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Wenn Ingenieure träumen

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Nebelig ist es; im Zwielicht der Morgendämmerung sind die weichgezeichneten Umrisse von Schlafenden hinter Moskitonetzen zu sehen. Das sind nicht die harten Konturen der Eindeutigkeit – auch Jiro, unser Held, kann seine unmittelbare Umgebung nur verschwommen sehen und trägt deshalb eine dicke Brille. Nur die Sterne kann er gut erkennen. Jiro ist ein Träumer, ein Visionär, dessen Scharfsichtigkeit für die Ferne im quälenden Kontrast zur Fehlsichtigkeit in der Nähe steht.



Digitale Umsetzung eines Kampfflugzeuges - eine von vielen Herausforderungen bei der Gestaltung eines Trickfilms

Diese Diskrepanz ist ein zentrales Motiv dieses grausam schönen Trickfilms, der der letzte sein soll des japanische Anime-Meisters Hayao Miyazaki. Der hatte angekündigt, danach in den Ruhestand zu treten, schlägt mit „Wie der Wind sich hebt“ aber noch einmal ein neues Kapitel seines Schaffens auf. Miyazaki ist berühmt als Schöpfer phantastischer Welten. Er zeichnet atemberaubende Trickfilme, darunter „Das Schloss im Himmel“, 1986, „Prinzessin Mononoke“, 1997, oder „Das wandelnde Schloss“, 2004. Für seine Alice-im-Wunderland-Variation „Chihiros Reise ins Zauberland“, 2001, bekam er den Oscar.

Flussgötter, Hexen, Waldwesen oder sprechende Goldfische sind sein Metier. In „Wie der Wind sich hebt“ orientiert er sich nun erstmals an einer wahren Geschichte – der Biografie des Luftfahrtingenieurs Jiro Horikoshi. Für Mitsubishi entwarf Horikoshi im Zweiten Weltkrieg das Zero-Flugzeug, das damals beste Jagdflugzeug der Welt: eine kleine, schnelle, wendige Maschine, die für Kamikaze-Einsätze verwendet wurde, auch der Angriff auf Pearl Harbor 1941, dem Geburtsjahr Miyazakis, wurde damit geflogen. Will man diesen Baumeister von Kriegsmaschinen als Held eines Zeichentrickfilms sehen?

Das Zwielicht, in das Miyazaki seinen Filmanfang taucht, das womöglich die politischen Orientierungsschwierigkeiten seines Helden vorwegnimmt, verschwindet urplötzlich, als Jiro vom Giebel seines Elternhauses aus in die Luft geht. Als sein Gleiter, ein Flugzeugrumpf mit Vogelschwingen, abhebt, fällt Sonne auf die Erde und die Bilder strahlen in sommerlichen Farben. Ein anderes Japan ist da zu sehen, bäuerlich, unschuldiger vielleicht als das moderne Japan. „Ich möchte Japans grünende Landschaften von der Taisho-Ära bis zur Showa Ära in äußerster Schönheit darstellen“, hat Miyazaki den Look seines Films kommentiert – und es gelingt ihm, hier im Traum eines Jungen, der später Luftfahrtingenieur werden wird. Der Traum endet mit einem Absturz.

Die Bilder, die Miyazaki entwirft, sind wunderbar, mitreißend, sinnlich, mit kühnen Perspektiven und leuchtenden, „italienischen“ Farben. Denn Jiro begegnet im Traum auch dem italienischen Luftfahrtpionier Gianni Caproni, mit dem er luzide über das Fliegen und Träumen spricht, beide kosten das Freiheitsgefühl voll aus, wenn sie während des Fluges über eine Tragfläche spazieren, ihre Umwelt – im Traum – nach Augenblickseingebungen gestalten. Caproni wird Jiros Vorbild. Er erklärt dem Jungen auch, dass der Traum vom Fliegen ein vergifteter Traum sei, weil Flugzeuge nicht ihrer Schönheit wegen gebaut werden, sondern als Kriegsmaschinen oder um Geld zu verdienen. Kommerz und Krieg – sind auch die Einsatzgebiete des Films. Aber, wie Caproni provozierend fragt: Was willst du – eine Welt mit Pyramiden oder ohne?

„Wie der Wind sich hebt“ ist vielleicht Miyazakis persönlichster Film; am Ende ist auch der Filmemacher und ganz besonders der Trickfilmer eine Art Traum-Ingenieur. Miyazakis Begeisterung für das Zusammenspiel von Natur und Technik konnte man auch in seinen früheren Filmen schon sehen, ebenso seine Leidenschaft für das Element Luft – wie oft ließ er seine Figuren fliegen oder schweben! In „Wie der Wind sich hebt“ kostet er das Spiel mit dem Wind noch einmal voll aus. Der Wind bläst Hüte weg, pustet durch Blätter oder eine Wiese. Und er trägt ein Papierflugzeug zu einem Mädchen – ausgerechnet dieser Liebesbote wird zum Vorbild für die tödliche Jagdmaschine, an der Jiro mit fast krankhafter Besessenheit tüftelt.

Jiro ist ein unpolitischer Held mit altmodischen Tugenden. Ein Vertreter des alten Japan vielleicht – Miyazaki platziert ins Zentrum seines Films eine „Zauberberg“-Sequenz, mit Jiros tuberkulosekranker Geliebten und einem Brunnenkresse mümmelnden Europäer, eine Karikatur, der er den Namen Hans Castorp gegeben hat. „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder“, singt Castorp den Lilian-Harvey-/Zarah-Leander-Hit. Es ist Krieg, aber hier wird fein Urlaub gemacht, in einer allerdings äußerst ungesunden, dekadenten Atmosphäre.

Jiros Firma schickt ihn nach Nazi-Deutschland, zu Studienzwecken, wo er die deutsche Ingenieurskunst bewundert. Und auch für die politischen Gegebenheiten in Japan, die Instrumentalisierung durch seine Firma oder das Bespitzeltwerden durch die Geheimpolizei interessiert sich Jiro nur am Rande. Er ist ein unpolitischer Held, der für die Dinge auf dem Boden fast blind ist – ein unpolitischer Film, wie Miyazaki vorgeworfen wurde, ist „Wie der Wind sich hebt“ aber nicht.

In Japan war er ein Kassenerfolg, wurde aber von links wie rechts auch kritisiert. Dass er dem Ingenieur von Kriegsmaschinen mit viel Sympathie begegnet, sich zum Teil wohl auch mit ihm identifiziert, dürfte ihm die eine Seite übel genommen haben – dass Miyazaki erklärter Kriegsgegner ist und man das dem Film auch ansieht, die andere.

Düster und beängstigend sind die realistischen Szenen. Das große Kanto-Erdbeben, das 1923 Tokio und Yokohama zerstörte, ist aus Jiros Perspektive zu erleben – in tsunamigleichen Wellen bebt die Erde. Anschließend rollt Feuer ebenfalls in Wellen über die Stadt. Miyazaki hat mehrere Jahre an seinem Film gearbeitet, in der Zwischenzeit das Erdbeben und den Tsunami von 2011 erlebt mit der darauf folgenden Reaktorkatastrophe von Fukushima. Das dürfte seinen Bildern entfesselter Naturgewalt ihre Eindringlichkeit gegeben haben und einen mahnenden Furor.

Miyazaki hat angekündigt, dass „Wie der Wind sich hebt“ sein letzter Film sein wird, er sich damit in den Ruhestand verabschiedet. Caproni, der Flugpionier, scheint diesen Schritt im Film vorwegzunehmen. Der Krieg ist da gerade vorbei, das Land auch dank der Flugzeuge Jiros völlig zerstört. Für Caproni, den Ästheten, Genießer und Grandseigneur, ist das aber kein Grund, von seinem Stil Abstand zu nehmen und gewöhnlich zu werden. „Möchtest du mich nicht mal besuchen?“, fragt er Jiro, „ich habe einen guten Wein.“ Das kann unmöglich das letzte Wort des großen Filmemachers Hayao Miyazaki sein.

Kaze tachinu, Japan 2013 – Regie, Buch: Hayao Miyazaki. Künstlerische Leitung: Yoji Takeshige. Hauptanimation: Kitaro Kosaka. Animationskontrolle: Hitomi Tateno. Farbdesign: Michiyo Yasuda. Regie CGI: Atsushi Okui. Schnitt: Takeshi Seyama. Musik: Joe Hisaishi. Universum, 126Minuten.

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