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Wachsende Wut am Perlfluss

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Peking – „Ein Land, zwei Systeme“. So lautete das Versprechen Chinas an Hongkong, als die damals noch britische Kronkolonie 1997 zurückkehrte zum chinesischen Vaterland. Die britisch-chinesischen Verträge und das Hongkonger Grundgesetz sahen vor, dass die Stadt einen „hohen Grad an Autonomie“ behalten sollte; außerdem sollten die Hongkonger Bürger 2017 erstmals frei ihren Regierungschef wählen dürfen. Der Termin, der damals noch in weiter Ferne lag, ist nun zum Greifen nah. Die versprochenen freien und allgemeinen Wahlen aber sind nicht in Sicht. Aus Peking kommen vielmehr vermehrt scharfe Warnungen Richtung Hongkong, und in Hongkong selbst sehen sich nach einem in drohendem Ton abgefassten „Weißbuch“ von vergangener Woche all jene bestätigt, die immer sagten, dass Peking sein Versprechen nicht ernst meine.



Benny Tai gehört zu den Gründen der Protestbewegung Occupy Central.

Bei den Demokraten der Sieben-Millionen-Einwohnerstadt wachsen Enttäuschung und Ärger. Der Konflikt spitzt sich zu. Für den 1. Juli, den Jahrestag der Rückkehr Hongkongs nach China, sind große Demonstrationen angekündigt. Für diesen Freitag schon plant das demokratische Lager mit einem selbst organisierten „Referendum“ den ersten einer Reihe von Schritten und Aktionen, die am Ende das Herz des Finanzzentrums lahmlegen könnten: dann, wenn die Aktivisten der lange angekündigten Aktion „Occupy Central“ zur Tat schreiten und das Zentrum Hongkongs besetzen. Ein Datum für die Aktion steht noch nicht fest.

In den kommenden Tagen und Wochen wird also der Streit zwischen dem demokratischen und dem prochinesischen Lager die Stadt noch mehr beherrschen. Dabei wird oft nicht mit sauberen Mitteln gekämpft. Von Freitag bis Sonntag sollen die Hongkonger in dem inoffiziellen Referendum über drei Modelle politischer Wahl abstimmen, die sie sich für ihre Zukunft wünschen. Die Organisatoren erhoffen sich bei der symbolischen Abstimmung eine starke Beteiligung von wenigstens 200000 oder 300000 Leuten; das soll den Druck auf Peking erhöhen, am Ende tatsächlich freie Wahlen zuzulassen.

Dabei sehen sie sich seit fast einer Woche im Kreuzfeuer von Hackerangriffen, die ihre Computersysteme lahmgelegt haben und Interessenten die Registrierung unmöglich machen. Organisatoren wie Robert Chung von der Universität Hongkong vermuten den Ursprung der Angriffe in China. „Das ist eine Form technischer Gewalt“, sagte Chung bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.

„Sie versuchen, die Stimme der Hongkonger Bürger zum Schweigen zu bringen“, meinte auch Co-Organisator Chan Kin-man von der Occupy-Central-Bewegung. „Sie wollen die Leute davon abhalten, Nein zu sagen zu ihren falschen Wahlen.“ Der Plan der Regierung in Peking sieht zur Zeit vor, die Wahlen 2017 zwar stattfinden zu lassen; allerdings sollen nur Kandidaten antreten dürfen, die von einer pekingfreundlichen Wahlkommission zuvor handverlesen wurden.

Ebenfalls durch Hackerangriffe lahmgelegt wurden in den vergangenen Tagen die Webseiten der pekingkritischen Zeitung Apple Daily. Deren Verleger Jimmy Lai rief die Menschen dennoch auf, am Referendum teilzunehmen. Lais Apple Daily und Next Magazine mussten zuletzt den Wegfall wichtiger Anzeigenkunden wie der HSBC und der Standard Chartered Bank verkraften: Hongkonger Medienberichten zufolge strichen die beiden Banken nach Druck aus Peking ihre Anzeigen bei Lais Blättern, was sie später abstritten.

Der Druck aus Peking wuchs weiter, als Chinas Staatsrat am 10. Juni ein „Weißbuch“ über Hongkong vorstellte. Darin hieß es, die Zentralregierung in Peking habe „allgemeine Jurisdiktion“ über Hongkong und der versprochene „hohe Grad an Autonomie“ sei „beschränkt auf den Grad der Autonomie, den die zentrale Führung gewährt“. Das Weißbuch, urteilte Sophie Richardson, China-Direktorin bei der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch, sei „ein klares Signal von Peking an Hongkong, dass über allgemeine Wahlen nicht einmal bei wachsendem öffentlichem Druck“ nachgedacht werde. Das Papier, so Richardson, werde „die Spannungen in Hongkong erhöhen“. Prochinesische Politiker und Geschäftsleute verbreiten sich derweil in einer Flut von Kommentaren über angebliche „Radikale“, welche die Occupy-Central-Bewegung gekapert hätten. In einer der schärfsten Erklärungen warnte Zhou Nan, der ehemalige Direktor der Nachrichtenagentur Xinhua in Hongkong, „antichinesische Kräfte“ wollten Occupy Central benutzen, „um die Kontrolle über Hongkong zu erhalten“. Glücklicherweise stehe „die Volksbefreiungsarmee bereit“, um mit „möglichen Unruhen fertigzuwerden“.

Demokratische Politiker wie der Rechtsanwalt Martin Lee äußerten ihre Enttäuschung darüber, dass Großbritanniens Regierung beim gerade beendeten Staatsbesuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang in London die wachsenden Ängste der Hongkonger nicht zum Thema gemacht habe. Das Schweigen des britischen Premierministers David Cameron sei „enttäuschend“ und „unverantwortlich“, sagte Lee.

Zwei Bücher (8): Zwei Mal Frauenleben

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Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet zurzeit in der Schweiz. Ihr Debütroman "Einladung an die Waghalsigen"(DuMont 2010) wurde für den Schweizer Buchpreis 2010 nominiert und mit dem aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt ausgezeichnet. Im Jahr 2011 erhielt sie den Rauriser Literaturpreis. Ihr zweiter Roman "Schlafgänger"(DuMont) ist im Frühjahr 2014 erschienen.

Teil 1: Die Neuerscheinung


Renata Adler: Rennboot



jetzt.de: "Rennboot"ist gar keine Erstveröffentlichung: Es erschien das erste Mal 1976, der Suhrkamp Verlag hat den Roman jetzt neu herausgegeben und es ist ein wirklich schönes Buch geworden.
Dorothee Elmiger: Ja, es ist eine Ansammlung kurzer Anekdoten und Geschichten, die aufeinander Bezug nehmen. Eine Frau berichtet von ihren journalistischen Tätigkeiten, von ihrem Leben in New York und ihren Reisen. Das Ganze hat Tagebuchcharakter, finde ich. Sie beschreibt, was sie erlebt und was sie sich dazu überlegt.

Fast alles ist traurig. Und, das scheint mir die einzige erzählerische Entwicklung in diesem Buch zu sein: Alles wird immer trauriger.

Ja, oft werden traurige Szenen ziemlich emotionslos, sehr sachlich und oft auch kühl beschrieben. Diese Distanziertheit verliert die Ich-Erzählerin, wenn überhaupt, nur zwischen den Zeilen.

Obwohl der Text schon ein paar Jahre alt ist, sind die Aussagen, die Adler über die Protagonisten formuliert, sehr gegenwärtig. Es könnten auch Beschreibungen einer abgeklärten Technoszene im 21. Jahrhundert sein.
Es ist eine starke Auseinandersetzung mit einem spezifischen Kosmos, in dem Adler sich bewegt. Auch die Sprache, die sie dafür findet, ist sehr heutig. Ich fand gut, dass es nicht bei der Beschreibung dieser "Szene" bleibt, sondern auch von der Arbeit und den Reisen der Erzählerin berichtet wird. Ansonsten hätte sich das zu schnell erschöpft.

Das ist der Knackpunkt! Denn dadurch gibt es auch Staunen und Interesse in diesem Buch und nicht nur gleichmütige Milieustudien.

Und es wird zu einem Zeitdokument! Am liebsten mochte ich die Flugzeugszenen, in denen man erfährt, wie es war, damals zu fliegen.

Am Ende ist sie schwanger und es bleibt offen, ob diese Schwangerschaft die Folge einer früher beschriebenen Vergewaltigung ist.

Die letzte Seite im Buch ist sehr traurig. Es gibt aber auch einen Satz, der mich beeindruckt hat: "Und doch: ich glaube, es ist nicht ganz falsch, den Nachkommenden zu versichern, das Wasser sei in Ordnung – sogar recht warm –, wenn man erstmal drin sei." Das ist ein wahnsinnig ambivalenter Satz: Er lässt sich positiv lesen und trotzdem wird deutlich, dass man natürlich auch mit dem ganzen Mist klarkommen muss, den es gibt. Aber du hast Recht, durch die Montage der einzelnen Textteile bleibt sehr viel offen. Mir war oft nicht klar, ob eine Person vorher schon mal aufgetaucht ist.

Das finde ich aber gar nicht schlimm, wahrscheinlich geht es der Erzählerin in dem, was sie erlebt, sogar ähnlich.

Das stimmt. Trotzdem war es für mich, etwa nach drei Vierteln des Buches, sehr viel Stoff, was vielleicht an dem raschen Tempo liegt, mit dem ich dieses Buch gelesen habe. Das führte auch dazu, dass kurz die Frage nach einer gewissen Beliebigkeit bei mir aufkam. Es reihte sich einfach nur noch eine Geschichte an die andere. Dieses Driften wiederum passt auch unheimlich gut zum Leben der Erzählerin. Für mich ist das ein Buch, das ich schnell gelesen habe, das ich interessant fand, das aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ohne, dass ich dachte, ich will das nicht lesen, ich mag das nicht. Es war ein rasches Erlebnis, auf gewisse Art eine leichte Lektüre.  

Renata Adler: Rennboot,Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 241 Seiten, 19,95 Euro.

Auf der nächsten Seite: Dorothee Elmiger erzählt, warum ihr ein Buch besonders am Herzen liegt, das Geschichten von im Nationalsozialismus ermordeten Frauen erzählt.


[seitenumbruch]Teil 2: Das Lieblingsbuch Marie-Thérèse Kerschbaumer: Der weibliche Name des Widerstands. Sieben Berichte. 



Dieses Buch war keine leichte Lektüre für mich. Ich glaube, ich habe noch nie so lange gebraucht, um ein so schmales Buch zu lesen. Du musst mir helfen, einen Zugang dazu zu finden.
Ich weiß nicht, ob ich das kann. Aber für mich ist das ein wahnsinnig wichtiges Buch.

Warum?
Mich interessieren Autorinnen und Autoren, die mit der Sprache arbeiten und umgehen. Aber bei Kerschbaumer bleibt es nicht nur dabei, es ist nicht nur ein Sprachspiel, sondern es geht auch um was. Beide Aspekte werden in diesem Buch vereint, deshalb finde ich es so beeindruckend und wichtig.

Es sind sieben Berichte über von den Nazis ermordete Frauen. Der Titel lässt vermuten, dass sie alle Widerstandskämpferinnen waren. Aber das stimmt nicht, oder?
Nicht alle, genau. Erzählt wird aber zum Beispiel auch die Geschichte von Antonin Mück, die Arbeiterin war und, so steht es in einer Vorbemerkung, die jedem Bericht vorangestellt ist, mit neun Kampfgefährten aus Wiener Betrieben festgenommen und umgebracht wurde, weil sie im Widerstand aktiv war. Aber auch bei allen anderen Frauen, die es übrigens alle wirklich gegeben hat, sucht Kerschbaumer nach Momenten des Widerstands.

Ist es emotionale Erpressung, ein solches Thema zu wählen, um daran ein Sprachexperiment durchzuführen?
Man kann doch auf jeden Fall darüber diskutieren, ob dieses Buch eine mögliche Art ist, über dieses Thema zu schreiben und zu sprechen. Auch unabhängig davon ist es eine große Frage, wie sich über solche Schicksale schreiben lässt, ob es überhaupt möglich ist. Für mich ist dieses Buch ein Versuch, den ich sehr interessant finde. Im zweiten Bericht, dem über Helene und Elise, gibt es immer wider Passagen, in denen sich Kerschbaumer als Autorin sehr sichtbar macht und im Text ihre Rolle diskutiert. Diese Art und Weise ein solches Thema zu behandeln ist für mich viel aufschlussreicher und legitimer als Versuche, realistisch zu berichten.

Beim Lesen hatte ich oft das Gefühl, ich nehme keine direkten Inhalte auf, sondern konsumiere Sprache. Es ist eine sehr lyrische Prosa.
Das passiert mir auch. Es gibt einen sehr starken Rhythmus. Wenn ich das lese, gibt es in meinem Kopf eine Art Klangteppich. Es ist gar nicht möglich, auch bei mehrmaligem Lesen, alles auf eine eindeutige Weise zu verstehen, so viel Material wird da montiert, so viele Mehrdeutigkeiten stecken im Text. Bei jedem neuen Lesen sind mir andere Sätze klar und andere bleiben unscharf. Aber ich bin eine Leserin, für die solche Leseerlebnisse ein wichtiger Teil der Literatur sind.
 
Und war das erneute Lesen für diese Kolumne auch ein gelungenes Erlebnis?
Ja, sowohl was diese literarischen Fragen betrifft als auch die historischen. Diese sieben Berichte sind für mich eine gelungene Suche nach einer Möglichkeit, über die Zeit des Nationalsozialismus zu schreiben. Auch wenn – oder gerade weil – es von einem beim Lesen in jeder Hinsicht viel verlangt.

Marie-Thérèse Kerschbaumer: Der weibliche Name des Widerstands. Sieben Berichte, Aufbau Verlag, Berlin 1986, 217 Seiten, antiquarisch erhältlich.

Mädchen, warum trinkt ihr immer zusammen Sekt?

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Liebe Mädchen,

eigentlich weiß ich die Antwort eh schon: Im Geheimen wollt ihr euch ab und an fühlen wie eure eigenen Tanten, gell? Und zwar mit dieser nie ganz geklärten Mischung aus Ironie und stiller Bewunderung, mit der wir versuchen, uns die Schnauzer unserer Großonkel auf der Oberlippe nachzuzüchten. Das scheint mir die einzig logische Erklärung. Wobei ich natürlich in tiefem Dunkel stochere – wir sind ja nicht dabei, wenn ihr euch zur Sektrunden rottet. Aber in meiner Fantasie, da läuft das ungefähr so ab: Eine von euch denkt (vielleicht nuschelt sie es auch leise): „Hm, Piccolöchen wäre fein jetzt", und das überträgt sich dann funkwellenartig, über Kilometer wohl auch, und schickt ein golden-perlendes Leuchten in die Augen der anderen, die, wenn sie nicht schon da sind, sofort herbeieilen.

Und zack: Steht ihr da, in den Sektflöten blubbert's, aufgekratzt seid ihr wie Siebenjährige mit einem Familienvorrat Fritz Cola intus, und außerdem gluckst und wiehert ihr und seid ganz wunderbar albern. Und manchmal – in schwächeren Momenten – stelle ich mir außerdem vor, dass ihr dann Hüte mit sehr breiten Krempen und aufwändigen Blumendekors und Schleifen tragt, so als würdet ihr beim Trinken auch noch ein Pferderennen ignorieren. Wie gesagt, Stochern im Dunkeln. Aber ist ja so: Es hat sich sehr viel getan beim Thema Saufen und Emanzipation.

Ihr trinkt eigentlich alles, was wir trinken, oft auch in ähnlichen Mengen, inzwischen oft auch aus Flaschen. Und das ist ja sehr gut so. Aber eine Getränkeart spaltet uns noch zielsicher. Ich subsumiere sie mal grobschlächtig unter „perlend alkoholhaltig", weil dann alle Formen und Qualitätsgrade drunter passen. Das ist wichtig. Asti/Prosecco Blu/Valdo/Veuve sind nämlich die große Konstante in eurer vita bibera – eurer Säuferhistorie. Von den verstohlenen Anfängen im Zeltlager bis rauf ins tantige Alter und/oder Einkommenssegment: Die Biere, Cocktails und Gin Tonics kommen und gehen – das Perlen bleibt. Schon immer.

Allerdings – und das verwirrt besonders – immer nur, wenn ihr das abhaltet, was halb-despektierlich unter „Mädelsrunde" läuft. Wenn ihr mit uns trinkt, geht die Blubberquote wieder schlagartig runter und ihr greift zu Bier-Schnaps-Wein. Und das verstehen wir nicht. Wir orientieren unsere Auswahl (die Anfänge mit Berentzen spare ich jetzt mal aus) an den Variablen Geschmack, Wirkung und Preis und zwar auch ungefähr in dieser Gewichtung. Und vor allem: Jeder für sich! Was im Rudel dann ein äußerst heterogenes Getränkebild ergibt.

Der Geschmack kann bei euren Sektrunden nun aber das Entscheidende nicht sein, sonst würdet ihr doch mit uns doch das gleich trinken. Aber was ist es dann? Entfaltet er tatsächlich eine besondere Wirkung, ähnlich der in meiner Vorstellung? Oder erfüllt ihr am Ende gar ein Rollenklischee? Unbewusst? Oder mit Wonne? Warum also immer Sekt in der Gruppe? Mädchen, entkorkt dieses Mysterium doch mal für uns.

Auf der nächsten Seite liest du die Antwort von charlotte-haunhorst.
[seitenumbruch]



Nun musste ich so lange über die Antwort auf deine Frage nachdenken, dass der Sekt in meinem Glas gar nicht mehr perlt, sondern eher nach einer Flasche Mineralwasser schmeckt, die sehr lange in einem sehr heißen Auto lag. Damit dieser gravierende Qualitätsabfall sich trotzdem lohnt, hier ein kurzer Einblick in meinen Gedankenfluss.

Erstens: Ist deine These, wie bei einer sauber durchgeführten Perlweindiskussion notwendig, überhaupt zutreffend? Trinken wir Sekt wirklich primär in Mädchenrunden? Kurz meine letzten Sekterlebnisse analysiert: Geburtstag einer Freundin – jep! Neue Wohnung – jep! Gemeinsam Kochen mit Freundinnen – jep! Zeugnisfeier – oh, jetzt wird's interessant, da haben auch die Männer an den Flöten geschlurpt. Gleiches gilt für Ostern, Omas Geburtstag und Silvester. Gegenprobe: Trinkt ihr Jungs untereinander manchmal Solosekt? Wenn ja, dann heimlich. Ist also prinzipiell möglich, aber nicht erwiesen. Schlussfolgerung: An deiner Frage muss was dran sein.

Zweiter Gedanke: Diese Sektsache scheint für euch Jungs eigentlich immer nur mit feierlichen Anlässen zusammenzuhängen, zu denen ihr euch dann als besondere Form der Liebesbekundung dazu zwingt, ein paar Prickler runterzuspülen. Wir hingegen, das kann ich als Pauschalbehauptung mal unbelegt raushauen, mögen Sekt. Klar, wir mögen auch Bier, Wein und wenn's hart auf hart kommt sogar den von dir ausgegrenzten Berentzen-Apfelkorn. Aber auf dem Weg zur Party eine Flasche Sekt zu leeren, die kitzelnden Bläschen dabei ein wenig zulange im Mund zu lassen, bis es in der Nase kribbelt – das geht in Maßen schon gut. Moment – vielleicht seid ihr einfach kitzliger und empfindet deshalb die Wirkung von Sekt als störend? Kurz gegoogelt (nachdem ich die zahlreichen Werbungen für Shirts mit dem Aufdruck „Sekt – knallt besser als so mancher Mann" weggeklickt hatte) – die Wissenschaft ist sich darüber uneinig, ob Männer oder Frauen kitzeliger sind. Unbefriedigend.

Drittens: Vielleicht geht es doch um Geschlechterklischees. Aber nicht im Sinne von großen Hutkrempen, Pferderennen und dem Wunsch von uns Mädchen, kichernd an Sektflöten festzuhalten. Sondern um die Alkoholmasse, die wir im Vergleich zu euch konsumieren können. Denn wie du schon treffend beschreibst, ist der Sektkonsum gut, wenn man schnell angeschickert sein möchte. Er geht direkt in den Kopf, dann passiert aber auch lange nichts mehr. Sich mit Sekt richtig aus dem Leben zu schießen, ist aufgrund des großen Kohlensäuregehalts eher kompliziert, dann doch lieber zwei Liter Fritz-Cola. Ihr Jungs fahrt ja ganz gerne die „Ganz-oder-gar-nicht"-Nummer, soll heißen „Acht Bier oder Fahrer". Da können wir natürlich mithalten. Wollen wir aber gar nicht immer.

Denn Sekttrinken bedeutet immer, dass es etwas zu Feiern gibt. Das haben wir gelernt. Sei es mit 12, als man das erste Mal einen Schluck Sekt anlässlich einer Hochzeit trinken durfte, oder mit 19, wenn zum Abi dann die erste Flasche Schampus gekauft wurde. Sekt bedeutet, dass man gerade aus gutem Grund in Maßen trinkt – warum also nicht öfter das Leben feiern und sich die guten Gründe zusammenfabulieren? In dieser Theorie bestätigt mich übrigens auch eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 1979. Ein Professor stellte dafür eine Flasche Sekt und zwei Gläser auf einen Mensatisch. Was daraufhin passierte, beschrieb Der Spiegel damals folgendermaßen:„Auf der Suche nach Gründen, die Flasche zu entkorken, suchten Vorbeigehende stets belanglose Ereignisse zu Anlässen zu erheben. Beim Trinken fiel auf, daß der Oberkörper leicht vorgebeugt wurde, der linke Arm am Körper herunterfiel und mit der rechten Hand geprostet wurde: Die Trinkenden sahen sich dabei bedeutungsvoll in die Augen. (...) Sekttrinken bewirkt, anders als sonstige Getränke, stets eine Art festlicher Inszenierung."

Vielleicht haben wir im Gegensatz zu euch also einfach nur verstanden, wie man auch aus dem Rausch ein gesellschaftlich-akzeptiertes und (meistens) distinguiertes Ereignis machen kann.

In diesem Sinne– cin cin! 

Wir haben verstanden: KW 25

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-Einer der einfachsten Wege zum Glück: Erdbeeren pflücken gehen (Sorte 'Mieze Schindler' is the best), Mund und Finger rot und Bauch knallvoll essen und zuhause dann noch Marmelade einmachen.

- Wenn man mal aufgrund von Legionellen in der hauseigenen Wasserleitung einige Tage das Wasser nicht benutzen kann, wird einem erst der unfassbare Luxus von normalerweise sehr betraubaren Wasserleitungen bewusst.

- Nicht verstanden: Warum schmeckt H-Milch im Kaffee, aber nicht im Müsli?


- Die jetzt-Mannschaft kann locker mit der deutschen Nationalmannschaft mithalten. Zumindest was die Coolness beim Aufstellungs-Gepose angeht.
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- Wenn Leute versuchen, gefährlich auszusehen, sehen sie meistens eher lächerlich aus.

- Der Irak ist nicht auf einem Weg in eine bessere Zukunft.

- Man wird nicht schneller gesund, wenn man mit Fieber einen Umzug macht.

- Der Begriff "Chick-Lit" klingt im ersten Moment nach etwas sehr anzüglichem und weniger nach Trivialliteratur.

- Spanien ist nicht unbesiegbar.

- Wer sich mit möglichst wenig Mühe sehr erfolgreich fühlen will, muss folgendes Rezept befolgen: zwei Jahre lang sämtliche wichtigen Briefe in einer Kiste sammeln. Dann an einem Abend alles in Ordner einordnen. Dieses Instant-Gefühl von “Ich hab alles unter Kontrolle” ist sehr, sehr gut!

- Bei Fußballerinterviews nach dem Spiel sollte man grundsätzlich nur zuhören, wenn der Fußballer Thomas Müller heißt.

- Userin the-wrong-girl mag Biazza-Kunst so gerne, dass sie sich sein letztes Werk bald über den imaginären Kamin hängen darf.


Von: Jakob Biazza, 2014. Material: Fanschminke, Papyrus, Kratzwerkzeuge.

- Wenn mich jemand über den Haufen fährt, ist es egal, ob ich einen Fahrradhelm aufhabe oder nicht. Jedenfalls in Bezug auf den Schadensersatz, den ich dann bekomme.

- Menschen mit Asperger-Syndrom finden Händeschütteln eklig.

- Matthias Opdenhövel findet die FIFA doof.
https://www.youtube.com/watch?v=UlJvNtLp-os

- Der totale Schock, wenn man sieht, welche Wege manche Helden von früher eingeschlagen haben. Wobei: vielleicht ist das gerade schön, wenn auch besonders coole Menschen sich irgendwie weiterentwickeln und so uncool werden wie die eigenen Eltern.

- Auf dem schönsten Gif der Woche ist eine Pizza abgebildet.
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Das Ende der Hipster-Sexisten

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Angestrichen:
„(...) there does seem to be something symbolic about Charney’s fall. It’s another harbinger of the slow demise of the culture that he and Richardson came to define. The attitude of „hipster“ culture (...) toward women has been reasonably well documented.“      



Wo steht das?
In einem Text von Tom Hawking für das Online-Magazin Flavorwire.

Worum geht es?
Am vergangenen Mittwoch wurde Dov Charney, der Erfinder und CEO des Modelabels „American Apparel“, mit sofortiger Wirkung gekündigt. Grund dafür war laut dem Unternehmen Fehlverhalten des AA-Gründers. Dass Dov Charney Mist baut, dürfte dem geneigten Leser nicht unbekannt sein. Bereits vor zehn Jahren berichtete eine amerikanische Journalistin, dass Charney während eines Interviews masturbierte. Er wurde zudem über Jahre hinweg mehrfach von ehemaligen Angestellten wegen sexueller Nötigung verklagt, zuletzt klagte ein Angestellter, weil er von Charney gewürgt und als „Möchtegern-Jude“ beschimpft worden war. 
All das hatte die Führungsriege von „American Apparel“ jahrelang nicht tangiert. Bis jetzt. Das Unternehmen „American Apparel“ macht seit einiger Zeit Verluste, die AA-Aktie rauschte zuletzt in den Keller. Und offensichtlich glaubt in dem Unternehmen niemand mehr daran, dass der einst so charismatische CEO Dov Charney den Karren noch aus dem Dreck ziehen kann.  

Charneys optischer und geistiger Zwilling Terry Richardson, einer der berühmtesten Fotografen der Welt, erlebt ebenfalls gerade stürmische Zeiten. Richardson gerät immer stärker unter Beschuss, nachdem im vergangenen Jahr mehrere ehemalige Models, die mit ihm gearbeitet haben, ihn öffentlich beschuldigt haben, sie während dieser Aufnahmen zu sexuellen Handlungen genötigt zu haben. In einer episch langen Geschichte ging ein Autor des "New York Magazine" der Frage nach „Is Terry Richardson an Artist or a Predator?“

Richardson hat Madonna, Barack Obama, Kate Moss fotografiert, Musikvideos für Miley Cyrus und Lady Gaga gedreht, für alle großen Magazine von Vogue bis GQ gearbeitet. Seine Ästhetik, Portraits frontal gegen eine weiße Wand mit grellem Blitz zu fotografieren, sind zu einem Markenzeichen geworden.  


Terry Richardson mit Model Kate Moss.

Ein weiteres Markenzeichen von Terry Richardson ist, selbst immer wieder in den Fotos aufzutauchen. Richardson kleidet sich immer gleich: er trägt übergroße Koteletten, eine comichaft große Brille und hat Jeans und Flanellhemd an. In den Shootings mit bekannten Menschen tauscht er gerne Brillen oder lässt sich mit erhobenen Daumen fotografieren. In Shootings mit „unbekannten“ Models nimmt er dagegen gerne seinen Penis mit aufs Bild –  in allen Aggregatszuständen. Einige dieser Models haben nun berichtet, wie es zu den Fotos kam, dass Richardson zusammen mit seiner Assistentin eine Atmosphäre schuf, in der die Mädchen mehr oder weniger freiwillig immer krudere sexuelle Akte vornahmen und vornehmen ließen.  

In einem Text für das Online-Magazin „Flavorwire“ verbindet Tom Hakwing die beiden Fälle Charney und Richardson und behauptet, dass sich hier möglicherweise ein begrüßenswerter Trend beobachten lasse: das Ende des Hipster-Frauenhasses.

Hawking behauptet, dass es im Bereich der Popkultur nach den eher androgynen 1980er und den mit der Riot-Girl-Bewegung der frühen 1990er Jahre ab Mitte der 1990er Jahre einen popkulturellen Backlash gab, der vor allem von der britishen Lad-Kultur und den schlichteren Vertretern des Britpop angeführt wurden. Diese Pop-Misogynie erreichte dann mit der ironischen Hipster-Popkultur der frühen Nuller-Jahre eine Hochzeit. Schon äußerlich sei der an den ultra-maskulinen Modetrendes erkennbar, wie dem Trucker-Käppi, dem „Wife-Beater“ genannten Feinripp-Unterhemd, Dosenbier und dem Porno-Schnauzer.
All diese optischen Relikte einer ultra-maskuline Welt hätten sich mit einer unguten Haltung verbunden, die in Charney, Richardson, und dem VICE-Magazine ihre herausragenden Protagonisten hatten: Eine als erfrischend wahrgenommene, gegen das Dogma der "politically correctness" rebellierende Haltung gegenüber Frauen, die mindestens pubertär, wenn nicht schlicht degradierend ist.  

Dov Charneys „American Apparel“-Werbungen für die schlichte T-Shirts oder Leggins bewegten sich stets am Rande des Porno - gerne gebrochen mit einem lustigen Accessoire. Und auch Terry Richardson Porno-Ästhetik funktionierte nach dem immergleichen Schema: Selbst die explizitesten Bilder wurden mit einem vermeintlich humorvollen Augenzwinkern serviert, das den Betrachter zum Komplizen machte.

Sexismus an sich ist schlimm genug, sagt Hawking in seinem Text, Sexismus mit Ironie und Augenzwinkern, um ein Produkt zu verkaufen, ist aber eigentlich noch schlimmer. Wenn das nun ein Ende hat, kann man diese Entwicklung nur begrüßen. 

Cro, ärgere dich nicht!

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Ein Gespräch über Rückschläge, bei einer Partie „Mensch, ärgere Dich nicht‟. Sonderregel: Schmeißt der Reporter eine Figur des Interviewten, darf er eine unangenehme Frage stellen. Umgekehrt darf der schamlos bewerben, was er will, wenn er es schafft, eine Figur des Reporters zu schmeißen.    

Der Beginn des Interviews verzögert sich um eine gute Stunde, weil bei dem Rapper ein Klavier geliefert wird, das aber zu spät kam. Ich habe etwas Zeit, mich im Büro von Cros Label Chimperator in der Stuttgarter Innenstadt umzusehen. Es herrscht eine sympathische Mischung aus New-Economy-Loft und Studenten-WG. Glaswände sorgen für Lichtdurchflutung, es liegt viel Kram verstreut: kartonweise CDs, Poster, Kamerastative, Ikea-Tragetaschen voll mit Geschirrtüchern. Es könnte genau diese Mischung aus Professionalität und „Easy“-Mentalität sein, der sich Cros Karriere verdankt. Carlo, wie er heißt, wenn er seine Panda-Maske nicht trägt, begrüßt dann mit herzlicher Umarmung und will schnell loslegen: „Dann würde ich sagen – du beginnst. Alter vor Schönheit.“


jetzt.de: Was für ein Klavier ist es denn?

Cro: Ein Steinway Essex. Geiles Klavier. Die Menschen, die Steinway kennen, die flippen jetzt aus. Das ist der Mercedes unter den Pianos! Deshalb will ich nur heim und spielen!

Spielst du gut?
Es reicht, damit Mädchen sich verlieben.

Wie gehst du mit Rückschlägen um?

Manche sind hart und fies – aber die gehen in der Regel sehr schnell rum. Spätestens wenn ich mir Rat von Kody geholt hab.

Wer ist Kody?

Ein Dude hier aus dem Büro, der vor allem früher die Paparolle innehatte.

Und was war der letzte Rat, den er dir gegeben hat?

Scheiß auf andere, check die Klicks, und zähl dein Geld, Homie.

Waren das alles gute Zahlen?

Das waren sehr gute Zahlen.

Bist du denn reich?

Gefühlt: voll! Keine Ahnung, was andere da denken würden. Aber für mich ist das gerade sehr viel Geld.

Es gab in der Redaktion Diskussionen, ob du überhaupt geeignet bist, um über Rückschläge und übers Scheitern zu sprechen.
Nicht so wirklich, ne?

Läuft wirklich alles so glatt, wie’s von außen aussieht?

Schon. Es hat echt alles ziemlich perfekt funktioniert. Crazy! Beängstigend verrückt gut hat das alles funktioniert!
Es passt schon sehr stimmig ins Bild, dass Cro – während er das sagt – die erste Figur des Spiels schlägt. Vermutlich passt es noch etwas besser, dass er dann vergisst zu werben.

Kannst du dir den Erfolg selbst erklären?
Es war wohl alles dabei: ein tolles Team, ein bisschen Talent, ein bisschen Glück. Viel Fleiß allerdings auch.
Er schlägt noch eine Figur.
Darf ich jetzt werben?

Zweimal schon.

Ach geil! Dann fangen wir doch ganz locker an: neues Album, draußen seit 6. Juni, „Melodie“, meins.

Und gleich noch mal bitte.

Dann werbe ich doch gleich noch für meine neue Viovio-Klamottenkollektion. Die ist gerade erschienen. Anschlusstreffer in der Werbepause. Ich schlage auch eine Figur.
Wie fühlt es sich an, wenn in quasi allen Kritiken
„niedlich“ steht?
Egal. Ich bin ja auch niedlich. Pandas sind niedlich. Alle lieben Pandas.

Wie lange kannst du das mit der Maske noch
durchziehen?
Hoffentlich für immer. Keine Ahnung, wie ich in zehn Jahren drüber denke. Aber gerade ist es mir unendlich viel wert, nicht erkannt zu werden, wenn ich die Maske abnehme.
Funktioniert das denn wirklich immer noch?

Funktioniert immer noch.
Gleichstand: Direkt vor seinen Zielfeldern schlage ich noch eine Figur! Der Ärger darüber ist nicht sehr glaubwürdig.

Mal eine ganz andere Theorie: Eigentlich bist du Nostalgiker!
Hä?
Doch, doch! Deine Songs leben hauptsächlich von der sehr liebevollen Erinnerung an eine frühere Zeit.
Aber das hat nichts von „Früher war alles besser“. Was du da raushörst, ist eher ein Gefühl von „Damals war alles geil – aber jetzt ist es noch besser“. Und deshalb ist dieses Damals für mich so perfekt. Hätte ich da nicht all das gemacht, was ich gemacht habe, dann wäre es jetzt nicht, wie’s ist.

Himmel, bist du denn schon mal mit irgendwas gescheitert?

Überlegt sehr lange. Ich habe zu Hause so eine seltsame Flöte aus dem Urwald. Aus der bekomme ich keinen Ton raus. Die muss man so komisch halten. (lacht) Warte, ich werfe dich noch mal schnell raus, bevor ich ernsthaft antworte.
Gesagt, getan.
Oh Gott, ich kann nicht gleichzeitig überlegen und spielen. Also: Nö, bin nicht gescheitert. Wenn ich merke, dass ich scheitern würde, dann fange ich gar nicht erst an.
Klingt feige!
Egal.

Was bedeutet Scheitern für dich?
Etwas zu erwarten, das ich dann nicht mal im Ansatz erreiche.

Sind das dann nur eigene Ansprüche, oder kann es auch schlechtes Feedback von anderen sein?
Eigentlich nur eigene. Wenn jetzt alle schreiben würden, mein neues Album ist beschissen, würde ich trotzdem denken: „Ihr seid alle bescheuert! Das ist geil so! Ihr seid doch gescheitert!“

Kannst du gut mit Druck umgehen?
Es gibt schon immer wieder Momente – Albumproduktionen und so –, in denen ich mir denke: „Fuck, wie schaffe ich das jetzt alles? Gelingt mir noch mal so etwas Krasses?“ Aber das verfliegt ganz schnell wieder.

Wie?
Indem ich einfach Musik mache und merke: „Ah, wieder was Geiles entstanden.“

Kannst du selbst beurteilen, wann etwas geil ist?

Na klar. Ich hab ja meinen Geschmack, und der hat mich bisher noch selten getäuscht.

Wenn dich nachts etwas um den Schlaf bringt, hast du mal gesagt, dann hat das immer mit Liebe zu tun.
Das ist ja durchaus doppeldeutig, meinte aber Liebeskummer, oder?
Doch, schon. Herzschmerz war eine Zeit lang schon ein Thema. Aber momentan ist es eher die schöne Seite der Liebe, die mich nachts wach hält.

Bist du ein Beziehungstyp?

Ja, doch. Ich bin nicht gern allein, und ich teile alles lieber. Ich teile richtig gern!

Ist denn „Work-Life-Balance“ ein Thema für dich?

Ich weiß nicht mal, was das heißt.

Genug Geld verdienen, aber trotzdem Zeit haben,
es auszugeben.
Aha. Denke ich nicht drüber nach.

Man erzählt sich von Cro, dass er ein extrem fokussierter Arbeiter sei. Angeblich produziert er Songs zum Teil in wenigen Stunden, ohne anschließend noch viel ändern zu müssen. Man kann sich das gut vorstellen, wenn man ihm beim Nachdenken zusieht. Manchmal wirkt es, als würde er Gesagtem nachlauschen: „Hat das Sinn ergeben? War es das, was ich sagen wollte?“ Er tut das sehr konzentriert – aber nie lange. Dabei scheint er in diesem Fall kaum mitzubekommen, dass er noch eine Figur schlägt. Als ich ihn beim nächsten Wurf schlage, reißt es ihn aber etwas.

Wie riecht es nach einer Show unter der Maske?

Meine Schwester hat mal an der Maske geschnuppert und gesagt: „So riecht also Erfolg – nach Gummi und Schweiß!“ (lacht)

Produzierst du wirklich so schnell, wie die Leute sagen?

Auch nicht immer. Aber eher schon. Bei „Traum“ zum Beispiel hab ich keine dreieinhalb Stunden gebraucht, um das zu schreiben.

Sind das dann auch die Songs, mit denen du
glücklicher bist?
Ja. Die schnellen sind immer die besten.

Taugt das auch als Lebensmotto: Immer möglichst schnell entscheiden und dann weitermachen?

Ja, einfach machen funktioniert für mich meistens sehr gut.

Du darfst auch noch zweimal werben.

Aber ich weiß gar nicht, wofür. Ach doch: für meine Schwester! Gut! Hier müsst ihr alle gucken: www.julewaibel.com. Die macht krasse Kleider, die bald bei „Austria’s Next Top-Model“ zu sehen sind. Eine ganze Show mit ihrem Stuff. Super!

Die letzten zehn Minuten vergehen mit vollem Fokus auf das Spiel. Ein umkämpftes, enges Spiel, das Cro mit einer Figur Vorsprung und unter verhaltenem Hohn gewinnt.

Gratulation! Du darfst noch mal werben.
Aber mir fällt nichts ein!

Hast du nicht noch ’ne Schwester?
Leider nein.

Wochenvorschau: So wird die KW 26

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Wichtigster Tag der Woche: Der Freitag. Da schmeiß' ich mich in mein Dirndl und besuche zum ersten Mal das Waldfest am Tegernsee. In meiner Vorstellung wird das urgemütlich: Tannengeruch und Sonnenstrahlen treffen die Lichtung, Kinder spielen in ihren Trachten zwischen Bierbänken Fangen, man schunkelt zur leisen Blasmusik.
 
Auch wichtig:
Die ersten abendlichen Hofflohmärkte in Nymphenburg, leider auch am Freitag. Ich finde: Nach alten Schätzen stöbern ist noch mal schöner, wenn man vorher ausgeschlafen hat. Deswegen bin ich etwas traurig, nicht hingehen zu können.

Politisch interessiert mich: Ob in der Ukraine wirklich bald Frieden einkehren könnte. Wird der 14-Punkte-Plan, den der Präsident Poroschenko am Sonntag in Luxemburg vorstellen will, die Lage im Osten des Landes verändern? Wird er den wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnen? Und wie wird Putin darauf reagieren?  


So oder so ähnlich wird's beim Waldfest am Tegernsee aussehen.

Kinogang?Am Samstag beginnt das Münchner Filmfest– deshalb werden es bei mir bestimmt mehrere Kinobesuche. Ich mag skurrile Filme mit verschrobenen Heldinnen in den Hauptrollen. „Rhymes For Young Ghoules“ muss ich mir deshalb auf jeden Fall ansehen. Entweder am Samstag oder am Sonntag.

http://www.youtube.com/watch?v=-kk7IxWINLQ

Wochenlektüre:
Ich kann „Der Trafikant“ von Robert Seethaler gar nicht mehr weglegen. Das Wort "Trafik" bedeutet laut Duden „Laden für Tabakwaren, Zeitungen und Ähnliches“ und wird heute leider fast nur noch in Österreich verwendet. Dabei klingt es viel schöner als „Kiosk“, finde ich. In Seethalers Roman verlässt der 17-jährige Franz sein Heimatdorf, um in Wien in einer Trafik zu arbeiten. Er freundet sich mit Sigmund Freud an und versucht etwas unbedarft, bei der Varietétänzerin Anzeka zu landen. Tragisch wird die Geschichte, wenn die Nazis die Macht ergreifen. So weit bin ich aber noch nicht. 

Soundtrack:„We are the City“ wird bei mir jeden Tag laufen. Ich habe die relativ unbekannte Band aus Kanada auf einem kleinen Konzert in einem Münchner Atelier für mich entdeckt. Wir saßen mit einem Bier in der Hand auf dem gemütlichen Teppich als meine Freundin zu mir sagte: „Der Sänger sieht aus wie Ryan Gosling, nur schöner.“

http://www.youtube.com/watch?v=81FIb3WCkLE

Geht gut diese Woche:
Sich am Wochenende von der Sonne zu nichts zwingen lassen und schon mittags ins Kino gehen. Schließlich ist das Filmfest nur einmal im Jahr.

Geht gar nicht:
Alles aufheben. Ich ziehe in eine tolle neue WG und stehe vor einem riesigen Berg Krimskrams. Alle Shirts mit Löchern, Muscheln und alte Pralinenschachteln von meinem ersten Freund müssen endlich auf den Müll.

Welches Wort fällt dir nie ein?

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Ha, leichteste Übung: Lobbyist! Einen Kolibriflügelschlag lang nachgedacht, eigentlich war es nicht einmal ein bewusster Vorgang, und schwups: da. Das Wort, zusammen mit allen Assoziationen, die es mitbringt. Schöne Welt!  





Wobei es schon auch etwas Notwehr war. Weil sich schon viel Leid aufzutürmen drohte. Denn das zweite Wort, das ich immer vergesse, war mal wieder weg. Wie so oft, wenn es meine Gespräche ins Stocken bringt und umständliche Umschreibungen provoziert: „Diese Bar, in der wir früher nach der DJS immer waren, du weißt schon!“ Ich konnte ihn wieder nicht abrufen – den verfluchten Namen, den der Teufel geschickt hat. Dass mein Gehirn deshalb – so stelle ich es mir jedenfalls vor – das tut, was ich mir sonst im späten Verlauf schwerer Magen-Darm-Erkrankungen für den Verdauungstrakt vorstelle: krampfen, winden, würgen, knoten.  

Inzwischen habe ich mir sogar eine Google-Strategie zurechtgelegt, mit der ich auf den Namen der Bar komme: „münchen bar innenstadt djs“. Fortgeschritten: „bar damenstiftstraße“. Dann ist unter den ersten Treffern immer die Favorit Bar. Und meine Hirnwindungen entknäulen sich wieder sachte. Für die Lobbyisten habe ich noch nicht einmal eine gute Strategie für die Internetsuche. In Gesprächen funktioniert ganz gut: „Diese Menschen, die die Politik beeinflussen wollen, indem sie Bundestagsabgeordneten komplexe Themen erklären.“ Zumindest Personen, die mich nicht gut kennen, schauen mich dann aber auch gerne mal mit einem Blick an, mit dem man Irre besänftigt.  

Wie ist das bei dir? Welche Wörter fallen dir nie ein? Und was machst du dann? Hast du auch Google-Strategien? Oder wissen deine Freunde, wie bei mir, inzwischen, welches Wort du suchst, bevor du merkst, dass es dir gerade wieder entfallen ist? Sag’s uns – ganz ungehemmt.

Ohne Worte

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Kursleiter Hristo Trajkovski steht vor drei Studenten und gestikuliert wild mit seiner rechten Hand. Mal spreizt er die Finger, mal ballt er die Faust. Die drei starren auf die Gebärden, sie versuchen die Kombinationen nachzuvollziehen und Buchstaben zu erkennen. Schon im Original ist das Spiel nicht einfach – „Ruck-Zuck“, die einst beliebte Fernsehshow. Und hier soll das nur mit den Händen funktionieren: Da tippen die drei ihren Teammitgliedern, die ihnen zuvor den Rücken zugewendet hatten, auf die Schulter. Umdrehen, losraten. Sie sollen Wörter wie „Bodenleger“ oder „Hausmeister“ weitergeben. Obwohl die Studenten erst in der Woche zuvor ins Finger-Alphabet eingeführt wurden, funktioniert diese stille Post schon ganz gut.



Zwei Studenten unterhalten sich in Gebärdensprache. Viele Mediziner teilen ihren gehörlosen Patienten auf diesem Weg ihre Diagnose mit.

Seit 2006 bietet die Ludwig-Maximilians-Universität München den Kurs für Medizinstudenten an. Er ist meist binnen kurzer Zeit ausgebucht. Neben einem Grundkurs gibt es die Möglichkeit, die Gebärdensprache nahezu vollständig in fünf Stufen zu erlernen. „Die Wenigsten sind selbst Betroffene. Es ist eher die Neugier“, sagt Laura Liebstein, eine der vier studentischen Koordinatoren. Ein Weg, um schnell eine gute Note zu bekommen, sei der Kurs allerdings nicht. „Das ist ähnlich aufwendig, wie eine Fremdsprache zu lernen.“

Angehende Ärzte erlernen die Gebärdensprache – das passt zu einem Trend im Medizinstudium. Massiv verändere sich gerade „das Verständnis der Arzt-Patienten-Beziehung“, schrieb jüngst das Deutsche Ärzteblatt – „weg vom bis dahin vorherrschenden ärztlichen Paternalismus hin zur Selbstbestimmung des Patienten“. Medizin-Fakultäten bieten heute zunehmend Kurse an, die es früher so nicht gab: Trainings, wie man Krebsdiagnosen übermittelt, wie mit Migranten aus anderen Kulturkreisen am besten umzugehen ist; oder hier eben die Kommunikation mit Tauben.

Vier taube Dozenten, die wie Hristo Trajkovski keine Ärzte sind, vermitteln den Umgang mit Gehörlosen. Die Grundregeln: Kurze Sätze bilden, Fachwörter vermeiden, Blickkontakt halten. Hierzulande leben circa 80000 Menschen, die sich mit Gebärdensprache verständigen müssen. Sie basiert auf Handformen, Mimik, Gesichtsausdruck und Körpersprache. Taube haben oft Probleme beim Arztbesuch, weil sich Doktor und Patient nicht richtig unterhalten können. Das kann schwerwiegende Folgen haben – mitunter falsche Diagnosen und Fehlbehandlungen. Aber Ärzte, die Gebärdensprache beherrschen, sind selbst in Großstädten selten zu finden.

Das Angebot in München ist in der ausgeprägten Form eine Rarität in der Hochschullandschaft. „Es gibt nur an einigen wenigen Universitäten klinische Wahlfächer, in denen zumindest die Grundlagen von Gehörlosigkeit und Gebärdensprache gelehrt werden“, sagt Hendrik Napierala von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden. Der Verein zählt gut ein Dutzend Fakultäten bundesweit, an denen Studenten der Besuch eines Kurses ermöglicht wird. Mit Unterschieden: So biete etwa die Uni Jena die Kurse in Kooperation mit der Volkshochschule an – die Studenten müssten sich aber finanziell beteiligen.

Neben dem Spiel bringt Trajkovski den Studenten neue Gebärden bei, es geht um Symptome wie Bauchschmerzen. Er stellt Dialoge zwischen Arzt und Patienten vor und erklärt die spezielle Grammatik der Sprache. Keiner braucht hier Stift und Zettel – die Gebärden werden direkt nachgemacht. Auch gesprochen wird kaum, nur hin und wieder gekichert. Zum Beispiel als Trajkovski erklärt, dass die Ortsbeschreibung „nahe“ mit einer gespitzten Zunge dargestellt wird. Und der Kurs geschlossen dieselbe rausstreckt. Frank Seibert

Tagesblog - 23. Juni 2014

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17:30 Uhr: Und weil es heute gleich bei zwei geplanten Themen mit dem Teufel zuging, müssen wir sowohl den Kosmos-Hörer, als auch seinen Ersatz auf morgen schieben. Umso mehr freuen wir uns aufs erste Hahnen-Krähen - und auf Nadja Schlüter im Tagesblog!

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15:50 Uhr:
Ach komm, wenn ich schon mal wieder Herrscher über das ganze jetzt.de bin, lass ich mich nicht lumpen und haue gleich noch einen User-Text raus:

Ich kann ja mit beidem nicht richtig viel anfangen - Fußball UND Babys. Der Kombination von jetzt-User matesino kann ich aber schon was abgewinnen: "Noch nie hätten Eier einem Spiel so gut getan wie diesem."

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15:34 Uhr:
Unsereins trommel schon auf der Brust herum, wenn er oder sie nach einem Wochenende mal wieder einen Grill und vielleicht ein kleines Sommer-Autsch abstreichen kann.





jetzt-Userin ein_oxymoron kann da nur lachen und macht mit einem Strandbesuch mal locker einen lupenreinen Hattrick. Mit Nacktbaden! Nachts!

Meine Hochachtung!

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15:13 Uhr:
Nachtrag: Eine Kehrseite gibt's bei dieser Stadt (oder wohl dem Land im Ganzen) natürlich schon auch:

Direkt nach dem Prince-Konzert (das übrigens sehr geil war, ohne meine Welt jetzt nachhaltig zu erschüttern) wurden Zeitungen verteilt (Der Österreicher), in denen stand, dass Prince das Konzert des Jahres gespielt habe. Und man muss jetzt nicht sehr gut rechnen können, um festzustellen, dass das also alles schon geschrieben war, als Prince noch lange nicht in der Nähe der Bühne war.

http://www.youtube.com/watch?v=YMABC22tfwg

15:02 Uhr:
Ich war kürzlich in Wien, um mir Prince in der Stadthalle anzuhören. Das war gut, weil ich mal wieder feststellen konnte, wie gerne ich diese Stadt habe. Die Wiener begegnen ihrem globalen Bedeutungsverlust ja mit bräsig-mondäner Überheblichkeit und sehr anmutigem Verfall, und das ist mir schon sehr nah.

In Wien will man außerdem, dass die Menschen öffentliche Plätze nutzen – auch abends. Sogar nachts! Zum Sitzen und zum Rauchen. Und zum Trinken auch! Ehrlich. Im Museumsquartier zum Beispiel: Die Stadt hat dort vor Jahren große, schiffchenförmige Plastikwannen aufgestellt. Hunderte Menschen sitzen auf denen und feiern bis spät, und selbst wenn sie danach ihre Flaschen liegen lassen, krakeelt niemand "Rabäh!", weil einfach große Besenwagen über den Platz wedeln, und zack: alles wieder gut!

Jedenfalls habe ich mich deshalb sehr gefreut, dass die Kollegin Hollmer mir eben dieses Video geschickt hat:

Das Intro von "House of Cards" - in Wien!

http://vimeo.com/98315356

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13:40 Uhr:
Und dann gleich noch ein ästhetischer Bruch:




Dieser Mann verdient mit Plattenauflegen mehr als Cristiano Ronaldo bei Real Madrid.

Warum? Der Kollege Stremmel hat DJ Tiësto in New York begleitet, um es herauszufinden.

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13:19 Uhr:
Gleich noch eine Frage:

Habe Christophe am Wochenende bei Arte-Concerts gesehen. Ich finde ja, er sieht etwas so aus, als würde er privat diese luftigen Bodybuilder-Hosen und Bomberjacken tragen und eine geifernde Dogge an der Leine führen. Aber, was er macht, hat mich echt extrem erwischt. Wie geht's euch damit?

http://www.youtube.com/watch?v=-hu7-d4J6Fc

Und hir geht's noch zu dem ganzen Konzert bei Arte.

13:08 Uhr:
Wichtige Fragen jetzt mal zu einem ganz anderen Thema, wo der Bauch mit Bolognese voll und das Gewissen entsprechend schlecht ist: Habe mir ein Faltkajak gekauft (Bootsbesitzer!) und bräuchte deshalb:

1) Tipps gegen Muskelkater und
2) Tipps für schöne Paddelstrecken im Raum München.

Wer weiß so etwas?

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12:08 Uhr:
Essen, jetzt!

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11:27 Uhr:
Es ist ja so, dass manche Menschen mehr an der Welt beobachten als andere. Und es ist auch so, dass - meiner Meinung nach natürlich, aber da habe ich schon Recht - Nadja eine der absolut weltbesten Weltbeobachterinnen der Welt ist. Wahrscheinlich würde sie auch bei einem Pauschalurlaub noch ganz wunderbare Dinge sehen.

Vorher erklärt sie aber in einer neuen Folge von "Woher der Hass", warum wir alle Pauschalurlauber für Ignoranten halten - und was das über uns aussagt.





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10:45 Uhr:
Der Post nach einem ernsten Post: Immer schwierig! Mir tun die Sprecher bei den RTL-Nachrichten da immer sehr leid, wenn sie nach einem Beitrag zu Kinderschändern was mit Daniela Katzenberger (zum Beispiel jetzt) anmoderieren müssen.

Hier jedenfalls ein paar Bilder von unserer Lesung, die die sehr lieben Stefanie Fetz und Lisa Altmeier gemacht haben:




Chris rätselt mit dem Publikum um Schnäpse und Anderes. Frage: Was hat der Künstler genommen, bevor er das Selbsportrait im Hintergrund gemalt hat?




Jakob liest die "Gute Nachtgeschichte".




Jan berichtet vom Selbstversuch mit der Dating-App Tinder: "Wisch und weg".




Mercedes und ihre Münchner Trampelpfade.




Und die Runde von Charlottes Kolumne "Frag Opa": Chris als Opa, Charlotte als Charlotte und Nadja als Oma.

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9:50 Uhr:
Und etwas Ernstes gibt es auch: Human Rights Watch hat einen Bericht über Kindersoldaten in Syrien veröffentlicht. Jugendliche würden demnach unter anderem angeworben, indem man ihnen erzählt, sie bekämen Zugang zu Bildung.

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9:32 Uhr:
Himmel, und einen Ticker haben wir ja auch noch: Welches Wort fällt dir nie ein? Meines ist der Name diese Bar in der Münchner Innenstadt - Damenstiftstraße, glaube ich ...





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9.20 Uhr:
Nummer zwei: Cro. Der niedliche Rapper mit der Pandamaske (darf man so sagen, weil er das ja selbst so sagt: "Pandas sind niedlich."), den ich ohne Pandamaske getroffen haben und zwar zu einer Partie "Mensch ärgere dich nicht" mit einem Gespräch über Rückschläge. Ein sehr hübscher Junge übrigens!





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9:12 Uhr:
Es ist verwirrend viel Programm aufgelaufen an diesem Wochenende - spint der Beppi! Also mal der Reihe nach:





Ich interessiere mich für Männer mit Schnauzer eher nur dann, wenn sie geniale Musik machen. Deshalb habe ich die Diskussion um Dov Charney (American-Apparel-Gründer) und Terry Richardson (Fotograf) kaum mitbekommen. Christina hat aber. Und sie hat einen Text im Online-Magazine Flavorwire entdeckt, in dem spekuliert wird, ob nach dem Rausschmiss von Charney wegen sexueller Übegriffe (und offensichtlicher Geistesschwäche) jetzt die Ära des Hipster-Sexisten endet. Daraus hat sie einen ganz wunderbaren Textmarker gezimmert.


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9:00 Uhr:
Guten Morgen, liebes jetzt.de. Der laut Sommerbürgertest verletzteste und gegrillteste Redakteur meldet sich aus einem ganz wunderbaren Wochenende, das mit unserer sehr schönen Lesung im Heppel&Ettlich begann. Vielen Dank an alle, die da waren!


„Ich brauche nur das Handwerk“

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Jessica Schober arbeitet als freie Reporterin und sammelt seit vergangenem Mittwoch auf der Crowdfunding-Plattform Startnext Geld für ihre „Wortwalz“ – eine Gesellenwanderung durch deutsche Lokalredaktionen. 142 Euro waren ihr Ziel, schon zwei Tage nach dem Start hatte sie mehr als tausend Euro zusammen.



Jessica Schrober geht auf "Wortwalz".

Frau Schober, wie muss man sich Ihre „Wortwalz“ konkret vorstellen?

Jessica Schober: Ich werde Ende Juli losziehen und über das Ortsausgangsschild von München klettern, so ist es der Brauch unter Gesellen. Ich vergrabe eine Flasche Schnaps unter dem Schild, danach darf ich mich meiner Heimatstadt und einem Umkreis von 50 Kilometern erst einmal nicht mehr nähern. Ich werde trampen, deshalb habe ich keine Ahnung, wo ich landen werde. Sobald ich eine Stadt 50 Kilometer außerhalb von München erreiche, werde ich mich zur örtlichen Tageszeitung durchfragen, anklopfen und fragen: Gibt’s hier etwas zu schreiben? Kann ich eine Woche mitarbeiten? Und irgendwo übernachten? Inzwischen habe ich eine Liste mit 50 Redaktionen, die mich aufnehmen wollen. Ich werde sie ausdrucken und mitnehmen, um den Regeln der Walz treu zu bleiben.

Welche Regeln sind das?

Ich werde kein Handy und keinen Laptop dabei haben und kein Geld für Zugreisen oder Hotelzimmer ausgeben. Drei Jahre und einen Tag, wie die traditionelle Walz geht, werde ich aber nicht unterwegs sein, sondern erst mal einen Sommer lang.

Journalismus ohne Computer und ohne Telefon, wie soll das gehen?

Man könnte meinen, das ist das Handwerkszeug des Journalisten. Ich glaube, ich brauche nur das Handwerk, Fragen zu stellen und mich zu wundern. Was ich sonst zum Arbeiten brauche, habe ich dann in den Redaktionen.

Wofür sammeln Sie die für Crowdfunding recht bescheidene Summe von 142 Euro?

Für ein Zugticket in den Norden. Ich will unbedingt zur „Sommerbaustelle“ der Handwerksgesellen, die sich ein Mal im Jahr treffen und an einem gemeinnützigen Projekt arbeiten. Das Geld, das ich über die 142 Euro hinaus bekomme, macht mich unabhängiger. Ich will auch bei Lokal-Bloggern mitarbeiten, etwa bei „Da Hong“ aus dem Bayerischen Wald oder den „Prenzlauer Berg Nachrichten“. In den Redaktionen möchte ich aber nicht umsonst arbeiten. Wenn jemand kommt und eine Woche lang kostenlos mitarbeitet, wird der Lokaljournalismus finanziell nur noch mehr entwertet. Ich habe das selbst erlebt. Als ich anfing, bekam ich weniger als 20 Cent pro Zeile. Wenn ich die Zeitungen austrug, verdiente ich mehr.

Wie sind Sie auf die Idee mit der Walz gekommen?

Ich habe mal ein Porträt über eine Bäckergesellin auf der Walz geschrieben. Sie weiß morgens nicht, wo sie abends schläft. In Dresden lernte sie ein Stollenrezept, in Bayern eins für einen Brezenteig, mittlerweile ist sie in Kanada. Das hat mich fasziniert.

Normalerweise wollen Journalisten weg von den Vereinsjubiläen und Kaninchenzüchtern. Warum wollen Sie unbedingt in den Lokaljournalismus?

Ich schrieb mal in einer Lokalzeitung über Schlaglöcher in einer bestimmten Straße und machte dafür ein Foto, aber nicht genau von der Straße, sondern von einer anderen mit Schlaglöchern. Ich bekam mindestens zehn Leserbriefe mit Beschwerden. Den Menschen ist wichtig, was vor ihrer Haustür passiert. Ich habe eine Weile im Magazinjournalismus gearbeitet und kam immer weniger vom Schreibtisch weg. Ich glaube, dass die Leute sich eine andere Form von Lokalberichterstattung wünschen. Ich will herausfinden, wie lokale Geschichten erzählt werden können. Vielleicht benutzt eine Lokalzeitung ein Storify-Tool, wenn das Schützenfest durch die Stadt zieht. Ich will in den Redaktionen Rezepte finden, so wie diese Bäckerin sie auf ihrer Reise fand.

Ein bisschen erinnert Ihre Idee ja an „Cowdspondent“, ein Projekt, das gerade erfolgreich Geld für eine Reportagereise durch Deutschland gesammelt hat.

Ich kenne Lisa Altmeier und Steffi Fetz von „Crowdspondent“ und finde ihre Idee großartig. Dass sie so erfolgreich waren, hat mich motiviert. Ich habe auch das Crowdfunding für das Onlinemagazin„Krautreporter“ unterstützt.

Gerade überschlagen sich die journalistischen Crowdfunding-Projekte.

Ich glaube, das ist wie mit diesem seltsamen Phänomen in der Betriebswirtschaft: In einem Gewerbegebiet können auch drei verschiedene Baumärkte stehen, und es lohnt sich für alle drei.


Jessica Schober, 26, aus München hat Politikwissenschaft, Soziologie und Journalismus studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Was sie auf ihrer Walz erlebt, wird sie unter Wortwalz.de bloggen.

Abgefackelt

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Das Reagenzglas öffnet mit einem Zischen. „Ist dieses Geräusch nicht ganz wunderbar?”, sagt George Boyajian und schnuppert an der klaren Flüssigkeit. „Und dann dieser Geruch! Es ist der Geruch von Geld!“ Boyajian schwenkt das Glas. In ihm ist Benzin, 93 Oktan, man könnte es in den Autotank gießen. Boyajian hat den Sprit selbst hergestellt hier in seiner Testanlage in der Nähe von Princeton in New Jersey. Das Besondere an diesem Benzin ist, dass es nicht aus Rohöl besteht, sondern aus Erdgas.



Beim umstrittenen Fracking verschwendet Amerika Erdgas im Wert von mehreren Millionen.

Boyajian ist Vorstand von Primus Green Energy. Das Start-up aus New Jersey will mit dem Erdgas-Sprit ein großes Problem lösen: die Verschwendung von Erdgas. Die umstrittene Fördermethode Fracking hat Amerika in den vergangenen Jahren einen Ölboom verschafft. Inzwischen produzieren die Vereinigten Staaten mehr als zehn Prozent des Rohöls weltweit, einen steigenden Anteil davon durch das Aufbrechen von einst unzugänglichen Gesteinsschichten mit Wasser und Chemikalien. Doch bei der Förderung von Rohöl fällt immer auch Gas an, es zischt aus den Bohrlöchern mit hervor. Für die Ölbohrfirmen ist das Gas aber nicht das Ziel, sondern nur ein Abfallprodukt, es bringt ihnen viel weniger ein als das Öl selbst, für das sie den Boden eigentlich durchlöchern. Darum brennen sie große Teile davon ab, das ist einfacher, als es aufwendig zu verarbeiten und abzutransportieren. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Gasmenge, die in den Vereinigten Staaten auf diese Weise vergeudet wird, mehr als verdoppelt.

Die Konzerne fackeln so viel Gas ab, dass Gegenden mit Ölquellen auf Satellitenbildern aussehen wie kleine Städte, man kann die Gasfeuer aus dem Weltall sehen. Über North Dakota, dem Bundesstaat mit der riesigen Fracking-Ölquelle namens Bakken, brennen ständig 1500 Flammen. Das belastet die Umwelt, durch die Feuer in North Dakota entsteht fast so viel Kohlendioxid wie in drei durchschnittlichen Kohlekraftwerken. Und Geld geht dadurch auch verloren, etwa 100 Millionen Dollar pro Monat allein in dem Bundesstaat. Gerade verklagen die Eigentümer der Öl- und Gasreserven, also die Menschen, denen die Grundstücke gehören, die Ölförderfirmen, weil sie wollen, dass diese das Gas nutzen und verkaufen, statt es nur zu verbrennen – und ihnen entsprechend höhere Gebühren für die Ausbeutung der Felder zahlen.

Doch besonders die Quellen in North Dakota sind fernab von großen Gasverbrauchern, und der Bau von Pipelines ist teuer und dauert lange. Das Öl hingegen lässt sich per Lastwagen oder Zug leicht abtransportieren. Der Preis für Öl ist gerade hoch, und die Bohrlizenzen sind zeitlich beschränkt, die Konzerne wollen daher so schnell wie möglich fördern, statt lange auf Pipelines für Gas zu warten, das ihnen im Vergleich zu einem Fass Öl viel weniger Geld einbringt. Bislang gibt es kaum eine andere Möglichkeit für die Firmen, als das Gas zu verbrennen – jedenfalls keine, die sich rechnet. Der amerikanische Energieminister Ernest Moniz nennt das Gasabfackeln „sowohl eine Chance als auch ein Problem“.

Primus Green Energy sieht es als Chance. Das Unternehmen baut Anlagen, die das Gas umwandeln. In New Jersey steht ein Prototyp, er sieht aus wie eine kleine Raffinerie. Die etwa zehn Meter hohe Anlage verwandelt das Erdgas erst in Synthesegas. Verschlungene Röhren verbinden vier verschiedene Reaktoren, in denen das Synthesegas dann mit Hitze, Druck und Katalysatoren erst in Methanol, dann in Dimethylether und dann in schweres Benzin gewandelt wird. Der vierte Reaktor reinigt den Sprit, sodass dieser zischend und klar in den Autotank geschüttet werden kann – er sieht dann aus wie in Boyajians Reagenzglas. „Der chemische Prozess ist schon seit Jahrzehnten bekannt, es ist bewiesen, dass er funktioniert“, sagt der Primus-Manager. „Wir haben ihn jetzt so weiterentwickelt, dass er effizienter ist.“

Die Primus-Anlagen sollen direkt an den Bohrlöchern installiert werden und das überschüssige Gas vor Ort in Benzin oder eine ähnliche Flüssigkeit umwandeln. Dann können es die Unternehmen genau wie das geförderte Öl abtransportieren. In diesem Jahr beginnt Primus mit dem Bau der ersten Anlage. „Die Nachfrage ist riesig, wir arbeiten das jetzt nach und nach ab“, sagt Boyajian. Bis die Kunden die Investitionen in die Primus-Anlage wieder hereingeholt hätten durch den Verkauf des aus Gas gewandelten Benzins, vergingen nur etwa drei Jahre.

Primus ist ein kleines Unternehmen mit gerade mal 50 Mitarbeitern. Bislang hat es noch keinen Umsatz geschrieben, aber sobald die ersten Anlagen gebaut werden, werde es Geld verdienen, beteuert Boyajian. Das Start-up gehört dem Mischkonzern Israel Corporation, der seit der Gründung 2007 bereits etwa 62 Millionen Dollar investiert hat.

Die Umweltbehörden verschärfen derzeit die Regeln für das Abfackeln von ungewolltem Gas an den Ölquellen. In den meisten Bundesstaaten gibt es allerdings bislang noch kaum Auflagen. Die Ölkonzerne haben jedoch ein wachsendes Interesse daran, das Gas irgendwie zu nutzen. Auch der norwegische Staatskonzern Statoil, der im Bakken-Feld fördert, arbeitet an einer Lösung. Zusammen mit dem Industriekonzern General Electric arbeitet das Unternehmen an einer Anlage, die das Gas in verschiedene Bestandteile wie Propan zerlegt, die weiterverwendet werden können. Außerdem sollen die schweren Fracking-Maschinen so umgerüstet werden, dass sie zumindest zum Teil mit Gas angetrieben werden. North Dakotas Lokalregierung hofft zudem, dass sich Fabriken, die Erdgas als Rohstoff brauchen, zum Beispiel Düngemittelhersteller, in der Nähe der Gasquellen ansiedeln.

Die Ölförderer hätten schon sechs Milliarden Dollar investiert, um das Abfackeln zu reduzieren, unter anderem für neue Gas-Pipelines, sagt Terry Kovacevich, der Chef des Industrieverbands North Dakota Petroleum Council. Langfristig werde die Branche das Problem in den Griff bekommen, aber das werde „eine bedeutende Menge Geld und Zeit brauchen“. George Boyajian hofft jedenfalls, dass ein guter Teil dieses Geldes in die Kassen von Primus Green Energy fließt.

„Völlig außer Kontrolle“

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So schlimm war es noch nie. Fast alljährlich hat es in der Vergangenheit irgendwo im zentralen Afrika einen Ebola-Ausbruch gegeben. Die Krankheit flammte auf, ein paar Dutzend Menschen starben, dann verschwanden die Erreger wieder im Dschungel, bei ihren Wirten, den Flughunden und anderen Tieren. Ende 2013 aber ist die Krankheit erstmals in Westafrika aufgetreten – und sie scheint sich zu einer regionalen Katastrophe auszuweiten. Am Wochenende hat die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Alarm geschlagen: Die Ebola-Epidemie sei „völlig außer Kontrolle geraten“, sagte Einsatzleiter Bart Janssens. Die Ärzte ohne Grenzen seien mit ihren Möglichkeiten, den Ebola-Ausbruch einzudämmen, an ihre Grenzen gekommen.



Gegen das Ebola-Virus ist die Ärztin aus Guinea machtlos.

Bislang sind nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr als 330 Menschen an der Seuche gestorben – so viele wie noch nie bei einem Ebola-Ausbruch. Die bisher schlimmste Epidemie hat 1976 in Zaire mit 280 Toten stattgefunden. Damals war die Krankheit erstmals entdeckt und benannt worden, seither sind viele Gesundheitsbehörden in Afrika gewarnt. Doch das Schwierige an der aktuellen Epidemie ist, dass sie sich über die Grenzen dreier Länder erstreckt: Sierra Leone, Liberia und Guinea. Noch dazu ist sie erstmals in Westafrika aufgetreten, wo Menschen und Regierungen mit der schweren Infektionskrankheit nicht vertraut sind, die ein hämorrhagisches Fieber auslöst, bei dem Blutgefäße platzen und die Infizierten binnen kurzer Zeit von innen verbluten. Eine Impfung gibt es nicht und auch keine kausale Therapie gegen den Erreger, ein Virus.

Dass die seit sechs Monaten wütende Epidemie nicht noch mehr Todesopfer gefordert hat, habe auch mit Glück zu tun, sagt Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Marburg und Experte für Ebola und verwandte Krankheiten. Aus unbekannten Gründen ist das aktuell in Westafrika kursierende Virus nicht so tödlich wie bisherige Ebola-Varianten. „Etwa 60 Prozent der Infizierten sterben, beim Ebola-Zaire-Stamm waren es 80 Prozent“, sagt Becker. Offenbar können ärztliche Maßnahmen, wie die Zufuhr von Flüssigkeit, auch helfen, den Tod abzuwenden, sagt Becker, dessen Team zum European Mobile Laboratory Project gehört, das derzeit in Westafrika Kranke und Tote auf Ebola testet.

Um so mehr müssten die Menschen überzeugt werden, die Behandlungszentren auch aufzusuchen, sagt Becker. Doch das Misstrauen gegenüber den weißen Ärzten, die mit Ganzkörperanzügen in die Dörfer kommen, um dort bei Toten Proben zu nehmen, sei groß.

„Für die Bevölkerung sieht es so aus, als sei die Krankheit erst schlimm geworden, als die Weißen kamen“, sagt Becker. „Die Vermutung, es sei eine von Weißen gemachte Seuche, sei entsprechend hartnäckig.“ Viele Patienten glauben, sie seien verflucht worden. Gegen solchen Irrglauben vorzugehen, sei eine der wesentlichen Strategien, meint auch Janssens. Um die Einheimischen zu überzeugen, müssten dringend auch Einheimische trainiert werden, so Becker.

Tragischerweise stecken sich gerade bei den Beerdigungen von Ebola-Toten besonders viele Menschen an: Infizierte verbreiten die Krankheit erst weiter, wenn sie schon Symptome verspüren, zu denen zunächst Fieber, Muskelschmerzen und Durchfall gehören, bevor es zu den tödlichen inneren Blutungen und Organversagen kommt. Bis dahin sind die Infizierten nicht ansteckend, die Toten aber sind es noch: Und in Afrika werden sie vor ihrer Beerdigung intensiv gewaschen, gepflegt und geherzt: „Diese Beerdigungszeremonien sind eine der Hauptansteckungsquellen“, sagt Becker.

Dass die Epidemie auch für Europa noch zur Gefahr werden könnte, erwartet Becker nicht. „Es wird sicher einzelne importierte Fälle geben, aber sie werden schnell erkannt und isoliert werden“, so Becker. „Für Afrika dagegen bin ich extrem beunruhigt. “

Die Rückkehr der Terror-Miliz

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Kairo – Während die radikal-sunnitischen Isis-Milizen weitere irakische Städte in der Nähe der syrischen Grenze erobern, haben sich nun auch bewaffnete Einheiten der Schiiten für einen erwarteten Angriff formiert. In Sadr-City in Bagdad paradierten Zehntausende Bewaffnete, auch Frauen, durch die Straßen: Kämpfer mit Gewehren, Mörsern, Granatwerfern und Selbstmordattentäter mit umgeschnalltem Sprengstoff. Auch in Nadschaf und Basra im Süden marschierten die Schiiten. Ähnlich wie viele sonst heterogene Sunnitengruppen den Vormarsch des Islamischen Staates in Irak und Großsyrien, Isis, als Schlag gegen die schiitisch dominierte Regierung von Premier Nuri al-Maliki vereint begrüßen, schweißt die Bedrohung durch den sunnitischen Vormarsch auch die verschiedenen Schiitengruppen zusammen: verfeindete Stämme, iranische Ableger, kampfunerprobte Freiwillige und vor allem die Mahdi-Armee von Muktada al-Sadr.



In Taza Khormato bewacht ein Mahdi-Führer eine schiitische Moschee.

Sadr gehört zu den schillerndsten Figuren des Nach-Saddam-Irak, und seine jüngsten Aufrufe zur Mobilmachung sind nur die letzte Wendung in einer an Volten reichen Karriere. Eigentlich hatte Sadr den Kampf und die Politik hinter sich gelassen und sich einzig den islamischen Studien gewidmet, unter anderem in Iran. Nach den Maßstäben der irakischen Schiiten ist Sadr mit Mitte vierzig noch immer sehr jung, aber, wie der Journalist Anthony Shadid schrieb, von Geburt blaublütig: „Sein schwarzer Turban zeigt seine Abstammung vom Propheten.“ Zu seinen Ahnen gehörte der besonders verehrte sechste schiitische Imam Dschaafar al-Sadiq. Seine Familie hat einige der meistverehrten schiitischen Kleriker hervorgebracht und zuletzt, unter Saddam Hussein, ihre berühmtesten schiitischen Märtyrer. Saddam hatte Sadrs Vater, Großayatollah Mohammed al-Sadr, und zwei seiner Söhne getötet und einem seiner Cousins Nägel in die Stirn geschlagen.

Das Ende Saddams und der sunnitischen Hegemonie im Irak katapultierte Sadr in die erste Reihe schiitischer Persönlichkeiten. Erst predigte er gegen die amerikanische Besatzung, dann formte er die Mahdi-Armee und bekämpfte die Amerikaner und die irakische Armee, später aber auch – als Rache für Anschläge auf Schiiten – Sunniten und rivalisierende schiitische Milizen. Nach Jahren der Gefechte, vor allem in Nadschaf, Kerbela, Basra und Sadr-City zog Sadr sich überraschend zurück. Seine Mahdi-Armee werde sich künftig politischen und sozialen Aufgaben widmen, er selbst verschwand auf Jahre in Iran, um sich den Rang eines Ayatollah zu erarbeiten. Dennoch war er einflussreich genug, um durch seine Anhängerschaft nach den Wahlen 2009 und 2010 in die Rolle des Königsmachers zu kommen. Ohne Sadr wäre Maliki heute nicht Premier.

Heute ruft Sadr seine Männer in den Kampf an die Seite eben jenes Maliki, der 2008 noch seine Soldaten gegen die Mahdi-Armee in Basra geschickt hatte. Beide sind Schiiten, aber beide verbindet eines jener irakischen Zweckbündnisse, die schon nach kurzer Zeit zerbrechen können. Die plötzliche Rückkehr der Milizen ist für den Staat nicht ohne Risiko. Einige Anführer sollen während des konfessionellen Blutbades zwischen Sunniten und Schiiten Todesschwadronen befehligt haben. Zwar schwört Sadr, dass er die Mahdi-Armee nur aufgrund der akuten Bedrohung reaktiviert hat, aber ob sich seine Männer in der nächsten Runde des Machtkampfes einfach so zurückziehen, ist die Frage. Völlig unklar ist auch, wie die Sunniten auf die Paraden der Schiiten reagieren. Sie fühlen sich an den Rand gedrängt durch eine schiitisch dominierte Regierung. Im schlimmsten Fall begreifen sie die vermeintlichen Verteidiger als neue Bedrohung.

Flankiert werden die Aufrufe von einer Fatwa des schiitischen Großayatollahs Ali al-Sistani, des meistrespektierten Geistlichen des Landes. Auch ihn hat der Angriff der radikalen Sunniten in die Öffentlichkeit gedrängt. Üblicherweise verlässt der über 80-Jährige sein Haus selten. Nun aber sah er sich genötigt, eine Rede verlesen zu lassen, in der er alle Iraker zum Kampf gegen die sunnitischen Extremisten aufrief: „Wenn wir sie nicht heute bekämpfen und vertreiben, werden wir es morgen bedauern“, so seine Worte. Zugleich appellierte er an die politischen Kräfte, eine neue Regierung zu formen – ein direkter Angriff auf Premier Maliki.

Die sunnitischen Milizen unter Führung der Isis rückten inzwischen in die Nähe der syrischen Grenze vor. Die Orte Al-Walid in der Provinz Anbar und Al-Kaim werden unbestätigten Berichten zufolge nun von den Kämpfern kontrolliert.

Die antiken Dritten

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Wir befinden uns im Jahr eins nach Christus, und noch immer leistet ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf den Römern Widerstand. Doch der Zahn der Zeit nagt an den Helden, die in „Asterix und Obelix feiern Geburtstag“ alt geworden sind. „Waf hämmerft du da fo verbiffen, Fohnemann?“, fragt Automatix. „Ich hab was erfunden, Papa...ein Gebiss aus Stahl für zahnlose Herrschaften wie dich!“ Da fliegt dem greisen Schmied – „WAF?“ – gleich noch ein Zahn aus dem Kiefer. Dabei hat Sohnemann, einer Publikation in der aktuellen Ausgabe von Antiquity zufolge, nur eine keltische Errungenschaft konsequent weiterentwickelt: In einem 2300 Jahre alten Grab im französischen Le Chêne südöstlich von Paris haben Archäologen das wohl älteste Zahnimplantat Westeuropas gefunden. Der stark korrodierte Eisenstift lag anstelle des linken vorderen Schneidezahns inmitten der anatomisch noch immer korrekt angeordneten Originalzähne.



Zahnimplantate gab es schon vor 2300 Jahren.

„Am Grab dachte ich noch nicht an eine Dentalprothese“, sagt Projektleiter Guillaume Seguin von der Firma Archéosphère, der mit Forschern der Universität Bordeaux kooperierte. „Erst als die Zähne im Labor identifiziert waren und ich bemerkte, dass der Eisenstift den einzig fehlenden Zahn ersetzte, kam ich auf das Implantat.“ Ob es sich tatsächlich um eine Prothese handelt, zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Absicht sie eingesetzt wurde, lässt sich aber wohl nicht mehr klären. Das Skelett ist für diese und andere Untersuchungen zu schlecht erhalten. In puncto Geschlechtsbestimmung glauben die Forscher sich dennoch festlegen zu können. „Die Person war klein, zierlich und hatte Frauenschmuck bei sich“, so Seguin. „Ein unterentwickelter keltischer Transvestit ist wirklich kaum vorstellbar – wir gehen also von einer Frau aus.“

Eine einzige Zahnlücke im ansonsten fast makellosen Gebiss kann die höchstens 30 Jahre alte Keltin beim Essen kaum und auch beim Sprechen nicht übermäßig behindert haben. Wozu also diente das Eisenimplantat, das einen lange verrotteten Aufsatz aus Knochen, Elfenbein oder Holz getragen haben könnte? Die Forscher diskutieren drei mögliche Szenarien.

So könnte die Prothese post mortem eingesetzt worden sein, um die unschöne Zahnlücke – etwa für die prunkvolle Beerdigung – zu verschließen. Kein neues Konzept: Auch die Ägypter wollten schon vor mehr als fünf Jahrtausenden die Körper ihrer Verstorbenen möglichst vollständig für das Totenreich erhalten – und mumifizierten sie deshalb. Da war manchmal schon zu Lebzeiten vorausschauendes Handeln gefragt, wie die Untersuchung eines mumifizierten Schädels aus dem Jahr 2008 zeigt. Der junge Ägypter hatte wegen Parodontose mehrere Zähne verloren. Drei davon muss er aufbewahrt haben, weil sie ihm bei der Mumifizierung mitgegeben wurden: in der Schädelhöhle.

Denkbar ist auch, dass der keltische Eisenstift zu Lebzeiten in die Öffnung implantiert wurde, die die Zahnwurzel hinterlassen hatte. Alternativ könnte die Prothese auch in einem verbliebenen Wurzelrest verankert worden sein. Eine Tortur mit doppeltem Risiko: Ein nicht steriler Eingriff und die immunologische Abstoßung von Eisen könnten lebensgefährliche Infektionen verursacht haben.

Ein Kelte wenigstens überlebte die Rosskur: In einem 400 Jahre jüngeren Grab, das nur 130 Kilometer vom aktuellen Fundort entfernt liegt, lag das Skelett eines jungen Mannes mit Eisenimplantat, das wohl ohne Entzündung angewachsen war. Die Prothese sollte ihm möglicherweise beim Kauen helfen: Dem Mann fehlte eine ganze Reihe von Backenzähnen.

Früher Zahnersatz war meist symbolisch und für das Jenseits gedacht. Von den Etruskern in Nord- und Mittelitalien aber wurde die Zahnprothetik zur frühen Meisterschaft getrieben. Hier wurden sogar mehrere Zähne mit Goldstreifen oder -draht verbunden und als Brücke im Gebiss verankert. Hier könnten die nördlichen Nachbarn inspiriert worden sein, auch wenn sie in der Technik auf keltisches Do-it-yourself setzten, wie die Forscher schreiben.

Mit der etruskischen Zivilisation ging auch deren zahnmedizinisches Wissen unter. Problemzähne wurden über Jahrhunderte nur mehr ohne Betäubung und meist ersatzlos gezogen. Auch die reichen Schichten waren davon nicht ausgenommen. Sie litten sogar besonders, als das Luxusprodukt Zucker auf den Markt kam und sogar – der letzte Schrei! – in der Zahnpasta landete. Prominentes Opfer war Queen Elizabeth I., deren schwarze Zähne der deutsche Reisende Paul Hentzner im Jahr 1598 bemängelte. Angeblich entstand so eine kurzlebige Mode: Wer von Karies verschont blieb, färbte sich die Zähne dunkel. Soll ja keiner denken, man könne sich den Zucker nicht leisten.

Erst im 18. Jahrhundert wurden Teil- und Vollprothesen entwickelt, deren Zähne zunehmend besser am Unterbau und deren Unterbau zunehmend besser am Kiefer verankert waren – um die „Dritten“ nicht mehr alle paar Minuten aus dem Mund zu katapultieren. Zum Essen taugten sie aber nur bedingt und wurden vor den Mahlzeiten meist entfernt.

Wie untauglich diese Prothesen noch waren, musste auch George Washington am eigenen Leibe erfahren. Seine Prothesen klackten, quietschten, schmerzten, schoben die Lippen des ersten amerikanischen Präsidenten vor und ließen ihn beim Sprechen zischen. Kein Wunder, dass Washington der Überlieferung nach nur in Notfällen lächelte. Dabei fertigten seine Gebissmacher die Prothesen nach dem Stand der Technik: Washingtons letzter verbliebener Zahn etwa durfte durch ein Loch im Unterbau aus Nilpferdelfenbein gucken und fand sich in guter Gesellschaft: Rinder-, Esels- und Pferdezähne waren hier montiert – wie auch menschliche Zähne.

Tatsächlich waren natürliche Zähne über lange Zeit das Material der Wahl. Organische Substanzen wie Holz und Knochen wurden zu schnell im Mund abgebaut und stanken, während die neu erfundenen Porzellanzähne noch nicht bruchfest waren. Und zimperlich durften Zahnlose ohnehin nicht sein.
Wer es sich leisten konnte, ließ faule Zähne im Beisein von Spendern – den Ärmsten der Armen – ziehen. Diese Donoren mussten dann Zähne lassen, bis ein passendes Exemplar gefunden war, das in die offene Wunde des Empfängers transplantiert werden konnte. Einen Haken gab es: Die Zähne überlebten selten, die daran haftenden Syphiliserreger schon. Billiger, aber nicht weniger bedenklich waren die Zähne Hingerichteter und anderer Toter.

Das änderte sich erst am 18. Juni 1815, als mehr als 50000 Soldaten Napoleons Niederlage auf belgischem Boden mit ihrem Leben bezahlten. Die meisten waren jung und gesund mit jungen und gesunden Zähnen. Als „Waterloo Teeth“ wurden sie das „Must-have“ der europäischen und transatlantischen High Society, auch schon als längst die Schlachtfelder der Krim und des Amerikanischen Bürgerkriegs Nachschub lieferten.

Manch einer aber hatte genug von den Zähnen der Toten und setzte auf die Entwicklung bruchsicherer und überzeugend gefärbter Porzellanzähne, die sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach gegen die natürliche Konkurrenz durchsetzten. Kautschuk half, die Prothesen individuell anzupassen, und Zahnärzte mussten ihre Patienten nicht mehr niederringen: Eine Betäubung genügte.

Anders als in der Eisenzeit werden Implantate heutzutage übrigens aus Titan gefertigt und unter sterilen Bedingungen eingesetzt. Doch auch dies mag künftig einmal antiquiert erscheinen. Harvard-Forscher haben kürzlich gezeigt, dass schwaches Laserlicht Stammzellen anregen kann, das Zahnmaterial Dentin zu bilden. Sie möchten nun untersuchen, ob sich so körpereigene Zähne regenerieren lassen.

Woher der Hass? Pauschalurlaub

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„Pauschal“ ist mittlerweile ja eher ein Schimpfwort. Wer pauschalisiert, der ignoriert die Vielfalt der Meinungen und die Komplexität eines Sachverhalts und hat außerdem noch nie was von Dialektik gehört. „Das kann man so pauschal nicht sagen“ ist ein Satz, mit dem man immer dafür sorgt, dass einem alle zuhören. Der Gipfel all dessen, was an Pauschalem gehasst wird, ist der Pauschalurlaub. Zum Beispiel dieser: sieben Tage Gran Canaria ab 429 Euro pro Person, Halbpension mit vegetarischer Auswahl, Sonnenterrasse, eineinhalb Kilometer zum Strand, Live-Bands, Einkaufs- und Vergnügungszentrum „Yumbo“ in unmittelbarer Nähe.





Für die einen ist das der Traum von der absoluten Erholung, weil man ein Mal bezahlt und sich weiter um nichts kümmern muss. Für die anderen ist es ein Angebot, bei dem sich ihnen, eigenen Aussagen zufolge, die „Nackenhaare aufstellen“ beziehungsweise „die Zehennägeln aufrollen“. Sie bestehen nämlich darauf, das Gegenteil von Pauschalurlaub zu machen: Individualurlaub. Sie packen ihren Rucksack und fliegen los, um in Flip-Flops durch Nairobi zu schlappen und (ganz wichtig!) nicht zu wissen, wo sie am nächsten Tag sein werden. Oder sie reisen nach New York, wohnen in einem Privatapartment und glauben, den „Vibe der Stadt“ mit dem Wasser, das aus dem echten New Yorker Duschkopf kommt, über die Haut aufzunehmen. Ein Urlaub, bei dem man nicht mehr entdecken kann als die Terrasse und das Nachtischbuffet, kommt für sie nicht in Frage. Gerne zitieren sie große Denker, die mal was zum Reisen gesagt haben: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“ (Goethe) zum Beispiel. Oder „Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf“ (Wilde). Heißt: Wer immer nur am Touri-Strand sitzt, der ist nie wirklich irgendwo und pflegt seine Vorurteile, weil er Einheimische ja höchstens als Poolboys schuften sieht.
 
Die Individualtouristen bestehen darauf, dass sie etwas nicht sind, was Pauschaltouristen in ihren Augen viel zu viel sind: Touristen. Gewohnheitstiere, die immer nur den Weg nehmen, der ihnen vorbestimmt ist. Die im Büro Zahlen in Tabellen hacken, um Geld zu verdienen, das sie im Sommer in der Bettenburg auf Gran Canaria ausgeben. Die machen es sich zu leicht, sagen die Individualtouristen. Doch wenn sie dann nachts in der Regenwaldhütte sitzen, nass bis auf die Knochen und nach Mückenschutzmittel stinkend, das ihre Klamotten verfärbt, dann denken sie schon manchmal sehnsüchtig an Strandliegen auf europäischen Ferieninseln. Und werden gleich noch wütender auf die Pauschaltouristen, weil die weniger nachdenken und mehr genießen. Weil es ihnen nicht peinlich ist, Urlaube zu buchen, in denen es den Animateur inklusive gibt.
 
Dass der Hass auf den Pauschalurlaub so auffällt, liegt an der Differenz der Lautstärke: Pauschalurlauber, das sind vor allem die stillen Zeitgenossen, die das Arbeitsamt lieb hat und die gerne annehmen, was man für sie vorbereitet hat. Die Gegner, das sind die Lauten. Die, die gerne reden und dagegen sind. Individualität bedeutet nämlich auch, allen dauernd die eigene Meinung aufzutischen – unter anderem, um sich selbst davon zu überzeugen.

Einsame Spitze

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Da ist sie, die alte Welt! Er sieht sie im Vorbeigehen auf den Flachbildschirmen, während sein Tourmanager ihn eilig durch das riesige Loftbüro in Manhattan lotst: das Spiel Deutschland gegen Portugal auf ESPN. Der Kommentator analysiert gerade den Hattrick von Thomas "Muller". "Unglaublich!", ruft Tijs Verwest in seinem gemeißelten niederländischen Akzent und reibt sich die riesigen Hände, "das Finale wird Holland - Deutschland, jede Wette!" Sein amerikanischer Tourmanager, halb so alt wie Verwest, lächelt wortlos, schiebt ihn in den Konferenzraum und schließt die Tür hinter ihm.

Tijs Verwest, 45, DJ und Multimillionär, ist jetzt wieder in der neuen Welt. Er selbst sagt das so, später am Tag im Aufzug eines anderen Hochhauses. Alte Welt, neue Welt, in diesen Worten schwingt Eroberung mit, auch Sturheit. Verwest findet, das passt. Die alte Welt, das ist Europa, wo er groß wurde und heute künstlerisch so gut wie irrelevant ist. Die neue Welt: Das ist hier, Nordamerika, wo zwar vielleicht kein Mensch Thomas "Muller" kennt, wo man aber bereit ist, ihn, Tijs Verwest, Künstlername Tiësto, wie einen Superstar zu behandeln.

Verwest ist zu Besuch im amerikanischen Hauptquartier von Spotify. 20 Minuten Kennenlernen und Fotoshooting stehen im Kalender, dann muss er weiter, sechs Interviews warten noch auf ihn und er hat jetzt schon eine Stunde Verspätung. Es ist der Tag vor dem Tag, von dem Verwest sagt, es sei der wichtigste seiner Karriere. Sein neues Album erscheint, es soll ihm ein neues Gebiet erschließen: die Welt des Mainstream-Pop. Verwest trägt Turnschuhe von Yves Saint Laurent und ein blau-weißes Ringelshirt, sein Kopf sitzt auf massiven Schultern, er sieht aus wie sein eigener Bodyguard. Und er ist aufgeregt. Er setzt sich an den Konferenztisch und zippelt mit der linken Hand unter der Tischplatte an der Tasche seiner weißen Jeans.




Tijs Verwest, Künstlername Tiësto, ist der bestverdienende DJ der Welt.

Auf dem Tisch stehen Macbooks und Plastikbecher mit Frappuccino. Drum herum sitzen neun Leute Mitte 20, mit guten Frisuren und sehr sauberen Laufschuhen. Die Zukunft des Musikgeschäfts. Der Streaming-Dienst Spotify ist längst der wichtigste Vertriebsweg für Künstler wie Tiësto, deren Fans größtenteils zu jung sind, um noch CD-Spieler zu besitzen. Geld verdienen Künstler auf Spotify nicht mit verkauften Alben, sondern pro abgespieltem Song. Seit einer Stunde müsste Verwest beim nächsten Termin sein, unten auf der Straße wartet der Wagen mit laufendem Motor, aber jetzt nimmt er sich Zeit. Er hat Fragen.

"Wenn ich einen Song zu einer Playlist hinzufüge, werden meine Follower dann automatisch benachrichtigt?"
"Kann ich neue Remixes selbst hochladen?"
"Wie bekomme ich noch mehr Follower?"
Er lauscht mit dem Zeigefinger am Kinn.

Bevor er reinkam, haben die Spotify-Leute das Lineup des "Made in America"-Festivals besprochen. Jay-Z hat es gegründet, Tiësto steht dieses Jahr auf dem Plakat ganz oben. Neben Kanye West und den Kings of Leon. Tiësto gilt als der erfolgreichste DJ der Welt. Er hat bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Athen gespielt. Mit einem zweistündigen Auftritt verdient er im Schnitt 250 000 Dollar, mal mehr (wenn ein amerikanisches Unternehmen das Konzert sponsert), mal weniger (wenn er in Europa spielt). Vor zwei Wochen trat er als Headliner eines Festivals in der Frankfurter Commerzbank-Arena vor 30 000 Zuschauern auf. In den USA füllt er solche Stadien alleine. Das US-Millionärsmagazin Forbes führt seit einigen Jahren eine Liste der bestverdienenden DJs der Welt. Seit es die Liste gibt, steht Tiësto auf Platz eins oder zwei. 2013 soll er 32 Millionen Dollar verdient haben. Ungefähr zehn Millionen mehr als Cristiano Ronaldo bei Real Madrid.

In Amerika und Asien ist er ein Star - aber in Europa, der Heimat des Techno, belächeln sie ihn.



Trotzdem ist Verwest in einer Situation, die ihm nicht ganz gefällt: In der neuen Welt, in Nord- und Südamerika, in Asien, in Australien, feiern die Massen ihn. Aber in der alten Welt? In Europa, besonders in den Techno-Ländern Deutschland, England, Holland? Da belächeln sie ihn. Für den europäischen Zeitgeist ist seine Musik zu glatt, zu kommerziell. Zu weit von der Frontlinie, an der die Produzenten diesseits des Atlantiks sich gerade entlangexperimentieren. Tiësto markiert einen Spalt zwischen der Popindustrie in Europa und im Rest der Welt.

Norbert Plantinga steht auf einer grün beleuchteten Galerie und lehnt sich ans Geländer. Er blickt auf einen Saal voller freudig schwitzender Menschen, die in großen Schlucken das erste Bier des Abends trinken. Es ist der Tag nach Verwests Besuch bei Spotify. Gleich startet das Release-Konzert vor 3000 ausgewählten Fans im Terminal 5, einen Block vom Hudson River entfernt. Der Limonadenhersteller 7 Up lässt den Auftritt filmen, er hat ihn mit 2,5 Millionen Dollar unterstützt: Ein Dutzend Gastsänger vom neuen Album wurden eingeflogen. Noch nie musste sich Verwest auf der Bühne nach so vielen Menschen richten. Er ist nervös und sitzt in der Umkleide, nicht mal sein Manager darf zu ihm.

"Es ist schon verrückt", sagt Plantinga und schüttelt lächelnd den Kopf mit den schulterlangen Haaren. "Jazz, Blues, Rock'n'Roll, Grunge und Hip Hop kamen aus Amerika nach Europa - jetzt geht es genau umgekehrt." Plantinga ist Direktor des niederländischen Zweigs von Universal, des größten Plattenlabels der Welt. Er kennt Verwest seit mehr als 15 Jahren, er hat seinen Durchbruch begleitet und mit geplant.

In den frühen Neunzigerjahren beginnt Verwest, Trance-Musik zu produzieren, den handelsüblichen Sound der Raves und Straßenumzüge in Mitteleuropa, der Plastikhosen und Plateauschuhe, der Reflektorwesten, Trillerpfeifen und Gasmasken. Verwest wird bekannt, er ist gut. Aber als die Neunziger vorbei sind und damit auch die Zeit der Plastikhosen und Plateauschuhe, will kaum noch jemand Trance hören. Er wird zum Phänomen der Vorstädte und Hallendiscos. Die alten Stars satteln um auf neuere Elektro-Trends: Deep House, Minimal House, der "Sound of Berlin". Und Verwest? Spielt seinen Trance dort, wo er noch neu und gefragt ist: außerhalb Europas, in der neuen Welt.




Vor diesem Konzert war Tiësto nervös: Erstmals musste er seine Show perfekt nach den Auftritten von Gastsängern choreographieren.

Auf der Galerie, ein paar Schritte von Plantinga entfernt, stehen ein Mann und eine Frau um die 40, er im Polohemd, sie im knöchellangen Sommerkleid. Fans aus der alten Welt, aus Verwests Heimatstadt Breda. Sie haben im Radio den Flug und die Tickets zum Konzert gewonnen jetzt warten sie auf das Meet and Greet mit ihrem Star. Die Frau hat ihm ein Tütchen Stroopkoeken aus der Heimat mitgebracht, Krokant-Kekse. Der Mann hat Verwest eine CD gebrannt, ein selbst gemachtes Medley aller Songs vom letzten Tiësto-Album. Früher, sagt der Mann, hätten sie ihn dreimal im Jahr live gesehen. In den Hallen rund um die holländischen Städte, auf Ibiza. "Heute kommt er ja kaum noch."

Die ganz große Karriere von Tiësto verläuft parallel zu der Karriere von drei Buchstaben: EDM. Es ist die Abkürzung für Electronic Dance Music, eine amerikanische Erfindung, die auf dem sehr amerikanischen Gedanken beruht, dass sich Dinge besser verkaufen, wenn sie ein griffiges Etikett tragen. Als EDM bezeichnen sie in den USA neuerdings alles, was elektronisch produziert und tanzbar ist, von Techno bis Dubstep, was für europäische Elektro-Kenner ungefähr so sinnvoll klingt wie ein Sammelbegriff für alle Musikstile, in denen ein Schlagzeug vorkommt. Aber das Etikett funktioniert. Viele sagen, EDM habe Hip Hop abgelöst und Rock gleich dazu. Der Chef der weltgrößten Konzertagentur Live Nation erklärte der New York Times EDM einmal so: "Wenn du jetzt gerade zwischen 15 und 25 bist, ist das dein Rock'n'Roll."

Für seine Auftritte braucht er keine Instrumente. Vier SD-Speicherkarten reichen.



Es ist eine Art Re-Import der Clubmusik, die in den Siebzigern von Chicago aus nach Europa gelangte. Dort wurde sie dreißig Jahre durchgekaut und kommt nun in ihrer bekömmlichsten und kommerziellsten Form zurück. Die großen Köpfe der EDM sind Europäer: der Franzose David Guetta, der Schwede Avicii, der Deutsche Paul van Dyk, der Niederländer Afrojack. Und über allen schwebt Tiësto, der vielleicht deshalb als der authentischste gilt, weil er sich am allerwenigsten Gedanken darüber macht, was den sogenannten Zeitgeist in Europa interessiert.

Die Klimaanlage dampft in den Innenraum des schwarzen Lincoln Navigator, er schiebt sich vom Spotify-Büro aus durch den Montagsverkehr Richtung Downtown. Noch vier Interviews. Tijs Verwest nimmt einen Schluck Wasser aus einer winzigen Plastikflasche. "Gute Gegend", sagt er. Hier ums Eck hat er sich ein Apartment gekauft. Mehr als ein Jahr ist das her, aber der Esstisch und das maßgeschreinerte Bett fehlen immer noch. Immerhin, einen Andy Warhol von 1967 hat er sich inzwischen hingehängt, erzählt er. "Marilyn", er mag schlichte Bilder, klare Linien.

Übermorgen treffe er sich mit einem Typen, "der alles über Kunst weiß", und werde ein paar Galerien besuchen. Aber was soll er sagen, er verbringt 300 Nächte pro Jahr im Hotel, seit 15 Jahren geht das so. Vor ein paar Jahren zerrissen sich die niederländischen Boulevardblätter das Maul darüber, dass seine langjährige Verlobte, ein Model, mit ihm Schluss gemacht hatte. Verwest hatte den geplanten Hochzeitstermin drei Mal hintereinander verschoben. Er lebt, schläft, arbeitet, komponiert und produziert unterwegs. Er braucht ja nichts außer einem Laptop und einem Kopfhörer.

Der Verkaufsschlager EDM treibt längst Popstars aus allen Lagern zu den europäischen DJs: David Guetta schneidert seit Jahren Rihanna oder Lady Gaga die Hits, Avicii hat gerade die neue Coldplay-Single produziert und arbeitet am nächsten Madonna-Album, Verwest hat Songs mit Nelly Furtado geschrieben. Und sogar Las Vegas setzt auf den Trend: Wo früher regelmäßig Elvis oder Celine Dion auftraten, spielen heute Superstar-DJs. Verwest hat mit dem Casino-Club "Hakkasan" einen Vertrag für etwa 30 Auftritte im Jahr. Allein damit soll er zwischen 10 und 20 Millionen Dollar verdienen. Für ein Konzert braucht er weder Instrumente noch Helfer, die sie schleppen. Er braucht vier SD-Speicherkarten, wie sie in Digitalkameras stecken. Darauf sind die fertigen Songs. Was er zum Mischen der Übergänge braucht, steht sowieso in jedem Club. Bis Dezember 2015 ist DJ Tiësto ausgebucht.

Später am Nachmittag sitzt Verwest wieder im Auto und sieht etwas zerdrückt aus. Die Wasserflasche ist leer, zwischen den Augenbrauen klebt ein fingernagelgroßer orangefarbener Fleck, Schminke von einem TV-Interview. Die Sache mit den SD-Speicherkarten, die will er noch mal erklären. "Ich liebe ja nämlich Vinyl", sagt er. In seiner Heimatstadt hat er seit Jahren einen Lagerraum angemietet. Dort hortet er seine Sammlung, 10 000 Schallplatten und zwei nagelneue Plattenspieler. Wobei es eigentlich nur 5000 Platten seien, denn, er grinst sehr breit: Er habe sein ganzes Leben lang jede Scheibe doppelt gekauft. Eine zum Auflegen, die andere für später. In diesem Lagerraum also warten 5000 originalverschweißte Schallplatten darauf, von Tijs Verwest aufgerissen zu werden. Denn wenn er eines Tages aufhört mit den 300 Nächten in Hotels, dann will er sich einen winzigen Club in seine Wohnung bauen und nur noch Vinyl auflegen. Für niemanden außer sich und seine Freunde.

Das Konzert läuft dann übrigens gut. Das Publikum singt nach zwei Takten jeden Song mit.

Jetzt buchen und sparen

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79 Euro, so ein Schnäppchen aber auch! Im Supermarkt gibt es wieder Bahn-Tickets. Besonders günstig. Über solche Reiseangebote informieren mich regelmäßig selbst weniger gute Freunde mit Nachrichten, die wie eine Mischung aus Werbung und Eilmeldung klingen. „Unbedingt buchen. Schnell! Gibt wieder super billige Fahrten“, zum Beispiel. Selbst wenn ich in nächster Zeit nicht wegfahren will, überlege ich dann. Sollte ich mir Tickets holen, müsste ich mindestens von München aus nach Berlin oder Hamburg fahren. Oder am besten von Konstanz nach Flensburg, denn: Je weiter die Strecke, desto größer die Ersparnis. Logisch.



Wer erfolgreich Schnäppchen jagt, darf sich so schön gerissen fühlen.

Nach der vergleichenden Analyse der Prospekte aller Supermärkte loszuschlappen, nur um sich den Rabatt von 13 Prozent auf die Qualitäts-Spaghetti zu sichern, klingt nach langweiligem Rentner-Dasein. Ich behaupte aber: Schnäppchen jagen nicht nur alte Leute mit geringem Einkommen oder zu viel Zeit. Als junger Mensch lässt man sich doch liebend gern vom Preis verführen, bestellt reduzierte Teile in Online-Shops oder feilscht hartnäckig auf dem Flohmarkt.

Ich selbst lebe viel zu unorganisiert, um vorausschauend einzukaufen. Trotzdem bin ich gegen die Verlockung von Sonderangeboten nicht gefeit: Dosenmais oder Kartoffelchips kaufe ich zum Beispiel quasi immer ganz spontan und nur dann, wenn es mir auf einem roten Preisettikett entgegenleuchtet: Reduziert. Noch schlimmer ist es bei Klamotten, was meine unterste Schrankschublade bezeugen kann. Darin sammeln sich ungeliebte Teile, die ich nicht gekauft habe, weil ich sie schön fand, sondern billig. Also im Verhältnis zum Originalpreis. Wenn ich weniger bezahle als es andere getan haben, fühle ich mich eben gerissen.

Wie ist das bei dir? Gehst du manchmal auf Schnäppchen-Jagd? Bei welchen Dingen wirst du zum Spar-Heini? Oder findest du es affig, sich vom Preis so beeinflussen zu lassen? Und kaufst unabhängig von Sonderangeboten ein?

USA wollen neue Regierung im Irak

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US-Außenminister John Kerry hat am Montag überraschend die irakische Hauptstadt Bagdad besucht und dort in Gesprächen mit Politikern und geistlichen Führern auf die Bildung einer neuen Regierung gedrungen. Kerry reagierte auf den Vormarsch der sunnitischen Terror-Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis), dem die irakische Armee fast nichts mehr entgegensetzen kann. Isis plant die Gründung eines Kalifat-Staates in den von ihr besetzten Gebieten.



US-Außenminister John Kerry sprach am Montag mit Politikern und geistlichen Führern in Bagdad und drängte auf die Bildung einer neuen Regierung. 

Kerry traf zuerst den schiitischen Premier Nuri al-Maliki sowie den Außenminister, einen Kurden, und den Verteidigungsminister, einen Sunniten. Danach kam er mit dem schiitischen Oppositionspolitiker Ammar al-Hakim zusammen. Eine Sprecherin des US-Außenamtes erklärte, Kerry werde Führer „des gesamten politischen Spektrums“ treffen und sie auffordern, rasch eine Regierung zu bilden, die sich „der Interessen aller Iraker“ annehme.

Welche Rolle al-Maliki dabei noch spielen kann, ist ungewiss. Die US-Regierung hat in den vergangenen Tagen nur wenig gegen Gerüchte unternommen, wonach Washington den Mann bereits habe fallen lassen. Die USA werfen al-Maliki vor, mit seiner proschiitischen Politik den Zorn der Sunniten und damit den Vormarsch der Isis-Extremisten sowie die drohende Spaltung des Irak befördert zu haben.

Offiziell aber will sich die US-Regierung nicht in die irakische Innenpolitik einmischen. Am Sonntag hatte Kerry in Kairo gesagt, es sei allein „Sache des irakischen Volkes, seine künftige politische Führung zu bestimmen“. Ein Beamter des Außenministeriums sagte der Washington Post, Kerry werde al-Maliki in Bagdad nicht offen zum Rücktritt drängen.

Die Offensive der Extremisten ging weiter. Am Sonntag eroberten sie wichtige Grenzübergange zu Syrien und Jordanien. So könnten sie nun leichter neue Kämpfer in den Irak schleusen. Allerdings eroberte die irakische Armee am Montag den Übergang Al-Walid wieder zurück.

Die Vereinigten Staaten seien entschlossen, der irakischen Führung „intensiv und ausdauernd“ beizustehen, sagte Kerry in einem kurzen Auftritt mit al-Maliki in Bagdad. In welcher Form und wann die USA aber militärisch losschlagen werden, ist offen. US-Präsident Barack Obama will 300 Militärberater in den Irak schicken und hat sich gezielte Luftangriffe vorbehalten. Bodentruppen will er jedoch nicht einsetzen. Doch selbst ein begrenzter Militäreinsatz birgt Risiken für die US-Regierung. David Petraeus, ein ehemaliger Oberbefehlshaber der US-Truppen im Irak, warnte Amerika kürzlich davor, „die Luftwaffe für schiitische Milizen“ zu spielen: Wenn die USA im auseinanderbrechenden Irak militärisch eingreifen sollten, dann dürfe dies nur „mit einer Regierung und gegen Extremisten“ geschehen, niemals aber an der Seite einer Glaubensfraktion in einem religiösen Bürgerkrieg.

Die EU zeigte sich besorgt, auch die angrenzenden Staaten könnten durch den Konflikt destabilisiert werden. Man müsse jetzt über die Folgen für die ganze Region reden, sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton bei einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg.

Strom aus der Wüste

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Energie aus Saudi-Arabien, Libyen, Algerien – das ist eigentlich nichts Neues. Nordafrika und der Nahe Osten verdanken ihre politische Bedeutung den Rohstoffen, die unter dem Sand ihrer Wüsten ruhten. Aber auch über dem Sand ließe sich Energie gewinnen, weil die Sonne hier häufig und intensiv scheint. Genau wie Erdöl und Erdgas ist Licht zunächst einmal umsonst, hohe Kosten entstehen erst, wenn man die Energie mit großen Anlagen fördert oder erntet und über die Welt verteilt. Den entscheidenden Unterschied liefert die langfristige Perspektive: Sonnenstrahlung ist unbegrenzt verfügbar und ihre Nutzung erzeugt keine Treibhausgase.



In der Wüste scheint die Sone häufig intensiv. Doch die Logistik der Sonnenenergienutzung gilt als Problem.

Die Logistik der Sonnenenergienutzung in der Wüste gilt vielen als schier unüberwindbares Problem – während Menschen das aberwitzig verzweigte System als völlig selbstverständlich ansehen, das der Verteilung von Benzin bis zur entlegensten Dorftankstelle dient. Einen der Einwände entkräftet jetzt ein Forscherteam um Anthony Patt von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Es rechnet vor, dass Verbundnetze von Solarkraftwerken im Nahen Osten und Nordafrika sowie in Südafrika nahezu so zuverlässig Strom erzeugen könnten wie Atommeiler, bei Tag und Nacht, Sonnenschein und Regen.

„Ein solches System braucht eine intensive Koordination“, sagt Patt, „sonst wird eine Liefergarantie ziemlich teuer.“ Doch mit kluger Planung und Steuerung könne ein Verbund mit nur zehn Standorten jederzeit die Lieferung der Hälfte des maximalen Strombedarfs in Europa garantieren, ohne dass die Preise überhaupt steigen. Sie liegen nach der Berechnung bei neun Euro-Cent pro Kilowattstunde. Auch eine 70- bis 80-prozentige Versorgung sei ohne prohibitiv steigende Kosten möglich (Nature Climate Change, online).

Um einer solchen annähernden Grundlastfähigkeit nahe zu kommen, müssen Sonnenkraftwerke einen Speicher besitzen. Die Technik der Wahl für die Forscher ist die sogenannte Concentrating Solar Power (CSP); im Deutschen werden solche Anlagen meist Parabolrinnenkraftwerke genannt. Sie bestehen aus langen Reihen von gebogenen Spiegeln, die das einfallende Licht in einem Brennpunkt bündeln. Genau hier verläuft ein Glasrohr, in dem zum Beispiel ein spezielles Öl fließt, das sich aufheizt. Es gibt die Energie im Zentrum der Anlage in einem Wärmetauscher an Wasser ab, das verdampft und eine Turbine und einen Stromgenerator antreibt.

Diese Wirkungskette erscheint als ein aufwendiger Umweg, wenn man CSP-Kraftwerke mit Solarzellen vergleicht: Sonne rein, Strom raus, fertig. Stattdessen auf Spiegel und Öl zu setzen, hat aber einen großen Vorteil. Hitze lässt sich recht einfach speichern, im Gegensatz zu Elektrizität. Meist wird dafür flüssiges Salz verwendet, das sich zum Beispiel im Kraftwerk Andasol 3 bei Granada in Spanien von 250 auf 400 Grad Celsius erwärmen kann, um die Energie später wieder abzugeben. Der Tank mit 28500 Tonnen Salz kann das Kraftwerk acht Stunden nach Sonnenuntergang mit Nennleistung arbeiten lassen.

Hier liegt eine der entscheidenden Stellschrauben, mit denen Patt und seine Kollegen den Kraftwerksverbund optimieren. Die Größe der Spiegel lässt sich so wählen, dass zum Beispiel doppelt so viel Wärme entsteht, wie Turbine und Generator überhaupt zu Strom verarbeiten können. Die Kunst ist dann, die gespeicherte Energie später so abzurufen, dass der Verbund insgesamt seine Lieferverpflichtungen erfüllen kann. „Man muss sich überlegen, was ein Kraftwerk in Ägypten macht, wenn eine heranziehende Wetterfront Anlagen in Marokko schon zum Abschalten gezwungen hat“, sagt Patt.
Das Team, sagt der Forscher aus Zürich, war überrascht, wie kompliziert eine solche Modellrechnung war.

Die Forscher brauchten schließlich keine Mittelwerte, sondern stundengenaue Wetterdaten für konkrete Standorte. Diese erklären auch, warum ein ähnliches System von CSP-Kraftwerken in Indien oder den USA vermutlich viel zu teuer wäre: Es gibt dort ganze Jahreszeiten, wo viele der Anlagen auf einmal stundenlang unter Wolken lägen. Im Südwesten der USA, über der Mohave-Wüste bedeckt sich der Himmel im August meist den größten Teil des Nachmittags, sagt Patt.

Zu den Problemen eines solchen Verbundes gehören auch die langen Leitungswege nach Europa und der große Wasserverbrauch. Auch darüber haben Forscher schon nachgedacht: Verlustarme Hochspannungsleitungen nach Europa sind technisch kaum ein Problem, sie würden den Strom um vielleicht zwei Cent pro Kilowatt verteuern. Und Trockenkühlung würde einen weiteren Cent kosten, sagt Patt.

Ob es allerdings eines Tages so kommt, ist ungewiss: Ein Industrie-Konsortium namens Desertec hatte vor fünf Jahren gewaltige Investitionen angekündigt, um ein ähnliches Verbundsystem aufzubauen. Inzwischen sind viele Konzerne wieder ausgestiegen. Und selbst wenn einzelne Länder der Region aus eigener Initiative CSP-Kraftwerke bauen – die Koordination im Verbund, das Zentrum von Patts Arbeit, ist von solchen Vorhaben nicht zu erwarten.

Das ist vielleicht aber auch nicht nötig, sagt Frank Sensfuß vom Fraunhofer-Institut für System-und Innovationsforschung in Karlsruhe, der Daten für das Desertec-Konsortium berechnet hat. „CSP wird ein Baustein für die Regulierung der Stromversorgung in südlichen Ländern sein, aber vermutlich nicht der zentrale Baustein für den Stromexport nach Europa.“
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