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Fernschau-Fenster

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Schaufenster sind eine spezielle, aber meist ignorierte Kunstform. Deshalb würdigen wir regelmäßig Münchner Exemplare mit Kurzkritiken. Heute: ein TV-Fachgeschäft.




Dieses Schaufenster gehört zu einer aussterbenden Gattung: der des TV-Fachgeschäfts. Als der Fernseher noch Mittelpunkt unserer medialen Unterhaltung war und jeder Ausfall dieses technischen Wunderwerks einer Katastrophe gleichkam, hat dieser kleine Laden in der Kaiserstraße sicher vielen Menschen die Abende gerettet – Reparaturen sind hier schließlich notfallmäßig von 8 bis 21 Uhr möglich. Also sogar noch nach der Tagesschau. Und wer gar keinen Fernseher besitzt, kann sich hier vors Fenster stellen und trotzdem gucken.

Erdogan grätscht zurück

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Istanbuler Fußballfans werden gegängelt, weil sie die Protestbewegung unterstützen.

Profifußball-Spieler war auch eine Option: Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan galt vor seiner politischen Karriere als ausgesprochenes Talent auf dem Rasen. Ein glühender Fußballfan ist der konservative Muslim bis heute geblieben. Die Arena in dem schlichten Is-tanbuler Hafenviertel Kasimpasa, in dem der Premier aufwuchs und seine ersten Bälle kickte, trägt den Namen "Recep-Tayyip- Erdogan-Stadion".



Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan galt vor seiner politischen Karriere als ausgesprochenes Talent auf dem Rasen.

In der neuen Saison wird von Mitte August an ausgerechnet hier auch der Istanbuler Traditionsklub Besiktas seine Heimat finden, weil dessen Rasenplatz - das historische Inönü-Stadium - etwa zwei Jahre lang umgebaut wird. Besiktas-Fans sind zuletzt mit einem neuen Schlachtruf auf Istanbuls Straßen aufgefallen: "Erdogan istifa" - Erdogan tritt zurück.

"Schlaflose Nächte" bereite der Umzug von Mannschaft und Fans schon den Ver-antwortlichen in Istanbul - und der Regierung in Ankara, so heißt es auf der Webseite des oppositionellen Senders Odatv. Auch andere Fußball-Stadien könnten "zum Albtraum" für Erdogan werden, warnt der Autor des Odatv-Beitrags, Ahmet Yildiz. Schließlich gehörten nicht nur Mitglieder des prominenten Besiktas-Fanklubs "Carsi" zu den Unterstützern der Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park und auf dem Taksim-Platz, sondern auch Fangemeinden der zwei anderen Istanbuler Großklubs, Galatasaray und Fenerbahce. Fans von Fenerbahce waren im Juni kilometerweit marschiert, über die Bosporusbrücke zwischen Asien und Europa, um auf den Taksim zu gelangen. Die Stadt hatte Schiffe und U-Bahnen eingestellt, um die Protestler zu behindern. Auf dem Taksim versöhnten sich dann die sonst tief verfeindeten drei Klubs in aller Öffentlichkeit, tauschten T-Shirts und nahmen gemeinsam an den Demonstrationen gegen die Regierung teil.

Im Massenblatt Hürriyet erfuhren die Besiktas-Anhänger am Mittwoch nun, wie der Klub den Sorgen vor einem Umzug der Proteste von den Straßen in die Stadien begegnen will: Jeder, der ein Ticket für eines der Besiktas-Spiele kauft, muss bestätigen, dass er sich nicht an "gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Aktionen" beteiligen wird - also keine Anti-Erdogan-Parolen. In den sozialen Medien hagelt es Proteste gegen den Klub, der diese Bedingung "stillschweigend" akzeptiert habe, so Hürriyet. Die Besiktas-Verantwortlichen berufen sich auf ein Gesetz, das schon eine Weile existiert und Gewalt in den Stadien verhindern soll. Darin werden Fans für "beleidigende Jubelrufe" bereits drei bis zwölf Monate Haft angedroht.

Sollten die Besiktas-Anhänger gegen die neuen Regeln verstoßen, könnte ihr Klub das Recht verlieren, im "Erdogan-Stadion" zu spielen, heißt es. Auch beim Kauf elektronischer Tickets für Spiele in anderen Städten hat der Staat offenbar ein Auge auf die Fans. Käufer für ein Super-Cup-Spiel am 11. August im zentralanatolischen Kayseri müssten ihre Identitätsnummer, die jeder Türke hat, angeben, so heißt es bei Odatv. Es sei damit ein Leichtes, später herauszufinden, in welchem Tribünenblock eventuelle Störer saßen. "Dann können sie wie Kriminelle behandelt werden", berichtet Odatv. Auch in der türkischen Hauptstadt hatten Fans des Vereins Ankara Gücü an den Protesten teilgenommen. Viele Beobachter sind sich einig: Ohne die vielen, nicht selten kampferprobten Fußballfans wären die Proteste womöglich nicht so rasch zu einer Massenbewegung geworden.

"Gefährlicher Präzedenzfall"

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Bürgerrechtler warnen vor Auswirkungen des Manning-Urteils.

Noch wird über das Strafmaß für den US-Obergefreiten Bradley Manning verhandelt, der 700000 Geheimdokumente von Militärrechnern heruntergeladen und der Enthüllungsplattform Wiki-
leaks zugespielt hatte. Doch schon der Schuldspruch beunruhigt Bürgerrechtler. Sie fürchten, dass potenzielle Enthüller abgeschreckt und Informationen über Missstände künftig nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen werden. Der 25-jährige Manning war am Dienstag von einem US-Militärgericht in Fort Meade in fast allen Anklagepunkten für schuldig befunden worden - unter anderem der Spionage, des Geheimnisverrats, Computerbetrugs und Diebstahls. Vom schwerwiegenden Vorwurf der Feindesunterstützung - dafür kann die Todesstrafe verhängt werden - wurde er freigesprochen. Die Anklagepunkte, die das Gericht nicht verwarf, reichen allerdings für 136 Jahre Gefängnis. Die Beratungen über das Strafmaß haben am Mittwoch begonnen, bis zu dessen Verkündung könnte ein Monat vergehen.



Wikileaks-Gründer Julian Assange bezeichnete Manning als "Helden", dessen Verurteilung "absurd" sei.

Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning, würdigte Manning am Mittwoch als mutigen Mann. "Wir brauchen Leute, die den Mut haben, das, was unrecht ist, aufzudecken", sagte er. "Es ist wichtig, legale Möglichkeiten zu schaffen, damit Whistleblower solche Dinge an Gerichte tragen können", ergänzte der FDP-Politiker. Die Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen bezeichnete das Urteil gegen Manning als "gefährlichen Präzedenzfall". "Mutige Menschen wie er und Edward Snowden sind unverzichtbar, damit Journalisten Fehlentwicklungen publik machen können", sagte Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation in Deutschland. Whistleblower müssten gesetzlich geschützt werden, forderte er. Unter Präsident Obama hat die Verfolgung von Journalisten und Informanten nach Ansicht der Journalistenvereinigung "besorgniserregende Ausmaße" angenommen. Die Regierung beschlagnahmte etwa Telefondaten der Nachrichtenagentur Associated Press.

Wikileaks-Gründer Julian Assange bezeichnete Manning als "Helden", dessen Verurteilung "absurd" sei. Der Schuldspruch sei ein "gefährlicher Präzedenzfall", sagte Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London zu Journalisten. Mannings Enthüllungen hätten Kriegsverbrechen aufgedeckt. "Er ist die wichtigste journalistische Quelle, die die Welt je gesehen hat." Auch die Verantwortlichen von Wikileaks kritisierten das Urteil. Es zeige den "gefährlichen, nationalen Sicherheitsextremismus der Regierung" von Präsident Barack Obama. Die US-Bürgerrechtsgruppe ACLU warf der US-Regierung vor, gezielt Informanten einschüchtern zu wollen. Sie forderte, dass die Weitergabe von Informationen im öffentlichen Interesse nicht als Spionage verfolgt werden sollte.

Der ehemalige deutsche Wikileaks-Unterstützer Daniel Domscheit-Berg sieht die Sache entspannter: Informanten werde es weiter geben, doch sie würden ihr Vorgehen anpassen. "Ich glaube nicht, dass das Urteil Leute abschreckt", sagte er der dpa. Es werde weiterhin Menschen geben, "die sich ein Herz fassen" und Missstände öffentlich machen.

Beide Hände auf die Tastatur!

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Die britischen und isländischen Pornografieverbote helfen der Gleichberechtigung nicht weiter

Am 22. Juli verkündete der britische Premierminister David Cameron, dass von Ende nächsten Jahres an sämtliche Internet-Provider den Zugang zu Online-Pornografie filtern werden. In seiner Verlautbarung argumentierte Cameron, dies sei ein wichtiger Schritt, um die jüngsten Bürger des Landes zu schützen.

Haushalte, die auf Pornografie nicht verzichten wollen, werden ihre Provider ausdrücklich darum bitten müssen, die Filter abzustellen, die standardmäßig eingeschaltet sein werden. Kurz gesagt: Erwachsene, die gerne erwachsene Dinge ansehen, werden ihre Internetfirma anrufen und deutlich sagen müssen: 'Ich möchte bitte Pornografie ansehen.'



Wer sich in England im Internet einen Porno ansehen möchte, muss dafür in Zukunft beim Provider anfragen.

Camerons Ankündigung folgte auf einen Vorschlag von Islands Innenminister Ögmundur Jónasson vom Anfang des Jahres, alle Formen von Pornografie zu verbieten, sei es in gedruckter Form oder im Internet. Der Aufschrei war groß. Es wäre der erste Versuch eines flächendeckenden Porno-Verbots in einer westlichen Demokratie. Sex vom Kommerz zu befreien, versucht die isländische Regierung allerdings schon länger: Bereits 2009 hatte das Parlament bezahlten Sex für illegal erklärt. Strip-Clubs wurden 2010 verboten. Streng genommen, ist auch Pornografie seit Jahrzehnten nicht mehr erlaubt. Das Verbot wurde allerdings nie vollständig umgesetzt, und so blieben Playboy, Sexshops und Online-Pornografie auch in Island Teil der kulturellen und ökonomischen Landschaft.

Nach Beratungen mit der Polizei und mit Erziehungs- und Gesundheitsexperten hat die Regierung nun jedoch entschieden, dass Pornografie für Frauen und besonders für Kinder eine Gefahr darstellt. 'Wenn ein Zwölfjähriger bei Google ,Porno" eingibt', so die politische Beraterin des Innenministers, Halla Gunnarsdóttir, zu der kanadischen Zeitung The Globe and Mail, 'dann wird er oder sie nicht Fotos von einer nackten Frau draußen auf dem Feld finden, sondern harte und brutale Gewalt.' Genau dieses Hardcore-Material will die Regierung ins Visier nehmen. Das neue Gesetz wird nicht alle Abbildungen von Nacktheit verbieten, sondern nur solche, die Sex in 'gewalttätiger' oder 'verächtlicher' Weise darstellen. 'Wir sind eine progressive, liberale Gesellschaft, wenn es um Nacktheit oder sexuelle Beziehungen geht', sagte Gunnarsdóttir.

Nun findet man diese Sprache der progressiven Gender-Politik und Bürgerrechte zwar nicht in Camerons Ankündigung, aber sein Ansatz ist ähnlich, wenn er behauptet, dass es ihm vor allem darum geht, sexuelle Gewalt und Kinderpornografie zu zensieren. Er verkündete auch, dass Suchmaschinen per Gesetz die Suche nach Begriffen blockieren sollen, die auf einer schwarzen Liste stehen, welche das britische Zentrum für Kindesmissbrauch und Online-Schutz erstellen soll. 'Ich habe eine klare Botschaft an Google, Bing, Yahoo und den Rest', sagte Cameron. 'Sie sind verpflichtet, danach zu handeln. Es ist eine moralische Pflicht.'

Gail Dines, Anti-Pornografie-Aktivistin und Wissenschaftlerin am Wheelock College in Boston, lobte in einem Interview die isländische Regierung dafür, 'Pornografie aus einer neuen Perspektive zu betrachten, die auch den Schaden berücksichtigt, der den mitwirkenden Frauen zugefügt wird, bis zur Verletzung ihrer Bürgerrechte'. Diese Position ist allerdings nicht neu. Bereits in den Achtzigerjahren hatten sich in vielen amerikanischen Bundesstaaten Aktivisten für Pornografieverbote eingesetzt. Angeführt von zwei prominenten Feministinnen, der Schriftstellerin Andrea Dworkin und der Rechtswissenschaftlerin Catharine MacKinnon, wurde die Anti-Porno-Bewegung zu einer ernstzunehmenden Macht. Vielleicht kann ein Blick auf diese Geschichte helfen, wichtige Fragen über das in Island noch immer umstrittene Gesetz zu beantworten.

'Das größte Thema von Pornografie', schrieb Dworkin 1981, 'ist männliche Macht, ihre Natur, ihre Größe, ihr Nutzen, ihre Bedeutung.' Durch ihre unglaubliche Bühnenpräsenz und ihre beschwörerische Redeweise ergänzte Dworkin die juristische Argumentation um eine beinahe spirituelle Dimension. Ihre Auftritte bei öffentlichen Anhörungen in Minneapolis im Jahr 1983 machten aus den Gefahren von Pornografie nationalen Gesprächsstoff. Wenn amerikanische Liberale heute ihr Unwohlsein gegenüber Misogynie artikulieren, sich beschweren, dass Pornografie Sex 'zu einer Ware' und den Körper 'zum Objekt macht', dann verwenden sie die Sprache Dworkins und MacKinnons, ob sie es wissen oder nicht.

In politischer Hinsicht kann man die Anti-Porno-Bewegung kaum als Erfolg bezeichnen: Jede auf Drängen von Dworkin und MacKinnon erlassene Bestimmung wurde entweder aufgrund des ersten Verfassungszusatzes von den Gerichten aufgehoben, oder die betroffenen Bürgermeister legten vor Gericht ihr Veto ein.

Camerons Anstrengungen werden zweifellos auf den Widerstand von Kritikern treffen, die jetzt schon behaupten, dass seine Webfilter nicht nur auf Pornografie abzielen, sondern auch auf Websites, die Alkohol und Tabak bewerben, Essstörungen fördern oder zu Terrorismus aufrufen. Außerdem wehrten sich in den USA damals einige der in Magazinen und Filmen auftretenden Frauen gegen die Behauptung, sie seien hilflose, traumatisierte Opfer. Sie waren nicht begeistert davon, dass man den Beruf, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienten, für illegal erklären wollte.

Die Anti-Porno-Bewegung führte auch unter den Feministinnen selbst zu bitteren Konflikten. In ihrem Buch 'Battling Pornography' berichtet die Historikerin Carolyn Bronstein, dass die Aktivistinnen von 'Women Against Pornography' viele Briefe von Frauen erhielten, die sagten, sie sähen gerne Pornos. Mit einem 'falschen Bewusstsein' habe das nichts zu tun. Sie lernten sogar etwas über Sex.

Andere wehrten sich gegen den Anspruch einer fast nur aus weißen Akademikerinnen bestehenden Gruppe, darüber zu bestimmen, welche Arten von Sex 'auf Gleichberechtigung basieren' und welche nicht. 'In der Praxis', so die feministische Intellektuelle Ellen Willis, 'laufen alle Versuche, gute Erotik von schlechtem Porno zu trennen, auf den Gedanken hinaus: ,Was mich anturnt, ist erotisch; was dich anturnt, ist pornografisch."'

Wird das in Island anders sein? MacKinnon steht auch hinter den Anti-Prostitutions-Gesetzen, die in den vergangenen Jahren in den skandinavischen Ländern verabschiedet wurden. Darum ist es keine Überraschung, wenn nun auch Island Rhetorik und Taktik der amerikanischen Anti-Porno-Bewegung imitiert.

Dabei könnte die isländische Initiative gerade dort scheitern, wo sie ihre spektakulärsten Erfolge feiern will: im Internet. Sogar für westliche Verhältnisse ist Island eine extrem vernetzte Gesellschaft. Circa

95 Prozent der 320000 Bürger haben Internetzugang. Im Sog der Finanzkrise von 2008, die weite Teile der isländischen Wirtschaft in Trümmern zurückließ, begab sich das Land auf Seelensuche und entwarf zum Schutz gegen künftige Krisen sogar eine neue Verfassung. Deren Entwurf wurde im Juli 2011 dem isländischen Parlament vorgelegt und beinhaltete zahlreiche Passagen, die von den Bürgern per Facebook und Twitter vorgeschlagen wurden. Das als 'Verfassung 2.0' bekannt gewordene Rechtsdokument enthielt auch einen weltweit einzigartig starken Schutz der Pressefreiheit. 'Island wird das Gegenteil eines Steuerparadieses werden', sagte die Parlamentarierin Birgitta Jónsdóttir, 'wir wollen alles transparent machen.'

Mit seinen Argumenten für Gleichberechtigung und Kinderfürsorge scheint das Porno-Verbot gut in diese neue nationale Fortschrittlichkeitsrhetorik zu passen. Doch angesichts des einzigartigen Engagements des Landes für das demokratische Potenzial sozialer Medien hat die Initiative lautstarke Einwände hervorgerufen. In einem offenen Brief warnt die Isländische Initiative für moderne Medien, es sei 'technisch unmöglich, Inhalte im Internet zu zensieren, ohne die gesamte Telekommunikation zu überwachen'. Darum sei die Zensur von Pornografie in Island in keiner Weise besser als die Unterdrückung der Redefreiheit in Iran, China oder Nordkorea'.

Auch diese Kritik hat ihren Ursprung in den Achtzigern, als ein Kritiker der Anti-Porno-Bestimmungen sagte: 'Wenn Pornografie sexuelle Diskriminierung ist, dann ist ein kritischer Leitartikel gegen den Präsidenten Verrat.'

Die Debatte mag ein wenig überspannt klingen, vor allem was die leichtfertigen Vergleiche mit brutalen Regimen angeht. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Anhänger des Pornoverbots nicht bloß auf schnelle Lösungen aus sind, statt für tief greifende politische und soziale Veränderungen zu kämpfen. Natürlich spiegeln und verstärken Pornos den Sexismus in der Gesellschaft. Aber das tun auch die Sportschau, rosa Prinzessinnen-Kinderbücher, der rechte Flügel der republikanischen Partei und die Oscar-Moderation des Komikers Seth MacFarlane.

Obwohl der Premierminister Cameron und der isländische Innenminister aus politisch vollkommen unterschiedlichen Lagern kommen, haben sie ihre Vorschläge für ein Pornografieverbot doch mit erstaunlich ähnlichen rhetorischen Mitteln und Vokabeln begründet. Das sollte Progressive stutzig machen. Die konservative Daily Mail, die Cameron monatelang unter Druck gesetzt hatte, strengere Pornografiegesetze zu initiieren, brachte auf ihrer Website neben dem Text, der die neue Initiative lobte, ein gutes Dutzend Links zu Onlinegalerien mit verschiedenen weiblichen Promis in Badeanzügen, unter ihnen eine Schauspielerin, die erst 17 Jahre alt ist.

So bleibt die Frage, ob ein Pornoverbot, selbst wenn es technologisch machbar wäre, tatsächlich ein hilfreicher Beitrag zur Gleichberechtigung der Geschlechter wäre. Die Geschichte legt eine klare Antwort nahe: nein.


Ein Avatar, der nicht alles kann

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Das Weltuntergangs-Videospiel 'The Last of Us' ist das furchtloseste der Saison. Denn seine Figuren sind normale Menschen - und das fordert die Spieler, die Helden sein wollen, heraus

Der Weltuntergang ist in der Popkultur eine beliebte Kulisse. Und nicht zuletzt das Videospiel hat die Ästhetisierung der Apokalypse zu einer hohen Kunst entwickelt. Da gehen Städte in Flammen auf und Flutwellen waschen die Aschereste hinfort, da streifen radioaktive Monster durchs verstrahlte Ödland und zerbrechen ganze Planeten in hyperrealistischer HD-Grafik - aber wie es den Protagonisten bei alldem geht, davon erfährt der Spieler in seinem Wohnzimmer meist nur wenig. Das Videospiel 'The Last of Us' möchte das ändern.

In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft steht die Menschheit mal wieder am Rande der Auslöschung, eine Pilzinfektion lässt brave Bürger zu rasenden Monstren mutieren. Mit Ursachen und Herkunft der Seuche hält sich das Spiel nicht lange auf. Die Erzählung startet 20 Jahre später, die USA sind zu einem riesigen Ödland geworden, Banden von Überlebenden streunen durch die Wildnis und sind mindestens genauso tollwütig wie die Infizierten selbst. Nur an der Ostküste halten sich, mehr schlecht als recht, einige Trutzburgen der Zivilisation, in denen das Militär jegliche Bürgerrechte missachtet. Hoffnungslosigkeit allenthalben.



In dem neuen Weltuntergangs-Computerspiel 'The Last of US' schlüpfen die Spieler zur Abwechslung mal nicht in die Rolle eines Avatars mit Superkräften.

Der Spieler schlüpft in die Rolle von Joel, Nachname unbekannt, von den Umständen des Überlebens abgehärmt. Der Mann mit graumeliertem Bart, dessen Tagwerk lange darin bestand, Waffen zu schmuggeln oder Lebensmittelkarten zu stehlen, erhält den Auftrag, ein junges Mädchen namens Ellie an einen sicheren Ort zu eskortieren. Der Teenager wurde in einer Quarantänezone geboren, kennt die Welt abseits der Mauern nicht, eine Welt, in der die Natur die Spuren jeglicher Kultur beseitigt hat. Wie die frühen Siedler ziehen Joel und Ellie von Neuengland in Richtung Westen, aber das entvölkerte Nachkatastrophenland ist längst nicht mehr kolonisierbar. Die Anleihen, die das Spiel bei Kinofilmen wie 'Children Of Men' und der Verfilmung von Cormac McCarthys Bestseller 'The Road' nimmt, sind nicht zu übersehen.

'Sind wir die Guten?', fragt in 'The Road' der Sohn ab und zu den Vater. Auch im Videospiel haben Beschützer und Schützling zwar einander und doch verlieren sie sich auf ihrer Reise, die Hoffnung weicht dem Misstrauen. Mitgefühl, Vergebung und Bedauern sind im Kampf um das eigene Überleben keine Fixpunkte mehr im moralischen Koordinatensystem.

Kein Wunder, dass 'The Last Of Us' seinen Protagonisten eine gewisse psychologische Entwicklung zugesteht, die über bloße Dialoge hinausgeht. Mithilfe moderner Motion-Capturing-Techniken und entsprechender Animationssoftware können Videospiele mittlerweile sogar den enttäuscht-trotzigen Blick eines 14-jährigen Mädchens simulieren. Auch sonst wirkt 'The Last Of Us' überwältigend lebensecht. Joel und Ellie betreten morsche Gebäude auf der Suche nach Vorräten und finden stattdessen nur verblichene Tagebücher - das Mädchen wundert sich über die Probleme, mit denen sich die ehemaligen Bewohner vor langer Zeit herumgeschlagen haben. Vor der Tür herrscht Zwielicht, das Pflaster der Straßen ist aufgeplatzt, sogar der Müll und all die anderen Überreste der Konsumgesellschaft, die auf den Straßen herumliegen, wirken - in ihrer geplanten Zufälligkeit - fotorealistisch. Naughty Dog, das Entwicklungsstudio hinter 'The Last Of Us' gilt in der Branche als magischer Ort, an dem die Fusion von Videospiel und Film vorangetrieben wird. Dieser Ruf liegt vor allem an der dort entstandenen 'Uncharted'-Trilogie, einer Art Adaption von 'Indiana Jones' für die atemlosen Entertainment-Ansprüche der Nullerjahre. Abstürzende Flugzeuge, Berggipfel, endlose Wüsten und eine filmreife Performance der Motion-Capturing-Darsteller, ein epischer Soundtrack, den auch Hollywoods Chef-Bombastkomponist Hans Zimmer nicht besser hinbekommen hätte, und ein Plot, der zumindest den Ansprüchen an die meisten Sommer-Blockbuster genügt, ergaben das kompletteste Unterhaltungserlebnis, das die Spielebranche bislang hervorgebracht hat.

Doch es gab immer auch ein Problem. Denn während der Held, ein Indiana-Jones-Epigone namens Nathan Drake, in den kinoreifen Zwischensequenzen als smarter Tunichtgut präsentiert wird, richtet er in den Spielsequenzen ein Massaker nach dem anderen an. 'Uncharted' warf dem Spieler eine ganze Privatarmee von Schurken entgegen, die reihum und mit großer Lässigkeit abzumurksen waren.

Diese Dissonanz zwischen Narrativ und Gameplay, also den tatsächlichen Eingriffen des Spielers - Springen, Kriechen, Schießen - in die Geschichte ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der Videospiele in Richtung einer kohärenten narrativen Erfahrung: Wie kann man ein Medium auch nur halbwegs ernstnehmen, das sich permanent selbst widerspricht?

Auch 'The Last Of Us' kommt nicht ohne Gewalt aus, es geht schließlich ums Überleben. Um das Überleben aber auch mit Sinn zu füllen, leistet sich das Spiel einen Kniff: Die Entwickler greifen zugunsten des Plots in die Spielmechanik ein, die Schere zwischen automatisch ablaufender Zwischensequenz und Gameplay schließt sich. Das klingt zunächst unspektakulär, ist aber in Wahrheit unerhört. Joel mag ein Überlebender der Katastrophe sein, das macht ihn aber noch lange nicht zu einem Experten im Umgang mit Feuerwaffen. Und so wackelt und zittert das Fadenkreuz auf dem Bildschirm, egal, wie feinfühlig der Spieler mit dem Joystick interagiert. Nach einem Sprint gerät Joel außer Atem, genau wie es auch einem echten Menschen passieren würde. Er kann auch nicht, wie so viele seiner digitalen Vorgänger, bergziegenhaft an glatten Wänden empor klettern. Stattdessen verbringt man zehn Minuten auf der Suche nach einer morschen Leiter. Es gibt keine Karte, die dem Spieler zeigt, wohin er seinen Avatar zu steuern hätte.

Und so ist man genauso verloren wie das digitale Abbild, ist eher Getriebener als Handelnder. Auch hier ordnen sich das Spiel und seine Regeln also der Geschichte unter: Angesichts des Untergangs der Menschheit kommt die Perspektive schon mal abhanden. Und dann wären da noch die Ressourcen. Sie sind, wie es sich für eine Apokalypse gehört, rar gesät. Es bleibt immer nur eine Handvoll Munition, für die Konfrontationen, die irgendwann unausweichlich werden, also bastelt man sich aus einem Heizungsrohr, einer Schere und ein bisschen Klebeband eine behelfsmäßige Axt.

'The Last Of Us' hat nicht nur Lob kassiert. Die Entwickler stecken in einem Dilemma zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und den Sachzwängen, die sich ergeben, wenn die Produktionskosten gerne über 100 Millionen Dollar betragen und die Entwicklung mehrere Jahre dauert. Anders ausgedrückt: Kann man es in solchen Dimensionen wagen, die immer noch recht adoleszente Zielgruppe vor den Kopf zu stoßen? Das Videospiel-Publikum ist es nicht gewohnt, künstlich limitiert zu werden. Im Gegenteil.

Schließlich bedient das Videospiel bislang auch und vor allem die Allmachtsfantasien, die Eskapismusgelüste und heroischen Sehnsüchte der Spieler. Oft genug ist der Avatar noch immer ein schwerbewaffneter Supersoldat, der nicht weniger als die ganze Welt zu retten hat. Joel dagegen ist der alltägliche Jedermann, der, um Ellie zu beschützen, einen Angreifer auch schon mal mit bloßen Händen aus dem Weg räumt oder mit einem Ziegelstein so lange auf ihn eindrischt, bis er außer Atem gerät. Mit dem klassischen Videospiel-Heldentum hat das fast nichts mehr zu tun. Wer fühlt sich schon heroisch, wenn er einen Ziegelstein in der Hand hält?

Na? Hast du dich verlaufen, Kleines?

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Eine verirrte Urlauberin musste neun Stunden an der Mecklenburger Seenplatte ausharren, bevor ein Rettungstrupp sie fand. Was sind deine schlimmsten Geschichten vom Verlaufen?

Mit "Hänsel und Gretel" fängt es immer an. Diese Geschichte von den beiden Kindern, die sich im Wald verlaufen, weil die Vögel die Brotkrumen auffraßen, die ihnen den Heimweg weisen sollten, brennt sich im Kindergedächtnis ein. Denn auf einmal wird einem klar: Was, wenn ich auch einmal ohne Papa und Mama im Wald verloren gehe? Wie finde ich dann den Weg nach Hause? Auf einmal lauscht man aufmerksamer, wenn im Einkaufszentrum der kleine Marvin über den Lautsprecher seine Mama sucht und auch Filme wie "Kevin allein zu Haus / in New York" wirken bedrohlich. Schließlich kann es jedem mal passieren, dass er sich verirrt. Und dann nicht gefunden zu werden und den Rest des Lebens in einem Einkaufszentrum oder Wald zu hausen... man will es sich gar nicht ausmalen.



"Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Da war es dunkel und auch so bitterkalt..."

Je älter man wird, umso mehr legt sich diese Angst natürlicherweise. Man lernt Karten zu lesen, verbessert seinen Orientierungssinn oder geht einfach nur noch mit Navi oder Smartphone aus dem Haus. Trotzdem gibt es immer noch Situationen, in denen all diese Hilfen sinnlos werden. Zum Beispiel beim Baden.

Einer Touristin in Mecklenburg ist eben das passiert: Sie ging abends schwimmen an der Seenplatte und fand danach nicht mehr den Weg zurück. Neun Stunden verharrte die 61-Jährige daraufhin am Rand eines Kanals, bis der losgeschickte Suchtrupp sie am nächsten Morgen fand. Wer schonmal in nassen Badeklamotten mehrere Stunden ohne die wärmende Sonne verbracht hat, kann sich ihre unangenehme Situation sicher vorstellen.

Ich selbst hatte schon einmal so eine Situation, in der mir das beste Handy nichts brachte: Beim Osterausflug verirrten meine Familie und ich uns hoffnungslos im Schwarzwald. Zunächst ignorierten wir noch, dass der auf 1,5 Stunden deklarierte Wanderweg bereits zwei dauerte. Nach drei Stunden wurde es dann unangenehm und wir trafen auch keine anderen Menschen mehr. Handyempfang? Doch nicht im tiefsten Schwarzwald. Am Ende rettete uns mein kleiner Bruder. Bereits zu Beginn hatte er gesagt, wir müssten vom Weg runter einmal quer durch den Wald gehen. Keiner glaubte ihn. Als wir in unserer Verzweifelung auf den Knirps hörten, hatte er tatsächlich Recht und wir standen wieder an der Seilbahn, die uns sicher ins Tal beförderte.

Was für Storys hast du bereits beim Erkunden neuer Spazierrouten erlebt? Hast du dich schon einmal so richtig verirrt, oder gehörst du zu der Kategorie meines kleinen Bruders, die einfach immer den Weg nach Hause kennen? Und wenn nicht: Wie rettest du dich, wenn du mal wieder komplett orientierungslos irgendwo rumstehst?

Das neue jetzt.de-Tagebuch

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jetzt.de schreibt Tagebuch. Seit einer Weile schon. Jetzt haben wir ein paar technische Verbesserungen eingeführt, die das Lesen und Schreiben erleichtern.





jetzt.de schreibt Tagebuch. Seit einer ganzen Weile schon. Seit Januar 2012 haben jetzt-User und Redakteure ihr Leben festgehalten, sie haben über ihre kleinen und großen Momente geschrieben, über das, was ihnen wichtig war oder bemerkenswert erschien oder einfach nur wert, nicht vergessen zu werden.  

Das ist der Grund, aus dem wir mit dem Tagebuchschreiben begonnen haben. Wir hatten festgestellt: Wir vergessen zu viel. Man merkt das nicht anhand der Jahresrückblicke im Fernsehen, sondern wenn man seinen Geldbeutel ausleert und darin den Kassenzettel vom Surfbrettverleih findet und plötzlich dieser eine Moment wieder da ist, der zu klein und unbedeutend war, um jeden Tag daran zu denken – aber eben auch zu gut, um ihn zu vergessen.  

Solche Momente halten wir seitdem im jetzt.de-Tagebuch fest. Es geht um den Alltag, das Leben zwischen den paar großen Momenten, das, was gerade ist. Geschichten und Erzählungen, Phänomenologien und Abrechnungen haben weiterhin als normale Texte bei jetzt.de Platz – ins Tagebuch gehört die schlichte Chronologie deines Jahres, dein Stundenplan, dein Fahrtenbuch.  

Was ist neu?


Bislang haben wir die Texte unter dem Label 2_0_1_2, beziehungsweise 2_0_1_3 gesammelt. Jetzt haben wir eine wirkliche Tagebuch-Umgebung geschaffen. Sie soll es leichter machen, durch das jetzt.de-Tagebuch zu navigieren und Tagebuch zu führen.





Die Eingabemaske ist der normalen „Text schreiben“-Funktion sehr ähnlich, mit dem Zusatz, dass du für deinen Eintrag einen Tag in deinem Tagebuchkalender auswählen kannst, als würdest du in einem analogen Tagebuch blättern und schreiben. Außerdem kannst du deinen Kalender nach Tagebucheinträgen durchforsten, du kannst nachlesen, wann ein bestimmter User etwas in sein Tagebuch geschrieben hat oder was der gesamte Kosmos im Monat Juli oder in der Kalenderwoche 31 geschrieben hat. Für alle bisherigen Tagebuchautoren: Die alten Label 2_0_1_2 und 2_0_1_3 haben wir in dem neuen Label Tagebuch zusammengefasst, sodass die alten Beiträge auch im Kalender auftauchen können.  

Was ist noch neu?


Bislang stand oben rechts nur der Button „Text schreiben“. Diesen Button haben wir angepasst, um alle Möglichkeiten, im jetzt-Kosmos etwas zu veröffentlichen, gleich schnell und einfach zugänglich zu machen. Deshalb steht dort jetzt „Veröffentlichen“, und du kannst auf einer Zwischenseite auswählen, ob du einen Text, einen Tagebucheintrag oder einen jetzt-Moment schreiben oder Bilder hochladen möchtest.  



Wenn du Fragen oder Anregungen hast, lass es uns in den Kommentaren wissen. Ansonsten: Viel Spaß mit dem Tagebuch!

Wie das Internet ... direkt auf die Handy-Mailbox spricht

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Ein Lifehacker macht sein Leben mit einfachen Tricks ein bisschen besser. Das Internet ist voll von Lifehackern - wir sammeln ihre besten Tricks. Heute: unangehmen Telefonaten ausweichen.




Das Problem: ...ist kein besonders ehrenhaftes, das vorweg. Es basiert fast immer auf Feigheit oder Konfliktscheue. Der Kern des Problems: Du schuldest jemandem einen Anruf, auf den du keine, aber auch überhaupt keine Lust hast. Vielleicht ist es die bösartige Vermieterin, die mal wieder im bebenden Tonfall in einer Mail um Rückruf gebeten hat, "Betreff: MÜLL IM TREPPENHAUS!!!". Oder der ungepflegte Typ, der sich um die Zwischenmiete in deinem WG-Zimmer beworben hat. Du musst ihm eine Absage übermitteln, aber das möglichst sanft, schnell und ohne dessen Körpergeruch als Argument zu erwähnen. In jedem Fall bist für das direkte Gespräch ein bisschen zu feige.

Die Internet-Lösung: Direkt - und zwar ohne Klingeln - auf die Mailbox sprechen. Das verhindert hitzige Wortgefechte und die unangenehme Situation, auf Rückfragen keine gute Antwort geben zu können - andererseits befreit es dich von dem Vorwurf, dich einfach nicht zu melden. Die klingelfreie Abkürzung direkt auf die Mailbox findest du mit Hilfe von zwei Ziffern, die du zwischen Vorwahl und Telefonnummer wählst. Je nach Mobilfunkanbieter, bei dem der Angerufene seinen Vertrag hat, variieren diese Ziffern.

Hilft dir das? Welche Telefon-Tricks hast du?

Die Hölle, das sind die Hausarbeiten

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Kaum Druck, kaum Fristen, kaum Pflichten: Wer studiert, hat jetzt im Sommer die beste Zeit seines Lebens. Vorausgesetzt, er kann Hausarbeiten schnell und schmerzlos runterschreiben. Unsere Autorin kann das leider nicht. Hilfeschrei einer Arbeitswütigen.

Abends wird es ruhig zwischen den Bücherregalen. Keine gezischelten Gespräche mehr, keine knisternden Plastiktüten von Studenten, die ihre Sachen packen. Nur das Surren der Laptoplüftungen bleibt in der Bibliothek. Das Deckenlicht im Lesesaal ist gedimmt, die Tischlampen werfen Lichtkegel auf die wenigen Arbeitsplätze, die noch besetzt sind. Darunter glühen die Bildschirme der Laptops: mal mit Word, mal mit Facebook. Meine Freunde grillen auf der Liegewiese, sitzen auf der Dachterrasse oder trinken aus Pappbechern Wein am Fluss. Nur ich bin hier. Mal wieder.  

Um es gleich vorweg zu nehmen: Studieren ist machbar. In die Bibliothek gehen, Texte lesen, seinen Bachelor in sechs Semestern abschließen sind alles Dinge, die man genauso gut schieben, sein lassen oder gegen entspannte Nachmittage am Badesee tauschen kann. Uni ist eine Blase in der Realität, in der Durchwursteln nicht immer, aber doch meistens erlaubt ist. Die Verantwortung kommt später. Für die meisten ist Studium deswegen eine gelungene Abwechslung aus Prokrastination und kurzen, anstrengenden Lernphasen in der Prüfungszeit.  

Doch es gibt einen kleinen Kreis an Studenten, die sich durch das Studium quälen. Weil sie Perfektionisten sind, verfluchte Selbstoptimierer. Wie ich. Was meinen Freunden die schönste Zeit ihres Lebens bereitet, wird mir zum Verhängnis: die Freiheit des Studiums. Die Selbstorganisation, ohne Vorgaben, Strukturen und Pflichten. Aber eben auch ohne jemanden, der mich ausbremst, wenn ich über das Ziel hinausschieße, zu tief in ein Thema eintauche. Der mich in meiner Arbeitswut bremst, das Buch zuklappt und mich zwingt, endlich einen Satz aufzuschreiben, statt mich endlos in ein Thema einzulesen.  



Perfektionistische Studenten, gefangen zwischen den Bücherregalen der Bibliothek.

Die Hölle, das sind die Hausarbeiten. Denn Wissenschaft ist bodenlos. Entweder man paddelt an der Oberfläche oder stürzt sich hinein. Man kann immer noch mehr machen, einen Aufsatz mehr lesen, auf den ein paar Autoren hinweisen. Noch die eine Monographie vorbestellen, die so gut zum Thema passt. Am Ende des Tages stehen kaum mehr schwarze Buchstaben in Times New Roman Größe 12, Zeilenabstand 1,5, in meinem Word-Dokument. Nur der Stapel der Bücher, die ich irgendwie gerne zitieren würde und deswegen noch lesen muss, ist gewachsen.  

Dabei ist all die Lesewut nur der Versuch, das wirklich Ungeliebte aufzuschieben: Sätze in die Tastatur meines Laptops zu tippen. Weil es sich anfühlt, wie Dinge in Stein zu meißeln, die in meinem Kopf schwirren und dort durch unzählige Gedankenbrücken miteinander verbunden sind. Für die Hausarbeit brauche ich hingegen Kapitelabschnitte, klare, einfache Sätze und Bezeichnungen. Kurz: Ich habe eine Hausarbeiten-Schreibblockade. In Kombination mit einer unglaublichen Begabung, mich zu verzetteln.  

Deswegen läuft es dann meistens auf Gleiche heraus: Ich sitze in der Cafete, schlinge eine Breze mit Filterkaffee aus dem großen Zuber herunter und trotte danach wieder zurück in den Lesesaal. Dort sitze ich dann mit meinen fünf Leuchtmarkern und den Bücherstapeln, die ich tagsüber um mich geschart habe. Umgeben von Studenten, die noch feuchte Haare vom Badesee haben und die das schlechte Gewissen erst abends in den Lesesaal getrieben hat. Aber auch von anderen Drückebergern, chronischen Aufschiebern und Schreibmimosen. Ich bin nicht allein.  

Trotzdem frage ich mich in den düsteren Stunden des Filterkaffees immer wieder, warum gerade ich mich selbst so unter Druck setze. Nicht wie meine Freunde Zitate aus verschiedenen Quellen zusammenklauben und in die Arbeit hineinstreuen kann. Ich könnte behaupten, dass ich mich schlicht und einfach für mein Studium interessiere. Jemand bin, der es liebt, tausend Querverbindungen im Kopf zu haben. Aber mit dieser Antwort würde ich es mir selbst zu leicht machen. Ich fürchte, dass der wahre Grund für meine quälenden Nachtschichten viel unangenehmer ist: Ich definiere mich wohl ziemlich über meine Leistungen. Noten - besser gesagt: gute Noten - sind mir wichtig. Das kann ich in der Theorie so sehr ablehnen wie ich möchte. Das kalte Gefühl im Bauch, dass ich weiterlesen und weiterarbeiten muss, bleibt.  

Doch es gibt eine Erkenntnis, die mich tröstet: Die echte Welt außerhalb des Lesesaals treibt mir den Perfektionismus schon noch aus. Wenn ich in den Semesterferien arbeite, muss ich mich zusammenreißen, schreiben, auf den Punkt kommen. Weil es einen Feierabend gibt, eine Deadline. Für meine Freunde ist das Studium wie ein Luftholen vor dem echten Arbeitsleben. Ich hingegen freue mich schon darauf, nach einem Achtstundentag befreit durchatmen zu können. Denn im Büro kann ich nicht einfach im Schein meiner Tischlampe sitzenbleiben, bis ich das Gefühl habe, alles gelesen zu haben.   

Halluzinationen im Seminar

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Bunte Farbwirbel und bizarre Wesen: Münchner Designstudenten haben sich für ein Seminar in einen künstlichen LSD-Rausch versetzen lassen. Die Bilder, die dabei entstanden sind, werden jetzt in München ausgestellt. Drei Teilnehmerinnen erzählen.

Van Gogh genehmigte sich ein paar Gläser Absinth, bevor er zum Pinsel griff, Edgar Allan Poe schrieb im Opiumrausch und auch Jimi Hendrix spielte bekanntlich ungern ein Konzert ohne LSD. Die Geschichte ist voll von künstlerischen Meisterleistungen, die es so eher nicht ohne Rausch gegeben hätte. Ganz ungefährlich ist diese Inspirationsquelle natürlich nicht. Designstudenten an der Hochschule München hatten jetzt die Möglichkeit, sich einen bewusstseinserweiternden Kreativ-Kick auf harmlose und vor allem legale Weise zu holen. Mit einer speziellen Lampe mit dem klangvollen Namen "Lucia Nr. 3". "Die psychedelischen Erlebniswelten, in die man eintaucht, sind auf stroboskopartige Lichtblitze zurückzuführen. Das Gehirn wird dabei durch die geschlossenen Augen angeregt und produziert die Bilder", so Prof. Ralph Buchner von der Hochschule, der das Projekts initiiert hat.

Konzipiert wurde die Lampe von einem Psychotherapeuten und einem Neurologen aus Österreich, die dort einige Praxen für "Hypnagoge Lichterfahrung" betreiben. Was den Einsatzbereich angeht, bleiben die beiden auf ihrer Homepage allerdings ein wenig vage: "Die Hypnagoge Lichterfahrung wirkt umso stärker, je weniger konkrete Erwartungshaltungen mit ihr verbunden werden. Aus diesem Grund verzichten wir bewusst auf Einschränkungen ihres Wirkspektrums durch Benennung einzelner Einsatzbereiche."

Für Professor Buchner von der Hochschule München liegt dieser Bereich in der Kunst. Er entdeckte die Maschine vergangenes Jahr durch Zufall auf einem Kulturfestival und brachte sie als Leihgabe an die Hochschule. Zwei Semester lang konnten seine Studenten jetzt in dem Seminar "Kreativität durch psychedelische Lichtreisen" die 20.000 Euro teure Lampe testen. Erfahrungen mit dem Licht, das angeblich LSD-ähnliche Zustände hervorrufen kann, haben sie in freien Projekten und Designprojekten verarbeitet.



Susanne Arndt, 22, Kommunikationsdesign 6. Semester



Diese Foto ist Teil einer Bildstrecke, bei der Susanne Arndt Freunde portraitiert hat um die Fotos anschließend mit Illustrationen zu ergänzen.

"Ein LSD-Trip ohne Langzeitschäden, so lässt sich das Projekt wohl tatsächlich am besten beschreiben, auch wenn es für Außenstehende absurd klingt. Ich war nach einer kurzen Test-Session von den Formen und Farben so beeindruckt, dass ich unbedingt weitermachen wollte. In der zweiten Sitzung mit Lucia, in der ich ein fünfäugiges Wesen gesehen habe, kam mir dann auch schon direkt die Idee für mein Projekt: Ich habe Fotografien mit verschiedenen mythologischen Illustrationen kombiniert. Natürlich gibt es bereits ähnlich Motive, aber die Herangehensweise war für mich völlig neu. Nach einer halbstündigen Licht-Session konnte ich mich direkt hinsetzen und meine Ideen aufzeichnen ohne groß darüber nachzudenken – das ging früher nicht."



Amelie Heirichmeyer, 23,Kommunikationsdesign 6. Semester



Amelie Heirichmeyer hat sich in ihrem Projekt mit Lichtgottheiten aus verschiedenen Kulturen auseinandergesetzt.

"Seitdem ich mich ein paar Mal vor Lucia gesetzt habe, interessiere ich mich auf einmal für Themen wie Psychologie und Quantenphysik. Ich habe allgemein das Gefühl, dass ich nicht nur beim Zeichnen und der Ideenfindung freier geworden bin, sondern auch in meinem kompletten Denkprozess. Bei meinen Illustrationen habe ich mich mit den Lichtgottheiten in verschiedenen Kulturkreisen auseinandergesetzt. Die Farbkombinationen und Ornamente, die ich während der Licht-Experimente gesehen habe, waren für mich dabei immer der Ausgangspunkt der Bilder. Dann habe ich mich einfach hingesetzt und gezeichnet, und das Ganze hat eine unglaubliche Eigendynamik entwickelt."



Caroline Hagenau, 23,Kommunikationsdesign 6. Semester



Caroline Hagenau hat sich in ihrer Bilderserie mit organischen Formen beschäftigt.

"Wenn man von den Erfahrungen mit Lucia erzählt, glauben die Leute oft man ist ein esoterischer Spinner. Um ehrlich zu sein, konnte ich mir vor dem Projekt auch nicht so wirklich vorstellen, wie diese Lampe funktionieren soll. Dementsprechend überwältigt war ich von den Bildwelten, die ich gesehen habe. Beim Zeichnen habe mit sehr abstrakten Formen in schwarz-weiß angefangen, die sich dann zu sehr organischen bunten Bildern entwickelt haben. Beeindruckend fand ich vor allem, dass man die Maschine nach einigen Sitzungen gar nicht mehr benötigt, um neue Ideen zu entwickeln. Ein bisschen fühlt es sich so an, als hätte sich eine Blockade in meinem Kopf gelöst."


Hypnotisiert vom Netz

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Facebook macht nach dem gleichen Prinzip süchtig wie ein Spielomat, sagt ein amerikanischer Autor. Wenn wir stundenlang Timelines abscrollen, stecken wir in der "Machine Zone".

Angestrichen:

„What is the machine zone? It's a rhythm. It's a response to a fine-tuned feedback loop. It's a powerful space-time distortion. You hit a button. Something happens. You hit it again. Something similar, but not exactly the same happens. Maybe you win, maybe you don't. Repeat. Repeat. Repeat. Repeat. Repeat. It's the pleasure of the repeat, the security of the loop."

Wo steht das? In einem von Alexis C. Madrigal geschriebenen Artikel namens „The Machine Zone: This is where you go when you just can't stop looking at pictures on Facebook" auf der Website des Atlantic.

Und worum geht's? Um das, was geschieht, wenn man nur mal kurz aufs Klo gehen wollte oder zum Einschlafen nachsehen, was so auf Twitter los ist - und dann feststellt, dass man gerade eine Dreiviertelstunde damit verbracht hat, den Daumen über die Oberfläche des Telefons und durch die unendlichen Feeds von Twitter, Instagram oder Tumblr sausen zu lassen. Auf vielen Plattformen muss man nicht einmal mehr auf "Weiter" klicken. Man glotzt dem sich immer und immer wieder aufs Neue ins Unendliche erweiternden Feed hinterher wie ein armer Comic-Held dem Pendel des Feindes. Das eigene Zeit-Raum-Empfinden verblasst und dann geschieht es: Man tritt in die "Machine Zone" ein.

Der Begriff der „Machine Zone" stammt von der Anthropologin Natasha Schüll, die in Las Vegas über einen längeren Zeitraum hinweg Menschen vor Spielautomaten beobachtete, interviewte und dann feststellte, dass die meisten Menschen überhaupt nicht spielten, weil sie wirklich darauf hofften, zu gewinnen. Vielmehr schien es ihnen um den Zustand zu gehen, in den sie dabei gerieten: Eine selbstvergessene Ruhe, hypnosegleich, in der alles Andere plötzlich unwichtig wurde. Das Wetter, Sorgen, die Menschen außen herum - alles egal. In dieser sich ewig wiederholenden Schleife wähnten sie sich aufgehoben.

 



Wer sich im Internet verliert, schlussfolgert Madrigal, der handelt und empfindet ganz genau wie ein Spielsüchtiger. Bereits nach wenigen Sekunden ginge es ihm nicht mehr darum, ein Ziel zu verfolgen (Nachrichten schreiben, Poetisches twittern, Artikel lesen) sondern darum, nur noch einmal den load-more-Punkt zu erreichen und nur noch einmal ein Foto weiter zu klicken. Und noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal. Die „Machine Zone" als eine Art Pseudoflow, der einem im Gegenteil zum wirklichen Flow nicht mit dem sinnstiftenden Gefühl belohnt, in der verflogenen Zeit etwas Produktives getan zu haben, sondern der einen mit einem Gefühl der Leere zurücklässt.

Madrigal betont, in seinem Text keine totale Kritik am Internet üben zu wollen. Interessanten Links zu folgen, sich an neuen Gedanken zu ergötzen, Zeitung zu lesen, Tweets zu formulieren, mit Freunden zu chatten oder bei Asos einzukaufen, all das sind für ihn sinnstiftende virtuelle Tätigkeiten. Die "Machine Zone" beginne erst dort, wo jedes aktive Verhalten aussetze. Wo das Scrollen nur noch um des Scrollens willen geschehe.

Seine Kritik richtet sich gegen die Designs der Benutzeroberflächen sozialer Netzwerke, Blogs oder Nachrichtenplattformen. Es herrsche die Annahme, dass je länger jemand auf einer Seite bliebe, desto besser gefiele sie ihm. Und deshalb werde vor allem daran gearbeitet, es den Menschen noch einfacher zu machen, sich auf der Seite zu verlieren. Nur: Die Plattformen könnten sich damit auf Dauer selbst eine Falle stellen. Denn der ursprünglich gute Gedanke, Menschen zu verbinden sei mittlerweile zu einem risikobehafteten, irgendwie unangenehmen Unterfangen geworden, das vielen Menschen Beklemmungen und Frustration verschafft. Es gehöre ja sowieso schon zum guten Ton, Facebook zu belächeln und das sinnlose Hängenbleiben im Feedscrollen zu bejammern.

„Things could be different", schreibt Madrigal. Und schlägt vor, die Betreiber von Facebook könnten doch einfach nach jedem 100. Foto ein Bild einblenden lassen, auf dem steht: „Wieso schreibst du nicht lieber einem Freund oder einem Familienangehörigen eine Nachricht?" So könnten sie die Menschen auf der Seite behalten, aber sie vor der Nach-Klick-Depression bewahren. Es sei doch eigentlich ganz einfach: „In the great tradition of the Valley, we'll make a t-shirt: Just Say No To The Machine Zone."

Snowden bekommt Asyl in Russland

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Der US-Whistleblower verlässt den Moskauer Flughafen und versteckt sich. Ein Jahr darf er bleiben. Neue Dokumente belegen, wie eng Internet-Firmen mit den Geheimdiensten kooperieren

Nach mehr als einem Monat des Wartens hat der auf der Flucht befindliche frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden am Donnerstag den Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo verlassen und ist damit auch offiziell nach Russland eingereist. Laut seinem Anwalt fuhr er an einen sicheren, geheimen Ort. Snowden erhielt auf ein Jahr begrenzt Asyl und darf sich nach Angaben seines Anwalts frei in Russland bewegen. Moskau dürfte sich nun verstärktem Druck der USA ausgesetzt sehen, die Snowdens Auslieferung fordern. Sie wollen ihn wegen Geheimnisverrats und Diebstahls von Regierungseigentum vor Gericht stellen. Die beiden Länder haben allerdings kein Auslieferungsabkommen geschlossen.



Nach mehr als einem Monat hat der Whistleblower Edward Snowden den Transitbereich des Moskauer Flughafens verlassen.

Mit Rücksicht auf das Verhältnis zu den USA hatte der Kreml zuvor stets betont, dass Snowden nach seiner Landung in Moskau die Grenze zu Russland gar nicht überschritten habe. Anfang September wird US-Präsident Barack Obama zu einem Russland-Besuch erwartet, der das zuletzt angespannte Verhältnis verbessern soll. Obama hatte erkennen lassen, dass er das geplante Treffen mit Präsident Wladimir Putin ausfallen lassen könnte. Unmittelbar darauf ist Russland Gastgeber des G-20-Gipfels in St. Petersburg. Der russischen Regierung ist deshalb an einer Verschärfung der Lage nicht gelegen.

Daher bemühte sich der Kreml am Donnerstag, die Einreise des Amerikaners herunterzuspielen, der die umfangreiche Abhörpraxis des US-Geheimdienstes National Security Agency bekannt gemacht hatte. Das russisch-amerikanische Verhältnis werde sich dadurch nicht verschlechtern, sagte Putins Berater Jurij Uschakow. Bisher habe er auch keine entsprechenden Signale von der US-Regierung erhalten, fügte er hinzu.

Die USA hatten Russland zwar schriftlich versichert, dass Snowden in seiner Heimat nicht die Todesstrafe drohe. Gleichwohl muss er mit einem Prozess und einer langen Haftstrafe rechnen. Venezuela und Bolivien haben dem 30 Jahre alten IT-Spezialisten Asyl angeboten, doch befürchtet er offenbar, dass eine Maschine dorthin auf Druck der USA unterwegs zum Landen gezwungen werden könnte. Snowdens Vater riet seinem Sohn deshalb, in Russland zu bleiben. Als Bedingung, ihm vorübergehend Asyl zu gewähren, hatte Putin zuvor jedoch von Snowden verlangt, er müsse damit aufhören, den USA mit weiteren Enthüllungen zu schaden.

Private Telekommunikationsanbieter sind deutlich stärker in die Abhöraktionen ausländischer Geheimdienste verwickelt als bislang angenommen. Das geht aus einem Dokument Snowdens hervor, in das die Süddeutsche Zeitung Einblick hatte. Demnach arbeitet der britische Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) beim Abhören des Internet-Verkehrs mit mehreren großen Firmen zusammen, darunter Vodafone, British Telecommunications und Verizon. Einige der Firmen sollen sogar spezielle Software entwickelt haben, um den GCHQ das Abfangen der Daten in ihren Netzen zu ermöglichen.

Das große Straßenrennen

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John Bird gründete in London die Obdachlosenzeitung 'The Big Issue'. Das Konzept wurde unendlich oft kopiert. Jetzt ist auch das grundanaloge Geschäftsmodell auf der Suche nach einer digitalen Zukunft

Der Pate trägt ein schwarzes Hemd zu dunklen Ledersandalen, der Pate hat eine Vision und wenn er darüber spricht, dann spricht im Saal sonst keiner mehr. Denn nach einer Vision suchen sie hier alle.

Es ist der zweite Tag der INSP-Konferenz, einer Konferenz für Straßenzeitungen aus der ganzen Welt. Blätter also, die von Obdachlosen auf der Straße verkauft werden, um ihnen ein Einkommen und eine Aufgabe zu verschaffen. 120 solche Zeitungen aus 41 Ländern sind bei INSP organisiert, Zeitungsmacher aus Europa, aus Nord- und aus Südamerika, aus Australien oder Taiwan sind nach München gekommen. Um sich einer Frage zu stellen, die vielen von ihnen noch sehr fern erscheint und doch eines Tages auch für sie alles entscheiden könnte: Wie soll eine Zeitung, deren einzige Bestimmung es im Grunde ist, von einem Obdachlosen persönlich an einen Käufer übergeben zu werden, mit der Digitalisierung umgehen?



Straßenverkäufer in Hamburg – die Vorlage für die deutschen Obdachlosenzeitungen kommt aus London.

Der Mann, von dem sich vor allem die Jüngeren im Raum Antworten erwarten, der sich sichtlich gefällt in der Rolle des Paten, am Rand und doch über der Veranstaltung, heißt John Bird. Sein 15-Minuten-Referat ist als einziger Vortrag in drei Tagen mit einem Foto im Programmheft angekündigt. Auf John Bird, der 1991 in London mit Hilfe des Geldes der Firma Body Shop The Big Issue gründete, geht hier alles zurück. Die Idee, dass professionelle Journalisten eine Zeitung machen, die dann von Obdachlosen verkauft wird, wurde in mehr als 40 Länder übernommen. Doch seine Vision einer digitalen Zukunft, um die es ja auch ständig in den großen Verlagen geht, ist noch nicht viel mehr als eine von vielen wackligen Ideen.

Man gerät, das zeigt die Konferenz, bei der Zukunftssuche schnell an die Frage nach dem Selbstverständnis der Macher, und das liegt zum Teil so weit auseinander wie Taiwan und Bremen. Suchen sich die Leser einen Verkäufer am Straßenrand, weil sie jede Woche ihre Zeitung lesen wollen? Dann müsste man diese Inhalte doch auch digital zu Geld machen können. Oder wird die Zeitung hauptsächlich deshalb gekauft, weil man dem Verkäufer um die Ecke etwas Gutes tun will? Dann könnten die Obdachlosen am U-Bahnhof im Falle des Zeitungstodes vielleicht ja auch Zahnbürsten verkaufen. Und welche Themen sollen in so einer Zeitung vorkommen?

John Bird, der Straßenzeitungspate, hat die Frage nach dem Selbstverständnis in seinem Heft schon unzählige Male beantwortet. 1996 zum Beispiel, als George Michael in The Big Issue sein erstes Interview nach sechs schweigsamen Jahren gab; als das Magazin in den Neunzigerjahren ein exklusives Interview mit Tony Blair bekam, der damals noch Oppositionsführer war; als Bird Stings Ehefrau eine Ausgabe des Hefts betreuen oder Premier David Cameron eine Kolumne schreiben ließ. Die Verkaufszahlen in den ersten Jahren waren für ein solches Heft extrem hoch, die Auflage lag bei 280000 Stück. Und jeder dieser Scoops brachte mehr verkaufte Hefte.

Immer wieder hat man John Bird vorgeworfen, im Grunde ein kapitalistisches Modell zu betreiben, den sozialen Aspekt nicht ausreichend im Blick zu haben. Andere Magazine, Real Change aus Seattle etwa, sind sehr stolz auf das, was sie anwaltlichen Journalismus nennen. Journalismus, der sich für die gute Sache einsetzt. Bird sagt, die Zielgruppe derer, die ein Magazin kaufen, um nur Artikel über Obdachlose zu lesen, sei zu klein, um den Verkäufern damit ein Auskommen zu garantieren.

John Bird, 67, verheiratet mit einer sehr jungen, sehr schönen Frau und Vater von zwei kleinen Kindern, John Bird, der selbst jahrelang auf der Straße lebte, im Gefängnis saß, um 1968 politisch wurde und an den Marxismus als Lösung aller Ungerechtigkeit glaubte, spielt heute nach den Regeln des Medienmarktes. Sein Heft, das immer noch mehr ein Publikumsmagazin war als ein soziales Projekt, verkauft heute nur noch 60 Prozent seiner einstigen Auflage. Fragt man ihn danach, sagt John Bird, man finde nicht mehr so viele Verkäufer wie früher. Dass ein Heft, das mit den Titeln der anderen Verlage voll um Leser und Geschichten konkurriert, vom Medienwandel mehr betroffen sein könnte als eines, das vor allem den Verkäufer und die gute Sache betont, liegt aber auch nahe.

Obdachlosenzeitungen im Allgemeinen haben (noch) kein ernsthaftes Auflagenproblem. 25,4 Millionen Blätter werden aktuell in einem Jahr verkauft, knapp ein Prozent weniger als im Vorjahr. Die Münchner Straßenzeitung Biss hatte 2012 eines ihrer besten Jahre überhaupt und verkaufte insgesamt 458000 Stück. Von einer Printkrise kann man da nicht sprechen, viel hängt auch von den einzelnen Städten und den Verkäufern ab. Was bleibt, ist trotzdem die Frage, ob die für einen guten Zweck verkaufte Straßenzeitung tatsächlich das einzige Printprodukt ist, das es sich leisten kann, den Medienwandel zu ignorieren.

Wie also könnte sie aussehen, die digitale Zukunft einer so grundanalogen Geschäftsidee?

Auch in den klassischen Verlagen ringt man seit Jahren um den richtigen Umgang damit, und trotz der schwierigen Suche nach einem rentablen Geschäftsmodell sieht man in den geringen Vertriebskosten einer App verglichen mit einer gedruckten Zeitung auch einen Vorteil. Für die Straßenzeitung ist das anders. Denn was hat ein obdachloser Zeitungsverkäufer davon, wenn sich jemand zuhause eine digitale Ausgabe von Biss auf sein Ipad lädt?

Es gibt Ideen, eine Lösung gibt es nicht. In Südafrika haben hat die dortige Straßenzeitung bereits 5000 digitale Abonnenten. Doch der Verkauf geht an den Verkäufern vorbei, der Erlös fließt direkt in die - natürlich gemeinnützige - Stiftung der Zeitung. Aber um Geld zu bekommen, ohne es selbst zu verdienen, dafür braucht dann wieder niemand eine Straßenzeitung. In Manchester kann man bei den Straßenverkäufern ein kleines Kärtchen erstehen, auf dem man einen Code freirubbelt. Mit dem lässt sich dann ein PDF von Big Issue in the North herunterladen. Im Grunde natürlich ein irrer Anachronismus.

John Bird, bei seinem Visionsreferat, erzählt von seinem neuen digitalen Magazin: Answers of the Big Issue. Darin porträtieren Obdachlose als Bürgerjournalisten soziale Projekte, die zum Ausgleich Abos von The Big Issue abschließen. Soziales Corporate Publishing sozusagen, und Print wird querfinanziert. Dann sagt John Bird noch, man müsse den Armen helfen, sich selbst zu helfen. Der Saal jubelt. Auf diese Vision haben sie sich schon vor Jahren geeinigt.

Arroganz und Ekstase

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Das Trio Moderat übersetzt auf seinem neuen Album "II" Berliner Techno in melancholischen digitalen Pop

Die meisten denken als Erstes ans Berghain, wenn es um elektronische Musik aus Berlin geht. An den angeblich berühmtesten Club der Welt, den Traum-Wolkenkratzer beim Ostbahnhof, wo jedes Wochenende die große Schlange steht. So etwas wie die geistige Heimat des Sounds, der noch an tausend anderen guten Orten gespielt wird: Viervierteltakt, Techno, House. Musik, bei der die Künstler zurücktreten hinter die Beats.

Die wenigsten denken bei Berliner Elektronik ans marktübliche Indie-Festival. Wo die jungen Leute mit dem Bierbecher auf dem Rasen stehen, eben vielleicht die Gruppe Phoenix und ihre Champagnergitarren gesehen haben, nebenan die Rapperin M.I.A. erwarten. Ein Publikum, das die klassischen Darreichungsformen des Pop weiterhin schätzt, die Künstler, die eben nicht zurücktreten - hinter nichts und niemanden.



Elektro in Berlin gibt's auch außerhalb der Berghin-Szene. Das Trio Moderat ist auch auf Indie-Festivals unterwegs.

Hierher gehören das Duo Modeselektor - Gernot Bronsert und Sebastian Szary - sowie der Musiker und Sänger Sascha Ring alias Apparat. Obwohl sie zweifellos elektronische Sounds machen; aus Berlin kommen; international zu den Fackelträgern der Szene gezählt werden. Ist das ein popkultureller Widerspruch?

Ab und zu tun Modeselektor und Apparat sich sogar zusammen und veröffentlichen Platten unter dem Namen Moderat. Ihr zweites gemeinsames Album "II" (Monkeytown) erscheint nun, und es ist ein weiteres Indiz dafür, wie die drei Männer das eigentlich machen: die zwei Welten zu vereinen, Clubkultur und Frontalunterricht, die Anonymität der Ekstase und die Arroganz des Autors. DJs tun das ja selten: Bronsert reißt bei Auftritten gern wie ein Clown Beine und Arme hoch, Szary lässt sich von der Menge auf Händen tragen. Sascha Ring sieht mit seiner Lockenmähne wie ein junger Beethoven aus, sein Gesang schwebt über den Beats, hinter ihm zucken riesige Videoprojektionen. Wer im Club in die Lehre ging, kann auf der Rock "n" Roll-Bühne noch besser sein. Und: Für den Festivalbesucher verkörpert er den ganzen, angeblichen Irrsinn Berlins.

Musiktheoretisch stimmt das nicht ganz. Vor allem die typischen, immer leicht bebenden Basslinien, zu denen man beim Hören des neuen Moderat-Albums wieder herrlich grimmig schauen kann, sind weder Techno noch House. Sie kommen aus der von Hip-Hop und Dub beeinflussten Clubmusik Londons. Das ist allerdings kein Missverständnis oder Etikettenschwindel: Modeselektor und Apparat mussten notgedrungen aus dem Berliner Betrieb heraustreten. Um die Kultur der Stadt in ihrer Hermetik, Eigentümlichkeit und Radikalität für ein internationales Publikum überhaupt begreifbar zu machen. Ein reines Technostück würde am Festivalvolk vorbeirauschen. Die Bassmusik, die auf "II" wieder so ausgiebig zitiert wird, übersetzt die Berliner Feiererfahrung auch für den Außenstehenden.

Szary, Bronsert und Ring sind Spätgeborene. Verbrachten ihre Kindheit noch in der DDR, machten die ersten Techno-Erfahrungen in der Provinz. Als die drei in Berlin ankamen, war die erste große Technobegeisterung dort schon erschöpft, weshalb sie andere Nischen suchten. Das Duo Modeselektor schürfte in den Breakbeats, lud sich Gastsänger. Apparat experimentierte mit weniger tanzbetonter Elektronik, fing dann zu singen an und ging mit Band auf Tour. Neue Formen, die für alle drei auch ein Mittel waren, um ihre eigenen Erfahrungen mit der elektronischen Musik nach außen zu tragen. Auf eine Art, die international verstanden wird.

Und vielleicht ist es das, was den digitalen, oft tief melancholischen Pop auf dem neuen Gemeinschaftsalbum "II" so besonders macht: dass hier immer ein Wissen über die Macht, das innere Wesen und die Herkunft der Beats mitschwingt, das nie altklug ausgebreitet wird, aber immer durchscheint. Eine Qualität, die Elektrosong-Novizen mit ihren Undercut-Frisuren und Apple-Laptops gar nicht mitbringen können. Tanzen kann man trotzdem zu Moderat. Im stillen Kämmerlein, ohne Publikum.

Schauplatz Berlin

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Die Anzahl der Straßen-Dealer in Kreuzberg nimmt zu.

Der Abend ist lau auf der Terrasse des "Edelweiß" im Görlitzer Park, und man trinkt seine Radlermaß fast wie in München am Chinesischen Turm. Auf der Wiese unten wird Musik gemacht. Eine Gruppe adretter Studenten mit türkisen T-Shirts macht auf eine Internetplattform zum Austausch von Dienstleistungen aufmerksam, indem sie mit langen Kneifzangen Müll vom verbrannten Gras sammelt. Nötig ist es. Dann kommt von der Rückseite Polizei ins Bild und tigert zehn Mann hoch einmal die Parkmauer entlang. Der Wirt vom "Edelweiß" hat sie gerufen. Ihn stören die vielen meist schwarzafrikanischen Dealer, die das andere Gras verkaufen, dessen Geruch hier allgegenwärtig über der Szenerie liegt.

An sich hat man in diesem Teil Kreuzbergs nichts gegen Cannabis, aber die Dealer werden immer mehr, sie belästigen Frauen, zum Beispiel die nette Kellnerin des "Edelweiß", durch provozierende Pfiffe. In jüngster Zeit häufen sich Polizeirazzien: Am Dienstag waren achtzig Polizisten mehrere Stunden im Park, nahmen sechs Personen fest, verscheuten Dutzende andere.



In Kreuzberg ist man Joints gewöhnt – nur die vielen Dealer stören.

Zwei Stunden später wurde man an den gewohnten Eingängen schon wieder von den Schwarzen empfangen. Nachdem die Wirtin des 'Edelweiß' sich in den Medien über die Zustände beklagt hatte, wurde sie beim Weg zur Arbeit samt ihrem Säugling von den Dealern in die Mitte genommen und bedroht. Seither hat die eigentlich tolerante Frau Angst. Dann verbrannten vor zehn Tagen vier Autos am Parkrand und der Blog, der in Berlin für solche Stellungnahmen zuständig ist, kommunizierte, es sei 'Feuer gegen den rassistischen Bürgermob' gewesen. Die "Mittelschicht", deren Kinder sich hier ihr Gras kauften, mache zugleich Stimmung gegen die afrikanischen Flüchtlinge, die es ihnen verticken. Seither ist die Berliner Presse voller langer Geschichten über den Park, seine Überlaufenheit, seine Kaputtheit, über die Versuche der Anwohner, mit Streuobstwiese und Barfußrasen ihre kleine Welt zu bewahren. Brauchen Kinder hier Geleitschutz? Eines wurde von einem flüchtenden Dealer umgerannt und fand weggeworfene Ware im Gras. Der bürgerliche Tagesspiegel wiegelte ab, und empfahl den erregten Bürgern eine "Angsttherapie".

Der Kiez um den liebevoll "Görli" genannten Park ist ungeheuer beliebt bei jugendlichen Touristen, denn er vermittelt jene malerische Verkommenheit, die zum Berlin-Erlebnis gehört, anderwärts aber verschwindet. Die oft türkischen und linksalternativen Ureinwohner wissen nicht mehr, wie ihnen geschieht. Es wird immer voller, lauter, schmutziger. Im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain wechselt zum 1. August der Bürgermeister. Nun regiert Monika Herrmann, wie ihr Vorgänger Frank Schulz, von den Grünen. Sie prüft gerade die Idee, das Gras-Problem durch einen "Coffeeshop" nach holländischem Vorbild zu lösen, wo weiche Drogen legal zu haben wären. Das wäre neu für die Bundesrepublik, aber würde es die Lage der Flüchtlinge verändern? Deren Problem ist ja, dass sie legal gar nicht arbeiten dürfen. Gewiss man bräuchte weniger von der störenden Polizei, aber die Ärmsten der Armen wären wieder ohne Geschäftsmodell. Beim Bier im 'Edelweiß' starrt man auf ein großes Elend.

Umarmen verboten

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Schwule und Lesben dürfen bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi zwar antreten, aber ihre Meinung nicht frei äußern. Das hat der russische Sportminister klargestellt. Die Regierung Putin führt einen Feldzug gegen Homosexuelle.

Der Sportminister hat Klartext gesprochen. Entgegen anderer Gerüchte gelte das neue russische Anti-Homosexuellen-Gesetz auch während Olympia in Sotschi, sagte Witali Mutko. Also: Sportler mit "nicht-traditioneller sexueller Orientierung" dürften durchaus starten, nur eben nicht "auf die Straße gehen und Propaganda betreiben". Das klingt zunächst tolerant, und richtig: Sportler fahren ja zu Olympia, um zu sporteln und nicht um Propaganda zu betreiben. Sind die Sorgen also übertrieben in Ländern mit nicht-schwulenfeindlicher Orientierung?



Anti-Putin-Proteste beim Christopher Street Day in Frankfurt am Main

Nein, denn der Minister sprach gar keinen Klartext. Putins Regierung führt einen Feldzug gegen Homosexuelle und das neue Gesetz bietet offenbar Möglichkeiten, um Aktivisten zu unterdrücken. Wer sich falsch äußert, kann bestraft werden, sogar mit Arrest. Es ist ein Verbot der Meinungsäußerung und für einen homosexuellen Olympia-Sportler heißt es, er darf zwar teilnehmen, aber er muss sich verleugnen. Er muss mit Ärger rechnen, wenn er nach der Siegerehrung seinen Lebenspartner umarmt, denn das wäre halb öffentlich und kann als Propaganda gedeutet werden.

Das russische Anti-Schwulen-Gesetz ist das vielleicht beste Beispiel für den himmelweiten Unterschied zwischen dem Denken der Olympia-Bewegung und der nächsten Olympia-Gastgeber. Das Internationale Olympische Komitee will Selbstbestimmung und Verständigung fördern, das ist einer der Gründe, warum man sich alle vier Jahre trifft. Und das IOC hat Russland nun auch schon vorsichtig aufgefordert, Athleten bitte nicht zu diskriminieren. Nach dem Auftritt Mutkos müsste es sich nun also herausgefordert fühlen. In Zeiten, in denen in vielen Ländern das Coming-Out schwuler Fußballer begrüßt wird, in denen der Papst sagt, er könne Homosexuelle eigentlich nicht verurteilen, da feiert Olympia sein größtes Fest in einem Land, das Schwule verfolgt.

Dass das IOC nun mit aller Konsequenz für seine Ideale eintritt, muss die russische Politik aber nicht befürchten. Zu viele Beispiele gibt es dafür, wie man sich von autoritären Regimen vorführen hat lassen, zuletzt bei den Spielen 2008 in Peking, wo im Pressezentrum der Zugriff ins Internet und damit die Berichterstattung eingeschränkt wurde. Immer hat der Sport behauptet, er müsse neutral bleiben. Und obwohl er als Gast und Partner von Regimen natürlich nie neutral ist, weil er diesen zu mehr Anerkennung verhilft, behauptet er immerfort, er dürfe sich nicht in die hohe Politik einmischen. Nun ist die Politik dem IOC aber so nah wie noch nie: Sie diskriminiert direkt die eigenen Athleten.

Einer muss anfangen

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Uruguay legalisiert Cannabis. Der südamerikanische Staat will Marihuana selbst anbauen und in Apotheken verkaufen. Das kleine Land in Südamerika wagt damit ein längst überfälliges Experiment.

Wahrscheinlich muss ein kleines Land das Experiment mit der Droge zuerst versuchen, die großen trauen sich noch nicht. Also beginnt Uruguay die längst überfällige Revolution: Künftig dürfen erwachsene Staatsbürger der südamerikanischen Republik bestimmte Mengen an Cannabis unter staatlicher Aufsicht kaufen, konsumieren und sogar pflanzen. Bisher ist nur der Konsum straffrei. Nach dem neuen Gesetz soll der Staat die Marihuana-Pflanzen anbauen und die daraus gewonnene Droge registrierten Nutzern in Apotheken verkaufen. Für das persönliche Vergnügen sind auch Eigengewächse erlaubt. Auf diese Art soll die Drogenmafia ausgebremst werden. Es ist ein Experiment, das gibt Uruguays Regierung zu. Aber einer musste anfangen.



Bürger setzen sich vor dem Parlament in Montevideo für die Legalisierung ein.

Uruguays Präsident José Mujica hat recht mit seinem Vorstoß. Die repressive Drogenpolitik ist katastrophal gescheitert, die Strukturen des heutigen Rauschgifthandels gleichen denen während der Prohibition in den Dreißigerjahren in Chicago. Damals wurde Alkohol geschmuggelt, damals wuchsen Mafiabanden wie die von Al Capone heran. Damals blühten der Schwarzmarkt, die Bestechung und das Geschäft mit dem Mord - ehe die US-Regierung verstand, dass sie lieber selbst die Aufsicht übernehmen und Steuern kassieren sollte, statt Leichen zu zählen. In der Drogenszene geht es heutzutage ähnlich zu. Doch erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Versagen der alten Strategie nach einer neuen Strategie schreit.

Die Al Capones der Gegenwart sind Männer wie Joaquín El Chapo Guzmán. Der flüchtige Milliardär aus Mexiko leitet das Kartell von Sinaloa. Derartige Privatheere konnten zu multinationalen Konzernen werden, weil die Kriminalisierung der Drogen das Risiko für Händler und Kunden erhöht, das Angebot verknappt und so die Preise nach oben getrieben hat. Die US-Gefängnisse sind voller Dealer - aber der Stoff überwindet die Grenzen mühelos. Die Gewinne landen bei Banken, werden in Firmen und Immobilien investiert. Teile Mexikos und Zentralamerikas werden von mordenden Gangs kontrolliert. Polizei, Armee und Justiz lassen sich im Zweifel kaufen - Geld oder Kugel. Ähnlich geht es in den Slums von Rio de Janeiro, Bogotá oder Caracas zu. Lateinamerika hat die höchsten Mordraten der Welt. Selbst das beschauliche Uruguay ist von diesem tödlichen Kreislauf betroffen, wenn auch vergleichsweise gering.

Klar ist: Der Krieg gegen den Stoff ist verloren. Mehrere ehemalige und einige amtierende Staatschefs aus der Region empfehlen deshalb seit geraumer Zeit eine zumindest teilweise Legalisierung. Der frühere Guerillero Mujica will diesen Weg nun also ausprobieren - trotz aller Warnungen und Widerstände.

Gesund dürfte Marihuana jenseits therapeutischer Dosen kaum sein, Ärzte warnen vor dem Konsum. Allerdings würde trotz nachweislicher Risiken auch kaum jemand auf die Idee kommen, Whiskey, Wein oder Bier zu verbieten. Der Staat kann nicht alles verbieten, was seinen Bürgern schaden könnte. Suchtmittel wie Cannabis sind eher ein Thema für Beratungsstellen oder schlimmstenfalls Kliniken, nicht für Soldaten und Gerichte. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Joints sollen in Uruguay in die medizinische Betreuung fließen, das ist sinnvoller als immer mehr Strafen und Polizei.

Bei harten Drogen wird es komplizierter. Kokain oder Heroin werden so schnell kaum freizugeben sein. Doch Beispiele wie Holland zeigen, dass ein legalisierter Marihuana-Verkauf zunächst Interessenten anlockt, sich die Anzahl der Käufer dann aber mit der Zeit einpendelt. So mag diese uruguayische Initiative gewagt sein, manches Detail muss geklärt werden. Aber sie ist einen Versuch wert.

Am Ende der Durststrecke

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Katharina Nocun wurde Geschäftsführerin der Piraten, kurz bevor Edward Snowden den Spähskandal enthüllte. Sie ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn Datenschutz ist ihr Lieblingsthema. Die Frage ist nur: Schafft sie es, bis zur Bundestagswahl genug andere Menschen zu empören?

Katharina Nocun trägt einen Rucksack auf dem Rücken, er sieht schwer aus. Sie hat darin alles, was sie heute benötigt, ihren Laptop und ihre Haarbürste zum Beispiel. Was darin nicht ist: Wasser. Das bräuchte sie jetzt aber. Dringend.    

Die etwa 500 Leute, zu denen sie gleich sprechen wird, sind ihr egal. Ihre Rede, die sie auf zwei DIN A4-Blätter gedruckt hat, kleine Schrift, einfacher Zeilenabstand, bleibt in ihrem Rucksack. Sie will jetzt nicht üben, sich sammeln. Sie interessiert sich auch nicht dafür, ob sie gleich als erste Rednerin auf die Bühne muss oder als zweite. Sie fragt ihre Piratenkollegen, die sich gerade auf dem Münchner Karolinenplatz versammeln, nur eines: wo man einen Schluck Wasser herbekommt. Das ist das Wichtigste jetzt, in der Mittagshitze dieses erdrückend heißen Samstags.    

Katharina Nocun ist seit Mai politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Sie ist die Nachfolgerin von Johannes Ponader, der mit seinen Sandalen, seinem Smartphone-Getippe in Talkshows und seinen öffentlich ausgetragenen Streitereien wie kein Zweiter für das Image der seltsamen, streitsüchtigen Chaostruppe stand, das die Partei in den vergangenen Monaten bekam. Allein deshalb reagierten Parteikollegen und Medien auf ihre Wahl mit Begeisterung. Sie sei die Hoffnungsträgerin der Partei, in Titelzeilen tauchten Begriffe wie „Piraten-Prinzessin“ auf. Dabei war das vor dem Tag, der alles veränderte.

Edward Snowden enthüllte wenige Wochen nach Nocuns Wahl, dass Geheimdienste der USA und womöglich auch die der Bundesrepublik E-Mails, Google-Abfragen, Facebook-Einträge und viele andere Datenströme heimlich speichern und mitlesen. Der Skandal steht seither ganz oben auf der politischen Agenda, er dominiert in Deutschland den Wahlkampf und weltweit die Nachrichten. Seit diesem Tag geht es den Piraten wie einem Durstigen, der Wasser gefunden hat. Sie haben ein Thema, das sie positiv besetzen können, endlich. Und es ist genau Katharina Nocuns Thema. Sie ist gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort.    

Seit sechs Jahren beschäftigt sie sich vor allem mit dem Kampf gegen Eingriffe in die digitale Privatsphäre. Wenn man 26 Jahre alt ist, sind sechs Jahre eine ziemlich lange Zeit: fast das gesamte Arbeitsleben.  



Piratin am Wasserloch: Katharina Nocun, 26, kämpft dafür, dass die Empörung um die NSA-Debatte die Piraten in den Bundestag trägt. 
 

Als Aktivistin im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sammelte sie Unterschriften und organisierte Demos. Sie machte Praktika bei mehreren Landesdatenschutzbeauftragten. Als Redakteurin des Online-Magazins netzwelt.de schrieb sie Anleitungen, wie man seine Kommunikation verschlüsselt. Beim „Verbraucherzentrale Bundesverband“ begleitete sie Klagen gegen Internetunternehmen, die gegen deutsche Datenschutzrichtlinien verstoßen. Kurz: Sie kommt daher, wo es jetzt hingehen wird im Wahlkampf, für alle Parteien, aber vor allem für die Netzpartei Piraten, die bei der Bundestagswahl im September über fünf Prozent kommen will, momentan in den Umfragen aber bei etwa zwei Prozent feststeckt.      

Datenschutz – mit Katharinas Lieblingsthema sollte sich jeder Internetnutzer auseinandersetzen. Vielleicht tun das viele sogar. Aber der Mehrheit ist es dann doch zu egal, um am eigenen Klick- und Surfverhalten etwas zu ändern, um den Facebook- und den Google-Account zu löschen oder gar politisch aktiv zu werden und an einem Samstag mit mehr als 30 Grad zu demonstrieren. Es sind 500 Menschen gekommen zur Demo auf dem Karolinenplatz. Ginge es nach Katharina Nocun, müssten es 50 000 sein. Ihr Lieblingsthema ist zwar brandaktuell, aber offenbar interessiert es noch viel zu wenige.    

Endlich hat sie eine Flasche Wasser ergattert. Sie trinkt und benetzt ihren Nacken. Dann überfliegt sie die Rede doch noch mal kurz, zupft das Kleid zurecht. Sonnenbrille runter, Schweiß von der Stirn, Sonnenbrille rauf. Ab auf die Bühne.    

Sie spricht etwa zehn Minuten, sie redet laut und schnell, ist von Anfang an voll da. Aber ihre Stimme zittert, als wäre sie sehr aufgeregt, und das wäre ja auch nicht ungewöhnlich für eine 26-Jährige, die vor Hunderten von Menschen spricht. Aber dazu wirkte sie zu abgeklärt. Ihre Stimme zittert nicht vor Aufregung, sondern vor Wut.

Und ihre Wut springt über. Zum ersten und einzigen Mal an diesem Tag schafft es jemand, die Menge wirklich zu begeistern und mitzureißen. Es gibt viel Applaus, als sie vor dem „schlüsselfertigen Überwachungsstaat“ warnt, der sich gerade im Aufbau befinde, „ohne zu wissen, wer in 20 Jahren die Schlüssel dazu in der Hand hat“. Als sie ruft, dass alle Anwesenden moralisch in der Schuld von Edward Snowden stünden, gibt es „Snowden! Snowden!“-Sprechchöre. „Wollt ihr einen gesetzlichen Whistleblowerschutz?“ ruft sie, noch ein Stück lauter.    

In die Partei trat sie notgedrungen ein - weil man sie als Aktivistin nicht ernst nahm



Eigentlich wollte Katharina Nocun gar keine Politikerin werden. Obwohl ihr die Parteiarbeit Spaß macht, würde sie eigentlich lieber in ihrem Job als netzwelt-Redakteurin arbeiten als im Vorstand der Piraten zu sitzen. Sie ist ohnehin erst seit 2012 in der Partei, trat quasi notgedrungen ein, nachdem sie festgestellt hatte, dass man als Aktivist oft nicht ernst genommen wird. „Mir ist klar geworden, dass es nicht nur darum geht, einzelne Themen auf die Agenda zu setzen. Sondern dass wir grundsätzliche strukturelle Defizite in der Demokratie haben.“

Der Schlüsselmoment waren Beratungen der EU-Kommission zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Sie waren als ergebnisoffen angekündigt, aber was Katharina Nocun vor Ort erlebte, sah anders aus: „Die Bürgerrechtler waren in der Minderheit, die EU-Kommissarin war die ganze Zeit abwesend und hat unseren Vortrag einfach unterbrochen. Sie hat dann ihre Rede gehalten und gesagt: Vorratsdatenspeicherung bleibt.“ Nocun fühlte sich verhöhnt und benutzt. Eine Woche lang sei es ihr richtig schlecht gegangen, sagt sie. Dieses Gefühl wollte sie nicht noch einmal erleben. Die Politik sollte ihr zuhören. Weil das nicht geschah, wurde sie eben selbst Politikerin. Auf ihren Wahlplakaten, die derzeit überall hängen, steht: „Zuhören statt abhören.“   

Das Thema betrifft alle – so lautet eine von Katharina Nocuns zentralen Botschaften. Sie will klar machen, warum der Satz „Ich habe ja nichts zu verbergen“ als Argument nicht gilt: „Früher oder später werden alle betroffen sein. Auch wenn man nicht bei Facebook ist und E-Mails für neumodischen Schnickschnack hält – wir werden in Zukunft in einer digitalen, vernetzten Gesellschaft leben, in der alles, vom Toaster über das Auto bis zum seniorengerechten Fußboden, der Alarm auslöst, wenn ich hinfalle, elektronische Daten produziert.“   

Sie kämpft nicht nur gegen die etablierten Parteien und einen Innenminister, der von einem „Supergrundrecht Sicherheit“ spricht, wenn er das Spähprogramm der USA verteidigt, sondern auch dagegen, dass die Konsequenzen von Abhörprogrammen wie Prism oder XKeyscore nicht unmittelbar erfahrbar sind und das Thema Datenschutz deshalb für viele Menschen abstrakt ist.    

Ihre Eltern flohen vor dem, was Katharina bekämpft: einem Überwachungsstaat.



Für sie war es das nie, vielleicht fällt es ihr deshalb so schwer zu glauben, dass andere sich für ihr Lieblingsthema nicht begeistern können. Ihre Familie stammt aus Polen. Die Urgroßeltern leisteten Widerstand gegen den Nationalsozialismus, ihre Eltern engagierten sich in der Solidarnosc-Bewegung, wanderten nach Deutschland aus, als sie drei Jahre alt war. Sie flohen vor dem, was Katharina heute bekämpft: einem Staat, der seine Bürger überwacht.    

In ihrer Rede sagt Katharina Nocun, sie finde „Technik geil, weil sie unserer Gesellschaft so viele Chancen für Transparenz, Mitbestimmung und ein besseres Leben“ biete. Auch diese Begeisterung hat sie von ihren Eltern. Ihre Vater arbeitet als IT-Projektmanager, ihre Mutter ist Datenbankadministratorin. Sie ist mit Computern aufgewachsen, schon als sie klein war, lernte sie, ihren PC selbst zu reparieren, wenn etwas kaputt war. So erzählt sie das direkt nach der Rede auf dem Bühnenwagen am Karolinenplatz.    

Die Demo ist zu Ende, aber Katharinas Wahlkampftag ist es noch nicht. Nachmittags betritt sie die Freiheizhalle in München, ein altes Fabrikgebäude aus Backstein in einem Neubauviertel an den Gleisen. Sie verschwindet erst mal auf der Toilette, um sich frisch zu machen und die vom Wind zerzausten Haare zu kämmen.    

Normalerweise finden in der Halle Konzerte statt, heute haben die Piraten sie für eine „Kryptoparty“ gemietet. Solche Veranstaltungen haben nichts mit Feiern zu tun. Hier erklären Piraten interessierten Bürgern, wie sie ihre elektronische Kommunikation so verschlüsseln können, dass niemand mitlesen kann. Eigentlich treten die Piraten zwar an, damit diese Versteckspielchen überflüssig werden. Aber solange das nicht der Fall ist, touren sie eben durchs Land und stellen Dinge wie die „GnuPG-Verschlüsselungsmethode“ vor. Natürlich nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass man Politiker abwählen sollte, die den Bürgern nicht garantieren können, dass niemand in ihren Mails schnüffelt.    

Katharina Nocun übernimmt heute den Einstiegsvortrag, zusammen mit dem Münchner Bundestagskandidaten Alexander Bock referiert sie über die technischen Hintergründe der Internetkommunikation und warnt vor Gefahren, die dort lauern. Sie zeigt Folien, auf denen Rechner und Smartphones zu sehen sind, Kästen, die Server sein sollen, und rote und blaue Linien für die Wege der Daten durch das Netz. Sie spricht von Knotenpunkten und zeigt, wann der Provider wo welche Daten speichert und wer sie wo abgreifen könnte.    

In der Backsteinhalle sieht man eine andere Katharina Nocun als die wütende vom Demo-Wagen. Eine, die auf einem Barhocker vor einem Laptop sitzt, ganz ruhig, das eine Bein über das andere geschlagen. Die Erklär-Katharina.    

Aber ist das nicht Zeitverschwendung? Gewinnen die Piraten mit solchen Veranstaltungen wirklich neue Wähler? Unter den etwa 100 Gästen an den Tischen in der Freiheizhalle sind viele, die dem Nerd-Klischee ziemlich nahe kommen, man sieht viel schwarze Kleidung und bleiche Haut. Diese Leute wählen die Piraten wahrscheinlich ohnehin.    

Katharina Nocun findet Kryptopartys wichtig. Das sei politische Bildung, man müsse die Hintergründe erklären. „Wir müssen jetzt auf allen Kanälen zeigen, dass wir die Lösungsvorschläge haben, konstruktiv arbeiten können und keine Chaostruppe sind.“ Auch die 500 Teilnehmer bei der Demo wertet sie als Erfolg. Sie vergleicht es mit den Protesten, die vergangenes Jahr das Handelsabkommen Acta verhinderten. „Die waren Anfangs auch sehr klein.“   

Katharina Nocun wirkt von ihrem Weg überzeugt. Sie weiß, wie sie die Piraten als Geschäftsführerin durch den Wahlkampf steuern will. Sie muss ihr Lieblingsthema noch mehr in den Mittelpunkt rücken und dafür sorgen, dass sich noch mehr Leute so wie sie darüber empören, dass Geheimdienste jederzeit Einblick in private Daten nehmen können. Ein bisschen Zeit dafür hat sie noch. Es gibt noch viele Demos und Kryptopartys bis zur Bundestagswahl.

Die Wahl-Kolumne, Folge 10: Der Werkzeugkasten

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Im September ist Bundestagswahl. Deshalb streift unsere Kolumnistin durch die Parteienlandschaft und notiert hier, was sie dazulernt. Diesmal: ein nützliches Programm, das leider keine Partei nutzen will.

Als ich kürzlich von einem Amerikaner namens Jim Gilliam las, brodelte es in meinem Herz. Nach erfolgloser Chemotherapie und Bestrahlung verweigerten die Ärzte dem Mann eine Lungenflügeltransplantation. Der Computerwissenschaftler drohte dem Krankenhaus, eine Website mit dem Titel „UCLA-Chirurgen sind Feiglinge“ online zu stellen und mobilisierte seine Freunde zu einem kollektiven E-Mail-Bombardement. Die Ärzte knickten ein, die Operation glückte, Jim besiegte den Krebs.

Was Jim außer seiner Gesundheit aus dieser Geschichte mitnahm: Er kapierte, wie schnell sich im Internet eine Bewegung organisieren lässt und gründete das Unternehmen „NationBuilder“. Das liefert Politikern oder politischen Bewegungen eine Software, um den Wahlkampf besser zu organisieren. Man kann damit Anhänger und ehrenamtliche Helfer rekrutieren und koordinieren, Veranstaltungen planen oder Spenden verwalten. Eine Art kompakter Werkzeugkasten für politisch Engagierte.    

Wie erfolgreich Gilliams Tool ist, zeigte vor zwei Jahren die Scottish National Party. Sie gewann unerwartet die Mehrheit im schottischen Parlament, nachdem sie ihre Anhänger mit einer ersten Testversion des NationBuilders mobilisiert hatte. In Ontario, Kanada, wurde mit dessen Hilfe in diesem Jahr die erste offen lesbische Premierministerin gewählt, in Hawaii überholte eine Schönheitskönigin ihren Gegner, der für alle anderen von Anfang an der klare Sieger war. NationBuilder hat nun auch Deutschland im Visier: leider aber wohl erst nach der kommenden Wahl. Bisher hat das Unternehmen noch keine deutschen Kunden, möchte aber expandieren.    




Dabei sind Twitter und Facebook, ach das heilige Internet an sich, bei uns noch immer viel zu ungenutzt in Sachen Wählermobilisierung! Wäre ich nicht mit ein paar politisch engagierten Menschen vernetzt, würde zum Beispiel meine Timeline auf Facebook hauptsächlich aus Food-Pornografie, Musikvideos und Wetter-Lamento bestehen. Dabei habe ich einige Parteien abonniert. Aber das Aufregendste, was über deren Kanäle lief, war kürzlich eine Art Wettbewerb, wer beim Hochwasser mehr Menschen im Schlamm besucht.    
Bisher ist der sogenannte Wahlkampf ja ungefähr so scharf umrissen wie ein Klecks Grütze. Und eine Strategie ist auch nicht zu erkennen. Die Wahlplakate der SPD, auf denen alles zu sehen ist außer der eigene Kanzlerkandidat, werden verspottet, und auch bei den anderen Parteien wirkt nichts richtig durchdacht. Wäre der digitale Werkzeugkasten von Jim Gilliam da nicht ein willkommener Pfosten, an den sich die Parteien binden könnten, um Wähler wie mich in ihr Boot zu holen?    

Der einzige Parteisprecher, der sich bisher zu der Software geäußert hat, ist Malte Spitz, netzpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Grüne. Er glaubt, dass „NationBuilder“ eher als Tool für temporäre Anliegen funktioniert, Bürgerbegehren zum Beispiel, und weniger für ganze Wahlkämpfe. Heißt wohl, dass die Software insbesondere kleinen Parteien helfen könnte, denn es vereinfacht vor allem administrative Aufgaben und kanalisiert Inhalte. Natürlich ist es eigentlich ein besonders demokratischer Gedanke: Mittels der einzelnen Tools lassen sich mehr Wähler aus ihrem Dornröschenschlaf wecken.    

Der Wahlkampf im Netz und auch außerhalb ist bisher stinklangweilig, man hat den Eindruck, es gehe um nix. Ich bin mir nicht sicher, ob das im August noch besser wird. Scheinbar sitzen die Parteien das Sommerloch aus. Dauernd wird trompetet, bald gehe die „heiße Phase“ los. Aber wann denn genau? Am 19. September? Keine der Parteien versucht ernsthaft, neue Wähler zu erreichen. Wie kurzsichtig.

Das Pop-Poesiealbum mit Sepalot

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Weil seine Gefühle für ein Mädchen nicht erwidert wurden, begann Sepalot mit 14 einfach eine Beziehung mit seinem Skateboard. Was seine Eltern darüber dachten, was er heute beim Blick in den Spiegel sieht und mit wem er in einer WG wohnen möchte, das hat er in unser Poesiealbum geschrieben.

Name: Sepalot / Sebastian Weiss
Spitzname: Seb
Alter: 39
Job: Musik




Früher wollte ich aussehen wie: Christian Hosoi. Skateboarden war einfach das Ding, da gab es nichts anderes für mich, und Christian Hosoi war mein Skateboard-Popstar.
Stattdessen sah ich aus wie: Dr. Murray „Boz“ Bozinsky von “Trio mit vier Fäusten”
Wenn ich heute in den Spiegel schaue, sehe ich: Mich, und ich schaue ganz gerne in den Spiegel.
Ich gehöre auf die Bühne, weil: Musik zu teilen meine Leidenschaft ist.
Außer Musik kann ich auch noch: sehr gut kochen und genau so gut essen.
Das kann ich noch nicht, würde ich aber gerne können: singen.
Meine Eltern haben mir beigebracht, dass: es sich lohnt weit nach vorne zu schauen und einen langen Atem zu haben.
Sie waren stolz auf mich, als: sie zum ersten Mal einen Konzertmitschnitt von uns im TV gesehen haben. Vorher war es immer eher so: „Mensch Junge verschwende doch nicht deine Zeit.“
Sie waren enttäuscht von mir, als: ich mit 25 immer noch auf dem Skateboard stand.
Das erste Mal verliebt war ich: mit 14. Wahrscheinlich wurden meine Gefühle nicht erwidert, und so wurde das Brett mit 4 Rollen mein Partner. Wir führten eine lange und intensive Beziehung. Wir sind jetzt nicht mehr richtig zusammen, verstehen uns aber noch sehr gut.
Das letzte Mal gelogen habe ich: heute.
Noch nie habe ich: gelogen.
Mein größter Triumph: meine zwei Kinder. Familie, und danach kommt erstmal ganz lange nichts.
Mein größter Fehler: Ich hätte schon viel früher viel mehr reisen sollen.
Mein größter Traum: Ich will mal am Meer leben. Je früher, desto besser.
Meine größte Angst: Pizza mit Analogkäse und Enzymfleisch.
Wenn ich eine 4-er-WG gründen dürfte, dann zusammen mit: Ich wohne schon in einer 4-er-WG mit meiner Familie. Die 5-er-WG, die ich mit der Band hatte, reicht für ein ganzes Leben.
Wenn mein Leben verfilmt würde, trüge das Werk den Titel:„Beats, Love and Life“
Wenn ich mir einen Satz tätowieren dürfte, dann: „1+1=4“
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