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Der Sonntag mit... Julian Heun, Poetry-Slammer

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Name: Julian Heun
Alter: 24
Geburtsort: Berlin
Wohnort: Berlin
So erkläre ich meinen Job meiner Oma: Ich schreibe entweder Romane, wie der gelbe, den ich dir neulich gegeben habe, oder ich trage Gedichte auf Bühnen im Wettbewerb vor. Genau, Oma, dieses "Poetry Slam", mit den vielen Männern, mit denen man sich manchmal ein Doppelzimmer im Hotel teilen muss, weswegen du mich fälschlicherweise für schwul hältst.  
Mein liebster Wochentag: Mittwoch. Da hab ich keine Uni mehr, das Touren hat aber auch meist noch nicht angefangen.
Aktuelles Projekte: Rapstar werden, eine Radiosendung kapern, einen neuen Roman schreiben, mal wieder Skifahren.




02:03 Wir sind im Charles Bronson in Halle.
Das Charles Bronson ist gewöhnlicher als das, was man in Berlin darüber hört. Und etwas voll. Trotzdem gefällt es mir reichlich. Saunaoptik und eine bretternde Funktion One Anlage. Monkey Safari und Super Flu spielen auch gewöhnlicher als sonst. Und sind etwas voll. Mutmaße ich. Trotzdem gefällt es mir reichlich. Aber man sollte nie mit tollen Erwartungen in einen Abend gehen, sondern mit tollen Freunden. Und so ist es dann auch. Wir sind in Magdeburg aufgetreten, haben das Backstage Bier geräubert und sind dann nach Halle gefahren. Es kann nichts schiefgehen bis auf die Tatsache, dass man in Sachsen-Anhalt häufig mit recht hoher Frequenz gezwungen wird, Pfeffi zu trinken. Aber von bemerkenswerten Nächten sollte man nicht schreiben und Fotos machen, sondern…



13:12 Es war eine bemerkenswerte Nacht. Das Badezimmer des Freundes, bei dem ich übernachte, ist mit Schwarzlichtfarbe bemalt. Er hat ein unübersehbares Faible für psychedelische Ästhetik. Mich grüßt ein "Moin" von der Wand.



13:13 Auch das Lächeln ist schon im Spiegel integriert.



13:30 "Man muss die Krankheiten tragen, die Saison haben.", hat ein Freund von mir neulich gesagt. Wenn das stimmt, dann hat ein satter Husten auf jeden Fall Saison. Er ist kleidsam im Spätherbst. Deswegen beginnt mein Frühstück mit Inhalieren in der Küche. Ein Grund, warum ich so gerne auf Tour fahre ist, weil ich gerne in Hotelbetten schlafe und in fremden Küchen frühstücke. Ich komme voll auf meine Kosten. Sonntag ist eigentlich kein Tag der großen Entscheidungen, aber die Teeauswahl bringt mich vor ernsthafte Schwierigkeiten.



15:10 Es ist Zeit für einen Spaziergang. "Hallo, Halle!"



15:18 "Hallo Julian!", scheint Halle zu sagen, "Mir geht es heute wie dir. Ich sah schon mal besser aus." Alles ganz schön grau. Nicht trostlos, aber schon ganz schön herbstig



15:50 Wir befinden uns in der Uhrzeit 50 nach 15 Uhr, ganz Halle ist von der Gräue des Spätherbst besetzt... Ganz Halle? Nein! Ein gelber Baum hört nicht auf der Gäue Widerstand zu leisten und wirft wütend mit seinen knallgelben Blättern um sich.



16:30 Es wird kein Sonntag der leichten Entscheidungen. Wir gehen in ein Restaurant, dass sich nicht entscheiden kann, ob seine Küche China, Thailand, Vietnam oder dem Lande "Sushi" entnommen ist. Das sollte mich kritisch machen, aber der Werbespruch "all you can fat" heitert mich genug auf, um das Restaurant zu betreten. Ich habe wenige Sonntagsrituale. Aber eines ist das Thai Curry. Wenn ich einen Sonntag zu Hause verbringe, esse ich immer Thai Curry, wasche Socken und spiele FIFA. Also bestelle ich Thai Curry und werde dabei sehr glücklich.



17:00 Heute kein FIFA. Mein Freund, bei dem ich zu Gast bin, präsentiert mir die Zeichentrickserie "Ren und Stimpy", die ich bis dahin nicht kannte. Ein asthmatischer Chihuahua und ein dicker, einfältiger Kater erleben Abenteuer. Eine neue, sehr absurde Welt tut sich mir auf. Ich bin erst verschreckt, dann erfreut, dann beides gleichzeitig.



20:35 Unter den bunten Lichtern im Turm in der Moitzburg moderiere ich mit Tobias Glufke den Poetry Slam und trete als Special Guest auf. Das Thai Curry gibt mir die nötige Kraft, bilde ich mir ein. Ich versuch mich an den Hallensern zu rächen, indem ich das Publikum nach jedem Text zwinge Pfeffi zu trinken. Die Hallenser sind wie immer - nett und unerträglich umgänglich: Sie kehren meine Waffe um und nehmen sie als Geschenk, freuen sich über den Pfeffi und verlangen mehr. Man muss sie einfach mögen. Danach geht es halbwegs fix ins Bett, denn die Uni wartet am Montag. "Thomas Manns frühe Erzählungen". Gut, dass ich davon nicht berichten muss.

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