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Die Rückkehr des Killer-Clowns

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Wie schön kann Burger sein?
Es gibt eine amerikanische Youtube-Version von Wallraff, die mit versteckter Kamera durch die großen Fast-Food-Ketten der Nation zieht. Dabei hat sie zwei Dinge herausgefunden: Erstens sehen die Burger auf den Reklamebildern vielversprechender aus als auf den Plastiktabletts – das überrascht nicht. Aber zweitens muss man die freundlichen Mitarbeiter nur ein bisschen nerven, um einen werbereifen Bic Mac zu bekommen. Ob nun wegen der investigativen Recherche oder der freudigen Nachricht, das Video ist aktuell das klickstärkste in den USA.

http://www.youtube.com/watch?v=XrZFM2nvLXA&list=UUUQYeJ6D3qDlQkMboh-8-xw

Zurück in die Zukunft fliegen
Es existiert: Das erste echte Hoverboard. Wie auf einem fliegenden Skateboard bewegten sich damit erst die Protagonisten aus „Zurück in die Zukunft“ und dann Tony Hawk in einem Fake-Video fort. Leider funktioniert es nur über See oder Meer. Ein Schlauch pumpt das Wasser nämlich ans Ende des Boards und stößt es anschließend mit Druck nach unten. Obwohl es lang nicht so cool wie das Original ist, werden die meisten ganz laut "will ich" schreien. Da sind wir allerdings schon beim nächsten Haken, dem Kostenpunkt von 2.000 Euro oder mehr.

http://www.youtube.com/watch?v=gMaDhkNJA2g&list=UUwgURKfUA7e0Z7_qE3TvBFQ

Achtung, Albtraumgefahr!
Obwohl es sich dabei um einen Prank handelt, so das englische Wort für Youtube-Streiche, ist dieses Video nicht im Entferntesten witzig. Sondern verstörend und respektlos gegenüber unseren Kinder-Albträumen. Warum? Ein Clown geht darin im Dunkeln mit einer Kettensäge auf Passanten los, nur so zum Spaß.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=hHjGtBnSv50

Schwanger ist man nur mit Morgenübelkeit
„Wir sind schwanger“, sagen Männer, wenn sie ihren Frauen Unterstützung demonstrieren oder sich einbezogen fühlen wollen. Wie doof diese Aussage ist, beweist Mila Kunis bei Jimmy Kimmel mit einer Reihe von schlagfertigen Argumenten. Größter Unterschied zwischen den Geschlechtern:  Wenn Mütter nachts kotzen, dann liegt es am Babybauch - bei den Männern hingegen am Tequila. Fies!

http://www.youtube.com/watch?v=onDCvHtHSkY&list=PLs4hTtftqnlDhtuDiar5Q0G8rtRlbX3BW

Fußball - mal nüchtern betrachtet
Fast hättet ihr es durch die fünf Filme geschafft, ohne der WM zu begegnen, aber eben nur fast. Immerhin erklärt der Brite John Oliver in seiner Late-Night-Show den desinteressierten Amerikanern den aktuellen Fußballwahn ganz reflektiert, anstatt "Schlaaand" zu grölen oder sein Auto zu bewimpeln.

http://www.youtube.com/watch?v=hkjkQ-wCZ5A&list=PLmKbqjSZR8TZa7wyVoVq2XMHxxWREyiFc

Ausgediddlt!

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Einmal habe ich ihn getroffen, den Diddl. Überlebensgroß war er mit Diddlina, seiner dauergutgelaunten Gefährtin, in einem Kaufhaus unterwegs und da hat er mir die Pranke gegeben, ein Foto gabs auch. Das Polaroid pinnte ich mir noch abends neben die Postkarten von puscheligen Katzen und kleinen Kindern in Salatköpfen übers Bett. Ich war die glücklichste Grundschülerin der Erde.


Tschüss Diddl! War... ähm ... schön mit dir?!

Denn Diddl, das war eine Zeit lang die Briefmarkensammlung 2.0 auf Deutschlands Schulhöfen. Wer Taschengeld hatte, kaufte sich einen Block mit der Springmaus um die Seiten mit Klassenkameraden tauschen zu können. Wer gute Freunde hatte, bekam von ihnen Tassen, über deren Rand Diddl hinauslugte und Sinnsprüche wie "Du bist und bleibst was ganz besonderes" verbreitete. Und wer supertolle Eltern hatte, der bekam vielleicht sogar eine Diddl-Plüschmaus geschenkt, oder ein Abo vom "Käseblatt", dem Diddlmagazin.

Dass die Diddlmaus irgendwann uncool werden musste, war natürlich absehbar (Anna Kemper vom Zeitmagazin hat hier sehr treffend ihren Verfall rekonstruiert). Die Jungs fanden sie eh immer ein bisschen piefig und sammelten lieber Chupa Caps, später in den Nuller-Jahren waren dann Magic- und Pokémon-Karten das große Ding. Dass sie komplett stirbt, fühlt sich aber trotzdem überraschend an. Man sollte ja meinen, runde, glubschäugige Plüschviecher kommen nie aus der Mode. Tun sie aber doch.

Bevor dieses unfassbar wichtige historische Wissen über Deutschlands Schulhofkultur verloren geht, fragen wir euch also heute Morgen: Was habt ihr in der Schulzeit gesammelt? War es auch die Diddl-Maus, oder war die eher verpönt. Und wisst ihr, was jetzt auf den Schulhöfen gedealt wird?

Adrenalin als Choreograf

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Gruppenbilder mit Angela Merkel entstehen normalerweise so: Erst stellt sich die Gruppe auf, dann kommt die Kanzlerin, tritt in die Mitte, formt mit den Händen die Raute – und klick, klick, klick. So ist das hundertfach geübte Praxis mit Schülern, Studenten, Karnevalisten oder Heiligen Drei Königen. Bei dem Bild, das Guido Bergmann, der Fotograf des Bundespresseamts, nach dem 4:0-Sieg gegen Portugal in der Kabine der deutschen Nationalmannschaft schoss, traf von all dem nach Zeugenaussagen nichts zu. Nicht einmal die Raute bekam Merkel richtig hin.



Angela Merkel besuchte die deutsche Fußballnationalmannschaft nach dem Auftaktsieg gegen Portugal in der Kabine.

Etwa 15 bis 20 Minuten verbrachte Merkel nach Spielschluss in der Kabine. Die Kanzlerin hielt eine kurze Rede, in der sie sich bedankte, dass die weite Anreise mit einem Sieg belohnt worden sei. So erzählte es später Bundestrainer Joachim Löw. Danach sprach sie dem Vernehmen nach mit einigen Spielern, während andere duschten, unter ihnen der dreifache Torschütze Thomas Müller. In dieser Zeit muss auch das fotografische Selbstporträt von Lukas Podolski mit Merkel entstanden sein, das der Stürmer später über Twitter verschickte.

Als Merkel sich allmählich zum Aufbruch fertig machte, soll aus dem Kreis der Spieler noch der Ruf nach einem Foto „mit allen“ gekommen sein. Also gruppierte sich die ganze Mannschaft um Merkel, ohne weitere Choreografie. In der „von Adrenalin getränkten Stimmung“ wäre dies gar nicht möglich gewesen, so ein Zeuge. Als alles bereit zu sein schien, rief einer: „Der Müller fehlt!“, worauf der Matchwinner schnell hinzugeholt wurde, mit bedeckten Lenden, aber ohne Trikot.

Das Mannschaftsfoto mit Kanzlerin ist der vorläufige Höhepunkt in Merkels Fußball-Ikonografie. Die Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 war die erste, die sie als Kanzlerin erlebte. Damals suchte Merkel das Team vor Turnierbeginn im Hotel auf, ein eher steifer Besuch, in dessen Verlauf sie sich mit Torwart Jens Lehmann über das deutsche Steuersystem unterhielt. Während des Turniers entstanden dann die ersten Bilder, die inzwischen zur Kanzlerinnenklassik gehören: Merkel mit verzerrten Gesichtszügen nach vergebenen, oder mit eingezogenen Schultern und angewinkelten Armen beim Jubel nach genutzten Torchancen.

Die Visite in der Kabine von Salvador war mit dem Deutschen Fußball-Bund verabredet. 2010 hatte es Irritationen gegeben, weil sich der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger von Merkel übergangen fühlte. Wegen eines Bildes, das die Kanzlerin mit dem deutsch-türkischen Spielmacher Mesut Özil zeigte, geriet Merkel zudem in Verdacht, sie instrumentalisiere ihre Nähe zu den Fußballern politisch. Da muss man natürlich erst mal drauf kommen.

Oben ohne

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München – Sabine Lühr-Tanck kann bis heute weder riechen noch schmecken. Voll arbeiten kann die Physiotherapeutin aus dem schleswig-holsteinischen Glücksburg auch noch nicht seit ihrem Unfall an einem Aprilnachmittag vor drei Jahren. Damals war sie wie so oft auf ihrem roten Hollandrad die wenigen Hundert Meter von ihrer Wohnung zur Praxis gefahren. Da öffnete die Fahrerin eines im Halteverbot abgestellten BMW plötzlich die Autotür. Lühr-Tanck stürzte, ihr Hinterkopf schlug auf den Asphalt. Die Ärzte stellten einen zweifachen Schädeldachbruch fest, Blutungen und Hirnquetschungen. Die damals 58-Jährige hatte keinen Helm getragen.



Unfallärzte sehen im Helm einen entscheidenden Lebensretter.

War sie deshalb, wenigstens teilweise, selber schuld an den schweren Verletzungsfolgen ihres unverschuldeten Sturzes? Nein, hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden. Auch Radfahrer, die keinen Helm tragen, haben im Falle eines Unfalls Anspruch auf vollen Schadensersatz durch den Verursacher. Das Nichttragen eines Fahrradhelms führe eben „nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens“, urteilten die Karlsruher Richter am Dienstag.

Sie hoben damit ein höchst umstrittenes Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig auf. Es hatte der helmlosen Radfahrerin ein Mitverschulden angelastet und ihr nur 80 Prozent des Schadensersatzes zuerkannt. Es könne „nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird“, hatten die norddeutschen Richter ihre Entscheidung begründet. Damit hatten sie sich bewusst gegen die bis dahin herrschende Rechtsprechung gestellt – was der BGH nun prompt wieder korrigierte.

Die obersten Richter räumten zwar ein, dass einem Geschädigten haftungsrechtlich durchaus ein Mitverschulden angelastet werden könne, auch wenn der Gesetzgeber keine Helmpflicht vorsieht. Aber das könne nur geschehen, „wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre“. Und das war es nach Überzeugung des Gerichts nicht: „Ein solches Verkehrsbewusstsein hat es zum Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin noch nicht gegeben.“ Der Vorsitzende Richter Gregor Galke verwies zur Begründung auf Beobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen. Danach trugen 2011 nur elf Prozent aller Radler innerorts einen Helm.

Diese Quote steigt zwar, aber nur allmählich. 2013 trugen 15 Prozent der beobachteten Fahrradfahrer einen Helm. Nach Ansicht von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sollten es deutlich mehr sein: „Wir werben immer wieder dafür, dass der Helm schwere Schäden verhindern kann“, sagte Dobrindt am Dienstag. Eine Helmpflicht – auch über die Hintertür der Haftpflicht – lehnte der Minister jedoch ab: „Wir glauben, dass die Freiwilligkeit der richtige Weg ist.“

Tatsächlich denkt die Bundesregierung nicht daran, Radlern das Tragen eines Helms vorzuschreiben. Zwar kamen 2013 auf deutschen Straßen 354 Radfahrer bei Unfällen ums Leben und mehr als 13000 zogen sich schwere Verletzungen zu. Unfallärzte sehen zudem klare Belege dafür, dass Helme ihre Träger bei vielen Stürzen vor schweren Kopfverletzungen und sogar vor dem Tod bewahren können. Verkehrsforscher fürchten jedoch, dass die Pflicht, einen Helm zu tragen, viele Menschen davon abhalten könnte, aufs Rad zu steigen. In Australien sank die Zahl der regelmäßigen Radfahrer nach Einführung der Helmpflicht Anfang der 90er-Jahre um fast ein Drittel – und auch das kann eine Gesellschaft teuer zu stehen kommen. Wer aufs Auto umsteigt, belastet Umwelt und Verkehr, bewegt sich weniger; das Risiko, an einem Herz-Kreislauf-Leiden zu erkranken, steigt. Eine im März veröffentlichte Studie des Münsteraner Verkehrswissenschaftlers Gernot Sieg hat errechnet, dass der volkswirtschaftliche Schaden einer Helmpflicht erheblich höher ist als ihr Nutzen.

Sabine Lühr-Tanck fährt übrigens wieder auf ihrem Hollandrad. Es war beim Unfall kaum beschädigt worden.

Quadrat- Denker

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Tokio – Quadratisch, praktisch, schnell: Masahiro Hara hat das Gesicht unseres Alltags verändert und die Autoindustrie weitergebracht. Bekannt ist der Erfinder des QR-Codes aber nicht einmal in seiner Heimat Japan. Sein Arbeitgeber Denso, Toyota-Tochter und Automobil-Zulieferer, hat die Lorbeeren von Haras Erfindung lange für das Unternehmen beansprucht. Erst seit Haras QR-Code Preise erhält – 2012 in Japan eine Auszeichnung für gutes Design und jetzt den Erfinderpreis des Europäischen Patentamts –, gewährt Denso dem QR-Code ein Gesicht. Und dem 56-Jährigen die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt.



Hinter den viereckigen Pixeln der QR-Codes können beliebige Informationen stecken.

QR-Codes, das sind jene Quadrate mit den kryptischen Mustern, die man auf Bordkarten der Airlines, als Navigationshilfen, auf Plakaten und in Museen zur Führung der Besucher sieht. Mit dem QR-Code kann man jede Art Text verschlüsseln. Das Quadrat fasst bis zu 7089 Ziffern, 2953 Buchstaben oder 1817 japanische Schriftzeichen. Das japanische Visum enthält einen, die Handy-Tickets der Bahn auch. Und seit es Smartphones gibt, kann man sich mit der eingebauten Kamera vom QR-Code direkt auf eine Webadresse schalten lassen. In Japan haben manche Leute bereits einen QR-Code auf ihrer Visitenkarte. Hara hat den QR-Code zu Beginn der 1990er-Jahre entwickelt, weil Denso mit dem gewöhnlichen Strichcode, den der Einzelhandel und die Post noch heute verwenden, an die Kapazitätsgrenze stieß. Der gewöhnliche, eindimensionale Barcode vermag nämlich nur zwanzig Ziffern zu verschlüsseln. Das reichte aber nicht mehr.

Für das Etiketten-System der Just-in-Time-Produktion von Toyota, brauchte man eine Methode, die sehr viel mehr maschinenlesbare Information erfasste. Und das schnell. „QR“ steht denn auch für quick response. Diese Methode sollte der damals junge Ingenieur Hara vor etwas mehr als 20 Jahren entwickeln. Toyota führte die Etiketten bereits 1953 ein, zuerst mit von Hand beschrifteten Karten, später mit Strichcode.

Das Ziel: Autos ohne Material-Lager zu bauen. Das verringerte Kosten und vermied Ausschuss. Allerdings mussten Toyota seine Lieferanten dazu bringen, ihre Komponenten auch zur richtigen Zeit in der richtigen Anzahl und Reihenfolge zu liefern. Das stellten die Autobauer mit den Kärtchen sicher, die jedes Teil von Anfang bis zum Einbau begleiteten.

Hara und seine vier Mitarbeiter, der Computeringenieur Takayuki Nagaya von Toyota, Motoaki Watabe, Tadao Nojiri und Yuji Uchiyama, experimentierten zunächst mit verlängerten Barcodes. Doch die brachten nicht viel. Also versuchten sie es mit zweidimensionalen Codes. Doch auch das funktionierte nicht. Man konnte zwar viel Information reinpacken, aber der Scanner brauchte viel zu lange, um den Code zu lesen.

In einem kurzen Film des Europäischen Patentamts erzählt Hara, wie er auf einem Spaziergang an einem Hochhaus mit einem Hubschrauberlandeplatz vorbeiging. Dieser hob sich markant von der gleichförmigen Fassade ab. Das brachte ihn auf die Idee, das Lesegerät brauche als Orientierungshilfe ein markantes geometrisches Muster.

Daraus entstanden die drei doppelten Quadrate in drei der vier Ecken jedes QR-Codes. „Mit nur drei statt vier Ecken haben wir nur einen rechten Winkel, so kann das Gerät Größe und Ausrichtung des Codes leichter erkennen”, erklärt Hara. Er habe tausende Schriften und Zeichen aus der ganzen Welt nach einem Symbol durchsucht, das noch nirgendwo verwendet wurde. Dabei kam er auf das Quadrat mit dem schwarzen Rahmen und einem ausgefülltes schwarzen Quadrat im weißen Inneren.

Sein Kollege Nagaya errechnete derweil Methoden für die Fehlerkorrektur, sodass auch verdreckte oder beschädigte Codes lesbar bleiben. 1994 publizierten die beiden ihre Erfindung.

Haras Arbeitgeber Denso hat den QR-Code zwar patentiert, verzichtet aber explizit auf die Durchsetzung seiner Rechte. Damit ist der QR-Code weltweit frei verfügbar und standardisiert. So gibt es Websites und Apps für Smartphones, die jeden beliebigen Text in QR-Code umwandeln. Dafür hat Denso die Produktion von QR-Scannern, die für den Eigenbedarf der Firma entwickelt wurden, zu einem eigenen Geschäftszweig gemacht. Den gleichen Weg geht Denso mit ihren Industrie-Robotern: Auch sie sind von der Entwicklung für den Eigenbedarf zum Produkt geworden.

Inzwischen gibt es auch einen Mini-QR-Code. Und Firmen, die auf jugendlich machen, Kneipen zum Beispiel, montieren ihr Logo ins QR-Code-Quadrat. Als Hara im November 2012 den Besuchern der Ausstellung für gutes Design seinen preisgekrönten Code vorstellte, tat er das als bescheidener Salaryman, ein Fußsoldat seiner Firma im Anzug. Und fast scheu. Er verlor kein Wort über sich als Erfinder, stattdessen pries er die fast universelle Anwendbarkeit des Codes vor allem seit es Smartphones gebe. Das habe man sich damals nicht vorstellen können. In drei Minuten war er fertig. Aufgefallen sind bloß sein Mittelscheitel und Spitzen seiner schwarzen Haare, die ihm in die Augen fielen. Dazu eine goldene Krawatte.

Viel mehr Individualität billigen traditionelle japanische Firmen ihren Mitarbeitern kaum zu. Auch nicht einem Erfinder, der unseren Alltag veränderte. Und wahrscheinlich fiele es einem Salaryman wie Hara auch gar nicht ein, mehr Ruhm oder mehr Geld zu verlangen.

Aussagen eines Kumpels

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München – Das alte Ehepaar hat den kleinen Bernd B. noch im Bus getroffen, spät abends in Jena, als es schon dunkel war. Ein aufgeweckter Junge war das, der sagte, er gehe zu seinen Großeltern, die ums Eck wohnten. Das Ehepaar rief ihm noch hinterher: „Geh mit keinem Fremden mit. Das ist gefährlich.“ Dann sieht man den Neunjährigen in der Dunkelheit verschwinden. Die alten Leute waren die letzten, die ihn lebend gesehen haben. Zwölf Tage später wurde er tot am Ufer der Saale gefunden. Die Sendung „Aktenzeichen XY-ungelöst“ hat den Mord 1993 nachgestellt, seit 21 Jahren ist er ungeklärt.



Der Zeuge Enrico T. geht nach seiner Aussage im NSU-Prozess am 18.03.2014 durch einen Gang im Oberlandesgericht in München.

Nun hat die Staatsanwaltschaft Gera die Ermittlungen wieder aufgenommen – und sie führen zu einem Mann, der zum Umfeld der rechtsradikalen Terrorbande NSU gehört: Enrico T.. Er wird verdächtigt, ein Bindeglied beim Beschaffen der Waffe gewesen zu sein, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mutmaßlich neun Morde begangen haben. Für den zehnten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn nutzte der NSU eine andere Waffe.

Enrico T. ist ausgerechnet jetzt als einer der nächsten Zeugen im NSU-Prozess vorgesehen. Am 2. Juli soll er über seine Rolle als mutmaßlicher Waffenbeschaffer befragt werden – wieder einmal, denn das Gericht hatte sich schon stundenlang mit ihm beschäftigt. T. gilt als besonders hartleibig, will sich an nichts erinnern und treibt alle im Prozess an die Belastungsgrenze.

Doch nun könnte es eng für ihn werden. Die NSU-Ermittlungen haben nicht nur Erkenntnisse über die rechtsradikale Szene in Sachsen und Thüringen gebracht, sondern auch über persönliche Vorlieben. Ein Aussteiger aus der rechten Szene hatte gesagt, Enrico T. „steht auf kleine Kinder“. Auch ein Navigationsgerät von Enrico T. wurde ausgewertet, und dort fand man eine Auffälligkeit: Immer wieder soll der Mann Schulen angesteuert haben. Das hat bei den Ermittlern den Verdacht, der Mann könne pädophile Neigungen haben, nicht verringert.

Nach dem Tod des neunjährigen Bernd 1993 stand Enrico T. schon einmal im Fokus der Ermittlungen. Ganz in der Nähe des Fundorts der Leiche wurde ein weißer Außenbordmotor gefunden, der zu seinem Boot gehörte. Aber die Polizei kam damals nicht weiter. Jetzt versucht sie es noch einmal. Die „verbesserten Möglichkeiten, Spuren auszuwerten“ seien der Anlass, sagte Staatsanwalt Jens Wörmann der dpa. Nähere Angaben macht der Staatsanwalt nicht, auch nicht dazu, ob der Junge damals sexuell missbraucht worden ist. Das BKA wertet die Spuren aus.

Nach dem Auffliegen des NSU wurde Enrico T. verhört. Er kam auf den Kindermord zu sprechen, bei dem er als Tatverdächtiger galt. Er bestritt, etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Sein Boot mitsamt Außenbordmotor sei ihm gestohlen worden. Er habe es vor dem Verschwinden des Jungen eine Woche lang vergeblich gesucht, sagte er.

In dieser Vernehmung, als Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schon tot waren und nicht mehr reden konnten, kam Enrico T. in den Sinn, dass es womöglich sein alter Kumpel Böhnhardt war, der mit dem Mord etwas zu tun haben könnte. Mit ihm hatte er angeblich Streit. Böhnhardt soll die Tat Enrico T. in die Schuhe geschoben haben. Nachdem T. vom NSU in der Presse erfahren habe, vermute er nun, dass Uwe Böhnhardt etwas damit zu tun habe. Der habe gewusst, wo das Boot lag, denn gemeinsam seien sie damit auf der Saale gefahren. Darüber solle sich mal jemand Gedanken machen, gab Enrico T. zu Protokoll. Er lebe damit seit jener Zeit und wolle das nun erzählen, sagte er noch. Plötzlich drückte das alles auf seiner Seele. Man kann das glauben, man muss es aber nicht glauben. Die Staatsanwaltschaft Gera erklärt denn auch, Böhnhardt sei nie als Tatverdächtiger geführt worden. Nur als Zeuge.

Rom und Paris rütteln am Stabilitätspakt

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Brüssel – Eine Staatengruppe unter Führung von Frankreich und Italien dringt vehement auf eine Abkehr von der bisherigen, allein auf die Haushaltssanierung zielenden Stabilitätspolitik in Europa. Die Regierungen in Paris und Rom wollen erreichen, dass kreditfinanzierte staatliche Investitionen in Wachstum und Beschäftigung nicht mehr auf das Budgetdefizit angerechnet werden. Krisenländer erhielten so mehr Zeit, ihre Finanzen in Ordnung zu bringen. Im Gegenzug sollen sich die betroffenen Regierungen dazu verpflichten, wichtige Strukturreformen anzupacken.

Die Initiative geht von der sozialdemokratischen Parteienfamilie in Europa aus, die in Frankreich wie in Italien die Regierung anführt. Auch die SPD unter ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel unterstützt die Initiative, wie der Bundeswirtschaftsminister bereits am Montag angedeutet hatte. Die Sozialisten im Europaparlament machen auch ihre Zustimmung zu den anstehenden Personalentscheidungen in Brüssel von einer Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts abhängig.

„Wir müssen die Regeln anders interpretieren“, sagte Hannes Swoboda, der bisherige Fraktionschef der Sozialisten, am Dienstag in Brüssel. Diese Forderung habe er auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy vorgetragen. Van Rompuy ist als Chefunterhändler der Regierungschefs unterwegs, um zwischen den Parteien im Parlament und den Hauptstädten die europapolitischen Prioritäten bis 2019 auszuloten und ein Personalpaket zu schnüren. Van Rompuy sei in Kontakt mit Italiens Premierminister Matteo Renzi, „um einen Vorschlag vorzubereiten, wie der Pakt flexibler ausgelegt werden kann“, sagte Swoboda. Der Vorschlag solle beim EU-Gipfel Ende kommender Woche vorgelegt werden.

Vor allem die französische Regierung hat große Probleme, ihren Haushalt in den Griff zu bekommen. Der Stabilitätspakt begrenzt die jährlich Neuverschuldung auf drei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung, die Gesamtverschuldung soll 60Prozent nicht übertreffen. Die meisten EU-Länder verletzen beide Kriterien. Italien und Frankreich argumentieren, dass die rigide Sparpolitik ihren Volkswirtschaften schade, weil sie das Wachstum hemme.

Obwohl auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Probleme sieht, ist kaum vorstellbar, dass sie den Plänen der Franzosen und Italiener folgen wird. Bisher hatte sie es aus Angst vor Missbrauch stets abgelehnt, einzelne Ausgabenblöcke aus dem Defizit herauszurechnen. Das Bundesfinanzministerium betonte bereits, der Stabilitätspakt biete genug Flexibilität, um eine wachstumsfreundliche Konsolidierung zu ermöglichen. Dagegen erklärte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, viele Länder seien wegen der tiefen Krise in Europa gar nicht in der Lage, ihre Haushalte im bisher vorgesehenen Tempo zu sanieren. Die Idee, „höhere Defizite zuzulassen, aber eng an Reformen zu knüpfen, ist daher richtig“, sagte er.

Tagesblog - 18. Juni 2014

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17:20 Uhr: So, ich verabschiede mich nun in den Feierabend. Das mit dem f******-freien Ticker (das war die Lösung) kann ich jetzt am Schluss auch brechen. Aber nur, weil "The IT-Crowd" so toll ist. Und diese Szene auch. Wer die Serie nicht kennt, unbedingt gucken!

http://www.youtube.com/watch?v=ESVjzf4FzyU

Danke für den Hinweis in den Momenten, satansbraten!

Das letzte Wort des Tages hat Kanye West, der erneut (!) sagte: "Ich bin Steve Jobs’ Nachfolger" Gut, Kanye West sagt viel...

Habt einen schönen Abend! Morgen ist hier Feiertag, deswegen gibt es erst wieder am Freitag einen Tagesblog. Und zwar mit: Mercedes.

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16:15 Uhr: Jetzt muss ich euch noch unsere schöne München-Seite zeigen, die heute in der SZ ist:





Wir dachten: Wenn man wissen will, welche Geschichte wirklich hinter dem Widmungsschild einer Parkbank steckt, muss man sie erfinden. Genau darum haben wir drei junge Münchner Schriftsteller gebeten. Hier könnt ihr die Geschichten lesen.

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15:53 Uhr:
Gut, wenn euch die Ziege nicht gefällt (ich nenne keine Namen, Digital_Data). Ich hab da auch noch ein Wolfsbaby mit Schluckauf:

http://www.youtube.com/watch?v=lNY79Ktq_vg&feature=youtu.be

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15:01 Uhr: Und noch mal ein bisschen Weltgeschehen:

* Erfreulich: Der Rettungstrupp mit dem verletzten Forscher W. in der Riesending-Höhle in Berchtesgaden nähert sich der Oberfläche. Sobald sie gut oben angekommen sind, dürfen wir dann auch endliche Witze über den Namen der Höhle machen.
* Beunruhigend: Laut des neuen Verfassungsschutzberichts für 2013 ist die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten extrem angestiegen.
* Aha 1:Slingshot ist das neue Snapchat.
* Aha 2:Es gibt jetzt Stinkefinger-Emoticons. Puh!

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14:30 Uhr: Heute ist es recht still hier, ich komme endlich mal wieder dazu, mich ein bisschen durch eure User-Texte zu lesen. Sehr Schönes finde ich da, beispielhat pflücke ich diese Tagebuchepisode von nameless_miss als Leseempfehlung heraus. Und ich muss nochmal the-wrong-girl nennen (ich bin ehrlich neidisch, dass Charlotte sie vor kurzem getroffen hat und ich nicht!): Die hat sich eine Mädchenfrage ausgedacht, und das schon am Dienstag!

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(Illustration: Katharina Bitzl)

13:33 Uhr:
So, wieder da. Vielleicht habt ihr gerade noch Mittagspause und freut euch über diesen tollen Text von Dorian: In der neuen Ausgabe der Herzensbrecher-Kolumne schreibt er über zwei, die ein Date haben, und der eine sich für den anderen schämt. "Knack", macht es da bei mir.

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12:40 Uhr: Das Tagesblog-Gewinnspiel ist vorbei. Die wunderbare the-wrong-girl hat gewonnen. Und das mit nur einem Tipp! Wir gratulieren! Und ich bin froh, dass doch noch jemand mitgetippt hat. Jetzt kann ich entspannt in die Mittagspause gehen.

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11:29 Uhr: Wichtige Meldung: Ich habe nun einen Preis gefunden. Auf Wunsch signiert vom Künstler, Jakob Biazza.





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11:22 Uhr: Kleine Frage zwischendurch: Was soll man mit den wunderbaren Menschen, die bei der Beseitigung der Sturmschäden in der vergangenen Woche geholfen haben, nicht tun? Sie wegen Ruhestörung bei der Polizei melden. Kommt keiner auf die Idee? Oh doch...

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(Foto:Gortincoiel/photocase.de)

10:48 Uhr:
Ich gebe zu, ein paar Bücher aus der Kategorie "Chick Lit" liegen auch noch bei mir rum. Das ist wie mit den Diddl-Blättern. Was "Chick Lit" ist und warum Therese das Prinzip des leichten Frauenromans eigentlich gut findet - und uneigentlich doch wieder nicht - könnt ihr hier lesen. Hat sie Recht, die Gute!

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09:55 Uhr: Nun also die Nachrichten:

* Der mutmaßliche Drahtzieher des Anschlags auf das US-Konsulat in Bengasi wurde festgenommen.

* In Nigeria gab es eine Explosion bei einer Public-Viewing-Veranstaltung.

* YouTube will bald Musikvideos von Indie-Bands wie The XX und Radiohead sperren, wenn deren Plattenfirmen nicht bei seinem neuen Streaming-Dienst mitmachen.

* ... und unsere wunderbare Teresa hat für die Kollegen von Puls einen Nachruf auf den Bierdeckel geschrieben. Bei mir daheim heißt er Bierfuizl. Und der könnte bald von den Wirtshaustischen verschwinden. Ich finde, das darf nicht passieren!
Und stelle die Frage in die Runde: Wie heißt der Bierdeckel bei euch?

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http://www.youtube.com/watch?v=qvI8ZE3dzbo

09:23 Uhr: Eigentlich wollte ich gerade berichten, was heute in der Welt wichtig ist und wird - außer der Horrormeldung mit der Maus. Dann habe ich dieses Video auf Facebook gesehen, das mich an meinen morgendlichen Niesanfall erinnert (und das ich unbedingt mit euch teilen muss). Das mit dem Niesen ist fast vorbei. Danach geht's weiter mit den Nachrichten.

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(Foto: ap)

09:14 Uhr:
Im Ticker geht es heut um die Diddl-Maus. Die Notizblöcke, Tassen und T-Shirts mit der seltsamen (in der Konferenz eben wurde sie als "extreme Mutation" bezeichnet) Maus werden nämlich bald nicht mehr hergestellt. Meine stolze Diddl-Blatt-Sammlung hat meine Mama erst vor kurzem endgültig vernichtet. Wie war das bei euch? Was habt ihr auf dem Schulhof getauscht? Pokémon-Karten? Sticker? Panini-Bilder? (Wir empfehlen ja POnini-Bilder.) Verratet es uns hier!

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08:35 Uhr:
Guten Morgen und herzlich willkommen zu einem Ticker mit Konzept. Wer es errät, bekommt einen Preis. Welchen, muss ich mir noch überlegen.
Ich wühle mich mal durch die Sachen, die auf meinem Schreibtisch zur Lektüre bereit liegen. Aber nur kurz. Dann muss ich nämlich zur Konferenz in den 20. Stock sprinten.

Boy meets Girl meets Holzhammer

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Eigentlich habe ich kein Problem mit Goldhamstern. Es stresst mich nicht, wenn ich in der U-Bahn mit ihnen gesehen werde, selbst wenn sie dabei auf einem pinken Cover kleben und Herzen in den Pfoten halten. Auch was "freche" Sparwitztitel wie "Gegensätze ziehen sich aus" für meine Nahverkehrs-Street-Credibility bedeuten, juckt mich nicht weiter.  Leider ist das Buch dahinter selten gut. Und das ist schade.





Chick Lit könnte Spaß machen. An schlagfertig-witzigen Romane mit (mehr oder wenig) jungen Heldinnen, denen man bei der Suche nach Mr. Right über die Schulter schauen kann, ist an sich nichts verkehrt. Schon unsere Mütter haben 1972 über "Sheila Levin ist tot und lebt in New York" gelacht – so etwas wie der Urknall des Genres. Seitdem liefern Helen Fielding, Cecilia Ahern, Marian Keyes oder Kerstin Gier non-stop lockere Ich-Erzählungen oder Tagebucheinträge nach. Die Grundhandlung hat unbedingt Potenzial: "Girl meets Boy, Girl erkennt erst nicht, dass es sich um DEN Boy handelt, es gibt Verwirrung, aber zum Schluss wird doch noch alles gut." Jane Austen hat diese Vorlage in Weltliteratur verwandelt. Und selbst durchschnittsbegabte Normalschreiber sollten es hinbekommen, aus diesem Plot solide Unterhaltung zu zimmern. Und damit die Grundlage für eine angenehme Parallelwelt, in die ich mich eine Weile vor fiesen Statistiktests oder meinem Kontostand flüchten kann. Meine Freundinnen haben schließlich nicht immer Zeit zum Quatschen. Manche stellen sich für diese Flucht ein Auenland samt Hobbits oder Stockholm im Dezember 1982 vor. Mir reicht es, wenn es die wahre Liebe noch gibt. Aber bitte nicht die schicksalsschwere, Nackenbeißer-große, sondern die schicke, urbane, selbstbewusste.

Die Autoren können für diese Illusion ruhig mit Klischees und Versatzstücken um sich werfen. Es darf gern in einer Werbeagentur geknutscht werden, nachdem die Protagonistin fünf Appletinis geext hat. Katastrophen sollen sich darauf beschränken, dass ER nicht zurückruft oder SIE aufs Land ziehen muss. Und ja, nennt die "Mädels" durchgängig Marie, Shazzer oder Cora heißen und alle Männer Paul. Stört mich gar nicht.

Was mich sehr wohl stört, sind schlechte Bücher. Lieblos zusammengetipptes Zeugs, das die Autorinnen offensichtlich selbst nicht ernst nehmen. Vielleicht können sie auch einfach nicht schreiben. Ist letztlich egal, bloß fällt so viel erfolgreiche Chick Lit unter die Kategorie "Murks". Ildikó von Kürthy, die mit "Sternschanze" seit Wochen in der "Spiegel"-Bestsellerliste steht, hält zum Beispiel seit zigtrillionen Büchern an einem biederen Sparkassenstil fest.

Nicola Lubitz, die Protagonistin von "Sternschanze", tut "nichts ohne viel Gefühl. Nicht mal Spaghetti essen." Zu Beginn der Handlung schreitet sie noch in schickem Ambiente zur einfühlsamen Tat. In ihrer Wohnung "führt eine Wendeltreppe, die betrunken und mit hochhackigen Schuhen eine echte Herausforderung darstellt, auf die Galerie mit dem offenen Schlafzimmer, an das sich ein selbstverständlich offenes Ankleidezimmer anschließt, das dreimal so groß ist wie das Kinderzimmer im Haus meiner Eltern." Aber ach, kurz nach diesem Schachtelexzess muss Nicola schon wieder von vorne anfangen. Sie ruft an Silvester nämlich ihre Affäre an und überträgt das via Babyphon an alle Partygäste – Ehemann inklusive. Hätte die Heldin doch nur auf ihren Instinkt gehört, der schlug schon Alarm, als sie schick machte und "mit einem für mich eigentlich untypischen störrischen Stolz das Badezimmer verließ." Was auf den 300 folgenden Seiten noch passiert, will ich gar nicht wissen. Vor allem nicht: lesen!  

So dankbar Ildikó von Kürthy als Zielscheibe ist – sie ist natürlich nicht die einzige. Auch Mia Morgowski, die lange auf Aufreißer und cool verpeilte Jungs spezialisiert war, kommt eher sperrig als lässig daher. Kerstin Giers Romanen merkt man die Vielschreiberei ihrer Autorin etwas zu sehr an. Bieder, bieder, bieder liest sich "Das Hochzeitversprechen" von Sophie Kinsella. "Hätte nicht gedacht, dass du zu der Sorte Frauen gehörst, die sich sang- und klanglos aus dem Staub macht", sagt der Dude zum Mauerblümchen in Carly Phillips‘ "Liebe auf den ersten Kuss". Auch sonst ist das Buch voll mit Sätzen zum Fußnägelaufrollen. Und selbst Altmeisterin Helen Fielding schreibt zehn Mal auf drei Seiten "Kein Grund zur Panik!". Und das alles bei den Superstars des Genre!  

Wobei: Dass diese Autorinnen trotz lieblosen Rumgeschreibes zu Chick-Lit-Superstars werden konnten, ist genau das Problem. Damit haben sie dem Genre einen Bärendienst erwiesen. Wenn Verlage mit mittelmäßigen Texten Riesenmengen Bücher absetzen können, kaufen sie natürlich entsprechend nach. Sie befriedigen die Nachfrage mit allem, was der Markt hergibt – gerne auch mit suboptimalen Manuskripten unbegabter Nachschreiberinnen. Perlen wie die direkte Martina Brandl oder der sensibel komische Michel Birbaek bleiben so die Ausnahme. Beide schreiben über Leute, die man gerne um sich herum hätte: Die großmäulig-verpeilte Heldin aus "Halbnackte Heldin" dürfte mir gerne ein Bier aufbeißen und mit den Sensibelingen aus allen Birbaek-Romanen lässt sich bestimmt gut grübeln. Leider sind sie Einzelfälle. Ob an dem Dilemma nun die Verlage schuld sind, weil sie vor allem Massenware anbieten, oder die Leserinnen, weil sie sich mit So-la-la-Büchern begnügen, macht dann keinen Unterschied mehr. Vielleicht sollte ich Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen einmal eine Chance geben.

Was mir das Herz bricht: Dating-Scham

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Letzte Woche war ich bei einem Festival für Junge Literatur in Weimar zu Gast. Es war sehr schön. Es gab eine Licht-Wanduhren-Installation, eine versteckte Leseecke für Leute, die nachts in Ruhe ein bisschen Shakespeare lesen wollten, und einen Eisverkäufer mit schwarzer Fliege. Außerdem: Lesungen, Konzerte, im Anschluss Party. Wie auf den meisten Literaturveranstaltungen mit jungem Publikum, waren auffallend viele schöne Mädchen auf diesem Festival. Und fast alle sahen klug aus!





Ganz besonders fiel mir ein zierliches braunhaariges Mädchen auf. Aber gar nicht, weil sie besonders schön war (war sie) und ihr weißes Sommerkleid in der Sonne blitzte (tat es) und hübsch umherschwang, wenn sie ging (tat es auch), sondern wegen ihrer Begleitung: Er war genauso klein wie sie und ansonsten von allem das Gegenteil, eine ins Negative gekehrte Spiegelung: Ihre Haut blühte, seine war fahl. Ihr Haar glänzte, seins war stumpf. Sie bewegte sich anmutig, er watschelte. Sie eine Lavendelblüte, er ein Wurzelsellerie. Ja gut, warum nicht, vielleicht kann er was, was man nicht sieht. Vielleicht strahlte er nur an diesem Tag den Charme einer überfahrenen Ratte am Straßenrand aus. Vielleicht ist er schlicht und einfach der krasseste Typ auf Erden und dieses wunderschöne Mädchen liegt ihm zu Füßen, obwohl er kurze Hosen und dazu ausgeleierte graue Wollsocken trägt. Und aus was für edleren Stoffen müsste dann ihre Zuneigung füreinander gewebt sein, mit welcher Grandezza könnten sie auf Vorurteile von unbedarften Betrachtern wie mir herabblicken, ach, wäre das toll!

So saß ich da, schaute die beiden an und hoffte und hoffte vergeblich. Denn es war so offensichtlich wie traurig, dass sich das Mädchen für ihr Date schämte. Mit bangem Blick schien sie ständig nach Leuten zu suchen, die sie kennt, aber in Begleitung des Wurzelselleries lieber nicht treffen wollte. Wenn sie die Clubräume nicht abscannte, wirkte sie auf sich selbst fixiert, als blickte sie nach innen, auf eine große Beklommenheit, die in ihrer Brust unschön anschwoll und sich anfühlen musste wie ein schmuddeliger feuchtwarmer Spüllappen, den man ihr ums Herz geschlagen hatte. Sie sprachen kaum miteinander.

Dann gingen sie an die Bar. Sie ging voraus, er watschelte hinterher, ein bipolares Tandem. Und was hatte sie in der Hand, als sie wiederkam? Limo! Sie trank verdammte Limo! Und er auch! Eine Getränkewahl als Absage an die letzte Hoffnung des Wurzelselleries: Sie würden heute, in dieser ersten lauen Sommernacht des Jahres, nicht betrunken zusammen abstürzen und passieren lassen, was passiert, und nie wieder darüber reden. Diese Nacht würde nicht zum großen und stillen Triumph für den Wurzelsellerie werden und er würde nicht in vielen, vielen Jahren noch wissen wie ihr Haar roch und wie weich ihre Haut war, denn sie tranken Limo. Das alles brach mein Herz.

Ich dachte an die unerwiderten Schwärmereien meiner frühen Jugend, an die Enttäuschung nach kurzen Hoffnungsschimmern, an die Zurückweisungen und an den Schmerz, die Wut, die Verzweiflung und die Angst, niemals geliebt zu werden. Und ich dachte an all die tausend und millionen unerwiderten Lieben auf der Welt und die vielen schmalzigen Popsongs, die wir ihnen zu verdanken haben, die hunderten Dichterwerdungen, die sich so vollzogen. Und ich wurde wütend auf all die Jungs und Mädchen, Männer und Frauen, die mit Dates auf Veranstaltungen gehen und sich für sie schämen, weil sie zu feige sind, abzusagen oder, noch schlimmer, heimlich das Begehren des anderen genießen und Hoffnungen schüren, wo es keine Hoffnungen gibt, wo es nur Enttäuschung und Tränen und Selbsthass gibt.

Jungs und Mädchen, ihr Wurzelselleries dieser Welt, wollte ich rufen, scheißt auf die Lavendelblüten, männliche wie weibliche! Wenn sie alt werden und trocken, steckt man sie in kleine Säcke und dann stinken sie und halten die Motten fern, mehr aber auch nicht! Aber natürlich rief ich nichts, sondern ging an die Bar und kaufte mir eine Limo.                   

Bankgeheimnis

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Es ist wie es ist





"Weißt du, was es für ein Stress war, einen Babysitter zu bekommen?", fragt Katja. Ihre Augenbrauen ziehen sich dabei ein klein wenig zusammen und werden beinahe waagrecht. Als würden beim Schiffeversenken zwei mittlere Boote fast direkt nebeneinander liegen, mit nur einem Feld dazwischen. Mit F2 bis F8 könnte Stefan ihre halbe Flotte versenken.
 
"B1", sagt Stefan, weil er nicht will, dass das Spiel vorbei ist.

"Bitte?", fragt Katja, weil sie sich ihrer strategiespielähnlichen Brauen nicht gewahr ist.
 
"Tut mir Leid, dass du so einen Stress hattest", sagt Stefan vorsichtig. Er spürt, wie sein Herz etwas schneller pocht als sonst und ab und zu mal einen Schlag vergisst. Das hat er sonst nur, wenn die Löwen führen. Es ist diese Mischung aus Euphorie und Ungläubigkeit, aus der Freude über den schönen Moment und der Angst, er könnte bald schon wieder vorbei sein. Er schaltet in den Vierten. Die anderen Autos auf dem Mittleren Ring tun so, als wären sie aus Versehen hier und lassen ihm schüchtern genug Platz, um zielstrebig in Richtung der Schwabinger Ausfahrt zu gleiten.
 
Es war eine spontane Eingebung: Ein Geschäftstermin führte ihn eines Werktags an die Münchner Freiheit und mittags gingen er und seine Partner zum Essen ins Seehaus. Nicht sein liebster Platz in München, bei Weitem nicht, aber am Ende der weit gestreckten Rechtskurve, die zum Wirtshaus führt, nachdem einige Schwäne und Gänse passiert waren, fing sein schweifender Blick die alte Brücke ein, die den Südteil mit dem nördlicheren verbindet. Während des Essens konnte Stefan sich dann der Erinnerungen nicht mehr erwehren, die wie die hungrigen Enten angetrieben kamen, welche sich, zuerst nur vereinzelt, dann in immer größerer Anzahl, um die wenigen Brotkrumen stritten, die einige Touristen vor dem Fenster in den See streuten. Eine Ente erzählte von den unzähligen Sommerabenden vor dem roten Haus des Biedersteiner Wohnheims, eine andere von einem Kellerfasching Anfang der Neunziger, als er diese buckelige Frau mit der scharfen Nase und der porösen Haut kennengelernt hatte, die etwas später, ohne Kostüm und Alkohol, zu seiner Freundin wurde. Immer mehr Enten näherten sich und jede hatte eine Geschichte dabei, die Katja und er in dieser Umgebung, nahe des mächtigen, ungezähmten Nordteils, gemeinsam erlebt hatten. Dann kam der Kellner und servierte ihn mithilfe der bestellten Entenbrust aus seinen Gedanken zurück in die appetitlose Realität.
 
"Mann, sagst du mir jetzt vielleicht endlich, was wir hier machen?", fragt Katja genervt. Ihre Augenbrauen sind zum Flugzeugträger geworden.
 
"Wir sind gleich da", sagt Stefan und greift nach Katjas Hand. Ein paar Schritte noch.
 
Kurz vor Feierabend war Stefan vor ein paar Tagen in der Verwaltung des Englischen Gartens aufgetaucht, um ein Schildchen auf einer Bank zu kaufen und den Text gravieren zu lassen, den er sich ausgedacht hatte. Er wollte Katja mit dem letzten Vers ihres Lieblingsgedichts überraschen, das sie ihm damals so oft vorgelesen hatte, in der Hängematte zwischen ehrfürchtigen Bäumen, im Dämmerlicht des Studentenzimmers, und immer wieder auf dieser einen Bank im Englischen Garten, ihrer Bank. Doch als er nach dem Vers gefragt wurde, fiel er ihm plötzlich nicht mehr ein. Er rief einen Freund an, fragte ihn nach Katjas Lieblingsgedicht, fluchte, flehte ihn an, sich zu erinnern, irgendwas mit Gefühlen, die verschiedene negative Dinge sagten, es sei dumm, es sei fahrlässig, so was in die Richtung. Der Mann in der Verwaltung meinte brummend, das klänge eher nach Interviews mit Löwen-Spielern, dann warf er die Suchmaschine an und half bei Suche nach dem von Katja so geliebten Schlussvers. Irgendwann kam sein Freund darauf, dass die Liebe auch irgendwas sage, und zwar am Ende, dass eh alles egal sei, weil es ohnehin sei wie es sei, irgendwie so. Womit bewiesen sei, dass man einen Fußballclub lieben könne, folgerte der Verwaltungsangestellte schwermütig, dann tippte er den von Stefan weitergegeben Satz in sein Formular.
 
"Es ist wie es ist?", fragt Katja. Sie und Stefan stehen vor einer golden beschlagenen Bank.
 
"Ja, das ist doch aus deinem Lieblingsgedicht", sagt Stefan. "Wie findest du es?"
 
",Es ist, was es ist’, sagt die Liebe", sagt Katja. Und wieder einmal kassiert Sechzig in der Nachspielzeit den Ausgleich.

"Was? Aber das kann doch nicht sein!", stammelt Stefan. "Alles geht schief. Ich wollte doch extra unsere alte Bank . . . und die Worte von damals . . . damit wir eine Erinnerung haben, an früher, wie es war, vor dem Geldverdienen, vor dem Kindererziehen. Vor der Vorortzeit."
 
"Unsere alte Bank?", fragt Katja lächelnd und zeigt in Richtung Amphitheater. "Die stand aber weiter da hinten."
 
"Ja, die wollte ich eigentlich auch. Aber die war nicht mehr frei", sagt Stefan und fühlt sich, als würde jemand einen schweren Stein in den See fallen lassen, woraufhin alle Enten schlagartig auseinander stieben.
"Aber das macht doch nichts", sagt Katja und vergräbt ihre Arme unter seinem offenen Mantel. "Was für eine schöne Idee das war. Ein bisschen kitschig, aber schön. Es ist zwar nicht die Bank von früher, es ist nicht der Spruch von früher, aber es ist ja auch nicht mehr unser Leben von früher. Und zumindest haben wir jetzt wieder eine kleine Verbindung in diese Zeit."
 
Stefan grummelt irgendetwas vor sich hin. Es ist schwer, enttäuscht zu sein, wenn Katja ihn so anlächelt. Sie zieht ihn auf die Bank und lehnt sich an ihn.
Es ist wie es ist, sagen Katja und Stefan.




Alex Burkhard ist Mitglied der Münchner Lesebühne "Westend ist Kiez". Sein Erzählband "...und was kann man damit später mal machen?" erschien 2013 im Satyr-Verlag.
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Die Liebe hört niemals auf





Immerhin haben sie mich schnell betrunken gemacht. An zwei Dingen erkennt man gute Freundinnen: Erstens, sie muten einem keine peinlichen Dinge zu. Zweitens, falls sie es doch tun, sorgen sie für genug Schmierstoff. Also bin ich gerade bestens gelaunt und vollständig bekleidet in den Eisbach gesprungen, um ein aufblasbares Krokodil zu retten. So lautete zumindest die Aufgabe. In Wahrheit rettete das Krokodil mich. Ich musste es nämlich querstellen und zwischen zwei Steinen verkeilen, um überhaupt wieder an Land zu kommen.
 
Meine Freundinnen sind derweil am Eisbach entlang gerannt und sehen keuchend zu, wie ich mich mit der Eleganz einer Unke am Ufer hochziehe. "Wir dachten schon, wir müssten dich um Mitternacht am Stauwehr in Oberföhring wieder einsammeln!", sagt Carla und reicht mir ein Handtuch. Neben ihr sitzen ledrige ältere Herrschaften in mitgebrachten Liegestühlen, die ihre Schafkopf-Partie unterbrochen haben, um mich entgeistert anzustarren. Womöglich gebe ich ein merkwürdiges Bild ab, denn ich wurde ohne nähere Angabe von Gründen gezwungen, ein Krönchen zu tragen, das nun schief in meinen Haaren hängt. Ich wringe den Rock meines Sommerkleides aus. Der Abend dieses Augusttages ist noch so heiß, dass es schnell trocknen wird.
 
Natürlich hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich wollte mir nur einen schönen Tag mit meinen Freundinnen machen – ohne Krönchen und Krokodile. Aber ich war auch auf das Schlimmste gefasst: Heimlich hatte ich befürchtet, einem eingeölten Stripper den Plastiktanga herunterziehen zu müssen und mir ausgemalt, wie mein Geist dabei unter Protest meinen Körper verlässt und mich von der Zimmerdecke aus betrachtet. Dagegen war die Aufgabe, einen Surfer unter Verwendung der Reizworte "Hochzeit" und "Baby" um seine Handynummer zu bitten, noch ziemlich okay. Und auch das fünfminütige Trommelsolo im Monopteros, das ich unter Einsatz meiner beiden linken Hände performen musste, werde ich psychisch in nur wenigen Wochen überwunden haben.
 
"Schnaps!", ruft Nina jetzt, setzt ihren Rucksack ab und entnimmt ihm eine Flasche.
 
"Wer kam eigentlich auf die Idee mit dem Marillenschnaps?", jammert Carla. "Warum kein Prosecco?"
 
"Schnaps schmeckt auch warm", sagt Nina ungerührt und verteilt die Plastikbecher, auf die sie bei der ersten Runde unsere Namen geschrieben hat. Also vor etwa vier Stunden und ziemlich genau sechs Runden. "Außerdem explodiert die Flasche nicht, wenn man sie schüttelt. Und man muss weniger tragen."
 
"Das ist genau der Pragmatismus, den man für eine Ehe braucht!", jauchzt Ivana. "Prost!"
 
Ich trinke meinen Becher aus und ignoriere das Gefühl, gerade eine in Flammen stehende Aprikose im Ganzen verschluckt zu haben. Die Schafkopf-Lederhäute schauen neidisch drein und nippen an ihrem warmen Bier.
 
"Okay, was machen wir jetzt?", frage ich unternehmungslustig und womöglich leicht lallend.
 
Carla weist lächelnd an mir vorbei, wo unbemerkt drei Fahrrad-Rikschas Aufstellung genommen haben. Wir steigen ein und lassen uns durch den Englischen Garten chauffieren. Auf den Wiesen stellen die ersten Gruppen Fackeln auf.
 
"Du hast dir das gut überlegt mit der Hochzeit, Constanze, ja?", fragt Carla im bedeutungsvollen Tonfall der Betrunkenen.
 
"Oh ja", sage ich und habe Peters Lächeln vor Augen, in das ich seit vier Jahren unglaublich verliebt bin.
 
"Ein Glück." Carla schnauft. "Ich dachte, ich als deine Trauzeugin muss das fragen. Aber ihr zwei seid wirklich füreinander bestimmt. Einen geduldigeren Mann habe ich noch nie kennengelernt."
 
"Findest du etwa, man muss geduldig sein mit mir?"
 
"Hast du meine Handtasche gesehen? Und meinen Schlüssel? Kannst du mal unters Bett kriechen und dort nachschauen, während ich den Siphon abschraube? Da könnte er nämlich auch drin sein. Und wo ist mein Handy? Ich kann es nicht anrufen, ich hab den Ton abgestellt! Vielleicht im Blumenkübel auf dem Balkon, so wie beim letzten Mal…" Meine langjährige Mitbewohnerin bricht kichernd neben mir zusammen.
 
"Peter findet mein Handy immer ganz schnell", sage ich froh.
 
Wir fahren die Prinzregentenstraße entlang und zum Friedensengel hinauf. Dort bauen meine Freundinnen ein Picknick auf, während ich mich einfach hinsetzen und zuschauen darf, wie die Lichter der Stadt zu glitzern beginnen. Der Anblick macht mich schläfrig. Ich lege meinen Kopf auf Ninas Schnapsrucksack, schließe die Augen und lausche den fröhlichen Stimmen, den Grillen in den Isarauen und den gelegentlich vorbeirollenden Autos.
 
Als ich meine Augen wieder öffne, bin ich woanders. Ich liege auf einer Bank unterhalb des Friedensengels. Vor mir sitzen meine Freundinnen zwischen brennenden Kerzen und picknicken. Sie haben das Handtuch über mich gebreitet. Allmählich kühlt die Luft doch ab.
 
"Habt ihr mich hier runtergetragen?", frage ich verwirrt.

"Dich und alles andere", sagt Ivana.
 
"Hmm." Ich strecke mich wohlig, schaue in den Sternenhimmel und frage dann doch: "Warum?"
 
Alle schauen in meine Richtung. Nein, eigentlich schauen sie an mir vorbei. Ich folge ihren Blicken.
 
"Die Liebe hört niemals auf. Constanze & Peter, 13. August 2011", steht auf der neu-glänzenden Plakette. Gestiftet von meinen Mädels vom Junggesellinnenabschied.

"Oh, ist das lieb von euch!" Ich bin gerührt.
 
"Ja. Aber jetzt steh mal auf und komm mit!", sagt Nina und führt mich zur nächsten Bank. Auch dort blinkt eine neue Plakette. Ich muss mich vorbeugen, um sie im Halbdunkel zu entziffern:

"Und Freundschaft", steht da, "ist Liebe ohne den ganzen Stress."




Julia Bähr hat 2013 gemeinsam mit Christian Böhm den Beziehungsroman "Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen" bei Blanvalet veröffentlicht. Im März 2015 erscheint dort ihr neues Buch "Sei mein Frosch".

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Muckis Bankerl






Früher hat Mucki Sonnenschirme hergestellt und was das heißt, weiß niemand so genau. Fakt ist, es hat einen Unfall gegeben. Es muss kurz vor Feierabend gewesen sein, die Kollegen waren schon auf dem Heimweg. Am Morgen fanden sie den Mucki, ganz bleich, mit blauen Ringen unter den Augen. Jessas, dachten sie, das war’s jetzt mit dem, der schaut aus, als wär er hin. War er aber nicht. Nur ein bisschen langsamer als vorher, also viel langsamer, signifikant langsamer. Und mit dem Reden ging es nicht mehr so gut. Und mit dem Gehen. An die Schirme wollte ihn keiner mehr lassen. Mucki war nicht mehr zu gebrauchen.
 
Wenn man ihn später danach fragte, sagte Mucki: "Ich hab’ drei Jahre in Sankt Getreu gelebt und vier in Gauting", und er sagt die Namen wie die von Beach Resorts, aber wer sich auskennt, weiß: Das sind Irrenhäuser – oder wie auch immer man heute dazu sagt. Eigentlich, fand ich, ist er ein normaler Typ, er kam bloß nicht mehr so gut zurecht.
 
Ich bin der Security. Wenn eine Veranstaltung beginnt, und alle Leute drinnen sind, bleibe ich draußen stehen. Dann warte ich, und das ist gar nicht irgendwie romantisch, sondern langweilig. Später gehen alle Leute, und ich bleibe noch ein bisschen und packe beim Aufräumen mit an. Dann mache ich mich auf den Heimweg. Ich bin schon immer an Muckis Platz vorbeigekommen, ich habe mitbekommen, wie er ihn "bezogen" hat, aber es dauerte zwei Jahre, bis er mich, nach dem Vortrag eines berühmten Torwarts zum Thema "Die Philosophie der Nummer 1", schon von Weitem begrüßte: "Du bist doch der Australier", schrie er und nippte an seiner Limo.
 
"Quatsch", sagte ich und "Freilich", sagte der Mucki, "der Australier ist wieder da, braun bist geworden." Und von da an war das dann so, Andi der Aussie, später Aussie-Bär, der Statur wegen.
 
"Sonnenschirme sind eigentlich alles", sagte Mucki immer, sobald zu lange Ruhe eingekehrt war zwischen uns. Als ich das zum ersten Mal hörte, kannten wir uns noch nicht, also sagte ich: "Quatsch." Beim zweiten Mal sagte ich: "Na ja." Und schon beim dritten Mal fing ich an, darüber nachzudenken. "Wieso sitzt du hier?", fragte ich. "Zum Seele baumeln lassen." Mucki hat seine blaue Arbeitshose einfach angelassen, er sah immer aus, als käme er gerade aus der Sonnenschirmmanufaktur.
 
Jetzt ist Mucki verschwunden und das kann heißen: weggebracht oder tot. Ich stelle mir vor, dass ein Jogger ihn findet, wie er da liegt, ganz bleich unterm Bart und weggesackt, und während der Jogger auf der Stelle weiterjoggt, versucht er, Muckis Puls zu messen, was schwierig ist, ohne zu stolpern: bücken und joggen. Man weiß es ja nicht. Vielleicht taucht er wieder auf.
 
Ein Entenpärchen näherte sich uns und Mucki bückte sich in Richtung Boden. Dann schnellte sein Arm nach vorn wie eine Schleuder. Er warf mit Steinen, aber nicht mit Kieseln, nur Schotter und deswegen war es in Ordnung. Die beiden Enten schnatterten und wedelten mit ihren Flügeln, aber sie flogen nicht davon. Es war ein bisschen, als hätten sie damit gerechnet, von Mucki attackiert zu werden, als seien sie deswegen erst von der Isar hoch gekommen, um sich dann darüber beschweren zu können, streitsüchtig wie sie nun einmal sind, die Enten.
 
"Die alten Enten", sagte Mucki und schloss seine Augen. Er fühlte sich sicherer, wenn ich dabei war, das hat er mir gesagt, ich bin ja schließlich der Security.
 
"Wie isses denn so in Australien?", wollte er wissen.
 
"Staubig", sagte ich, und zumindest gelogen war das nicht.
 
Ich habe überlegt zur Polizei zu gehen, aber was hätte ich denen sagen können. Ich weiß noch nicht einmal, wie der Kerl wirklich heißt. Hallo, ich bin‘s, der Australier, der Mucki is‘ weg. Ich wäre zu den Leuten gegangen, die mit ihm verwandt sind, aber ich weiß nicht, ob überhaupt irgendjemand mit ihm verwandt ist. Ich schlug ein Telefonbuch auf, aber ich wusste nicht, wonach ich suchen soll.
 
Ein halbes Jahr vergeht. Mehrmals sehe ich Menschen, die ihm ähnlich sehen, so ähnlich, dass ich seinen Namen schon auf den Lippen habe, bis ich meinen Irrtum bemerke. Ein Jahr vergeht, ich schaue nach, ob jemand den Schnee zur Seite geräumt hat, auf der Bank, wo er immer saß.
 
Seit Mucki verschwunden ist, kenne ich mich besser aus mit der Welt. Anstatt mir mit ihm ein kleines Bier aus der Plastikflasche zu teilen, komme ich rechtzeitig nach Hause, um die Tagesthemen zu sehen. Die Wohnung ist kalt und leer und jeden Abend habe ich das Gefühl, ich wäre mindestens ein halbes Jahr nicht hier gewesen, während Caren Miosga schon die gemischten Meldungen von ihrem kleinen Zettel abliest: Das böige Wetter der vergangenen Tage hat einige Unfälle verursacht. In einer Kleinstadt wurde eine Frau, die trotz des Windes vor einem Straßencafé saß, von einem Sonnenschirm, der sich aus seiner Halterung gelöst hatte, im Gesicht getroffen. In Australien haben derweil Buschbrände das Hinterland erobert. Ein Korrespondent spricht in die Kamera, im Hintergrund sammeln sich Schaulustige, auch ein Mann mit blauer Arbeitshose ist dabei.

Ich würde Mucki alles zutrauen, aber wahrscheinlich ist das Quatsch, denn eigentlich kann ich nichts über ihn sagen. Alles, was ich weiß, habe ich dort hinterlassen, wo er, wenn man mich fragt, eigentlich hingehört.




Andreas Thamm bloggt unter derderm.wordpress.com. Seine Geschichten sind unter anderem in den Zeitschriften Wortwuchs, Bella Triste und der aktuellen Ausgabe der Münchner Krachkultur erschienen.

Wie das Internet... Gefrierbrand vermeidet

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Das Problem:
Graubraun verfärbtes Gefriergut. Auch wenn Kollege S. neulich beim Mittagessen in der SZ-Kantine behauptete, Gefrierbrand sei eine Erfindung der Werbeindustrie – es gibt ihn wirklich. Er bezeichnet „das Auftreten ausgetrockneter Randschichten bei tiefgefrorenen Lebensmitteln“. Sagt Wikipedia.





Die Lösung:
Wer dem Gefrierbrand Herr werden möchte, muss den Kampf mit dem Sauerstoff antreten. Denn Gefrierbrand bildet sich eben dort, wo die Lebensmittel mit Luft in Berührung kommen. Dazu reicht es allerdings nicht, die Luft einfach aus dem Beutel zu drücken, bevor man die Speisen einfriert. Erste Voraussetzung ist ein Gefrierbeutel mit Zip-Verschluss. Mit wenig Aufwand macht der Lifehacker in dir daraus eine Quasi-Vakuum-Verpackung – in der garantiert kein Gefrierbrand entsteht: Befülle den Beutel, schließe den Verschluss bis auf einen Zentimeter und sauge dann mit dem Mund die Luft heraus. Beutel schließen und fertig. Und das Beste: Dieser Lifehack schützt nicht nur vor Gefrierbrand, sondern spart auch noch Platz in deinem Gefrierfach.

Die jetzt.de-Kettengeschichte, Teil 9

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Was bisher geschah: Die Tankstellen-Angestellte Anna flieht vor ihrem öden Job. Ihr Ziel: Das Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier, bei dem Annas großer Schwarm Gerwin Gewinner antritt. Doch dort wird Anna in eine seltsame Märchenwelt entführt und gefangengenommen - Gerwin Gewinner und eine Fee namens Tinkerbell führen etwas gegen sie im Schilde, doch sie weiß nicht was. Ihre letzte Hoffnung: Ihr Chef Paul aka "Preußen-Paule". Sie ruft ihn an, kann aber ihm aber nur mitteilen, dass sie sich in der Turnier-Villa befindet. Dort wurde sie auf dem Dachboden eingesperrt.

Alle vorigen Teile der Kettengeschichte kannst du hier nachlesen. Und hier kommt Teil 9 von jetzt-User rasenmaeherkaputtmacher:



Die durch kleine, schmutzige Fenster und Löcher und Lücken in den Dachboden eindringenden Sonnenstrahlen lassen Anna langsam die Umrisse ihres Gefängnisses erkennen. Ein großer Raum, sehr groß, riesig, staubig und muffig. An den Wänden alte Bilder. "Tete d'Arlequin"von Picasso, Rembrandts "Der Sturm auf dem See von Genezareth"und "Landschaft mit Regenbogen"vom alten C.D. Friedrich – kaputt, zerkratzt und mit Loch in der Mitte. Sie betrachtet den Rembrandt und findet, dass er gut malen konnte. Und noch viel, viel mehr geklaute Bilder hängen herum. Aus der Zeitung weiß sie, dass die Werke gestohlen sind. An der Tanke hatte Anna viel Zeit, in der Zeitung zu lesen. "Augenscheinlich bin ich Opfer einer gemeinen Diebesbande geworden“, denkt sie und fasst im Kopf den Gedanken weiter: "Werde ich in einhundert Jahren vergessen werden, wie diese Bilder hier? Bin ich überhaupt Mensch oder ein ausgedachtes Werk?"  

Annas Blick wandert weiter und verliert sich in dunklen Ecken, in denen sie nichts erkennen kann. Sie fühlt sich benommen und müde. So wie sie daliegt, in diesem festlichen Kleid, eng wie eine Zwangsjacke. Und dann der Gestank dieser Klamotte. Es stinkt jämmerlich nach böser Fee. Gute Feen riechen, böse Feen stinken nach alten Socken. Das wird Anna in diesem Moment bewusst. Sie zerrt, möchte strampeln, aufstehen, das Kleid zerreißen, doch es hält sie gefangen. Und dann denkt sie an Gerwin und Liebe und dann wird ihr kurz schlecht. "DU ARSCHLOOOCH!"schreit Anna ihre überaus gerechtfertigte Enttäuschung über dieses Arschloch in die dunkle Leere des Dachbodens hinein. Die Größe des Raums entwirft ein imposantes Echo.
"Selber Arschloch!“, schreit jemand zurück. Es klingt sehr weit entfernt und Anna erschrickt. Sie glaubt, die Stimme schon ein Mal gehört zu haben.
 "Wer ist da?“, ruft Anna ängstlich. Der Geruch alter Socken breitet sich aus.
"Wer ist da?"äfft die Stimme sie nach.
"Die böse Fee Tinkerbell“, denkt Anna. Ihr wird kalt. "Na, hast doch bestimmt schön geschlafen, was?"fragt die Fee aus unbekannter Ferne. Anna schweigt und erkennt ein diffuses Leuchten hinter einem altem, verrosteten Kühlschrank. Am Kühlschrank hängt ein alter Pin-Up-Kalender. Der zeigt Gerwin halbnackt in sexy Pose inmitten anderer halbnackter Männer.
"Schöne Bilder, was?"sagt die Fee nach einer kurzen Pause. "Gefallen sie dir? Schade, dass jemand dem Friedrich ein Loch reingeschossen hat. Wie kann man nur so ein Idiot sein, was? Du fragst dich bestimmt, wieso die Bilder hier hängen, was? Ganz einfach. Geklauter Wetteinsatz. Gerwin hat die Bilder spielsüchtigen Museumsdirektoren im Mensch-Ärgere-Dich-Nicht abgeluchst, dieser Fuchs, was? Irgendwann waren die Schulden der Leute so unvorstellbar hoch, dass sie nur mit unvorstellbar wertvollem Zeug beglichen werden konnten. Da hat er sich dann bedient, der Gerwin. Geiler Typ, was?"  

Doch Anna hört gar nicht zu. In Gedanken versunken überlegt sie, wie sie es schafft, hier wegzukommen. Sie hofft, dass Paul kapiert hat, was sie ihm am Telefon noch sagen konnte, bevor man ihr einen Sack über den Kopf zog.
"Paul ist tot“, sagt die Fee.
"Was? Paul?!"wimmert Anna erschrocken. Dann hört sie zum ersten Mal das schmutzige Lachen der Fee. Ab einem gewissen Punkt klingt Lachen beim Luftholen wie Weinen.
"'Paul ist tot', kennst du nicht?"fragt die Fee. "Is von Fehlfarben. Geiles Lied. Wohl noch vor deiner Zeit, was? Hast du zufällig was zum Kiffen dabei? Wenn ich mir einen drehen darf, dann lass ich dich frei. Guter Deal, was?"sagt die Fee.
"Äh...ja. Hab ich."antwortet Anna überrascht. "Ja, also, wenn das so ist..."  

Ein langsames Knarren unterbricht Annas Worte. Wie versteinert sucht sie den Raum ab, wo sich etwas bewegen könnte. Und immer lauter wird das Geräusch und plötzlich hält die Fee Anna im Arm. Der Gestank dieses komischen Wesens treibt Anna Tränen in die Augen. "Pauli, bitte Paul. Komm und rette mich“, flüstert Anna.
"Psssssst. Du musst mir vertrauen, mein Kind. Sag, wo ist das Tütchen mit dem grünen Zaubertabak?“, fragt flüsternd die Fee. Sie riecht auf einmal nicht mehr nach Socke. Sondern nach Blume.   

Und durch den Dachboden weht ein Windhauch. Das Knarren ist verstummt. Irgendwo bewegt sich etwas.

Du willst wissen, wie es weitergeht? Teil 10 der Kettengeschichte erscheint am Donnerstag, den 26.06.

Das soll's sein? Neeee! Oder?

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Auch wenn man in einer Stadt noch nie war - ein paar Dinge hat man meistens doch schon vorab gesehen. Sei es, weil wir Online-Medien Meldungen zu bestimmten Städten immer gleich bebildern (Paris mit dem Eiffelturm, Barcelona mit der Sagrada Familia, Washington D.C. mit dem Capitol) oder man einen Reiseführer dazu gewälzt hat. Umso weniger erstaunlich ist es auch, dass nahezu jede größere Stadt einen Ort hat, an dem die Touristendichte ins unendliche anschwillt: Dem Stadtwahrzeichen. Denn selbst superalternative Touristen, die nach Rom eigentlich nur zum Containern kamen, erwischt nunmal der Touri-Reflex: Die spanische Treppe muss man eben doch gesehen haben, um "richtig" dagewesen zu sein.


Manneken Pis in Brüssel. Ein schönes Beispiel für überschätzte Sehenswürdigkeiten.

Das wäre so weit in Ordnung, wären diese Orte, an denen man droht sich mit gefühlten 20000 anderen Touristen mit Spiegelreflexkameras zu erschlagen, nicht oft verstörend unspektakulär. Man latscht beispielsweise knapp 30 Minuten vom Kopenhagener Stadtzentrum zur "Kleinen Meerjungfrau", um dann festzustellen, dass das Meerbiest einfach nur winzig klein (und oft auch kopflos) ist. Gleiches gilt für den pinkelnden Burschen in Brüssel: Manneken Pis ist zwar ein schönes Beispiel für den Hang zum Absurden in dieser Stadt, sonderlich beeindruckend ist es aber trotzdem nicht.

Deshalb unsere heutige Tickerfrage zum Ende der Pfingstferien: Welche Sehenswürdigkeit fandest du richtig enttäuschend?

König ohne Krone

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Madrid – Tausende rot-gelb-rote Fahnen flatterten im heißen Wind entlang der Strecke vom Parlament zum Königsschloss quer durch das Herz Madrids. Zehntausende säumten den Weg des frisch gebackenen Königspaars Felipe und Letizia in seinem Dienstwagen, einem schwer gepanzerten Großraum-Rolls-Royce. Die beiden kamen vom wichtigsten Tagesordnungspunkt, der Königsproklamation im Parlament. Die war zwar feierlich, aber nicht prächtig: Es gab keine Krone auf das Königshaupt und kein Zepter in die Herrscherhand, beides war wohl auf einem Samtkissen ausgestellt.



Trägt wie sein Vater Juan Carlos nie eine Krone: König Felipe VI.

Dabei wird es auch bleiben: Man wird Felipe VI. nie mit einer Krone auf dem Kopf sehen. Das hat sein Vater Juan Carlos auch schon so gehandhabt. Der hat sich ja gern als leutseliger Bürgerkönig gegeben und vor drei Jahrzehnten nebenbei auch einmal die Demokratie gerettet.

Große Fahnen, kleine Fähnchen, Blumengebinde in rot-gelb-rot – Jubelstimmung wollte trotzdem nicht so recht aufkommen. Am liebsten hätten viele Madrilenen die Fahnen wohl auf Halbmast gesetzt und Trauerflor an die Antenne des Rolls- Royce gebunden. Am Abend vorher hatte es schließlich ein Trauerspiel gegeben: Die Nationalmannschaft, amtierender Europa- und Weltmeister, ist nach einer bemitleidenswerten Vorstellung schon in der Vorrunde der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ausgeschieden. Beim Untergang der einst so gefürchteten „Furia roja“, was wörtlich „rote Raserei“ heißt und anerkennend gemeint ist, litten fast 70Prozent aller Spanier vor den Fernsehgeräten mit, die Abdankung Juan Carlos‘ ein paar Stunden zuvor wollte sich dagegen nur jeder Zehnte seiner Untertanen live ansehen.

Dabei hat die kleine, frugale Zeremonie durchaus ein paar Einblicke in die königliche Familienaufstellung erlaubt. Die wie immer streng frisierte und dreinblickende Königin Sofía, die es schafft, gleichzeitig resolut und milde zu wirken, bugsierte den leicht orientierungslos wirkenden Monarchen zu seinem Sessel. Der trug an seinem letzten Arbeitstag als König nicht nur keine Krone, sondern nicht einmal eine seiner vielen Uniformen mit dicken Ordenssternen und Schärpe. Stattdessen begnügte er sich mit einem schlichten grauen Anzug und fliederfarbener Krawatte. Als er die Abdankungsurkunde unterschrieb, klatschten die Honoratioren, wobei nicht klar war, ob der Beifall seinen 39 Jahren als König galt oder der allgemeinen Erleichterung über seinen Abgang nach all den Malaisen und Kalamitäten der letzten Jahre entsprang. In Großaufnahme war zu sehen, dass die von der Herrscherarbeit müde gewordenen Augen feucht wurden; verstohlen wischte sich Juan Carlos, der einst so sehr Gemochte und zuletzt so Geschmähte, eine Träne aus dem Augenwinkel.

Dann aber kam das Fußballdebakel. Es bescherte der ganzen Stadt, die sich nach dem Champions-League-Finale zwischen den beiden Lokalrivalen Real und Atletico vor vier Wochen noch als Herz der globalen Kickerkunst gewähnt hatte, einen Anfall tiefster Schwermut. Eine Zeitung setzte über ein Foto der geknickt vom Fußballplatz schleichenden Helden die Überschrift: „Der Friedhof der Könige.“
Die Könige sind tot, es lebe der neue König Felipe VI.! Der nahm seine Arbeit am Donnerstagvormittag ohne väterlichen Beistand auf, Juan Carlos war zu Hause geblieben. Nicht, weil er sich wegen der lahmen „roten Furie“ so gegrämt hätte, sondern, so hatte er es schon vorher angekündigt: Er wolle als Altkönig der neuen Nummer eins nicht die Schau stehlen.

Die große Schau gab es im Parlament aber ohnehin nicht. Es waren ja keine anderen gekrönten Häupter da, keine Staatspräsidenten, keine Kardinäle, die ein paar Tupfer in Rot gesetzt hätten. Bescheidenheit in Zeiten der Krise und der wachsenden Kritik an der Monarchie lautet ja die Parole des neuen Königs, außerdem sagt die Verfassung: Staat und Kirche sind getrennt. Es gab nicht einmal Fanfarenstöße, Hurrarufe und wegen der Brandschutzvorschriften auch keine Ehrensalve der Garde im Parlament. Felipe, in der Uniform des Generalkapitäns, des Oberkommandierenden, schwor auf die Verfassung, dass er seinen Untertanen nur Gutes tun werde, und anschließend erklärte er lang und breit, wie er das bewerkstelligen wolle, ein guter König zu sein. „Die Krone muss die Nähe zum Bürger suchen“, sagte der 46-Jährige, das Königshaus müsse wieder zu einer „moralischen Autorität“ werden.

Seine Frau Letizia, ganz in gedecktem Weiß, die einstige Fernsehmoderatorin und Tochter eines Taxifahrers, lächelte dazu. Sonst so unnahbar, wirkte sie entspannt, als freue sie sich auf den neuen Job als Königin. Und die neue Thronfolgerin Leonor, eine Achtjährige mit großen graublauen Augen, das blonde Haar offen mit zwei neckischen Zöpfchen, rutschte dazu auf ihrem viel zu großen Sessel hin und her und wippte mit den Beinen – genauso wie ihre eineinhalb Jahre jüngere Schwester Sofía, ebenfalls blond, aber ohne Zöpfe.
Ob Leonor je ihrem Vater nachfolgen wird? In der linken Opposition hält man nichts davon, man will bis dahin eine Volksabstimmung über die Abschaffung der Monarchie gewinnen. Auch gibt es noch ein Problem für die süße Leonor: Sie darf kein Brüderchen mehr bekommen. Denn das hätte nach der jetzigen Rechtslage Vorfahrt auf dem steinigen Weg zur Königsproklamation. Diese aus der Vorgenderzeit stammende Regel hat schon Felipe genutzt, der zwei ältere Schwestern hat. Die hatten auch an diesem Fronleichnamstag wieder das Nachsehen: Sie haben nämlich nicht nur reichlich Sorgenfalten wegen diverser Probleme mit Ehemann respektive Ex-Mann, sondern verlieren mit dem Karrieresprung des Jüngsten auch ihre Privilegien als Mitglied des Königshauses. Dem gehören nun nur noch die Altmajestäten Juan Carlos und Sofía sowie das neue Königspaar mit den beiden Töchterchen an.

Elena, die älteste Schwester Felipes, seit ihrer Scheidung alleinstehend, ließ sich nichts von ihrem Gram über ihren Abstieg anmerken, sondern gab den blonden Nichten die gute Tante. Die jüngere Schwester Cristina aber war erst gar nicht gekommen: Ihr Mann Iñaki Urdangarin steht wegen Urkundenfälschung und Unterschlagung öffentlicher Gelder vor Gericht. Nun gehört er nicht mehr dem Königshaus an. Sollte er hinter Gitter wandern, wäre das eine Privatsache, aber keine Staatsaffäre mehr. So erfreulich haben sich die Dinge für seinen Schwager Felipe entwickelt.

Die Frage aber war an diesem windigen Junitag, ob der Untergang der Furia roja der Schlussstrich war unter die Regierungszeit des zuletzt wenig populären Juan Carlos, der nicht den richtigen Umgang mit den Nöten seines Volkes fand. Oder war das WM-Aus eher ein schlechtes Omen für Felipe VI.? Jedenfalls meinten ein paar Kommentatoren, dass sich die Terminplaner des Königshauses verkalkuliert hatten: Diese wollten angeblich die Proklamation des neuen Königs in die allgemeine Hochstimmung des fest eingeplanten Siegeszuges der Fußballer einbetten; die Royals also in der Krisenstimmung von den Königen des grünen Rasens profitieren lassen. Diese Taktik, sollte man am Hofe so gerechnet haben, ist jedenfalls nicht aufgegangen. Felipe VI. muss sich jetzt noch mehr anstrengen, um seinen Untertanen Frohsinn zu vermitteln.

Feuer frei

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San Francisco – Als unerbittlich zu gelten war für Jeff Bezos schon immer eine Auszeichnung: „Relentless“ lautet der englische Begriff dafür, und genau so wollte der heute 50-Jährige einst sein Unternehmen nennen. Er wählte dann Amazon, doch die Unerbittlichkeit ist geblieben und Teil der Konzern-Identität geworden. Diese Woche spürte das auch mal wieder die globale IT-Konkurrenz. Amazon, dessen Branche längst dem „Online-Versand“ entwachsen ist, stellte ein eigenes Smartphone vor. Fire Phone heißt das neue Gerät und ist die vielleicht tollkühnste Wette, die Bezos bislang eingegangen ist.



Jeff Bezos präsentiert das Fire Phone: Ein Smartphone, das anders sein soll.

Das Smartphone-Geschäft ist verführerisch: Alleine im ersten Quartal dieses Jahres verkaufte die Branche 280 Millionen Geräte, das sind 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Doch das Geschäft ist auch von hartem Konkurrenzkampf geprägt. Wer nicht Apple oder Samsung heißt, leidet. Denn die Hardware ist verwechselbar geworden, die Produktions- und Entwicklungskosten hoch genug, um bei schlechten Verkaufszahlen tiefe Löcher in die Bilanz zu reißen. „Selbst etablierte Hersteller haben Probleme, sich zu behaupten“, sagt Tuong Nguyen von der Marktforschungsfirma Gartner. „Als Newcomer den Markt aufzurollen, ist quasi unmöglich.“

Solche Aussagen dürften für den unterbittlichen Bezos nur ein Ansporn sein. Amazon habe nicht überlegt, ob man ein Smartphone baue, erklärte er während der Produktpräsentation am Mittwoch in Seattle. „Wir wollen wissen: Wie können wir ein Smartphone bauen, das anders ist?“ Was Amazon anders macht, ist schnell erzählt: Das Display des Fire Phone soll mit einer Art Tiefen-Perspektive im 3-D-Stil dem Kunden etwas fürs Auge bieten, die Steuerung per Kopfhaltung und Neigegrad den Komfortfaktor erhöhen. Kostenloser und unbegrenzter Foto-Speicherplatz sollen mögliche Neukunden locken, die Kernfunktionen die Besitzer noch enger an das Amazon-Universum binden.

Genau dafür hat Amazon ein mächtiges Werkzeug geschaffen: Firefly, eine Art Scanfunktion für die physische Welt. Per Knopfdruck identifiziert das Telefon das, was sein Besitzer gerade fotografiert oder hört, von Gemälden über Filmszenen und Musik bis hin zu Alltagsgegenständen. Was das Smartphone erkennt und Amazon auf Lager hat, kann der Kunde umgehend bestellen. Das Fire Phone wird so zur Einkaufsmaschine, die Welt zum Showroom. Dem stationären Einzelhandel dürfte schwindelig werden. Und die Konkurrenz von Google, HTC, Apple und Co sich sofort ans Nachbauen machen.

Amazon, daraus macht die Firma keinen Hehl, geht es um neue Kunden für seinen Premium-Dienst Prime. Käufer erhalten beim Kauf eine einjährige Mitgliedschaft kostenlos. Bislang zahlen geschätzt 20 Millionen Menschen einen zweistelligen Jahresbeitrag und erhalten dafür kostenlose Streaming-Dienste und bessere Liefer-Konditionen. Dafür kaufen sie auch kräftig ein: Mit durchschnittlich umgerechnet 985 Euro gibt der Prime-Kunde doppelt so viel auf der Plattform aus wie der reguläre Amazon-Kunde. War das Tablet „Fire“ noch das perfekte Gerät für ihren Digital-Konsum, haben sie nun im Idealfall mit dem Fire Phone die Amazon-Welt immer und überall griffbereit und damit keinen Grund mehr, den Kosmos des Online-Händlers zu verlassen.

Doch die Sache hat zwei Haken: Sein Fire-Tablet brachte Amazon noch zu Kampfpreisen auf den Markt. Beim Handy müssen die Kunden tiefer in die Tasche greifen. In den USA kostet das Gerät 199 Dollar mit einem Mobilfunkvertrag bei AT&T und 649 Dollar ohne Sim-Karte. Ein Deutschlandstart ist derzeit noch nicht absehbar. Die Kosten entsprechen dem Preisniveau der Flagschiff-Modelle von Apple oder Samsung – ein Hochpreis-Markt, der inzwischen deutlich langsamer wächst.

So gab Bezos sich in seiner Produktpräsentation auch Mühe, die hohe Qualität und Liebe fürs Detail zu betonen. Sätze wie: „Manchmal sind es die kleinen Berührungen, die zählen”, erinnern nicht nur zufällig an den verstorbenen Apple-Chef Steve Jobs, aus dessen Vortragsstil sich Bezos gerne Anleihen holt. Doch den Ruf für das goldene Händchen muss sich Bezos erst noch erarbeiten: Die ersten Kurztests des Fire Phones ließen die amerikanischen Tech-Blogger wenig euphorisch zurück.

Amazon steigt in jedem Fall erst spät ins Smartphone-Geschäft ein, vielleicht zu spät. „Das Gerät macht einen ordentlichen Eindruck, aber können sie damit Kunden von den anderen Marken und Betriebssystemen ködern?“, fragt Gartner-Analyst Nguyen. „Ich würde mein Smartphone wahrscheinlich nicht für das neue Amazon-Modell eintauschen. Sie etwa?“ Am 25. Juli kommt das Fire Phone in den US-Handel, danach wird Bezos wissen, ob sich seine Unerbittlichkeit auszahlt. Angesichts geringer Gewinne würde ein Misserfolg für Bezos schmerzhaft werden.

Chaos nach Plan

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Berlin –Korbinian Weisser war im Urlaub an der Nordsee, als das Angebot von der Deutschen Telekom kam. Im Interview mit einem Gründerportal hatte er kurz zuvor erzählt, dass er Geld suche. Für sein Unternehmen qLearning, das er mit fünf anderen im Studium gegründet hat, um das digitale Pendant zu den Karteikarten für Vokabeln zu schaffen: Auf dem Smartphone sollen Studenten so testen, was aus dem Semester hängengeblieben ist. Und von großen Unternehmen nimmt qLearning Geld dafür, dass diese sich am Bildschirmrand bei den Akademikern in Szene setzen können. „Und zwar gezielter, als ein Banner in der Kantine aufzustellen“, wie Weisser, 25, rote Jeans, akkurater Seitenscheitel, gehäkelte Krawatte, sagt.



Der Streamingdienst Spotify erreicht Menschen, die dem großen Partner Telekom vorher nicht zugänglich waren.

Die Telekom fand die Idee so spannend, dass sie ihm nicht nur Geld geben hat. Sondern auch einen Schreibtisch in ihrem Inkubator Hub:Raum. Das bedeutet auch Hilfe, um an gute Programmierer zu kommen; einen Draht zu Investoren und weiteren Kunden. Im Gegenzug hat das Gründerteam Anteile an ihrer Firma abgetreten.

Einen Fonds in Höhe von insgesamt 450 Millionen Euro für solche Beteiligungen hat die Telekom aufgelegt. Kaum ein Unternehmen in Europa steckt so viel Risikokapital in Start-ups. Und das liegt auch daran, dass kaum ein Konzern so stark unter Druck geraten ist, weil die Kleinen das Geschäft der Großen ins Wanken bringen. Ein Unternehmen zu gründen, ist heute einfacher als noch vor zehn Jahren: Man muss nicht erst ein teures Rechenzentrum bauen, sondern kann sich Speicherplatz und Rechenleistung nach Bedarf aus dem Internet holen. Bei der Schwemme immer neuer Start-ups ist es schwer, das nächste große Ding auszumachen.

Einer Studie der US-Eliteuni MIT zufolge haben nur vier Prozent der Start-ups, die ein Förderprogramm im Stile des Hub:Raum durchlaufen haben, durch den Verkauf an ein anderes Unternehmen oder einen Börsengang so viel Geld erlöst, dass auch die frühen Investoren etwas davon hatten. Und dennoch spüren die Konzerne, dass sie die Kreativen im Blick behalten müssen. Besser noch: sie an sich binden.

Der Versicherer Allianz, der Chemiekonzern Bayer oder die Commerzbank haben deshalb ähnliche Förderprogramme für Gründer aufgelegt. Dass viele dieser Brutkästen in Berlin stehen, ist kein Zufall. Die Stadt lockt Talente aus der ganzen Welt an. Und die deutschen Konzerne wissen, dass sie bei den ganz großen Deals im Silicon Valley sowieso nicht mit am Tisch sitzen. Fast die Hälfte der Beteiligungen im aktuellen Fonds hält die Risikokapitaltochter der Telekom im deutschsprachigen Raum.

Die Telekom steht sinnbildlich für viele deutsche Unternehmen: Konzernchef Tim Höttges will sich zwar nicht mehr damit zufrieden geben, nur der Klempner für die Netze zu sein; er will auch bei all den schicken Apps mitmischen. Aber er weiß auch, dass sein Unternehmen genau davon zu wenig versteht – und zu langsam ist. „Wendigkeit und Geschwindigkeit zählen mehr als je zuvor, manchmal sogar mehr als die Qualität“, sagt Höttges. Deshalb reicht er denen, die wendiger sind, die Hand.

Mit dem Musikstreamingdienst Spotify zum Beispiel hat die Deutsche Telekom vor fast zwei Jahren eine exklusive Partnerschaft geschlossen: Spotify konnte so mehr Menschen erreichen, die Telekom mehr Menschen an sich binden. Noch lieber aber hätte Höttges sich damals Anteile an dem aufstrebenden Unternehmen gesichert, dessen Wert inzwischen auf vier Milliarden Dollar geschätzt wird.

Aber vielleicht ist qLearning das nächste Spotify? Das ist die Wette, die die Telekom eingeht. Bei jedem der zehn Gründerteams, die sie für ein Jahr im Hub:Raum aufnimmt, mit jeweils bis zu 300 000 Euro finanziert – und im Gegenzug zehn bis 15 Prozent der Firmenanteile erhält.

Im besten Falle können die Start-ups den etablierten Konzernen sogar das geben, was zwischen endlosen Meetings und starren Hierarchien verloren gegangen ist: eine Kultur, in der Neues entsteht.

Clemens Dittrich lässt sich in die aus Paletten und Pappkartons zusammengeschobene Sitzecke fallen. Die oberste Etage von Plug & Play hat den Charme eines alternativen Jugendzentrums – und soll damit das ganze Gegenteil des holzvertäfelten Salons im obersten Stockwerk des Axel-Springer-Hochhauses sein. Plug & Play ist für Springer das, was der Hub:Raum für die Telekom ist: Hier erhalten die Gründer zwar nur 25000 Euro, müssen aber auch nur fünf Prozent abtreten. Für Dittrich, 29, der mit einer App junge Jobsuchende und Unternehmen zusammenbringen will, ist das trotzdem ein fairer Deal. Angefangen habe sein Team mit einem Gründerstipendium. „Das war gut, um im stillen Kämmerlein an der Technik zu tüfteln“, sagt er. Zwischen Graffiti und Tischtennisplatte kann er sich hier nun aber mit den anderen Gründern darüber austauschen, auf welche Klauseln er in Verhandlungen mit Investoren achten soll.

Natürlich betreibt auch Springer seinen Brutkasten nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern weil man hofft, dass dort Ideen entstehen, die das schrumpfende Geschäft der alten Medienwelt abfedern – und eines Tages ersetzen können. Der oberste Mann für die Suche nach den zündenden Ideen ist Jörg Rheinboldt. Er hat selbst einige Unternehmen gegründet – etwa, gemeinsam mit den Samwer-Brüdern, die Auktionsplattform Alando, die sie später für einen üppigen Millionenbetrag an Ebay verkauft haben.

Rheinboldt erzählt davon, wie er die Leute von Stepstone, der digitalen Jobbörse, die Springer 2008 gekauft hat, mit Dittrichs Team zusammenbringt. Davon, dass auch die sich schließlich Gedanken darüber machen, wie sie ihren Dienst in eine Zeit bringen, in denen viele via Smartphone und nicht am PC nach einer Stelle suchen. Manchem, der schräg gegenüber im Axel-Springer-Hochhaus sitzt, seien die Chaoten bei Plug & Play durchaus suspekt. Aber es helfe, dass der Vorstand sich zu seiner Truppe bekennt. „Manchmal“, sagt Telekom-Chef Höttges, „muss Innovation der Virus sein, der den Konzern infiziert. Und es ist mein Job als Konzernchef, sicherzustellen, dass es dann keine allergische Reaktion gibt, sondern dass wir von diesem neuen Geist angesteckt werden.“

Warschauer Mauscheleien

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Warschau – Durch einen Abhörskandal kommt die polnische Regierung immer stärker in Bedrängnis. Ministerpräsident Donald Tusk erklärte am Donnerstag in Warschau, es sei möglich, dass die entstandene Vertrauenskrise nur noch durch vorzeitige Neuwahlen zu lösen sei. Die Opposition forderte den Rücktritt der Regierung. Zugleich wirft der Vorgang die Frage auf, ob hinter der jetzt bekannt gewordenen Serie illegaler Lauschangriffe der russische Geheimdienst stecken könnte oder ein heimisches politisches Komplott.



Ministerpräsident Donald Tusk erklärt Neuwahlen angesichts des Abhörskandals für möglich.

Betroffen sind zunächst vor allem der Innenminister Bartłomej Sienkiewicz, der wie Tusk der konservativ-liberalen Bürgerplattform (PO) angehört, und der Präsident der Nationalbank, Marek Belka, der auch schon Ministerpräsident war. Die beiden waren im Juli vorigen Jahres bei einem Essen in einem Warschauer Restaurant abgehört worden. Laut den Protokollen, die das Wochenmagazin Wprost am Montag veröffentlichte, bat der Minister den Bankpräsidenten, rechtzeitig vor der nächsten Parlamentswahl 2015 die Wirtschaft zu stimulieren und der Regierung beim Schuldenabbau zu helfen. Im Gegenzug soll Belka die Entlassung des damaligen Finanzministers Jacek Rostowski verlangt haben, der tatsächlich im November 2013 abgelöst wurde, allerdings auf eigenen Wunsch, wie er sagt.

Bestünde ein Zusammenhang, so wäre dies der Beweis für Mauscheleien zwischen Regierung und Nationalbank, was die Unabhängigkeit und Neutralität der Nationalbank schwer beschädigen würde. Der frühere Finanzminister und Nationalbank-Chef Leszek Balcerowicz, der 1990 mit einer Schocktherapie bekannt geworden war, verlangte den Rücktritt Belkas. Der lehnte dies aber mit der Begründung ab, er habe die Verfassung nicht gebrochen, zudem seien die veröffentlichten Zitate aus dem Zusammenhang gerissen.

Die Affäre könnte sich noch ausweiten. Nach eigenen Angaben verfügt die Zeitschrift Wprost noch über weitere geheime Lausch-Protokolle. Sie beträfen die Vize-Ministerpräsidentin Elżbieta Bieńkowska, den früheren Regierungssprecher und Tusk-Vertrauten Paweł Gras sowie den Unternehmer und Milliardär Jan Kulczyk. Am Montag wurde auch über ein Gespräch des früheren Verkehrsministers Sławomir Nowak berichtet, der einen hohen Finanzbeamten gebeten habe, eine Steuerprüfung bei seiner Ehefrau zu unterlassen.

Tusk forderte die Redaktion von Wprost auf, sofort alle Unterlagen in ihrem Besitz zu veröffentlichen. Zugleich distanzierte der Premier sich von einer Aktion des Inlandsgeheimdienstes ABW vom Mittwoch, die heftige Proteste auslöste. Agenten waren in Begleitung des Staatsanwaltes in der Redaktion von Wprost aufgetaucht und hatten die Herausgabe der Recherche-Unterlagen verlangt. Als sie versuchten, den Computer des Chefredakteurs Sylwester Latkowski mitzunehmen, schritten Redakteure ein, die sich um ihren Chef scharten. Es kam zu Handgreiflichkeiten, am Ende zogen die Staatsschutz-Beamten unverrichteter Dinge ab.

Ein weiterer heikler Aspekt der Affäre ist die Frage, wer die illegalen Lauschangriffe ausgeführt haben könnte. Der stellvertretende Ministerpräsident Janusz Piechociński sagte, es sei noch nicht geklärt, ob ein Teil der eigenen Sicherheitsorgane oder Geheimdienste „von außen“ verantwortlich seien. Zwei Experten äußerten die Vermutung, es könnte sich um eine Operation des russischen Geheimdienstes zur Destabilisierung Polens handeln, nachdem die Warschauer Regierung in der Krise um die Ukraine ein energischeres Vorgehen gegen Russland gefordert hatte. Piotr Niemczyk, ein früherer leitender Mitarbeiter der polnischen Sicherheitsdienste, sagte, Moskaus Geheimdienst habe Spezialisten für Provokationen und Desinformation. Im selben Sinne äußerte sich der frühere Chef des Militärgeheimdienstes, General Marek Dukaczewski. Die Zeitschrift Wprost hingegen schrieb, hinter den Tonaufnahmen könnten „Spezialdienste“, frühere polnische Geheimdienstmitarbeiter, eine Gruppe von Geschäftsleuten oder „die politische Konkurrenz“ stehen.

Die nationalpatriotische Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verlangte den Rücktritt der Regierung. Ministerpräsident Tusk lehnte das ab. Er werde nicht nachgeben gegenüber „verbrecherischen Handlungen“, sagte Tusk auf einer eilig am Donnerstag um acht Uhr morgens anberaumten Pressekonferenz. Schon am Montag hatte der Premier erklärt: „Dies ist der erste Versuch seit 1989, mit illegalen Methoden die Regierung zu stürzen.“ Staatspräsident Bronisław Komorowski erklärte, Neuwahlen könnten nun unausweichlich werden.

Tagesblog - 20. Juni 2014

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16:59 Heute fliegt die Zeit, es tut mir leid, nächstes Mal gehts hier wieder aufgeregter zu. Aber JUST SAYING: publikumsmäßig war es hier ja auch eher mau heute. Peace, ihr Brückentagsfaulusse, wir sehen uns (heute Abend hoffentlich!)!

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15:40
Der Drucker läuft schon heiß, wir drucken nämlich langsam all die vielen Texte für unsere Lesung heute Abend im Heppel&Ettlich in Schwabing aus. Nein nein, das wird keine so staublangweilige Lesung wie man sich die im Kopf immer so vorstellt, das wird eine richtig saftige mit viel Lärm und Zwischenrufen und Schnaps! Wir nennen sie deshalb auch eigentlich lieber "Kneipenabend". Kommt zahlreich und bringt alle eure Freunde mit!

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15:33
Zeit für die Kategorie: Wenn ich heute Zeit hätte, was zu lesen, läse ich...

...was über frühpubertäre Coolness-Prägung
...was übers neue Zuhausewohnenbleiben in den USA und seine kulturelle Bedeutung
...was über gutes Witze-Erzählen
...was über die vielleicht abgeschlossene Ära des Sex-sells in der Mode

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15:03
Mir dünkt, es ist Dorian-Woche. Denn schon wieder gibt's was aus seiner Feder: Die Literaturkolumne! Diesmal hat er mit der jungen Autorin Dorothee Elminger über eine aktuelle Neuerscheinung (Renata Adler: Rennboot) und über ihre persönliches Lieblingsbuch (Marie-Thérèse Kerschbaumer: Der weibliche Name des Widerstands) gesprochen.

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14:43 Woah hey, jetzt hatten wir eine ewig lange Konferenz zum Thema "nächste jetzt-Hefte" und jetzt bin ich total dull im Kopf! Ich verrate nur so viel: Wir hatten wieder ziemlich gute Ideen. Na klar, so kennt man uns.

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12:31
Herzensbrecher-Star Dorian Steinhoff hat mich gerade in einer Mail auf den Schreibwettbewerb von Radio PULS aufmerksam gemacht. Klingt gut, finde ich und bestimmt finden das einige hier schreibende Schreibinteressesierte auch, oder? Geb ich also gleich mal weiter, den Tipp. Übrigens: Herr D. Steinhoff höchstselbst sitzt in der Jury!

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11:46 Uhr
Frisch aus unserem sehr lesenswerten Magazin: Warum Eltern sich immer öfter mit ihren Kleinkindern auf Reisen trauen. Oder ist 'trauen' da überhaupt das richtige Wort? Ensteht da nicht vielleicht auch gerade so etwas wie ein kultureller Zwang, ein neuer Prestigefaktor, ähnlich dem des 'Gap Years' oder des Auslandssemesters?





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11:35
Viel zu unbunt hier, deshalb gibt es jetzt mal eine kleine Bild-Initiative.

Also: a) Stell dir vor, du machst dir so ne Pizza, guckst so in den Ofen und dann siehst du DAS hier:

[plugin imagelink link="https://lh6.googleusercontent.com/-DEYEFFUlLJM/U40SNmdKJVI/AAAAAAAAcKc/8bgogqEUFAw/w426-h288/_pizzaSlit600_Micael-Reynaud.gif" imagesrc="https://lh6.googleusercontent.com/-DEYEFFUlLJM/U40SNmdKJVI/AAAAAAAAcKc/8bgogqEUFAw/w426-h288/_pizzaSlit600_Micael-Reynaud.gif"]

und b) Stell dir vor, du stehst so am Meer, willst deinem geliebten Menschen die Schönheit der Natur zeigen und dann passiert DAS hier:

[plugin imagelink link="http://artfucksme.com/wp-content/uploads/2014/06/SunSete_506-Micael-Reynaud.gif" imagesrc="http://artfucksme.com/wp-content/uploads/2014/06/SunSete_506-Micael-Reynaud.gif"]

Was denkst du?

PS: Wer mir die beste Geschichte dazu liefert, kriegt ein virtuelles Bussi und eine virtuelle Umarmung, hier schon mal zur Ansicht, aber noch im Käfig: (XO)!

(Urheber und Künstler ist Micael Reynaud, und mehr erfährt man hier.)

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11:28
Man kann Helge Schneider und auch Helge Schneider-Interviews natürlich längst voll oll finden, aber ich krieg davon jedes Mal immer gute bloß-nie-irgendwas-allzu-ernst-nehmen-Gefühle, und wem es auch so geht, der freut sich vielleicht an dieser Lektüre.

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11:22
Na toll, jetzt fällt mir auf, dass ich schon wieder einen sogenannten Brückentag als Tagesblogtag erwischt habe und deshalb auf jetzt.de mal wieder nichts los ist. Wie traurig für mich! Erheiternde Links und Kommentare nehme ich gern entgegen.

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10:33
Hahaaaaarrrrr, auch Stremmel und Lauenstein wurden jetzt von der Ersatzbank geholt und sind mit in der Mannschaft! Darf ich vorstellen: Hier lang.

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09:51
Eine Freundin sagte mir vor einigen Tagen, dass sie die Zeit, in der in München Filmfest ist, fast die schönste des Jahres findet. Sie geht an diesen Tagen gut zwei Mal pro Tag besten Gewissens allein ins Kino und bewegt sich in den Stunden davor, dazwischen und danach im Taumel der erfahrenen Geschichten. Und dann ist auch noch Sommer.

Wer jetzt auch Lust drauf hat: Hier gibt es zehn Filmfest-Filmtipps.

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09:42
Eine kurze, handselektierte Nachrichtenübersicht:

+Neuigkeiten aus dem Ressort "Datentransparenz": Das neue amerikanische Handelsabkommen TISA  wird wohl mit Kontodaten von Bürgern und Firmen Europas hantieren dürfen.

+Bedrückend: Seit Ende des Zweiten Weltkrieges waren nicht mehr so viele Menschen auf der Flucht, nämlich 50 Millionen Menschen weltweit.

+Der schwer verletzte Höhlenexperte ist aus der Höhle raus!

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09:20
Mir fällt ein: Auch der beste Songtext ist ja zu nichts nutze, wenn man ihn nicht versteht. Deshalb hier eine, na gut, echt schlechte Google-Style-Übersetzung des schönen Shampoo-Songs. Hat aber auch seinen poetischen Wert.

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09:13
Jetzt war ich so lange schon nicht mehr Tagesboss, dass ich beinahe schon geglaubt habe, hier nicht mehr zu arbeiten. Aber Freunde, so einfach geht das nicht. I AM BACK! Oder wie mein Opa sagen würde: "Unkraut vergeht nicht."

Jetzt aber erstmal ein herzerreissend beknackter, und doch so nachvollziehbarer Song zum Aufwachen, der mir an vielen Morgen aus der Seele spricht:

http://www.youtube.com/watch?v=ccqcpOLaMk8

„Mit dem Rücken zur Wand“

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Der Eingang zu Hamburgs Sozialbehörde liegt in einem Einkaufszentrum neben einer sechsspurigen Straße, wahrlich kein romantischer Ort. Von hier aus muss sich Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) um die menschliche Not in Deutschlands zweitgrößter Stadt kümmern. Seine größte Sorge: Wohin mit all den Flüchtlingen? Ein ehrliches Gespräch.



Lampedusa-Flüchtlinge und Unterstützer demonstrieren Anfang Juni vor dem Rathaus in Hamburg.

SZ: Herr Scheele, mitten in Hamburg, in einem Park in Altona, haben 50 Menschen aus Rumänien über Wochen in Zelten und Autos campiert, darunter Schwangere und viele Kinder. Erschreckt Sie das?

Detlef Scheele: Leider passiert das zurzeit allenthalben in deutschen Großstädten. Besonders stark betroffen sind Mannheim, Berlin und Duisburg. Dort lassen sich Menschen aus Bulgarien und Rumänien nieder, die auch in ihren Heimatländern nicht integriert sind, die in der Regel keine Schulabschlüsse haben, keine Berufsausbildung und teilweise gar nicht lesen und schreiben können.

Was passiert mit diesen Menschen?

Wir beraten sie in ihrer Muttersprache und sagen ihnen: Ohne Berufsausbildung, ohne Sprachkenntnisse, ohne einen Rechtsanspruch auf Sozialleistungen oder Wohnraum können wir Euch keine Perspektive bieten. Ihr müsst zurückfahren. Wir sind in Hamburg ganz erfolgreich mit dieser Art Rückführung, denn es gibt für diesen Personenkreis hier keine Integrationsperspektive.

Könnten Sie die Menschen, wenn sie einen Anspruch hätten, überhaupt in öffentlichen Unterkünften unterbringen?

Wegen der hohen Flüchtlingszahlen haben gegenwärtig außer in Hotels keine Chance, jemanden unterzubringen. Gar keine Chance. Wir haben keine Plätze. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, fest angelehnt.

Wie dramatisch ist die Lage?

Unsere Erstaufnahmestelle ist um 500 Personen überfüllt, weil wir die Flüchtlinge von dort aus nicht in die Folgeunterbringung abgeben können. Uns fehlen für dieses Jahr 4000 zusätzliche Plätze. Bei 2400 Plätzen wissen wir immerhin, wo sie entstehen sollen, einige werden schon gebaut. Bei 1600 Plätzen wissen wir noch nicht einmal, wo wir sie bauen können.

Falls alles klappt, hätten Sie am Ende 14000 Plätze. Reicht das überhaupt?

Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Wir gehen von den Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus, die für dieses Jahr eine Steigerung der Flüchtlingszahlen um etwa 30 Prozent melden. Aber Innenminister de Maizière nannte kürzlich in einem Interview schon wieder deutlich höhere Zahlen. Da würden wir finanziell und räumlich vor unglaublichen Problemen stehen.

In Irak und Syrien sieht es nicht so aus, als würde sich die Lage entspannen.

Auch in Eritrea, Somalia und Süd-Sudan sehe ich nicht, dass Ruhe einkehrt. Und den Menschen muss man helfen.

Was kosten die neuen Plätze?

Wir haben mal gerechnet: Im Schnitt müssen wir 20 000 Euro investieren, um einen Platz herzustellen.
Stimmt es, dass Obdachlose auf der Straße leben müssen, weil alle Unterkünfte voll sind?
Obdachlose machen im Sommer Platte und im Winter können sie ins Winternotprogramm gehen. Die eigentlich Leidtragenden sind momentan alle, die ihre Wohnung verlieren und zumindest zwischenzeitlich in eine öffentliche Unterkunft müssen, damit sie von dort aus wieder eine neue Wohnung finden können. Für diese Menschen ist es sehr schwierig. Das sind etwa 750 Hamburger.

Es ist aussichtslos?

Jedes Bett, das wir in Containern oder Pavillons schaffen, geht an Flüchtlinge. Unsere Fachstellen für Wohnungsnotfälle müssen die Menschen zum großen Teil wieder wegschicken.
Sozialarbeiter berichten von Schwangeren, Alten oder Krebskranken, die seit dem Ende des Winternotprogramms im April wieder auf der Straße leben müssen.
Das kann eigentlich nicht sein. Sogenannte Härtefälle, also Hochschwangere, Kranke oder Frauen mit Kindern bringen wir in Hotels unter. Wir haben inzwischen 240 Plätze in Hotels belegt, vor einem Jahr waren es noch 80. Das steigt sprunghaft.

Woher nehmen Sie das ganze Geld?

Wir bereiten gerade eine Nachforderung zum Haushalt vor. Da geht es um sehr viele Millionen Euro. Insgesamt werden wir dieses Jahr über 250 Millionen für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen ausgeben. Bislang konnten wir Kürzungen in anderen Bereichen vermeiden. Aber wenn das in den nächsten Jahren so weitergeht, wird es sehr schwierig.

Was machen Sie dann?

Wir fahren im Moment auf Sicht.

Macht Ihnen persönlich die Situation zu schaffen?

Ich bin viel unterwegs und war neulich in einem Containerdorf in Lokstedt. Das ist deprimierend. So ein Container ist ein kleiner Raum, geteilt mit einem Vorhang, da stehen vier Betten drin, vier Spinde. Das ist alles ganz erbärmlich, gerade wenn dort auch Kinder wohnen. Umso beeindruckender ist das großartige Engagement von Nachbarn, die sich um die Flüchtlinge kümmern, besonders um die Kinder.

Ihr ganzes Geld fließt in neue Gebäude. Und die Situation in den bisherigen Unterkünften bleibt so prekär, wie sie ist?

Das ist kein böser Wille. Wir haben gegenwärtig keine Chance, die Qualität der Unterkünfte zu verbessern. Da kann ich wohl für alle meine Kollegen in den deutschen Großstädten sprechen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung jetzt die Wartezeit bis zur Arbeitsaufnahme auf drei Monate verkürzt. Wenn es gelingt, Flüchtlinge schneller in Arbeit zu bringen und zu integrieren, entlastet das die öffentlichen Haushalte und löst die Spannungen in den Unterkünften.

Schaffen es die Städte überhaupt allein?

Wir müssen darüber reden, dass der Bund uns hilft. Wenn ich mir Städte im Ruhrgebiet anschaue, die schon in der Haushaltssicherung sind – das können wir Kommunen nicht alleine stemmen. Da müssen wir über eine Kostenbeteiligung des Bundes diskutieren. Die finanziellen Belastungen sind extrem geworden.

Vor 20 Jahren lagen drei große Wohnschiffe mit Hunderten Flüchtlingen im Hamburger Hafen. Ist es bald wieder so weit?

Wir haben die Hafenbehörde Hamburg Port Authority gebeten, nach Liegeplätzen und Schiffen zu suchen. Wir müssen die Schiffe am Ende ja nicht einsetzen, aber wir müssen zumindest jetzt die Planung vorantreiben, um es bei Bedarf schnell tun zu können. Mir ist es egal, ob 100 Plätze in einem Containerdorf geschaffen werden oder auf einem Schiff. Hauptsache, wir bekommen genügend Plätze.

Sie würden wieder Schiffe einsetzen?
Wenn uns jetzt noch 1600 Plätze fehlen und wir 200 Plätze auf einem Schiff bekommen können, dann nehmen wir sie. Es ist aber nicht einfach. Der Liegeplatz muss hergerichtet werden, Infrastruktur muss dahin, so einfach ist das alles nicht.

Das alles zeigt, in welcher Not Sie stecken.

Ja. Die Lage ist extrem.
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