Wenn jeder einzelne Münchner täglich zu Prostituierten ginge, würde vermutlich ziemlich viel darüber gesprochen werden. Alice Schwarzer würde etwas von „erschreckenden Zahlen“ und „Sklaverei“ erzählen, zehn Feuilletonisten würden eine Gegenrede schreiben und am Ende fühlten sich alle irgendwie missverstanden.
Faktisch ist es tatsächlich so, dass ganz München jeden Tag zu Prostituierten geht - zahlenmäßig zumindest. 1,3 Millionen Männer, so viele wie München Einwohner hat, nehmen jeden Tag in Deutschland sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Das hat das Bundesfamilienministerium vor einigen Jahren geschätzt. Eine Playboy-Studie behauptet wiederum, jeder zehnte Mann in Deutschland sei schon mindestens einmal in einem Bordell aktiv gewesen.
Wenn ich also meinen männlichen Freundeskreis durchzähle, kann ich, rein statistisch, davon ausgehen, dass mehrere von euch schon einmal Sex mit einer Prostituierten hatten. Mache ich dann den empirischen Test und frage nach, will das allerdings nie einer zugeben. Wenn überhaupt, höre ich Ausflüchte, dass ihr da jemanden kennt, der mal total betrunken, aber das war so ein uncooler Freund aus Jugendzeiten, der jetzt eh nie einen Schlag bei Frauen... und so weiter.
Gerade wenn Mädchen dabei sind, wird die Debatte um Prostitution oft emotional. Wir fragen uns: Wollen oder müssen die Prostituierten das tun? Haben sie Spaß am Sex oder zwingt sie ein erbärmlicher Zuhälter? Dabei ist unsere Position häufig auch scheinheilig: Frauen, die sich aus freien Stücken prostituieren, damit vielleicht sogar einen eigenen Betrieb aufgebaut haben, finden wir okay. In dem Moment, in dem unser Partner ihre Dienste in Anspruch nimmt oder früher mal genommen hat, finden wir es allerdings überhaupt nicht mehr in Ordnung. Ein Mann, der sich offen dazu bekennt, ins Bordell zu gehen, hat bei den wenigsten Frauen ein gutes Standing.
Was ich mich nun in Anbetracht dieser für euch ja doch erdrückenden Beweislast frage: Wie redet ihr über käuflichen Sex, wenn wir Mädchen den Raum verlassen haben? Sprecht ihr dann offen darüber, wer von euch schon mal im Bordell war? Oder seid ihr bei diesem Thema genau so scheinheilig wie wir – Prostitution ist nur in Ordnung, so lange sie andere betrifft? Bringt da bitte mal mehr Licht ins Rotlicht.
Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von lucas-grunewald.
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Vor einer Weile in einem VW-Bus, irgendwo auf der Autobahn an der deutsch-französischen Grenze. Sechs Jungs, sechs eilig gepackte Reisetaschen, sechsmal Nudeln und Tomatendosen für eine Woche Campingurlaub.
Einer so (laut): „Boah, in 30 Kilometern sind wir in Dings, da ist direkt an der Autobahnausfahrt die Bunny Ranch!“
Alle so (lachend): „Haha, Bunny Ranch, was’n das?“
Der eine (grinsend): „Ein riesiger Bauernhof - nur mit nackten Frauen statt Kühen!“
Alle (aufgewiegelt): „Haha, da müssen wir unbedingt stoppen, haha!“
Der eine (etwas zu laut): „Ja, das ist super! Kostet 150 pro Kopf. Für zwei Stunden.“
Alle (reservierter): „Oh, äh, das ist ja ein guter Preis. Oder?“
Der eine (ehrlich begeistert): „Ja, voll okay! Ich bin da letztes Jahr auf dem Weg in den Urlaub rein – das Beste, ich sags euch. Und ein Dreier kostet keinen Aufpreis!“
Kurze Stille.
Alle (beklommen): „Ähä, ist ja echt verrückt... Und, äh, dieser Name: Bunny Ranch! Hehe!“
So ist das mit uns und dem käuflichen Sex. Alle machen Witze drüber – aber sobald jemand ernsthaft sagt, dass er drauf steht, frieren uns die Mundwinkel ein. Wir laufen durch die Herbertstraße in Hamburg oder das „Rosse Buurt“ von Amsterdam, wir glotzen in die Schaufenster, lachen, wenn die Mädchen uns zuwinken, und zupfen uns unauffällig im Schritt. Dann gehen wir irgendwo auf ein Bier. Kaum jemand würde sich trauen, vor den anderen sein Bargeld zu zählen und zu einer der Frauen ins Schaufenster zu steigen.
Dabei wär doch nichts dran! Wir könnten dem Kumpel im VW-Bus auf die Schulter klopfen, weil er die Bunny Ranch betreten hat. Weil er ausprobiert hat, was uns, wenn wir ehrlich sind, alle neugierig macht. Tun wir aber nicht, und zwar grundsätzlich nicht.
Es ist verlogen. Und auch nach längerem Nachdenken mag mir kaum ein Sachverhalt einfallen, mit dem es sich ähnlich verhielte. Vielleicht mit Analsex oder Sadomaso: Darüber witzelt auch jeder gern. Aber kaum jemand erklärt öffentlich, wenn er’s wirklich toll findet.
Warum diese Verklemmtheit? Im Fall der Prostitution glaube ich: weil käuflicher Sex ein unwiderlegbarer Beweis für Verzweiflung ist. Für Einsamkeit. Für schreckliche Geilheit, die darin mündet, dass man eine Dienstleistung in Anspruch nimmt, um seiner Triebe Herr zu werden. In einer Jungsgruppe lässig vor dem Puff vorbeizulaufen, ist leicht. Aber lässig aus einem Puff herauszukommen, mit verschwitzten Schläfen und zerrupftem Hemd, ist unmöglich. Es ist das Gegenteil von Souveränität.
In den moralischen Debatten, die wir öffentlich (und mit euch Mädchen) führen, geht es ja fast immer nur um die Frauen. Um deren Ausbeutung oder Berufsfreiheit oder Würde. Fast nie geht es um die Seite der Männer. Und die ist im Grunde eine tieftraurige. Bei allem Gejohle und Brusttrommeln, das wir veranstalten, wenn das Thema aufkommt, wissen wir: Jungs, die tatsächlich körperliche Nähe einkaufen müssen, sind Verlierer. Und zwar die echten Verlierer. Michel Houellebecq hat zu dem Thema ein Buch geschrieben: „Die Ausweitung der Kampfzone“ ist eine großangelegte Beweisführung, dass Sexualität im Grunde knallharter Kapitalismus ist. Mit Gewinnern auf der einen Seite, die Kapital bzw. ein abwechslungsreiches Sexleben haben – und Verlierern, denen für die Triebabfuhr nur Masturbation und der Puff bleiben.
An der Stelle verkantet sich dann übrigens auch mein Vergleich mit Analsex oder Sadomaso: Denn da hindert uns wirklich nur unsere Unsicherheit daran, locker und ernst drüber zu reden. Bei Prostitution ist es mehr als nur Verklemmtheit. Es ist der Zwiespalt zwischen Faszination, deren Unterdrückung und dem Wissen: Das ist jetzt eigentlich echt, echt schlimm. Obwohl dieser Name, Bunny Ranch - haha!
lucas-grunewald