Wir schieben die nasse Zirkusplane zur Seite und linsen durch die Lücke: Esel traben durch die Manege. Ein streng aussehender Mann in Uniform kommt aus dem Zelt: “Ihr seid zu spät! Jetzt ist Vorstellung. Also hinsetzen, wir reden nachher.“ Das muss der Zirkusdirektor Georg Frank sein. Wir betreten das Zelt und setzen uns möglichst unauffällig auf eine der vielen Bänke. Ganz schön leer.
Hannes, den wir letzte Woche bei unserer Höhlenübernachtung in der Fränkischen Schweiz getroffen haben, sagte uns, dass wir doch mal versuchen sollen, in einem Zirkus zu schlafen. Denn ein Zirkus ist ein magischer Ort – aber wie viel von der Magie bleibt übrig, wenn die Show vorbei ist? Was passiert, wenn die Bühne frei und der Tag vorbei ist?
Wir sind beim Zirkus Henry, der gerade in Sonneberg in Thüringen gastiert. „202 Jahre Familientradition. Einer der ältesten Zirkusfamilien in Europa!“ verkündet der Ansager im roten Frack. Die Sterne, das Licht, das Zelt, der Trommelwirbel, die Show. Auf der Bühne verbiegt sich jetzt „das achtjährige Schlangenmädchen Alicia“ (Ansager) auf einem Tisch. Ihr Zahnarztlächeln strahlt das Publikum an. Profikind. Wann waren wir das letzte Mal im Zirkus? Vermutlich als wir so alt waren wie Alicia, die gerade ihren Kopf zwischen die Füße steckt. Pling, pling das Lächeln. Applaus, Applaus das Publikum.
[plugin bildergalerielight Bild1="Die Manege im Zirkus Henry" Bild2="Lisa und Steffi als Zirkusbesucherinnen" Bild3="Alicia, das Schlangenmädchen" Bild4="Alicia" Bild5="Zirkusdirektor Frank und sein Team" Bild6="Esel als Stars" Bild7="Lisa und Steffi im Gespräch mit Direktor Frank" Bild8="Ziegen gibt's auch" Bild9="Der Schlafplatz - ein Kamel-Truck" Bild10="Das Zirkuszelt" Bild11="Zirkusdirektor Frank..." Bild12="...in seiner Manege"]
Als die Vorstellung vorbei ist, verschwindet Georg Frank kurz hinter der Bühne, um sich vom Zirkusdirektor in einen Menschen mit Polohemd und Jeans zu verwandeln. Er summt vor sich hin, als er uns den Weg durch die Seile zeigt, mit denen das Zirkuszelt am Boden festgemacht ist. „Euer Schlafplatz“, sagt er und zeigt auf das rote Führerhaus eines LKW. „Ist eng hier Mädels, aber das ist der einzige Platz, den wir euch anbieten können.“ Er und die anderen 21 Mitglieder der Zirkusfamilie schlafen in Wohnwägen. Die Pritsche hinter dem Fahrersitz ist gerade mal 60 Zentimeter breit. Wir schlafen nicht alleine im LKW, sondern mit zehn Kamelen, die nur durch eine LKW-Wand von uns getrennt sind. Der Zirkusdirektor warnt uns vor unseren neuen Nachbarn: „Kann sein, dass es heute Nacht ein bisschen ruckelt - die besteigen sich manchmal gegenseitig.“
Wir laufen eine Runde über das Zirkusgelände. Hunde, Ziegen, Pferde - und mittendrin der 23-jährige Robin, eines der neun Kinder von Zirkusdirektor Frank. Die Älteren haben teilweise schon eigene Zirkusse gegründet. Robin guckt uns an und spuckt sich in die Hände: „Hey ihr zwei, mich habt ihr leider in der Vorstellung verpasst.“ Vor einer Stunde war Robin nämlich noch Clown Beppo. Sein Aftershowprogramm: mit der Mistgabel Heu herumschieben, Tiere eintreiben und nebenbei die neugierigen Gäste bespaßen, die nach der Vorstellung noch auf dem Gelände herumstreunen. Robin sagt, er war mit zwei Jahren das erste Mal in der Manege. „Und ich komme auch so schnell nicht davon los.“
Jedes der Frank-Kinder sucht sich seine Disziplin selbst aus. Auch Schlangenmädchen Alicia, die Enkelin vom Zirkusdirektor. „Ihr macht das Spaß“, sagt Zirkusdirektor Frank. Fast alle Familienmitglieder bleiben beim Zirkus oder heiraten in andere Zirkusfamilien ein. Zirkusmitarbeit ist kein Job, sondern ein Leben. Frank sagt außerdem: „Beziehungen zwischen Zirkus- und Privatleuten funktionieren nicht.“ Privatleute sind für ihn alle Nicht-Zirkusmenschen. Die wollen nicht ständig herumreisen. Und die Zirkusleute können nicht an einem Ort bleiben. „Aber wenn einer von euch was mit meinem Sohn Robin anfangen will, könnt ihr das trotzdem gerne tun! Muss ja nicht für länger sein.“ Wir lehnen höflich ab.
Frank setzt sich mit uns in die leere Manege. „Robin, Licht an!“ Der Zirkusdirektor sieht müde aus. Die Funkel-Glitzer-Zaubershow ist vorbei. Es ist düster und leer. Wenn Zirkusdirektor Frank nicht seine große Familie hätte, würde dieser Zirkus nicht funktionieren. Seine Kinder arbeiten auch dann hier, wenn mal kein Geld reinkommt. Im Moment ist das Zirkusleben besonders hart. Hier in Sonneberg sind in diesem Jahr schon zwei Zirkusse gewesen. Schlecht fürs Geschäft. Genauso wie Tierschützer, schlechtes Wetter und das Internet. Kinder kriegen heute ein Smartphone statt einer Zirkuseintrittskarte in die Hand gedrückt. „Und die Behörden sind bei Zirkusleuten viel strenger geworden.“ Elefanten und Bären hat der Zirkus Henry deshalb längst nicht mehr. „Aber ist es nicht gut, dass besser darauf geachtet wird, wie es den Tieren geht?“ fragen wir. Ja, klar, es gebe schwarze Schafe. Deshalb sei es schon irgendwie gut, wenn streng kontrolliert werde. „Aber zum Beispiel die Tierschützer, die gerade Unterschriften sammeln für ein Wildtierverbot in Zirkussen, die sind anstrengend und haben keine Ahnung.“ Frank ist der Überzeugung, dass er seine Zirkustiere besser behandelt als andere Leute ihre Haustiere. Er verschwindet in seinen Wohnwagen. Morgen um sechs Uhr geht die Arbeit weiter.
Wir krabbeln in unseren Truck und breiten möglichst platzsparend unsere Schlafsäcke aus: Wir schlafen Kopf an Fuß. Es ist eng. Wir fühlen uns wie zwei Sardinen neben zehn Kamelen. Immer mal wieder ruckelt es nachts, der Kamel-Sex hindert uns erst am Schlafen, aber irgendwann gewöhnen wir uns daran. Lisa träumt von einer Überfahrt mit dem Schiff und Steffi von einem Wal, in dessen Kopf sie sitzt und in dessen Bauch die Kamele Rabatz machen.
Wir wachen auf, als unsere Kurzzeitnachbarn aus dem LKW-Bauch getrieben werden. Es hat aufgehört zu regnen, die Tiere sollen auf die Koppel. Aber sie wollen noch nicht so richtig. Robin klingt wütend: „Es reicht jetzt, ihr kommt jetzt mit! Und hört auf, mich anzuspucken!“ Morgenmuffel-Kamele. Eindeutig.
Wo und was sollen die Crowdspondent-Reporterinnen in den nächsten Wochen recherchieren? An welchen ungewöhnlichen Orten könnten und sollten sie dabei übernachten? Schickt sie schlafen! Hier in den Kommentaren oder per jetzt-Botschaft, oder per Facebook, Twitter oder crowdspondent.de.
Hannes, den wir letzte Woche bei unserer Höhlenübernachtung in der Fränkischen Schweiz getroffen haben, sagte uns, dass wir doch mal versuchen sollen, in einem Zirkus zu schlafen. Denn ein Zirkus ist ein magischer Ort – aber wie viel von der Magie bleibt übrig, wenn die Show vorbei ist? Was passiert, wenn die Bühne frei und der Tag vorbei ist?
Wir sind beim Zirkus Henry, der gerade in Sonneberg in Thüringen gastiert. „202 Jahre Familientradition. Einer der ältesten Zirkusfamilien in Europa!“ verkündet der Ansager im roten Frack. Die Sterne, das Licht, das Zelt, der Trommelwirbel, die Show. Auf der Bühne verbiegt sich jetzt „das achtjährige Schlangenmädchen Alicia“ (Ansager) auf einem Tisch. Ihr Zahnarztlächeln strahlt das Publikum an. Profikind. Wann waren wir das letzte Mal im Zirkus? Vermutlich als wir so alt waren wie Alicia, die gerade ihren Kopf zwischen die Füße steckt. Pling, pling das Lächeln. Applaus, Applaus das Publikum.
[plugin bildergalerielight Bild1="Die Manege im Zirkus Henry" Bild2="Lisa und Steffi als Zirkusbesucherinnen" Bild3="Alicia, das Schlangenmädchen" Bild4="Alicia" Bild5="Zirkusdirektor Frank und sein Team" Bild6="Esel als Stars" Bild7="Lisa und Steffi im Gespräch mit Direktor Frank" Bild8="Ziegen gibt's auch" Bild9="Der Schlafplatz - ein Kamel-Truck" Bild10="Das Zirkuszelt" Bild11="Zirkusdirektor Frank..." Bild12="...in seiner Manege"]
Als die Vorstellung vorbei ist, verschwindet Georg Frank kurz hinter der Bühne, um sich vom Zirkusdirektor in einen Menschen mit Polohemd und Jeans zu verwandeln. Er summt vor sich hin, als er uns den Weg durch die Seile zeigt, mit denen das Zirkuszelt am Boden festgemacht ist. „Euer Schlafplatz“, sagt er und zeigt auf das rote Führerhaus eines LKW. „Ist eng hier Mädels, aber das ist der einzige Platz, den wir euch anbieten können.“ Er und die anderen 21 Mitglieder der Zirkusfamilie schlafen in Wohnwägen. Die Pritsche hinter dem Fahrersitz ist gerade mal 60 Zentimeter breit. Wir schlafen nicht alleine im LKW, sondern mit zehn Kamelen, die nur durch eine LKW-Wand von uns getrennt sind. Der Zirkusdirektor warnt uns vor unseren neuen Nachbarn: „Kann sein, dass es heute Nacht ein bisschen ruckelt - die besteigen sich manchmal gegenseitig.“
Wir laufen eine Runde über das Zirkusgelände. Hunde, Ziegen, Pferde - und mittendrin der 23-jährige Robin, eines der neun Kinder von Zirkusdirektor Frank. Die Älteren haben teilweise schon eigene Zirkusse gegründet. Robin guckt uns an und spuckt sich in die Hände: „Hey ihr zwei, mich habt ihr leider in der Vorstellung verpasst.“ Vor einer Stunde war Robin nämlich noch Clown Beppo. Sein Aftershowprogramm: mit der Mistgabel Heu herumschieben, Tiere eintreiben und nebenbei die neugierigen Gäste bespaßen, die nach der Vorstellung noch auf dem Gelände herumstreunen. Robin sagt, er war mit zwei Jahren das erste Mal in der Manege. „Und ich komme auch so schnell nicht davon los.“
Jedes der Frank-Kinder sucht sich seine Disziplin selbst aus. Auch Schlangenmädchen Alicia, die Enkelin vom Zirkusdirektor. „Ihr macht das Spaß“, sagt Zirkusdirektor Frank. Fast alle Familienmitglieder bleiben beim Zirkus oder heiraten in andere Zirkusfamilien ein. Zirkusmitarbeit ist kein Job, sondern ein Leben. Frank sagt außerdem: „Beziehungen zwischen Zirkus- und Privatleuten funktionieren nicht.“ Privatleute sind für ihn alle Nicht-Zirkusmenschen. Die wollen nicht ständig herumreisen. Und die Zirkusleute können nicht an einem Ort bleiben. „Aber wenn einer von euch was mit meinem Sohn Robin anfangen will, könnt ihr das trotzdem gerne tun! Muss ja nicht für länger sein.“ Wir lehnen höflich ab.
Frank setzt sich mit uns in die leere Manege. „Robin, Licht an!“ Der Zirkusdirektor sieht müde aus. Die Funkel-Glitzer-Zaubershow ist vorbei. Es ist düster und leer. Wenn Zirkusdirektor Frank nicht seine große Familie hätte, würde dieser Zirkus nicht funktionieren. Seine Kinder arbeiten auch dann hier, wenn mal kein Geld reinkommt. Im Moment ist das Zirkusleben besonders hart. Hier in Sonneberg sind in diesem Jahr schon zwei Zirkusse gewesen. Schlecht fürs Geschäft. Genauso wie Tierschützer, schlechtes Wetter und das Internet. Kinder kriegen heute ein Smartphone statt einer Zirkuseintrittskarte in die Hand gedrückt. „Und die Behörden sind bei Zirkusleuten viel strenger geworden.“ Elefanten und Bären hat der Zirkus Henry deshalb längst nicht mehr. „Aber ist es nicht gut, dass besser darauf geachtet wird, wie es den Tieren geht?“ fragen wir. Ja, klar, es gebe schwarze Schafe. Deshalb sei es schon irgendwie gut, wenn streng kontrolliert werde. „Aber zum Beispiel die Tierschützer, die gerade Unterschriften sammeln für ein Wildtierverbot in Zirkussen, die sind anstrengend und haben keine Ahnung.“ Frank ist der Überzeugung, dass er seine Zirkustiere besser behandelt als andere Leute ihre Haustiere. Er verschwindet in seinen Wohnwagen. Morgen um sechs Uhr geht die Arbeit weiter.
Wir krabbeln in unseren Truck und breiten möglichst platzsparend unsere Schlafsäcke aus: Wir schlafen Kopf an Fuß. Es ist eng. Wir fühlen uns wie zwei Sardinen neben zehn Kamelen. Immer mal wieder ruckelt es nachts, der Kamel-Sex hindert uns erst am Schlafen, aber irgendwann gewöhnen wir uns daran. Lisa träumt von einer Überfahrt mit dem Schiff und Steffi von einem Wal, in dessen Kopf sie sitzt und in dessen Bauch die Kamele Rabatz machen.
Wir wachen auf, als unsere Kurzzeitnachbarn aus dem LKW-Bauch getrieben werden. Es hat aufgehört zu regnen, die Tiere sollen auf die Koppel. Aber sie wollen noch nicht so richtig. Robin klingt wütend: „Es reicht jetzt, ihr kommt jetzt mit! Und hört auf, mich anzuspucken!“ Morgenmuffel-Kamele. Eindeutig.
Wo und was sollen die Crowdspondent-Reporterinnen in den nächsten Wochen recherchieren? An welchen ungewöhnlichen Orten könnten und sollten sie dabei übernachten? Schickt sie schlafen! Hier in den Kommentaren oder per jetzt-Botschaft, oder per Facebook, Twitter oder crowdspondent.de.