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Weißt du, was hinter deinem Straßennamen steckt?

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Hinter einem so harmlosen Namen wie der Münchner "Dominikstraße" steht einer der größten Kolonialverbrecher, die die deutsche Geschichte kennt. Initiativen wollen das ändern. Wer steckt hinter deinem Straßennamen?

Es ist ein alter Streit, der neu aufgerollt wird: In München soll die Dominikstraße die Dominikstraße bleiben und die Von-Gravenreuth-Straße die Von-Gravenreuth-Straße. Das wäre nicht weiter beklagenswert, wenn hinter den Namen nicht zwei der größten Kolonialverbrecher stünden, die die deutsche Geschichte kennt.




Für einige Menschen in Deutschland, deren Geschichte eng mit der von Kolonialmajoren wie Hans Dominik oder Karl von Gravenreuth verwoben ist, ist dies ein offizieller Affront. "Straßennamen sind die höchste Ehrung, die eine Stadt zu vergeben hat", heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung von Organisationen wie der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und dem Bayerischen Flüchtlingsrat. "Koloniale Verbrecher dürfen in einer Stadt, die sich als weltoffen versteht, nicht weiter geehrt werden!"

Vor dem Hintergrund, dass es mit Aufarbeitung der NS Vergangenheit auch keine Adolf-Hitler-Straßen oder Hindenburg-Gymnasien mehr gibt, ist die Forderung verständlich. Auch der antisemitische Bischof Hans Meiser musste Martin Luthers Frau, Katharina von Bora, weichen. In Berlin hatte man 2009 das nach einem Sklavenhändler benannte Gröbenufer auch nach der afrodeutschen Dichterin May Ayim umbenannt. Dennoch gibt es zahlreiche Namen, die keiner will, aber trotzdem bleiben, weil sich die Bewohner quer stellen. Vielen ist eine Umbenennung schlicht zu umständlich. Andere behaupten, dass Umbenennungen Geschichte eher überpinseln als aufarbeiten.

Cleverer löste der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude das Namensproblem, als er kurzerhand den Max-Weber-Platz in den Max-Weber-Platz umbenannte. Seitdem ist der Platz nicht mehr dem ehemaligen Münchner Magistratsrat gewidmet, sondern dem gleichnamigen und viel berühmteren Begründer der Soziologie. So musste niemand neue Visitenkarte bestellen oder sämtlichen Behörden die "Adressänderung" mitteilen.

Wie hältst du es mit Straßennamen? Weißt du, wer oder was sich hinter deinem Straßennamen verbirgt? Kannst du dir vorstellen, dass deine Straße eines Tages plötzlich anders heißt? Oder würdest du gar deinen Straßennamen gerne umbenennen und umwidmen? Wie wäre es mit einer Initiative, die Snowden Straße in Berlin dem Whistleblower Edward Snowden umzuwidmen?

Jungs, warum sprecht ihr euch mit Nachnamen an?

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Immer zum Wochenende: Jungs fragen Mädchen fragen Jungs. Weil manches kapiert man einfach nicht bei denen. Heute: Huber-Meier-Oida!




Der Beckmann hatte einen Ruf an unserer Schule. Lehrersohn, vielleicht deshalb harter Partygänger und immer mit schönen Frauen liiert. Jeder aus unserem Jahrgang kannte ihn, dabei war er eine Klasse unter uns. Als ich ihn dann endlich mal persönlich kennenlernte, als Teil der Jungsgang meines Bruders, wunderte ich mich auch nicht, dass er mir als „Beckmann“ vorgestellt wurde – das war einfach sein Name. Andere hießen Julius, Max oder Sebastian – er war Beckmann.  

Erst Jahre später, als aus dem wilden Beckmann der langjährige Freund meiner Mitbewohnerin wurde, realisierte ich, dass der Junge auch einen Vornamen hat – und einen gar nicht so schlechten. Johannes hieß er in Wirklichkeit, ein Name, der ja eigentlich zahlreiche Spitznamen wie „Jo“, „Hannes“, „Jojo“ oder „Johnny“ zuließe. Aber anstatt ihm so viel Seriosität zu gönnen, war er stets „das Beckmännchen“, „Becki“ (in properen Phasen auch „Specki“) oder auch mal „Beck’s“. Aber halt nie Johannes.  

Meine Mitbewohnerin, die ihn ja natürlich noch nicht so lange kannte, sprach ihn dann konsequent mit dem Vornamen an - das irritierte mich total. Klar, ich fände es auch komisch und unpersönlich, wenn mein Freund „Du Haunhorst, lass mal in den Urlaub fahren“ sagen würde. Aber das liegt daran, dass man es aus dem weiblichen Umfeld einfach nicht gewohnt ist, auf den Nachnamen verstümmelt zu werden. Zumindest fällt mir in meinem Freundeskreis kein Mädchen ein, das unabhängig von ihrem Vornamen existiert. Eine „Fräulein Meyer“ wäre da noch das Ähnlichste. Aber nur „Meyer“? Nie im Leben. Bei Beckmann war es trotzdem auf einmal fremd, dass er nun Johannes war. Als wäre er ein neuer Mensch. Weg vom Provinzler, hin zum seriösen Leben und das nur durch die Verwendung seines echten Namens. Skurril irgendwie.  

Wenn ich diesen Gedanken nun noch weiterspinne, wird mir allerdings kein richtiges Schema klar, welche Jungs denn nun mit Nachnamen angesprochen werden und welche ihren Vornamen behalten dürfen. Mein erster Gedanke war ja, dass das vor allem ein Phänomen innerhalb von Jungsgruppen ist. So im Sinne von „Ey Beckmann, schieb mal die Kippen rüber“. Die Reduzierung des Gegenübers auf den Nachnamen könnte ich mir dabei fast als Ausdruck des gegenseitigen Respekts vorstellen, so nach dem Prinzip: „Schau, ich weiß sogar wie du mit vollem Namen heißt.“ Gleichzeitig kenne ich aber auch Einzelgänger-Jungs, die trotzdem nur unter ihrem Nachnamen liefen. Wo es hieß: „Der Warnke spinnt halt ein bisschen“, so als Abgrenzung zur genannten Person. Zudem sind es ja auch nicht nur unbedingt klanghafte Nachnamen, die ihr gegenseitig als Rufnamen verwendet. Meine Brüder werden auch "Haunhorst" oder "Hauni" gerufen, ich kenne sogar einen "Blasius", der so seines okayen Vornamens "Marc" beraubt wurde.

Aber warum ist das so? Warum sind eure Nachnamen irgendwie wichtiger, als eure Vornamen? Ist das irgendeine Form von Prädikat, das einen als coole Sau auszeichnet? Oder geht die Hackordnung in genau die andere Richtung und nur die Gangleader werden mit Vornamen angesprochen? Redet ihr vielleicht untereinander über Frauen auch nur mit dem Nachnamen? Sowas wie „Boah die Bartsch sieht heute echt scharf aus?“ Und zu guter Letzt: Wie sollen wir euch denn dann nennen? Ist das etwas Erstrebenswertes, wenn die Freundin einen auch nur mit den Nachnamen angeredet? Hat man es dann in den Olymp der guten Typen geschafft? Oder findet ihr das doch unpersönlich und blöd?      

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von jakob-biazza.

Ey, Haunhorst, geile Frage, Oida! Aber auch sauschwierig. Weil: Wenn ich jetzt gedanklich in meine Schulzeit zurückreise, dann deckt sich das, was ich da aufrufe, nicht ganz mit deinen Erinnerungen. Wir hatten freilich auch Nachnamen-Typen. Einen ganzen Schwung sogar. Aber: Das waren nicht zwangsläufig die Clint-Eastwood-harten Hunde und Premium-Stecher. Unsere Meier-Müller-Hubers waren durchaus auch das, was man heute unschön als Nerds, Freaks oder Opfer bezeichnen würde: Sonderlinge mit Inselbegabungen (oder auch ohne jede Begabung), Computerfreaks zu Zeiten, in denen noch lange nicht jeder eine eigene Mailadresse hatte, oder Menschen, die ihr Sportzeug in Deutschland-Flaggen-Taschen mitbrachten.  

Gleichzeitig finde ich in meinen Erinnerungen aber auch ein paar von deinen Beckmännern. Typen, die angeblich schon Sex hatten, als mir noch nicht mal Achselhaare gewachsen sind. Typen auch, die in der Freistunde auf ein Bier zum Sportplatz nebenan gegangen sind und sich den etwas später grassierenden Schnupftabak mit Luftpumpen in die Nasen geballert haben. Bei denen war auch Nachname angesagt. Und zwar aus dieser im Rückblick etwas befremdlichen Mischung aus Furcht und Ehrfurcht, die Heranwachsende oft so pennälerhaft wirken lässt.  

Das beantwortet schon mal einen Teil deiner Frage: Ein Nachname zu sein, war – auf den ersten Blick – etwas Wertneutrales. Es lässt sich nicht sofort sagen, ob es nun abwertend oder bewundernd gemeint war. Auf den ersten Blick! Denn was beide Gruppen eint, ist die Distanz zu dem, was man zu Schulzeiten eben irgendwie als Norm empfunden hat. Nachnamen-Typen, das waren einst Ausreißer aus dem Durchschnitt. Und die haben wir uns mittels Stigmatisierung emotional mindestens eine Armlänge vom Leib gehalten.
  
Denn das ist es ja, was Nachnamen vor allem mal tut: sie schaffen Distanz.  

Und ziemlich genau dafür benutzen wir sie heute auch noch. Aber mit einem ganz, ganz entscheidenden Unterschied zu früher: Damals wollten wir echte Distanz, weil uns jemand aus heute lächerlich erscheinenden Gründen suspekt war. Heute bauen wir damit einen nur sekundenlangen und vollständig künstlichen Abstand auf, um dem, was danach folgt, noch einen besonders kräftigen Schuss Ironie zu geben: „Das versteht der Helten nicht, das hat mit Kultur zu tun.“ Zum Beispiel. Oder: „Biazza, bei dir ist doch echt ois z’spaat!“ So Kram. Es ist eine Minimalflucht aus einer ziemlich platonischen Liebe unter ziemlich heterosexuellen Männern, die es uns erlaubt, ziemlichen Blödsinn zu reden. Denn das, das habt ihr bestimmt auch schon mal gemerkt, tun wir ziemlich gerne mal. Untereinander!  

Das erklärt nun wiederum auch etwas, warum wir euch nicht beim Nachnamen nennen (und das auch von euch nicht wollen). Obwohl ich in einem besonders post-feministischen Moment schon Freundinnen beim Nachnamen gerufen habe: Ironie funktioniert nie – zumindest dann nicht, wenn auch nur ein Hauch von Anziehung entstehen soll. Nicht mal dann, wenn wir über euch reden. Es gibt also - nur zum Beispiel - keine Haunhorst bei uns, die so oder so aussieht. Nur eine Charlotte. Das werden dir der Helten und der Stremmel auch bestätigen.

Hongkong sitzt zwischen allen Stühlen

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Lars Nittve baut M+, das erste Kunstmuseum in Hongkong, auf. Ein Gespräch über Pionierarbeit in Asien.

SZ: Das M+ soll nach Größe und Anspruch das MoMA, die Tate Modern von Hongkong werden. Als erstes nennenswertes Museum der Stadt müssen Sie da Pionierarbeit leisten.

Lars Nittve: Im Westen sind wir seit Jahrzehnten gewöhnt an zeitgenössische Kunst und ihr Vokabular. Ein großer Teil des hiesigen Publikums hat diese Kunst noch nie gesehen. Wir sind jetzt dabei, das alles nachzuholen. Mit Ausstellungen wie "Inflation" sprechen wir ganz bewusst ein großes Publikum an. Dass es da auch Irritation und Kontroversen gibt, ist intendiert. Nun gibt es eben auch hier die Sorte von Kunstskandal, die wir im Westen seit Langem kennen. Im Lauf der Zeit wird sich ganz von selbst Kenntnis einstellen.






Auch Ihr Standort ist eine Herausforderung: Zeitgenössische Kunst ist westlich geprägt, Sie sind in Hongkong, doch die zeitgenössische asiatische Kunst entsteht in Festland-China.

Gerade deswegen lohnt sich das Projekt. Wir gehören nicht zum Westen, sind aber auch keine richtigen Chinesen. Erst seit dem Ende der britischen Kolonie beginnen die Menschen hier, nach einer eigenen Identität zu suchen. Das betrifft auch das Verhältnis zur Kunst: Man darf nicht vergessen, dass viele gebildete Hongkonger Christen sind. Sie sind vertraut mit der westlichen Tradition. Andererseits beschäftigten sich viele Chinesen in Hongkong, die während der Kolonialzeit ihre chinesische Identität bewahren wollten, intensiv mit der traditionellen Tuschemalerei. Zur gleichen Zeit tat Mao in Festland-China alles, um diese Tradition auszulöschen. Tuschemalerei galt in Hongkong als konservativ und in China als rebellisch. Hongkong ist ein Ort, an dem man Dinge erzählen kann, die es sonst nirgends gibt.

Wie schlägt sich das in der zeitgenössischen Kunst nieder?

Das westliche Konzept der zeitgenössischen Kunst ist heute weltweit gültig, so wie das westliche System höherer Bildung oder das monetäre System. Trotzdem gibt es natürlich einen Austausch mit anderen Formen künstlerischer Produktion, wie eben der Tuschemalerei, die ein Künstler wie Xu Bing in die Gegenwartskunst einschleust. Hongkong ist ideal positioniert, um da eine Vermittlerrolle zu spielen.

Gibt es hier Möglichkeiten, die Institution Museum neu zu definieren?

Ja. Die Standards sind noch nicht gesetzt, sowohl die einzelnen Gattungen als auch Hoch- und Populärkultur sind weniger scharf voneinander abgegrenzt. Wir wollen einen Dialog zwischen Medien und Abteilungen herstellen statt sie zu trennen. Zugleich geht es auch um eine Rekontextualisierung der Gattungen: Wie haben neue Techniken und Verbreitungswege auf die Entwicklungen von Foto, Design oder Kino in Hongkong gewirkt? Das muss sich in der Architektur niederschlagen. Wir brauchen multifunktionale Räume und Plattformen, die zusammen dennoch ein Ganzes ergeben und kein bloßes Cluster.

Letztes Jahr haben Sie die Sammlung des ehemaligen Schweizer Botschafters in China, Uli Sigg, erworben. Welche Rolle wird sie im M+ spielen?

Unsere größte Herausforderung ist, an Schlüsselwerke der Siebziger, Achtziger und Neunziger zu kommen. Besonders aus den Achtzigern ist nur wenig verfügbar. Da spielen die 1500 Werke von Sigg, die auf 170 Millionen Euro geschätzt werden, uns aber für 17 überlassen wurden, eine gewichtige Rolle. Es gibt keine Sammlung, die die Geschichte der chinesischen Gegenwartskunst so dicht erzählt wie diese.

Sie wollen der Globalisierung der Kultur mit einem lokalen Fokus begegnen. Wie hat man sich das vorzustellen?

Wenn irgendwo ein großes Erdbeben geschieht, berichten alle großen Zeitungen auf der Titelseite darüber. Über nur lokal oder regional wichtige Ereignisse schreibt nur das örtliche Blatt. Große Museen operieren ähnlich. Sie haben eine globale Perspektive, aber sind dennoch an einem Ort verwurzelt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Einer der kreativsten Momente in China war die Zeit um 1980, als das Künstlerkollektiv Stars Group seine erste Ausstellung zeigte und die ersten Lehrer aus dem Ausland an die Kunstakademie kamen. Von Uli Siggs haben wir einige Schlüsselwerke der Stars bekommen. Jetzt haben wir einen Film gefunden, der die Ausstellung und die Proteste gegen ihre Schließung dokumentiert. Xu Bing und andere Künstler liefen damals von der Tusche-Tradition zur zeitgenössischen Kunst über. Er war verheiratet mit Madame Song, der Muse von Pierre Cardin. 1983 eröffnete sie in Peking das Maxim"s. Jede Woche trug sie ein neues Haute-Couture-Kleid - zu einer Zeit als die Chinesen noch in Mao-Anzügen herumliefen. Dazu zeigen wir die Fotoserie "China after Mao" von einem Magnum-Fotografen, der diese ganze Szene dokumentiert hat. Kein anderes Museum kann so etwas machen: Ist man zu weit weg von China, fehlt das Interesse. In China darf man die Künstler nicht zeigen und hat keinen Zugang zu dem Material.

Wie gehen Sie an die zeitgenössische Kunst aus dem Westen heran?

Wir sammeln natürlich die wichtigsten zeitgenössischen Künstler, und forschen an den Begegnungen von Ost und West: Rauschenberg war in China, Warhol ebenfalls. Eben haben wir die Serie "The China Painters" von Christian Jankowski gekauft. Es geht um das chinesische Dorf mit den Altmeister-Kopisten. Das passt perfekt zu der Geschichte, die wir erzählen.

Unser Ding

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Innovativ und hypeverdächtig: Das Londoner Duo AlunaGeorge führt eine Bande von Pop-Erneuerern an.

Man will sie eigentlich nicht mehr hören, die Klagen darüber, wie trostlos es im deutschen Pop aussieht. All den Selbsthass, die Allgemeinplätze, die man mit Hinweisen auf bestimmte, besonders produktive Szenen ja leicht widerlegen kann: auf Techno, Krautrock und Ähnliches. Wenn man aber in diesen Tagen nach England blickt, kann man trotzdem neidisch werden. Denn der englische Pop führt im Sommer 2013 wieder einmal vor, was er - und nur er! - so gut kann. Nämlich aus einem enorm vitalen Underground Mainstream-Acts zu gebären, auf die sich fast alle einigen können. Und denen man vom ersten Takt an anhört, dass sie nur von der Insel kommen können.



Mods, Skinheads, Punks waren lange von proletarischem Selbstbewusstsein gespeist.

Etwa AlunaGeorge, einem der heißesten Kandidaten für den Hype des Jahres. Das Londoner Duo, bestehend aus dem milchgesichtigen Beats-Programmierer George Reid und der glamourösen Sängerin Aluna Francis, veröffentlicht nun sein Debütalbum "Body Music" - und folgt damit scheinbar einer Mode, die nicht mehr ganz frisch ist: der popkulturellen Aufwertung der R"n"B-Musik. Stand die noch vor wenigen Jahren für totproduzierten Schmuse-Soulsound und versatzstückhafte Intimlyrik (weshalb sie Pflichtübung in jeder TV-Castingshow war), wurde sie von US-Künstlern wie Frank Ocean, The Weeknd oder Drake zuletzt gegen den Strich gebürstet. AlunaGeorge partizipieren an diesem Trend - aber nur insofern, als Sängerin Aluna Francis mit fast unheimlich süßer Kinderstimme von Liebesdingen singt ("Your body is like music, I wanna play it again"). Mit dem Distinktionsgebaren der amerikanischen Acts, die der schmachtenden Harmlosigkeit des Mainstream-R"n"B düstere Sounds und irritierende Texte entgegensetzen, hat das Londoner Duo nichts am Hut. Ihre Musik ist gut gelaunt wie ein Kindergeburtstag im Burgerrestaurant.

Das eigentlich Interessante aber ist, was mit dem Genre R"n"B beim Transfer ins System des englischen Pop passiert. Ein wichtiges Prinzip, das hier gilt: Es wird besonders viel Wert auf die Produktion gelegt, auf Klangdesign, die Arbeitsweise im Studio. Dafür gibt es geschichtliche Gründe, die unter anderem in der engen Anbindung Großbritanniens an die Karibik liegen. Schon in den 60er-Jahren wurde basslastiger Pop aus Jamaika in die Metropolen des Empire importiert und bildete in diesem urbanen Treibhaus schnell viele neue, später größtenteils elektronische Stile: vom britischen Dub über Hip-Hop-artige Spielarten wie Jungle und Grime, schnellen Drum"n"Bass oder 2Step bis hin zum dystopisch-futuristischen Gewaber von Dubstep oder dem weltmusikalischen UK Funky. Für Außenstehende ist diese popkulturell einzigartige Vielfalt der Szenen kaum zu überblicken, ihre Sukzession, Abgrenzungen und Bezüge kaum nachvollziehbar. Was alle gemein haben, ist neben der Konzentration auf den Bass die Vorliebe für gebrochene, ungerade Beats, generell für eine quirlige, nervöse Produktion. Das führt dazu, dass dieser Sound für kontinentale Hörer oft erschreckend abstrakt ist - während er in England tatsächlich die Musik der Straße und Radiostationen ist. Das alles muss man vorausschicken, um die Musik von AlunaGeorge zu erklären. Denn bei aller Gefälligkeit (die dazu führen wird, dass das Duo nicht nur in Großbritannien weit oben in den Charts landen wird) fließen hier doch viele wichtige Innovationen der britischen elektronischen Musik der letzten Jahre ein: "Your Drums" ist eine freundliche Version von Dubstep, unter dem Hit "Attracting Flies" und dem hyperaktiven "Lost and Found" peitscht ein Beat, der an den hüpfenden 2Step erinnert. Das genial zerhackte "Diver", das an das stotternde Hängenbleiben einer kaputten CD erinnert, schließt an die abstrakten Höhenflüge des Genres Clicks & Cuts an. Leicht könnte der Eindruck entstehen, dass sich hier zwei Musiker allzu streberhaft in die jüngere Musikhistorie einschreiben wollten. Das aber genau ist nicht der Fall: George Reids Produktion ist unangestrengt. Es wirkt so, als habe er all die Verweise gar nicht bewusst eingewoben - sondern als seien sie das natürliche Ergebnis einer britischen Musiksozialisation.

Der euphorisierendste Song von AlunaGeorge findet sich jedoch nicht auf ihrer Debütplatte. Die Hymne "White Noise" tauchte auf dem vor wenigen Wochen erschienenen Album "Settle" auf, dem Erstling der anderen Hype-Kandidaten Disclosure. Auch sie sind ein Duo: die zwei Anfang-20-jährigen und ebenfalls etwas mausgesichtigen Brüder Guy und Howard Lawrence. "White Noise", bei dem Sängerin Aluna Francis natürlich amouröse Angelegenheiten verhandelt, besticht durch eine derart fröhlich gequietschte Synthesizer-Hookline über hoppelnden House-Beats, dass man sie nur als unmittelbare Aufforderung zum Tanz verstehen kann. Die betonte Abgrenzung von der Düsternis, die lange in den dunklen Ecken des Dancefloor herrschte, zeichnet auch die übrigen Stücke des Albums aus.

Die Brüder Lawrence wiederbeleben damit UK Garage, die vor allem in den 90er-Jahren beliebte englische Variante der amerikanischen House Music. Während diese ihre Energie aus der Kombination von Monotonie und Wärme zieht, klingt UK Garage typisch englisch: hyperaktiv, stolpernd. Gemacht für eine riesige Halle voller Raver. Was Disclosure aber so ungewöhnlich macht: Ihr vertrackter wie sensibler, nostalgischer wie aktueller Sound begeistert nicht nur DJs weltweit. Das Album stieg bis auf Platz eins der britischen Charts.

Das deutet auf ein weiteres Spezifikum britischer Pop-Musik hin: das sehr entspannten Verhältnis zum Thema Popularität. Während es bei uns eine strikte Zweiklassengesellschaft in Sachen Pop gibt - anspruchsvolle Musik auf kleinen Labels gegen dröge Massenware - sind in England die Grenzen durchlässig. Durchaus avancierter Pop ist von allgemeinem Interesse, was man schon daran sieht, dass Fragen zu Underground-nahen Bands sogar in Quizsendungen auftauchen oder die Fans von Manchester United ihren Schlachtgesang zur Melodie der düster-erhabenen Joy Division-Hymne "Love Will Tear Us Apart" anstimmen. Auch hierfür gibt es einen historischen Grund: Mods, Skinheads, Punks, zum Teil auch noch die Manchester-Raver oder Brit-Popper wie Oasis, also die mitunter wichtigsten Szenen, waren lange von proletarischem Selbstbewusstsein gespeist. Auch wenn es die Arbeiterkultur in dieser Form längst nicht mehr gibt, die breite Wertschätzung von Pop als "unserem Ding" hat sich in England gehalten.

Dass auf diesem fruchtbaren Boden regelmäßig Künstler gedeihen, die die musikalischen Innovationen der kleinen Szenen an die Spitze der Charts mitnehmen, die zugleich historisch informiert sind und doch ganz und gar Produkt der Gegenwart, wie AlunaGeorge und Disclosure gerade oder Mike Skinner alias The Streets vor wenigen Jahren, das ist so selbstverständlich wie großartig. Großartig vor allem für den Rest der Welt, der von britischer Musik in der Regel nichts mitbekommt. Und auf diese Weise kurz in ein aufregendes musikalisches Paralleluniversum tauchen darf.

Sturm des Irrsinns

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In Schwäbisch Gmünd halfen Asylbewerber Reisenden beim Koffertragen, dann kofferten ein paar Wohlmeinende los, und jetzt ist Schluss damit.

Schwäbisch Gmünd - Am Freitagvormittag steht Gharoon Khan in einem roten T-Shirt am Bahnhof von Schwäbisch Gmünd, nur so viel ist klar: Er wartet nicht auf den Zug.

Man würde ihn gern fragen, was er dort tut, aber man findet keine gemeinsame Sprache. Bei den Service-Mitarbeitern der Bahn, die neben Gharoon Khan an Gleis eins ihrer Kundschaft harren, würde es daran nicht scheitern. Aber die beiden dürfen nicht reden, nur einen Zettel übergeben mit der Telefonnummer eines Bahn-Sprechers. Der Bahn-Sprecher darf allerdings auch nicht viel sagen, bloß, dass die Pressemitteilung von Mittwoch gelte. Darin heißt es: 'Die Deutsche Bahn zieht sich aus der Initiative der Stadt Schwäbisch Gmünd zurück, Asylbewerber zum Transportieren von Gepäckstücken einzusetzen.'



Einen 'Schritt zurück in die Kolonialzeit' erkannte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Es ist wahrscheinlich so, dass Gharoon Khan das nicht mitgekriegt hat. Oder dass er es schlicht nicht glauben kann.

Am Montag, zum Start des Projekts, hatte der Vorsitzende des örtlichen Bürgervereins gegen Fremdenfeindlichkeit gesagt: 'Ich finde die Aktion durchweg positiv. Wir haben schon lange überlegt, wie wir den Flüchtlingen helfen können, sich ins soziale Leben in Gmünd zu integrieren.' Die Leiterin des Asylbewerberheims sagte, die Bewohner seien dankbar, sich endlich mal 'einbringen zu dürfen' in die Gesellschaft. Der Landrat sprach von einer 'super Idee', die 'gewiss auch Ausstrahlung haben wird'. Hatte sie dann auch. Nur ganz anders, als die Gmünder das erwartet hatten.

Die Idee stammte vom Oberbürgermeister persönlich, von Richard Arnold, einem schwulen Christdemokraten in einer erzkatholischen Stadt. Am Bahnhof von Schwäbisch Gmünd, der Staufergründung 50 Kilometer östlich von Stuttgart, wird zurzeit gebaut, der Tunnel zu den Bahnsteigen ist gesperrt. Nur ein Steg aus Metallrohren führt zu den Zügen, 54 Stufen steil hinauf, 54 Stufen steil hinunter. Für Rollstuhlfahrer oder Mütter mit Kinderwagen: ein unüberwindliches Hindernis. OB Arnold fragte also im Asylbewerberheim nach, ob es Freiwillige gebe, die den Reisenden zur Hand gehen wollten. Es gab neun.

Sie bekamen rote T-Shirts mit dem Schriftzug 'Service', hinten groß, vorne klein, dazu Schildchen mit ihrem Namen und dem Gmünder Wappentier darauf, dem Einhorn. Sie bekamen auch Lohn, 1,05 Euro pro Stunde, mehr lässt das Gesetz nicht zu für Asylsuchende. Der OB forderte die Bahnpassagiere deshalb auf, beim Trinkgeld großzügig zu sein.

Am Montag fühlten sich alle Beteiligten als Gewinner. Und jetzt, nur fünf Tage später, haben sie in gewisser Weise alle verloren. OB Arnold sitzt in seinem Büro, er blickt auf den Marktplatz seiner Stadt und sagt: 'Als das über uns hereinbrach, habe ich die Welt nicht mehr verstanden.'

Am Dienstag häuften sich auf der Facebook-Seite der Stadt und in anderen sozialen Netzwerken erst empörte Kommentare, dann böse, die meisten von auswärts. Und dann hob der Sturm richtig an. Einen 'Schritt zurück in die Kolonialzeit' erkannte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. Auf 'Irrsinn' entschied die linke Zeitung Junge Welt: Die Asylbewerber müssten 'buckeln, damit das Flüchtlingsheim nicht abgefackelt wird'. Wütende Internetuser nannten OB Arnold einen Rassisten und Ausbeuter, einen deutschen 'Onkel Tom'. Zu einem Bild, auf dem Arnold Strohhüte als Sonnenschutz an die Asylbewerber verteilt, schrieb jemand: 'Massa Arnold begutachtet seine Ware.' Das mit den Hüten, sagt Arnold, habe doof ausgesehen, das wisse er selbst.

Der Sturm blies die Bahn sofort um. Die 'konkreten Beschäftigungsbedingungen' der Freiwilligen, teilte der Konzern am Mittwoch mit, seien ihm 'erst jetzt bekannt geworden'.

Christopher Igbinomwanhia sagt: 'Die Bahn hätte uns mal fragen sollen. Uns ging es doch nicht ums Geld. Wir waren keine Sklaven, wir haben das gern gemacht. Uns wurde eine große Chance geraubt.'

Igbinomwanhia trägt sein rotes T-Shirt, obwohl es Donnerstagabend ist und die Aktion längst vorbei. Er zeigt auf sein Zimmer im Gmünder Asylbewerberheim, das aus nicht viel mehr besteht als aus einer Couch und drei Betten, auf jedem liegt eine Bibel. Er sagt: 'Ich bin 43 Jahre alt, ich lebe hier seit mehr als zwei Jahren mit zwei anderen Männern. Ich habe keine Arbeitserlaubnis, ich kann nur schlafen und essen. Und jetzt hatte ich endlich das Gefühl, gebraucht zu werden.' Ein älterer Herr, dem er den Koffer trug, habe auf ein Foto mit ihm bestanden. Eine Frau habe ihm Wasser gekauft und gesagt: 'Ich werde an Sie denken.' Eine junge Mutter habe ihm ihr Baby in die Hand gedrückt, ihm, 'dem schwarzen Mann, wegen dem viele sonst die Straßenseite wechseln'. In zwei Jahren in Deutschland, sagt der Nigerianer Igbinomwanhia, sei ihm 'nichts Schöneres' passiert.

Igbinomwanhia führt durch das Heim, zu anderen Freiwilligen vom Bahnhof. Alle sagen, 'Mayor Arnold' habe ihnen immer geholfen, nicht erst jetzt. Habe ihnen Ein-Euro-Jobs bei der Stadt vermittelt, sie beim großen Theater-Spektakel zum Staufer-Jubiläum mitspielen lassen. Kolade Ajibola, auch aus Nigeria, macht gerade ein Praktikum in der IT-Abteilung des Rathauses. Er hat gehört, dass eine Schweizer Zeitung das 'Massa'-Zitat druckte. Er ruft: 'Was erlauben sich die Schweizer?'

Am Ende des Rundgangs sitzt der blutjunge Muhamad aus Gambia auf einem fransigen Sofa unter einer deutschen Fahne. Er kapiere da etwas nicht, sagt er: 'Was ist schlimm daran, wenn ein Schwarzer einem Weißen den Koffer trägt?'

Wer versteht da also wen nicht, in Gmünd und im Internet? OB Arnold sagt: 'Gutmenschentum darf nicht in Bevormundung umschlagen. Diese politische Überkorrektheit wird nur dazu führen, dass sich niemand mehr traut, etwas für die Asylbewerber zu tun.' Klar, die Bundesrepublik brauche neue Einwanderungsgesetze. 'Aber die kann ich nicht machen.'

Draußen vor dem Heim soll Christopher Igbinomwanhia für ein Foto posieren, er hat extra ein gutes Hemd übers rote T-Shirt gezogen, Kragen aufrecht, Knöpfe zu. Er lächelt für die Kamera, dann sagt er plötzlich: 'Stopp.' Er zieht das Hemd wieder aus und zupft das rote T-Shirt zurecht, den Schriftzug 'Service', das Schild mit seinem Namen und dem Gmünder Einhorn daneben. Es sei, sagt er, 'das beste Hemd, das ich habe'.

Türkische Brüche

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Die junge Protestbewegung und die Regierung nutzen den Fastenmonat Ramadan für ihre Botschaften: Dabei wird deutlich, wie unversöhnlich sich beide Seiten gegenüberstehen.

Istanbul - Akif Ersoy raucht. Das ist verboten im Fastenmonat Ramadan. Für religiöse Türken, ebenso wie Essen und Trinken, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und die Sonne steht gerade noch schräg am Himmel über Istanbul. "Ich faste nicht", sagt der 34-jährige Musiker und zieht an der Selbstgedrehten. Auch Aysegül Güzel hat nicht gefastet, und doch wartet die junge Frau wie Akif Ersoy auf das traditionelle abendliche Fastenbrechen. Auf einer Wiese haben Freunde von Aysegül und Akif mit weißen Papierbahnen eine improvisierte Festtafel ausgelegt, gut zehn Meter auf zehn Meter groß. Weil der Platz für die mehr als 500 Menschen, die mit Essenskörben kommen, nicht ausreicht, wird immer wieder angebaut.



Menschenrechtsgruppen dokumentieren schwere Kopfverletzungen von Demonstranten durch Tränengaskartuschen

Wenn von allen Moscheen der Stadt kurz nach 20.30 Uhr der Gebetsruf das Ende der täglichen Kasteiung verkündet, setzen sich auch im Park die Menschen zum Mahl - ins Gras. Das ist neu für Istanbul, für die Türkei. Gewöhnlich wird im Fastenmonat in feinen Restaurants oder offiziellen Ramadan-Zelten getafelt. Aber in diesem Sommer ist kaum etwas wie gehabt. Die sich da zum "Yeryüzi Iftari", zum Fastenbrechen auf der Erde, versammeln, haben vor ein paar Wochen noch versucht, den kleinen Gezi-Park zu retten, was massive Polizeigewalt und landesweite Proteste gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdogan ausgelöst hat. Nun feiern die Gegner des Muslims Erdogan ein islamisches Fest - aus Protest und ganz im "Geist von Gezi", wie der Musiker Ersoy sagt. "Wir tun das wegen der Gemeinschaft."

Wenige Frauen im Gras tragen ein Kopftuch. Die Idee zu dem alternativen Iftar aber hatten religiöse Aktivisten wie Fatma Kurcan Dogan. "Wir teilen hier alles, wie in Gezi", sagt die 30-Jährige. Sie trägt ein Tuch mit schwarz-lila Schachbrettmuster auf dem Kopf. Lila ist die Farbe der Frauenbewegung. Dogan ist Sprecherin der "Antikapitalistischen Muslime". Die werfen Erdogan vor, "den Islam zur Ausbeutung" und als Geldmaschine zu nutzen. Der bärtige Chef der Gruppe, Ihsan Eliacik, 52, predigt nach dem Essen im Park. Atheisten und Religiöse sollten "denselben Respekt" genießen, sagt Eliacik, gegen den Erdogan einen Prozess wegen "Aufstachelung zur Rebellion" angestrengt hat. Umgerechnet 20000 Euro soll Eliacik zahlen. Der teilt auch heftig aus. "Mit Götzen" führe man keine Dialoge, sagt er.

Auch der Premier nutzt den Fastenmonat für seine Botschaften. Es vergeht kaum ein Abend, an dem er nicht erneut über die Gezi-Demonstranten schimpft. Zuletzt verglich er die Protestler mit "jämmerlichen Nagetieren", die versuchten, ein Loch "in das Schiff zu bohren, in dem sich 76 Millionen Türken befinden". In Ankara speiste Erdogan auch mit 1500 Polizisten. Er sei "stolz" auf die Polizei, versicherte der Premier und pries einen starken Staat.

Unterdessen spricht die Polizeigewerkschaft Emniyet Sen von einer "Hexenjagd" gegen Polizisten. Acht führende Gewerkschafter hätten ihre Jobs verloren, nachdem sie "unmenschliche Einsatzbedingungen" kritisierten. Tagelang hätten Polizisten auf dem Istanbuler Taksim-Platz in ihren Bussen nächtigen müssen. Das mache junge Polizisten unnötig aggressiv. Auch die Anzahl der Selbstmorde in der Polizei sei gestiegen.

Eigentlich sollte der Fastenmonat eine Zeit des Friedens sein. Yavuz Baydar merkt davon nichts. Der Journalist, der seit 2004 als Ombudsman die Interessen der Leser der Zeitung Sabah vertrat, wurde gefeuert - wie jüngst eine Reihe seiner Kollegen in anderen Medien, die es gewagt hatten, Kritik an der Regierung zu üben. Besitzer von Sabah (310000 Auflage) ist die Calik-Holding, dort gibt der Schwiegersohn von Erdogan den Ton an. Baydar hatte zuvor in der New York Times über "schmutzige Allianzen von Regierung und Medienkonzernen" geklagt. "Man muss nur dem Geld folgen", schrieb Baydar. Riesige Bauprojekte in Istanbul bedeuteten staatliche Großaufträge für Unternehmer mit gleichzeitigen Interessen in der Medienbranche - und den "Todeskuss" für den Journalismus.

Während Journalisten über ein "erstickendes Klima" klagen, preist die Regierung in einer druckfrischen Hochglanzbroschüre ("Türkische Medien auf einen Blick") die "freie und unabhängige" Presse. Mit der Aktualität kam die Festschrift nicht ganz mit. Darin wird noch die Geschichts-Zeitschrift NTV Tarih aufgelistet. Deren Juliausgabe war den Gezi-Protesten gewidmet. Sie durfte nicht erscheinen, das Blatt ist eingestellt. Die Verleger sind in der Bau- und Immobilienbranche engagiert.

Es ist, als würde das Land in zwei Welten leben. Menschenrechtsgruppen dokumentieren schwere Kopfverletzungen von Demonstranten durch Tränengaskartuschen. Der Regierungschef wiederum hat einen neuen Berater, der davor warnt, Erdogan könnte "durch Telekinese" von dunklen Kräften getötet werden, weil er die Türkei zum "Modell für die Welt" gemacht habe. Yigit Bulut heißt der Mann, auch er war Journalist. Die deutsche Lufthansa habe Protestler bezahlt, meinte Yigit, aus Furcht, "100 Millionen Passagiere würden von Deutschland in die Türkei umgeleitet", durch Istanbuls dritten Großflughafen.

In einer Nachsitzung vor den Sommerferien hat das Parlament noch schnell das Mitspracherecht von Architekten- und Ingenieurkammern bei Stadtplanungsprojekten gekippt. Die Kammern gehörten zu den wortstarken Kritikern einer Bebauung des Gezi-Parks am Taksim-Platz.

Der Park ist nun wieder geöffnet - keiner weiß wie lange. Der Gerichtsstreit um die Bebauung ist noch nicht beendet. Derweil genießen Hunderte Menschen jeden Abend die Ruhe im Schatten der Bäumen. Familien schleppen große Töpfe mit Gekochtem und setzen sich ins Gras, wenn es Zeit zum Fastenbrechen ist. Auf dem Taksim-Platz hat die Stadtverwaltung für 1000 Menschen weiße Tische gedeckt. Kein Stuhl ist frei. Ein paar Transvestiten haben einen Tisch gekapert. Von den Nachbartischen wird geglotzt. Aber keiner jagt das bunte Volk weg. So friedlich kann Istanbul sein.

Viele Spuren führen zur Hisbollah

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Bulgarien fahndet nach zwei Verdächtigen, die hinter Anschlag in Burgas stehen sollen.

München - Bulgarien will wegen des Anschlags auf einen Bus israelischer Touristen mit sechs Toten zwei Terrorverdächtige vor Gericht bringen, die nach Angaben der Sicherheitsbehörden in Sofia dem  –militärischen Flügel der libanesischen Hisbollah-Miliz angehören sollen. Das Innenministerium veröffentlichte die Identität der beiden Männer sowie Fahndungsbilder. Demnach handelt es sich um den 1980 in Australien geborenen Meliad Farah, der auch den Namen Hussein Hussein benutzte, sowie um Hassan El Hajj Hassan, einen 25 Jahre alten kanadischen Bürger. Beide besitzen zudem offenbar einen libanesischen Pass und sollen sich im Libanon aufhalten, wie die Ermittler in Sofia weiter mitteilten. Es gebe "gute Gründe anzunehmen", dass sie dem militärischen Flügel der Hisbollah angehörten.



Bei dem Anschlag am 18. Juli 2012 am Flughafen der Schwarzmeerstadt Burgas waren fünf Israelis und der bulgarische Busfahrer getötet worden.

Bei dem Anschlag am 18. Juli 2012 am Flughafen der Schwarzmeerstadt Burgas waren fünf Israelis und der bulgarische Busfahrer getötet worden. Ein trotz DNA-Spuren bisher nicht identifizierter Mann hatte versucht, eine in seinem Rucksack verstaute Bombe im Gepäckraum des Busses zu deponieren. Es kam zu einer Explosion, bei der auch er ums Leben kam. Die beiden nun identifizierten Verdächtigen sollen mit ihm in enger Verbindung gestanden haben. Sie hielten sich laut dem Innenministerium vom 28. Juni an bis zum Tag des Anschlags in verschiedenen Städten an der bulgarischen Schwarzmeerküste auf. Unter falschen Namen wie Brian Jeremiah Jameson, Jacque Felipe Martin and Ralph William Rico mieteten sie sich in Hotels ein und beschafften sich einen Mietwagen.

Europol-Direktor Rob Wainwright bestätigte laut der Nachrichtenagentur Associated Press, dass der Sprengsatz eigentlich während der Fahrt per Fernzündung hätte ausgelöst werden sollen. Das habe sich aus der Untersuchung der Überreste des Zünders ergeben. In diesem Fall wären wohl wesentlich mehr Menschen ums Leben gekommen. Das spricht für die Theorie der Ermittler, dass der dritte Beteiligte nicht als Selbstmordattentäter sterben wollte, sondern entweder seine mutmaßlichen Komplizen ihn in die Luft sprengten oder die Bombe versehentlich früher als geplant detonierte.

Eine Vielzahl von Indizien spricht für eine Beteiligung der Hisbollah an dem Attentat. So ergaben die Ermittlungen, dass die Verdächtigen eine Vielzahl von Telefonaten mit Teilnehmern im Libanon führten, teils mit Nummern, die sich hochrangigen Hisbollah-Funktionären zuordnen lassen. Die gefälschten Papiere, die sie benutzten, ließen sich zu einer von der Hisbollah kontrollierten Druckwerkstatt in Beirut zurückverfolgen. Die regierungskritische israelische Zeitung Haaretz berichtet zudem, die Bauart des Sprengsatzes sei identisch mit Bomben, die israelische Sicherheitskräfte im August 2012 in einem Versteck in Nazareth gefunden hatten. Sie sollen von Drogenschmugglern im Auftrag der Hisbollah über die Grenze gebracht worden sein. Ein identischer Sprengsatz sei Anfang 2012 zudem in einem Lagerhaus in Bangkok entdeckt worden, das der schwedisch-libanesische Doppelstaatler und mutmaßliche Hisbollah-Mann Hussein Atris angemietet hatte. Er steht derzeit in Thailand vor Gericht, bestreitet aber jegliche Verbindungen zu der Schiitenmiliz.

Die EU fügte am Freitag den "militärischen Arm der Hisbollah und alle ihm nachgeordneten Organisationen" offiziell zu ihrer Liste terroristischer Organisationen hinzu.

Fertig zum Mitnicken

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Sommeradrenalin im Cabrio, Schreibtisch-Headbanging und noch mehr Musik für freie Tage und zur Alltagsprophylaxe.

The Naked And The Famous - Hearts Like Ours

„Ijäijäijäijäeah" - wonach klingt das? Genau, nach irgendwas mit Sommer 2010. Das waren nämlich The Naked and The Famous mit„Young Blood", ihrem ersten großen Hit. Diesen September bringen die beiden Neuseeländer ihr zweites Album „In Rolling Waves" heraus. Der vorab veröffentlichte Track „Hearts Like Ours" klingt schon ab Sekunde 00:03 nach Sommer 2013. Cabriofahrttaugliche Radiomusik, die irgendwie für alle geht und nach Aufbruch und Fahrtwind klingt. Fühlt sich an sich schon mal ganz schön gut an, weckt aber auch den winzigen Verdacht, dass einem davon recht bald schwindelig werden könnte. Macht aber nix, es gibt ja immer noch den Aus-Knopf.

http://www.youtube.com/watch?v=nMSWS0B_9Tw

Limp Bizkit - Ready To Go

Kollege Biazza betreibt neuerdings in unregelmäßigen Abständen völlig unvermitteltes Schreibtisch-Headbanging. Auslöser ist dabei immer „Ready To Go" von Limp Bizkit und Lil Wayne, wie wir jetzt herausgefunden haben. Erschien bereits im März, ist nur eine einzige Single, von der keiner so recht weiß, was sie bedeuten soll, ist dafür aber irgendwie überall dort dauerpräsent, wo wir den ganzen Tag so rumklicken. Und das mit dem Kopfschütteln kommt übrigens wie von selbst, kann man gar nichts dafür, auch wenn man sonst nur Scott Matthews oder so etwas hört. Achtung Trigger: Weckt Erinnerungen an die Dramen der Pubertät, erste Autoradios und spätpubertierende Provinzjungs. (Hat aber irgendwie trotzdem eine ganz gut durchlüftende Wirkung.)

http://vimeo.com/70764669

Arcade Fire - And I'll Scratch Yours

Weils grad so deftig war, ist das nächste Stück kein ganzer Gang sondern nur ein Häppchen: Ein 40 Sekunden langer Ausschnitt aus Arcade Fires neuem Album „And I'll scratch yours". Die veröffentliche Sequenz entstammt ihrer Coverversion von Peter Gabriels „Games without frontiers". Das gesamte Album ist eine Art Revanche an Peter Gabriels Cover Compilation „I'll scratch your back" von 2010. Mit dabei sind Musiker wie Bon Iver, Feist, Regina Spektor und Lou Reed. Aufs richtige Zubeißenkönnen müssen wir uns leider noch bis Oktober gedulden, aber wenn wir Glück haben, wird es ein unvergessliches Festmahl.

http://soundcloud.com/arcadefiretube/arcade-fire-games-without#t=0:00

The Vacchines - Everybodys gonna let you down

Hä, ein Nirvana-Cover? Ach nee, doch viel woodstockiger, mit Belle and Sebastian-Pfeiler untendrunter, ... na gut, lassen wir sie wie sie sind: The Vacchines bringen Anfang August ihr neues Album „Melody calling" zur Welt. Das hier ist ein erster Track, er heißt „Everybodys gonna let you down" und geht sehr gut zum morgens Aufstehen, schlaftrunken Kaffee machen und langsam in den Tag hinein erwachen. Hat so einen schönen: Komme was wolle, wir wissen doch sowieso nicht, was wir hier auf Erden machen-Ton drinnen.

http://soundcloud.com/the-vaccines/everybodys-gonna-let-you-down

Tourist - Stay

So, das hier ist knallhart aus der Wochenmusikempfehlung von unseren guten Kollegen bei ego.fm geklaut, aber weil es so wunderbares unter Sonnenstrahlen in den Feierabend reingleiten ermöglicht, soll es heute Abend unser letzter Gruß vorm Wochenende sein.

http://soundcloud.com/touristmusic/stay 

Endlich leben!

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Ferien. Sommer. Freiheit. Raus aus dem Job. Doch Vorsicht: Wer dem Stress mit Gewalt entkommen will, der wird auch im Urlaub nicht glücklich. Wahre Entspannung beginnt im Alltag

Zu den vielen in Mode gekommenen Begriffen rund um das eigene Wohlbefinden gehört neben der Wellness und dem Burn-out auch die häufig zitierte Work-Life-Balance. Als Gleichgewicht zwischen Arbeit und Leben könnte man es übersetzen. Gemeint ist natürlich die Frage, wie man das, was sein muss (die Arbeit), mit dem, was wichtig und gut ist (das Leben), in ein akzeptables Gleichgewicht bringen kann. Eine auf den ersten Blick legitime Überlegung.




Die Gefahr ist, dass der Urlaub, missbraucht wird, um dem Alltag zu entkommen.

Doch steckt in dieser, auch von seriösen Psychologen und Lebensberatern genutzten Begriffsbildung eine fatale Prämisse: jene nämlich, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe. Dass es um ein Entweder-oder gehe: Arbeit oder Leben. Zu Ende gedacht, bedeutet es: Der arbeitende Mensch lebt nicht, sondern erwacht nur phasenweise zum Leben, wenn er sich gerade auf der richtigen Seite der Work-Life-Balance befindet. Er verbringt also einen Großteil seines Lebens als Halbtoter. Als Zombie.

Das mag überspitzt klingen und verlangt einem gut gemeinten Anglizismus vielleicht arg viel ab. Doch so ganz falsch ist die Beobachtung nicht, dass in der hochindustrialisierten, automatisierten und superproduktiven Welt eine Menge Menschen mit einem Gefühl leben, nicht am richtigen Platz zu sein und mit der Sorge, das wahre Leben laufe doch eigentlich anderswo ab. Sozialpsychologen nennen dieses Gefühl Entfremdung. Die Folge ist, dass viele berufstätige Menschen, aber auch Schulkinder, Hausfrauen und -männer mit heillos übersteigerter Erwartung auf jene Momente im Jahr blicken, in denen die Pflichten des Alltags wegfallen und man endlich tun kann, was das Leben lebenswert macht: abhängen, Wellness genießen, Abenteuer erleben, Kultur erkunden, oder einfach nur den Grill anwerfen und ein paar Glas Wein trinken.

Die Tourismus- und Freizeitindustrie tut das ihre, um Trugbilder zu nähren über die paradiesischen Dinge, die man tun könnte, wenn man nur die Zeit hätte. Und so geraten die Arbeitnehmer von heute - der Soziologe Heinz Bude nennt sie in Zeiten zunehmend unscharfer Grenzen zwischen Betrieblichkeit und Privatheit 'Arbeitskraftunternehmer' - in genau den Stress, dem sie eigentlich entkommen wollen. Nun gilt es, die Freizeit zu organisieren, zu perfektionieren, zu optimieren. Für die größeren Eskapaden stehen Traumurlaube zur Verfügung, für die kleinen Fluchten allerlei Entspannungsmethoden, etwa aus einschlägigen Apotheken-Ratgebern: von Qi Gong über Fußreflexzonenmassagen bis zu Atemtechniken.

Alles davon ist legitim. Die Gefahr ist, dass der Urlaub, so wie das womöglich zur Gewohnheit gewordene Feierabendbier, missbraucht wird, um dem Alltag zu entkommen, und nicht, um ein selbstbestimmtes, auch in anstrengenden Arbeitsphasen lebenswertes Leben zu bereichern. Wer Stress wie eine chronische Krankheit erlebt und Entspannung als Sehnsucht, der läuft Gefahr, dass der Urlaub nur wie ein Medikament wirkt, das Symptome bekämpft aber nicht die Ursachen.

Selbstverständlich kann niemand verpflichtet werden, seine Arbeit zu genießen. Auch sei das Gegenteil des Entfremdungsgefühls weder gleichbedeutend mit Glück, betont die Sozialphilosophin Rahel Jaeggi, noch führe es in einen harmonisch-konfliktfreien Zustand. Doch ist es definitiv ein besseres Lebenskonzept, mit seinem Alltag ins Reine zu kommen, als krampfhaft die Auszeiten zu perfektionieren. Auch wenn der Nachbar schon wieder in die Karibik fliegt. Der Saukerl.

"Gefährlich ist gut"

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Friederike Becht rücktz an, wenn's um Qualität geht: "Hannah Arendt", "Goethe", "Der Vorleser" - überall war sie dabei. In der TV-Kolumne erklärt sie, warum sie manchmal "Shopping Queen" guckt, aber nie mitmachen würde.

Friederike, wenn du als Kind die Wahl hattest zwischen: Eisdiele, Versteckenspielen und Fernsehen – was hast du am liebsten gemacht?

Friederike Becht: Verstecken gespielt! Wir waren zu Hause vier Kinder, sind auf einem Dorf aufgewachsen und waren viel draußen, immer unterwegs. Wir haben gerne Verstecken gespielt. Aber ich habe auch gerne Fernsehen geschaut.  




Was zum Beispiel?
Ich bin oft ganz früh aufgestanden und habe mir heimlich alles reingezogen, was im KiKa lief. Das ging schon um sechs Uhr los, sehr schön fand ich zum Beispiel Astrid Lindgrens „Lotte aus der Krachmacherstraße“. „Als die Tiere den Wald verließen“ mochte ich auch, wobei man das als Kind vielleicht gar nicht gucken sollte, weil das so unglaublich traurig ist. Und „Round the Twist“ habe ich geguckt, da leben drei Kinder mit ihrem Vater im Leuchtturm, und es passieren immer gruselige Sachen.  

Habt ihr manche Sendungen auch zusammen geguckt? Mit der ganzen Familie?
„Wetten dass …?“ natürlich! Und „ScetchUp“ und „Mister Bean“. Und an den Silvesterabenden „Dinner for One“.  

Und wann hast du deinen ersten eigenen Fernseher bekommen?
Ich habe gar keinen bekommen.  

Gab’s dafür einen Grund? Wenn ich einen bekommen hätte, hätten alle Kinder einen haben wollen. Deshalb hatten wir einfach alle den einen zusammen.  

Das heißt, du konntest nie mal irgendwas heimlich gucken?
Doch, bei Freundinnen.  

Was lief da so?
Alles, was wir wollten! Im Zimmer meiner besten Freundin haben wir zum Beispiel immer die Musiksendungen auf MTV gesehen.  

Auch typischen Mädchenkram?
Klar, „Verbotene Liebe“ und „Marienhof“. Das war zum Abschalten immer gut.  

Beginnen wir jetzt mal einen gemeinsamen Fernsehabend. Es ist noch früh, wir schalten ein, und du darfst sagen, was wir gucken. Los geht’s: ARD. Es läuft „Verbotene Liebe“.
Die Zeiten sind vorbei. Weiter.  

VOX: „Shopping Queen“. Können wir kurz gucken, wenn du nichts dagegen hast. Leider bleibe ich bei so was manchmal hängen.  

Wieso leider?
Na ja, es ist ja eigentlich nicht so toll.  

Warum guckst du’s denn?
Ich finde es lustig, wie die Leute sich dort über Oberflächliches und Belangloses unterhalten. Aber nach zehn Minuten hab ich mich daran meist satt gesehen, und wir können weiterzappen.  

Wie wär’s denn, wenn man dich fragen würde, ob du vielleicht bei „Promi Shopping Quenn“…
Nein!  

Alles klar. Schalten wir mal weiter. Auf Arte kommt eine Doku über gefährliche Safaris in Afrika. Angucken?
Ja.  

Weil’s Arte ist – oder weil du generell an Safaris interessiert bist?
Weil da „gefährlich“ steht.  

Und gefährlich ist gut?
Ja! (lacht)  

Ein paar Optionen haben wir noch. Im NDR kommt „Das!“ Auf dem roten Sofa sitzt Til Schweiger.
Joah … weiter.  

ProSieben: „Two and a half Men“.
Weiter.  

Der 20-Uhr-Gong. „Tagesschau?“
Gucken!  

Danach hast du die Auswahl zwischen diesen deutschen Spielfilmen: „Nackt“, „Gegen die Wand“ oder „Fleisch ist mein Gemüse“.
„Gegen die Wand“ habe ich schon gesehen, finde ich auch toll und würde es mir sofort noch mal anschauen. Aber da ich „Fleisch ist mein Gemüse“ und „Nackt“ noch nicht kenne, würde ich mich hier zwischen diesen beiden entscheiden.  

Und generell: magst du Filme lieber lustig oder ernst?
Kommt drauf an, wie ich drauf bin. Wenn ich heiter und in Gesellschaft bin, gucke ich gerne etwas Leichtes. Aber wenn ich alleine bin, auch mal was Ernstes.  

Was lief zuletzt Ernstes bei dir?
„Liebe“ von Michael Haneke. Toller Film!  

Findest du an sich immer was für dich, wenn du abends durchs deutsche Fernsehprogramm zappst?
Es sind schon immer ein paar Sachen dabei, ja, vor allem Krimis gibt es viele gute. Ich mag zum Beispiel den neuen Dortmunder „Tatort“ sehr gerne.  

Würdest du selbst auch mal in eine Kommissarinnenrolle schlüpfen, wenn man sie dir anbieten würde?
Das würde ich mir gut überlegen, weil ich ja auch noch Theater spiele. Aber: ich WÜRDE es mir überlegen.  

Und wenn du dir ein noch nicht vorhandenes Format fürs deutsche Fernsehen wünschen dürftest? Was müsste man noch erfinden?

Man müsste mal einen Kanal erschaffen, wo junge Filmemacher ihre Filme zeigen können. Das ist wahrscheinlich utopisch, allein finanziell, aber es gibt so viele schöne Filme, die gedreht aber noch nicht gezeigt wurden. Über ein solches Format würde ich mich freuen.

Wünsch' dir was

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Ein Klick auf Facebook, eine Unterschrift auf einer Online-Petition - heute kann jeder mit einfachen Mitteln etwas in der Welt bewegen. Oft scheint aber der Aufruf zur Mitgestaltung eher das verwöhnte Kind in uns zu wecken, als den mündigen Bürger.

Wer heute die Welt verbessern will, muss nicht mehr unbedingt auf die Barrikaden gehen. Er kann das ganz einfach auch von zu Hause aus tun. Und zwar in dem er etwa eine Online-Petition unterschreibt. Klar, Petitionen gab es schon immer, aber noch nie waren sie so beliebt wie heute. Plattformen wie „change.org“, „avaaz.org“ oder„38 degrees“ haben es möglich gemacht, dass man weltweit mit ein paar Klicks nicht nur auf Missstände hinweisen, sondern diese auch beheben kann. Das zeigen die zahlreichen Petitionen die schon Abschiebungen verhindert, Senioreneinrichtungen vor der Schließung gerettet und die Einführung europaweiter Pestizidverbote erzwungen haben.   



Bist du eher ein engagierter Bürger oder doch nur ein verwöhntes Kind?

 „We are an open platform, anyone who wants can join us“, sagte Ben Rattray, Gründer von change.org, kürzlich in einem Interview. Rattray wollte eigentlich Investmentbanker an der Wallstreet werden. Dann gründete er seine Online-Plattform und wurde ziemlich erfolgreich. Mittlerweile steht sein Name in der Liste der „Most influential people“ des „Time Magazine“. Die Offenheit der Plattformen sorgt nicht nur dafür, dass sich ein breites Spektrum an Gutmenschen und Weltverbesserern auf der Seite tummelt, sondern auch ganz schön viel Quatsch und Unsinn. Denn willkommen sind auf change.org alle. Auch ein User, der Unterschriften für die Errichtung eines Landes namens „Equestria“ fordert, in dem sein selbst gegründetes friedliebende Volk leben kann oder John, der gerne ein Headset für seinen Freund Thomas hätte, damit man beim Sykpen im Hintergrund nicht ständig seine Mutter staubsaugen hört. 

Neben all dem Nonsense finden sich auch sehr viele Petitionen, in denen sich Einzelne für ihre individuellen Wünsche stark machen. Da gibt es etwa Kevin aus Ockenhausen, der gerne einen MC Donald’s für seine Stadt hätte und Robin aus Fuhlen, der sich einen Kentucky Fried Chicken für Hameln wünscht. Andere versuchen mit der Petition ihre Stars zu erreichen: „Wir wollen ein SwaggerBoy-Album von Raf & Chakuza!“. Wiederum andere sammeln Unterschriften für die Wiedereinführung der Lieblingsserie (zweite Staffel von Skins), des Lieblingscomics (Batman’s Niemandsland) oder das Lieblingsgetränk aus der 90er-Kindheit. Und obwohl diese Petitionen von dem Kleinkindalter längst entwachsenen Menschen stammen,  hören sich ihre Wünsche oft ein bisschen wie die von quengeligen 5-Jährigen an: „Fanta Pink Grapefruit wieder auf den Markt bringen. Sofort!“ 

Neben dem unhöflichen Ton bleibt aber auch oft die Begründung für den Wunsch argumentativ auf Kinderniveau. „Meiner Meinung nach ist die Telekom das schlechteste, aber wirklich schlechteste, das es gibt.“, steht bei einer Petition zur Abschaffung der Telekom. Oder „In Wiesmoor ist eine große Nachfrage, dass ein MC Donalds entsteht.“ Mehr steht da nicht. Aber wieso auch, auf seiner Wunschliste an das Christkind musste man früher schließlich auch nicht erklären, wieso man ein rotes Bobbycar, die Special Edition des Piratenlegos, oder die eine Baby Born haben wollte. 

Die Existenz solcher Petitionen bringt einen zum Grübeln darüber, welche seltsamen Dinge passieren, wenn Menschen plötzlich ein Mitspracherecht erfahren. Offensichtlich aktiviert die Aufforderung zur Partizipation nicht automatisch den Teil in unserem Gehirn, der für Nächstenliebe und soziale Verantwortung verantwortlich ist. Viel mehr wirkt es so, als würden viele da plötzlich zu kleinen Kinder werden, die ganz heiß darauf sind, mit ihrem Wunschkonzerten loszutröten. Eine Petition verspricht dabei nicht nur die Erfüllung der First-World-Problems, sondern führt manchmal auch zu ein bisschen Fame und Beachtung. Endlich wird die eigene Meinung gehört. Endlich darf man mehr, als nur einen langweiligen Wahlzettel in die Wahlurne werfen, der dann in einer Masse von ganz vielen Wahlzetteln untergeht. Die Petition reißt einen ein Stück aus dieser traurigen Masse hervor. Alle Augen auf meinen Wunschzettel.

Dabei scheint die eigentlich gut gemeinte Idee, der Mitbestimmung, irgendwie in die falsche Richtung zu gehen. Denn sie fördert im Grunde die unreife und passive Haltung, dass „die da oben es schon richten werden“, anstatt selbst aktiv zu werden. In diesem Fall ist das aber nicht mehr Mama, sondern eben der Coca-Cola-Konzern, der einen das Objekt der Begierde auf dem Silbertablett servieren soll. Die Online-Petition ist so gesehen oft nichts anderes als ein spießiger, fauler Beschwerdebrief. Neu daran ist vielleicht, dass er nicht mehr nur bei Dreadlocksträgern und frustrierten Rentnern beliebt ist, sondern auch bei ganz normalen Kids, die im Gegensatz zu ihnen, aber Petitionen nicht ins Leben rufen, um ein Stück Wald zu retten, sondern weil sie ganz gerne die Lieblingsfastfood-Kette vor der Haustür hätten.

Fernweh und Kreativität

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Eine Woche zieht schneller vorüber, als man oft denkt. Deshalb findest du hier die besten jetzt.de Texte im Überblick.

Fernweh
Die Lust auf Veränderung bringt uns dazu, unser Zuhause zu verlassen und in die weite Welt hinauszuziehen. Was aber, wenn man plötzlich bemerkt, dass man es auch in der Fremde immer mit denselben Schauplätzen und Personen zu tun hat? Simone Grössing hat einmal darüber sinniert.

Der Royal Alf
William und Kate haben einen Sohn bekommen. Aber gibt es nicht noch ein berühmtes Ehepaar mit denselben Vornamen und einem prominenten Familienmitglied? Klar: Alfs "Eltern" Willie und Kate Tanner. Das Royal Baby und Alf im Bildervergleich.





Pärchenkalender
In einer Beziehung herrscht nicht immer nur Spontaneität, immer wieder ist auch Planung gefragt. Darum haben unsere Autorin und ihr Freund jetzt einen gemeinsamen Google-Kalender. Ist das kontrollsüchtig oder vernünftig? EineÜberlegung.

Der alte Streit
Es war nicht unsere Absicht war, schon wieder im alten Klischee Berlin vs. München rumzurühren - traurig genug, dass es doch wieder darauf hinaus gelaufen ist. Wir haben die bisherigen Teilnehmer der "Creative Nite", einer Vortragsreihe der Münchner Kreativ-Szene, mal gefragt - und sie gleich noch erzählen lassen, was sie an ihrer Stadt mögen und was nicht.

Internetopfer
Innenminister Hans-Peter Friedrich und Kanzleramtschef Ronald Pofalla mussten gerade einen Shitstorm über sich ergehen lassen. Aber nicht nur Politiker, auch Blogger oder nerdige Kinder werden hin und wieder geshitstormt. Aus welchem Grund könnte der Internet-Hass dich treffen? Der Psychotest verrät es dir!

Und politisch so?
Zugegeben, es war nicht DAS Thema, aber irgendwie ja doch, wenn man mal an den dauerblöden Zustand der Asylbestimmungen denkt: In Schwäbisch-Gmund sollte Asylbewerbern eine Chance gegeben werden, sich zu betätigen und dabei ein wenig Geld zu verdienen. Die Aktion, Asylsuchende Koffer tragen zu lassen und dabei einen Strohhut tragen zu lassen ("gegen die Sonne") kam leider etwas schräg an - Rassismusvorwürfe wurden laut und die ganze Sache wurde beendet. Ein naives Missgeschick? Was kann man tun gegen die Not der Asylsuchenden und was war da los in Schwäbisch-Gmund? Roman Deininger schrieb jetzt mehr darüber.

Video der Woche:
Zwei junge Menschen kriegen ein Kind, finden es gut und begleiten den Prozess fotografisch. Das ist weder uncool noch spießig noch angeberisch oder pseudoglücklich, sondern einfach nur sehr, sehr charmant.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=7F02VJrhWeI

Entscheidungsschlacht um Berlusconi

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Italiens oberstes Gericht befindet über das Urteil im Fall Mediaset - und damit über das politische Schicksal des ehemaligen Premierministers. In Rom wächst die Nervosität, manche sehen schon das Ende der Koalition kommen.

Die Sicherheitsmaßnahmen für den Justizpalast an Roms Piazza Cavour wurden am Dienstag verschärft. Was dort in der großen Aula im zweiten Stock verhandelt wird, kann aber vor allem auf der anderen Seite des Tiber gefährlich werden, wo Parlament und Regierung Italiens ihre Sitze haben. Das oberste Gericht des Landes, der Kassationshof, entscheidet, ob das im Mai in Mailand gefallene Urteil rechtlich korrekt ist, das in zweiter Instanz gegen Silvio Berlusconi verhängt wurde. Der ehemalige Premier erhielt vier Jahre Haft - drei von ihnen fallen unter eine automatische Amnestieregelung - und fünf Jahre Amtsverbot wegen Steuerbetrugs im Fall Mediaset. Der Kassationsspruch könnte den Mann aus der aktiven Politik eliminieren, die er zwei Jahrzehnte dominiert hat.



Kommt es in Itailien zu einem Konflikt der Verfassungsorgane?

Premierminister Enrico Letta beschwichtigt. Er sei gelassen, auf seine Regierung komme kein Erdbeben zu, sagte er am Montag in Athen. Auch die Minister des Koalitionskabinetts aus Lettas sozialdemokratischer PD und Berlusconis PDL wiederholen seit Tagen, eine Justizentscheidung über eine einzelne Person werde keinen Einfluss auf die Regierung des Landes haben. Auch Berlusconi selbst sagte mehrmals, die Koalition werde fortgesetzt, und mahnte seine Partei zur Ruhe. Die "Falken" in seiner Partei ignorieren den Appell, sie drohen, die Parlamentsarbeit zu boykottieren; von "Massen-Rücktritten" der PDL-Parlamentarier ist die Rede und von Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast.

Alle wissen, dass sie damit den Bruch der Koalition provozieren, denn Senatoren und Abgeordnete der PD, die die Allianz mit den Rechtspopulisten ohnehin nur unter Schmerzen ertragen, haben bereits erklärt, dass sie spektakuläre Aktionen für unzumutbar hielten. Es wäre für ihn sehr schwierig, weiterhin mit einer Partei zu kooperieren, deren Führer rechtmäßig verurteilt sei, sagte der PD-Fraktionschef im Senat, Luigi Zanda. Die PD-Senatorin Laura Puppato sagte zu La Stampa: "Mir kommt es irre vor, dass das Schicksal des Landes an einer einzelnen Person hängen soll." Ein Massenrücktritt wäre sehr schwerwiegend, dann "wären wir in einem Demokratie-Notstand".

Das wichtigste Argument der radikalen PDL-Politiker fasste die Abgeordnete Daniela Santanchè so zusammen: "Wenn er verurteilt würde, würde ein Volk verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Wir werden nicht zulassen, dass die Demokratie entstellt wird und man zehn Millionen Italienern ihre politische Führungsgestalt entzieht." Inwieweit Santanchè und andere Scharfmacher im Namen Berlusconis sprechen, ist nicht immer klar. Auf Anweisung seiner Verteidiger hält sich der Ex-Premier zurück. Angeblich wusste er auch nicht, dass die ihm freundlich gesonnene Zeitung Libero am Wochenende mehrere Passagen aus einem Gespräch mit ihm veröffentlichen würde. "Ich werde nicht abhauen", sagte der fast 77-Jährige da, "ich gehe in die Zelle." Er werde keinen Hausarrest und keine Sozialarbeit annehmen.

Dass er je in Haft muss für die Hinterziehung von 7,3 Millionen Euro Steuern aus dem Handel seines Mediaset-Konzerns mit Fernsehrechten 2002/2003, ist angesichts seines Alters so gut wie ausgeschlossen. Erst recht, weil die Haftstrafe faktisch nur ein Jahr beträgt, wie der Jura-Professor Francesco Pizzetti von der römischen Luiss-Universität bestätigt. In Italien würden Verurteilte im Alter von mehr als 70 Jahren nur inhaftiert, wenn es um Kapitalverbrechen gehe oder um gefährliche Mafiosi. Was Berlusconi jedoch vor allem schreckt, ist das fünfjährige Verbot, öffentliche Ämter auszuüben. Er müsste seinen Sitz im Senat aufgeben und könnte bei Neuwahlen nicht kandidieren. Die Blamage für die PDL wäre gewaltig, ohne Berlusconi droht ihr ohnehin der Zerfall.

Der fünfköpfige, im Sommer zuständige "Feriensenat" des Kassationsgerichts prüft nur die Rechtmäßigkeit des Urteils und hat drei Möglichkeiten: Er verwirft das Mailänder Urteil ganz und folgt der Verteidiger-Argumentation, dass Berlusconi schon seit 1994 nicht mehr die Unternehmensbilanzen unterschrieben hat. Er verweist den Fall zurück zur Neuverhandlung in die zweite Instanz. Oder, drittens, er bestätigt den Spruch vom 9. Mai. Dann würde das Urteil sofort wirksam.

Für das, was dann geschehen wird, gibt es keinen Präzedenzfall. Italiens Senat müsste sich eigentlich an die Kassationsentscheidung halten, sagt Verfassungsrechtler Pizzetti, sonst käme es zum Konflikt von Verfassungsorganen. Zunächst müsste der Immunitätsausschuss formal Kenntnis nehmen vom Urteil und den Amtsausschluss beschließen, was das Plenum in geheimer Abstimmung bestätigen müsste. All dies geschähe voraussichtlich erst im September, nach der Sommerpause. Die höchsten Richter prüfen in dem Fall nicht nur Berlusconis Verurteilung, sondern auch jene zweier Manager von Mediaset sowie des amerikanisch-ägyptischen Filmproduzenten und Rechtehändlers Frank Agrama. Der Spruch des Kassationshofes wurde für Mittwochabend oder Donnerstagvormittag erwartet.


Walk the line

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'Wolverine' - ein todessüchtiger Mutant rettet das Blockbuster-Business

Manchmal schaut er aus wie ein Penner, wenn er im Norden des amerikanischen Kontinents herumstreicht, nur ab und zu aus seinen Wäldern in ein kleines Holzfällerstädtchen kommt. Er hat einem großen Grizzly, den mutwillige Rednecks mit Giftpfeilen anschossen und liegen ließen, den Gnadenstoß verpasst, nun trifft er diese schlimmen Typen im Drugstore des Ortes wieder ... Und dann steht plötzlich auch noch dieses katzenhafte japanische Mädchen im Raum, Yukio (Rila Fukushima), wie aus einem wilden Manga gefallen.

Das Genre der Superhelden ist womöglich das allertraurigste, spätestens seit Frank Miller es radikalisierte mit seinen finsteren Erzählungen. Diese Berge von Einsamkeit, diese monomanische, monotone Verpflichtung, die Welt zu retten, wieder und wieder, und dabei diejenigen nicht zu vergessen, die einem nahe sind, die man liebt, womöglich. Der neue Wolverine-Film hat am vergangenen Wochenende dem katastrophal angeschlagenen Blockbusterbusiness in den amerikanischen Kinos, mit 55 Millionen Dollar Einspiel, eine Art Ehrenrettung bereitet.

Der einsame Logan, genannt The Wolverine, ist womöglich der traurigste aller Marvel-X-Men, er ist gezeichnet von all den Kriegen, in die er geschickt wurde, und zu Beginn des neuen Films sieht man, wie die Feuerwalze von Nagasaki über ihn hinwegrollt, die den Pazifikkrieg beendete. Am Drehbuch hat Christopher McQuarrie mitgeschrieben, er hat schon die Wege einiger anderer Krieger fürs Kino skizziert, Tom Cruise als Stauffenberg und als Jack Reacher, zuletzt der ritterliche Jack, der auf einer gigantischen Bohnenstaude ins Land der Riesen hochklettert.



Der Blockbuster 'Wolverine', mit Hugh Jackman alias Logan und Svetlana Khodchenkova als gefährliche Viper, kommt gut beim Publikum an.

Der neue Wolverine, von Hugh Jackman verkörpert mit grimmiger Entschiedenheit, scheint entschlackt, nicht was die Statur angeht, die ist immer noch gedrungen und massiv, mit tierisch-hanseatischem Backenbart, der das Gesicht breit und eckig macht. Entschlackt ist das Geschehen, das Logan nach Japan führt, wo er in seinem kurzen Fünfzigerjahremantel noch fremder wirkt als sonst, ein bisschen wie Jean Valjean, den Jackman eben in den 'Misérables' spielte, den Gutmenschen par excellence, der von seiner Sträflingsvergangenheit nicht loskommt. In Japan trifft Logan auf Kampfcodes und -rituale, mit denen jeder Mann im Herzen sich als ein Krieger fühlen kann, und manche Frau dazu, und wo die Action sich in schöner Strenge und Reinheit entwickelt. Nur manchmal forciert vom Blockbusterwahn und gezwungen zum Shinkansen-Tempo, auf dem Dach eines japanischen Hochgeschwindigkeitszugs.

James Mangold hat den Film inszeniert als eine Studie zu Müdigkeit und Melancholie - durch sein Adamantskelett ist der Mutant Wolverine quasi unsterblich, und durch diese Unsterblichkeit getrennt von der geliebten toten Jean Grey (Famke Janssen), die nachts an seiner Seite liegt, sirenengleich ihn ins Jenseits lockt. Der Todestrieb steht da für eine fast groteske Gradlinigkeit in einem Gewirr heimtückischer Hintergedanken, mit dem die andern Männer operieren. Einmal lässt sich Wolverine, auf einem Vormarsch im Schneeland, von einer Bande Bogenschützen nicht beirren, Pfeil auf Pfeil versenken sie in seinen Körper, bis er an Toshiro Mifune erinnert, dem wahnsinnigen Pfeilregen ausgesetzt in Kurosawas Macbeth-Film. Und dem Marvel-Universum endlich shakespearische Größe verleiht.

The Wolverine, USA 2013 - Regie: James Mangold. Buch: Christopher McQuarrie, Mark Bomback. Kamera: Ross Emery. Musik: Marco Beltrami. Mit: Hugh Jackman, Famke Janssen, Rila Fukushima, Tao Okamoto, Svetlana Khodchenkova, Ian McKellen, Patrick Stewart. Fox, 126 Minuten.

Putin vs. Lammert - der Bildervergleich

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Zwei ranghohe Politiker werden gerade im Netz der Schummelei bezichtigt: Wladimir Putin und Norbert Lammert. Der eine soll mit dem Gewicht eines geangelten Hechts getrickst haben - der andere mit den Zitaten seiner Doktorarbeit. Um Verwechslungen vorzubeugen: ein Bildervergleich.

Aufruhr in Moskau und Berlin: Russische Blogger behaupten, Präsident Putin habe beim Wiegen eines geangelten Fisches getrickst - 21 Kilo, wie offiziell behauptet, wiege der Hecht nie und nimmer, den Putin am Wochenende angeblich gefangen hat. In Deutschland wird derweil Bundestagspräsident Norbert Lammert im Netz vorgeworfen, in seiner Doktorarbeit falsch zitiert zu haben. Zwei ranghohe Politiker, Würden- und Halbglatzenträger im Kreuzfeuer: Da ist die Verwechslungsgefahr hoch. Ein klärender Bildervergleich.



In Kampfmontur







Mit Lieblingstier





Die üblichen Gegner






Komisches Foto mit Merkel






Willkommen, dicker Mann!







Der schlimmste Alptraum





Kann auch musikalisch






Vorbild 007





Wenn ein Großer anbeißt







Isst du gerne alleine?

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An der Uni in Kyoto wurden in der Mensa Tische mit Sichtschutzwänden versehen, damit Studenten, die alleine essen, sich dabei nicht ansehen müssen. Ist es dir unangenehm, in der Öffentlichkeit alleine zu essen? Oder genießt du es, endlich mal deine Ruhe zu haben?

In der jetzt-Redaktion sitzt jeder die meiste Zeit alleine vor seinem Computer. Aber ein Mal am Tag kommen wir zusammen: Zum Mittagessen. Dann sitzen wir in der Kantine oder draußen in der Sonne an einem großen Tisch und essen gemeinsam. Um uns herum gibt es viele ähnliche Grüppchen, mindestens aber Zweier-Konstellationen, die sich über den Tellern angeregt unterhalten. Nur hin und wieder fällt uns ein einsamer Esser auf, meist ein Herr im Anzug, Zeitung lesend, nebenher Gabel für Gabel in den Mund schiebend. Warum, fragen wir uns dann, isst er ganz allein? Möchte niemand mit ihm essen gehen? Oder hat er in der Mittagspause einfach gerne seine Ruhe und schleicht sich darum heimlich aus dem Büro, bevor die Kollegen sich zu einer großen Speise-Gang zusammenrotten und in die Kantine einfallen?  



Alleine am Esstisch - ist dir das unangenehm oder macht es dir nichts aus?

Denn es gibt sie anscheinend, diese Menschen, die gerne alleine essen. Unter den Studenten der Uni im japanischen Kyoto zum Beispiel. Dort hat man sich ihrer besonders angenommen und auf einigen Mensatischen Sichtschutzwände installiert. Dadurch können sich alleine Essende, die einander gegenüber sitzen, nicht sehen, und unangenehme Blickkontakte bleiben ihnen erspart. Die Plätze heißen „bocchi seki“, nach dem japanischen Wort „bocchi“, das übersetzt „alleine“ bedeutet. Die Studenten finden die Idee super oder zumindest angenehm. „Wenn du alleine an einem großen Tisch sitzt, ist das, als hättest du keine Freunde und das ist peinlich“, zitiert das zu „Gawker“ gehörige Blog „Kotaku“einen jungen Mann.  „Wenn ich nicht viel Zeit und es eilig habe, dann sind diese Plätze praktisch“, sagt eine Studentin. Trotzdem hoffen wir, das auf den Tischen der SZ-Kantine keine Sichtschutzwände eingeführt werden. Sondern dass der einsame Mittagesser einfach gerne mit seiner Zeitung alleine ist und isst. Oder doch noch Freunde findet. Je nachdem.  

Wie ist das bei dir: Hast du in Pausen gerne deine Ruhe und gehst alleine etwas essen? Oder suchst du dir Gesellschaft und findest es eher unangenehm, wenn du doch mal einsam am Tisch sitzen musst? Gehst du manchmal alleine ins Café oder Restaurant? Oder fühlst du dich dann von den Umsitzenden kritisch beäugt und hast Sorge, sie könnten denken, dass du keine Freunde hast?

Visualierte Sexdaten und eine penisförmige Baustelle

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Schon wieder eine Woche rum seit der letzten Topsexliste, höchste Zeit für neuste Neuigkeiten aus der Untenrum-Welt! Diesmal unter anderem mit dem gerade beliebtesten "Porn Sex vs. Real Sex"-Vergleich, seltsamen Vibratoren, einer penisförmigen Baustelle, einem lustigen Experiment und extravielen Videos.

Hunger?
http://www.youtube.com/watch?v=q64hTNEj6KQ
Wir wissen ja alle, dass Porno-Sex und echter Sex nicht besonders viel miteinander zu tun haben, von den Basics mal abgesehen. In einem Filmchen, das gerade durchs Internet gereicht wird, werden die Unterschiede aber endlich mal konkret benannt, mit Zahlen belegt (wenn auch ohne Angaben von Quellen) und außerdem mithilfe von Nahrungsmitteln hübsch visualisiert. Naja, gut, die Analsex-Stelle ist jetzt nicht sooo hübsch. Aber lustig!

Sechs-Sekunden-Porno 



Wo wir gerade bei Pornos sind: Auch mit Vine, der App, mit der man sechssekündige Minifilme machen kann, wurden schon Pornos gedreht. Das ist allerdings gar nicht so einfach, da Vine ein Apple-Kind ist und dort die Zensurrichtlinien bezüglich über-18-Inhalte bekanntlich sehr streng sind. Trotzdem haben ein paar Videos die Zensur überlebt, die jetzt in einer Sammlung auf salon.com zusammengefasst wurden. Nicht alle, aber doch die meisten sind harmlos bis verspielt, zum Beispiel die sechs Sekunden zerwühltes Bettlaken und sanftes Frauenstöhnen. Die aber durchaus anregender sein können als so mancher echte Porno.

Wer braucht schon ein Smartphone... 



...wenn er einen Smartvibrator haben kann? Ehrlich gesagt: Jeder. Denn man kann das eine nur mit dem anderen haben. Der neuste Schrei in der Welt der Sexspielzeuge soll nämlich „Vibease“ werden, ein Vibrator, der per Bluetooth mit dem Telefon verbunden ist und für den gerade gecrowdfundet wird. Funktioniert so: Über eine App wählt man eine beliebige „Fantasy“ aus, einen Audiostream, der eine Sexfantasie wiedergibt. Der kleine Vibrator reagiert dann auf das, was gesagt wird: Fällt in irgendeinem Zusammenhang des Mini-Hörspiels das Wort „soft“ vibriert er sanft, fällt das Wort „hard“ vibriert er hart. Klingt insgesamt nach einer etwas bemühten Idee (und die Demoszenen sind ziemlich bescheuert), aber wer weiß, vielleicht sitzen bald reihenweise Frauen mit Kopfhörern im Bus und schwelgen so vor sich hin.

Dieser Vibrator ist sehr gruselig! 



Entschuldigung, noch mehr Vibratoren, aber wenn Jezebel die halt sammelt! Sie sind auch wirklich, wirklich lustig. Die Sammlung enthält nämlich extrem gruselige Vibratoren. Den obigen in Skorpionform zum Beispiel (wie zur Hölle...?). Oder den Vibrator, der das Gesicht eines bösen Clowns und Ausreden parat hat, warum er gerade keine Vibratormoves machen will. Unter anderem, dass er morgen früh rausmüsse oder Kopfschmerzen habe (dass „Mmmh, you’re looking cute tonight, honey“ allerdings auch eine solche Ausrede sein soll, ist traurig). Oder den Drachenzungen-Vibrator für Fantasyfans. Oder den außerirdischen Vibrator. Wer bis jetzt noch nicht auf den Link geklickt hat, hat kein Herz!

Die Periode macht dich zum Star! 
http://www.youtube.com/watch?v=0XnzfRqkRxU
Zumindest wenn man dieser Werbung glauben darf. Und zumindest bis alle Mädchen den „Hello Flo“-Service entdecken, der ihnen Periode-Utensilien (Tampons, Binden und, warum auch immer, Süßigkeiten) als Päckchen nach Hause schickt. Oder ins Camp, in dem zuvor die ziemlich altkluge und harsche Protagonistin der Spots als „Camp-Gyno“ Erfolge feierte. Jetzt braucht sie keiner mehr. Zwei Autorinnen des Atlantic-Magazine haben ein schönes Gespräch über den Sinn und Unsinn dieser und anderer Tampon-Werbungen geführt, inklusive weiterer interessanter Spot-Beispiele. Erinnert sich noch jemand an die o.b.-Werbung, in der eine Frau sagte, o.b. nehme die Regel dort auf, wo sie entsteht („im Inneren des Körpers“), und ihre Hand um ein Tampon schloss? Wie die wohl in der Atlantic-Diskussion abgeschlossen hätte?

Upsi!
http://www.youtube.com/watch?v=UW9Fiu9IlA4
Diese nette Reporterin wollte nur kurz aufzeichnen, wo gerade gebaut wird. Sie kann doch auch nix dafür, wenn der Verlauf der Baustelle wie ein Penis aussieht! (Achtung, Spielverderberanmerkung: Irgendwie riecht das Ganze leicht nach Fake, oder wo kommt bitte die linke der beiden Linien auf einmal her?)

Wer sagt ja?
Das YouTube-Team „Whatever“ hat vor Kurzem ein soziales Experiment gestartet. Sie wollten das Zitat des Erzherzogs Franz Ferdinand überprüfen, dass mindestens ein Mensch ja sagt, wenn man hundert Menschen fragt, ob sie Sex mit einem haben wollen. Ein junger Mann zog also los und fragte hundert Frauen, ob sie mit ihm schlafen würden. Wie hoch seine Erfolgsrate dabei war, zeigt dieser lustige Film:
http://www.youtube.com/watch?v=gxyySRgrYsU
Natürlich hat das Team dann auch die Gegenprobe gemacht, leider mit weitaus weniger Versuchen als hundert. Trotzdem ist das Ergebnis relativ deutlich ein anderes. Man muss allerdings dazusagen, dass die Frau in diesem Video hauptsächlich einzelne Männer anspricht, während der Mann in Video 1 sehr oft Frauengruppen befragt. Oder Frauen, deren Freund danebenstand. Das geht ja auch klüger.
http://www.youtube.com/watch?v=5JJFBtHcBnM

Hebefiguren

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Draußenfeiern schafft ein Müllproblem - klar. Mit dem richtigen System kann aus dem aber auch Kunst werden. Die schönsten Flaschen-Skulpturen aus dem Englischen Garten in München.

Ballermann am Isarufer? Rimini am Kulturstrand? Playa d’en Bossa im Englischen Garten? Es geht hoch her in München dieser Tage: Anwohner gegen Draußenfeierer, Tierparkwärter gegen Griller. Und morgen werden die Karten neu gemischt – wer heute anwohnt, kann morgen schließlich schon wieder feiern. Will sagen: Mit etwas Empathie ist vieles vielleicht viel weniger tragisch.

Wenn da nicht der Müll wäre. Der Müll ist ein Problem. Im Englischen Garten allerdings etwas weniger als anderswo. Denn da gibt es ein ziemlich ausgeklügeltes Kreislaufsystem aus Verkäufern, Trinkern und Flaschensammlern: Wer im Englischen Garten kräftig säuft (vulgo: „litert“), der „littert“ noch nicht zwangsläufig. Er hinterlässt also nicht unbedingt Müll, sondern eher Pfandgut, über das sich andere freuen.



Dabei fällt eines auf: Flaschen werden im Englischen Garten nie einfach nur liegen gelassen. Sie werden drapiert – liebevoll, kunstvoll. Wahre Skulpturen und Figuren sind das. Stillleben in Bier und Spezi. Wir haben mal die schönsten gesucht, fotografiert – selbstverständlich unverändert – und mit Namen versehen. Da Kunst aber immer im Auge des Betrachters liegt, können unsere Namen freilich nur Vorschläge sein. Gegenvorschläge sind unbedingt erwünscht.

„Die Älteren ,littern’ eher allein“

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Abfall stört jeden. Aber irgendwer scheint ihn trotzdem liegen zu lassen. Nur wer? Und warum? Ein Gespräch mit einer Psychologin - über Müll und wie man ihn vermeidet.

Über eines muss man nicht diskutieren: Müll nervt! An der Isar. Am Kulturstrand. Wer seinen Abfall liegen lässt, ist ein Idiot. Aber ist er auch zwangsläufig ein Jugendlicher? Oder machen Ältere genauso viel Dreck? Wir haben jemanden gefragt, der sich damit auskennt: Dr. Rebekka Gerlach, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt-Innovation GmbH – ein Tochterunternehmen der Humboldt-Universität in Berlin –, forscht zum Thema „Littering – Merkmale, Ursachen, Prävention“. Was man schließlich sehr dringend diskutieren sollte: Warum lassen Menschen ihren Müll liegen? Und was lässt sich dagegen tun?




jetzt.de: Frau Gerlach, was sind die häufigsten Ursachen, aus denen Menschen ihren Müll liegen lassen?
Rebekka Gerlach: Bequemlichkeit und Gewohnheit.
 
Ist den meisten die Umwelt auch einfach egal?
Nein. Nur den Wenigsten. In unserer Studie haben wir Teilnehmern Computerbilder mit Fällen von „Littering“ gezeigt und dann die Pupillenerweiterung gemessen. Wenn sich die Pupille bei einem Bild erweitert, dann deutet dies auf eine emotionale Anspannung hin. Das heißt, dass das Bild emotional negativ bewertet wird. Sowohl Erwachsene als auch Jugendliche reagierten auf diese Bilder mit einer signifikanten Pupillenerweiterung. Das ist ein Zeichen dafür, dass Umweltbewusstsein also durchaus existiert. Es wird aber von schlechten Gewohnheiten überlagert und die sind nun einmal sehr schwer zu verändern.

Gibt es den typischen „Litterer“?
Nein, nicht wirklich. Es gibt Gruppen, bei denen „Littering“ häufiger vorkommt. Oft wird in Stadtteilen mit einkommensschwachen Schichten mehr Müll liegen gelassen. Auch Raucher, Jugendliche und vor allem junge Erwachsene sind vertreten. Man glaubt zwar immer, dass die ganz Jungen am schlimmsten sind, aber die 20- bis 30-Jährigen sind keineswegs vorbildhafter. Viele glauben auch, dass Obdachlose viel Müll liegen lassen, dabei stimmt das gar nicht.
 
Wie unterscheidet sich das Litter-Verhalten von Jungen und Alten?
Jugendliche littern eher in Gruppen, in denen sie sich ja meist aufhalten. Sie folgen in der Regel nicht den gesellschaftlichen Normen, sondern denen der Clique. Wenn die Gesellschaft sagt, es sei schlecht, Müll einfach auf den Boden zu werfen, dann ist es für sie eben cool, genau das zu tun. Die Älteren littern eher allein und unbeobachtet, denn sie wissen ja, dass sie das eigentlich nicht tun sollten.
 
Die Kampagnen gegen die Verschmutzung an der Isar scheinen großteils wirkungslos zu sein. Was denken Sie über kreative Sensibilisierungsversuche? Können „Müllfeen“ in knappen Outfits Bewusstsein für das Problem schaffen?
Eigentlich ist es immer ein guter Ansatz, mit Leuten zu reden und auf sie zuzugehen. Ich frage mich nur, wieso man bei derartigen Kampagnen nicht einfach Psychologen fragt, ob auch sinnvoll ist, was man tut. Abgesehen von dem Sexismus der Aktion, der viele gestört hat, funktionieren solche aggressiven Strategien einfach nicht. Diejenigen, die man eigentlich motivieren möchte, fühlen sich provoziert. Der Bezug zum eigentlichen Problem – dem Müll – rutscht in den Hintergrund. Solche Kampagnen verfehlen das Thema. 
 
Was ist mit Humor? An der Isar wurden lustige Schilder aufgestellt.
Humorvoll kann man Schilder natürlich gestalten. Man sollte nämlich unbedingt negative Formulierungen vermeiden. Es ist wirksamer, wenn auf einem Schild „Bitte halten Sie die Isar sauber“ steht, statt „Lassen Sie Ihren Dreck nicht liegen“.

Weil damit unser Trotz nicht aktiviert wird?
Ja genau. Bei Ermahnungen kommt es schnell zu Abwehrreaktionen. 
 
Wieso eigentlich?
Um es einfach zu erklären: Wenn Ihnen eine Person sagt „Tun sie das nicht!“, reagiert man meist mit einer Abwehrreaktion. Man fühlt sich ja als autonomes Wesen, das eigenständig entscheiden kann. Wenn ich Ihnen mit erhobenem Zeigefinger sage, was Sie tun oder lassen sollen, bekommen Sie schnell einmal das Gefühl, Ihr Selbstwertgefühl schützen zu müssen und gehorchen deswegen erst recht nicht. Es ist deswegen wichtig, diese sehr menschlichen Abwehrreaktionen gar nicht erst zu provozieren.
 
Also bringen weder „Müllfeen“ noch seriöse, uniformierte Aufpasser etwas?
Zweitere schon. Aber nur, wenn sie einem auf Augenhöhe begegnen. In Hamburg wurden etwa "Kümmerer" eingesetzt, die versuchten Menschen auf der Straße für das Problem zu sensibilisieren. Man sollte den Leuten das Gefühl geben, dass man ihnen nur dabei helfen will, ihre gute Absichten umzusetzen.
 
Wie kann man hier dem Müllproblem also am effektivsten begegnen?
Kommt darauf an: An der Isar entsteht viel Müll beim Grillen. Da muss man sich dann spezifisch überlegen, welche Behälter man dort hinstellt, also welche am nützlichsten für diese Art von Müll sind. Alleine mehr Abfallbehälter aufstellen wirkt in der Regel nämlich nicht, das hat unsere Studie gezeigt. Am effektivsten ist es, wenn verschiedene Maßnahmen miteinander kombiniert werden und sie gestaffelt zum Einsatz kommen: zuerst eine Plakatkampagne, dann eine Aktion wie die der „Kümmerer“ und zum Schluss ein Bußgeld.
 
Geldstrafen können also auch etwas bewirken?
Ja. Das Problem bei Bußgeldern ist aber, dass man dazu intensive Kontrollen braucht. Wenn Leute nicht konsequent bestraft werden, kann das negative Verhalten sogar zunehmen. Strafen sind meist wirksam, aber man muss für die Kontrolle und Umsetzung viel Geld ausgeben. Außerdem setzen solche Aktionen nicht am Verantwortungsbewusstsein der Bürger an.

Numerus clausus wird zur Regel

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Zwei Drittel der Bachelor-Studiengänge sind an großen Unis in diesem Herbst zulassungsbeschränkt. Hohe Hürden gibt es bei Psychologie und BWL, auch für Germanistik muss das Abitur gut sein.

Abiturienten, die im kommenden Semester erstmals ein Hochschulstudium aufnehmen wollen, müssen mit hohen Zugangshürden rechnen. Wegen der anhaltend starken Nachfrage wird es an großen Universitäten in der deutlichen Mehrzahl der Fächer einen Numerus clausus (NC) geben, teils spezielle Eignungstests. Nach einer Recherche der Süddeutschen Zeitung bei den 20 größten Universitäten ist dort die Zulassung für 68 Prozent der regulären Bachelor-Studiengänge beschränkt.



Nicht jeder wird am Wunschort das Wunschfach studieren können.

In Nordrhein-Westfalen ist der Andrang aktuell wegen des doppelten Abiturjahrgangs besonders stark. So sind an den Unis in Köln, Bochum, Duisburg-Essen und Aachen für 84 bis 100 Prozent der Fächer Hürden gesetzt. NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) versichert zwar, man sei gut für den Ansturm gerüstet. Jedoch: "Nicht jeder wird am Wunschort das Wunschfach studieren können." Aber etwa auch an der Uni Hamburg gilt für alle Bachelor-Angebote ein NC. In begehrten Fächern werden bundesweit die Anforderungen von 2012 womöglich verschärft.

An den ausgewählten 20 Unis ist nahezu ein Drittel aller Studenten in Deutschland eingeschrieben. Darunter sind etwa die großen Standorte in Berlin und München sowie Münster, Heidelberg oder Frankfurt. Im Wintersemester 2012 war Psychologie an allen 20 Unis mit einem NC besetzt, der im Schnitt bei 1,3 lag. Selbst in Massenfächern wie Betriebswirtschaft hatte man mit mäßigem Abitur schlechte Karten, im Schnitt wurde eine glatte Zwei verlangt. Sogar in der vermeintlich brotlosen Germanistik wurden nur an zwei der 20 Unis alle Bewerber zugelassen; der NC reichte von 1,7 bis 2,9. Hier wie in ähnlichen Fächern waren noch vor ein paar Jahren Beschränkungen völlig unüblich.

Mitte Juli endete die Bewerbungsfrist für zulassungsbeschränkte Fächer. Die Unis prüfen nun die Anträge. In den ersten Augustwochen werden Zu- oder Absagen verschickt. Derjenige, der in einem beschränkten Fach den letzten Platz bekommt, setzt mit seiner Abi-Note den NC. Zudem vergeben Hochschulen Plätze nach Wartesemestern oder über Eignungstests. Die endgültige Verteilung wird sich wohl bis zum Herbst ziehen. Abiturienten bewerben sich oft an mehreren Unis gleichzeitig - das seit Jahren geplante Online-System zum Abgleich der Bewerbungen ist erst für wenige Studiengänge in Betrieb. Medizin und Pharmazie werden noch zentral über die frühere ZVS vergeben. Hier geht ohne einen guten Einser-Schnitt nichts.

Prognosen weisen für 2013 erneut gut eine halbe Million Studienanfänger aus. Bundesweit ist etwa die Hälfte der Bachelor-Angebote beschränkt. In kleineren Städten, im Osten und an Fachhochschulen ist der Andrang geringer, dies drückt die Gesamtquote. Letztlich geht es ums Geld. Zwar haben Bund und Länder den Hochschulpakt für neue Studienplätze jüngst erweitert. Die Hochschulrektorenkonferenz nennt das System dennoch "auf Kante genäht". So seien im Pakt pro Studienplatz 26000 Euro vorgesehen, was nur für kostengünstige Fächer reiche. Ein Rektor sieht den NC gar als "Akt der Notwehr", um den Studienbetrieb sicherzustellen.
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