldenhand mit Kondomen vor den Killerviren gerettet werden, ist immerhin mal eine etwas mutigere Idee.
https://www.youtube.com/watch?v=-nPQQlGCrO4

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11:50 Uhr:
Die Herstellungskosten einer handelsüblichen Schüssel Kartoffelsalat dürften maximal bei 10 Euro liegen. Kartoffeln, bisschen Brühe (und oder Mayo, je nachdem, welcher Glaubensrichtung man da angehört), Zwiebeln, Gewürze. Gurken, wenn man das mag. Jedenfalls alles kein Kaviar und keine Trüffel.
Zack aus Ohio hat bei seinem Kickstarter-Projekt dementsprechend auch um 10 Dollar gebeten. Er wollte nämlich einen Kartoffelsalat crowdfunden. Er hat sein Ziel erreicht. Stand Montag, 11:47 Uhr hat er 1.146 Unterstützer und 7.626 US-Dollar eingenkommen.

[plugin imagelink link="https://s3.amazonaws.com/ksr/projects/1070272/photo-main.jpg?1404327844" imagesrc="https://s3.amazonaws.com/ksr/projects/1070272/photo-main.jpg?1404327844"]
(Quelle: Zack Danger Brown, kickstarter)
Sollte sich jemand jetzt inspiriert fühlen und auch Geld für Quatschprojekte spenden wollen: Wir haben vor einer Weile schon ein paar zusammengetragen.

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11:27 Uhr: "
Während der Arbeitszeit ständig das Handy in der Hand und Whatsapp geöffnet zu haben" steht sicher nicht als Anweisung in der Anleitung "How to become Mitarbeiter des Monats". Nadja und ich haben das vergangene Woche aber trotzdem ständig getan. Zu Recherchezwecken (was eh die beste Journalistenausrede und -rechtfertigung für alles ist). Wir haben nämlich eine Typologie der Whatsapp-Gruppen geschrieben, inklusive der dazugehörigen Dialoge. Der hier gehört zum Typ "Orgagruppe":




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11:03 Uhr:
Nachtrag zum Thema Rausch: Wenn es in Gesprächen um Eskimos oder Inuit geht, kann man sicher sein, dass früher oder später jemand sagt: "Die haben ja auch 100 verschiedene Wörter für Schnee." Eine Ethnologin aus Grönland hat den Spieß umgedreht und erforscht, wofür die Deutschen sehr viele Wörter haben. Ergebnis: Wir sind besonders sprachgewandt, wenn es darum geht, die verschiedenen Aggregatzustände des Besoffenseins zu beschreiben. Mein Lieblingssatz aus dem Artikel in der taz:

Betüddelt zum Beispiel meine den lediglich leicht angetrunkenen Zustand der sonst beherrschten, norddeutschen Dame. Das verwandte angeschnasselt wiederum enthalte die kaum ernst zu nehmende Pseudo-Angetrunkenheit rheinischer Abiturientinnen. Außerdem, so Dr. Ashevak, stünde es unbedingt in Verbindung mit sahnigen Likören.

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9:55 Uhr:
Gleich muss ich in die nächste Konferenz rennen, vorher aber noch kurz ein kleiner Nachrichtenüberblick featuring Lesetipp:

  • Die Bundesregierung ist ja sehr böse, dass die USA einen Spion für Informationen aus dem NSA-Untersuchungsausschuss bezahlt haben. Innenminister de Maizière will jetzt zurückspionieren. Gegen die USA. Ich glaube ja, die verantwortlichen Herren bei NSA, CIA und Co werden da wenig beeindruckt sein. Sondern eher so reagieren: [plugin imagelink link="http://reactiongifs.me/wp-content/uploads/2014/03/I-dont-give-a-damn-rhett-butler-scarlett-ohara-gone-with-the-wind.gif" imagesrc="http://reactiongifs.me/wp-content/uploads/2014/03/I-dont-give-a-damn-rhett-butler-scarlett-ohara-gone-with-the-wind.gif"]

  • Was heute noch ansteht: Die Wiederaufnahme des Falls Mollath (Hier zum SZ-Newsblog), die Mautpläne von Verkehrsminister Dobrindt und der Jahresbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung.

  • Lesetipp, passend zum Drogen- und Suchtbericht: Die SZ-Wochendendbeilage zum Thema "Rausch", recherchiert und produziert von den Volontären der SZ. Online ziemlich toll aufbereitet. Read it, Leute!


 
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9:32 Uhr: So, thematischer Sprung, von Gott direkt zu Halbgott. Genauer: zum Bademeister. Der hat nämlich seine Allmacht und Unantastbarkeit im Schwimmbad genutzt, um unsere Autorin, die, hochschwanger mit guten Vorsätzen, dort schwamm - aber leider nicht korrekt. Also befahl er Anfängerübungen. Seitdem traut sie sich nicht mehr in dieses Schwimmbad. Im Ticker fragt sie deshalb nach anderen Tabuorten.

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9:17 Uhr:
Liebster Kosmos, ich wünsche guten Morgen. Ein bisschen später als ich eigentlich vorhatte, aber die sz.de-Konferenz zog sich heute ein bisschen in die Länge, weil eine hochtheologische Frage diskutiert werden musste: Nämlich die, ob Gott sich eigentlich für Fußball interessiert. Warum zum, haha: Teufel, diskutieren jetzt die SZ-Nachrichtenmenschen über sowas? Weil die Herren Nationalspieler, vor allem die aus südamerikanischen Ländern, ja ständig den Herrgott anflehen, dass er ihren Elfmeter doch bitteschön an diesem Torwarthühnen vorbeisteuern möge. Und das ist ja schon eine gute Frage: Darf man eigentlich für den Einzug ins Halbfinale beten, wo Gott doch - Stichwort Weltfrieden - eine Menge anderer Sachen zu tun hat? Und was, wenn jetzt der Torwart auch betet, dass er den Ball hält? Wirft Gott dann ne Münze? Hach, einen Erlinger müsste man jetzt dabei haben!

Im Angesicht der Katastrophe

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Das Prasseln des Regens ist das Geräusch, das ihm neuerdings am meisten Sorgen bereitet. Begonnen hat es als ein feines Trommeln auf der Plane, unter der er jetzt mit seiner Familie schläft, mit seinen zwei Frauen und den fünf Kindern. Dann hat es sich rasch ausgebreitet, wie ein endloses Echo, jede Zeltplane ein eigenes Trommelfell. Und jetzt macht es den Krankenpfleger Jacob Nhial Tongyik, 42, aufgerollte Hemdsärmel, wehmütig. Er schaut hinaus über das Meer von schmutzig-grauen Zelten, die wieder ein Stück tiefer in den aufgeweichten Boden sinken werden.



Für Zugang zu sauberem Trinkwasser müssen die Frauen von ihrem Dorf aus zwei Stunden lang zum Nifasha Camp laufen.

Jedes Mal, wenn der Regen kommt, muss Jacob Tongyik an sein Feld denken, das seit Monaten brachliegt. Er hat es in Panik zurückgelassen, als die Soldaten nahten, damals war es noch staubtrocken. Damals war an Feldarbeit noch nicht zu denken. „Ich hätte längst mit dem Aussäen anfangen müssen“, sagt er jetzt, da die Erde endlich wieder Wasser bekommt, „die Regenzeit ist eigentlich die wichtigste Zeit des Jahres.“ Aber er kann nicht.

Malakal, Südsudan, ein Blauhelm-Camp der Vereinten Nationen, eines von vielen im Land. Zu Zehntausenden sind die Menschen hier hineingeströmt auf der Flucht vor den Rebellen und den Regierungstruppen, die abwechselnd zum Morden und Plündern kommen. „Wir hatten eigentlich ein gutes Leben“, sagt Jacob, neben seinem Job als Krankenpfleger verkaufte er das, was sein Feld abwarf. Das war nicht wenig: rund 350 Säcke Mais im Jahr und 400 Säcke Sorghum-Hirse. Aber die Hoffnung, dass er dieses Jahr noch die Saat ausbringen kann, muss er gerade aufgeben.

Was also wird im September sein, wenn wie in jedem Jahr die Regenzeit zu Ende geht im Südsudan? Wenn der Boden wieder trocknet und die Tümpel, die sich überall gebildet haben, verdunsten und die Schlammpisten sich in feste Straßen zurückverwandeln? Der Kreislauf des Lebens wird dann von vorne beginnen. Aber die Felder werden leer sein.

Im September wird in Ostafrika die nächste große Hungerkatastrophe ausbrechen, sagen Fachleute, möglicherweise so groß wie jene in Somalia im Jahr 2011 oder noch verheerender. Bis zu vier Millionen Menschen, hat eine Gruppe von 13 britischen Hilfsorganisationen in der vergangenen Woche geschätzt, seien akut von Hunger bedroht. Krepierende Kinder in der Tagesschau: Diesmal wird es Südsudan sein. Und das ist das Besondere an dieser Katastrophe, das Makabre, das sie von vielen früheren Hungersnöten in Afrika unterscheidet, und es ist auch der Grund, weshalb die UN und immer mehr Hilfsorganisationen den September dick im Kalender anstreichen und ihre Hilfseinsätze schon seit Monaten vorausplanen: Die Not, die sich hier zusammenbraut, ist zu 100 Prozent vorhersagbar. Das gibt es in dieser bedrückenden Klarheit selten. Man könnte die Sendetermine für TV-Spendengalas schon jetzt reservieren.

Die Landwirtschaft verläuft in Zyklen, im Südsudan wie überall auf der Welt. Zuverlässig wie Ebbe und Flut. Dieser Rhythmus pulsiert ungerührt weiter, während die Menschen im Land seit Mitte Dezember vor einem grausamen Machtkampf zweier Politbosse wegrennen. Der Südsudan ist, anders als manche Nachbarn, kein trockenes oder unwirtliches Land – man kann hier stundenlang durch Sumpfgebiete fahren, Siedlungen mit Schatten spendenden Bäumen reihen sich entlang von Flüssen wie dem Weißen Nil. Die Natur hat es eigentlich gut gemeint mit den Südsudanesen: Man kann die Grenze ihres Staates zum Nachbarland Sudan sogar vom Mond aus erkennen, denn dies ist das Gebiet, in dem das Hellbraun der nordafrikanischen Wüsten aufhört und das Grün Zentralafrikas beginnt.

Aber in diesem Jahr ist es fast schon egal, was die Natur macht. Ob der Regen weiter den lehmigen Boden aufweicht wie im Flüchtlingslager von Malakal, wo dürre Hunde schnüffelnd über den schlammigen Boden stromern, oder ob die Sonne das Gras versengt und die Erde zu harten, rissigen Kacheln bäckt, wie damals bei der Hungersnot in Somalia. Im Herbst wird es fast nichts zu ernten geben, so oder so: Diese Katastrophe kündigt sich mit naturwissenschaftlicher Unerbittlichkeit an.

„Die wenigsten Menschen im Südsudan“, so erklärt Florian Landorff, ein Deutscher, der für die Welthungerhilfe durchs Land reist, „befinden sich noch an dem Ort, an dem sie normalerweise leben.“ Sechs Monate Bürgerkrieg haben die Bevölkerung durcheinandergewirbelt, ein paar Hunderttausend sind in beengten Flüchtlingslagern untergekommen wie Jacob Nhial Tongyik, aber noch viele mehr sind irgendwie unterwegs. „Sie haben kein Saatgut dabei, keine Harken, sondern nur ihre Kleidung am Leib“, sagt Landorff. Und im September werden endgültig die letzten Vorräte vom Vorjahr verbraucht sein. Auch das ist in jedem Jahr so.

Landwirtschaft ist immer eine Frage der Zuversicht. Der Mensch muss wissen, dass er das, was er aussät, auch wird ernten können. Wenn im Südsudan derzeit niemand weiß, wann er wird weiterziehen müssen, dann ist die logische Reaktion des Menschen darauf: Eher isst man die letzte Handvoll Mais auf, die in einem Tonkrug lagert, als dass man sie irgendwo auf ein Feld streut.

Die Abhängigkeit vom Wetter ist total. Es gibt im ganzen Südsudan nur 120 Kilometer geteerte Straße, und sobald der Regen einsetzt, versinkt alles andere im Schlamm. Wege werden beschwerlich, teils unpassierbar, Märkte werden eingestellt, weil niemand mehr dorthin kommt. Wer jetzt noch kein Saatgut auf einem Markt gekauft hat, der wird nichts mehr anbauen können, deshalb beeilen sich in gewöhnlichen Jahren alle Bauern, noch schnell dem Regen zuvorzukommen.

Der 15. Mai war in diesem Jahr ein Dienstag. Im Kalender vieler Bauern war es auch eine Deadline: Bis dahin, das lehrt die Erfahrung, müssen Sorghum-Hirse, Erdnüsse und Sesam ausgesät sein, damit sie bis zum Ende der Regenzeit ausreichend wachsen können. In gewöhnlichen Jahren wachsen die Halme der Sorghum-Hirse dann schnell mannshoch, auch Bohnen, Zwiebeln und Auberginen gedeihen, dazu Okra-Schoten, Kürbisse und die purpur blühende Amarant-Pflanze, deren Samen man zur Not auch essen könnte. Nur mit dem Mais hat man etwas länger Zeit, da läuft die Deadline für die Aussaat erst am 30.Mai ab. Doch der ganze Monat Mai war in diesem Jahr von so heftigen Kämpfen geprägt, von regelrechten Terrorkampagnen der Regierungs- und Rebellentruppen, dass an solche Deadlines kaum zu denken war. Und nun hat der Regen eingesetzt. Die landwirtschaftliche Saison 2014 – erledigt.

Im besonders umkämpften Landesteil Unity State, so erzählt Florian Landorff von der Welthungerhilfe, hoffen also viele Frauen auf die Wasserlilie, eine rosa und weiß blühende Blume, die man zwischen Seerosen findet. In ihrer Not gehen viele in den Sumpf, pflücken die Blüten, trocknen die Samen, die ein bisschen an Sonnenblumenkerne erinnern, und ernähren damit ihre Kinder.

Und in der Zeltstadt der Vereinten Nationen in Malakal stellen Jacob Nhial Tongyik und seine Familie sich an, um sich ihre Ration Hirse abzuholen. Es ist die derzeit wohl teuerste Hirse der Welt, denn sie kommt per Luftpost: Das war sogar schon so, bevor das Wasser hier die Straßen aufweichte – seit Monaten müssen die Hilfsorganisationen alles mit dem Flugzeug herbeischaffen, sogar Zeltstangen und Holz, weil ihre Fahrzeuge auf den Überlandstraßen von den Kämpfern beider Seiten hemmungslos geplündert werden. Dabei hat man es in der Stadt Malakal noch vergleichsweise gut: Hier gibt es wenigstens einen Flugplatz mit Asphaltpiste. Andernorts gibt es nur die Natur. Dort müssen Helfer Lebensmittelpakete aus der Luft abwerfen, ins völlig Ungewisse: Wie viele Menschen sich dort unten vor den Milizen verstecken, kann man nur erahnen, und wie viele Pakete im Schlamm untergehen und nie von Bedürftigen gefunden werden, ebenso.

Leben in Staub und Schlamm. Vier Millionen Menschen sind im Südsudan wegen der ausbleibenden Ernte von Hunger bedroht.

nadja-schlueters Kochwoche

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Montag



Vorweg sei gesagt: Montag bis Donnerstag esse ich mittags in der SZ-Kantine, mache davon aber keine Fotos (da verlasst ihr euch besser auf den Tagesblog). Ich verrate aber gerne, was es gab. Heute: Gemüsequiche mit Meerrettichschmand. Am Abend bin ich in der „Lach- und Schießgesellschaft“ bei einer Art „Mixed Show“ (Texte und Musik) und lese ein bisschen was vor. Ich schaffe es vorher nur minimal kurz nach Hause, aber zum Glück dürfen wir uns vor dem Auftritt was von der Lach- und Schieß-Karte aussuchen. Interessanterweise nehmen alle das Käsebrot. Sehr bodenständig von uns. War aber auch ein wirklich gutes Käsebrot.

Dienstag






Das Essen in der Kantine fällt für mich heute aus, weil ich in der Mittagspause mein Fahrrad in die Werkstatt bringen muss. Am Abend gehe ich in meinen ersten Filmfest-Film für dieses Jahr, der aber zum Glück so spät läuft, dass ich mir noch was zu Essen machen kann. Es gibt Couscous mit ungefähr allem drin, was ich noch da habe: Paprika, Tomate, Gurke, Möhre, Avocado, Lauchzwiebeln, Rucola, Limettensaft, Öl, scharfes Paprikapulver und Kreuzkümmel. Zum Nachtisch gibt es Erdbeeren.    

Mittwoch



In der Kantine esse ich (leider sehr fade) Nudeln mit Gemüse und Mozarella. Am Abend: nächster Filmfest-Film. Vorher: Salat mit Feta und (während der Zubereitung schon halb aufgegessenem) Brezel. Foto heute mit Getränk, eine Traubensaftschorle. Denkt sie euch bei allen anderen Fotos dazu, ich trinke das nämlich immer. Wirklich immer.

Donnerstag



Kantine: Kirchererbsen-Kokos-Curry. War sehr lecker und es gab sogar ein (ganz kleines) Lassi dazu. Außerdem hat es sehr satt gemacht, was sich gut trifft, denn heute läuft mein Filmfest-Film schon sehr früh und ich habe nach der Arbeit gerade noch Zeit für eine Banane und die restlichen Erdbeeren, die ich für das Foto besonders schön arrangiert habe...  

Freitag



Freitags bin ich nicht in der Redaktion und darum meine eigene Kantine. Dort gibt es heute Gnocchi mit Tomate, Zucchini, Rucola (kauft man ein Mal welchen, muss man ihn überall reinmachen, weil es immer gleich so viel ist), Pinienkernen und Parmesan, als Beilage einen Salat mit Feta und danach, klar, einen Filmfest-Film.  

Samstag



Heute habe ich so überhaupt gar keine Lust mir irgendwas zu kochen. Das mag daran liegen, dass ich diese Woche die ganze Woche alleine bin und mir alleine kochen und essen nicht so besonders viel Spaß macht. Habe ja noch die restlichen Gnocchi von gestern (kein Foto, kennt ihr ja schon) und schneide mir danach eine halbe Wassermelone klein. Danach gehe ich in zwei Filme hintereinander, muss aber zwischendurch schnell eine Portion Pommes essen, weil ich natürlich doch wieder Hunger kriege.  

Sonntag



Tarurig, heute kein Film für mich, denn das Filmfest ist vorbei. Das Trostessen sind Nudeln mit (fast) allem, was grün ist: Lauchzwiebel, Erbsen, Sellerie (alle drei mit schön viel Knoblauch angedünstet), Rucola (ja, es ist immer noch welcher da) und Pecorino (zum Glück nicht grün).
[seitenumbruch]
1. Welches ist dein Lieblingskücheninstrument und warum?

Ein scharfes Messer. Und den Pürierstab mag ich auch, vor allem im Herbst, da pürier ich alles zu Suppen.

2. Welches war dein allerschlimmstes Küchenmissgeschick?
Ohje, das war kurz nachdem ich mit meinem Freund zusammengekommen bin und wir das erste Mal gemeinsam gekocht haben. Damals war ich noch eine viel größere Null in der Küche als heute und habe darum angeboten, immerhin den Nachtisch zu machen. Es sollte Schokopudding geben. Die Milch brannte an und das Ergebnis schmeckte furchtbar. Ich rechne es meinem Freund bis heute hoch an, dass er tapfer seinen Pudding löffelte, bis ich „Sag mal, der schmeckt doch total verbrannt, oder?“ sagte.

3. Dein Lieblingsgewürz:

Mehrere. Thymian, Koriander, Kreuzkümmel.

4. Was machst du am liebsten während des Essens?
Mit jemandem sprechen. Wenn keiner da ist: lesen.

5. Was klebt an deinem Kühlschrank?
Nix.

6. Woher nimmst du dir deine Rezeptideen?

Ich bin in der Küche leider sehr unkreativ. Meine "Rezepte" (oder eher das Wissen darum, was mit was zusammen okay schmeckt) kommen meist von meinem Freund, der sie wiederum aus seinem Gehirn, Rezepte-Apps, Kochbüchern und von seiner kochbegabten Mitbewohnerin bezieht. Wenn ich Reste zu verwerten habe, google ich mir auch schon mal ein Gericht zusammen.

7. Irgendwelche außergewöhnlichen Fressangewohnheiten? Erzähl!
Beim Kochen esse ich mich eigentlich immer schon an allen Zutaten satt, die man roh in den Mund stopfen kann. Ich habe auch schon jedes Gemüse mindestens ein Mal beim Schneiden probiert, auch, wenn es roh gar nicht schmeckt. Ich esse sogar rohe Spaghetti.  

8. Zeig uns mal ein Foto von deiner Küche und/oder von deinem Lieblingsessensplatzerl!

Mh, ach nee, da gibt’s nix zu sehen.

9. Wer ist der König im Obstsalat?

Bananen! Und als Spezialzutat: Haferflocken.

10. Verrat uns doch deinen besten Küchentipp!
Weil ich wie gesagt keine besonders kreative Köchin bin, baue ich sehr darauf, dass eine kleine, aber sehr aromatische Zutat ein Gericht um Längen besser machen kann. Ich glaube, mein Essen in dieser Woche wären zum Beispiel ohne Pinienkerne oder Pecorino ziemlich fade gewesen.

Und: Nominiere jemanden für zukünftige Kochwochen!
charlotte-haunhorst, weil ich gerne wissen möchte, ob sie wirklich so oft Bolognese ist wie sie sagt, und the-wrong-girl, weil sie immer so fleißig den Tagesblog kommentiert und ich jetzt gerne mal sehen würde, was sie dabei so zu sich nimmt.

Gruppentheater

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Die Einweggruppe


So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Freitag Pokern?!?!" oder "Samstag Grillen @Balkonien". Gruppenbild gibt es meist gar keins – lohnt sich ja eh nicht. Wenn sich doch jemand die Mühe macht, ist das Foto das Nächstliegende: ein Herz-As oder das, was bei der Google-Fotosuche als erstes kommt, wenn man "Grillen" eintippt.

Die sind drin: Jens, Stef, Michi und acht weitere Kandidaten, die auch Zeit haben könnten.

Das soll sie bringen:

Ein geiles Event! Jens will Spaß, Jens will was unternehmen, Jens will was erleben. Und jetzt hat er sich mal ein Herz genommen, um die anderen aus ihrer Lethargie zu wecken und was anzuschubsen.

Das bringt sie wirklich:
Whatsapp ist denkbar schlecht geeignet für effiziente Planung. Einige verlassen die Gruppe sofort, weil sie echt keinen Bock auf noch einen Chat haben, der drei Tage lang mit Nachrichten-Dauerfeuer nervt. Bei anderen geht Jens' Aufruf einfach unter, oder sie ziehen es vor, erst mal nicht zu antworten. Weil sie gerade Wichtigeres zu tun haben, oder aus taktischen Gründen: Freitag, das ist ja noch lang hin, da kann man erst mal abwarten, wie die anderen reagieren. Zwischenzeitlich sieht es manchmal zwar so aus, als käme die Pokerrunde zustande, zuletzt springen aber doch zu viele ab, sodass Jens irgendwann gezwungen ist, zu schreiben: "Leude, ich glaub, wir vertagen das noch mal. Ihr hört von mir." Sie hören nichts mehr von ihm.

Typische Konversation:



Die Familien-Gruppe


So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Familienbande". Das Bild ist ein abfotografiertes Foto aus den Achtzigern, auf dem das jüngste Geschwisterchen noch ein Säugling ist.

Die sind drin: Mama, Papa, Jens und Clara.

Das soll sie bringen:
Nachdem alle Kinder "aus dem Haus" waren und Mama und Papa sich Smartphones zugelegt hatten, haben sie den zwei Sprösslingen täglich SMS geschickt – ungefähr die gleichen, aber unabhängig voneinander. Jens hat dann die Familiengruppe gegründet (großes Hallo bei Mama und Papa, "Was es nicht alles gibt!"). Endlich würde sich die Informationsgier bündeln und es gäbe einen Raum für die Urlaubsfotos der Eltern oder Neuigkeiten von Nesthäkchen Clara aus Heidelberg, wo sie jetzt studiert. So hofft man, das Familienleben aufrecht zu erhalten.

Das bringt sie wirklich:
Mama und Papa kommunizieren nebeneinander am Esstisch über die Gruppe, anstatt direkt miteinander zu sprechen, Clara hat Probleme mit dem Abnabelungsprozess, weil sie das Gefühl hat, Bescheid sagen zu müssen, wenn sie nachts nicht nach Hause kommt, und Jens entdeckt ganz neue Seiten an seinen Eltern, weil sie ständig Selfies und Fotos ihres Mittagessens schicken. Insgesamt wird das Familienleben nicht bloß aufrecht erhalten, sondern alle bekommen sehr viel mehr voneinander mit als zu der Zeit, als man noch das Badezimmer geteilt hat. Manchmal sogar zu viel.

Typische Konversation:




Auf der nächsten Seite: Organisierer und Angeber. 


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Die Orga-Gruppe



So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Geologenparty SS 2014". Bild gibt's erst mal keins, ist ja eine sachliche Angelegenheit hier. Bis irgendwann einer witzig sein will und das Foto eines Steins hochlädt.

Die sind drin: Die Fachschaft Geologie und ein paar fleißige Helferlein.

Das soll sie bringen:
Vor allem soll sie die Planung erleichtern. Wenn man alle gleichzeitig fragen kann, welchen Begrüßungsschnaps man am besten ausgibt und wer sich drum kümmert, ihn zu besorgen, sollte das Ganze schnell geklärt sein.

Das bringt sie wirklich:
Leider werden die verschiedenen Ansprüche der Organisatoren und das unterschiedliche Level an Ernsthaftigkeit im Chat viel deutlicher als bei einem Treffen. Und es kommt schneller zu Missverständnissen: Paul schreibt, er könne sich um die Garderobe kümmern. Er meint das als unverbindliches Angebot, der Rest versteht es als Versprechen. Am Ende gibt es keine Garderobe. Außerdem drängt das minütlich vibrierende Handy wegen der vielen Teilnehmer die Party-Organisation ständig ins Bewusstsein und geht bald allen endlos auf die Nerven. Am Ende sind die Fronten so verhärtet, dass man sich doch noch mal im Fachschaftsraum zusammensetzen muss. Und siehe da: Nach 40 Minuten sind alle Aufgaben verteilt, alle Fragen geklärt – und alle erleichtert.

Typische Konversation:



Die Reiseblog-Gruppe



So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Jensi auf großer Fahrt". Das Gruppenbild zeigt zunächst Jens mit Sonnenbrille im letzten Frankreichurlaub, wird aber künftig alle paar Tage von ihm selbst geändert (die Oper in Sydney, Jens mit Koala, Jens am Ayers Rock, witziges "Koalas crossing"-Straßenschild).

Die sind drin:
Jens, Mama, Papa, Clara und elf von Jens handverlesene Menschen: seine besten Freunde, seine ehemaligen Mitbewohner Felix und Bene und sein kleiner Cousin Martin, der ihn (glaubt Jens zumindest) ziemlich cool findet. Viele Menschen also, die sich sicher nie alle zu einem Plausch um den selben Tisch versammeln würden.

Das soll sie bringen:
Jens macht ein Auslandssemester in Australien und weil er keine Lust hat, jedem einzeln von seinen Erfahrungen zu berichten oder ein Reiseblog zu schreiben, hat er die Gruppe mit dem ironisch gemeinten Titel aufgemacht. Hier will er ab und zu Fotos posten und schreiben, was er sich gerade Spannendes anschaut. Weil, ist ja klar: so weit weg, wie er ist, interessiert das die daheim ja brennend!

Das bringt sie wirklich:
Am Anfang interessiert es die anderen tatsächlich. Zumindest ein paar von ihnen. Zumindest ein bisschen. Aber nach zwei Wochen sind alle (bis auf Jens' Eltern) genervt von den Fotos, die sie ja doch bloß neidisch machen sollen, und von dem ewigen "Schön!", "Ach wie schön!", "Neid!" und "Hast du's gut", das der Rest pflichtbewusst unter seine Ausführungen tippt. Martin hat schon am zweiten Tag die Benachrichtigungen der Konversation ausgeschaltet, aber das weiß natürlich keiner. Und als Jens nach vier Monaten zurückkommt, hat irgendwie keiner (bis auf Jens' Eltern) so richtig Lust, sich mit ihm über seine Erlebnisse zu unterhalten.

Typische Konversation:




Auf der nächsten Seite: alte Kumpanen und Hobby-Fetischisten.  


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Die Revival-Gruppe



So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Zivis 2009 Reunited" oder "Karlstr 48 – Back in the days". Das Gruppenbild muss die Maximaldosis Nostalgie enthalten: das Gemeinschaftsfoto vom Zivi-Seminar in Geretsried, als alle noch ein Metallica-Ziegenbärtchen trugen. Oder der Rote-Augen-Schnappschuss von der WG-Einweihungsfeier, der jahrelang am Kühlschrank klebte.

Die sind drin:
Die von früher. Genauer: die, die sich noch gerne an dieses Früher erinnern, an diese magische Zeit, als man zusammen wohnte oder Essen an Menschen in Altenheimen lieferte und zwischendrin mächtig viel "geilen Scheiß" machte.

Das soll sie bringen:
Die guten alten Zeiten zurück. Die Insiderwitze von damals. Das Gefühl des Zusammengehörens.

Das bringt sie wirklich:
Die guten alten Zeiten bleiben natürlich, wo sie sind, nämlich in der Vergangenheit. Und manche der Insiderwitze von damals sind wie Spinat: aufgewärmt nicht gut. Aber nach einer Weile, wenn man sich wieder aneinander gewöhnt hat und an die Tatsache, dass die anderen einem in der Hosentasche ähnlich nah sein können wie beim Bier in der WG-Küche, braucht man die alten Witze nicht mehr. Dann entstehen neue, ganz von alleine, und das Gefühl des Zusammengehörens ist wieder aufgefrischt wie das Immunsystem nach einer Impfung.

Typische Konversation:



Die Hobbygruppe



So heißt sie und das ist das Gruppenbild:
"Klettern" oder "Surf's up Buhne 16". Hier geht es um die Ausübung eines Hobbys und wer dafür eine Whatsapp-Gruppe nutzt, meint es ernst mit dem Hobby, da braucht's keinen Schnickschnack. Das Bild zeigt einen der Sehnsuchtsorte der Hobbygruppe: eine Wand in den Dolomiten oder eine Welle auf Tahiti.

Die sind drin:
Die Jungs und Mädels aus der Alpenvereins-Klettergruppe, oder dem Urban-Gardening-Projekt oder die Locals vom heimischen Surfspot.

Das soll sie bringen:
Optimierung der Hobbyausübung: Wer hat gerade ein Auto, wo bekommt man günstig Bio-Tomatendünger? Und wer hat morgen Zeit, den Mangold zu ernten?

Das bringt sie wirklich:
Optimierung der Hobbyausübung, ja, das schon. Aber auch viel überflüssiges Gepose und unterschwellig aggressives Schwanzvergleichgehabe: Der Angebersurfer kann nämlich nicht unerwähnt lassen, dass er demnächst den Trip zu den entlegensten Traum-Surfspots macht, und muss zwanghaft nach jeder Äußerung der anderen einen Besserwisserkommentar abgegeben. Und aus der Frage, wer morgen mit in den Mangold kommt, entspinnt sich eine Diskussion über 40 Nachrichten, wie die Ernte korrekt gelagert und verarbeitet werden muss.

Typische Konversation:

Kosmoshörer (Folge 22)

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Montag:
Der Tag beginnt, wie so oft, musiklos - was ich doppelt bedaure, nachdem ich für eine Geschichte über Morgenrituale mit der Bloggerin Nike gesprochen habe, für die ein Morgen ohne Musik unvorstellbar ist. Bestimmt würde Musik auch mir den Tagesbeginn erleichtern, aber ich bekomme es ja vor lauter Zerstreutheit morgens nicht einmal hin, die Radio-App auf meinem iPhone einzuschalten. Wie sollte ich da also Musik anmachen können? Erst mittags um eins, nachdem ich eine Freundin getroffen habe und einige kleine Organisationsdinge erledigt habe, finde ich zurück am Schreibtisch und mit Blick auf den Dauerregen draußen zum ersten Mal Muße für Musik. "Black Winds" von Little John passt zum Wetter und zu meinem sehr dunklen Montagsgemüt.   

http://www.youtube.com/watch?v=wuiimwef-RI  

Dienstag:

Ich verbringe fast den ganzen Tag damit, Dinge für ein Kunstprojekt für die Uni zu besorgen und es schließlich zusammenzubasteln. Dabei höre ich natürlich Musik und als "Who Knows" von Jimi Hendrix kommt, kriege ich sofort gute Laune und denke ein paar Mal hintereinander: Mann, das ist wirklich ein verdammt guter Song! Eines der wenigen "fröhlichen" Lieder, die ich regelmäßig und gern höre. Es entspannt mich sofort, ich fühle mich dabei ungefähr so, wie man sich ein tanzendes Kamel vorstellt. Irgendwie, "groovend", auch wenn mir bei dem Wort natürlich gleich schlecht wird.   

 Jimi Hendrix – Who Knows
 
 
Mittwoch:
Der Mittwoch wird mir von dunklen Mächten aus Albuquerque gestohlen. Ich müsste in die Uni gehen, dies und jenes schreiben und erledigen, gehe morgens noch topmotiviert zum Yoga und dann, naja, dann will ich eigentlich nur frühstücken und dabei eine Folge Breaking Bad, eventuell, und so weiter. Und dann ist es plötzlich 17 Uhr und ich bin wie überfahren. Gegen die Serienkopfschmerzen hilft nur noch eine Ibuprofen 600, ein extrascharfer Burrito und ein schneller Aufbruch ins Kino zu dem Film "Le Meraviglie- Die Wunder". Danach bin ich noch glotzlädierter, zwinge mich aber, sozusagen als Wiedergutmachung für den unproduktiven Tag, noch zum Putzen. Dabei laufen mehrere Lieder, aber das schönste ist definitiv "Oo" von Jason Edwards.  

http://www.youtube.com/watch?v=1YcgyWSIZOo

Donnerstag:
Auf dem Weg in die Redaktion am Morgen scheint die Sonne. Ich fliege auf meinem Rad nur so durch die Straßen und die Shuffle-Funktion auf meinem iPhone spuckt ausschließlich gute Lieder aus, so dass ich kein einziges Mal ungeduldig weiterschalten muss. Am meisten freue ich mich über die Vitamin String Quartet Version von "Liztomania". Den Ursprungssong (ich glaube von Phoenix) fand ich nicht besonders, diese Version liebe ich - sie ist wie eine Filmszene, ich muss mir immer vorstellen, dass Geige und Bass (ist das überhaupt ein Bass, den ich meine?) zwei Menschen sind, die in eine heftige, emotionale Diskussion über sehr große Themen verwickelt sind und obwohl man natürlich keine Worte, sondern nur Instrumente hört, habe ich das Gefühl, genau zu wissen, warum sie streiten und wie der Streit verläuft. Und dann kriege ich immer ein bisschen eine Gänsehaut.  

http://www.youtube.com/watch?v=MaxYz5r-tNg

Freitag:
Ich höre den ganzen Tag keine Musik, weder in der Redaktion (weil ich meine Kopfhörer vergessen habe und die Redaktionskopfhörer immer nur ganz kurz aufsetzen kann, weil ich von denen immer Kopfweh kriege) noch abends oder nachts, denn ich schlafe bei meinem Freund und wir gucken "Breaking Bad". Aber einen Song für heute habe ich natürlich trotzdem, nämlich den, den meine kläglich allein gelassene Wohnung heute Nacht singen würde, wenn sie ein Mensch wäre. "Home" von Austra: "...You know that it hurts me when you don't come home at night..."

http://www.youtube.com/watch?v=ZzggClKBqJI  
 
Samstag:
Nachmittags bin ich im Biergarten auf dem Geburtstag meines Bruders, abends fahre ich mit meiner kleinen Schwester zu mir nach Hause. Sie rollt sich in meinem Bett zusammen wie ein kleines Tier und schläft sofort ein, obwohl wir eigentlich irgendwas zusammen machen wollten. Also beschäftige ich mich allein und fange an, mein komplettes Bücherregal neu zu sortieren. Dabei höre ich leise Musik und stoße auf den "Eiskalte Engel"-Soundtrack, der meiner Meinung nach, mit denen von "Lost in Translation", "Spiel mir das Lied vom Tod" und "La Grande Bellezza", zu den besten Soundtracks aller Zeiten gehört. Aber vielleicht war ich auch einfach zu der Zeit, als er rauskam, in der gefühlsdramatischsten Zeit überhaupt: der Pubertät. Bei jedem einzelnen Song kriege ich deshalb Gänsehaut, Herzziehen und vor meinem inneren Auge tanzen lauter dramatische Erinnerungsbilder aus der Zeit zwischen 2002 und 2005 vorbei. Puh! Für welchen Song entscheide ich mich jetzt? Sind doch fast alle gleich stark. Nehmen wir Aimee Man.  

http://www.youtube.com/watch?v=92oLolGMEs8

Sonntag:
Erst abends höre ich Musik, und zwar, als ich anfange, meine Kosmoshörer-Woche aufzuschreiben. Jetzt gerade läuft Rachels "Water from the same source". Damit geht es mir ein bisschen wie mit Liztomania. Aber es gibt noch so viele schöne Lieder, die ich hier gern anbringen würde."Comfortably numb" von Pink Floyd zum Beispiel, das ist so ein Immer-Lied von mir, oder "Summer" von Mogwai. Aber vielleicht nutze ich auch einfach die Gelegenheit, einen sehr, sehr schönen neuen Song von einem alten Freund von mir vorzustellen, Max Krefeld, dessen Musik ich schon kenne, seit ich 14 bin. Wir waren eine Zeit lang auf derselben Schule. Ich erinnere mich an Kassetten voller irrer Computertöne und Piepsgeräusche, abgefahrene Bandproben in Kellerräumen und eine sehr rührende Abschieds-Mix-CD, als ich irgendwann von einem Tag auf den anderen wegziehen musste. Und an ein Wiedersehen nach langen Jahren in einer Sommernacht in Berlin, als er schon mit Appaloosa bei Kitsuné unter Vertrag war. Aber jetzt endlich zu dem Song, den ich hier vorstellen will: Aus einem anderen Max-Projekt namens "Achtung Liebeautomat" ist mittlerweile Candyblasta geworden. Nach einigen Veröffentlichungen bei Permanent Vacation vertreiben sie jetzt auf Bandcamp ihr neuestes Stück "The Ocean".  

http://www.youtube.com/watch?v=qljv3S33vVo
 
PS: Dazu braucht man natürlich noch das Cover vor Augen, nach dessen Anblick man sofort ans Meer will.





Auf der nächsten Seite: der ausgefüllte Musik-Fragebogen von mercedes-lauenstein.
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„Gute Musik“  - was ist das für dich?
Das klingt jetzt etwas vage, aber: Gute Musik ist Musik, die mich bewegt. Die mein Leben für einige Minuten anhebt und intensiviert, so dass ich mitschwinge und mich, während ich sie höre, fühle wie die Protagonistin eines Films. Von guter Musik kriege ich nicht genug, ich kann sie über Jahre hinweg immer wieder hören, sie reift wie guter Wein und bekommt jedes Jahr eine neue Reifenote dazu. Andererseits: Auch Songs, die ich vielleicht nur einen Sommer, vielleicht nur eine Woche lang gut finde, sind für die Dauer dieser Zeitspanne natürlich gute Musik.
 
Was war deine erste eigene Platte und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?
Das weiß ich ganz genau und es ist, natürlich, peinlich: "The Conquest of Paradise" von den Vangelis. Ich war acht Jahre alt und bin zu diesem Lied so lange singend und tanzend auf meinem Bett rumgehüpft, bis der Lattenrost durchgebrochen ist. Bis ich etwa zwölf war, habe ich vor allem Bravo-Hits gehört und alles, was bei "Delta-Radio" kam. Mit 13 mochte ich die Deutsch-Hip-Hop-CDs meines Bruders und all die alten Rocksachen, die er auf seinem Computer hatte. Mit 14 hörte ich die alten David Bowie, Nick Cave, Genesis und Leonard-Cohen-Platten meiner Mutter und kurz darauf, durch meinen ersten Freund, der in einer ziemlich coolen Trainingsjacken-Britpop-Clique war, wurde ich zum klassisches Indie-Girl mit Faible für "The"-Bands, isländisches und britisches Postrock-Zeug, Singer/Songwriter und Hard Rock-Kram wie Guns’n’Roses, Cream, Queen und so weiter.

Mit 17 wurde ich coolnessbedingt ein bisschen zum Elektro-, Techno-Girl, mit 20 fand ich das langweilig und seither höre ich alles, was aus all diesen Phasen an dauerguten Liedern übrig geblieben ist. Plus ein bisschen Country oder klassisches Zeug. Neuerscheinungen verfolge ich nicht. Auch, wenn man meine musikalischen Vorlieben längst nicht mehr in eine Schublade sortieren kann, haben sie eines gemeinsam: Eine gewisse Traurigkeit oder Dramatik. Ich liebe melancholische oder irgendwie melodramatische, traurige, aufreibende Musik. Ich habe schon oft gehört: "Oh nee, Mercedes, nicht so was Deprimierendes"und habe gedacht: "Oh Mann, das ist doch nicht deprimierend! Das ist doch schön!" Ich liebe dunkle, traurige, wehleidige Musik, ganz egal zu welchem Anlass.
 
Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?
Vor allem benutze ich iTunes, in das ich über Jahre hinweg all meine alten CDs reingeladen habe. Und neuerdings Spotify, Schande über mein Haupt, denn ich habe kein faires Gefühl dabei. Leider ist es bequem und praktisch und auch irgendwie charmant, ich teile zum Beispiel mit einer Freundin eine Playlist. Wenn ich allerdings näher drüber nachdenke, was das Portal für das Auskommen der Musiker bedeutet, schäme ich mich, werde wütend und denke: Nächsten Monat kündige ich! Ja, gleich nächsten Monat!  

Und wo hörst du am liebsten Musik?
Am liebsten auf dem Fahrrad oder beim Irgendwo-Hingehen, beim Putzen oder beim Malen, Zeichnen, Rumbasteln. In Bewegung also, oder bei einer handwerklichen Tätigkeit. Nie beim Einschlafen, nie beim Lesen, nie beim Aufstehen. Selten beim Schreiben, und wenn, dann nur leise und instrumental, sonst kann ich mich nicht konzentrieren.  

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?
Ich habe noch nie von einer Band oder einem Musiker wirklich alles gemocht, aber es gibt schon ungefähr zehn Bands oder Musiker, die ich schon so lange mag, dass ich sie - glaube ich - auch mein restliches Leben lang mögen werde.   

Welche Musik magst du gar nicht und warum?
Reggae, ganz klar. „Davon kriegt man Rühreier im Kopf“ hat mein Vater mal gesagt und ich habe nie wieder eine treffendere Beschreibung für Reggaemusik gehört. Metal mag ich auch nicht. Mit einer Ausnahme: Black Sabbath. Die sind für mich aber sowieso eher Hard Rock. Und dieses Klack-Klack-Klack-dung-dung-dung-Club- oder Lounge-Elektro, das man mittlerweile überall zu hören kriegt, kann ich auch nicht mehr hören, ohne dass mir übel wird. Und das ist keine Übertreibung: Von Musik, die ich nicht mag oder die mich langweilt, wird mir richtig körperlich schlecht, so wie wenn man viel zu lang Kaugummi kaut, zu lang Auto, oder einen kurvigen Berg hoch fährt. Das macht irgendwas mit dem Gleichgewichtszentrum in meinem Hirn oder so, kann man sicher wissenschaftlich erklären.  

Gehst du gern auf Konzerte und auf welche zuletzt?
Ich gehe viel weniger auf Konzerte als die meisten meiner Freunde, glaube ich. Weil ich einfach nicht gern in dichtgedrängten, feucht-muffigen Menschenmassen herumstehe, die ganze Zeit nach vorne gucke und mir da stundenlang jedes einzelne Lied einer Band anhöre, wenn ich meist nur ein paar davon richtig gern mag. Aber es gibt natürlich Ausnahmen, wie zum Beispiel das Black Sabbath Konzert auf dem Königsplatz in München vor ein paar Wochen. Das war eines der besten Konzerte, auf dem ich je war. Wer es sich vorzustellen versuchen möchte, lese bitte diesen wunderschönen und sehr treffenden Konzertbericht und stelle sich dazu vor, dass das Ganze nicht in Berlin, sondern an einem Freitagabend, den 13. unter Vollmond auf dem Münchner Königsplatz stattgefunden hat. 
 
Wie entdeckst du neue Musik und welche ist deine neueste Entdeckung?
Wie oben schon gesagt: Durch Filme und Freunde. Eine der neuesten Entdeckungen ist total quatschig, aber sehr charmant: Giorgo Gaber. Eine Freundin mit italienischem Freund war kürzlich zum Weintrinken bei mir und hat mir einige Sachen vorgespielt, zum Beispiel auch so italienische Partisanenlieder.   

Verrate uns einen guten Song… 

…zum Aufwachen:
http://www.youtube.com/watch?v=wz8OgFZiwtM

Tanzen: 
http://www.youtube.com/watch?v=QaXIOanHlGc

Traurig sein:
Alles, was ich höre, ist ideal zum Traurigsein. Aber was ich sehr lange nicht gehört habe und was ich lange Zeit unfassbar traurig fand, ist: "Little Bag of Gloom" von Monster Magnet.  

http://www.youtube.com/watch?v=IqxdqQku6wE  

Als nächstes Kosmoshörer wünsche ich mir:
nadja-schlueter. 

Alle Kosmoshörer findet ihr wie immer gesammelt hier:
Kosmoshörer

Möchtest du  auch 
Kosmoshörer werden und deine Musik-Gewohnheiten dokumentieren? Dann schreib eine jetzt-Botschaft an teresa-fries oder eine Mail an teresa.fries@sueddeutsche.de

Wie verdiene ich Geld mit meinem Blog?

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Bislang dachte ich immer: Wer ein Blog unterhält, hat erstens ein großes Mitteilungsbedürfnis und zweitens ziemlich viel Freizeit, um seine Webseite unentgeltlich mit mehr oder weniger interessanten Inhalten zu füllen. Bis ich auf Jessica Weiß stieß. Sie ist Deutschlands bekannteste Modebloggerin. Mit LesMads.de hat sie den Modeblogger-Boom in Deutschland mitbegründet – und das Blog einige Zeit später gewinnbringend an Burda, einen großen Zeitschriftenverlag, verkauft. Mit Journelles.de, ihrem zweiten „Baby“, bestreitet Weiß nun unter anderem ihren Lebensunterhalt. Nur: Wie macht sie das?

„Wichtig für die Vermarktung eines Blogs sind zwei Faktoren“, sagt Karsten Lohmeyer. Lohmeyer ist Journalist und bloggt selbst auf Lousypennies.de– darüber, wie man mit dem Bloggen Geld verdienen kann. „Wichtig sind zum einen die Zielgruppe und zum anderen die Reichweite“, sagt er. „Je interessanter die Zielgruppe, umso weniger Reichweite brauche ich“, erklärt er seine Faustregel. Eine gute Zielgruppe für ein Blog sind all jene Menschen, die Geld haben und bereit sind, dieses Geld für bestimmte Produkte auszugeben.

Genau deshalb seien Modeblogs oft erfolgreich, erklärt er. Sie werden von Menschen gelesen, die sich für Mode interessieren und die bereit sind, einiges zu investieren, um ihren Kleiderschrank zu bestücken. „Grundsätzlich eignet sich aber jedes Thema, hinter dem eine große Industrie steckt.“ Die Reichweite ist vor allem für die Werbekunden interessant, die dafür zuständig sind, dass ein Blogger Geld verdient. Beispiel „Google AdSense“: Jeder Blogger kann sich bei „Google AdSense“ bewerben. Solange sein Blog den Richtlinien des Konzerns entspricht (kein Sex, kein Alkohol), bekommt man von Google einen Code, den man in seine Seite integriert. Von Google werden dann über diesen Code Anzeigen, die zum Inhalt des Blogs passen, auf der Seite ausgespielt. „Je nach dem, wie viele Kunden auf diese Links klicken, wird ein prozentualer Anteil dessen, was Google an den geschalteten Anzeigen verdient, an den Blogger ausgezahlt“, erklärt Lohmeyer. „Es gibt durchaus Blogger, die allein damit mehrere hundert Euro im Monat verdienen.“

Ebenso interessant ist das so genannte Affiliate-Marketing. Hier gibt es mit „Affilinet“ oder „Zanox“ verschiedenen Anbieter, die als Vermittler zwischen Verkaufsplattformen und Bloggern auftreten. Bespricht ein Blogger auf seiner Seite ein bestimmtes Produkt, kann er daneben einen Link platzieren, der den Leser, der das Produkt kaufen möchte, direkt zu einer Verkaufsplattform weiterleitet. Für jeden so getätigten Einkauf wird der Blogger für die erfolgreiche Weiterleitung entlohnt.

Aber verliert ein Blogger damit nicht seine Unabhängigkeit und damit auch seine Glaubwürdigkeit? Lohmeyer sieht diese Frage gelassen: „Es kommt immer darauf an, wie transparent man mit Werbung auf dem Blog umgeht“, findet er. Wer Werbung klar und deutlich als solche ausweise, bleibe auch dann weiter glaubwürdig, wenn er zu Verkaufsplattformen verlinkt – nur werde er eben indirekt für seine Beratung bezahlt.

Auch Bannerwerbung auf Blogs ist möglich. Weil viele Blogs aber nicht genügend „Views“ generieren, um für große Anzeigenkunden interessant zu sein, sind so genannte „Vertical Networks“ entstanden. „Diese Anbieter fassen zwanzig bis dreißig Seiten zu einem Thema zusammen und stellen den Kontakt zum Anzeigenkunden her“, erklärt Lohmeyer. Die Anzeigen, die ein Konzern dann über ein Vertical Network schaltet, werden auf allen beteiligten Blogs ausgespielt und die Blogger entsprechend anteilig vergütet.

„Ist die Reichweite eines Blogs groß genug, kann man natürlich auch selbst Firmen ansprechen und eigenständig Anzeigenkunden für sich gewinnen“, sagt Lohmeyer. Dafür sei aber eine Mindest-Reichweite von 100.000 Views im Monat nötig. „Bei dieser Zahl sind meiner Erfahrung nach zwischen 500 und 1.000 Euro monatlich drin, wenn man alle Werbemöglichkeiten ausschöpft“, sagt Lohmeyer, „mit Ausschlägen nach oben und unten. Das können also auch durchaus mal 2.000 Euro im Monat sein.“ Wie viele Menschen sich täglich, wöchentlich und monatlich auf einem Blog tummeln, lässt sich mithilfe von „Google Analytics“ herausfinden. Auch so genannte „Sponsored Posts“ bringen Geld. „Das sind klar als Werbung ausgewiesene Beiträge auf einem Blog, die von einer Firma erstellt werden und für deren Veröffentlichung der Blogger Geld bekommt“, erklärt Lohmeyer.

Schließlich kann man mithilfe eines Blogs auch Spenden generieren. „Dazu integriert man entweder einen Spendenbutton, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Paypal“, sagt Lohmeyer, „oder man lässt sich flattrn.“ Um daran teilzunehmen, muss man als Blogger gar nichts zu tun. Es sind die User, die hierfür einen Betrag X auf ihr Flattr-Konto einzahlen. Jedes Mal, wenn dem User ein bestimmtes Blog gefällt, markiert er diese Seite. Am Ende des Monats wird der eingezahlte Betrag anteilig auf alle markierten Seiten verteilt. „Das hat sich aber bislang noch nicht durchgesetzt“, räumt Lohmeyer ein.

Nur vom so genannten „Linkverkauf“ rät Lohmeyer ab. „Das ist böse Magie“, sagt er, weil man mit der bezahlten Verlinkung auf andere Seiten im Grunde Google betrügt, die Seiten in ihrer Suchmaschine weiter oben auflisten, umso häufiger auf sie verlinkt wird. „Wenn Google das herausfindet, kann man erstens abgestraft und zweitens in der Suchmaschine geblockt werden“, sagt er, „und das bedeutet für einen Blogger den Tod.“

Autorin Marlene Halser, 36 Jahre, sucht nun fieberhaft nach einem guten Thema für ein Blog. 
Fünf Tipps für das Geld verdienen im Netz:

1. Finde ein Thema, das viele Menschen interessiert, am besten solche, die Geld haben und bereit sind, es für bestimmte Produkte zu investieren.

2. Gestalte ein professionelles Blog und füttere diesen regelmäßig mit relevanten Beiträgen. Sorge mithilfe von Sozialen Netzwerken dafür, dass Dein Blog bekannt und von immer mehr Menschen besucht wird.

3. Tritt mit GoogleAdsens, Affiliate-Partnern, Vertical Networks und potenziellen Werbekunden in Kontakt, um deren Tools, Links, Banner und Beiträge in Deine Webseite zu integrieren.

4. Installiere einen Spendenbutton auf Deinem Blog.

5. Informiere Dich bei einem Steuerberater darüber, ob es nötig ist, ein Gewerbe anzumelden, oder besorge Dir beim Finanzamt eine Steuernummer, denn auch Werbeeinnahmen aus Blogs müssen versteuert werden.
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