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Die frauenfreundlichen Spaghetti

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Wer in einem großen Supermarkt auf Nudelkauf geht, muss sich derzeit noch auf den Preis verlassen oder wählt vielleicht das hübscheste Verpackungsdesign. Alternativ kann er sich natürlich auch für die tollste Form entscheiden oder auf Fairtrade-Etiketten und Bio-Siegel achten. Sollte er sich bei der amerikanischen Kette Walmart mit Teigwaren eindecken, wird ihm zukünftig eine weitere Entscheidungshilfe bereitstehen: der Frauen-Stempel. In schlichten Großbuchstaben sollen da alle Produkte von Unternehmen mit weiblichen Besitzern gekennzeichnet werden. Als „WOMEN OWNED“. Im bunten „O“ dominiert übrigens die Farbe Pink.





Bestimmt ist dieses Siegel gut gemeint. Man liest ja zurzeit wieder verstärkt, wie schwer es die eine Hälfte der Menschheit im Leben und in der Wirtschaft hat. Zum Beispiel musste sich die ehemalige Vizepräsidentin der Dating-App Tinder vom Marketing-Chef eine Hure nennen lassen, so steht es zumindest in ihrer Klage wegen sexueller Belästigung. Solche Vorfälle sind unbegreiflich und schlimm, genauso wie die Tatsache, dass der Zugang zu manchen Berufszweigen und zu Führungspositionen für Frauen schwieriger ist als für Männer. Es besteht Handlungsbedarf.

Walmart hat die Dringlichkeit des Diskriminierungsproblems offensichtlich erkannt. „Wir müssen sie retten, diese armen Frauen“, könnte jemand in der Chefetage der Supermarktkette als Reaktion auf die neuesten Vorfälle gesagt haben, bevor er oder sie dann mit einem Plan rausrückte: Ein neues Siegel soll her. Als wäre eine Frau als Führungskraft etwas, das extra erwähnt werden muss. Etwas Besonderes, über das man sich wundern kann.

Den Frauen-Stempel kann man sehr kritisch sehen, sollte man sogar. (Vor allem, weil Walmart selbst beschuldigt wurde, weibliche Mitarbeiter schlechter zu behandeln und zu bezahlen als männliche.) An dieser kontroversen Stelle übergebe ich lieber an den Kosmos. Also: Was hältst du von einem Logo, das Produkte kennzeichnet, deren Unternehmen Frauen gehören? Kann "WOMEN OWNED" ein größeres Bewusstsein für Diskriminierung schaffen - und vielleicht sogar etwas dagegen bewirken? Oder provoziert so ein Label das genaue Gegenteil? Man bedenke dabei auch das Pink im "O" des Logos.

Schatten der Rache

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Tel Aviv – Es hat bereits extreme Gewalt gegeben in dieser jüngsten Runde des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern. Doch nun droht ein weiterer Mordfall die Lage noch zu verschärfen. In einem Waldstück westlich von Jerusalem wurde am Mittwochmorgen die verbrannte Leiche eines jungen Palästinensers gefunden, der offenbar in der Nacht zuvor im arabischen Ostteil von Jerusalem in ein Auto gezwungen worden war. Befürchtet wird ein Racheakt jüdischer Extremisten für die Entführung dreier israelischer Jugendlicher, die zu Wochenbeginn im Westjordanland tot aufgefunden worden waren. Als Zeichen einer drohenden Eskalation wurde Jerusalem innerhalb von 24 Stunden zum Schauplatz gewalttätiger Proteste sowohl von radikalen Juden wie von Palästinensern.



Ein Palästinenser inspiziert den Schaden nach dem jüngsten Luftangriff in Gaza.

Nach Angaben der Polizei wurde der 16-jährige Mohammed Abu Chedair in der Nacht an einer Straßenbahnhaltestelle im arabischen Stadtteil Schuafat entführt. Ein Angehöriger berichtete, dass die Täter in einem schwarzen Auto gesessen hätten. Ein solches Fahrzeug soll bereits am Tag zuvor bei der fehlgeschlagenen Entführung eines siebenjährigen palästinensischen Mädchens gesichtet worden sein. Ein Polizeisprecher verwies allerdings auch darauf, dass es im Umfeld des Opfers wegen einer Familienfehde bereits andere Entführungsfälle gegeben habe. Die Familie bestritt das vehement.

Israels Regierung zeigte sich alarmiert über den Vorfall. Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einem „verabscheuungswürdigen“ Verbrechen, warnte eindringlich vor Selbstjustiz und kündigte eine rasche Aufklärung an. Der Jerusalemer Bürgermeister Nir Barkat verurteilte den „furchtbaren und barbarischen Mord“ und rief alle Seiten dazu auf, „Zurückhaltung zu üben“.

In Ramallah erklärte ein Sprecher der Fatah von Präsident Mahmud Abbas, „die israelische Regierung ist verantwortlich für jüdischen Terrorismus und die Entführung und Ermordung im besetzten Jerusalem“. Die Familie des nach seiner Entführung getöteten israelischen Schülers Naftali Frenkel ließ verlauten, es wäre „entsetzlich“, wenn der arabische Jugendliche aus Rache getötet worden sei. „Es gibt keinen Unterschied zwischen Blut und Blut. Mord ist Mord“, heißt es in einer schriftlichen Erklärung.

Der Jerusalemer Mordfall löste heftige Krawalle im arabischen Ostteil der Stadt aus. Über Stunden lieferten sich mehrere hundert palästinensische Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei. Steine und Brandflaschen wurden geworfen, die Sicherheitskräfte schossen mit Gummigeschossen. Der Tempelberg mit Al-Aksa-Moschee und Felsendom wurde vorübergehend gesperrt. Am Abend zuvor waren Hunderte radikale Israelis durch die Jerusalemer Innenstadt gezogen und hatten „Tod den Arabern“ skandiert. Palästinensische Passanten wurden attackiert und gejagt. Nach Polizeiangaben wurden 47 gewalttätige Demonstranten festgenommen.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre berät die israelische Regierung, wie sie reagieren soll. Nach einer zweiten Sitzung des Sicherheitskabinetts in der Nacht zum Mittwoch wurden noch keine konkreten Ergebnisse bekannt gemacht. Unmittelbar vor dem Treffen allerdings hatte Netanjahu angekündigt, das harte Vorgehen gegen die Hamas fortzusetzen. „Wir werden die Mörder fassen und alle, die an der Entführung beteiligt waren“, sagte er. Er drohte zudem, die Luftangriffe auf Stellungen der Hamas in ihrem Machtzentrum im Gazastreifen zu verstärken. „Wir werden die Hamas im Westjordanland schwächen und den Raketenbeschuss auf Israel von ihrem Territorium aus beenden“, kündigte Netanjahu an.

Der Druck der israelischen Öffentlichkeit ist groß. Angefacht wird dies durch den Mitschnitt des Telefonats, mit dem einer der entführten israelischen Jugendlichen die Polizei alarmieren wollte. Der Notruf wurde nicht ernst genommen, obwohl darauf Schüsse zu hören sind, Schmerzensschreie sowie Freudenrufe der Mörder auf Arabisch.

Außenminister Avigdor Lieberman verlangt ebenso wie Wirtschaftsminister Naftali Bennett eine breit angelegte Militäraktion im Gazastreifen. Am Mittwochabend wollten die Minister erneut zusammenkommen. Auf dem Tisch liegt unter anderem ein Vorschlag von Verteidigungsminister Mosche Jaalon, zum Gedenken an die toten Talmudschüler eine neue Siedlung im Westjordanland zu bauen.

Der Prozess

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Wien – Josef S. darf eine halbe Stunde pro Woche Privatbesuch empfangen; in diese halbe Stunde drängen sich seine verzweifelten Eltern, die regelmäßig die 700 Kilometer von Jena nach Wien fahren, seine Schwester, Freunde. Neulich kam auch eine Abgeordnete der österreichischen Sozialdemokraten zu Besuch, ihre Sprechzeit wurde auf die halbe Stunde pro Woche angerechnet. Da bleibt viel Zeit für Einsamkeit, schließlich sitzt der 23-Jährige seit fast sechs Monaten in der Haftanstalt Josefstadt in Untersuchungshaft.



Die Haftanstalt Josefstadt in Wien. Hier sitzt Josef S. als einziger der Demonstranten und wartet.

Josef, katholisch erzogen, hat jetzt angefangen, beim Anstaltspfarrer zu ministrieren. Das gibt Trost, und die Zeit vergeht ein bisschen schneller. Die Zeit könnte ihm allerdings noch sehr lang werden im Gefängnis. Josef S. ist angeklagt wegen schweren Landfriedensbruchs, schwerer Sachbeschädigung, schwerer Körperverletzung. Darauf stehen in Österreich bis zu fünf Jahre Haft.

Bis zum 24. Januar dieses Jahres war der junge Mann ein unauffälliger Student der Werkstoffwissenschaften in Jena gewesen, er engagierte sich bei den Falken, einer Jugendgruppe mit Nähe zur Sozialdemokratie. Weil in Jena die NPD ziemlich stark ist und nicht nur linke Antifa-Grüppchen, sondern die halbe Stadt samt Bürgermeister regelmäßig auf Demonstrationen gegen Neonazis geht, sei auch sein Sohn früh politisiert worden, sagt der Vater, Bernd S., in Jena. „Aber wenn es um bürgerlichen Ungehorsam geht, hat unser Sohn immer eher deeskalierend gewirkt.“ Und dann betont der unglückliche Vater, sein Sohn sei bis zu jenem Tag im Januar noch nie polizeilich aufgefallen.

Stimmt. Josef S. ist nicht vorbestraft, seine Jenaer Professorin Dörte Stachel, die sich für den U-Häftling einsetzt, beschreibt ihn als „friedlichen, aufrechten Menschen“. Der Direktor des Instituts für Materialforschung in Jena, Markus Rettenmayr, hat im Namen des ganzen Kollegiums einen Brief an die Eltern geschrieben, „Bemerkungen zum Studenten der Werkstoffwissenschaft Josef S.“. Darin betont er, dass sein junger, höflicher Student sich „keine Versäumnisse und Aufschübe“ geleistet habe. „Die ihm vorgeworfene Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten wurde bei uns zu keiner Zeit sichtbar.“ Und genau dieser Josef S. soll nun bei den Massenprotesten gegen den Akademikerball in Wien - 6000 Demonstranten, 2000 Polizisten, ein paar Hundert Ballbesucher – ein Rädelsführer gewesen sein, soll einen Polizeiwagen zertrümmert und eine Polizeiwache zerstört sowie mehrere Beamte angegriffen haben? So sieht es die Staatsanwaltschaft, so beschreibt es der Landesverfassungsschutz in einem dicken Ordner mit unscharfen Lichtbildern. Die Rede ist von einem Schaden von 500000 Euro, Minimum.

Der Akademikerball in der Wiener Hofburg – das ist ein jährlicher Aufreger in Österreichs Hauptstadt, wo die Rechtspopulisten mit 27 Prozent der Stimmen sehr stark sind und die rechtsextreme Burschenschaft Olympia ihre Anhänger hat. Lange von rechten Verbindungen als „Korporationsball“ organisiert, wird die Veranstaltung seit 2013 von der FPÖ betreut. Selten geht das umstrittene Tanzfest ohne Proteste und ohne Skandale ab, so nannte etwa FPÖ-Chef Karlheinz Strache die Ballbesucher schon mal „die neuen Juden“, weil man von wildgewordenen Demonstranten bedroht werde. Und fast immer gibt es einen massiven Polizeieinsatz. In diesem Jahr war die Innenstadt weiträumig abgesperrt, weil ganze Busladungen deutscher Chaoten erwartet wurden. Laut einer parlamentarischen Anfrage der Grünen hagelte es nach dem Ball Anzeigen: 517wegen Landfriedensbruch, 91 wegen Sachbeschädigung, 70 wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot.

Angeklagt und in Haft: Josef S., als Einziger. Er plädiert auf „unschuldig“.

Die „Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung“, kurz WEGA, eine Sondereinheit der Polizei, war in jener Nacht unterwegs, unter ihnen auch ein Zivilpolizist. Josef S. war aus Jena angereist, wie er der SZ über seinen Anwalt Clemens Lahner ausrichten lässt, weil er Freunde besuchen wollte; bei dieser Gelegenheit habe er sich an der Demonstration beteiligt. „Über Linke, SPD, Grüne, Kirchen und Gewerkschaft gibt es einen breiten Konsens, dass man den öffentlichen Raum nicht den Rechtsextremen überlassen darf.“ Er sei zum ersten Mal auf einer so großen Demonstration in Wien gewesen und ja, er stehe Burschenschaften kritisch gegenüber, da er sie „als chauvinistische Männerbünde betrachtet, die gleichzeitig als Karrierenetzwerke dienen, ein nationalistisch geprägtes Weltbild haben und oft auch Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut aufweisen“.

Die Staatsanwaltschaft sagt, Josef S. sei inmitten des Schwarzen Blocks und mit gewaltbereiten Anarchisten unterwegs gewesen, habe randaliert und zerstört. In der Anklageschrift, die sich im Wesentlichen auf die Aussage des einen Zivilpolizisten beruft, der sich an die Fersen des jungen Mannes geheftet hatte, heißt es, S. habe gerufen „weiter, weiter, Tempo“, und andere angestachelt. Er habe „gestikulierende Anweisungen“ gegeben. Im Bericht des Verfassungsschutzes heißt es, S. habe „Wurfgegenstände“ genutzt, die „auf ein bewusstes, absichtliches schweres Verletzen der Exekutivkräfte“ zielten und den „brauchbaren Inhalt aus Mistkübeln“ geworfen. Die Verteidigung hält das alles für ausgemachten Humbug. Anwalt Clemens Lahner glaubt, Josef S. sei nur herausgepickt worden, weil er einen Pullover mit der Aufschrift „Boykott“ trug, den man auch im Dunkeln gut erkennen konnte. Die Anklage hält er für abwegig: Auf keinem Video oder Foto der tausendfach dokumentierten Demonstration sei Josef S. vermummt zu sehen. Ein Tongutachten hat ergeben, dass ein anderer, nicht er die Worte „weiter, weiter“ gerufen hat. Ein Ausschnitt aus einem ORF-Bericht belege, so Lahner, dass der Student einen Mülleimer aufgestellt – und nicht geworfen habe.
Auf Überwachungskameras von Geschäften in der Fußgängerzone ist S. nur laufend, nie prügelnd zu sehen. Der Zivilpolizist sei, sagt Lahner, selbst zeitweilig von anderen Polizisten festgenommen worden und habe S. gar nicht die ganze Zeit gesehen. In der Polizeidokumentation heißt es dazu in bestem Polizeideutsch: „Bei dem Versuch des zivilen Einsatzbeamten, S. zu folgen, wird der Beamte aufgehalten. Dadurch gerät die Person des S. außer Kontrolle und können allenfalls von ihm begangene weitere Taten nicht zugeordnet werden.“

Beim nächsten Gerichtstermin am 21.Juli soll ein Gutachten klären, ob S. Schmauchspuren an den Händen hatte, Polizeivideos sollen gesichtet, weitere Zeugen gehört werden. Dass der Deutsche trotz der extrem schwachen Beweislage freikommt, gilt als unwahrscheinlich. Der Richter meinte am ersten Verhandlungstag, die Verdachtslage habe sich erhärtet.

Gleichzeitig nehmen Protest und Solidarität für den schmächtigen Jenaer zu. In seiner Heimatstadt wurde ihm ein Preis für Zivilcourage verliehen. Die Unterstützergruppe der Aktion „Free Josef“ hat Zulauf. Auch in österreichischen Medien überwiegt das Kopfschütteln. Eine Kommentatorin im Standard meint, in einem kafkaesken Prozess drangsaliere „die Justiz einen jungen Mann. Treffen will sie damit alle, die für Antifaschismus auf die Straße gehen.“ Hier gehe es der konservativen Justiz darum, ein Exempel zu statuieren.

Die Eltern von Josef S. sind traurig – und pessimistisch. Sie beginne, den Glauben an den Rechtsstaat zu verlieren, sagt seine Mutter Sabine S. „Unser Lebensglück ist dahin. Dafür, dass er nichts getan hat, sind diese massiven Anschuldigungen schwer zu ertragen.“ An diesem Freitag fahren sie wieder die 700 Kilometer nach Wien, für eine halbe Stunde. Und ein Gespräch durch die Trennscheibe.

Tagesblog - 3. Juli 2014

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17:40: Fanfare! Und Schluss! Zum Tagesende noch ein Interview von Christina. Die hat mit Julia Herr, Vorsitzende der jungen SPÖ über die Legalisierung von Cannabis gesprochen. Herrs Kampagne "Lieber bekifft ficken als besoffen fahren" zeigt dort nämlich Wirkung!

Habt einen schönen Abend!

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16:05 Uhr: So, ich sage es jetzt mal ganz klar: Der heutige Teil der Kettengeschichte ist mein liebster bisher. Geschrieben von glitzerkugel und auf einmal ergibt alles Sinn... aber lest selbst!




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15:10 Uhr:
Blöd, wenn Menschen die man eigentlich unsympathisch findet (Homophobie, eingeschränkte Meinungsfreiheit, Menschen, die mal ein Jahrzehnt weggesperrt werden) selbstironische Witze machen. Wie Putin hier bei einer Einladung der österreichischen Wirtschaftskammer. Noch blöder, wenn man dann trotzdem kurz schmunzeln muss. Vor allem in Anbetracht der Überforderung aller anderen Anwesenden mit der Situation.
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=GL0DXsCcPWA
Via eye said it before.

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15:00: In den letzten Tagen haben wir hier viel über den Mindestlohn geschrieben, aufgrund unseres tollen "Was Praktikanten verdienen"-tumblrs. Heute ist das Gesetz durch den Bundestag gegangen - der Mindestlohn kommt, Pflichtpraktikanten und Praktika von bis zu drei Monaten sind davon allerdings ausgenommen.

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14:40 Uhr:
In Zeiten des Lifehacks muss man seine Splitter nicht mehr mit einer Pinzette rauspulen - Backpulver tut's auch!




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13:40 Uhr: Christina hat mich gerade darauf hingewiesen, dass es bei Twitter mal wieder eine Debatte über Tilo Jung gibt. Der hat ja gerade den Grimme-Online-Award für sein Format "Jung & Naiv" gewonnen (hier kann man die Jurybegründung nachlesen) und Politikjournalist bei "Krautreporter". Der Blogger Caspar Clemens Mierau (alias @leitmedium) hat nun darüber geschrieben, warum er das ungerechtfertigt findet: Neben den geringen Klickzahlen findet er, dass Tilo Jung ein offensichtliches Problem mit Frauen habe. Unter anderem führt er als Beweismittel folgendes Video an:
https://www.youtube.com/watch?v=kfpUcbBwCXw
In der Serie "Penis-Dialoge" hat Jung sich vor seiner Jung & Naiv-Zeit mit dem Journalisten Daniel Bröckerhoff über Sex unterhalten. Ab Minute 3:10 geht es dann um das "Unterum" von Müttern, das Jung anscheinend nicht ansprechend findet und dessen Anblick nach einer Geburt sich in seinen Kopf eingebrannt habe, Bröckerhoff hält dagegen. In einem anderen Video geht's um Intimfrisuren bei Frauen und wann sie einen geil machen... Was denkt ihr? Angemessene Debatte oder sein auf Youtube gestelltes Privatproblem?

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12:50 Uhr:
Das Mittagessen ist in der jetzt-Redaktion, wie ihr vermutlich mittlerweile verstanden habt, das Zentrum eines jeden Tages. Dementsprechend gab es auch heute dort wieder hochphilosophische Fragen:
- Warum essen viele Vegetarier trotzdem Fisch? Ist der so hässlich, dass man weniger schlechtes Gewissen beim Essen hat? Oder liegt's daran, dass er keine Lunge hat?
- Sind Menschen, die kein Fleisch von Tierbabys (also Kalb, Lamm, Ferkel) essen, Pädotarier?
- Mag man meistens Dinge nicht, weil man insgeheim gegen sie allergisch ist?
U.A.w.g.

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11:35 Uhr:
Ist euch schonmal aufgefallen, dass mal mittlerweile alles mit dem Begriff "Guerilla" verknüpfen kann? Das waren mal Untergrundkämpfer, aber mittlerweile gibt's auch die "Strick-Guerilla", "Guerilla-Werbekampagnen" (wie die gegen Primark) und jetzt eben auch die Partyguerilla. Das funktioniert so, dass Brauereien für WG-Parties Freibier bereitstellen, um Kontakte zur Zielgruppe zur knüpfen. Nicolawar einen Abend auf so einer Party.




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11:00 Uhr:
Und jetzt das Stück zum drüber Nachdenken: Hakan hat für sueddeutsche.de aufgeschrieben, wie er den Ramadan erlebt. Ich finde Hakans Schreibstil ja großartig. Lieblingssatz: "Morgens um drei kaut es sicher eher einsam". Lesen!
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10:55 Uhr: Auskonferiert. In meinem Kopf ist jetzt ein Kampf, was ich euch zuerst verfüttere: Das Nachdenkstück oder ein ...

WALROSSBABY!


Es lebt übrigens im Tierpark Hagenbeck, falls jemand es abkuscheln möchte?

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09:55 Uhr: Hihi! Dieser Linienrichter entdeckt sich gerade auf der großen Leinwand. Ich würde ja reflexartig winken. Geht wohl aber schlecht mit Fahne in der Hand.

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/Tr1ERHm.gif" imagesrc="http://i.imgur.com/Tr1ERHm.gif"] via schleckysilberstein

Was mich auf diese hochwissenschaftliche Grafik von Friedemann Karig bringt: "Was tun Menschen, wenn sie sich auf der Videoleinwand entdecken?"


via @f_karig

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09:30 Uhr:
Daniela hat übrigens auch den heutigen Ticker beigesteuert: Die amerikanische Einzelhandelskette Walmart will ein pinkes Siegel für Marken einführen, die Frauen gehören. "Owned by women" soll dann da draufstehen. Braucht's das?

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09:15 Uhr:
Um noch kurz meine Wut rauszulassen eine neue Folge von "Wenn München mir auf den Sack geht!" Heute Morgen bin ich zufällig zusammen mit Daniela zur Arbeit geradelt. Auf der Höhe Friedensengel kracht ihr Fahrradkorb unvorbereitet vom Lenker - der Inhalt ihrer Tasche verteilt sich über den Radweg. Wir fahren also auf den Bürgersteig, damit sie schnell alles aufsammeln kann. Und was macht so eine doofe Jungmutter? Schnauzt uns an, dass das Rad jetzt aber ungünstig für ihren Kinderwagen stände (daneben waren noch 1,5 Meter Platz). AAAARGH!

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09:05 Uhr! Guten Morgen! Die Fensterputzer waren in der jetzt-Redaktion und haben sich auch mal den Pfandflaschen der Redaktion angenommen. Also genau genommen - sie haben eine Sammelstelle auf Jans Schreibtisch eingerichtet.

Aus vier mach drei

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München – Es war kein leichter Weg bis zu dieser Fusion. Immer mal wieder war in den letzten Jahren über einen Zusammenschluss von E-Plus und Telefónica Deutschland spekuliert worden – und immer wieder scheiterte die Sache. „Es gibt das Sprichwort ,Aller guten Dinge sind drei.’ Ich glaube, in diesem Fall sind es sechs gewesen“, sagte René Schuster, damals Chef von Telefónica Deutschland, als er vor etwa einem Jahr dann doch sein spektakuläres Angebot präsentierte. Insgesamt legte das Tochterunternehmen des spanischen Telekommunikationskonzerns 8,6 Milliarden Euro auf den Tisch.



Mit der Fusion von Telefónica und E-Plus bekommen die bisherigen Marktführer einen starken Konkurrenten.

Und nicht nur das: Um die skeptischen Wettbewerbshüter in Brüssel zu überzeugen, machte Telefónica zahlreiche Zugeständnisse. An diesem Mittwoch nun hat das Unternehmen die letzte Hürde genommen. EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia hat den Weg für eine Fusion frei gemacht: Der kleinste Mobilfunkanbieter in Deutschland, gemessen an der Zahl seiner Kunden, darf sich die Nummer drei auf dem Markt schnappen. So entsteht ein mächtiger Gegner für die beiden bisherigen Marktführer, die Deutsche Telekom und Vodafone.

Was aber bedeutet das für die Kunden? Müssen sie sich Sorgen machen, weil es künftig weniger Wettbewerber gibt?

Mehr als 116 Millionen Mobilfunkverträge existieren in Deutschland. Die Zahl liegt deutlich höher als die der Einwohner. Bisher bemühten sich die beiden kleinen Anbieter O2 und E-Plus mit niedrigeren Preisen um Kundschaft. Das wird in Zukunft wohl nicht mehr notwendig sein. Vor allem E-Plus hatte als aggressiver Preisbrecher in der Vergangenheit die anderen Anbieter angetrieben. Ilja Braun vom Bundesverband der Verbraucherzentralen erwartet, dass sich die beiden Unternehmen vor allem von ihren Billigmarken verabschieden, da sie bei diesen zumeist erst einmal draufzahlen. Bei Telefónica betonte man allerdings, dass man an einer Vielzahl verschiedener Marken festhalte, weil man so Kunden mit unterschiedlichen Ansprüchen besser in Visier nehmen könne.

Für die Kunden könnte es also teurer werden, im Gegenzug könnten sie aber auch von besseren Angeboten profitieren: In einem ausgewogenen Markt mit drei Mobilfunkanbietern werden sich diese eher um Qualität und innovative Dienste bemühen, um sich von den anderen abzuheben, meint Robert Wickel von der Unternehmensberatung Accenture.

Doch dass es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen der Größe eines Mobilfunkanbieters und dessen Bereitschaft zu Investitionen vor allem in den Netzausbau, gibt, das räumte selbst Wettbewerbshüter Almunia ein. Er hat deshalb einige Auflagen gemacht, damit der Wettbewerb nicht auf der Strecke bleibt, wenn es nur noch drei statt vier Mobilfunkanbieter gibt. Erstens muss das neue Unternehmen bereit sein, einen Teil seines Funkspektrums an einen möglichen neuen Netzbetreiber zu veräußern. Allerdings ist solch ein Newcomer bislang nicht in Sicht. Der hiesige Mobilfunkmarkt gilt zwar als lukrativ, aber eben auch als hart umkämpft.

Zweitens schreibt die Kommission Telefónica vor, anderen Anbietern in größerem Maße Zugang zu seinem Funknetz zu gewähren, das auf dem Standard LTE basiert und Daten besonders schnell überträgt.
Und drittens stärkt Brüssel die sogenannten virtuellen Netzbetreiber. Anders als E-Plus, Telefónica, Telekom und Vodafone verfügen diese nicht über ein eigenes Netz. Sie mieten sich bei den Netzbetreibern ein, um ebenfalls im Geschäft mit dem mobilen Telefonieren und Surfen mitzumischen. Für die klassischen Netzbetreiber lohnt sich dies zumeist, weil sie ihre Netze auslasten müssen – ein wenig wie die Fluggesellschaften, die bei Transatlantikflügen Miese machen, wenn ihre Maschinen nur zur Hälfte besetzt sind.

Drillisch ist einer dieser virtuellen Netzbetreiber, der mit den Marken McSim oder Simply zwei Millionen Kunden zählt. Die Firma hat bereits angekündigt, zusätzlich 20 Prozent der Kapazitäten in jenen Mobilfunknetzen abzunehmen, die nach dem Erwerb von E-Plus zu Telefónica gehören. Sie hofft, auf diese Weise noch mehr Kunden anzulocken. Drillisch hat sich deshalb auch die Option auf weitere zehn Prozent der Netzkapazitäten gesichert.

Zu welchen Bedingungen die Mobilfunkanbieter mit eigenem Netz ihre Leitungen und Funkmasten den kleineren Konkurrenten überlassen, bestimmen sie allerdings selbst. Branchenexperten halten deshalb die Möglichkeiten der virtuellen Netzbetreiber, mit schnelleren Übertragungsgeschwindigkeiten oder günstigeren Preisen beim Kunden zu punkten, für gering.

Bei der Telekom hält man diese Auflage deshalb für verfehlt. Da würden „gezielt Anbieter ohne eigene Netzinfrastruktur gestärkt, die nichts zum weiteren Breitbandausbau beitragen“, meint Niek Jan van Damme, der das Deutschlandgeschäft verantwortet. Bei Vodafone, bislang die Nummer zwei hinter der Telekom, sieht man das ähnlich, auch wenn man sich nicht traut, seinen Ärger in so deutliche Worte zu fassen.

Von René Schuster war dazu kein Wort mehr zu vernehmen. Der Manager hatte den Deal zwar eingefädelt, sich aber Anfang Februar überraschend und eilig zurückgezogen. Das neue Gemeinschaftsunternehmen wird in Zukunft von Thorsten Dirks geführt, bislang Chef bei E-Plus.

Sandkiste für die Superreichen

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New York – Das teuerste Eigenheim der Welt steht in den Hamptons. Es steht auf einem sieben Hektar großen Grundstück, das sich an den weißen Strand auf der Südseite der Halbinsel Long Island im Bundesstaat New York schmiegt. Das Anwesen hat einen Pool, einen perfekt angelegten Garten samt See mit Seerosen, vier Stegen und kleinen Brücken. Viel bekannt ist nicht über das riesige Haus mit Blick auf den Atlantik, alte und neue Eigner legen Wert auf ihre Privatsphäre. Sicherheitshalber – und um Millionengebühren zu sparen – haben sie noch nicht einmal Makler eingeschaltet, deren Fotos gern im Internet landen. Nur eines ist jetzt öffentlich: Der Hedgefonds-Manager Barry Rosenstein hat vor wenigen Wochen 147 Millionen Dollar für das Grundstück an der Further Lane Nummer 60 im Örtchen East Hampton bezahlt. Noch nie hat jemand so viel Geld für ein einziges Haus ausgegeben.



In New York boomt der Immobilienmarkt. Besonders viel Geld investieren die Superreichen in die Trophäenhäuser auf den Hamptons.

Die Amerikaner nennen solche Villen „trophy homes“, sie sind das ultimative Statussymbol der Superreichen. Der Trophäen-Hausmarkt boomt: Erst einen Monat vor Rosensteins Kauf ging die Villa Copper Beech Farm in Greenwich in Connecticut für 120 Millionen Dollar an einen neuen Eigner. Kurz davor gab Masayoshi Son, Chef des japanischen Unternehmens Softbank, 117,5 Millionen Dollar für ein Haus in Woodside in Kalifornien aus. Und im Februar ging ein Bieterkampf um ein Anwesen in Los Angeles mit einem Deal für 102 Millionen Dollar in bar zu Ende. Jeder dieser Verkäufe hat vorige Rekorde gebrochen.

Laut Analysten gibt es dafür mehrere Gründe: In Jahren nach einem Aktienboom glauben Investoren oft nicht mehr daran, dass es mit den Märkten weiter gleichermaßen bergauf geht und suchen nach Alternativen für ihre Millionen – und da erscheinen Riesenhäuser als gute, sichere Alternative. Im vergangenen Jahr haben die USA einen spektakulären Aktienmarkt erlebt, der Börsenindex S&P 500 ist um 32 Prozent gestiegen. Außerdem sei der amerikanische Immobilienmarkt attraktiv für Milliardäre aus dem Ausland, die „ihr Geld aus Wirtschaftssystemen abziehen wollen, die sie für wackelig halten“, sagt Jeffrey Gundlach, der Chef der Investmentfirma Double Line Capital in Los Angeles, in einem Interview. Makler erwarten, dass der Boom weitergeht. „Die nächste Schwelle sind 200 Millionen Dollar Kaufpreis“, sagt der Makler Kurt Rappaport von der Firma Westside Estate Agency in Los Angeles. Verkäufe von Eigenheimen mit einem Preis von mehr als zwei Millionen Dollar sind laut der Analysefirma Data Quick in den ersten zwei Monaten des Jahres um 33 Prozent gestiegen – auf ein nie gekanntes Niveau seit Beginn der Statistik 1988.

Die Trophäenhäuser verkörpern die wachsende Ungleichheit in Amerika – in Stein und Mörtel. Der normale Immobilienmarkt der Vereinigten Staaten wächst eher gemächlich seit dem Platzen der Immobilienblase und der anschließenden Wirtschaftskrise. Der Index S&P/Case-Shiller, der die Immobilienpreise in den 20 größten amerikanischen Städten repräsentiert, stieg in den Monaten März und April jeweils um rund ein Prozent im Vergleich zum Vormonat. David Blitzer, der Chef des Index-Komitees, rechnet mit weiter steigenden Preisen, insbesondere weil die Kreditzinsen so niedrig sind. Allerdings bremse es die Nachfrage, dass ärmere Menschen seit der Krise größere Investitionen scheuen und zudem kaum noch Kredite bekommen, weil die Banken die Kriterien verschärft haben. „Der Markt ist noch nicht zurück auf dem normalen Niveau.“

Wie sich der Luxus-Immobilienmarkt von der Mitte der Gesellschaft abkapselt, kann man besonders an den Hamptons sehen, jenem Wochenendhaus-Paradies und Sommersitz der New Yorker High Society, der Prominenten und der Geldmacher der Wall Street. Manch einer nennt die Hamptons die Sandkiste der Superreichen. Neu-Eigner Rosenstein hat illustre Nachbarn, etwa Steven Spielberg, Mariah Carey oder den Gründer des in Insiderhandel verwickelten Hedgefonds SAC, Steve Cohen. Gerade ist für knapp 15 Millionen Dollar auch das Anwesen des 1984 verstorbenen Schriftstellers Truman Capote zu haben, mit zwei Gebäuden darauf, vier Badezimmern und 464 Quadratmetern Fläche.

An der Geschichte von Rosensteins Haus in East Hampton zeigt sich die unglaubliche Preisentwicklung: Ursprünglich gehörte das Grundstück zu einem illustren Club, in dem sich die Nachbarn zu Dinnerpartys trafen. 1901 kaufte es der Politiker David Gardiner für 120 Dollar. Die Summe entspräche heute etwa 3300 Dollar. 1946 verkauften es seine Erben für 20000 Dollar. 1950 wechselte es für 43000 Dollar den Eigner. Jahre blieb es in derselben Hand, bis 1996 der Finanzinvestor Christopher Browne 13,7 Millionen zahlte. An dessen Erben hat Rosenstein jetzt die 147 Millionen überwiesen.

Laut einer Analyse des Maklers Douglas Elliman und der Immobilienbewertungsfirma Miller Samuel ist der Durchschnittspreis der in den Hamptons verkauften Häusern im ersten Quartal dieses Jahres um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1,7 Millionen Dollar gestiegen. So gut lief es zwischen Januar und März zuletzt im Jahr 2007 – vor der Finanzkrise. Ein Großteil der Käufer kommt aus New York City und arbeitet in der Finanzbranche, sagten Experten. Rosenstein, Gründer des Hedgefonds Jana Partners, ist daher ein typisches Beispiel für einen Hamptons-Käufer. Dem jüngsten Boom war zuträglich, dass die Boni der Investmentbanker und Finanzinvestoren in diesem Jahr wieder großzügig ausgefallen sind: 26,7 Milliarden Dollar, also mehr als 160000 Dollar pro Mitarbeiter, 15 Prozent mehr als im Vorjahr, teilte der New Yorks Aufsichtsbehörde mit. „Die Hamptons und die Wall Street“, sagt Jonathan Miller von Miller Samuel, „sind an der Hüfte verwachsen.“

Ein Bergwerk voller Ideen

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Berlin – Am weitesten geht Variante 4.5 – die Flutung. Schächte, Strecken, Hohlräume: Was Bergleute in 30 Jahren in den Salzstock gebaut haben, um dort ein Endlager einzurichten, würde komplett geflutet, „mit extern beschaffter salinarer Lösung“. Das Bergwerksgelände an der Oberfläche würde „in den Zustand ,grüne Wiese‘ überführt“, die Gebäude abgerissen. Eine grüne Wiese, wo einst Demonstranten und Wasserwerfer aufeinandertrafen: So weit gehen die Gedankenspiele rund um eines der umstrittensten Relikte der Atomkraft-Ära. Zumindest mal auf dem Papier.



Trotz Endlager-Gesetz hat die neue Suche nach einem Ort für Atommüll noch gar nicht richtig begonnen.

Das Papier stammt aus dem Bundesamt für Strahlenschutz, es enthält 14 verschiedene Varianten für die Zukunft des Salzstocks. Mit allen möglichen Abstufungen reichen sie von der Flutung bis hin zum Fortbestand des bisherigen Bergwerks ohne große Änderungen. Es sind Pläne für die Schwebezeit, denn erst sollen andere Endlager-Optionen ähnlich weit gedeihen wie jene im Wendland. So will es das Gesetz zur neuen Endlagersuche, und die hat ja noch gar nicht richtig angefangen. Nicht mal die Kriterien sind klar, denen ein Endlager künftig genügen muss.

Was es aber bedeutet, dass nichts geschieht, weiß keiner so richtig – dabei eilt die Sache. Schon Ende September läuft der bisherige „Hauptbetriebsplan“ für das Bergwerk aus, die Grundlage aller Arbeiten unter Tage. Eigentlich hätte schon diesen Montag der Antrag auf einen neuen Plan bei den Bergbehörden eingehen sollen, doch die Sache verzögert sich. Denn welche der 14 Varianten dem Betriebsplan zugrunde liegen soll, ist zwischen Bund und Land Niedersachsen umstritten.

Nach SZ-Informationen tendiert das Bundesumweltministerium zu einer Zwischenlösung: Danach würden weite Teile des Bergwerks zwar nicht verfüllt, aber außer Betrieb genommen. Wo Bergleute bis zum vorigen Jahr noch die Geologie des Berges studierten, soll in den nächsten Jahren nichts mehr passieren. Das Salz bliebe dort sich selbst überlassen – und es neigt dazu zuzuwachsen. Nur der „Infrastrukturbereich“ mit seinen Räumen, Werkstätten und Lagern bliebe erhalten, ebenso die Schächte und Bergwerksgebäude.
Doch Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) geht das nicht weit genug. Zwar sei die grobe Richtung in Ordnung. Allerdings wünsche sich das Land „deutlichere Signale für die Außerbetriebnahme“, sagt Wenzel. In Zukunft solle es in Gorleben „nur noch den geringstmöglichen Aufwand an Personal und Betriebsmitteln geben“. Das wiederum hören die Beschäftigten, an die hundert Bergleute, gar nicht gern. In einem Schreiben an die Ministerpräsidenten der Länder und das Kanzleramt warnte der Betriebsrat kürzlich eindringlich vor einem „Unbrauchbar-Machen“ des Bergwerks. Das Land Niedersachsen wolle in Gorleben vollendete Tatsachen schaffen. Eine offene Suche nach einem Endlager sei dann „nicht mehr machbar“, schrieb der Betriebsrat.

Unterstützung erfahren die Bergleute ausgerechnet durch Wenzels Vorgänger im Umweltministerium, den FDP-Politiker Stefan Birkner. „Früher hieß es immer, Gorleben werde hinter geschlossenen Türen ausgekungelt“, kritisiert er. „Jetzt will die Landesregierung Gorleben genauso hinter verschlossenen Türen erledigen.“

Tatsächlich hat die rot-grüne Landesregierung bisher kein Hehl daraus gemacht, dass sie Gorleben für ungeeignet hält. Nur zähneknirschend hatte sie 2013 der Endlagersuche zugestimmt, obwohl diese Gorleben nicht per se ausschloss. Dahinter steht vor allem die Befürchtung, die Suche könnte am Ende wieder auf Gorleben hinauslaufen – allein durch den Vorsprung, den der Salzstock nach drei Jahrzehnten Erkundungsarbeiten hat. Das wiederum wäre ganz im Interesse der Stromkonzerne: Die haben schon 1,6 Milliarden Euro in das Bergwerk gesteckt und suchen eher unwillig nach Alternativen für ihren Atommüll.
Allerdings kostet auch das Nichtstun Geld, je nach Variante mehr oder weniger viel. Als über Gorleben in den Neunzigern ein zehnjähriges Moratorium verhängt wurde, verschlang allein die „Offenhaltung“ des zuwachsenden Salzstocks 20 Millionen Euro im Jahr. 70 Bergleute behielten seinerzeit ihren Job, auch für Besucher blieb das Bergwerk damals zugänglich. Dies steht jetzt ebenfalls infrage.

Eine Entscheidung über die Variante, so heißt es im Bundesumweltministerium, werde „in Kürze“ fallen. Genehmigen allerdings muss sie das niedersächsische Landesbergamt. Und das untersteht, was Gorleben angeht, dem grünen Umweltminister Wenzel.

Anbaggern verboten

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Natürlich kann sich Martina Brück daran erinnern, wie das war. Damals. In der DDR. Als sie mit der Familie ein paar Tage weggefahren war, das Haus verrammelt, die Fenster geschlossen, die Läden dicht. Und dass dennoch, als sie nach Hause kam, auf Tischen und Schränken der Staub lag. „Wenn man mit der Hand drübergefahren ist, war sie schwarz“, sagt die 61-Jährige. Auf der einen Seite der Stadt das große Chemie-Kombinat. Auf der anderen Seite die Braunkohle-Tagebaue, deren monströse Bagger sich tief hineingefressen hatten in die Leipziger Tiefebene. Bitterfeld – das war nicht nur die Energiereserve der DDR, das war auch der Kern der chemischen Industrie des Landes. „Als Jane Fonda 1990 in Bitterfeld war und das alles gesehen hat“, sagt Martina Brück, deren Haus im nahegelegenen Mühlbeck steht, „da hat sie geweint.“



Eine Frau badet im Moritzsee bei Leipzig. Die Gegend hat sich seit der Wende sehr verändert.

Kurz nach der Wende wurde alles anders. „Mit einem Schlag standen Zehntausende Leute auf der Straße“, sagt Martina Brück. Sie selbst zählte auch dazu. Neue Arbeit? Gab es nicht. Jedenfalls nicht so schnell. Noch heute liegt die Arbeitslosenrate im Landkreis Anhalt-Bitterfeld bei mehr als zehn Prozent. Viele zogen fort, gingen in den Westen. Zurück ließen sie leer stehende Häuser und eine verheerte Landschaft. „Es sah schlimm aus“, sagt Martina Brück. Was also tun?

Zum einen waren die Bergbaubetreiber gesetzlich verpflichtet, ihre Hinterlassenschaften wegzuräumen. Böschungen mussten gesichert, kilometerlange Gleisanlagen zurückgebaut, Förderbänder und Großraumbagger verschrottet werden. Vor allem sollten einstmals abgeholzte Wälder wieder aufgeforstet werden. Das alles sollte der Region eine wirtschaftliche Zukunft sichern – Leipzig und seine Umgebung sollten zu einem Freizeit- und Erholungszentrum werden, für Wassersportler, Wanderer, aber eben auch für Radurlauber, die eine Landschaft im Wandel erleben wollen.

Wie sehr sich die Region wandelt, das hat Martina Brück selbst miterlebt. Noch zu DDR-Zeiten, während sich die Braunkohlebagger durch die Landschaft fraßen, ließen die Verantwortlichen erste abgeräumte Tagebaue mit Wasser füllen. Der Fluss Mulde wurde bereits 1975 um- und in einen zuvor aufgegebenen Tagebau eingeleitet. Hinter dem Haus von Martina Brück entstand so ein erster See, der Muldestausee. Statt auf ein braunes Loch schaute sie nun auf eine weite Wasserlandschaft. Da ahnte sie bereits, was dieser Landschaft und den Menschen hier noch bevorstehen würde: Ein industriell geprägtes, vom Menschen ausgemergeltes Land soll sich in ein Naturschutzgebiet verwandeln, mit großen Seen, aber natürlich auch mit Erlebnisangeboten: mit Segelhäfen und Badestränden, mit Achterbahnen in Freizeitparks.

Vieles davon steht schon, anderes kommt erst noch. Der geplante Hafen für Freizeitkapitäne in Leipzig zum Beispiel war vor einem Jahr noch ein großer Parkplatz. Mittlerweile betreibt dort ein Pächter einen Bootsverleih mit Beachvolleyball und Stadtstrand. Es entwickelt sich eben alles noch. Diese Zwischenstadien zu erfahren, hat allerdings seinen Reiz.

Mit dem Fahrrad lässt sich die Landschaft am besten erleben. Das Leipziger Neuseenland erstreckt sich von Bitterfeld im Norden bis Borna im Süden – und es liegt mitten in der Leipziger Tiefebene. So flach ist das Land, dass man hier immer mal wieder einen Turm gebaut oder eine Aussichtsplattform auf einem Abraumhügel errichtet hat, damit der Besucher sich einen Überblick verschaffen kann.

Ein knappes Dutzend Seen, in der Regel entstanden aus ehemaligen Tagebauen, liegt da eingebettet in die Landschaft. Dieser wiederum merkt der Besucher an, dass sie einmal komplett umgepflügt worden war. An vielen Stellen rund um die riesigen Wasserflächen im Süden Leipzigs sind Hecken und Sträucher gerade erst dabei, sich ihren Lebensraum wieder zurückzuerobern. Größere Bäume, ganze Wälder gar, werden hier wohl erst in ein paar Jahren, wenn nicht erst in Jahrzehnten stehen. Dennoch ist der Eindruck ein durchaus grüner: Meistens führen die bequem zu fahrenden Asphaltstrecken den Radler durch einsame Natur, nur hin und wieder kommt man durch kleine und kleinste Dörfer.

Das flache Land erlaubt es auch weniger Trainierten, sich von See zu See zu bewegen und eine Landschaft im Wandel, eine Region im Umbruch zu erleben. „Eigentlich“, sagt Martina Brück, „muss man alle fünf Jahre herkommen, um zu sehen, wie sich alles verändert hat.“

Wer vom Goitzschesee mit dem Rad weiterfährt in Richtung Süden, im Städtchen Delitzsch mit seinen fünf Wehrtürmen, den Stadtmauerresten und den vielen schmucken Bürgerhäusern kurz innehält und dann weiter am Werbeliner See und am Schladitzer See vorbeiradelt, der kann schließlich bei Hans Neubert im Stadtmuseum von Schkeuditz Station machen.

Akribisch hat der Museumsleiter in einem ehemaligen Amtsmüller-Haus Zeugnisse der Geschichte der Stadt zusammengetragen. Wer über den Hof das Haus betritt, dem fallen sofort die zahlreichen, gusseisernen Säulen auf, die Neubert aufgereiht hat. Kunstvoll verschnörkelte sind dabei, aber auch ganz einfache, simple Stützen. Mit der Industrialisierung Mitteldeutschlands wandelte sich auch Schkeuditz von der einstigen Ackerbürger- zur Industriestadt. Zunächst prägte die Pelzindustrie die Kommune, später kamen eine Mälzerei, eine Brauerei, eine Möbelfabrik hinzu. Heute allerdings ist davon kaum mehr etwas zu sehen. Nur die Säulen im Hof von Hans Neuberts Stadtmuseum erinnern noch daran.

„Nach der Wende wurden die alten Fabrikhallen nach und nach abgerissen“, erzählt der Museumsleiter. Die Kommune konnte sich den Unterhalt der alten Hallen nicht mehr leisten. Neubert wollte dennoch etwas davon erhalten für die Nachwelt. „Wie Indianer sind wir durch die Hallen gepirscht und haben die Säulen gesichert.“ Nun erinnern sie an die verschwundene Industriekultur des Ortes.

Auch hier hat der Untergang der Produktionsstätten der Natur zu mehr Platz verholfen. Davon kann Franka Seidel berichten. Die 29-Jährige leitet die Auwaldstation in Lützschena, einem Stadtteil im Norden von Leipzig. Als grünes Band ziehen sich die Flüsse Weiße Elster und Pleiße mit ihren Auwäldern in Nord-Süd-Richtung durch Sachsens einwohnerstärkste Großstadt. Mit Spezialkameras, die auf Bewegungen im Unterholz reagieren, spüren Seidel und ihre Naturschützer-Kollegen Fischotter und Dachse auf. „Die Flüsse sind wesentlich weniger verschmutzt als zu DDR-Zeiten“, sagt Seidel. Fische leben nun wieder in großer Zahl in den Gewässern; ihre Jäger, die Fischotter, profitieren davon.

Seidel führt auch Gäste durch den Auwald. Man erfährt dabei nicht nur, welche Tiere sich dort wieder angesiedelt haben. Sondern auch, was es mit der Skulptur einer Jungfrau und den Resten einzelner Tempel auf sich hat, die mitunter tief versteckt im Auwald auftauchen: Der Adlige Maximilian Speck von Sternburg hatte sie einst im Auwald aufstellen lassen; eine Grünanlage nach Vorbild eines englischen Landschaftsparks schwebte ihm vor. Nach 1945 aber wurde das Gelände parzelliert, Siedler durften den Auwald roden und das Holz nutzen oder weiterverkaufen. „Der ursprüngliche Charakter des Parks war kaum mehr auszumachen“, sagt Seidel. Nach der Wende kaufte ein Erbe des Adligen das Areal – und sanierte den Park, einen Teil der Skulpturen, Tempel und Sitzecken. Alles wie früher, alles im Wandel, Leipziger Tiefebene eben.


Rein und Rausch

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Es sind nicht mehr viele Zigaretten übrig, als Axel zum ersten Mal mit schockiertem Blick angeschaut wird. Ein Junge, Mitte 20, millimeterkurze dunkelblonde Haare, kann es gar nicht fassen, als er hört, warum Axel da ist. „Jetzt kommt die Werbung schon auf die WG-Partys? Wie krass ist das denn!“

Etwa drei Stunden zuvor: Kurz sieht man die Zigarettenschachteln in Axels Turnbeutel, den er auf den Bartresen legt. 29 Stück sind es dieses Mal. Eine hat er draußen vor der Bar schon verschenkt. Eigentlich sind die Zigaretten ja für später gedacht, für die Partygäste, die gar nicht seine sind, die er aber trotzdem mit Bier und Kippen versorgen soll. Das ist heute sein Job. „Für nichts in der Welt würde ich den aufgeben“, sagt er. Er stopft seinen Pulli in die Tasche und zieht den Beutel wieder zu.

Eigentlich ist Axel, 26, BWL-Student im Urlaubssemester. Nebenbei arbeitet er als „Student Brand Manager“ für die junge Münchner Firma „Partyguerilla“. Freitag- und samstagnachts ist er deshalb auf WG-Partys von Leuten unterwegs, die er meistens gar nicht kennt. Macht Fotos von Bier und Energy-Drinks und denen, die die Getränke konsumieren. Redet mit den Partygästen, versucht herauszufinden, ob sie mögen, was sie trinken. Wie sich die Flasche für sie anfühlt. Ob sie das Getränk kaufen würden.

Die Idee der Partyguerilla, die von Maximilian Hauck, 30, und Patrick Häfner, 29, geführt wird, ist simpel: Die Agentur verbindet studentische WG-Partys mit Brauereien, Tabakfirmen, Energy-Drink-Konzernen und neuerdings auch mit einem Käsehersteller. Die Firmen sehen in den jungen Menschen einen wichtigen Absatzmarkt. Sie wollen, dass eine der klassischen Werbung eher abgeneigte Altersgruppe ihre Produkte wahrnimmt. Partyguerilla ist für sie der Mittler, der verspricht: Wir bringen euer Produkt zu den coolen, jungen Leuten. Den coolen, jungen Leuten sagt Partyguerilla: Wir geben euch Bier, Energy-Drinks und Kippen umsonst. Alles, was ihr tun müsst, ist eine gute Party schmeißen.


In München läuft das Partyguerilla-Konzept gut. Die Firma bekommt mehr Anfragen von WGs als sie Partys sponsern kann.

Axel beginnt seinen Abend in einer Bar. Vor ihm auf dem Tresen steht ein Bier. Er wird pauschal für seine Arbeit bezahlt und bekommt einen bestimmten Betrag pro Party, die er für die Firmen dokumentiert. „Besonders viel ist das nicht“, sagt Axel, mehr will er nicht dazu sagen. Außer, dass sich das alles für ihn gar nicht nach Arbeit anfühlt. Er sieht sich als der Geber, als Bereicherung für das Fest. Das Gefühl, auf den Privatpartys keinen zu kennen, stört ihn nicht. „Ich bin ja schließlich der, der den Alk bringt“, sagt er.

Axel hat das zweite Helle gerade ausgetrunken, als er das erste Mal auf die Uhr sieht. In der Bar befinden sich bereits viele bierselige Menschen mit unsicheren Beinen. Sie singen das Nordseeinsel-Sehnsuchtslied der Ärzte mit, das aus den Boxen dröhnt. Axel tauscht sein T-Shirt gegen eines mit Partyguerilla-Logo und zückt sein Smartphone, um die Adresse der Party nachzuschauen. Das Telefon leuchtet auf, sein Hintergrundbild zeigt ihn mit einem Mädchen im Bikini am Strand, es ist seine Freundin. Axel hat ein Zahnpastalächeln, blonde Haare und einen Fünf-Tage-Bart. Er trägt Jeans und blaue Stoffschuhe. „Wir sollten bald los“, sagt er.

Um Mitternacht kommt Axel auf der ersten Party an. Einer der Gastgeber, ein Maschinenbaustudent, öffnet die Tür und grinst, als er ihn sieht. Am Tag zuvor haben sich die beiden bereits bei der Getränkeübergabe kennen gelernt. Für langen Smalltalk ist jetzt aber keine Zeit: Die Wohnung ist voll, das Bier in der Badewanne geht zur Neige. Und: „Die Musik ist zu leise“, sagt Axel, als der Gastgeber eine Bierkiste an Bierpong spielenden Gästen vorbei balanciert. Axel scannt die Räume mit Kennerblick, macht ein Foto von den Getränken in der Badewanne. Fotografiert die, die mit Flasche in der Hand im Zimmer stehen. „Posen ist unauthentisch“, sagt Axel. Deswegen macht er seine Bilder für die Sponsorfirmen meist einfach so, ohne Ankündigung. Er wirkt konzentriert. „Die Gäste denken eh, dass das normale Partybilder sind“, sagt Axel über seine Fotomodels und geht ins nächste Zimmer.

In München läuft das Partyguerilla-Konzept gut. Die Firma bekommt mehr Anfragen von WGs als sie Partys sponsern kann. Etwa zwölf Bewerbungen sind das momentan pro Monat. Mehr als der Hälfte hat sie zugesagt. „Für uns ist wichtig, dass wir Partys unterstützen, die erlebbare Momente versprechen“, erklärt Marton Balas. Er ist „Teamkoordinator“ bei Partyguerilla. Was er meint: Die Partys, die gesponsert werden, sollen coole Partys sein. Mindestens 40 Leute müssen eingeladen sein. In einem Online-Fragebogen müssen die Bewerber noch mehr preisgeben: „Wie groß ist deine WG?“, fragt die Partyguerilla. Oder: „Was studiert ihr?“ Außerdem sollen die Bewerber einen kurzen Text schicken, eine Art Motivationsschreiben. „Unkreativen Leuten, die nur ‚Bier her’ schreiben, sagen wir auf jeden Fall ab“, sagt Marton. Die Chancen der Bewerber steigen, je schräger und größer ihre Feier werden soll. Mottopartys kommen deshalb bei der Partyguerilla und ihren Kunden besonders gut an. Sie achten auch auf den Ort: je angesagter der Stadtbezirk, in dem die Party stattfindet, desto höher das Interesse. „90 Prozent der Firmen, die wir anfragen, wollen unser Konzept ausprobieren“, sagt Marton.

Manche finden die Vorstellung ein bisschen gruselig, zu einer Art Ware zu werden.


Was die Firmen lockt: Die Studenten sind die Besserverdiener von morgen, sie gelten als eine der wichtigsten Werbezielgruppen. Und auf den WG-Partys nehmen sie ein Produkt auf besondere Weise wahr, sie interpretieren das vorhandene Bier oder die Drinks als eine Empfehlung des Gastgebers, nicht als Preis, den ein Unternehmen zahlt, um sich direkten Zugang zur Zielgruppe zu erkaufen. Während Menschen im Alltag Werbebotschaften aktiv selektieren, erkennen sie diese im privaten Umfeld nicht gleich – darauf setzen die Firmen. Und dafür sind sie bereit zu zahlen. Wie viel die Partyguerilla von ihren Kunden verlangt, will das junge Unternehmen nicht verraten, nicht einmal einen ungefähren Betrag will man nennen. „Im Moment gehen wir noch Klinken putzen bei den Brauereien“, weicht Marton aus. Susanne Heide, Produktmanagerin bei der Brauerei Hacker Pschorr, die mit der Partyguerilla zusammenarbeitet, sagt: „Der Betrag ist in unserem Marketingbudget eher zu vernachlässigen.“

Ob sich das Konzept für die Partyguerillakunden wirklich lohnt, ist ohnehin fraglich. „Wir sind noch in der Testphase“, sagt Susanne Heide. „Uns gefällt die ungezwungene Atmosphäre auf den Feiern. Und wir erhoffen uns viel von den O-Tönen, die wir bekommen.“ Die sammelt Axel auf den Festen, wenn er sein Partyguerilla-Shirt anhat und mit den Gästen spricht. „Ob es tatsächlich etwas bringt, können wir nicht messen“, sagt die Produktmanagerin.

Axel hat sich auf der Party ins Zentrum vorgearbeitet: die Küche. Dort stapeln sich Schoko-Muffins und leere Bierflaschen auf dem Esstisch. Hier darf man rauchen, Axel öffnet seinen Turnbeutel und holt die Zigarettenschachteln raus. „Geil“, sagt ein Gast. „Darf ich zwei?“ Axel nickt und grinst. Geber halt.

Die WG-Partys, auf denen er als Student Brand Manager war, sagt Axel, seien „immer geil“ gewesen. Dass er großen Konzernen hilft, Werbung im privaten Umfeld zu machen, stellt für ihn kein Problem dar. „Es ist doch die eigene Entscheidung, ob man etwas trinkt oder später das Produkt kauft“, sagt er.

Er macht keinen Hehl daraus, dass er von der Partyguerilla ist. Meist finden ihn die Leute allein deshalb cool. Aber es gibt eben auch Zweifler. Gäste, die wie der blonde Junge in der Küche die Vorstellung ein bisschen gruselig finden, zu einer Art Ware zu werden. Nimmt man seinen Gästen nicht die Entscheidungsfreiheit, wenn man sie nicht darüber aufklärt, dass Fotos von ihnen gemacht werden, die später an zahlende Konzerne geschickt werden? „Die werden ja nicht veröffentlicht“, versucht Axel zu beruhigen. Auch die Brauerei-Produktmanagerin beschwichtigt: „Wir kriegen nicht mal die Bilddatei, wir dürfen uns die Fotos nur anschauen.“ Der blonde Junge lässt sich von Axels Argumenten nicht überzeugen, er zuppelt an seinem weißen T-Shirt und blickt Axel weiter misstrauisch an. Bei den meisten anderen ist die Skepsis nicht von großer Dauer. Sie verwandelt sich bei den meisten in Begeisterung, sobald man ihnen sagt, dass sie sich auch um das Freibier bewerben könnten. Dann sagen sie: „Geil! Wie?“

Eine Stunde später: Axel sitzt immer noch in der Küche und verteilt seine letzten Zigaretten. Die Party ist quasi vorbei, es sind nicht mal mehr zehn Gäste da. Eigentlich hatten die Gastgeber ja alles richtig gemacht, das sagt auch Axel mit all seinem WG-Party-Expertenwissen. Zwei Live-DJs haben in einem der hinteren Zimmer aufgelegt, die Stimmung war gut. Doch schon um halb eins kam die Polizei. Ruhestörung. Die Musik wird leise gedreht. Wenig später trotzdem ein zweiter Polizeibesuch, die Gäste sollen alle gehen.

So richtig in den Kram passt es Axel nicht, dass hier jetzt alles vorbei sein soll, obwohl er mit seiner Arbeit fertig ist und außerdem Freunde in der Nähe auch eine Party schmeißen – ebenfalls guerillagesponsert. Aber neben ihm sitzt ein Mädchen, Axel und sie reden schon seit einer halben Stunde miteinander. Als einer der Gastgeber ein Bierfass aus der Badewanne holt und sagt: „Das ist alles, was wir noch haben“, wacht Axel auf. Es ist Zeit zu gehen.

Die Party seiner Freunde wird gerade von einem Nachtlieferdienst mit Alkoholnachschub versorgt, als Axel ankommt. Auf den gesponserten WG-Feiern sind auch andere Getränke erlaubt. Eine Party ohne mitgebrachte Getränke wäre ja auch undenkbar, und die „Partyguerilla“-Pakete reichen meist nicht für einen ganzen Abend. Das Fest ist eine Antithese zur aufgelösten ersten Party: Menschen in Leoparden- und pinken Dino-Kostümen hüpfen zu 80er-Jahre-Pop im Wohnzimmer, in der Küche trinken sie warmen Weißwein. Axel zieht sich sein „Partyguerilla“-Shirt aus. Er will später noch in einen Club. Das Mädchen aus der WG-Küche ist nicht mit auf die Party von Axels Freunden gekommen.

Wie das Internet... einen Splitter zieht

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Das Problem:
Vorsichtig sein ist was für andere Menschen oder anderes Wetter. Im Sommer gehst du gerne barfuss übers warme Gras. Dabei willst du nicht ständig aufpassen, wo du hintrittst. Vielleicht schmeißt du auch viele Partys, auf denen die Leute Gläser, Bierflaschen und den Jägermeister runterschmeißen. Möglicherweise bist du ein Hobby-Schreiner oder jemand, der alles anfassen muss, selbst morsches Holz. Eigentlich ist das auch egal. Irgendwann wirst du sicher leise „Autsch“ rufen, weil ein Splitter oder Spreißel in deiner Haut steckt. Und dann erfolglos stochern und pulen, denn: Diese Alltags-Wehwehchen sind oft so heimtückisch, dass jede Pinzette daran scheitert.  





Die Lösung:
Lifehacker legen Pinzette, Nadel und andere spitze Gegenstände schnell weg. Stattdessen einen viertel Teelöffel Backpulver mit etwas Wasser mischen, sodass eine dicke Paste entsteht. Dann auf die besplitterte Stelle schmieren und ein Pflaster oder einen kleinen Verband darüber legen, damit das Gemisch einwirken kann. Durch das im Backpulver enthaltene Natron schwillt die Haut an. So lange, bis die heimtückischen Dinger von selbst herausgedrückt werden.

Die jetzt.de-Kettengeschichte, Teil 11

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Was bisher geschah: Anna bekommt an der Tankstelle, ihrem äußerst öden Arbeitsplatz, seltsamen Besuch und haut anschließend mitten in der Nachtschicht einfach ab. Ihr Ziel: Das Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier, bei dem ihr Schwarm Gerwin Gewinner antritt. Doch dort wird Anna gefangengenommen - Gerwin und eine Fee namens Tinkerbell sperren sie auf einem Dachboden voller alter, berühmter Gemälde ein. Was treiben sie hier? Und was haben sie mit der Gefangenen vor? Annas letzte Hoffnung: ihr Chef Paul aka "Preußen-Paule", der sich schon auf die Suche nach ihr gemacht hat...

Alle vorigen Teile der Kettengeschichte kannst du hier nachlesen. Und hier kommt Teil 11 von jetzt-Userin glitzerkugel.




Pauls Adrenalinspiegel schnellt in die Höhe. Eigentlich ist er nicht mehr aktiv in der Branche. Aber jetzt, jetzt juckt es ihn wieder. Diese Bilder. Paul kennt sich sehr gut aus. Nicht unbedingt mit Kunst. Aber mit dem Markt, auf dem man wertvolle, gerne auch geklaute Kunst gewinnbringend verkaufen kann.

Preußen-Paule. Tankstelle. Er grinst. Die Tankstelle war eine seiner besten Ideen gewesen, um unauffällig Geld zu waschen. Deshalb auch so übergenau, ganz penibel, alles muss glatt laufen, ja nicht auffallen, ja keine Fragen provozieren. Oder gar Unterhaltungen. Einmal volltanken bitte, danke, wiederschaun. Er hat seine Lektionen gelernt: Als es rund um den letzten Picasso zu heiß wurde, hat er sich nach Freilassing abgesetzt. Abtauchen. Abwarten. Die Rolle des Pedanten-Grantlers macht ihm Spaß, Geldsorgen hat er keine. Das Leben verläuft ruhig und wenn er sich mal gruseln will, fährt er nach Reichenhall ins Kurhaus.

Jetzt diese Bilder. Sein Herz klopft einen Tick schneller. Im Kopf überschlägt er, wie viel Geld er hier machen könnte, wenn er seine alten Kontakte aufleben ließe. Ihm wird heiß. Der Rembrandt würde gut über den Kamin des Duce passen. Oder zum Dings ins Jagdschlössl – wie hieß er noch? Egal.
Die Gedanken rasen durch sein Hirn. Sofort fällt ihm auch ein, wer den Friedrich wieder flicken könnte. Ein Rausch. Er hat es vermisst.

Die Bilder müssen schleunigst von diesem Dachboden verschwinden. Er weiß, Taubendreck ist der Tod einer jeden Kunst. Wahrscheinlich hat nicht einmal Beuys mit Taubendreck – egal. In seinem Kopf reift ein vorsichtiger Plan. Diese beiden Gestalten, Gerwin und die Fee, sind keine ernstzunehmenden Hindernisse.    
Schließlich hat er nicht vor, um die Bilder zu würfeln. Nein, seine Masche ist stets ein sauberes, unauffälliges Rein, Zack, Bumm, Einpacken, Wegfahren. Er kennt Gerwin von früher, unverkennbar, diese grinsende Hackfresse. Damals nannte er sich irgendwie anders bescheuert und wollte immer einsteigen, ins Geschäft mit der Kunst. Ganz groß. Hatte er es nun also geschafft. Mit gezinkten Würfeln, dieser Versager.  

Paul braucht Zeit. Er weiß zu wenig über das Haus, über die Bilder. Der Dachboden ist wahrscheinlich nur der Anfang. Aber Paul hat keine Zeit, denn diese Gestalten haben Anna. Und Geschäft hin oder her, da kann er jetzt nicht einfach nach Hause fahren und den Duce anrufen.  

Außerdem mahnt ihn seine Intuition zur Vorsicht. Etwas irritiert ihn. Nicht das Kleid, in dem Anna steckt. Prinzessinnenschnickschnack. Die Zwangsjackenwahrnehmung musste einem schlechten Trip geschuldet sein. Nein, diese Fee. Irgendetwas stimmt hier nicht, auch sie erinnert ihn an jemanden. Diese schnarrende Stimme. Dieses falsche Lächeln. Und diese Nase. Diese Nase. Er schließt die Augen und grübelt sich durch seine Tankstellenkundschaft. Das ist ebenfalls das Gute an einer Tankstelle – man kennt alle, aber niemand interessiert sich für den Tankwart. Man weiß, wer wann wohin fährt, wer unterwegs ist und mit wem. Aber man selbst ist einfach da. Wirklich eine geniale Idee! Fast mag Paul seine Tankstelle.

Liesel Maier! durchzuckt es ihn. Diese Fee war Liesel Maier, die Oma, die ihm von der Villa erzählt hatte. Und vom geheimen Zugang. Er hatte sie nie für voll zurechnungsfähig gehalten, aber vielleicht lebte sie einfach eine gute Tarnung hinter ihren Geranien. Respekt. Steckt mit Gerwin Gewinner unter einer Decke, nimmt Drogen und schachert Kunst? Wieso eigentlich nicht. Er hat ja auch andere Qualitäten als einmal volltanken, bitte.

Hackfresse Gerwin und Oma Maier. „Mensch ärgere Dich nicht“ und große Kunst. Welche Rolle aber spielt Anna in diesem Gefüge? Was wollen sie von ihr? Er rekapituliert: diese Typen mit dem Plakat. Liesel Maier. Das Turnier. Gerwin. Die Villa. Die Bilder. Es passt zu gut zusammen. Verdammter Idiot. Er ist so ein verdammter Idiot! Ein blutiger Anfänger! Anna ist nur der Lockvogel. Sie wollen ihn. Aber warum?

„Was willst Du, Gerwin?“ fragt Paul ruhig und tritt aus dem Schatten.

Du willst wissen, wie es weitergeht? Teil 12 der Kettengeschichte erscheint am Donnerstag, den 10. Juli.

"Es gibt so viele Menschen, die kiffen"

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Die Tiroler SPÖ hat sich am vergangenen Samstag auf ihrem Parteitag in Innsbruck für die Legalisierung von Cannabis ausgesprochen und damit eine Debatte einmal mehr entfacht, die 2014 ganz besonders oft geführt wird: Wie soll es weiter gehen in unserem Umgang mit Drogen? Ist die Prohibition weiterhin der richtige Weg? Oder die Legalisierung sogenannter weicher Drogen? Julia Herr, 21, ist die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreich, der Jugend-Organisation der VOlkspartei SPÖ. Mit ihrer Kampagne "Lieber bekifft ficken als besoffen fahren" hat die Organisation in den vergangenen Wochen einen Erfolg nach dem anderen eingefahren.




Warum engagiert sich die Sozialistische Jugend Österreich so nachdrücklich für die Legalisierung von Cannabis?
Aus unserer Sicht ist es einfach so, dass Cannabis in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Erst vor kurzem wurde eine neue Eurobarometer-Umfrage veröffentlicht, wonach sich schon 52% der Jugendlichen in Österreich für eine Legalisierung aussprechen. Viele Jugendliche, aber auch Erwachsene konsumieren Cannabis. Und wir wollen nicht, dass die Politik davor die Augen verschließt. Die derzeitige Situation ist völlig unzufriedenstellend.
 
Wie sieht die denn aus?
Momentan ist die Situation eher restriktiv, weil vor allem die ÖVP und die FPÖ immer noch striktere Maßnahmen fordern. Zuletzt einen Haartest, mit dem untersucht werden soll, ob Betroffene Cannabis konsumiert haben. Das ist eine Verschärfung, die aus unserer Sicht völlig am Ziel vorbei geht.
 
Was passiert einem, wenn man erwischt wird?
Der Besitz – auch von Kleinstmengen, man muss also nicht einmal konsumieren – ist in Österreich grundsätzlich strafbar, auch wenn in der Realität beim ersten Vergehen eine Diversion (Anmerkung der Redaktion: bei einem Schuldeingeständnis kann der Richter das Verfahren ohne ein Urteil oder Schuldspruch beenden, im Gegenzug dazu muss der Täter dann soziale Arbeit ableisten) wahrscheinlich ist, kann es im Wiederholungsfall aber auch zu Vorstrafen führen. Dann kann es auch zu echten Problemen mit dem Arbeitgeber kommen. Da herrscht bei den Politikern auch eine gefährliche Doppelmoral vor, die bei jeder Wahlkampf-Veranstaltung im Bierzelt oder mit Weinglas in der Hand posieren, aber es gleichzeitig gutheißen, dass jemand fürs Leben gebrandmarkt ist, nur weil er einmal einen Joint in der Hand hatte.

Was habt ihr mit eurer Kampagne bisher erreicht?
Wir haben innerhalb weniger Wochen den politischen Diskurs gedreht. Unsere Kampagne „Lieber bekifft ficken, als besoffen fahren“ ist vor drei Wochen gestartet und wir haben ein sehr großes öffentliches Echo bekommen. Es gibt inzwischen einen Beschluss zur Legalisierung von Cannabis der SPÖ-Landesverbände in Oberösterreich und Tirol, aber auch der Landesverband Salzburg hat eine Arbeitsgruppe zum Thema einberufen. Die SPÖ-Landesparteivorsitzenden aus Vorarlberg und Kärnten haben sich außerdem öffentlich für eine Entkriminalisierung von Cannabis ausgesprochen. Und auch bundesweit hat die SPÖ auf mein Nachfragen hin eine Arbeitsgruppe gestartet.
  
War die Zeit reif?
Kiffen ist einfach kein Tabuthema mehr. Natürlich hat unsere Kampagne auch provoziert, aber sie ist von der Bevölkerung größtenteils angenommen worden. Es gibt so viele Menschen, die kiffen. Sogar von Barack Obama gibt es Fotos, auf denen er mit einem Joint zu sehen ist. Und gleichzeitig gibt es in Österreich jedes Jahr ungefähr 18 000 Anzeigen wegen Cannabis-Konsum.
 


 
Welches konkrete Legalisierungs-Modell schwebt euch vor? Wollt ihr Clubs, wie in Spanien oder soll die Abgabe komplett frei sein?
So konkret sind unsere Überlegungen noch nicht. Unser zentrales Anliegen ist, dass die Produktion und Abgabe staatlich kontrolliert sein muss, dass keine privaten Drogenkartelle mehr Geld mit dem Verkauf verdienen. Die Steuern, die man durch die Legalisierung einnehmen würde, könnte man für Suchtprävention verwenden.

Wie begegnet ihr den Argumenten der Gegenseite?
Es gibt sehr viele Argumente, die in Wirklichkeit Scheinargumente sind. Dass Cannabis zum Beispiel eine Einstiegsdroge sei und man unweigerlich in Kontakt mit Heroin komme. Das mag momentan in Einzelfällen stimmen, aber wenn der Konsum legal möglich wäre, hätte man eben gar keinen Kontakt zu anderen harten Drogen. Oder auch das Argument, dass ein Anstieg des Cannabis-Konsum auch den Anstieg anderer Drogen zur Folge hätte: Das stimmt einfach nicht.
 
Eines der wichtigsten Argumente der Gegenseite lautet: Das Cannabis, das heute verkauft wird, ist ein hochpotentes Rauschmittel, das rein gar nichts mit dem Kraut zu tun hat, das einst in Woodstock herumgereicht wurde.
Dazu kann ich nur sagen: Es gibt weltweit keinen einzigen Cannabis-Toten. Wir wollen natürlich nichts verharmlosen: Cannabis ist eine Droge. Aber im Vergleich zum Nervengift Schnaps ist es eine sehr harmlose Droge.


Hashtags für alle

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Vielleicht sind Justin Timberlake und Jimmy Fallon schuld, die sich bereits im September 2013 in einem Videoüber das Verhashtaggen auf Twitter lustig gemacht haben. Fallon kommt in ein Wohnzimmer, in dem Timberlake auf dem Sofa sitzt.

Fallon: "Hi Justin, whats up?"
Timberlake: "Not much Jimmy, Hashtag ‚chillin’, whats up with you?"
Fallon: "Just been busy working Hashtag ‚riseandgrind’ Hashtag ‚isitfridayyet'?"
Timberlake: "Hey check it out I brought you come cookies Hashtag ‚homemade’, Hashtag ‚oatmealraisin’, Hashtag ‚showmethecookies’!"

Und so weiter. Offensichtlich fühlten sich dadurch sehr, sehr viele Leute in ihrer Verhashtaggisierung des Lebens ertappt: das Video zählt mittlerweile mehr als 25 Millionen Klicks.

Das Hashtag diente (und dient natürlich noch immer) auf Twitter einst nicht viel mehr als der praktischen Verschlagwortung: Versieht man seine Beiträge mit einem thematisch passenden Hashtag, kann man alle Beiträge, die ebenfalls unter diesem Hashtag erscheinen, auf einer Einzelseite versammelt abrufen und so gezielt zu gewissen Themen recherchieren und debattieren.

Längst ist das Hashtag aber mehr als ein reines Sortierungstool auf Twitter. Es ist nach und nach auch auf anderen Plattformen eingezogen und so zu einer neuen Slang-Variante geworden, vielleicht sogar zu einer neuen Kulturtechnik. Das Hashtag dient jetzt vor allem der Selbstdarstellung.

Besonders gut ist das auf Instagram zu beobachten. Unter ein gepostetes Foto von einem Tag mit Freunden am See schreibt man zum Beispiel #lake #bayern #sommer und dazu noch ein paar populäre Hashtags wie #instagood #bestlife oder #igdaily. Dahinter steckt ein ebenfalls interessantes, aber schon etwas älteres Netzphänomen: Sehr viele, vor allem junge Menschen wenden absurd viel Zeit dafür auf, auf digitalen Plattformen so viele Follower wie möglich zu ergattern. Je mehr Schlagworte sie ihren Fotos geben, so der Gedanke, desto größer die Chance, dass wildfremde Menschen auf sie aufmerksam werden und ihnen folgen. Wenn Blogger heiraten oder Kinder kriegen, denken sie sich ein möglichst unverwechselbares Hashtag für das Fest oder das Kind aus und erstellen so eine Art öffentliches Fotoalbum. Oft werden dazu dann noch etwas quatschige Hashtags wie #picnicforthehomies, #sandwichmittwoch, #chillergang3000 gestellt, die nie jemand suchen würde und mit denen auch niemand anders seine Bilder verschlagworten würde. Weil sie eher wie Insider-Codes funktionieren. Sie dienen vorrangig der Präsentation der eigenen Unverwechselbarkeit. Sie wollen sagen: Seht her, ich habe ein lustiges, verrücktes Leben mit ganz eigenen Hashtags, weil das, was ich erlebe, in keine Kategorie passt.




Gut möglich, dass diese Typen grad sowas in der Art zu einander sagen: "Hashtag 'chilling', hashtag 'niewiederaufstehen', hashtag 'limofriday', hashtag 'endlichsommer'".

Neuerdings kommt es immer öfter auch in Mails, Chats oder in mündlichen Konversationen vor, dass einer der Kommunikationspartner es gerade total lustig findet, seinen Ausführungen mehr oder weniger schwachsinnige Hashtags anzuhängen. Man rudert mit Freunden auf den See hinaus und plötzlich sagt jemand „Wow, Hashtag bestlife, Hashtag endlichwochenende, Hashtag See, Hashtag bff“ Und alle lachen, weil das so beknackt ist und den seltsamen Selbstdarstellungsdrang einer ganzen Generation sehr lustig parodiert. Oder man unterhält sich mit der kleinen Schwester, die vom Ausgehen erzählt und plötzlich sagt, „Jaaaa, ich meine, es war super: Hashtag fun, Hashtag Party, Hashtag Drinks, hahahahaha!“

Und auch in WhatsApp-Chats oder E-Mails funktioniert der neue Hashtag-Humor. Man schreibt sich, um ein Treffen zu vereinbaren oder einfach so ein bisschen zu quatschen und es dauert nicht lang, bis jemand #superexcited, #reallycrazy #seeyoulater #spontaneous oder Ähnliches schreibt. Mal ganz abgesehen von Dauerbrennern wie #lol #awesome #afk (away from keyboard). Und immer lacht man darüber, und immer ist es das gleiche ironische, etwas abfällige „Höhö“-Lachen wie schon auf dem Ruderboot und auch dasselbe, das Fallon und Timberlake bereits bei über 25 Millionen YouTube-Zuschauern ausgelöst haben.

Obwohl sich also alle einig darüber zu sein scheinen, dass Hashtags etwas Albernes und auch ein bisschen etwas Peinliches sind, hört keiner auf sie zu benutzen. Eher im Gegenteil. Das zeigt ein Mal mehr, wie sehr sich Ironie als Grundlage junger Kommunikation etabliert hat. Und wie sehr man es offensichtlich trotz allem Indiviualisierungsdrang genießt, gewisse Codes zu beherrschen und gemeinsam über etwas zu lachen. Am besten so, dass man dabei auch noch das Gefühl hat, man hätte etwas verstanden, das andere vielleicht noch nicht verstanden haben. Denn das ist immer ein erhebendes Gefühl.

Aber neben dem gemeinsamen Lachen hat das Verhashtaggen des Lebens noch einen ganz pragmatischen Grund: Man kann durch sie sehr prägnant Dinge rüberbringen, die sonst komplizierter klängen. Hashtags bleiben eben trotz allem: Schlagworte. Die zwar im Fall eines WhatsApp-Chats oder einer Ruderbootfahrt auf dem See keiner allgemein zugänglichen Recherche dienen, aber auf alle Fälle dem besseren Zurechtfinden in einer Konversation. Hashtags lassten Raum für nicht erzählte Hintergrundgeschichten. Vielleicht ist es das, was sie interessant macht: Sie sind nur Andeutungen. Sie sagen: Hier, nimm diesen kleinen kryptischen Fetzen aus meinem Leben, er kann vieles bedeuten, überleg es dir selbst, ich bin jetzt wieder weg, zurück in meinem lustigen, interessanten, mit Insidern und geheimer Codes versehenem Abenteuerleben.

Verkümmerung der Sprache!, könnte man jetzt natürlich rufen. Aber vielleicht können Schlagworte, ganz wie Smileys, ja sogar mehr als Sprache, weil sie ein Mehr an Zwischentönen und Gefühl und wirklicher Bedeutung erlauben. Sie schlagen einen Grundton an und überlassen den Rest unseren Interaktionspartnern. Dass dieser Grundton oft auch eine Note von Ironie hat, passt eigentlich gut dazu, dass man sich allgemein nicht mehr allzu gern festlegt. Weder auf Sprache, noch auf Witze, noch auf einen Wohnort oder einen Beruf oder überhaupt irgendetwas, es sei denn, es bliebe vage, ironisch und geheimnisvoll genug. Wie ein Hashtag.

Gewagte These, aber: Vielleicht erweitern Hashtags in Wahrheit unsere Kommunikationsfähigkeit. Dadurch, dass sie zwar die Sprache scheinbar verknappen, dafür aber der Intelligenz des Gegenübers wieder mehr zutrauen. Denn dass zwischen Gesagtem und eigentlich Gemeintem eine Lücke klafft, das war ja schon immer so.

Was kannst du und niemand sonst?

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Ich sitze gemütlich im Zug und schaue aus dem Fenster, als mich das Gespräch eine Reihe vor aufmerksam werden lässt. Zwei Länder-Ticket-Teiler sitzen vor mir und halten etwas gezwungen Small-Talk. Doch plötzlich kommt Schwung in das Gespräch: “Schau mal, was ich mit meinen Knien machen kann”, sagt sie, steht auf und dreht ihre Knie gefühlt einmal um 180° nach hinten. Der Junge ist voller Bewunderung - und versucht sofort mit Ohrwackel-Künsten zu kontern. Verstohlen schaue ich zu - und es juckt mich in den Beinen und den Ohren - das muss ich auch mal ausprobieren!




Man versucht es immer wieder und es klappt einfach nicht. Die Wissenschaft geht davon aus, dass das Zungenrollen eine erworbene Eigenschaft ist, die durch Gene und Umwelteinflüsse bestimmt wird. 

Auch wer noch keine spontanen Gelenkigkeits-Demonstration im Zug miterlebt hat, den Zungenroller kennt jeder. Die einen können’s spielend, die anderen ziehen sich beim Versuch des Zunge-Einklappens beinahe eine Zerrung zu. Dasselbe gilt für den Versuch, den eigenen Ellbogen mit der Zunge zu berühren- nur dass hier die Erfolgsquote noch geringer ist - man muss schon eine extreme Langzunge oder ein Langhals sein, um das hinzukriegen. Obwohl es so unwahrscheinlich ist, habe ich es natürlich trotzdem schon ausprobiert.

Außer angeborenen Verrenkungs-Talenten gibt es auch noch ganz besondere Alltags-Akrobaten: Gestern beim Mittagessen in der Kantine hat uns eine Kollegin spontan den coolsten Kirschentrick gezeigt. Tatsächlich machte sie im geschlossenen Mund einen Knoten in den Stiel! Nachmachen konnte ich es leider nicht - hab mich wohl für das falsche Dessert entschieden.

Was kannst du mit deinem Körper anstellen, was sonst niemand kann? Mit welchem Alltags- oder Körperkunststück schindest du Eindruck? Und womit beeindrucken dich andere?

Friede, Freude, Achtfuffzig

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Berlin – Man erlebt ein bisschen verkehrte Welt an diesem Donnerstag im Parlament. Vorne am Rednerpult spricht die sozialdemokratische Arbeitsministerin Andrea Nahles. Sie sagt, die Einführung des Mindestlohns sei „ein Grund zur Freude“. Nahles kann man dieses Gefühl durchaus glaubwürdig am zufriedenen Lächeln in ihrem Gesicht ablesen. Die Bild-Zeitung hat sie am Morgen schon zur potenziellen Kanzlerkandidatin „hochgeschrieben“. Auch die SPD-Fraktion applaudiert begeistert. In der Unions-Fraktion klatscht nur die erste Reihe, aber immerhin: Der Koalitionsfrieden ist gewahrt. So weit passt noch alles in die üblichen Schablonen.



Besonders zufrieden mit dem Gesetz über den Mindestlohn: Arbeitsministerin Andrea Nahles.

Dann aber verliert die Ministerin ein paar Sätze über die Debatte der vergangenen Tage, als es um Details des Gesetzes für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ging. Da habe es Diskussionsbeiträge gegeben, sagt die Ministerin, für die man in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat nur ein Wort kenne: Kokolores. Nahles meint damit jene Kritik vor allem aus den Gewerkschaften, wonach die SPD ihr Wahlversprechen eines einheitlichen Mindestlohnes gebrochen habe, weil durch Ausnahmeregelungen bis zu drei Millionen Arbeitnehmer nicht in den Genuss des Mindestlohns kämen. Einer der Urheber dieser Vorwürfe, der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sitzt oben auf der Zuschauertribüne und lächelt – aber ganz anders als vorher die Ministerin.

Nahles wendet sich nun an die Union. Sie dankt für eine „notwendige“ Debatte. Das ist ein diplomatischer Begriff für die harten Verhandlungen, die es zuletzt innerhalb der Koalition gegeben hat. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer, beklagte sich noch vor wenigen Tagen heftig über Nahles. Nun versucht die Ministerin eine versöhnliche Geste gegenüber den Kritikern eines Mindestlohns in der Union. Deren Fraktionschef Volker Kauder honoriert dieses Entgegenkommen später, als Nahles wieder auf der Regierungsbank Platz genommen hat, mit einem demonstrativen Händedruck.

Schon komisch also: Zwischen SPD und Gewerkschaften, die in den vergangenen Jahren gemeinsam für den Mindestlohn geworben und gekämpft haben, ist die Stimmung am Tag seiner Einführung schlechter als zwischen der SPD und ihrem Koalitionspartner, der sich so lange gegen dieses Vorhaben aufgebäumt hat. Im linken Lager war die Fähigkeit, Feste zu feiern, wie sie fallen, noch nie allzu ausgeprägt.

Das ganz, ganz linke Lager im Parlament ist natürlich bemüht, diesen Keil zwischen SPD und Gewerkschaften noch ein bisschen tiefer zu treiben. Klaus Ernst, der frühere Parteivorsitzende, nimmt in Anspruch, dass die PDS, die später in der Linken aufging, 2002 als erste Partei die Einführung eines Mindestlohns gefordert habe. Deshalb sei dessen Einführung grundsätzlich auch ein Erfolg der Linken. Nur leider sei der Gesetzentwurf der Koalition „grottenschlecht“.

Die Linke, später aber auch die Grünen, stoßen sich vor allem an zwei Regelungen: Erstens finden sie es falsch, dass Langzeitarbeitslose bei Aufnahme einer Arbeit ein halbes Jahr lang keinen Anspruch auf Mindestlohn haben sollen. Die Koalition argumentiert, der Mindestlohn dürfe den Hartz-IV-Empfängern, die ohnehin schwer zu vermitteln seien, den Zugang in den Arbeitsmarkt nicht erschweren. Die Opposition sieht das ganz anders: Mit dieser Regelung würden eine Million Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Qualifikationen stigmatisiert, schimpft die Grünen-Sozialexpertin Brigitte Pothmer. Die Botschaft an die Arbeitgeber laute: „Die können nix, die kriegt ihr billiger.“

Fast noch umstrittener ist – zweitens – die „Übergangsregelung“ (Nahles), beziehungsweise „Ausnahme“ (Opposition) bei den Zeitungszustellern. Für sie soll der Mindestlohn von 8,50 Euro frühestens im Jahr 2017 gelten. Im nächsten Jahr erhalten sie hingegen erst 6,38 Euro, 2016 sind es 7,23 Euro. Solche Ausnahmen seien nicht hinnehmbar, sagt Klaus Ernst. „Sie sind von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn noch meilenweit entfernt.“ Die Grüne Pothmer wirft der Koalition vor, mit der Sonderregelung für die Verlage sei die Regierung vor deren Lobbyarbeit zurückgewichen. „Sie wollten keine schlechte Presse. Und ausbaden müssen das die Zeitungszusteller.“

Redner der Koalition, vorneweg der Unions-Sozialexperte Karl Schiewerling, weisen diesen Vorwurf zurück. In der Abstimmung manifestiert sich dann erneut der großkoalitionäre Friedensschluss. Aus der Union kommen nur fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. Damit ist die Geschlossenheit sogar größer als beim umstrittenen Rentenpaket.

Sie haben schon zu viel gesehen

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Es ist nicht schwer, einen Sarg zu zimmern. Unten eine Platte, an den Seiten irgendeine Art von Wand und obendrauf einen Deckel. Auch ein handwerklich ungeschickter Mensch kann das. Oder ein Kind. In den Flüchtlingslagern entlang der syrischen Grenze zimmern sich Kinder einen Sarg, legen sich hinein und tragen einander zu Grabe. Sie spielen Beerdigung.



Syrische Flüchtlingskinder vor ihren Zelten in einem Camp an der syrisch-türkischen Grenze.

Ein syrischer Journalist hatte solche Szenen beobachtet und Tilman Rascher davon erzählt. Rascher arbeitet bei der Deutschen Welle Akademie, die sich in Krisen- oder Schwellenländern für die Entwicklung freier Medien einsetzt. Bei der Akademie ist er für Nah- und Mittelost verantwortlich. Er kennt die Situation an der syrischen Grenze, aber die Geschichte mit dem Sarg fand er ungeheuerlich. Und er fand eine Antwort darauf. Raschers Therapieangebot ist das Fernsehen.

In reichen Ländern verfolgt Kinderfernsehen vor allem zwei Ziele. Entweder soll es seinen Zuschauern möglichst früh möglichst viel Wissen vermitteln; sei es, wie man mit einem Flaschenzug selbst gebackene Törtchen ins Baumhaus hochzieht oder wie Kinder in Indien morgens zur Schule kommen. Und das Ganze am liebsten auch noch auf Englisch. Oder es ist im anderen Extrem nicht viel mehr als ein Bespaßungprogramm zwischen Werbeblöcken. Die Kinder, für die Yalla Nehna gemacht ist, haben aber keine Baumhäuser, viele haben gar keine Wohnung. Man sollte meinen, eine eigene Fernsehsendung wäre das Letzte, was diese Kinder brauchen.

Yalla Nehna, das ist arabisch für „Lasst uns loslegen“. Es sieht aus wie ein Format, das auch im deutschen Fernsehen laufen könnte: Faisal und seine Freunde üben Breakdance; Ali will Fußballer werden. Und das Mädchen Shaima kümmert sich nach der Schule um den Haushalt, weil ihre Mutter arbeitet. Zwischen den Einspielfilmen springen aufgedrehte Moderatoren durch ein buntes Studio. Sie machen Witzchen und erklären wissenschaftliche Experimente. Man sieht nicht, dass Yalla Nehna für besondere Kinder gemacht ist, weil es nicht besonders aussieht. Aber gerade das Normale daran ist das Besondere.

2,8 Millionen Syrer haben wegen des Bürgerkriegs ihre Heimat verlassen, mehr als 6,5 Millionen Menschen leben als Vertriebene im eigenen Land. Das Kinderhilfswerk Unicef der Vereinten Nationen schätzt, dass Kinder und Jugendliche mehr als die Hälfte der Flüchtlinge ausmachen. Das Fernsehen ist eine wichtige Informationsquelle, das Programm ist voll von Nachrichten aus den Krisengebieten. Auch in den Flüchtlingscamps schauten die Menschen fern, sagt Rascher. Manche besorgten sich irgendwoher einen eigenen Fernseher, oder es gibt zentrale Treffpunkte, an denen ein Gerät steht.

Auch die Kinder sitzen vor dem Fernseher. Sie sehen Bilder, die selbst für Erwachsene kaum zu ertragen sind. Wenn sie selbst bislang im Programm auftauchten, dann meistens als Opfer. Yalla Nehna hat das geändert. Dafür bekam das Team im Juni beim wichtigen Kinderfernsehfestival Prix Jeunesse in München einen Sonderpreis. Das Programm sei „besser als alles, was es momentan im arabischen Kinderfernsehen gibt“, befand die Jury.

„Elend haben diese Kinder schon genug gesehen“, sagt Tilman Rascher. Yalla Nehna ist die Insel in diesem Elend. Es gibt dort keine Kriegsbilder, keine Gewalt. Die Protagonisten sind wie ihre Zuschauer: syrische Kinder, viele von ihnen selbst geflohen. Faisal lebt mit seinen Freunden in Beirut, Shaima in der Türkei. Man ahnt, dass sie nicht nur schöne Erinnerungen an die vergangenen Jahre haben. In den Beiträgen spielt das aber keine Rolle. „Die Zuschauer sollen den Krieg vergessen können und wenigstens für einen Moment wieder Kind sein“, sagt Rascher.

Das Auswärtige Amt sagte die Finanzierung der Pilotsendung zu, spendierte Kameras und Schnittcomputer. Ein Studio wurde gebaut, Moderatoren wurden gecastet und ausgebildet. Der WDR half mit Erklärstücken aus dem eigenen Programm: Warum beißen Moskitos? Und welche Form hat eigentlich ein Regentropfen?
Anfangs hatte die Redaktion keine Leute vor Ort, die künftigen Videojournalisten mussten erst ausgebildet werden. Rascher und seine Mitarbeiter kannten aus einem früheren Projekt der Akademie einige Syrer, die sich für Journalismus interessierten. Professionell gearbeitet hatten die aber noch nie. In Schulungen in der Türkei sollten aus diesen Bürgern Journalisten werden. Journalisten für Kinderfernsehen, um genau zu sein. Yalla Nehna soll ja keine Sendung über, sondern vor allem eine für Kinder sein. Dazu gehört zum Beispiel, dass man die Kinder nicht von oben filmt, aus der Perspektive eines Erwachsenen. Sondern auf Augenhöhe. Die Kinder sollen selbst zu Wort kommen. Ein Kind vor der Kamera zum Reden bringen, auch das kann nicht jeder automatisch.

Nach nur dreieinhalb Monaten Vorbereitungszeit ging Yalla Nehna auf Sendung. Heute läuft das halbstündige Magazin zweimal pro Woche bei Orient TV. Der Sender produziert das Format mittlerweile in Eigenregie und auf eigene Kosten. Per Satellit ist Orient TV im gesamten arabischen Raum empfangbar. Außerdem sind die Folgen im Netz verfügbar.

Orient TV ist ein gemäßigter syrischer Oppositionskanal, der Großteil des Programms besteht aus Kriegsberichterstattung. Er sendet heute aus Dubai. Dort hat auch die Redaktion von Yalla Nehna ihren Sitz. Die Videojournalisten liefern ihre Beiträge aus der Ferne zu. Orient TV berichte zwar nicht unbedingt objektiv, so Rascher. Aber immerhin beziehe der Kanal nicht für eine bestimmte Gruppierung Position.
Einige Yalla Nehna-Reporter leben nach wie vor in Syrien und suchen sich dort ihre Geschichten. Nur positive, natürlich. Einfach ist das nicht: Schon während der Ausbildung hingen die neuen Reporter gelegentlich an irgendeinem Checkpoint fest und verpassten ihre Schulungen in der Türkei. Manchmal erfuhr ein Journalist während des Trainings vom Tod des Bruders oder des Vaters. Misstrauisch beäugt werden die Reporter nicht nur von Assads Leute, sondern von den Fundamentalisten unter den Oppositionellen. Das Material schafft es per Datenübermittlung über die Grenze, wenn nicht die Telefonverbindung wieder abbricht.

Als die Pilotfolge fertig war, fuhr das Team in ein Camp in die Türkei, um das Programm zum ersten Mal den Kindern zu zeigen. „Der Strom fiel immer wieder aus, nichts funktionierte. Aber alle haben konzentriert zugeschaut“, erinnert sich Rascher. „Das war das Beste.“

Ende der Drohungen

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Berlin – Es ist wieder ruhig in Berlin-Kreuzberg. Die Cafés rund um die Ohlauer Straße haben geöffnet an diesem sonnigen Donnerstag, der Spielplatz ist gut besucht, die gelben Doppeldeckerbusse fahren. Nur vor der Gerhart-Hauptmann-Schule lässt sich noch der Ausnahmezustand erahnen, in dem sich das Viertel befand, nachdem der Bezirk Dienstag vor einer Woche beschlossen hatte, das von Flüchtlingen besetzte Gebäude räumen zu lassen und bis zu 1700 Polizisten ganze Straßenzüge abgeriegelt hatten. Direkt vor der Einfahrt stehen zahlreiche Polizeifahrzeuge, rundherum liegen Leute auf Isomatten, sie haben auf dem Bürgersteig die Nacht verbracht.



Fast ist Normalität eingekehrt vor der Gerhart-Hauptmann-Schule.

Die war noch mal ziemlich turbulent. Vertreter des Bezirks, Politiker und Anwälte gingen ein und aus, um mit den etwa vierzig Bewohnern zu verhandeln, die sich in der Schule verschanzt hatten. Die Flüchtlinge drohten, vom Dach zu springen, die Berliner Polizei wiederum drohte abzuziehen, wenn die Schule nicht geräumt werden könne. Papiere wurden beschrieben, wieder verworfen, es wurde hin und her telefoniert. An den Absperrungen versammelten sich Demonstranten und Anwohner, machten Picknick, hielten Transparente, vom Dach der Schule kam Musik. Am späten Abend dann traten einige Bewohner vor die Schule, um ein Kompromisspapier zu unterschreiben. Ein Mann sagte: „Wir reichen der Politik die Hand. Wir sind müde und wir unterschreiben unter Druck.“ Die Polizei zog daraufhin ab, die Bewohner dürfen bleiben, in einem Bereich in der dritten Etage. Sie bekommen Hausausweise. Hinein darf niemand mehr, das Gebäude soll zu einem „Internationalen Flüchtlingszentrum“ umgebaut werden, für 70 Leute mit ungeklärtem Status.

Die lange Geschichte der Gerhart-Hauptmann-Schule begann 2012, als Flüchtlinge aus Würzburg nach Berlin kamen, um zu protestieren. Gegen das deutsche Asylrecht, etwa die Residenzpflicht, die Flüchtlinge während ihrer Asylverfahren an einen bestimmten Ort bindet. Die Flüchtlinge schlugen ein Camp auf dem Kreuzberger Oranienplatz auf, ein anderer Teil besetzte die Schule. Der von den Grünen regierte Bezirk ließ sie gewähren, der Berliner Senat handelte mit den Campern eine Einigung aus, worauf der Oranienplatz geräumt wurde. In der Gerhart-Hauptmann-Schule war die Lage komplizierter, denn es kamen immer mehr Leute in das Gebäude, die mit dem Protest nichts zu tun hatten, phasenweise waren es 500, darunter Roma-Familien, Obdachlose. Die Zustände wurden unhaltbar, als ein junger Marokkaner bei einem Streit um die einzige Dusche erstochen wurde.

Eine weitere Auseinandersetzung beschäftigte bis Mittwoch das Berliner Landgericht. Ein 19-jähriger Bewohner, der einem anderen jungen Mann in der provisorischen Küche mit einem Messer in den Rücken gestochen hatte, wurde freigesprochen. Die Richter konnten nicht ausschließen, dass er in Notwehr gehandelt habe.

Im politischen Berlin gehen die Meinungen über den Kompromiss am Donnerstag auseinander. Während sich der Bezirk zufrieden zeigt, wird den Grünen von anderer Seite unverantwortliches Handeln vorgeworfen. Die Flüchtlinge selbst sind ebenfalls nicht zufrieden, sie fordern ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland. Unterstützung kommt aus dem Kulturbetrieb. In einem offenen Brief, den etwa Johan Simons, der Intendant der Münchner Kammerspiele, die Choreografin Sasha Waltz oder der Regisseur René Pollesch unterzeichneten, ist von „empörenden Zuständen der deutschen Flüchtlingspolitik“ und der „skandalöse Abwesenheit einer deutschen Einwanderungspolitik“ die Rede.

Aus der leeren Gerhart-Hauptmann-Schule tritt indessen einer der letzten Bewohner und guckt durch den Zaun. Davor steht eine junge Frau, die seit Monaten zur Schule kommt, weil sie „selbst betroffen“ sei, wie sie sagt. Sie ist in Berlin aufgewachsen, aber ohne Vater. Der wurde nach Ghana abgeschoben, als sie ein Kleinkind war. Eine Diskussion entspinnt sich, über Flüchtlinge, Lampedusa, Europa. Ein zerfetztes Transparent flattert im Sommerwind, demnächst beginnen hier die Aufräumarbeiten. Und aufzuräumen gibt es einiges rund um die Schule, die zu einem Symbol wurde. Dafür, was passiert, wenn globale Probleme die Kommunen erreichen.

Tagesblog - 4. Juli 2014

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16:59 Uhr Mit einem Text, den ich leider nicht geschafft habe zu lesen, verabschiede ich mich ins Wochenende.

"A manifesto against Americas 'happiness' and 'resume' cultures."

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16:23 Uhr
Kleine Postkarte zwischendurch: Die Coolchicks deep im Nachmittagstief.





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16:03 Uhr
Das finde ich aber einen sehr schönen Vergleich, der hängt ungefähr so schief wie eine durchgebrochene Gardinenstange:





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15:28 Uhr
Ich bin ja eher so desinteressiert an Katzenbildern und sonstigem Internet-Fastfood, aber was es mir angetan hat, ist der Instagram-Account YouDidNotEatThat. Genau! Endlich sagt es mal jemand!





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15:10 Uhr
Ein trauriger Moment im Leben eines Tagesbloggers: Man sieht, dass ein neuer Kommentar da ist, guckt ganz neugierig nach und dann, ding-dong-dung-duuuuuuuung, muss man feststellten, dass der Kommentar von einem selbst ist. Tjaja, so geht es dann alten Katzenfrauen irgendwann, wenn sie denken, ihre eigene Stimme sei ein guter Freund, der sich mit ihnen unterhalten möchte. (Was streng genommen ja auch gar nicht mal falsch ist!)

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14:55 Uhr
WM und Sportreporter Christian Xtra-Xcellence Helten hat mir gerade eine neue, eigens dokumentierte Absurdität aus dem Ressort "Fan-Deko" zukommen lassen. Stark, sage ich da, frei nach Jan Stremmel.





(PS: Der Wagen befindet sich in der Nähe unseres Hochhauses. Womöglich hat sein Besitzer etwas mit der SZ am Hut! Oder mit dem Unternehmen "Schutt Karl"? Man weiß es nicht.)

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14:47 Uhr
Es sind ja gerade übrigens die Tage deutschsprachiger Literatur in Klagenfurt. Ich bin nicht auf dem Laufenden und habe mir noch keine einzige Lesung angesehen, ich sehe nur in meinem Twitterfeed unter dem Hashtag (oh! #!) #tddl ab und zu Tweets zum Thema auftauchen. Ich sehe mir eigentlich am liebsten die Autorenvideos an und schäme mich dabei heimlich ein bisschen in mich selbst hinein. Ich glaube, sich im Videoporträt selbst spielen und auf eine irgendwie okaye Weise darstellen zu müssen, ist ziemlich hart und fast unmöglich. Und selbst ansehen kann man sich das dann wahrscheinlich auch gar nicht.

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14:33 Uhr
Christina hat mir gesteckt, dass in den USA heute Unabhängigkeitstag gefeiert wird. Und weil sie im Geheimberuf Bildredakteurin ist, hat sie mir zwei schöne Stimmungsbilder dazu rausgesucht. Ich bin stolz, sie hier präsentieren zu dürfen:









(Wer den Witz rausfindet, kriegt von Christina ein virtuelles Geschenk zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft!)

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14:11 Uhr
Hallo hallo, hier bin ich wieder! Hashtag 'Filmfest', da wollt ich ja noch was zu sagen: Ich war bisher von allen Filmen enttäuscht und gelangweilt. Einzig einer war so schön, dass ich ihn mir gern noch einmal ansehen würde. "La Meraviglie - Die Wunder" von Alice Rohrwacher. Die hat nämlich geschafft, was, finde ich, selbst die größten Regisseure immer nicht schaffen: Kinder in Filmen so darzustellen, wie sie sind. Meistens hasse ich Kinder in Filmen. Weil sie mit so leicht debilen Kinderschauspieler-Quietschstimmen sprechen und sich überhaupt nur so verhalten, wie sich Erwachsene Kinder vorstellen: Süß und ein bisschen doof, süß und altklug oder süß und pampig verzogen. Die Kinder in "La Meraviglie" sind einfach nur Kinder. Oder ich hab einfach nur ein ausgesprochenes Faible für italienische Filme.

http://www.youtube.com/watch?v=-AIHVBjHP_Y

13:29 Uhr
Hashtag 'neuertext': Unsere Autorin, äh, ich selbst habe einen Text über die derzeit nahezu inflationäre Verwendung von Hashtags geschrieben und nein, nein, ich meine nicht nur auf Instagram, ich meine im ECHTEN Leben. Aber vielleicht sind daran auch nur Jimmy Fallon und Justin Timberlake schuld, die bereits im Herbst vergangenen Jahres dieses Video gemacht haben:

http://www.youtube.com/watch?v=57dzaMaouXA&feature=kp

Jedenfalls ist meine These hinter dem Text brutal kulturoptimistisch! Sie lautet in etwa so: Hashtags erweitern unseren Sprachraum. Macht mir fast selbst ein bisschen Angst, vielleicht erweist sie sich nämlich auch bald schon als grober Unfug, man weiß das ja nie heutzutage. Aber lest am besten mal selbst.
 
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13:03 Uhr
Falls einer von euch mit dem seltenen Problem zu kämpfen hat, nie Lust auf Eis zu haben - eine hervorragende Kur könnte die Lektüre dieser Hymne ans Eis sein. Von jetzt-Userin hoseki.

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12:33 Uhr
Zurück vom Mittagessen enthülle ich gleich das nächste Textpräsent: Unsere Autorin Larissa Winter hat sich in unserer Kolumne Alltagsduell dem schwelenden Unmut zwischen Spontanreisern und Planreisern angenommen.





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11:30
Ihr erinnert euch an den Casus Knacktus rund um Terry Richardson und seine Schweinereien mit und ohne American Apparel? Hier eine brandneue Doku über den Mann mit dem extraselbstbewusstem Pimmel.

http://www.youtube.com/watch?v=GJZjmZtYey0

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10:40 Uhr
Ich hab soviel Stoff auf Lager heute, ich komme gar nicht mit dem Posten hinterher! Bestimmt gibt es nachher eine kleine tote Phase, in der mir dann gar nichts mehr einfällt. Und in der könnt ihr dann alle dieses neue Google-Spiel spielen, von dem man angeblich extrem süchtig wird. Aber vielleicht auch sehr klug!
 
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10:27 Uhr
Eine knackige Konferenz liegt hinter uns, in der die Penisbesitzer dieser Redaktion mich genötigt haben, jetzt sofort dieses vermutlich? angeblich? von Hoax-König Jimmy Kimmel fabrizierte Video zu teilen:

http://www.youtube.com/watch?v=Yyk1qezYKXk

Es geht um Wub, Wub, Wubbing, angeblich eine brandneue Trendsportart: Breakdance-Tanz mit in Radlerhosen genähten penishaften Riesennackenwürsten. Die Kritik in dem oben verlinkten Text, es sei homophob und rassistisch finde ich zwar Schwachsinn, aber ich finds einfach nicht soooo lustig. Wahrscheinlich weil ich keinen Penis habe. Ich frage mich, wieso ist das eigentlich so, was finden Männer denn bitte bis ins hohe Alter an ihrem Penis so wahnsinnig lustig? Und gibt's eigentlich Vagina-Humor? Als so richtig albernen, kindischen, und nicht diesen bieder-mahnenden Kunstprojekt-Humor? Nee, ne? Falls doch: Empfehlungen bitte in die Kommentare.

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09:45 Uhr
Hätte ich bei all der Aufregung um einen neuen Freitag doch beinahe den Ticker vergessen. Hier ist er. Es geht um Körpertricks, die man vorführt, wenn einem auf einer Party nix mehr zu Reden einfällt. Oder auf einer Zugfahrt. Ich kann: Armgelenke knacksen, Schultern knacksen, Pupillen schaurig zittern lassen.

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09:37 Uhr
Und ich muss unbedingt Werbung machen für eine Geschichte im SZ-Magazin, die ich heut morgen fast übersehen hätte, weil ich die linke Seite für irgendeine langweilige Sonstwas-Werbung hielt und die rechte für eine Brillenwerbung. Bis ich mich auf der nächsten Seite wunderte, warum da einfach eine Geschichte anfängt ohne Teaser und Überschrift. Neue Grafik-Heft-Stylo-Coolness, oder was, hab ich mir gedacht, und dann meinen Blätterfehler kapiert. Jedenfalls, ich meine diese Geschichte hier:





Da geht es um einen Mann, der nach einer Schlägerei als Superbrain wiedererwachte. Woah hey!

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09:04 Uhr
Guten Morgen. Ein neuer Tag im Leben des Tagesblogs. Was er wohl bringen mag?

Vielleicht zu allererst einige handverlesene Nachrichten.

- Was können wir aus dem Fall der NSA-Überwachung von Sebastian Hahn aus Erlangen lernen? Andrian Kreye schreibt: Wir alle sollten uns besser schützen im Netz. Denn nur, wenn das verdächtige Verhalten zum gesellschaftlichen Standard würde, könne es nicht länger es nicht länger verdächtig sein. Finde ich absolut richtig.

- Ich freue mich über die neue Doppelpass-Regelung. Ich fand die vorherige Regelung nämlich zum Heulen  kleingeistig.

- Guter, überhaupt nicht überraschender und doch trauriger Textüber die Primania (Insider wissen: Das ist der Hype um Primark). Mit interessantem Schlussabsatz, der mich noch immer grübeln lässt.

- Wäre gut, wenn das klappt: Weniger Mikroplastik in Kosmetikartikeln.

- Habe ich noch nicht gelesen, leider, werde ich aber hoffentlich nachher nachholen: Wie Überwachung für geistige Armut sorgt, am Beispiel Großbritanniens.

- Ebenfalls noch nicht gelesen, aber laut süddeutsche.de-Teaser sehr wichtig für jeden: Die neue Erbrechtsverordnung der EU.

- Immer Ärger mit den Geheimdiensten: Jetzt hat der BND mit der NSA kooperiert und dadurch wohl gegen das Grundgesetz verstoßen.

- Und die Brücke in Brasilien nicht vergessen. Die eingestürzte. Dabei sei angeblich so eine "renommierte Firma" am Werk gewesen! Ach, Brasilien. Ach, FIFA. Ach, dreckige Welt.

Hunderte Siegel, kaum Durchblick

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Köln – Teuer oder billig – viele Verbraucher denken, der Preis der Kleidung sage etwas über ihre Produktionsbedingungen aus. Sicher, die Wahrscheinlichkeit, dass extrem billige Klamotten anständig produziert werden, ist gering. Aber wenn es um die Belastung der Umwelt durch die Textilproduktion oder die Arbeitsbedingungen der Näherinnen geht, hat der Käufer keine Gewähr dafür, dass teuer gleich besser ist.



Näherinnen arbeiten in einer chinesischen Textilfabrik.

Wie aussagekräftig sind die Infozettel im Kleidungsstück?

Ein Modeunternehmen muss nur angeben, in welchem Land ein Kleidungsstück hergestellt worden ist und aus welchen Materialien es besteht. Ein T-Shirt „Made in Spain“ kann aber auch nur in Spanien am Ende zusammengenäht worden sein. Ob die Bauern die Baumwolle für das Shirt ohne Atemschutz mit Pestiziden behandelt haben oder ob Menschen in Spinnereien ausgebeutet werden, von all dem erfährt der Verbraucher auf diesem Etikett nichts.

Sind Produktsiegel eine Lösung?

Selbst informierte Konsumenten verlieren bei rund tausend Siegeln den Überblick. Nach Ansicht von Verbraucherschützern erwecken außerdem etwa 80 Prozent falsche oder übertriebene Hoffnungen. Trotz der großen Vielfalt existiert bislang kein Siegel, das die gesamte Produktionskette abdeckt, also vom Baumwollanbau über die Verarbeitung bis zum Verkauf. Wichtig für die Glaubwürdigkeit von Siegeln ist, dass sie von unabhängigen Stellen vergeben und kontrolliert werden. Die „Kampagne für Saubere Kleidung“ zählt dazu die Fair Wear Foundation, bei der Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs versuchen, Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Textilsiegel „Global Organic Textile“ (GOTS) umfasst zwar den Herstellungsprozess eines Kleidungsstücks, außen vor bleiben aber weitgehend Sozialstandards. Das Siegel „Fairtrade certified cotton“ wiederum garantiert faire Arbeitsbedingungen, langfristige Handelsbeziehungen und fördert den Umstieg auf biologischen Anbau. Die weitere Verarbeitung in den Fabriken ist nicht eingeschlossen.

Warum plant Bundesentwicklungsminister Gerd Müller ein eigenes Textilsiegel?

Das Label soll umfassender sein als bisherige, Müller will es bis Ende des Jahres einführen. Ausgezeichnet werden soll Kleidung, die ökologisch und sozial gerecht hergestellt wird. Der Zeitplan dürfte kaum einzuhalten sein, sagen verschiedene Experten, die an Gesprächen in dem Ministerium teilgenommen haben. Dort beraten Vertreter von Industrie, Handel, Politik und Zivilgesellschaft. Ein Knackpunkt ist die Frage der Verbindlichkeit: Vertreter von NGOs wollen rechtlich verbindliche Vorgaben, Konzerne setzen hingegen auf Freiwilligkeit.

Was bringen freiwillige Regeln?

Der Global Compact der UN etwa ist eine Initiative für Unternehmen, die sich freiwillig an Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung ausrichten. Aber: Die freiwilligen Selbstauskünfte bleiben ungeprüft, bei Verstößen drohen ihnen keine Sanktionen. Die Unternehmen profitieren vom Ruf der Vereinten Nationen. Ein generelles Problem der Freiwilligkeit: Vermeidet ein Konzern Schäden an Mensch oder Umwelt, ist er oft weniger rentabel als Konkurrenten, die keine Skrupel haben.

Was ist ein fairer Lohn?

Die Bezahlung in asiatischen Nähfabriken ist derzeit oft zu gering, um die Beschäftigten ausreichend zu ernähren. Wenn Fabriken aber wegen steigender Löhne ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, könnten Arbeitsplätze verloren gehen. Und kein Job ist häufig schlimmer als ein mieser Job. Ein Ausweg könnte es sein, bei einem Siegel weniger den Istzustand zu gewichten, als den Prozess und stetige Verbesserungen zu honorieren.

Müssen Konzerne Menschenrechte beachten?

Die internationalen Menschenrechtsverträge richten sich ausschließlich an Regierungen. Es ist also die Aufgabe der Staaten, die Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, auch wenn Unternehmen sie begehen. Oft fehlen aber wirksame staatliche Strukturen. Regierungen aus Entwicklungs- und Schwellenländern versuchen sogar oft bewusst, im globalen Standortwettbewerb mit dem Verbot von Gewerkschaften und mit fragwürdigen Arbeitsgesetzen zu punkten, wie Wissenschaftler festgestellt haben.
Können Verbraucher durch Boykott etwas bewegen?

Genaue Zahlen kennen nur die Konzerne und die neigen oft dazu, die Wirkung herunterzuspielen. Der US-Wissenschaftler Monroe Friedman hat versucht, den Einfluss von Boykotten auf das Verhalten von Unternehmen empirisch zu belegen. Demnach bewirkten Aktivisten in jedem vierten Fall etwas. Allerdings beteiligt sich nur die Minderheit der Verbraucher an solchen Aktionen, in Deutschland sind es nur 8,3 Prozent.

Was ist die größte Schwäche eines Boykotts?

Schlagkraft entwickelt die Kaufverweigerung, wenn Konsumenten ein prominentes Unternehmen herausgreifen. Boykotts sind also immer selektiv. Außerdem laufen viele Verbraucher einer kritischen Entwicklung oft hinterher. Sie boykottieren dann eine Firma; die neue Bezugsquelle agiert aber ebenfalls fragwürdig.

Primania in Deutschland

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Berlin – Es ist kurz vor neun Uhr morgens, die Sonne knallt auf die zubetonierte Alexanderplatz-Wüste, und Jessica steht mit ihrer Freundin vor dem Eingang der Primark-Filiale. Drei Stunden werden die beiden 13-jährigen Mädchen ausharren. Seit Wochen fiebern sie der Eröffnung von Deutschlands 13. Primark-Filiale entgegen. Müssten sie nicht in der Schule sein? „Für Primark schwänzen wir“, sagt Jessica. 100 Euro hat sie dabei

– und ein kleines schlechtes Gewissen: „Ja, klar, die Kleider von Primark werden bestimmt alle von Kindern genäht, aber ich kann mir kein T-Shirt für 30 Euro leisten.“ Beim irischen Discounter kosten T-Shirts 2,50 Euro. Die meisten verlieren schon nach einer Wäsche die Fassung. Jessica findet das: „Egal. Bei zwei Euro für ein T-Shirt schmeiße ich es eben weg, wenn es nicht mehr passt.“



Der Primark in Berlin kurz vor der Eröffnung und dem großen Ansturm.

Drinnen steht Breege O’Donoghue, die Primark-Chefin. Gerade wartet sie, dass Irlands Premierminister Enda Kenny, der später noch die Bundeskanzlerin treffen wird, zur Shop-Einweihung eintrifft. O’Donoghue ist 70 Jahre alt, sie kommt zu jeder Eröffnung. Mit ihrem Alter (und ihrem Vorstandsgehalt) ist sie ziemlich weit entfernt von ihrer Zielgruppe. Spricht man sie darauf an, sagt sie: „Alles, was ich trage, ist von Primark und hat nur 42 Euro gekostet“. Das goldglänzende Armband auch? „Of course not“, sagt sie.

Primarks Erfolgsrezept sei, „dass wir so preiswert sind“. Vermutlich aber auch, dass die Kette in Ländern herstellen lässt, in denen der Monatslohn 70 Euro beträgt? Ihre Lippen werden schmal. „Wir betreiben ethischen Handel“, sagt sie. Abrupt wendet sie sich ab. Sie müsse ihre Rede noch mal überfliegen.

Es gibt inzwischen schon ein Wort für den Wahnsinn, der sich abspielt, wenn Primark eine neue Filiale eröffnet: „Primania“. Auf der Internetseite von Primark können Kunden unter diesem Stichwort seit ein paar Monaten Fotos hochladen, die sie in Primark-Klamotten zeigen. Der Wahnsinn ist, dass die Kunden das tatsächlich machen. Primark ist eine Geldmaschine, die vor allem deshalb schwarze Zahlen schreibt, weil sie auf Werbung und Online-Versand verzichtet und auf etwas setzt, was Deutsche gerne praktizieren: Geiz.

Bei der Gier nach Schnäppchen setzt oft das Gewissen aus. Vielleicht sollte man für einen Moment einfach mal diese Zahlen für sich sprechen lassen: Gibt man bei Google die Wörter „Primark“ und „Arbeitsbedingungen“ ein, erhält man 150000 Suchergebnisse. Wer „Primark“ und „Shopping“ eintippt, bekommt 5,5 Millionen Ergebnisse. Darunter auch sehr viele Youtube-Videos, auf denen Mädchen ihre Primark-Tüten auspacken und die Ausbeute vorführen. Eine bessere Werbung kann sich der Konzern gar nicht wünschen – sie kostet ihn nichts und kapitalisiert die Lust junger Mädchen, sich in sozialen Netzwerken zur Schau zu stellen.

Manche dieser Videos sind schon über eine Million Mal angeklickt worden. Youtube platziert auf ihnen Werbung. Auch das ist wohl eine Art Volks-Wirtschaft: Ein Konzern schaltet keine Anzeigen, weil seine Kunden die besten Werbeträger sind. Die Kunden filmen sich in Primark-Bikinis und Primark-Blusen und bekommen von Youtube Geld, weil der Dienst ihre Videos mit Werbung zupflastert. Mit dem Youtube-Lohn finanzieren die Primark-Kunden ihre Shoppingtouren. In diesem geschlossenen System sind alle glücklich, bis auf die, die keine acht Euro besitzen für Jeans: Die Primark-Näher.

Im vergangenen Jahr ist in Bangladesch ein neungeschossiges Gebäude eingestürzt, 1134 Menschen wurden damals getötet und 2438 verletzt. Im zweiten Stock hatten 580 Angestellte des Primark-Zulieferers „New Wave Bottoms“ Hosen und Hemden zusammengenäht – die meisten von ihnen haben den Einsturz nicht überlebt. Primark hat nach eigenen Angaben 12 Millionen US-Dollar Entschädigung an die Opfer und hinterbliebene Familienangehörige gezahlt. Ob der Konzern die Löhne in Bangladesch erhöht hat, darüber macht das Unternehmen keine Angaben.

Hubertus Thiermeyer ist Landesfachbereichsleiter für Handel der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Bayern. Er sagt: „Wer ein T-Shirt für zwei Euro kauft, muss wissen, dass jemand anderes den Preis dafür bezahlen muss.“ Primark gehört zum britischen Giga-Konzern Associated British Foods, der unter anderem Marken wie die Teefirma Twinings besitzt und das aus der Schweiz stammende Malzgetränk Ovomaltine. 276 Primark-Filialen gibt es in neun europäischen Ländern – der Umsatz ist so gigantisch, dass der Konzern jetzt in die USA expandieren wird.

Am Ende eines Tages gleichen Primark-Läden Schlachtfeldern. Horden von Mädchen, Frauen und jungen Männern probieren mitten im Laden an, weil die Schlangen vor den Umkleidekabinen endlos sind. Die Sachen, die sie nicht kaufen, lassen sie auf dem Boden liegen. Doch weder Wühltisch-Ambiente noch angebliche Hilferufe chinesischer Arbeiter können dem Label etwas anhaben. Vor wenigen Tagen waren in Primark-Kleidern Etiketten entdeckt worden, auf denen angeblich Arbeiter Hilferufe notiert hatten wie „bis zur Erschöpfung zum Arbeiten gezwungen“. Der Konzern ließ prüfen und kam zu dem Befund, dass es sich bei den Hilferufen um Fälschungen handele. In dem walisischen Ort Swansea, wo die beiden Primark-Kleider gekauft worden waren, habe Monate zuvor eine Kunstaktion mit solchen Etiketten stattgefunden, bei der Besucher ermutigt worden waren, solche Etiketten in Kleidung einzunähen. Inzwischen ist auch ein dritter „Fall“ bekannt geworden, bei dem eine Kundin in Belfast in einer Dreiviertel-Hose einen auf Chinesisch verfassten Hilferuf gefunden habe. Die örtliche Zeitung South Wales Evening Post berichtete nun, eine Kunststudentin habe für ein Projekt mit einer chinesischen Universität ähnliche Zettel hergestellt. Die Studentin habe auf Anfragen bisher nicht reagiert – und ihr Twitter- und Facebook-Profil gelöscht.

Drei Stunden nach der Eröffnung steht die Luft in Berlins zweiter Primark-Filiale am Alexanderplatz. Zwei junge Mädchen verteilen am Eingang Zettel, auf denen steht: „Ausbeutung ziehen wir nicht an.“ Ein 52 Jahre alter Mann kommt auf sie zu und sagt: „Ich hoffe, dass in Berlin noch mehr solche Läden aufmachen.“ Die Mädchen sind perplex. „Aber wissen Sie, wie die Arbeitsbedingungen bei Primark sind? Würden Sie 14 Stunden sechs Tage in der Woche in einer Fabrik nähen, ohne Krankenversicherung?“
Der Mann macht es kurz: „Ja, würde ich. Denn von Eurer Ideologie werde ich nicht satt. Ich sammele Pfandflaschen, um meine spärliche Rente aufzubessern.“
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