Weil höhere Mathematik vielen Studenten zu hoch ist, floriert die private Nachhilfe. Zum Beispiel in Dresden
Der Dozent beginnt seine Stunde mit der Absage einer anderen. Nächste Woche, sagt Sebastian Bauer, müsse ein Termin leider ausfallen, und wäre dies ein gewöhnliches Seminar, die Studenten würden nun auf irgendeine Weise und in jedem Fall ironisch ihr Bedauern ausdrücken. Stattdessen: "Aber wie sollen wir denn dann die Klausur schaffen?", fragt Katharina. "Es gibt ein Leben neben der Nachhilfe", sagt Bauer. "Aber nicht so kurz vor der Klausur!", sagt wiederum Katharina. Die Gruppe, sechs Frauen und ein Mann, versucht so hartnäckig wie erfolglos, Bauer umzustimmen.
Zwei Semester dauerte die Statistik-Vorlesung der angehenden Wirtschaftswissenschaftler der TU Dresden, an diesem Donnerstag steht die große Abschlussprüfung an. In der vorletzten Übung mit Sebastian Bauer, Doktor der Mathematik, geht es nach dem Termin-Gequengel entsprechend schnell zur Sache, nämlich um "bedingte Wahrscheinlichkeiten". Gegenstand der ersten Aufgabe ist ein anfälliger Sender, der Nullen und Einsen nur mit begrenzter Zuverlässigkeit ausbringt. Die Studenten sollen die Wahrscheinlichkeit berechnen, eine Eins zu empfangen, obwohl eine Null gesendet wurde. Darum also geht es in dieser Aufgabe auf Seite 134 des Skripts - und darum geht es hier, bei der privaten Nachhilfe Vlax in Dresden, auch im Großen und Ganzen: Studenten mit mindestens mittelgroßen Schwierigkeiten zu befähigen, eine gute Note in der Klausur zu empfangen.
Zu schwer? Immer mehr Studenten nehmen Nachhilfe, unter anderem in Mathematik.
Zwar bietet Vlax auch Nachhilfe für Schüler an, das Angebot richtet sich aber im Wesentlichen an Studenten. Für erstere gehört Nachhilfeunterricht längst zur Normalität. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung schätzt den Markt auf 1,1 Millionen Schüler pro Jahr, deren Eltern geben dafür zwischen einer und eineinhalb Milliarden Euro aus. Der Markt für Studenten wurde noch nicht vermessen, sicher ist nur, dass er zügig wächst. Waren bislang vor allem Repetitorien für Juristen üblich, fragen nun immer mehr Studenten Nachhilfe in beispielsweise Mathematik nach. Die Universitäten haben auf diese Nachfrage zwar mit eigenen Angeboten reagiert, auch klassische Nachhilfeschulen erweitern ihr Angebot auf Studenten. Allein für Mathe gibt es spezielle Angebote zum Beispiel in Göttingen und Wuppertal, in Dortmund und Berlin. Dem gegenüber steht ein riesiger Bedarf, das zeigen schon die vielen Abbrüche etwa in den Ingenieurwissenschaften. Dort liegen die Studienabbruchquoten für Bachelorstudierende zwischen 30 Prozent an Fachhochschulen und 48 Prozent an Universitäten - alles potenzielle Kundschaft, zum Beispiel für Jana Veckenstedt.
Vor acht Jahren hat die Diplom-Mathematikerin Vlax gegründet, im ersten Monat machte sie einen Umsatz von gerade mal 500 Euro. "Es gab keinen Businessplan oder sonst etwas von dem, das man da berücksichtigen sollte", sagt Veckenstedt. Geklappt hat es trotzdem. Derzeit geben
20 Dozenten insgesamt 35 Kurse, 400 Studenten nehmen pro Semester das Angebot von Vlax wahr, zu Preisen zwischen zehn und 40 Euro pro 90 Minuten, je nach Gruppenstärke. Die allermeisten in zwei angemieteten Räumen in der Nähe des Campus, ein paar wenige online im Einzelunterricht via Skype.
Veckenstedt organisiert die Nachhilfe als Freiberuflerin, vorher arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden. Wäre sie dort geblieben, "hätte ich eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen müssen, mit diesem Veröffentlichungswahn. Das wollte ich nicht. Ich wollte unterrichten, das war meine Ambition."
Nachhilfe gebe es zwar wie Sand am Meer, aber das sei oft reine Vermittlungssache. Die Anbieter brächten Studenten und Dozenten zusammen und kassierten dafür ab. Auf der Webseite von Vlax gibt es zwar auch eine Börse, allerdings nur eine für Studenten, die sich dort in Gruppen für bestimmte Fächer zusammenfinden können, um den Preis für den Einzelnen zu reduzieren - und um für das Institut eine bessere Quote pro Dozent zu erreichen.
Bleiben zwei Fragen. Warum schließen die Studenten sich nicht gleich selbst und an einem kostenpflichtigen Anbieter wie Vlax vorbei zu Lerngruppen zusammen? "In so einer Gruppe hat ja schlimmstenfalls gar keiner einen Plan, da gibt es dann null Synergieeffekte", sagt Benjamin, Wirtschaftsstudent im vierten Semester. Und warum wird aller Klärungsbedarf nicht über die regulären Tutorien und Übungen abgefangen, welche an der Uni zu den meisten Vorlesungen begleitend angeboten werden? Katharina sagt: "In den Mathe-Tutorien wurde uns gesagt, wir müssten die Aufgaben vorher zu Hause durchrechnen und wer dann noch Fragen habe, der könne ja ins Tutorium kommen." Das aber sei keine große Hilfe, wenn man ratlos über einer Aufgabe sitze und nur die Kurzlösung zur Hand habe. "Da steht dann x = 3, aber warum x = 3 ist, das steht da eben nicht", sagt Katharina. "Hier", sagt Jana Veckenstedt, "ist es genau umgekehrt. Hier kommt man rein, hat bei manchen Aufgaben keine Ahnung, und arbeitet dann zu Hause nach."
Veckenstedt sieht die Ursache für den großen Bedarf an Nachhilfe in Mathematik oder Physik, in Stochastik und Statistik, Strömungslehre oder E-Technik eher nicht an den Universitäten. Nicht die Dozenten dort seien das Problem; wenn man überhaupt jemandem den Schwarzen Peter zuschieben wolle, dann den Schulen. Aber das will Veckenstedt natürlich nicht, auch wenn sie selbst ein wenig unter der Prüfungszeit leidet. Wegen der großen Nachfrage verlängern sich in dieser Zeit auch ihre Arbeitstage - auf zuletzt 16 Stunden. Gleichwohl: lukrative 16 Stunden.
Der Dozent beginnt seine Stunde mit der Absage einer anderen. Nächste Woche, sagt Sebastian Bauer, müsse ein Termin leider ausfallen, und wäre dies ein gewöhnliches Seminar, die Studenten würden nun auf irgendeine Weise und in jedem Fall ironisch ihr Bedauern ausdrücken. Stattdessen: "Aber wie sollen wir denn dann die Klausur schaffen?", fragt Katharina. "Es gibt ein Leben neben der Nachhilfe", sagt Bauer. "Aber nicht so kurz vor der Klausur!", sagt wiederum Katharina. Die Gruppe, sechs Frauen und ein Mann, versucht so hartnäckig wie erfolglos, Bauer umzustimmen.
Zwei Semester dauerte die Statistik-Vorlesung der angehenden Wirtschaftswissenschaftler der TU Dresden, an diesem Donnerstag steht die große Abschlussprüfung an. In der vorletzten Übung mit Sebastian Bauer, Doktor der Mathematik, geht es nach dem Termin-Gequengel entsprechend schnell zur Sache, nämlich um "bedingte Wahrscheinlichkeiten". Gegenstand der ersten Aufgabe ist ein anfälliger Sender, der Nullen und Einsen nur mit begrenzter Zuverlässigkeit ausbringt. Die Studenten sollen die Wahrscheinlichkeit berechnen, eine Eins zu empfangen, obwohl eine Null gesendet wurde. Darum also geht es in dieser Aufgabe auf Seite 134 des Skripts - und darum geht es hier, bei der privaten Nachhilfe Vlax in Dresden, auch im Großen und Ganzen: Studenten mit mindestens mittelgroßen Schwierigkeiten zu befähigen, eine gute Note in der Klausur zu empfangen.
Zu schwer? Immer mehr Studenten nehmen Nachhilfe, unter anderem in Mathematik.
Zwar bietet Vlax auch Nachhilfe für Schüler an, das Angebot richtet sich aber im Wesentlichen an Studenten. Für erstere gehört Nachhilfeunterricht längst zur Normalität. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung schätzt den Markt auf 1,1 Millionen Schüler pro Jahr, deren Eltern geben dafür zwischen einer und eineinhalb Milliarden Euro aus. Der Markt für Studenten wurde noch nicht vermessen, sicher ist nur, dass er zügig wächst. Waren bislang vor allem Repetitorien für Juristen üblich, fragen nun immer mehr Studenten Nachhilfe in beispielsweise Mathematik nach. Die Universitäten haben auf diese Nachfrage zwar mit eigenen Angeboten reagiert, auch klassische Nachhilfeschulen erweitern ihr Angebot auf Studenten. Allein für Mathe gibt es spezielle Angebote zum Beispiel in Göttingen und Wuppertal, in Dortmund und Berlin. Dem gegenüber steht ein riesiger Bedarf, das zeigen schon die vielen Abbrüche etwa in den Ingenieurwissenschaften. Dort liegen die Studienabbruchquoten für Bachelorstudierende zwischen 30 Prozent an Fachhochschulen und 48 Prozent an Universitäten - alles potenzielle Kundschaft, zum Beispiel für Jana Veckenstedt.
Vor acht Jahren hat die Diplom-Mathematikerin Vlax gegründet, im ersten Monat machte sie einen Umsatz von gerade mal 500 Euro. "Es gab keinen Businessplan oder sonst etwas von dem, das man da berücksichtigen sollte", sagt Veckenstedt. Geklappt hat es trotzdem. Derzeit geben
20 Dozenten insgesamt 35 Kurse, 400 Studenten nehmen pro Semester das Angebot von Vlax wahr, zu Preisen zwischen zehn und 40 Euro pro 90 Minuten, je nach Gruppenstärke. Die allermeisten in zwei angemieteten Räumen in der Nähe des Campus, ein paar wenige online im Einzelunterricht via Skype.
Veckenstedt organisiert die Nachhilfe als Freiberuflerin, vorher arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden. Wäre sie dort geblieben, "hätte ich eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen müssen, mit diesem Veröffentlichungswahn. Das wollte ich nicht. Ich wollte unterrichten, das war meine Ambition."
Nachhilfe gebe es zwar wie Sand am Meer, aber das sei oft reine Vermittlungssache. Die Anbieter brächten Studenten und Dozenten zusammen und kassierten dafür ab. Auf der Webseite von Vlax gibt es zwar auch eine Börse, allerdings nur eine für Studenten, die sich dort in Gruppen für bestimmte Fächer zusammenfinden können, um den Preis für den Einzelnen zu reduzieren - und um für das Institut eine bessere Quote pro Dozent zu erreichen.
Bleiben zwei Fragen. Warum schließen die Studenten sich nicht gleich selbst und an einem kostenpflichtigen Anbieter wie Vlax vorbei zu Lerngruppen zusammen? "In so einer Gruppe hat ja schlimmstenfalls gar keiner einen Plan, da gibt es dann null Synergieeffekte", sagt Benjamin, Wirtschaftsstudent im vierten Semester. Und warum wird aller Klärungsbedarf nicht über die regulären Tutorien und Übungen abgefangen, welche an der Uni zu den meisten Vorlesungen begleitend angeboten werden? Katharina sagt: "In den Mathe-Tutorien wurde uns gesagt, wir müssten die Aufgaben vorher zu Hause durchrechnen und wer dann noch Fragen habe, der könne ja ins Tutorium kommen." Das aber sei keine große Hilfe, wenn man ratlos über einer Aufgabe sitze und nur die Kurzlösung zur Hand habe. "Da steht dann x = 3, aber warum x = 3 ist, das steht da eben nicht", sagt Katharina. "Hier", sagt Jana Veckenstedt, "ist es genau umgekehrt. Hier kommt man rein, hat bei manchen Aufgaben keine Ahnung, und arbeitet dann zu Hause nach."
Veckenstedt sieht die Ursache für den großen Bedarf an Nachhilfe in Mathematik oder Physik, in Stochastik und Statistik, Strömungslehre oder E-Technik eher nicht an den Universitäten. Nicht die Dozenten dort seien das Problem; wenn man überhaupt jemandem den Schwarzen Peter zuschieben wolle, dann den Schulen. Aber das will Veckenstedt natürlich nicht, auch wenn sie selbst ein wenig unter der Prüfungszeit leidet. Wegen der großen Nachfrage verlängern sich in dieser Zeit auch ihre Arbeitstage - auf zuletzt 16 Stunden. Gleichwohl: lukrative 16 Stunden.