Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live

Darf man in einem Folterland am Strand liegen?

$
0
0
Armut in Griechenland, Folter in Ägypten, fehlende Frauenrechte in Dubai: Macht ihr euch bei der Urlaubsplanung Gedanken über die Situation der Menschen im Zielland?

Ein Freund hat mich letztens gefragt, ob man derzeit eigentlich zum Urlaub nach Griechenland fahren dürfe. Die Krise tobt dort weiterhin gnadenlos: Millionen sind arbeitslos, Renten, Gehälter und Krebsbehandlungen werden nicht mehr bezahlt, Drogensucht und Infektionskrankheiten breiten sich rasant aus. Griechische Hilfsorganisatonen beordern ihre Kräfte aus Afrika zurück in die Heimat. Kann man in diesem Land einfach entspannt am Strand liegen?

Es würde sich anbieten: Weil sich die Griechen in der Rezession nichts mehr leisten können, sind die Preise niedrig. Als Gast aus dem reichen Deutschland könnte man dort im Luxus leben. Aber ist das nicht pietätlos gegenüber den Millionen Griechen ohne Job, ohne Krankenversicherung, ohne Perspektive?

Andererseits: Als Urlauber bringt man Geld ins Land. Der Tourismus ist nahezu der einzige Wirtschaftszweig in Griechenland, der gerade einigermaßen gut läuft. Ist es also moralisch sogar geboten, hinzufahren?



Endlich Urlaub! Aber was, wenn die politische, wirtschaftliche oder soziale Situation im Reiseland kritisch ist?

Ortswechsel, Themawechsel. Der Journalist Michael Obert berichtet in einer packenden Reportage von Foltercamps auf der der Sinai-Halbinsel in Agypten, wo Entführungsopfer grausam gefoltert werden, um mit ihren telefonisch übermittelten Schreien Lösegeld von den Angehörigen zu erpressen. Weil die Opfer aus den ärmsten Ländern Afrikas kommen, interessiert sich niemand für die Verbrechen. Die Sinai-Halbinsel ist zugleich eine sehr beliebte Touristengegend. Dort gibt es tolle Riffe zum Tauchen.

Und noch ein drittes Beispiel. Eine Freundin hat mir verkündet, dass Dubai jetzt auf der Liste ihrer Nicht-Reiseziele gelandet ist. Dort wurde eine 24-jährige Norwegerin nach einer Vergewaltigung, die sie bei der Polizei angezeigt hatte, zu einer Gefängnisstrafe wegen unehelichem Sex verurteilt. Erst nach viel diplomatischem Druck der norwegischen Regierung wurde die Frau wieder freigelassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem so etwas als Frau im Dubaiurlaub passiert, ist sehr gering. Aber will man in ein Land reisen, das so mit Frauen umgeht?

Das sind drei komplett unterschiedliche Fälle, die man natürlich überhaupt nicht vergleichen kann und schon gar nicht pauschalisieren, aber trotzdem: Alle drehen sich um die Frage, ob man sich bei der Urlaubsplanung in irgendeiner Form Gedanken zur politischen, sozialen oder gesellschaftlichen Situation im Zielland machen sollte.

Wären die Foltercamps oder die fehlenden Frauenrechte für dich ein Grund, Ägypten touristisch zu boykottieren oder die Dubaireise abzusagen? So einen Vierzehntage-Strandurlaub machen wir ja auch, um uns mal nicht so viele Gedanken machen zu müssen. Darf man also einfach Sonne und Pool genießen, egal was außenrum passiert? Was denkst du? Hast du schonmal einen konkreten Urlaubsplan wegen der Situation im Zielland verworfen?

Pancakes zum Tatort-Gucken

$
0
0
Gegessen wird immer, aber jeder macht es anders. In der Kolumne Kosmoskoch dokumentieren jetzt-User und jetzt-Redakteure jeweils eine Woche lang, was am Abend bei ihnen auf den Tisch kommt, und schreiben auf, warum. Heute: jetzt-Mitarbeiterin Paulina Hoffmann.

Montag:



Los geht’s mit Nudelsalat. Die Nudeln hatte ich noch vom Vortag übrig, dazu gibt’s frischen Rucola, Mozzarella und Tomaten. Ein schnelles Sommeressen, das ich auch gerne zum Picknick oder Grillen mitnehme.


Dienstag:



Im Supermarkt gab es heute Süßkartoffeln im Angebot, da habe ich gleich zugeschlagen. Kaufe ich nämlich viel zu selten, obwohl ich sowohl Farbe als auch Geschmack super finde. Dazu gibts Ziegenfrischkäse und Salat.


Mittwoch:



Eine Freundin von mir hat gestern ihre letzte Prüfung für dieses Semester geschrieben. Darauf stoßen wir heute auf ihrer Terrasse mit einem Glas Wein an! Zum Essen gibt es Couscous, Brot mit Curryaufstrich und Rucola-Tomatensalat.


Donnerstag:



Heute ist großes Sommerfest in der Redaktion. Passend zum Motto "Wilder Westen" gibts neben Strohballen und Saloon-Deko Spareribs vom Grill, Bratkartoffeln und verschiedene Salate.


Freitag:



Wochenende! Das beginnt bei mir heute im Englischen Garten mit einer Freundin. Mit im Gepäck sind Salat mit Oliven, Hühnchen, Baguette und meine neueste Entdeckung: Pfirsich-Secco aus dem Biomarkt. Danach geht es noch auf ein Bier an den Chinesischen Turm.


Samstag:



Meine Mutter ist zu Besuch und wir gehen abends in ein Wirtshaus mit schönem Biergarten bei mir um die Ecke in Trudering essen. Ich bestelle mir ein Omelett mit Pfifferlingen und Salat von der Tageskarte. Sehr fein! Dazu ein Glas Hugo.


Sonntag:



Eigentlich eher was zum Frühstück, aber ich hatte heute Lust auf was Süßes. Deshalb gibts zum Tatort-Gucken Pancakes mit Mango-Quark.

Auf der nächsten Seite liest duPaulinasAntworten auf den Fragebogen zur Kochwoche.
Welchen Stellenwert hat Essen in deinem Leben?
Ich esse sehr gerne, am liebsten in Gesellschaft. Wenn ich mit Freunden koche, darf es gern auch ein aufwändigeres Gericht sein, sonst reicht auch mal Brotzeit.

Was ist dir beim Essen und Einkaufen besonders wichtig?
Grundsätzlich versuche ich, nicht den billigsten Ramsch vom Discounter zu kaufen. Wenn es sich mit Kontostand und Aufwand vereinen lässt, kaufe ich auch gerne im Biomarkt ein. Ich bin allerdings niemand, der sich auf der Suche nach der idealen Selleriewurzel stundenlang durch sämtliche Marktstände wühlt.

Erinnerst du dich, wann du zum ersten Mal für dich selbst gekocht hast und wer dir das Kochen beigebracht hat?
Puh, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Kochen gelernt habe ich von meiner Mutter, auch wenn leider nicht allzu viel hängen geblieben ist.

Was war dein Lieblingsessen als Kind?
Süßspeisen wie Kaiserschmarrn oder Milchreis.

Was ist dein aktuelles Lieblingsessen?
Ich esse seit einiger Zeit Tofu ziemlich gern.

Was magst du gar nicht?

Trotz bayerischer Wurzeln bin ich kein Freund von Schweinebraten. 

Mittags warm und abends kalt oder andersrum?
Das ist mir eigentlich egal. Kommt auch drauf an, wann ich aufstehe.

Wo isst du am liebsten, am Tisch oder auf dem Sofa?
Am Tisch. Das hat vor allem auch praktische Gründe. Ich kleckere eh immer, Essen auf dem Sofa geht bei mir erst recht schief.

Was trinkst du zum Essen?
Zum Essen selbst trinke ich normalerweise nichts. In Gesellschaft am Abend aber gerne mal ein Glas Wein.

Wie oft gehst du auswärts essen und hast du ein Lieblingsrestaurant?
Wenn Kantine bzw. Mensa als Auswärtsessen gilt, dann da! Ansonsten gehe ich eigentlich nur mit Besuch oder zu besonderen Anlässen essen.

Was isst du, wenn es schnell gehen muss?
Salat und ein belegtes Brot.

Was war das aufwändigste Gericht deines Lebens?

Ich habe als Kind meinen Eltern ein paar Mal zu Weihnachten Koch-Gutscheine geschenkt. Ein mehrgängiges Menü in Kombination mit fehlender Routine wurde da zum tagesfüllendem Großprojekt.

Hast du ein Standard-Gericht, wenn Eltern oder Freunde zu Besuch kommen?

Im Herbst und Winter mache ich ganz gerne Kürbissuppe für Gäste.

Welchen jetzt-User oder -Redakteur möchtest du als Kosmoskoch sehen?
Ich glaube es gibt noch ein paar Jungs aus der Redaktion, die noch nicht dran waren.

Unkraut-Utopien

$
0
0
Das Kunstcamp zum "MS Dockville" ist inzwischen fast so wichtig wie das Hamburger Musikfestival selbst. Das Motto ist dieses Mal "Unkraut". Wir haben uns ein paar Tage vor der Eröffnung umgeschaut und uns erklären lassen, was das Gewächs mit Utopie, Experiment und Unerhörtem zu tun hat. Ein Rundgang

Die Abendsonne senkt sich über die Elbinsel, mit lautem Piepen lädt ein Bagger Zäune für das Festivalgelände ab. Aus der Kunstcamp-Küche riecht es nach Chili, unzählige Helfer eilen umher. Ein Tag vor der Eröffnung herrscht noch kreatives Chaos an der Alten Schleuse in Hamburg-Wilhelmsburg. In knapp zwei Wochen werden hier 20.000 Musikfans Bands wie die Orsons, Woodkid oder Austra auf dem Hamburger Musikfestival MS Dockville feiern. Bereits jetzt hat das inzwischen dazugehörige Kunstcamp eröffnet, für das junge Künstler aus zwölf Ländern angereist sind. „Wir suchen entwicklungsfähige Künstlerpersönlichkeiten, deren Werke interdisziplinär funktionieren, das Publikum anregen und auch unter freiem Himmel ihre Wirkung entfalten“, erklärt Susanne Schick, künstlerische Leiterin des Camps.

Wie jedes Jahr wurde dem Camp ein Motto gegeben: Unkraut. Man versteht sich auch als Gegenentwurf zur Gartenschau, wenige hundert Meter weiter sieht man sich hier - schräger, unangepasster und hoffentlich erfolgreicher. „Unkraut erobert sich mit beeindruckender Vehemenz seinen Platz in allen erdenklichen Lebensräumen und ist robuster als viele sogenannte Kulturpflanzen", fasst Susanne Schick das Motto in blumige Worte. "Es bereichert den subkulturellen Nährboden, der Raum für Utopie, Experiment und Unerhörtes bietet.“

Bereits mehrere Wochen vor der Eröffnung Anfang August haben die insgesamt mehr als 50 Künstler und ihre unzähligen freiwilligen Helfer schon an den Exponaten unter freiem Himmel gearbeitet. Vor dem Austausch mit dem Publikum im öffentlichen Kunstcamp wird die Aufbauphase als ein internes Camp intensiv genutzt. „Wir schlafen, essen und arbeiten alle zusammen. Es ist ein eigener Kosmos, in dem zahlreiche Projekte ineinander übergreifen und einander bereichern“, sagt Dorothee Halbrock aus Susanne Schicks Team zu Beginn einer kleinen Führung durch das Camp. "Durch diese intensive Kommunikation entwickeln sich nicht nur neue Projekte und Freundschaften, sondern auch die Kunstwerke kontinuierlich weiter."

Der rauchende Hügel



Lenika Long steht in einem Erdhaufen, der ein bisschen aussieht wie ein überdimensionaler Maulwurfshügel. „Intervello-Krater“ heißt diese Installation. Auf Knopfdruck steigt binnen weniger Minuten aus dem Erdhügel Rauch auf und hüllt die Künstlerin in graue Schwaden.






Die Schnapsbrennerei


Moka Farkas

Mit funkelnden Augen tritt die Künstlerin hinter ihrer Kräuterdestille hervor, als wir uns nähern. „Ich möchte, dass sich meine Besucher über ihre Wünsche und Sorgen Gedanken machen“, sagt sie und deutet auf die Wunschkarten. Aus Kräutern für mehr Potenz, größere Entspannung im Alltag oder gegen Rückenschmerzen kann man hier die Zutaten für den eigenen Kräuterschnaps auswählen. Der wird noch vor Ort gebrannt und in einer kleinen Flasche übergeben. „Gleich trinken wäre keine gute Idee. Bis Mitte Oktober musst du deinen Schnaps jeden Tag einmal schütteln und dir Gedanken um deine Wünsche machen“, sagt Moka und zeigt ein strahlendes Lächeln. „Dann wirst du geheilt“. Mit einem Augenzwinkern verschwindet sie hinter ihren Kräutern und Kesseln.




Der Fahrradbaum




Nur paar Schritte über eine frischgezimmerte Holztreppe weiter baut Sebastian Muhr an seinem mechanischen Baum. Am Abend vor der Eröffnung ist das verzahnte Konstrukt aus alten Fahrrädern gerade einmal zwei Meter hoch. Kaum mit der Steckleiste auf dem Rasen verbunden, setzen sich die Räder langsam in Bewegung und die ersten noch unbelaubten Metalläste heben und senken sich rhythmisch. „Das wird noch viel größer“, nickt der Künstler aus Chile und eilt zu einem großen Haufen aus Fahrradleichen.


Pestizid-Gemälde




Die weißen Baucontainer-Wände wenige Meter weiter hat Julia Herfurth Unkrautskizzen beklebt. „Ich habe mich mit pestizidresistentem Unkraut beschäftigt“, erklärt die Künstlerin. Im Fokus ihrer Arbeit steht vor allem das Spritzmittel Roundup der Firma Monsanto. Über die Schädlichkeit dieses Pestizids streiten Experten seit Jahren, das Unternehmen verweist auf Risikoarmut, Umweltorganisationen hingegen warnen vor schweren Folgen für Mensch und Umwelt. Diese Forschungsdebatte greift Herfurth in ihren Kupferstichen und Skizzen auf.


Der Wohn-Igel




Die größte Installationen des Camps ist der "Igel". Seine Holzlattenstachel ragen in den Himmel und schützen das Innere. In seiner Mitte befinden sich die Schlafplätze der Künstler und Mitarbeiter. „Im Laufe des öffentlichen Camps werden hier einige Performance-Aktionen stattfinden. Gleichzeitig soll es ein Rückzugsort für uns bleiben“, erklärt Halbrock mit Blick auf das gewaltige Kunstwerk.

Das öffentliche Kunstcamp auf dem DOCKVILLE Gelände an der Alten Schleuse 23 in Hamburg Wilhelmsburg ist noch bis zum 11. August geöffnet, alle Installationen sind auch während des eigentlichen MS Dockville Festivals vom 16. bis 18. August geöffnet.

Flüster-Posts

$
0
0
In der App "Whisper" posten Nutzer anonym Geheimnisse, seltsame Vorlieben und Peinlichkeiten, die sie sonst niemandem verraten würden. Die App ist ein Renner, weil sie dort ansetzt, wo Facebook und Co nerven: bei dem Druck, das eigene Leben möglichst perfekt darzustellen

Es gibt Dinge, die man keinem erzählen möchte, nicht dem besten Freund, nicht den Eltern, nicht dem Partner. Das können Dinge sein, die man getan oder auch nur gedacht hat, Dinge, die einem peinlich sind oder die man nicht zugeben möchte, weil man dann aussähe wie ein Idiot oder ein unsympathisches, geschmackloses, pietätloses Arschloch. Dinge allerdings, die trotzdem schlicht und einfach wahr sind. Und die man insgeheim doch mal gerne jemandem ins Ohr flüstern würde.  





Zwei App-Entwickler aus Kalifornien haben darin eine Marktlücke vermutet. Und lagen goldrichtig. Vor etwa einem Jahr haben Michael Heyward und Brad Brooks ihre App „Whisper“ herausgebracht, eine Art digitalen Beichtstuhl. Momentan reißen sich im Silicon Valley die Investoren darum, bei ihnen einsteigen zu dürfen. Vor wenigen Tagen schrieben Technikblogger, das Unternehmen sei jetzt 100 Millionen Dollar Wert. Ziemlich viel Geld für ein paar Geheimnisse.  

„Whisper“ bietet seinen Nutzern die Möglichkeit, anonym ihr Innerstes nach außen zu kehren und das zu offenbaren, was sie sich sonst nicht öffentlich sagen oder schreiben trauen. Man muss sich nicht anmelden, kein Konto anlegen, keine Klarnamen verraten oder sonst etwas preisgeben. Die Hürden sind möglichst gering gehalten, die Nutzer sollen sich total anonym und sicher fühlen, damit sie ihre Geheimnisse veröffentlichen. Hier kannst du alles rauslassen, lautet die Botschaft. 

Die Geständnisse sind 200 Zeichen lang, man kann sie über ein passendes Bild legen und veröffentlichen. Im Whisper-Stream trudeln sie sekundenweise ein, thematisch ist fast alles dabei: Ein Nutzer schreibt, dass er den Attentäter des Bombenanschlags in Boston attraktiv findet. Ein Vater erzählt, dass er seinen Kindern heimlich Punk vorspiele, wenn seine Frau nicht zu Hause ist. Ein Kindergärtner gibt zu, dass er bei der Arbeit manchmal furze und einem seiner Kindergartenkinder die Schuld für den sich verbreitenden Geruch gebe.  



Neben solchen eher kleinen Peinlichkeiten finden sich auch viele Einträge, in denen Nutzer Dinge loswerden wollen, die sie ernsthaft emotional belasten: ihre Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen oder mit dem eigenen Leben. Etwas, das das Gewissen belastet, das gerade einfach mal raus muss, das man sich aber niemandem zu erzählen traut. Ein US-Veteran zum Beispiel schreibt, er habe im Einsatz zwei Menschen getötet und müsse seiner Familie und seinen Freunden vorgaukeln, dass es ihm leid tue, obwohl er es gerecht fand und jederzeit wieder tun würde.  

Die App setzt an einem Punkt an, der an sozialen Netzwerken wie Facebook schon oft kritisiert wurde: an dem Druck, den sie ausüben. An dem scheinbaren Zwang, das eigene Leben möglichst perfekt darzustellen, nur kluge, witzige und sympathische Statusmeldungen abzusetzen und möglichst schöne, originelle Fotos von tollen Orten und Ereignissen mit den Freunden zu teilen. Weil man anderen gefallen will oder Angst hat, dass der Chef mitliest, lässt man die peinlichen und unangenehmen Dinge unter den Tisch fallen. Was man auf Facebook sieht, ist nicht das reale Leben der Freunde, sondern eine mit dem sozialen Umfeld am besten kompatible Version dieses Lebens. Auf Whisper hingegen sollen auch die unschönen Wahrheiten ausgesprochen werden.  

Wenn es um solche Geheimnisse geht, stellt sich natürlich auch die Frage, ob alles so geheim und anonym bleibt, wie die Macher der App versprechen. Sie bezeichnen die App zwar als anonymes Netzwerk, in der „Privacy Policy“ steht aber ausdrücklich, dass Whisper keine Vertraulichkeit garantiert.    

Bisweilen wirkt die App auch wie eine riesige digitale Selbsthilfegruppe. Die Nutzer können die Geständnisse mit Herzen versehen und darauf antworten, es gibt Rankings der beliebtesten Beiträge. Hier kommt neben reinem Voyeurismus auch der „Geht mir genauso“-Effekt ins Spiel. Zu wissen, dass man mit einer seltsamen Angewohnheit nicht alleine ist, macht die Angewohnheit gleich weniger seltsam. Wer auf „Whisper“ etwas Peinliches ausplaudert, kann darauf hoffen, Gleichgesinnte zu finden, Leute, die Ähnliches bedrückt, die beschwichtigen und sagen: „Nicht so schlimm, du bist nicht der einzige.“ 

Die Antworten- und Herzen-Funktion hat natürlich den Nebeneffekt, dass der von Facebook bekannte Druck auch hier zum Tragen kommt – nur eben in der gegenteiligen Ausprägung. Auch bei „Whisper“ greift die Selbstdarstellungssucht, es geht letztlich auch um Zustimmung. Nur bekommt man eben Herzen für Fehler oder lausbubenhafte Geständnisse anstatt für lustige Youtube-Videos oder Katzenfotos.

Der Flug des toten Vogels

$
0
0
Gore Verbinskis "Lone Ranger" mit Johnny Depp ist ein Wunderwerk der Reanimation. Sie zeigt, wie die Disney-Maschine sich ihren Weg bahnt

Wenn wir Johnny Depp zum ersten Mal begegnen, können wir nicht sicher sein, ob er überhaupt noch lebt. Der Mann steht reglos da vor einem Zelt mit einem Beil in der Hand, eingesperrt in einen Guckkasten, neben gestopften Büffeln und Bären: Der Wilde Westen ist auf dem Jahrmarkt 1933 in San Francisco nur noch gut für eine tote Attraktionsgalerie. Der Junge im Cowboykostüm, der mit seiner Tüte Mandeln davorsteht, staunt aber nicht schlecht, als auf einmal das Auge des "Edlen Wilden" zuckt, dieses Indianers mit dem seltsamen toten Vogel auf dem Kopf. Der fängt bald an, sich mit ihm zu unterhalten und erzählt ihm in Flashbacks ein Abenteuer, das er, Tonto, einst mit seinem Freund "Lone Ranger" erlebt hat - einem legendären maskierten Rächer.



Johnny Depp bei der Premiere seines neuen Films "Lone Ranger"

Es ist genau diese Galerie von toten Bildern, von denen Gore Verbinski in seinem Film ausgeht - um ihnen langsam, wie ein Schamane, neues Leben einzuhauchen. Aus der kühlen Vitrine macht er plötzlich eine weite, epische Landschaft, zeigt einen rasanten Ritt des Indianers mit seinem maskierten weißen Freund in ein Dorf, wo sie einen Saloon kräftig aufmischen - bis das Bild wieder zum trostlosen Hintergrund des Guckkastens gerinnt. Damit es dann bald erst richtig losgeht.

"Lone Ranger" ist nicht die erste Zusammenarbeit zwischen Depp und Verbinski, der schon bei den ersten drei Teilen von "Fluch der Karibik" Regie geführt hatte. Auch ihre letzte Zusammenarbeit, der Animationsfilm "Rango", begann in einer Glasvitrine, die für das von Depp gesprochene Chamäleon zur Minibühne für allerlei Verkleidungsspielchen wurde, die ihm seine romantische Phantasie diktierte. Das eigentliche Chamäleon ist natürlich Johnny Depp selbst: ob als durchgeknallter Pirat mit Kajal und Dreadlocks, Animationsfigur oder Indianer mit totem Vogel auf dem Kopf - Depp ist das ewige Kind, das, in seinem Zimmer hockend, sich seine eigenen Legenden erfindet und sich in immer exzentrischeren Masken und Klamotten auf große Fahrt ins Reich der Phantasie begibt.

Ob es sich dabei nun um eine Piratenwelt oder, wie in "Rango" und "Lone Ranger", um den Wilden Westen handelt - es geht um die Reanimation vergangener Reiche. Die gleichzeitig niemals die Grenzen eines Zimmers oder eines Jahrmarkts verlassen, zu dem wir in "Lone Ranger" immer wieder zurückkehren. Um es mit dem Namen des produzierenden Studios zu sagen: Wir sind in Disneyland.

Schon der vor Kurzem gelaufene Disneyfilm "Die fantastische Welt von Oz", eine Neuauflage des Klassikers von 1939, hatte mit einer Zaubershow auf einem alten Jahrmarkt begonnen. Die Naivität, die sowohl "Oz" wie "Lone Ranger" bestimmt, ist erstaunlich. In "Oz" war es das gute alte Schaustellerhandwerk des Illusionisten, mit billigen Hologrammen und Feuerwerken, das über die Magie schier allmächtiger Hexen triumphierte. Und "Lone Ranger", dieser langweilige, aufrechte, maskierte Held, bekannt aus Hörbüchern, Romanen und Comics, wird von einem Bleichgesicht wie Armie Hammer gespielt, der aussieht, als sei er in Wahrheit ein Collegestudent, der in den Ferien als Kartenabreißer im Disneyland jobbt, an den Pforten zum Präriespielplatz - und dazu eine alberne schwarze Maske aufsetzen musste.

Aber wenn hier alles offensichtlich falsch ist, dann deswegen, weil keiner mehr versucht, das zu verschleiern. Disney will niemanden mehr überzeugen oder an eine Fabel glauben lassen: Ob er die Geschichte nun glaube oder nicht, müsse er selbst entscheiden, sagt Tonto am Ende seinem jungen Zuhörer. Es geht um etwas anderes: um die Faszination für die nackte Maschine, die das Spektakel erst ermöglicht.

Die Disney-Maschine, das war in der "Karibik" ein Piratenschiff, die Blackpirl, in "Lone Ranger" ist es die Eisenbahn, um deren Bau es von Anfang an geht. "Die Zukunft ist nicht mehr weit entfernt", predigt der dubiose Bahnchef, gegen dessen Machenschaften sich der Indianer Tonto und Lone Ranger zusammentun müssen. Die Eisenbahn: Das ist die Macht über die Zukunft und über das Land, eine "Kraft, die Kaiser und Könige macht". Denn was erschließt die Eisenbahn, was liegt am Ende ihrer Strecke, im äußersten Westen? Hollywood. Die Eisenbahn, das ist letztlich das Kino selbst, die Macht des Spektakels, Disney.

Statt einer Fabel erzählt der Film eher die Geschichte seiner eigenen Entstehung. Wie im Film lässt Produzent Jerry Bruckheimer ein ganzes Schienennetz für die Zugsequenzen anlegen. Und wenn es auch um einen riesigen, aber verfluchten Silberschatz in einem Indianergebiet geht, dann deswegen, weil an dem ganzen Spaß das Finanzielle immer ein Fluch ist - entweder gewinnt man, oder aber man geht baden mit einem Budget von 250 Millionen Dollar. So wie "Lone Ranger", in Amerika einer der großen Blockbusterflops des Sommers.

Dabei bedient Gore Verbinski diese Maschine, die ihm Bruckheimer und Disney hinstellen, wirklich hervorragend. Die besten Szenen des Films spielen, wie könnte es anders sein, auf der Eisenbahn. Zu Anfang treffen sich hier Tonto und Lone Ranger zum ersten Mal und liefern sich eine halsbrecherische Jagd mit Banditen auf dem Zug in voller Fahrt - ein einziges akrobatisches Bravourstück über Dächer und Abteile. Am Ende werden sie herausgeschleudert, das dampfende Ungetüm schießt über das Ende der Gleise hinaus, schiebt sich langsam an sie heran - um einen Zentimeter vor ihren Gesichtern ganz stehen zu bleiben. Verbinski unterwirft sich nicht einfach der bestialischen Studiomaschine Disneys. Er domptiert sie wie die Eisenbahn, bis auf den letzten Zentimeter: Er stoppt sie, baut sie auseinander, setzt sie neu zusammen. Am Ende kommt es dann zu einer noch fulminanteren Verfolgungsjagd zwischen zwei Zügen.

Außerdem spickt Verbinski seinen Film mit Zitaten, die man aufgrund ihrer Melancholie hier kaum erwartet hätte: Wenn vermeintliche Indianer unter romantisch-violettem Himmel eine Siedlerfamilie überfallen, dann scheint diese Szene fast direkt aus John Fords "Der schwarze Falke" übernommen zu sein, beim Bau der Eisenbahn denkt man an Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod". Die legendäre, epische, aber längst überlebte Vergangenheit des Westerns, die hier wie in einem Freizeitpark konserviert und gleichzeitig reanimiert wird, inspiriert ihn zu einer klassischen, kontrollierten Inszenierung mit ruhigen Landschaftspanoramen, ohne sich der ungebändigten Hysterie zu unterwerfen, an der unsere heutigen, von jedem Gewicht befreiten Kameras manchmal leiden.

Das Letzte, was in dieser großen Wiederverlebendigungsmaschine noch zu reanimieren bleibt, ist der tote Vogel, den Johnny Depps Tonto stets bei sich hat und der ihn bis in den Jahrmarktsguckkasten begleitet. "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt", so hieß eine berühmte Performance von Joseph Beuys: Mit einem toten Hasen auf dem Arm ging Beuys durch eine Galerie und erklärte ihm die Bilder. Am Ende war er freilich immer noch tot. Wenn aber Verbinski seinem toten Vogel die Disney-Bilder erklärt, dann, um ihn am Ende wieder fliegen zu lassen. 250 Millionen Dollar - für einen einzigen Vogel? Diese Vorstellung ist doch nun wirklich belebend.

The Lone Ranger, USA 2013 - Regie: Gore Verbinski. Buch: Justin Haythe, Ted Elliott, Terry Rossio. Kamera: Bojan Bazelli. Musik: Hans Zimmer. Schnitt: James Haygood, Craig Wood. Mit: Johnny Depp, Armie Hammer, William Fichtner, Tom Wilkinson, Ruth Wilson, Helena Bonham Carter, James Badge Dale, Bryant Prince, Barry Pepper. Disney, 149 Min.

Das Vier-Minuten-Ei unter den Detektiven: Johann Friedrich von Allmen

$
0
0
Martin Suter hat einen neuen Kriminalroman geschrieben.

Patricia Highsmith hat es mit amerikanischem Pragmatismus auf den Punkt gebracht: Das Schreiben von Suspense-Literatur, vulgo Krimis oder Thrillern, macht Spaß und kann bei Beherrschung des Handwerks auch seriösen Schriftstellern ein willkommenes Zubrot verschaffen. Der ehemalige Werbetexter und Kolumnist Martin Suter, könnte man einwenden, sei nach den Kriterien der deutschsprachigen und insbesondere der deutschen Literaturkritik nie ein wirklich "seriöser" Schriftsteller gewesen, habe es vielleicht auch gar nicht sein wollen.

Und auf ein Zubrot ist der Schweizer Bestsellerautor, der abwechselnd in Zürich, Guatemala und auf Ibiza seinem Beruf nachgeht, wohl kaum angewiesen - es sei denn, er würde einen so ruinös ausschweifenden Lebensstil pflegen wie sein Krimiheld Allmen, wogegen wiederum sein helvetischer Realismus spricht.

Man darf also unterstellen, dass Suter an seiner Allmen-Serie aus purem Spaß weiterschreibt, und wenn nur ein Teil selbst des eingeschworenen Suter-Publikums dieses Vergnügen zu schätzen weiß, dürfte das einkalkuliert sein. Dass er sich auf "Suspense" im engeren Wortsinn versteht, hat er unlängst in seinem Roman "Die Zeit, die Zeit" bewiesen. Kurzum: Für Martin Suter ist das Verfassen von Kriminalromanen keine todernste Angelegenheit, da weder sein Lebensunterhalt noch sein Renommee dabei auf dem Spiel steht.



Der Autor Martin Suter hat jetzt ein neues Buch seiner Allemen-Serie herrausgebracht.

Und so darf sich auch der Leser entspannen und bei einem gepflegten Getränk entscheiden, ob er mit dem etwas unwirklichen Milieu, in dem der Privatermittler Johann Friedrich von Allmen agiert, sympathisiert oder nicht. Wenn nein, wird er sich nach härterer und schwärzerer Kost umsehen; wenn ja, macht er sich zum Komplizen einer Attitüde, die das Genre nur mit dem abgespreizten kleinen Finger anfasst und genüsslich ironisiert, angefangen beim ersten Satz: "Es war einer dieser Morgen, an denen er die Krawatte dreimal binden musste, bis die Längen stimmten."

Unübersehbar ist Allmen, der verarmte, hochverschuldete Privatier, der im Gartenhaus der ehemals eigenen Villa residiert und aus Not, weil die Untervermietung des Opern-Premierenabonnements nicht für den Lebensunterhalt reicht, gegen Honorar verschwundene Kunstwerke und Preziosen aufspürt, ein Abkömmling des "Letzten Weynfeldt". Diesen elegant versnobten Kunstexperten setzte Suter vor fünf Jahren in die Welt und verstrickte ihn in eine Fälscheraffäre. Allmen, der sich mithilfe seines guatemaltekischen Butlers Carlos (und neuerdings dessen Lebensgefährtin María) in kunstkriminelle Fälle einmischt, erinnert in Herkunft und Geschmack, schönen Gewohnheiten und eitlen Marotten an Adrian Weynfeldt, ist aber knapper und flüchtiger skizziert, was ihn als Figur eher schematisch erscheinen lässt.

Auch was die Plots und deren atmosphärische Einbettung betrifft, beschränkt der Autor sich jeweils auf das Notwendigste, so als hätte er nicht viel Zeit. Beim Fall Nummer zwei, "Allmen und der rosa Diamant", ging das recht unbefriedigend aus, beim dritten nun, "Allmen und die Dahlien", ist Suters Erzählökonomie wieder besser im Lot, obwohl auch hier die Schnelligkeit des Ablaufs im Missverhältnis zu den Umgangsformen und kulinarischen Gepflogenheiten des passionierten Müßiggängers Allmen steht.

Im Ambiente eines angestaubten Grandhotels fahndet Allmen International Inquiries nach einem gestohlenen Gemälde, dem millionenteuren "Stillleben mit Dahlien" von Henri Fantin-Latour. Und jedes Wort, das man nun noch über Handlung und Personal verlöre, würde dem Buch etwas von seinen hübschen, aber sparsam dosierten Effekten nehmen. Verraten sei nur, dass Suter diesmal, als sei ihm die Krawatte plötzlich zu eng geworden, mit einem Cliffhanger endet - aber auch der trägt Zeichen der Genre-Ironisierung. Allmen frühstückt übrigens jeden Morgen ein Ei, immer in anderer Zubereitung. Die Hardboiled-Variante ist nicht darunter. Kristina Maidt-Zinke

Martin Suter: Allmen und die Dahlien. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2013. 214 Seiten, 18,90 Euro.

Gekaufte Freunde

$
0
0
Facebook-Likes, Twitter-Follower, Youtube-Zuschauer - kann man alles im Netz kaufen. Arbeiter in Bangladesh klicken für 150 Dollar im Jahr


München - In einem kleinen, spärlich beleuchteten Raum in Dhaka, Bangladesh, liegt die digitale Beliebtheit eines manchen Unternehmens begründet. Hier reiht sich Computer-Bildschirm an Computer-Bildschirm. Davor sitzen Menschen, die tagein und tagaus nicht anderes tun, als sich in Facebook- und Twitter-Accounts einzuloggen und die Fanzahlen von Unternehmen künstlich in die Höhe zu treiben. Klick für Klick arbeiten sie sich durch die Aufträge. Oft auch mal die ganze Nacht hindurch. Für einen Jahreslohn von weniger als 150 US-Dollar. Ein Reporter des investigativen britischen TV-Formates 'Dispatches' hat die sogenannte 'Klickfirma' in Dhaka nun besucht. Seine Reportage, die am Montagabend im britischen Channel 4 ausgestrahlt wurde, deckt auf, wie unkompliziert sich Unternehmen im Netz Popularität erkaufen können. Vor allem aber wirft sie die Frage auf, welche Aussagekraft die Social-Media-Metrik noch hat, wenn vielerorts manipuliert wird.





Russel, der Boss des zweifelhaften Kleinunternehmens in Dhaka kümmert sich um solche Fragen wenig. Warum auch? Das Geschäft läuft gut. Er selbst rühmt sich als 'König von Facebook'. Die meisten seiner Methoden seien legal, sagt er. Wer klage, das Geschäft sei unmoralisch, solle das nicht ihm vorwerfen - sondern seinen Kunden. 15 Dollar verlangt Russel für tausend Facebook-Likes. Für die Arbeiter, die er beschäftigt heißt das: Tausend Mal müssen sie klicken, um einen einzigen Dollar zu verdienen.

Kunden findet der Unternehmer mit dem ungewöhnlichen Geschäftsmodell offenbar genug. Seit Jahren schon erzählen auf Social Media spezialisierte Unternehmensberater ihren Kunden, dass die Zukunft ihrer Unternehmen von der Anzahl ihrer Facebook-Fans abhängt. Wer oft geliket, abonniert oder verfolgt wird, sei es auf Facebook, Youtube oder Twitter, erreicht mehr Kunden. So lautet das Mantra. Denn nicht nur derjenige, der den Like-Button drückt, bekommt von diesem Moment an die Updates des Unternehmens direkt auf seine Startseite. Interagiert der Nutzer mit dem Unternehmen, dann sehen das auch die Freunde des Nutzers. So verbreitet sich die Botschaft eines Unternehmens im Idealfall viral im ganzen Netz. Das klingt nach schneller Werbung mit großer Reichweite, die nichts kostet. Die Realität sieht aber oftmals anders aus. Viele Unternehmen, aber auch Politiker oder Parteien haben oftmals Probleme, so viele Fans und Follower zu sammeln, wie sie gerne hätten. Wenn es schnell gehen muss, griffen sie deshalb in der Vergangenheit schon mal auf Angebote zurück, die Fans automatisiert von Computer-Programmen erzeugen lassen. Doch diese Methode hat einen entscheidenden Nachteil: Ein solcher Klickbetrug ist relativ einfach aufzudecken. Die Netzwerk-Betreiber sind für solche Manipulationen inzwischen sensibilisiert. Facebook etwa löschte in einer große angelegten Reinigungsaktion im vergangenen Jahr mehrere Tausend gefälschte Konten. Das Online-Spiel Texas Hold Em Poker des Spieleanbieters Zynga etwa verlor als Folge der Aktion fast 100 000 der 63 Millionen Likes. Deshalb muss, wer sich Beliebtheit in den sozialen Netzwerken erkaufen will, inzwischen auf echte Likes von echten Menschen zugreifen. Gegen die können Facebook und Konsorten nur schwer vorgehen. Ehrliche Interaktion findet dann zwar immer noch nicht statt, aber wer formal viele Anhänger hat, wirkt auch auf Fans aus Fleisch und Blut interessanter. Wer also kauft sich seine Fans in Bangladesh beim Qualitätslieferanten? Das ist in der Regel schwer nachvollziehen. Doch es sind der Sendung zufolge auch namhafte Marken, die auf der Kundenliste stehen. So hatte etwa die Facebook-Version des Spieleklassikers Monopoly durch den Klick-Kauf an Popularität gewonnen. Darauf angesprochen, bestritt der Spielehersteller Hasbro davon gewusst zu haben und beauftragte Facebook mit der Löschung des Accounts.

Bangladesh ist im Geschäft um Likes und Follower ein wichtiger Knotenpunkt. Auch die bekannte Klickkauf-Seite Sharety.com ist in Dhaka registriert. Sie wirbt im Netz ganz offen: 'Brauchst du Facebook Fans, Likes, Followers, Eventteilnehmer? Wir machen das so einfach wie einen Maus-Klick'.

Obamas Jagd auf Whistleblower

$
0
0
Der US-Präsident lässt angebliche Staatsfeinde gnadenloser verfolgen als seine umstrittensten Vorgänger


München - Vor gut zwei Jahren gab die US-Regierung die geheimen 'Pentagon Papers' über den Vietnamkrieg frei. Ein historisches Ereignis: Vierzig Jahre zuvor, im Frühjahr 1971, hatte der Whistleblower Daniel Ellsberg einen Teil der Dokumente an die New York Times lanciert. Die Unterlagen belegten, dass die Öffentlichkeit über den Vietnamkrieg systematisch in die Irre geführt worden war, und das war der Anfang vom Ende des Vietnamkrieges.

Der heute 82 Jahre alte Ellsberg ist so zum Helden geworden: Einer, der sich was traut. Seine Geschichte wurde in vielen Büchern und dem Film 'Der gefährlichste Mann in Amerika - Daniel Ellsberg und die Pentagon-Papiere' nacherzählt.

Natürlich hat auch Ellsberg darauf gesetzt, dass Barack Obama mit Whistleblowern anders umgehen würde als dies beispielsweise die Präsidenten Richard M. Nixon oder George W. Bush getan haben. Als Präsidentschaftskandidat hatte Obama das Aufdecken von Missständen als 'patriotischen Akt' gelobt, den er belohnen und nicht bestrafen wolle. Er schwärmte vom 'Mut' anonymer Enthüller.



Obama lässt angebliche Staatsfeinde gnadenloser verfolgen als seine umstrittensten Vorgänger.

Die Treibjagd auf den echten Enthüller Edward Snowden, der die Welt über den Digital-Wahn der amerikanischen Nachrichtendienste aufklärte, zeigt, was von dem Versprechen zu halten war.

Seit Obama Präsident ist, lässt er Whistleblower gnadenloser verfolgen als dies selbst seine umstrittensten Vorgänger getan haben. Er hat mehr Verfahren gegen Enthüller initiiert als alle früheren Präsidenten zusammen. Bereits in seiner ersten Amtszeit gab es sechs Strafverfahren wegen Geheimnisverrats nach einem Gesetz von 1917, das die Kooperation mit dem Feind unterbinden sollte.

So wurde jüngst der Obergefreite Bradley Manning, den Ellsberg für einen 'Helden' hält, von einem US-Militärgericht wegen Spionage und Diebstahls von Regierungseigentum und wegen anderer Delikte verurteilt. Er hatte unter anderem ein Video beschafft, das zeigt, wie die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers in Bagdad Menschen wie Rebhühner jagt. Das Strafmaß für Mannig steht noch nicht fest - ihm drohen bis zu 136 Jahre Haft. Das muss aber nicht so kommen. Die weltweite Gemeinde der Whistleblower verfolgt irritiert das Treiben der staatlichen Verfolger in den Vereinigten Staaten. Seine Freunde in den USA und auch er seien 'tief enttäuscht' über die Entwicklung, sagt der deutsche Bundesrichter Dieter Deiseroth, der sich seit mehr als zwanzig Jahren um die Materie kümmert und so etwas wie der Vater der deutschen Whistleblower-Bewegung geworden ist.

1778 gab es in Amerika das erste Schutzgesetz für Leute, die Alarm schlagen. Das englische Wort 'Whistleblower', das - soweit ersichtlich - erstmals 1963 in den USA benutzt wurde, ist zum Synonym für gemeinwohlorientierte Hinweisgeber geworden. Die Bezeichnung 'ethische Dissidenten' verwendet Deiseroth.

Es sei ein 'starkes Stück', sagt der Richter, dass in den USA diejenigen, die wie Manning im Irak auf Kriegsgräuel aufmerksam machten, verurteilt würden und diejenigen, die Gräuel verursacht hätten, straffrei davon kämen.

Die Fälle Manning und Snowden sind nur der vorläufige Endpunkt einer langen Liste. Da ist der ehemalige CIA-Mitarbeiter John Kiriakou, der Reportern bestätigte, was die Welt ahnte: Dass die Foltermethode 'Waterboarding', bei der Opfer fürchten, sie würden ertrinken, gängige Praxis bei den Diensten war. Für diesen Hinweis auf die Praxis bekam der ehemalige Nachrichtendienstler zweieinhalb Jahren Haft. Allerdings hatte er bei der Gelegenheit den Klarnamen eines Agenten, der gefoltert hatte, verraten. Der frühere FBI-Dolmetscher Shamai Leibowitz wurde zu zwanzig Monaten Haft verurteilt, weil er einem Blogger Informationen gab.

Thomas Drake, der viele Jahre für die NSA gearbeitet hatte, wollte nur sparsam sein und wurde so zum Staatsfeind. Er hatte Anstoß daran genommen, dass der Geheimdienst ein viel zu teures Software-Programm kaufen wollte statt ein weit billigeres. Wie es sich für Whistleblower gehört, hatte er erst den Dienstweg gesucht und als er da kein Gehör fand, sich einer Reporterin anvertraut. Die schrieb dann über Verschwendung und Missmanagement bei der NSA, Drake wurde angeklagt. Ihm drohte eine Gefängnisstrafe bis zu 35 Jahren. Kurz vor dem Prozess im Juni 2011 wurden die wichtigsten Anklagepunkte fallen gelassen, und Drake wurde wegen Zweckentfremdung eines Computersystems zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Auf ihre Prozesse warten noch die Whistleblower Stephen Jin-Woo Kim und Jeffrey Sterling, die Reportern Material geliefert hatten. Es fällt auf, dass das Strafmaß oft deutlich geringer ist als die Ankündigung. Offenbar sollten potenzielle Informanten eingeschüchtert werden.

Immer geht es, auf der Grundlage des Gesetzes von 1917, um angeblichen Geheimnisverrat. Die Argumentation der amerikanischen Strafverfolgungsbehörden lautet, dass die Weitergabe von Staatsgeheimnissen an Journalisten noch schlimmer sei als ein Spionagefall. Bei der Journalisten-Variante könne jeder ausländische Gegner von der Information profitieren. Bei der Spionage würden nur Informationen an ein feindliches Land verkauft.

Die Geheimgesellschaft macht nicht nur Jagd auf Quellen, sondern auch auf Journalisten. Vor ein paar Monaten wurde bekannt, dass im Frühjahr 2012 Reporter der Nachrichtenagentur AP ausgeschnüffelt worden waren, als sie von heimischen Informanten beliefert worden waren. Und dem vielfach ausgezeichneten New-York-Times-Reporter James Risen droht Beugehaft, wenn er nicht die Namen seiner Informanten nennt.

John Podesta, einst enger Vertrauter von Obama, klagte vor dem Fall Snowden in der Washington Post: Der Geheimhaltungswahn seines früheren Chefs verstoße gegen die demokratische Prinzipien, 'die unser Land seit den frühesten Tagen geleitet haben'. Daniel Ellsberg wurde einst angeklagt - und freigesprochen. Heute müsste er mit einer Verurteilung rechnen.

Randale an der Rutsche

$
0
0
Nach Tumulten in einem Berliner Freibad berät das Abgeordnetenhaus über strengere Einlasskontrollen

Berlin - Freibad. Sobald man dieses Wort hört, erinnert man sich: an den Geruch von Sonnencreme und Pommes, an die Geräuschkulisse aus Kreischen und Bauchplatschern und an das Gefühl von Sonne auf dem nassen Rücken. Das Freibad ist der Sehnsuchtsort der Kindheit und vor allem der frühen Jugend. Solange man noch zu jung ist, um in Bars und Clubs zu gehen, findet dort all das statt, was sich später einmal ins Nachtleben verlagern wird: das Posieren und das Imponiergehabe, das Abchecken, das Reizen und Provozieren, die Mutproben und Selbstüberschätzungen.

Wenn diese Mischung in der Sommerhitze überkocht, dann eskaliert die Situation, so wie am Freitagabend im Sommerbad in Berlin-Pankow. Als der Bademeister den Sprungturm und die Wasserrutsche wegen Überfüllung schließen wollte, wurde er von einer Gruppe von etwa 50 jungen Männern bedrängt und bepöbelt. Die Schwimmbadleitung rief die Polizei, die mit 60 Beamten anrückte und das gesamte Bad schließlich räumte. Bereits eine Woche zuvor war die Polizei dort im Einsatz gewesen, weil es am Eingang des Schwimmbads wegen Überfüllung zu Tumulten gekommen war.



Spaß im Wasser? In einem Berliner Freibad kam es jetzt zu einer heftigen Randale.

Die Berliner Bäder-Betriebe zogen Konsequenzen aus dem jüngsten Vorfall. Am Samstag und Sonntag war "Familientag" im Pankower Sommerbad, das bedeutete: Kinder und Erwachsene kamen nur noch zusammen hinein. Formal mussten also sowohl 13-jährige Mädchen als auch 40-jährige Frauen ohne Nachwuchs draußen bleiben, auch 70-jährige Bahnenschwimmer mit Badekappe hätten eigentlich nicht hinein gedurft. So streng sei man am Eingang aber nicht gewesen, sagte Matthias Oloew, Sprecher der Berliner Bäder-Betriebe, der SZ. "Das Rentner-Ehepaar kam trotzdem rein. Und die Berliner sind ja auch kreativ, da haben sich einige am Eingang spontan zu Familien zusammengeschlossen."

Offenbar scheute man sich davor, statt der hübsch klingenden offiziellen Ansage "Familientag" ein Schild neben die Kasse zu hängen, auf dem das steht, was die Aktion laut Oloew eigentlich bewirken sollte: "Es werden vor allem Gruppen von testosteronüberschwemmten Jungmännern nicht hineingelassen."

Nun wird sich das Abgeordnetenhaus damit beschäftigen, ob für Berliner Freibäder an heißen Wochenenden in Zukunft tatsächlich eine ähnlich strenge Türstehermentalität herrschen soll wie in so manchem angesagten Berliner Club. "Die Vorfälle werden Thema im nächsten Sportausschuss sein", sagte Ausschuss-Mitglied Peter Trapp (CDU) der Berliner Morgenpost. Statt pauschal auszuschließen, müsste individuell entschieden werden, wer ins Bad dürfe und wer nicht.

Auch Bäder-Sprecher Oloew kann sich bessere Vorgehensweisen vorstellen als den Familientag, um Konflikte zu vermeiden. Der sei "ein Testballon" gewesen, den man nun auswerten müsse. "Das war ein Wechsel in der hausinternen Politik, ja. Volksbäder sollen für alle da sein. Aber vielleicht muss man das Volksbadwesen auch schützen", sagte Oloew. "Die 5000 Gäste, die sich benehmen, muss man schützen vor den 50, die es nicht können." Dazu könne auch gehören, dass das Einlasspersonal "die Klientel, die schon bekannt ist für ihren juvenilen Überschwang" wieder nach Hause schicke.

Als mögliche Alternative zu Einlasskontrollen setzen die Berliner Bäder-Betriebe auch auf den Einsatz von Konfliktlotsen. "Da sind geschulte Kiez-Jugendliche mit Erwachsenen im Einsatz", sagte der Sprecher. In anderen Bädern habe sich das bewährt. Im Kreuzberger Prinzenbad vertraue man außerdem auf langjährige und erfahrene Bademeister. "Da sind einige dabei, die die Jungs seit dem Säuglingsalter kennen", meint Oloew. "Das verschafft Respekt."

Fish & Checks

$
0
0
Alle Jahre wieder: Spanien und Großbritannien streiten über Gibraltar. Die konservative Regierung in Madrid fährt einen besonders harten Kurs - um von der Krise abzulenken, behauptet der britische Statthalter in der Kronkolonie

Madrid - Wie schon in den vergangenen Jahren während der Sommerferien ist auch in diesem August ein Streit zwischen Madrid und London über die Halbinsel Gibraltar aufgeflackert. Anlass sind Differenzen über Fischgründe im Mittelmeer. Außenminister José Manuel Garcia-Margallo drohte in Madrid, demnächst von Bürgern Gibraltars bei der Einreise nach Spanien eine Gebühr von 50 Euro zu erheben. In London äußerte sich Premierminister David Cameron "besorgt" über diese Drohungen.

Die EU in Brüssel forderte beide Seiten zu konstruktiven Gesprächen auf, verwies aber auch darauf, dass Spanien die Pflicht habe, die Reisenden zu kontrollieren, da Gibraltar als Bestandteil Großbritanniens nicht zur Schengenzone gehöre. Fabian Picardo, der Chefminister des autonomen britischen Überseegebietes, erklärte, Spanien verhalte sich mit seinem "Säbelrasseln" in dem Konflikt "wie Nordkorea".



Wem gehört der Fisch? Spanien und Großbritannien streiten über die Fischgründe vor Gibraltar.

Den Konflikt hatte ein künstliches Riff in Sichtweite des Hafens von Gibraltar ausgelöst, das britische Schiffe in der letzten Juliwoche mithilfe von Betonblöcken errichtet hatten. Diese Barriere versperrt nach Darstellung Madrids spanischen Fischerbooten den Weg zu ihren Fanggründen. In Gibraltar wurde dagegen argumentiert, dieser Abschnitt vor dem Westende der spanischen Mittelmeerküste sei völlig überfischt, weil die Spanier die vereinbarten Quoten nicht eingehalten hätten. Das Riff sei errichtet worden, damit der Fischbestand sich regenerieren könne. Außenminister Garcia-Margallo drohte daraufhin mit Vergeltung. Das britische Außenministerium reagierte mit der Einbestellung des spanischen Botschafters in London.

An der Straße zu der sechs Quadratkilometer großen Halbinsel mit dem charakteristischen Felsen machen die spanischen Grenzposten seit vergangener Woche "Dienst nach Vorschrift". Sie kontrollieren nicht nur Ausweise, sondern auch Portemonnaies und Kofferräume. Viele Reisende und Pendler mussten am Wochenende bis zu sieben Stunden im Stau stehen, bei Temperaturen von bis zu 40 Grad.

Vertreter der Regierung von Gibraltar nutzten die Gelegenheit, Informationsblätter, Mineralwasser und Snacks zu verteilen. Der Nachrichtensender TVE24 zeigte wütende Reisende und Pendler aus Spanien, die auf ihre eigenen Grenzer schimpften. Die meisten Madrider Zeitungen reagierten zurückhaltend auf die Drohungen ihres Außenministers. Der fährt einen härteren Kurs in der Gibraltar-Politik als sein sozialistischer Vorgänger. Gibraltars Chefminister Picardo hingegen führte die konfrontative Politik Madrids darauf zurück, dass die Regierung Rajoy von eigenen Problemen in der Krise ablenken wolle.

Die Kommentatoren des Fernsehsenders von Gibraltar sahen noch einen historischen Anlass für dessen Vorstoß: Mit großen Festen wurde dort erst im Frühjahr der 300. Jahrestag des Vertrag von Utrecht begangen, der die Abtretung der Halbinsel an die englische Krone besiegelte. Die britische Marine hatte sie bereits zehn Jahre zuvor im Spanischen Erbfolgekrieg besetzt. Madrid wollte diesen Vertrag im 18. Jahrhundert militärisch revidieren, doch drei Belagerungen der Halbinsel mussten abgebrochen werden.

Das Thema brachte Mitte des 20. Jahrhunderts der Diktator Francisco Franco wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik. Doch 1967 votierten 12 138 der stimmberechtigten Einwohner bei ganzen 44 Gegenstimmen für den damaligen Status Quo als britische Kronkolonie. Franco ließ wenig später den Landweg nach Gibraltar sperren, er wurde erst zehn Jahre nach seinem Tod 1985 wieder eröffnet. Dies war eine der Bedingungen für den Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft. Madrid muss sich allerdings zurückhalten. Jeder Konflikt um Gibraltar wird in Marokko sehr aufmerksam beobachtet. Die marokkanische Führung erhebt immer wieder die Forderung nach dem Abzug der Spanier aus ihren nordafrikanischen Enklaven Melilla und Ceuta.

Der aktuelle Streit hat noch eine wirtschaftliche Dimension: Madrid kritisiert, dass Gibraltar Sitz von Tausenden Briefkastenfirmen ist, über die auch spanische Firmen und Privatleute Steuerzahlungen vermeiden. Bislang zeigten die Behörden von Gibraltar mit offenkundiger Rückendeckung aus London wenig Bereitschaft, gemeinsame Lösungen für die Schließung von Steuerschlupflöchern zu finden. Überdies sind die Kasinos und Glücksspielhallen auf der Halbinsel in den Augen Madrids Orte, wo Schwarzgeld gewaschen wird. Zudem hat der aktuelle Schwarzgeldskandal der spanischen Regierungspartei PP die Madrider Medien für dieses Thema sensibilisiert. Schließlich werden wegen der niedrigen Zoll- und Steuersätze über Gibraltar Zigaretten und Alkohol in großen Mengen umgeschlagen, ein Teil wird nach Spanien eingeschmuggelt, wobei der Fiskus das Nachsehen hat.

T wie Tangatechnik: das große Freibad-ABC

$
0
0
Sommer, Ferien, Wüstenhitze! Das Freibad ist der beste Ort, um die Sommerfrische zu verbringen. Eine Sammlung der wichtigsten Begriffe, von A wie Anstehen bis Z wie Zehnerspringer.

A wie Anstehen
Die Essenz des Freibadbesuchs. Nichts, was im Freibad Spaß macht, geht ohne: Reinkommen, vom Sprungbrett hüpfen, Pommes essen –überall Schlangen, überall warten, überall Ungeduld. Im Normalfall ist das nervig. Für den -> Runterkletterer werden die Anstehenden, die ihn erst zum schnellen Sprung gedrängt haben, zum "Trail of Shame" – einem Spießrutenlauf aus Kopfschütteln, Pöbeleien und kehlig pubertärem Gelächter.




 B wie Bum Bum
Milcheis mit roter Zuckercremeglasur. Der Kaugummi im Stiel macht es zu einem, wenn nicht dem Klassiker der Freibad-Kulinarik. Deren wichtigstes Wesensmerkmal ist es, größtmöglichen Zuckergehalt in die überraschendsten Formen zu bringen: Maoam in Zäpfchenform (Cola-Kracher), Brause als Lippenstift (Candy-Lipstick), Säurebad als Kaugummi (Center-Shock). Nur Freibad-Fachmänner wissen, dass Bum Bum nach "Bum Bum Boris" Becker benannt ist, nachdem dieser im Jahr 1985 das Wimbledon-Turnier gewann.

C wie chlorfrei
Resultat des Trends zum Naturbad – mit Algen statt Chemie, die Yogurette unter den Freibädern: nichts Halbes und nichts Ganzes.

D wie Dreier
Mittlere Sprungbretthöhe, hierbei in etwa vergleichbar mit einer roten Abfahrt beim Skilaufen. Der Dreier belegt in der Hierarchie der Sprungtürme den vorletzten Platz: Er ist nur knapp höher als der indiskutable -> Einser. Andererseits ist ein Bauchplatscher von dort schon schmerzhaft genug, um von den ->Hosenposern als erste geeignete Bühne anerkannt zu werden




E wie Einser
Ballungszentrum für Kinder, deren Väter und natürlich ->Weiber. Klar, weil: Spektakuläre Verletzungen sind von hier kaum möglich, sieht man von einer Flutung der Nebenhöhlen ab (->Nasezuhalter).  

F wie Fünfer
Das Basiscamp des Sprungturms: Ab hier steigt die Zahl der -> Hosenposer rapide an. Sie lehnen oben meist in Vierertrauben mit tropfenden Badehosen am Geländer und verhöhnen ->Runterkletterer und verirrte ->Nasezuhalter.  Erste Sprungbretthöhe, bei der man auf der Leiter den Höhenwind zu spüren meint.  

G wie Geölte, Der

Der Geölte ist ein ganzkörperrasierter Narziss, der den Moment herbeisehnt, sich irgendwann im Schmierfilm auf der eigenen Haut spiegeln zu können. Er nutzt das Freibad vor allem zur optischen Selbstoptimierung – also zum Bräunen. Es ist nicht überliefert, ob er je im Wasser war. Was der Geölte sucht, ist schließlich nicht Erfrischung, sondern Sonne beziehungsweise mehr Sonne. Entsprechend schmiert er sich auch nicht mit Sonnencreme ein, sondern mit Südtiroler Nussöl. Der Geölte ist in aller Regel das Frühstadium des -> Silberrückens. Wo man ihn garantiert nie sieht: Rutschenparadies. Schade eigentlich! Er dürfte aufgrund reduzierter Reibung Spitzengeschwindigkeiten erreichen – und die -> Tangatechnik ist bei ihm serienmäßig eingebaut.



H wie Hosenposer
Der Hosenposer ist immer im Rudel anzutreffen, immer männlich, immer laut und zeigt seine Zahnspange mit dem Stolz, mit dem er später seine Rolex zeigen wird. Der Hosenposer trägt mindestens zwei, manchmal auch drei Badeshorts übereinander. Was er damit sagen will: „Meine Arschbomben sind so krass – das hältst du sonst nicht aus!“ Was er tatsächlich sagt: „Guck nicht so – das Wasser ist ja auch kalt ...“

I wie
„Ist das Wasser gerade wärmer geworden?!“

J wie Jangtse-Staudamm

-> Yangtse-Staudamm

K wie Karambolage

Häufige Folge des Wasserrutschens in größeren Gruppen bei Unterschreitung des vorgeschriebenen Mindestabstands. Entsteht meistens, wenn Kenner der ->Tangatechnik unmittelbar hinter einer Gruppe mit den Handflächen bremsender Mädchen (->Weiber) die Rutschbahn hinab donnern. Meist jedoch gesundheitlich unbedenklich, weshalb anfänglichem Kreischen, gespielter Empörung und Entwirrung aller Gliedmaßen im Landebecken meist ein großes gegenseitiges Anspritzen aller Unfallparteien folgt.  

L wie „Langsamer laufen!“
Reflexhaft gebellter Befehl des Bademeisters am Sprungbecken, der den zügigen Verkehrsfluss zwischen Becken und Turm aus Sicht der ->Hosenposer unnötig aufhält.

M wie Machorolle
Im Freibad zuverlässig eintretende Charakterwandlung bei Jungs ab dem 14. Lebensjahr. In größeren Gruppen legen Jungs in dieser Altersgruppe zusammen mit den Straßenklamotten auch weite Teile ihrer guten Erziehung ab. In der Machorolle heißen Mädchen fortan -> "Weiber", es wird gegrölt, gefurzt und "zwei fürs Zurückzucken" gespielt.

N wie Nasezuhalter
Unterste Kaste in der Hierarchie des Sprungturms. Drunter stehen nur Nichtschwimmer. Anzutreffen in der Regel am ->Einser, häufige Überschneidungen mit der Gruppe der ->Weiber, weshalb gelegentlich eine natürliche Korrelation mit dem ->Hosenposer zu beobachten ist.

O wie Obendrüberklettern, nachts
Wahrscheinlich ein Urban Myth wie die Spinne in der Yucca-Palme: Angeblich war ein enger Freund mal dabei. Der wird bei genauer Nachfrage aber „eher ein Freund der Cousine“. Und er hat’s auch nur gehört. Trotzdem: unbedingt erstrebenswerte Form jugendlicher Kleinkriminalität – wenn ein paar Hirnamputierte es nicht übertreiben würden.



P wie Pommes
Nahrungsmittel, das wissenschaftlichen Studien zufolge nirgends so gut schmeckt wie im Freibad (siehe auch ->Bum Bum).

R wie Runterkletterer
Das Horrorszenario des Heranwachsenden! Mal was riskieren, sich selbst überwinden, die eigenen Grenzen austesten, den -> Fünfer lässig links liegen lassen, die zweite Badeshort noch mal zurechtrücken, an den Rand des Sprungturms treten und, zack: Höhenangst, Schwindelanfall, taube Angst, verschwommenes Blickfeld, das sich von den Rändern her langsam verengt, Harndrang, aufsteigende Übelkeit, zitternde Knie, Vollblockade! Was folgt ist ein letzter, aussichtsloser Moment, in dem das Hirn noch versucht zu leugnen, was der Körper längst weiß und dann: Rückzug, Trail of Shame. Vorbei an den Anstehenden, dem -> Zehnerspringer, vorbei an den hämischen Blicken, den Kommentaren, dem kehligen Gelächter. Runterklettern. Stufe für Stufe. Rückwärts.

S wie Silberrücken
Der Gorilla unter Affen, die graue Eminenz des Freibads. Der Silberrücken ist vorrangig an seiner sonnengegerbten Haut zu erkennen, die – je nach Ausprägung und Alter – einem Lederkoffer aus der Camel-Trophy-Serie oder einer Krokotasche ähnelt. Ihn verrät aber auch die Körpersprache: Wenn ein Silberrücken sein Revier abschreitet, sieht es immer so aus, als könnte er jeden Moment auf die Vorderpfoten sinken und lostraben. Tut er das nicht, dann nur, um jederzeit mit Fäusten auf der haarigen Brust trommeln zu können. Der Silberrücken ist immer da, und immer als erster. Er kennt jede Ecke des Geländes und ist auf Du-und-Du mit jedem Bademeister. Trotz seiner damit quasi natürlichen Dominanz jedem Normal-Bader gegenüber droht ihm Gefahr – vor allem das Alter. Der -> Geölte pocht auf die Nachfolge. Er ist jünger, er ist dynamischer. Er wird kommen. Die Natur ist da grausam.

T wie Tangatechnik
Gängige Methode, um die Höchstgeschwindigkeit in der Rutschbahn zu maximieren. Dabei werden beide Badehosenbeine zusammengerafft und als Wulst in der Poritze verstaut. Die Tangatechnik lässt sich nur mit dehnbaren Spandex-Badehosen praktizieren, schließt also den ->Hosenposer als Anwender von vornherein aus.  

U wie Umkleiden
Lästiger Vorgang, der bei jedem Freibadbesuch die Rahmenhandlung bildet. Zu absolvieren entweder auf der Wiese unter einem verschämt an der Hüfte verknoteten Handtuch. Oder in dazu vorgesehenen Räumlichkeiten, in denen der Wasserfilm auf dem Boden zuverlässig die Socken anfeuchtet.  

V wie Viererbob

Beliebte Rutsch-Kombination unter Kennern der ->Tangatechnik. Führt spätestens im Landebecken zur ->Karambolage.  




W wie Weiber
Direkte Folge der -> Machorolle: Haben die sich erst mal in Proleten verwandelt, werden Frauen in ihrer Wahrnehmung zu Weibern. Und die werden je nach Alter im besten Fall zum Reiterkampf auf die Schultern genommen und im schlimmeren getaucht oder furchtbar plump angemacht.

X wie Xerophobie
Angst vor Trockenheit und Dürre.

Y wie Yangtse-Staudamm
Drei-Schluchten-Talsperre in China. Mit einer Staukapazität von knapp 40 Milliarden Kubikmetern einer der größten Staudämme der Welt und Vorbild für das Rutschenstauen im Freibad. Der Rutschende muss hierzu im Startbereich der Rutschbahn möglichst lang in der Embryonalstellung verharren, um dann von einer Flutwelle umso schneller den Kanal hinunter getragen zu werden. Beliebt bei Anwendern der ->Tangatechnik.

Z wie Zehnerspringer
Neben dem -> Silberrücken der zweite König des Freibads. Allerdings hat er ein anderes Revier: Der Zehnerspringer dominiert nicht aus reiner Erfahrung und einfacher Daueranwesenheit, er beweist sich jedes Mal neu – mit einem formvollendeten Sprung (Hecht, Salto, Schraube) vom Turm. Er hat über die Jahre Fans gesammelt und entsprechend für den Arschbomben-Plebs (-> Hosenposer) nichts als Verachtung übrig. Dafür besitzt er aber meistens die Größe, den -> Runterkletterer nicht zu verhöhnen – Sicherheit geht in seinem Reich schließlich vor.

Spinatauflauf statt Schnitzelsemmel

$
0
0
Fünf Tage die Woche Hackfleischbällchen in Bratensoße? Wenn es nach den Grünen geht, ist damit bald Schluss. Einmal pro Woche soll es in allen öffentlichen Kantinen nur vegetarische Gerichte geben. Was hältst du von einem fleischfreien Mittag?

"Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!" empörte sich die "Bild"-Zeitung am Montag. Das sitzt! Keine Salami und Spaghetti Bolognese mehr? Gesetzlich verboten? Verbannt aus sämtlichen Restaurantküchen der Bundesrepublik und den Kühlregalen der Supermärkte? Nein. Ganz so dogmatisch ist es natürlich nicht. Von dem "Verbot" sind lediglich öffentliche Kantinen betroffen. Weil dort nach wie vor Schnitzel und Co. das Angebot dominieren,  wollen die Grünen nach der Bundestagswahl einen vegetarischen Tag einführen. An dem geplanten "Veggie-Day" soll das Mittagsangebot ausnahmsweise komplett ohne Fleisch und Bratensoße auskommen.



 

Wenn ich mich mittags so auf den Tellern der Kollegen umsehe, dann geht es da meist eh ziemlich vegetarisch zu. Ein fleischfreier Tag in der Kantine würde da wahrscheinlich nicht einmal groß auffallen. Wer Gemüse lediglich in Form eines Beilagensalats für ein Schnitzel akzeptiert, muss sich halt an einem Mittag der Woche zwangs-vegetarisieren lassen oder den verzehrten Spinatauflauf mit einer mitgebrachten Bratwurst kompensieren.

Laut Grünen-Fraktionschefin Renate Künast ist der Tag ideal "zum Ausprobieren, wie wir uns mal ohne Fleisch und Wurst ernähren. Vegetarisch kochen ist nämlich mehr, als nur das Fleisch weg lassen." Zudem trage der fleischfreie Tag zu mehr Qualität und artgerechter Tierhaltung bei. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland unterstützt das Projekt. Er fordert zusätzlich 20 Prozent Bio- und Neulandfleisch in öffentlichen Kantinen bis 2015. In manchen Städten gibt es sogar schon einen vegetarischen Tag. Kantinen in Bremer Behörden, Schulen und Kindergärten kochen bereits einmal in der Woche fleischlos. Jeder könne so einen "ganz persönlichen Beitrag" zum Klimaschutz leisten, so Bremens SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen.

Kannst du dir einen fleischlosen Tag in der Uni-Mensa oder Kantine vorstellen? Findest du den Vorschlag der Grünen gut, den Fleischkonsum zu Gunsten der Umwelt ein wenig zu senken? Oder bist du der Meinung, dass jeder ein Recht auf sein tägliches Schnitzel in der Kantine hat und sich die Politik in solche Themen nicht einmischen sollte?

Endlich auch mal live lustig sein!

$
0
0
Jeff Bezos kauft die Washington Post, die Grünen fordern einen Veggie-Day und Gustl Mollath kommt frei - die aktuelle Nachrichtenlage versetzt das Witze-Web in helle Aufregung. Eine Handreichung in sechs Schritten für alle, die auch mal was Witziges posten wollen

Das kannst du auch: was Lustiges ins Netz schreiben, das anschließend oft geliked oder geretweetet wird. Suche dir einfach einen der folgenden sechs Witztypen aus und lege los!






1. Der Wort-Witz
Das brauchst du: Ein Gespür für Worte und du musst Bezüge sehen, wo sie auf den ersten Blick nicht erkennbar sind.
Aktuelles Beispiel:Richard Gutjahr über den Unterschied zwischen einer Washington Post und der Washington Post oder Niels Ruf über Fleisch, Gemüse und den Veggie-Day.
Großes Vorbild: Die Tweets vom Verfaschungsschutz.






2. Der Kontextwitz
Das brauchst du: Vorwissen um den Kontext der Meldung, die es zu bespaßen gilt. Im Kontext steckt sicher etwas, das du mit der eigentlichen Meldung kombinieren kann. Das, was heraus kommt, muss nicht unbedingt sinnvoll sein, lustig ist es vermutlich schon.
Aktuelles Beispiel: Marc Ambinders Vorschlag die Einkäufe bei Amazon mit den Einkäufen von Jeff Bezos zu verbinden:





Großes Vorbild: Die SMS-Nachrichten von Hillary Clinton. Hier wurde ein simples Fotos in immer neue aktuelle Kontexte gestellt.



3. Der spitzfindige Witz
Das brauchst du: Ein gutes sortiertes Text- und am besten auch Foto-Archiv oder mindestens eine flinke Netzsuche. Denn das wichtigste für den spitzfindigen Witz ist ein besonderes Fundstück, das die aktuelle Meldung in einem neuen Licht erscheinen lässt. Dabei kann es sich um einen Link oder besser noch um ein Foto handeln, mit dem niemand gerechnet hat.
Aktuelles Beispiel: Im Falle Bezos wurde plötzlich ein Interview der Berliner Zeitung weltweit rumgereicht, in dem der Mann die gedruckte Tageszeitung im Prinzip für beendet erklärt. Es wanderte schließlich sogar aus dem Social-Web auf große amerikanische Tech-Seiten.
Großes Vorbild: Das Joachim-Gauck-Maschmeyer-Foto - wurde veröffentlicht, nachdem alle über die Verbindungen des alten Bundespräsidenten zur so genannten Hannover Highsociety berichteten und dann den neuen im gleichen Kontext entdeckten.



4. Der Kombinations-Witz
Das brauchst du: Genaue Kenntnis um den Aufenthaltsort von Lothar Matthäus. Der Rekordnationalspieler eignet sich perfekt für diese Art von Live-Lustigsein. Man kann ihn stets in die Nachrichtenlage integrieren (zum Beispiel als möglichen Nachfolger für irgendwas), noch besser eigenen sich allerdings Verbindungen zu anderen tagesaktuellen Meldungen.
Aktuelles Beispiel:Max von Malotki bringt Bezos und Mollath zusammen



Großes Vorbild:Loddarholdingthings.







5. Der professionelle Witz:
Das brauchst du: Eine Zeitung, ein Magazin oder eine Website, auf der möglichst viele tagesaktuelle Nachrichten abgehandelt werden. Diese musst du dem Gegenstand des Witzes anpassen. Wird immer häufiger auch von klassischen Nicht-Medien verwendet. Beim letzten großen Live-Lustig-Event - dem so genannten Royal Baby - verbreiteten Firmen überall auf der Welt vermeintliche lustige Posts um ihre Produkte im Aufmerksamkeitstrom zu platzieren
Aktuelles Beispiel: Die Startseite der Huffington Post (Bild von Bezos mit der großen Zeile "Primed") oder die Überschrift auf salon.com: Der Eisberg rettet die Titanic.
Großes Vorbild: Die Titelzeilen der taz und, etwas weiter rechts im Mainstream, "Wir sind Papst" von der Bildzeitung







6. Der Meta-Witz
Das brauchst du: Distanz (und ein wenig Wut auf die anderen Witzemacher, die schneller waren).
Aktuelles Beispiel: Dieser Text hier oder Mario Sixtus' schon in der Nacht getwitterte Distanzierung von dem oben zitierten Witz, alternativ dieser Tweet vom Papst-Rücktritt.
Großes Vorbild: Ein Nachrichtenthema wird witztechnisch veredelt, wenn es zu einem Tumblr gemacht wird. Die Sexismus-Debatte um Rainer Brüderle erreichte dieses Meta-Stadium als Brüderle getumblrt wurde. Bei Bezos, Mollath und dem Veggie-Day steht diese Stufe noch aus...






Mehr über Witze im sozialen Netz gibt es im Phänomeme-Blog der Süddeutschen Zeitung!





Skate-Skills und der Shotgun-Song

$
0
0
Die Erkenntnis der Fünf Filme für diese Woche: Hirsche kuscheln gerne, "Mumford and Sons" haben sehr viel Humor und Poltikern hört man viel lieber zu, wenn sie singen.

Selbstironie hoch zehn
Vier unrasierte Typen, die in hochgekrempelten Leinenhemden auf einer Wiese stehen, mit maximal-pathetischem Gesichtsausdruck auf ihren Instrumenten schrammeln und dazu wunderbar leidvoll singen. Richtig! Die Rede ist von "Mumford and Sons" und ihrem neuen Video. In dem sind die Briten allerdings nicht selbst zu sehen, sondern werden aufs Herrlichste von vier Comedians persifliert. Hut ab vor so viel Selbstironie!  
http://www.youtube.com/watch?v=rId6PKlDXeU#at=127

Oh deer!

Katzen schmusen gerne. Hunde wollen gekrault werden. Aber Hirsche? Dieses Exemplar scheint jedenfalls großen Gefallen darin zu finden, den Kopf an einem am Boden sitzenden Badegast zu schubbern. Ist ja wirklich eine nette Geste. Wenn da halt nur nicht dieses Geweih wäre.
http://www.youtube.com/watch?v=gMiRA_ja7pc

Buy a Shotgun!
Vizepräsident Joe Biden fordert die Amerikaner singend dazu auf, sich ein Gewehr zu kaufen, und Whistleblower Edward Snowden trällert von der NSA. Bei "Songify the News" werden politische Gesprächsfetzen in musikalische Hymnen verwandelt. Die Menschen, denen wir dieses grandiose Video zu verdanken haben, mögen das Gleiche bitte umgehend auch mit Debatten im deutschen Politikbetrieb machen! Die Vorstellung, dass Angela Merkel von der Eurokrise singt, ist zu schön!
http://www.youtube.com/watch?v=ooPzr1vzmGY

Bubble Wrap Bike
Nach Wochen des Wartens augrund ewig langer Lieferverzögerung kommt endlich der Fernseher an. Und was ist das Erste, was man macht? Sich auf die Luftpolsterfolie stürzen, die um das Teil gewickelt ist, um mit den Mitauspackern um die Wette zu knipsen. Das Bedürfnis, die kleinen Plastikwaben zum Platzen zu bringen, scheint evolutionsbedingt tief in uns verankert zu sein. Der Comedian Eric Buss ist da mit seinem "Bubble Wrap Bike" zwar ziemlich cool, aber irgendwie auch ein Spielverderber.
http://www.youtube.com/watch?v=dAOZqxoyLMQ&feature=c4-overview&list=UU3IqjE-PTFYaDSsq6YDuV9w

Skate-Gott
Aus einem Hubschrauber zu springen ist nur was für James Bond und Fallschirmspringer? Von wegen! Ein Skatebord unter den Füßen reicht Bob Burnquist völlig aus, um sich in die Tiefe zu stürzen. Auch was der Kerl sonst so mit seinem Brett anstellt, ist ziemlich atemberaubend.
http://www.youtube.com/watch?v=tSnfO15cAHE#at=127

"Die Harfe kündigt an, dass jemand träumt"

$
0
0
Abteilung Hitzefrei-Musik: Ernest Greene alias Washed Out ist der bekannteste Vertreter der schwül-sommerlichen Musikrichtung Chillwave. Passend zum Wetter erscheint jetzt sein neues Album. Im Gespräch erklärt er, wieso ihn Disney-Filme inspirieren und warum er die Zusammenarbeit mit anderen Musikern nicht ausstehen kann.

Ernest, du hast auf deinem neuen Album "Paracosm" über 50 verschiedene Instrumente benutzt, darunter analoge Oldie-Keyboards wie das Mellotron oder das Optigan. Muss man heute als innovativer Pop-Musiker wieder zu mehr Pomp greifen, um gehört zu werden?
In gewisser Hinsicht schon. Ich suche immer nach einem einzigartigen Sound. Nach Klängen, die du auf aktuellen Aufnahmen nicht oft zu hören kriegst. Einer meiner größten Helden ist DJ Shadow. Im Kern seiner Lieder stand immer ein bestimmter Sound, zum Beispiel alte gregorianische Gesänge, und um dieses Element herum strickte er dann seine Songs. Das ist auch für mich der Startpunkt. Deshalb habe ich mich an Instrumente wie das Mellotron herangetastet, ein mit Bändern arbeitendes Keyboard. Es ist toll: Da hat sich jemand die Mühe gemacht, jede Note verschiedener Instrumente aufzunehmen. Gleichzeitig ist da dieses Unperfekte, wenn das Band leiert und der Ton schwankt. Das hat etwas Magisches, was mir gefallen hat.  



Ist aus seinem Schlafzimmer herausgekommen: Ernest Greene alias Washed Out.

Wolltest du ein Album machen, das retro klingt?
Nein, ich wollte ein modernes Album machen. Das Schlagzeug klingt zum Beispiel sehr tief, so hip-hop-mäßig. Ich denke, das zieht alles wieder ins Moderne.  

Aber sind 50 Instrumente nicht fast schon... Angeberei?
Ja, es ist auf jeden Fall ein wenig aus den Fugen geraten. Ich hätte das Album bestimmt mit deutlich weniger Instrumenten machen können. Wie auch immer, ich glaube an diesen Vergleich: Ein Musiker ist wie ein Maler, der ein Bild malt. Jedes meiner Instrumente ist also ein anderer Farbton. Und am Ende wirkt die Platte auf den Hörer wie ein Gemälde.  

Hast du das neue Album denn, wie früher, in deinem Schlafzimmer aufgenommen?
Nein, diesmal ist es in meinem Studio im Keller entstanden.  

Wie fühlt sich das an, Musik alleine bei sich daheim aufzunehmen?

Ich muss mich beim Arbeiten sehr konzentrieren. Deshalb konnte ich in den letzten Jahren auch keine neuen Songs schreiben, während ich auf Tour war. Gerade in der Anfangszeit besteht das aus der tagtäglichen Wiederholung, runter ins Studio zu gehen – bis man irgendwann das Gefühl kriegt, sich neues Terrain zu erschließen und das Album etwas genauer zu verstehen. Man muss sich also zurückziehen. Außerdem denke ich, dass Experimente sehr wichtig sind. Und dafür ist es gut, sich alleine einzuschließen und auch Ungeplantes zu erlauben. Ich würde sagen, dass viele der Washed Out-Songs so entstehen. Es ist nicht wie in einem kommerziellen Tonstudio, in dem permanent die Uhr tickt und deine Zeit abläuft. Und zur Arbeit mit anderen Musikern: Da geht es immer darum, welche Idee gerade die bessere ist. Das kann in bestimmten Situationen sicher großartig funktionieren. Aber für mich habe ich herausgefunden, dass ich am besten alleine arbeite.    

http://www.youtube.com/watch?v=A9j9AksVWJw Die erste Single aus dem neuen Album: "It All Feels Right".

Dein von der Kritik gefeiertes Debütalbum "Within and Without" hast du als Musik für die Nacht bezeichnet. Womit verknüpfst du "Paracosm"?

Als ich an der Platte gearbeitet habe, wollte ich ein optimistisches Album schreiben, das man tagsüber gut hören kann. Ein Album, das du dir anhören willst, wenn die Sonne scheint. Und für mich hatten diese akustisch klingenden Instrumente eine natürliche Wärme an sich. Das klang mehr nach Tag, heller und zugleich psychedelisch. Ich dachte immer an einen Tagtraum. Ein Sound vom Album, der mir gerade einfällt, ist der einer Harfe, die so wundervoll hoch und runter gespielt wird. Mir kommen dabei direkt alte Disney-Filme in den Sinn. Darin kündigt die Harfe immer an, dass jemand anfängt zu träumen. Ich habe also viele Sounds benutzt, die zum Konzept des Tagtraums passen. Für mich ist „Paracosm“ der Soundtrack zur Flucht in einen Tagtraum.

Als "Paracosm" bezeichnet man im Englischen eine detaillierte Fantasiewelt mit eigener Geschichte und Figuren, in die sich Kinder hineindenken. Willst du mit dieser Platte wieder mehr Kind sein als mit deiner ersten?
Ich glaube, dass all die Musik, die ich bis heute gemacht habe, etwas Nostalgisches an sich hat. Die Art und Weise, wie ich Musik schreibe, ist sehr naiv. Ich neige dazu, mir Melodien auszudenken, die gleichzeitig optimistisch und melancholisch klingen. Ich glaube, ich habe mich in dem Sinne weiterentwickelt, dass ich versucht habe, etwas fokussierter an die Sache heranzugehen. Aber: Es gibt auf "Paracosm" zum Beispiel diesen Sound einer Spieluhr im ersten Song, der als Einstieg in die Welt des Albums gedacht ist. Dort habe ich auf jeden Fall versucht, einen sehr unschuldigen Moment zu vertonen. Deshalb habe ich schon auch das Gefühl, dass ich mich mit der Platte in die Kindheit zurückversetze.

Das Musikmagazin Pitchfork schreibt, du wolltest mit dem neuen Album "die Ketten des Chillwave abstreifen". Ist das, was du jetzt machst, etwa kein Chillwave mehr?
Ich weiß es nicht genau. Das würde ich den Kritikern überlassen. Aber ich glaube nicht, dass es eine Entscheidung gegen den Chillwave gegeben hat. Für mich ist die Herausforderung dieselbe: Songs zu schreiben und nach Washed Out zu klingen. Ich glaube, ich könnte irgendein Instrument spielen und Washed Out würde immer noch durchklingen – wegen der Gesangsmelodien vor allem. Ich habe einfach nicht viel über Chillwave nachgedacht, habe aber auch nicht versucht, mich dem zu versperren.  

http://www.youtube.com/watch?v=8qzsEzRPgO4 Schon etwas älter: "Feel It All Around", der Titelsong der amerikanischen TV-Serie Portlandia.

Wie würdest du deine Musik denn beschreiben, wenn nicht als Chillwave?

Das ist eine gute Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine gute Antwort darauf habe. Die Wurzeln liegen auf jeden Fall im Pop. Alle Songs folgen sehr traditionellen Liedstrukturen. Und dann, glaube ich, gibt es noch diese verträumten Tendenzen. "Dream Pop" ergibt für mich deshalb Sinn. Das ist natürlich eine Schublade für Tausende anderer Bands, aber wahrscheinlich die beste, die ich finden kann.  

Deine Musik klingt auf jeden Fall immer noch so, als wüsstest du sehr genau, wie man sich entspannt. Gib uns doch bitte abschließend ein paar Entspannungstipps.
Ich liebe es, wie Musik dich an fremde Orte bringen und dir dabei helfen kann, deinen Alltag hinter dir zu lassen. Das Leben ist schon hart genug, so wie es ist. Mein Rat wäre also: Sei optimistisch und versuche, das Gute im Leben zu sehen. Was noch? Genieß den Moment. Es ist aktuell so, dass viele Leute ihre Leben so stark dokumentieren. Ich weiß nicht, ob es auch in Deutschland so ist, aber hier in den Staaten habe ich das Gefühl, dass die Menschen ihre Erfahrungen nicht richtig leben, sondern vielmehr dokumentieren.  

Über Facebook, Instagram, YouTube und so?
Ja. Ein Weg um sich mehr zu entspannen ist auf jeden Fall, das Handy eine Weile beiseite zu legen. Und die Erfahrungen, die man macht, einfach aufzusaugen.

"Paracosm" von Washed Out erscheint am Freitag auf Domino Records.

Die Abrechnung

$
0
0
Jordi Évole schließt eine Lücke im spanischen Fernsehen - mit kritischem Journalismus. Seine Sendung deckt auf, was so alles schiefgeht im Land. Gerade wurde er zum besten TV-Reporter ernannt

Jordi Évole ist immer nett. Nie wirkt er gestresst, nie kommt ein böses Wort über seine Lippen. Und doch ist er überaus gefürchtet - bei den Politikern. Wenn Évole mit seinem Kamerateam in einem Rathaus auftaucht oder gar vor dem Parlament, ziehen es die meisten gewählten Volksvertreter vor, in Deckung zu gehen. Die Medien müssten, so Évole, mehr dafür tun, Skandale aufzudecken. Während Spaniens Boomjahre hätten sie so einiges übersehen. Seine einstündige Sendung mit dem mehrdeutigen Titel Salvados (Die Geretteten), ausgestrahlt jeden Sonntagabend auf dem kleinen privaten Kanal La Sexta, ist deshalb Kult. Im vergangenen Jahr hat sich seine Zuschauerschaft auf 2,9 Millionen fast verdoppelt.

Der rote Faden durch seine Sendungen ist ganz schlicht die Krise. Doch führt er keine Suppenküchen und Obdachlose vor, Schlangen vor dem Arbeitsamt oder Hochschulabsolventen mit doppeltem Master, die im Supermarkt die Regale einräumen. Vielmehr hat er seinen Dokumentationen den Titel gegeben, der an die Anfänge der Märchen erinnert: "Als wir einmal reich waren."



Kritischer Fernsehjournalismus? Der ist in Spanien selten. Umso wichtiger ist deshalb die Sendung von Jordi Évole.

Noch vor fünf Jahren dachten die Spanier, sie seien reich. Ihre Volkswirtschaft sei unaufhaltsam auf dem Weg an die Spitze in Europa. Und weil sie dieses Märchen glaubten, so Évole, musste alles vom Besten und Feinsten sein: jeder Großstadt ein Kongress- und Ausstellungszentrum, ein Flughafen, extravagante Brücken und Museen, Anschluss an die Autobahn und die Höchstgeschwindigkeitstrassen der Bahn. Es waren märchenhafte Zeiten für Architekten und Baufirmen. Dann platzte 2008 die Immobilienblase, ein gigantisches Konjunkturprogramm der damaligen sozialistischen Regierung verpuffte - und es begann die Zeit des Jordi Évole, der seinen Landsleuten genau erzählt, warum alles doch nicht ein Märchen war, denn jetzt werden die Rechnungen präsentiert.

In seinen Geschichten kommt kein Internationaler Währungsfonds vor, keine Europäische Zentralbank, nicht einmal die spanische Nationalbank. Seine Protagonisten sind die Leute von nebenan: der Dorfbürgermeister, der Bahnhofsvorsteher, der Sicherheitschef des Flughafens, die Kellnerin im Restaurant auf dem Messegelände. Er ist auch kein Detektiv, der kriminelle Machenschaften recherchiert, Veruntreuung, Bilanzfälschung, Korruption. Sein Thema sind die Dinge, die legal waren und von allen gesehen wurden, die Verschwendung und die Prunksucht.

Jede Dokumentation beginnt mit Lobpreisungen: Die AVE-Hochgeschwindigkeitszüge, 350 Kilometer schnell, das sicherste Verkehrsmittel Europas (der in Santiago de Compostela entgleiste Zug gehörte nicht in diese Superkategorie). Bei seinen Gesprächen zoomt die Kamera nah an die Gesichter heran, schnelle Schnitte wechseln die Perspektive, Pausen werden mit dramatischer Musik unterlegt - das einzige ironische Stilmittel, das Évole einsetzt.

Er gibt sich nicht ironisch, geschweige denn sarkastisch. Wie ein Kind stellt er den Politikern Warum-Fragen nach dem Sinn all ihrer Millionenprojekte. Dabei liebt er es, seine Recherchen theatralisch zu inszenieren. Auf dem Bahnhof von Tardienta in der Region Aragón wartet er im Rahmen eines Selbstversuchs auf den AVE. Er hat bereits erfahren, dass hier im Durchschnitt nur 1,5 Passagiere zu- oder aussteigen. Dieses Mal sind es zwei. Er begrüßt sie mit Blumen und lässt für sie die Musikkapelle des Dorfes aufmarschieren. Denn Tardienta ist ein Dorf, weniger als 1000 Einwohner. Die Steuerzahler müssen für das Defizit der Staatsbahn mit ihren oft fast leeren Fernzügen und überflüssigen Bahnhöfen aufkommen. Doch der Stationsvorsteher und die Barfrau, alle verteidigen sie ihre Jobs.

Das ist einer dieser Momente, in denen Évole die Botschaft vermittelt: "Die Krise haben wir alle gemeinsam verschuldet." Die Bürger haben ja gesehen, welche Verkehrswege, Museen und Sportarenen die Politiker sich ausgedacht haben. Und fast alle haben damals Beifall geklatscht, obwohl sie wussten, wie viele sich dabei ihre Taschen füllen. Sie haben die Caja Mágica bejubelt, eine hypermoderne Mehrzweckhalle in Madrid, in der im vergangenen Jahr nur an neun Tagen Veranstaltungen stattfanden. Oder das Weltausstellungsgelände von Zaragoza, wo mehr als eine Milliarde Euro buchstäblich in den Sumpf eines Biotops am Ufer des Ebros gesetzt wurde. Oder den Flughafen im katalanischen Lleida: Eine halbe Million Passagiere pro Jahr wurden vorausgesagt, nun sind es vier Maschinen pro Woche. Évole hat für seine Dokumentation eine Liveschaltung zu anderen neu erbauten Provinzflughäfen inszeniert. Diese haben ebenfalls Hunderte von Millionen gekostet, doch in ihnen sieht es noch sehr viel schlechter aus: Es gibt dort überhaupt keine Flugbewegungen.

Er betreibe schlicht politische Bildung, sagt er. Die Gesellschaft soll aber nicht nur aus dem Schaden klüger werden, sie soll auch toleranter werden gegenüber Homosexuellen oder Ausländern. Vorsichtig arbeitet er Themen wie Schwulenfeindlichkeit oder Rassismus heraus, nicht anklagend, nicht moralisierend, sondern
mit scheinbar harmlosen Fragen, bei denen er alle im üblichen leichten Umgangston duzt.

Keineswegs schreckt er vor der harten Politik zurück, er nähert sich ihr auf seine Weise. Was wollen eigentlich die baskischen Politiker, die schon allein wegen ihrer Sprache den anderen Spaniern unheimlich sind? Sein vorerst beruhigender Befund, belegt durch kleine Momentaufnahmen: Sie haben sich mit den Privilegien und Subventionen, die ihnen Madrid gewährt, bestens arrangiert. Oder das heißeste politische Thema: die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Er fragt dazu einen Schäfer, der wie seine Familie aus dem armen Süden in die Region Barcelona gekommen ist.

Évole wuchs in einer Arbeitersiedlung auf. Doch schaffte er das Abitur, studierte Journalistik und fand seinen ersten Job als Fußballreporter für die Kreisklasse. Seine Schlagfertigkeit fiel auf, er wurde als Sidekick für einen bekannten Politiktalk eingestellt. Seine Rolle: Als Mann aus dem Publikum mit Zwischenrufen die Prominenten zu provozieren. Das machte er so gut, dass La Sexta ihm seine eigene Sendung gab, die nun mitunter 20 Prozent Zuschauerbeteiligung erreicht. Hier gibt der 38-Jährige den soften Gesprächspartner, seine Jungenhaftigkeit hat schon einige Politiker leichtsinnig gemacht und sie Dinge sagen lassen, die sie besser verschwiegen hätten. Die spanische Fernsehakademie wählte ihn gerade zum besten Reporter und Salvados zur besten Nachrichtensendung. Immer wieder wurde er in jüngster Zeit gefragt, ob er nicht auf der Welle seiner Popularität selbst in die Politik gehen wolle. Er weist solche Gedankenspiele zurück: "Ich möchte weiter vom Leben erzählen", sagt Évole.

Bierbuff und anderer Zauber

$
0
0
Eine Untersuchung der Sprache von Computerspielern

Wenn Zocker auf den Putz hauen, wird's hermetisch. Der Skatklopper erlaubt sich beim Contrabieten "ein Stößchen zu geben", und der Schafkopfer ruft die "Hundsg'vögelte" zu Hilfe, nämlich die Karte Schellen-As, auf der eine von einem Hund bedrängte Sau abgebildet ist. Bei Unbedarften erzeugen solche Sprachrituale Staunen, bei den Kombattanten jedoch so etwas wie corporate identity: Wer die kessere Lippe einsetzt, sticht manchmal auch ohne Trumpf. Bei Gamern verhält es sich ähnlich. Gamer sind Computerspieler, die mit ihren Gegnern im Internet als Polizisten, Untote, Trolle, Blutelfen oder Terroristen wetteifern. Sie pflegen in ihren Unterhaltungen eine Sprache, die so befremdlich ist, dass der Passauer Sprachwissenschaftlers Frederik Weinert dazu geneigt ist, ihr den Stempel Soziolekt aufzudrücken. Ob die Gamer damit Kartenspielern wirklich etwas voraus haben?



Gamer pflegen untereinander eine eigene Sprache - höchste Zeit also, für eine linguistische Untersuchung!

Wer Respekt will, muss die Sprache nicht nur verstehen, sondern sie auch anwenden. "In Gaming-Communitys", schreibt Weinert, sei es wichtig, sprachliche Eigenheiten der Gamersprache zu "verwenden, um sich als integrationswilliges Individuum darzustellen". Wer seine Anfängerfrage auch anfängerhaft formuliert, wird gerne mal isoliert und verspottet. Insofern passt Weinerts Beitrag über "Gamersprache" bestens in einen Tagungsband, der sich "Sprachminderheit, Identität und Sprachbiographie" nennt. Das Buch begründet eine von Nicole Eller-Wildfeuer und Alfred Wildfeuer herausgegebene linguistische Reihe mit dem Titel "Sprachen im Kontakt" (Edition Vulpes, Regensburg 2013). Es enthält unter anderem Studien über deutschsprachige Minderheiten zwischen Colorado, Neuseeland und dem Fersental sowie eine interessante Analyse von Intensivpartikeln (echt, voll, krass...) in den Jugendzeitschriften Bravo und Mädchen - und über die Gamersprache.

Wenn Frederik Weinert mit kritischem Unterton bemerkt, Gamer seien "in den Massenmedien häufig als nicht sozialisierte Sonderlinge dargestellt", liefert er genau für diese Sichtweise gute Argumente. Anfeindungen und Beleidigungen seien in Gamerforen an der Tagesordnung: Den Unmut der Spielgefährten zieht ein Gamer dann auf sich, wenn er sich standardsprachlich und damit unkooperativ ausdrückt. "Integrationswillige Individuen" hingegen pauken die neue Sprache - wobei ein neues Vokabular ebenso zu erlernen ist wie teilweise skurrile Flexionsformnen. Ist das laut Weinert seit etwa fünf Jahren existierende Akronym afklo noch insofern einfach einzudeutschen, als man den Absender dieser Mitteilung beim Vollbringen der Notdurft vermuten darf, braucht man beim Übersetzen der Abkürzung afk eindeutig Insiderwissen. Es heißt: away from keyboard. Also: nicht da.

In manchen Spielen wird gezaubert, das heißt, die Gamer kämpfen um Zauberpunkte und rücken dadurch in höhere Stufen vor. Immerhin kommen bei diesem Zeitvertreib nicht nur bizarre, sondern auch drollige Begriffe zustande. Buff etwa steht für Stärkungszauber. Weinert hat in einem Gamerforum das Determinativkompositum "Bierbuff" gefunden. Er deutet es so, dass in der fraglichen Gamer-Runde "reales Bier getrunken wird, wodurch die Spielatmosphäre lockerer wird". Der Bierkonsum werde mit "einem virtuellen Stärkungszauber (Buff) gleichgesetzt". Warum sollen solche Ausdrücke nicht auch einmal in die Standardsprache hineinwachsen? Mit Idiotismen wie bash0rn, ess0rn und ihrem kryptischen Geplänkel um die Zahl 1337 herum bleiben die Gamer hermetisch genug. Sie nennen sich gegenseitig Kellerkinder, und das meinen sie nicht einmal negativ.

Ein Kleinkind als Bürgermeister

$
0
0
Ein Anruf bei Kathleen Schmidt, deren Dorf Dorset von einem Vierjährigen regiert wird.

Im 28-Einwohner-Dorf Dorset im US-Bundesstaat Minnesota gibt es eine Tradition: Während des Festivals 'Taste of Dorset' wird der Bürgermeister gewählt. Jeder Anwesende darf wählen, eine Stimme kostet einen Dollar, mit den Einnahmen wird das Fest finanziert. Die Stimmzettel werden in einem Hut gesammelt, dann wird gelost, der Gewinner ist ein Jahr lang das Dorfoberhaupt. Am Sonntag wurde der vier Jahre alte Robert Tufts wiedergewählt.



Politik statt Bauklötze? In einem Dorf in den USA ist jetzt ein Vierjähriger zum Bürgermeister wiedergewählt worden.

SZ: Hallo, Frau Schmidt. Die Begeisterung über die Wiederwahl von Robert Tufts muss riesig sein in Dorset...

Kathleen Schmidt: Es war ganz schön was los am Sonntag. Es gab nach der Ziehung eine kleine Parade mit einem Pferd und einem Clown, Bobby hat seine Wiederwahl mit einem großen Eis gefeiert. Es sind auch sehr viele Menschen zu diesem Ereignis gekommen, und die Stadt hat durch die Wahl mehrere Tausend Dollar eingenommen. Aber nicht jeder Bewohner freut sich, dass Bobby wiedergewählt wurde...

Tatsächlich? Warum nicht?

Eine ältere Frau hat fünf Dollar bezahlt und damit fünf Stimmen für ihre Katze abgegeben. Sie möchte seit Jahren, dass das Tier endlich Bürgermeister wird. Hat aber wieder nicht geklappt.

War die Katze der einzige Konkurrent für Bobby?

Es gab auch Leute, die für eine Eidechse gestimmt haben - und natürlich auch für andere Menschen. Die Regeln besagen, dass jeder für einen Dollar eine Stimme abgeben darf und auf seinen Zettel schreiben kann, was er will. Bobby hatte die meisten Stimmzettel in der Lostrommel, aber das garantiert nicht, dass er auch gewinnt. Ein Festivalgast bekam eine Augenbinde und musste dann einen Zettel ziehen - es war wie im vergangenen Jahr einer mit dem Namen Robert Tufts. Ich muss sagen, dass sein Wahlkampf sehr beeindruckend war.

Was hat er denn gemacht?

Er ist in einem schwarzen Anzug durch die Stadt gelaufen, hat die Menschen begrüßt und Flyer verteilt. Darauf waren er und seine Freundin Sophie beim Schaukeln abgebildet, der Slogan war: 'Ich liebe es, Bürgermeister zu sein, so wie ich Sophie liebe.'

Jetzt mal ehrlich: Ein vier Jahre alter Steppke als Bürgermeister kann nicht wirklich etwas bewirken. Eines seiner Wahlversprechen war, Eiscreme an die Spitze der Nahrungspyramide zu stellen.

Täuschen Sie sich nicht! Während seiner ersten Amtszeit - da war er schließlich erst drei Jahre alt - hat er bereits mehr als 750Dollar für eine Stiftung gesammelt und dafür, dass wir ein neues Ortsschild bekommen. Nun plant er eine Schneeschuh-Schnitzeljagd. Der kleine Junge ist engagiert, das gefällt den Leuten, sie machen mit. Das kann unserem Dorf nur helfen.

Wie gehen die Eltern von Bobby mit dem Rummel um? Planen sie schon die politische Karriere ihres Sohnes?

Überhaupt nicht! Seine Eltern sind Fischer und Jäger, ganz normale Leute. Ihnen gefällt allerdings, dass Bobby den Menschen helfen will und sich für andere einsetzt. Es ist eher umgekehrt: Bobby hat Pläne für seine Eltern.

Welche denn?

Er will so viele Fische fangen wie möglich und dann mit seinem Vater ein Restaurant eröffnen. Dort soll es dann Zander, Barsch und andere Leckereien geben.

Keimzelle des Terrors

$
0
0
Die Furcht vor einem Anschlag in Jemen wächst, die USA fliegen ihre Bürger aus. Al-Qaida hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Macht gewonnen

Kairo - Aus Angst vor einem Anschlag des Terrornetzwerkes al-Qaida hat Amerika alle US-Bürger im Jemen aufgerufen, das Land unverzüglich zu verlassen. Mindestens zwei Flugzeuge brachten Amerikaner aus dem Land. Die Botschaft blieb geschlossen, ebenso wie die Vertretungen von Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Wie die New York Times berichtet, haben amerikanische Sicherheitsdienste vor einigen Wochen eine Nachricht von Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri an seinen Stellvertreter im Jemen, Nasser al-Wuhaischi, abgefangen, in dem von einem Anschlag die Rede ist - möglicherweise bereits am Sonntag. Dann endet in einigen Ländern der Fastenmonat Ramadan. Zudem naht der 15. Jahrestag der Al-Qaida- Anschläge auf Botschaften in Kenia und Tansania am 7. August 1998. Interpol schloss sich den Warnungen an.



Zu gefährlich: Die USA fordern ihre Bürgen im Jemen dazu auf, das Land zu verlassen.

Wuhaischi führt al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqap), die als eine der aggressivsten Gruppen des Terrornetzwerkes gilt. Wenige Tage nachdem Amerika 20 Botschaften von Mauretanien bis Madagaskar geschlossen hat, zeichnen sich damit die Umrisse einer der dramatischsten Anschlagsdrohungen seit dem 11. September ab. Zum Jahrestag des Anschlags hatten Terroristen vor einem Jahr das US-Konsulat im libyschen Bengasi angegriffen, dabei waren Botschafter Christopher Stevens und drei weitere Amerikaner getötet worden. Kritiker warfen der US-Regierung vor, die Sicherheit seiner Diplomaten vernachlässigt zu haben.

Während Amerika seine Botschaften in Afghanistan und Irak wieder geöffnet hat, steigt im Jemen die Nervosität. Berichten zufolge sichern Hunderte Militärfahrzeuge Regierungsgebäude und Botschaften in der Hauptstadt Sanaa. Am Dienstag kreiste eine bemannte Drohne für zwei Stunden über Sanaa und löste nach einem Report der BBC 'Unruhe und Panik' aus. Die jemenitischen Behörden haben eine Liste mit 25 Al-Qaida-Mitgliedern veröffentlicht, die 'Terrorattacken während der letzten Tage des Ramadan' geplant haben sollen. Hinweise sollten mit umgerechnet gut 17000 Euro belohnt werden.

Einer der Verdächtigen ist allerdings am Dienstagmorgen durch eine US-Drohne getötet worden. Bei dem Angriff in der Provinz Marib im Osten des Landes kamen vier Menschen um. Insgesamt sollen in den vergangenen Tagen nach BBC-Angaben Dutzende Al-Qaida-Mitglieder aus dem ganzen Land nach Sanaa gereist sein. Sie planten Großes. Nur was?

Die Al-Qaida-Terroristen sind nur eine von zahlreichen Sorgen im ärmsten Land der arabischen Welt. Seit Jahren leidet Jemen unter Wassermangel und Unterversorgung, Separatisten und schiitischen Aufständischen. Die Entfernung von Langzeit-Präsident Ali Abdullah Saleh gilt als Modell für die vergleichsweise ruhige Entmachtung eines Autokraten, vor allem im Lichte des Krieges in Syrien oder der Verwerfungen in Ägypten. Aber im Kampf gegen al-Qaida hat sie keinen Durchbruch gebracht. Saleh, sagen Kritiker, nutzte die Terror-Drohung, um Millionen Dollar für militärisches Training aus Amerika und wichtige Posten für seine männlichen Verwandten zu bekommen. Einige werfen ihm vor, dass er al-Qaida geduldet, sogar unterstützt habe, um sich Amerika als Partner im Anti-Terror-Kampf unverzichtbar zu machen. Sein Nachfolger, Abd Rabbu Mansur Hadi, regiert ein Land mit enormer Waffendichte, aber schwachem Staat.

Seit März läuft ein nationaler Dialog, der unter internationaler Beobachtung eine Annäherung der rivalisierenden politischen Kräfte und einen Verfassungsentwurf bringen soll. Kritiker bemängeln das Projekt allerdings als undurchsichtige Alibi-Veranstaltung mit Millionenbudget. Kurz bevor Amerika die Schließung der Botschaften bekannt gab, war Hadi zu Besuch in Washington. Im Gespräch mit US-Präsident Barack Obama ging es auch um den Kampf gegen al-Qaida.

Der jemenitische Ableger des Netzwerkes gilt nicht nur als besonders aktiv, sondern auch als sehr loyal zu einer Führung, die sich wohl in Pakistan versteckt und je nach Einschätzung eher Namensgeber für eine heterogene Bewegung ist als Kommandozentrale einer straff geführten Organisation. Jemens Al-Qaida-Führer Wuhaischi, 36, war Privatsekretär Osama bin Ladens in Afghanistan - und er wurde von diesem bis zu seinem Tod im Mai 2011 offenbar auf Führungsaufgaben vorbereitet. Aus Afghanistan floh er nach Iran und wurde 2003 nach Jemen ausgeliefert. Drei Jahre später entkam er bei einem großen Gefängnisausbruch, der als eine Art Geburtsstunde al-Qaidas im Jemen gilt, nachdem viele Dschihadisten zuvor aus Saudi-Arabien verdrängt worden waren.

Seitdem machten Jemens Terroristen sich einen Namen durch spektakuläre Anschlagspläne. Der nigerianische 'Unterhosen-Bomber' Omar Faruk Abdulmutallah, der sich 2009 auf einem Flug von Amsterdam nach Detroit mit einem Sprengsatz in der Unterwäsche in die Luft sprengen wollte, wurde im Jemen ausgebildet und ausgerüstet. Im selben Jahr versuchte ein Mitglied der Gruppe, den saudischen Sicherheitschef Muhammed bin Najef durch einen Selbstmordanschlag zu töten. Im Sicherheitsvakuum während des Machtkampfs bis zum Rücktritt von Präsident Saleh gelangen den Dschihadisten zudem beachtliche Geländegewinne, sie kontrollierten ganze Regionen. Dies hat sich in den vergangenen Monaten zwar geändert, vor allem im Süden wurden al-Qaida und ähnliche Gruppen zurückgedrängt.

Allerdings wurden Hunderte Jemeniten, darunter viele Zivilisten durch US-Drohnen und jemenitische Sicherheitskräfte getötet - was den Dschihadisten im verarmten, verzweifelten Jemen einen steten Zustrom neuer Rekruten sichert. Gregory Johnsen, Wissenschaftler an der Universität Princeton und Autor des Buches 'The Last Refuge' über al-Qaida im Jemen geht sogar davon aus, dass die Zahl der Al-Qaida-Anhänger eher noch gestiegen ist. Wenn der Drohnenkrieg im Jemen so erfolgreich sei, wie Obama behaupte, so Johnsen in der New York Times, wieso könne die Gruppe Amerika dann jetzt zwingen, Botschaften zu schließen?

Die sittliche Pflicht zum Verrat

$
0
0
Warum nur werden die Resolutionen immer braver? Edward Snowden und der Herbst 1962

Die Unterzeichneten drücken Edward Snowden ihre Achtung aus und sind mit ihm solidarisch. In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden. Die Unterzeichneten bedauern es, dass die Politik des amerikanischen Präsidenten sie zu einem so scharfen Konflikt mit den Anschauungen der staatlichen Macht zwingt. Sie fordern die politisch, gesellschaftlich und persönlich diskreditierte Bundeskanzlerin auf, jetzt endlich zurückzutreten.

So könnte eine Resolution lauten, der von Joachim Gauck bis Margot Käßmann alle Empörungsfähigen im Land zustimmen müssten. Es hat sie nur keiner aufgesetzt, sie zirkuliert auch nicht im Netz, es gibt sie nicht. Stattdessen gibt es einen Offenen Brief an die 'Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin', den die Schriftstellerin und promovierte Juristin Juli Zeh formuliert hat und dem sich von Ingo Schulze bis Eva Menasse einige Dutzend Autoren angeschlossen haben. Die Resolution bebt vor Mut, wenn die Bundeskanzlerin im besten Politiker-Sprech aufgefordert wird, 'den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen'. Die Website www.change.org/nsa meldet stolz, dass im Internet bereits dreißigtausend Solidaritanten und -innen das Begehren unterstützen.



Auslöser für den offenen Brief an die Kanzlerin: Edward SnowdensEnthüllungen der NSA-Ausspähungs-Praktiken.

Das ist natürlich sehr schön.

Die deutschen Schriftsteller, die als gute Volksvertreter seit je mehr an eine Resolution als an eine Revolution glauben, waren allerdings schon mal ein bisschen mutiger. Noch an dem Wochenende, an dem der Verteidigungsminister seine staatliche Macht bis ins spätfaschistische Spanien ausdehnte, um den Redakteur Conrad Ahlers verhaften zu lassen und in Hamburg ein von einem ehemaligen Gestapo-Offizier geführtes Kommando die Redaktion des Spiegel besetzte, noch an jenem Wochenende setzten sich im ummauerten Berlin Hans Magnus Enzensberger, Alfred Andersch, Uwe Johnson und der Kabarettist Wolfgang Neuss zusammen, um (statt Edward Snowden) den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ihrer Solidarität zu versichern und den Rücktritt (nicht der amtierenden Bundeskanzlerin, sondern) des allseitig diskreditierten Verteidigungsministers Franz Josef Strauß zu verlangen.

Rücktrittsforderungen sind Tagesgeschäft und weiterer Rede nicht wert. Das Einmalige an der im Herbst 1962 auch von den Verlegern Unseld und Ledig-Rowohlt und den Schauspielern O. E. Hasse und Curd Jürgens unterzeichneten Resolution war die Aufforderung zum Geheimnisverrat, mit der sich die 49 Schriftsteller und Künstler vorwagten. 'In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden.'

Die sittliche Pflicht - das war eine gemeinsame Erfindung von Andersch und Enzensberger, Deserteur im Zweiten Weltkrieg der eine und der andere überlebensschlauer Volkssturmjungmann. Strauß und Adenauer warfen dem Spiegel bekanntlich ein eigenes sittliches Vergehen vor, als sie auf einen 'Abgrund von Landesverrat' erkannt haben wollten, und im demagogischen Tremolo von Strauß war Augstein mitsamt den gestohlenen militärischen Geheimnissen bereits nach Kuba zu Fidel Castro durchgebrannt.

Die Schriftsteller zu Berlin wurden im Namen der sittlichen Pflicht zu Verrätern. Ein Staatsanwalt schritt sogleich ein, der Leitartikler der einst recht nazifreundlichen Celleschen Zeitung empörte sich brav über die 'Landesverräter' und forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe für das Delikt Landesverrat, und im Tagesspiegel bezeichnete Wolf Jobst Siedler, 1943 selber wegen 'Wehrkraftzersetzung' verurteilt, die vaterlandsverräterischen Autoren als 'Narren'.

Es war der Beginn der politischen Schriftstellerei in Deutschland.

Sie war natürlich alles andere als deutsch, sondern importiert aus Frankreich. Im September 1960 hatten sich 121 Schriftsteller zu einer 'Erklärung über das Recht zur Dienstpflichtverweigerung im Algerienkrieg' zusammengefunden. Simone de Beauvoir, Claude Lanzmann, André Breton, Sartre und den anderen drohte für diesen Verrat am französischen Staat tatsächlich das Gefängnis, aber zwei Jahre später war Algerien frei, in die Unabhängigkeit entlassen von jenem General de Gaulle, der sich zum Präsidenten der Republik hatte bestellen lassen, um genau das zu verhindern.

Im damaligen Westdeutschland gab es herzlich wenig Interesse an diesem Kolonialkrieg. Als der 31-jährige Hans Magnus Enzensberger, der in Paris studiert hatte, in Frankfurt eine Ausstellung zum Algerienkrieg eröffnete, sah er eine 'Feuerschrift an unserer Wand'. Er wählte einen 1961 noch ungewohnten Vergleich: 'Schon einmal haben wir alle miteinander nichts wissen wollen. Wir haben von sechs Millionen ermordeten Juden nichts wissen wollen.' Enzensberger und einige weitere Autoren solidarisierten sich mit den französischen Kollegen. Friedrich Sieburg, in seinen besten Jahren ein Kollaborateur von einigen Graden, außerdem geschworener Feind der Gruppe 47, empörte sich sogleich über die Trittbrettfahrer, die sich gefälligst nicht in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einzumischen hätten. Aber die Herrschaft der alten Männer ging trotzdem allmählich zu Ende. Die Spiegel-Affäre änderte alles: Der Eifer der in Berlin versammelten Autoren, vor allem auch die dadurch entstandene Erregung brachte endlich auch die chronisch feige SPD in Opposition zur wilhelminischen Machtpolitik von Adenauer und Strauß und schließlich die bleierne Zeit der ersten Nachkriegsjahre an ihr glücklich Ende.

Enzensberger und seine Freunde hatten sich seinerzeit aber nicht nur bei den meinungsfreudigen Franzosen bedient, ihr Manifest war auch eine Wiedergutmachung für den Journalisten Carl von Ossietzky, der für seinen echten Verrat militärischer Geheimnisse ins Konzentrationslager musste und zu Tode gefoltert wurde.

2013 droht in Deutschland niemandem das KZ. Es braucht keinen Mut vor Königsthronen, und eine Resolution ist schnell geschrieben. Selten aber gab es eine, die derart staatsfromm daherkam. Statt die Bundesregierung zum Verrat am Bündnisfreund aufzufordern und dazu, dem ehrbaren Verräter Edward Snowden politisches oder meinetwegen Kirchenasyl anzubieten, begnügen sich Juli Zeh und ihre Kombattanten mit so grundstürzenden Beobachtungen, es gebe einen 'historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstatt'.

Muss die Bundeskanzlerin wirklich aufgefordert werden, die 'volle Wahrheit' zu sagen? Ist nicht längst bekannt, wie gründlich jedermann und jede Frau mit der Nutzung von Google und Facebook seine/ihre Persönlichkeit preisgibt? Ist denn nicht durch das Flugverbot für den bolivianischen Präsidenten Evo Morales erwiesen, dass sich Spanien und Frankreich wie Satellitenstaaten der Kolonialmacht USA verhalten? 'Es wächst der Eindruck', so formuliert es Juli Zeh in ihrer treuherzigen Art, 'dass das Vorgehen der amerikanischen und britischen Behörden von der deutschen Regierung billigend in Kauf genommen wird'. Was gibt es da noch zu wachsen?

Frau Bundeskanzlerin, so endet die Botschaft an die Herrschaft, 'Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?' Die staatliche Macht in Gestalt der Uckermärkerin wird bei diesen Worten sehr fein gelächelt haben.

Der verdienstvolle Enzensberger hat diese staatstragende Resolution immerhin nicht unterschrieben. Dafür erzürnt ihn heute mehr der Werbemüll im Briefkasten und im Internet, und das in einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht, aber die Total-Überwachung als neue Lebenswelt geschaffen hat.
Viewing all 6207 articles
Browse latest View live




Latest Images