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Die Hilfsarbeiter

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Er ist Mitte vierzig, verkauft Gebrauchtwagen und hasst seinen Job. Er sagt, er hat drei Jahre gebraucht, um sich das einzugestehen. Er räuspert sich, ihm fällt das nicht leicht. Zehn Frauen und vier Männer hören ihm zu, sie sitzen im Stuhlkreis. Die Nächste in der Runde trägt Business-Blazer und praktischen Kurzhaarschnitt: „Ich arbeite in der IT-Branche. Das ist gar nicht mein Ding. Ich bin an einem Punkt, an dem ich mich frage: Will ich das weitermachen?“



Aus der eigenen Sinnkrise heraus, indem man andere berät? Das ist ein Klischee, gegen das sich Coaches behaupten müssen. Dabei ist das nur in seltenen Fällen wirklich ihre Motivation.

Es herrscht Selbsthilfegruppenatmosphäre. Doch die Frauen und Männer im Stuhlkreis sind nicht hier, um sich helfen zu lassen. Sie wollen selbst helfen. Sie wollen Coach werden. Und Gerhard Helm soll ihnen sagen, wie das geht. Der Mann mit dem Teddybärengesicht leitet die „Münchner Akademie für Business Coaching“, die genau genommen keine Akademie ist, sondern ein Tagungsraum im Erdgeschoss eines Münchner Messehotels: groß karierter Teppichboden, kaltes Licht, filzstiftbemalte Flipcharts an den Wänden. Die Stuhlkreisler schleudern sich gegenseitig einen Plüschball zu. Wer ihn fängt, muss sich vorstellen. „Hilfe zur Selbsthilfe ist einfach eine coole Geschichte“, sagt Gerhard Helm und wirft den Plüschball in die Runde.

Wie viele Coachs es in der Bundesrepublik gibt, weiß niemand so genau. Das liegt daran, dass es kein geschützter Beruf ist. Dass man also keine Ausbildung braucht, um als Coach arbeiten zu dürfen – egal für welche Zielgruppe. Ob für Singles, die lernen wollen, wie man effizient flirtet. Für Paare, die lernen wollen, wie man effizient liebt. Oder für Karrieristen, die lernen wollen, wie man effizient Karriere macht. Zur letztgenannten Sparte gehören die sogenannten Business-Coachs, von denen es hierzulande laut Marktanalyse der Universität Marburg 8000 gibt. Das passt nicht mit den Zahlen des Deutschen Bundesverbands Coaching zusammen, wonach jedes Jahr 4000 Menschen eine Ausbildung zum Business-Coach absolvieren, doch eines bestätigen alle Statistiken: Immer mehr Deutsche wollen als Business-Coach arbeiten.

Warum eigentlich? Und was sind das für Leute, die sich berufen fühlen, Coach zu werden?

„Wer nichts wird, wird Coach“, lautet die beliebte Antwort der Coaching-Skeptiker. Es ist ein Satz, der das Vorurteil schürt, viele Menschen würden aus Verlegenheit zum Coach. Dass es sich um Unzufriedene handelt, die den Weg aus der eigenen Karriere-Sackgasse ausgerechnet darin suchen, andere Menschen aus ebendieser Sackgasse zu befreien. Oder gehässiger formuliert: Coachs sind beruflich Gescheiterte, die anderen Erfolgsratschläge für die Karriere geben wollen.

Ist da etwas dran?

Definitiv!, möchte rufen, wer den Menschen zuhört, die rund um Ausbilder Helm im Stuhlkreis sitzen. „Bei mir ist es so, dass ich mitten in einem Veränderungsprozess stecke“, sagt eine kleine, schmale Frau mit randloser Brille, die zwölf Jahre lang als Controllerin gearbeitet hat. „Weil ich im Controlling nie meine Berufung gefunden habe“, hat sie mit Anfang 40 angefangen, Psychologie zu studieren. Jetzt kommt die Coaching-Ausbildung dazu. Danach, sagt sie, wolle sie ihre Erfahrungen weitergeben „aus den Phasen, in denen es in meinem eigenen Beruf nicht weiterging“.

Die kleine, schmale Frau mit randloser Brille, der Gebrauchtwagenhändler, die Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt – sie gehören wohl zu denjenigen, über die Bernhard Kirchhoff schreibt, sie seien „selbst auf der Strecke der Eitelkeit stecken geblieben“ und wollen jetzt „ihre harmlosen Lebenserfahrungen und das Erlernte als die Quelle der Weisheit“ vermitteln. Der Düsseldorfer Coach findet: Ein guter Coach „muss eine unabhängige Persönlichkeit sein, die mit sich im Reinen ist, die sich bereits selbst therapiert hat und sich nichts mehr beweisen muss“. Klingt logisch und gut, die Frage ist nur: Kann es diesen Coach überhaupt geben?

Die Suche nach einer Antwort führt von Kirchhoffs Coaching-Zentrum um drei Düsseldorfer Straßenecken zu einem Reihenbau zwischen einem Zahnpflege-Geschäft und einem Schuhladen. Im vierten Stock hat Heide Liebmann ihren Arbeitsplatz. Ein helles 20-Quadratmeter-Zimmer mit weißen Wänden, im Regal stehen Bücher von Carl Gustav Jung und Sigmund Freud, daneben das obligatorische Flipchart. Gegenüber sitzt Heide Liebmann, weiße Bluse, Jeans, türkisfarbene Wildlederstiefeletten, Kurzhaarschnitt. Wer mit der 49-Jährigen spricht, erlebt eine Frau, die mit sich im Reinen zu sein scheint. Doch das ist sie nicht. Sie findet das gut so.

„Ich bin nicht perfekt“, sagt Liebmann, „und ich glaube auch nicht, dass da draußen irgendein Coach rumläuft, der noch nie Selbstzweifel hatte.“ Heide Liebmann macht kein Geheimnis draus, dass ihr Leben nicht immer glatt gelaufen ist. Sie ist Anfang 20 und Politikstudentin, als sie die Diagnose Morbus Crohn bekommt: eine chronische Darmentzündung. Sie rutscht in die Depression, das Studium bekommt sie nicht auf die Reihe. „Ich war eine sehr unglückliche junge Frau.“ Nach mehreren Jahren Psychotherapie schöpft sie wieder Kraft, wechselt den Studiengang, wird Literaturübersetzerin, kommt über eine Zeitarbeitsfirma in einen großen Telekommunikationskonzern – und wird dort Pressesprecherin. Dass sie es trotz Umwegen und Schicksalsschlägen so weit gebracht hat, „das hat meinem Ego schon geschmeichelt“, sagt Liebmann.

Dass sie trotzdem hinwarf, hatte mit den Hierarchien im Konzern zu tun: „Vielleicht habe ich zu lange studiert und war deswegen verdorben für die Art, sich in hierarchische Strukturen einzufügen.“ Sie sei nicht damit klargekommen, dass sie jede Entscheidung vom Geschäftsführer absegnen lassen musste, dass dessen Sekretärin in ihren Pressemitteilungen rumkritzelte. „Ich war total unzufrieden“, erinnert sich Heide Liebmann. Und sagt einen Satz, der genau so im Stuhlkreis des Münchner Messehotels gefallen ist: „Ich habe mich damals gefragt: Will ich das weitermachen?“

Sie holt sich Hilfe bei einem Coach – und hat ein Aha-Erlebnis: „Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich in der ersten Sitzung zu dem Coach sagte: Was Sie können, will ich auch können. Ich hatte das Gefühl, endlich angekommen zu sein.“ Nun, elf Jahre später, hat Liebmann sich als Coach etabliert. 160 Euro nimmt sie für eine Stunde. Pro Monat hat sie zwei bis vier Klienten, außerdem macht sie Online-Coaching und hilft anderen Coachs, ihre Webseiten zu texten. Sie verdient kein Vermögen, aber kann gut davon leben. Nur eines ärgert Heide Liebmann maßlos: Wenn es über Coachs mit brüchigen Biografien heißt, sie seien Frustrierte und Gescheiterte und deswegen nicht geeignet für den Job.

Wer solche Vorurteile hegt, sehnt sich nach einem allwissenden Lebensberater ohne Schwächen und Zweifel, nach einem Lebens- und Karrierestreber. Doch das sei eine Illusion, glaubt Heide Liebmann. „Wer denkt, dass man perfekt sein muss, um Coach sein zu dürfen, der hat unter Umständen selbst ein großes Problem.“ Am meisten, so scheint es, fürchten Coaching-Skeptiker, dass ein Coach die eigenen Defizite in der Beziehung zum Klienten aufarbeiten könnte. Dass diese Furcht nicht ganz unbegründet ist, gibt Heide Liebmann zu. „Es ist immer die Verführung da, die eigene Lösung dem anderen überzustülpen. Coaching-Kompetenz heißt, dass man das erkennt und das lässt.“ Und trotzdem hält sie ihre eigenen Lebens- und Karrieretiefs für eine Stärke. „Wenn ich erzähle, dass ich auch durch eine Phase von Krankheit und Depression gegangen bin und dass ich selbst ganz viel verkehrt gemacht habe, dann ist das für Klienten oft sehr erleichternd.“

Wer ist denn nun der bessere Coach: der Gescheiterte oder der scheinbar Fehlerfreie? Am besten fragt man eine, die es dorthin geschafft hat, wo alle Coachs hinwollen: in die Vorstandsetagen der Dax-Konzerne. Wer die Top-Manager des Landes coacht, sollte schließlich wissen, wie ein guter Coach gestrickt sein muss. „Wer nichts wird, wird Coach? Was für eine Unverschämtheit so etwas zu behaupten“, sagt der Münchner Coaching-Guru Sabine Asgodom. Natürlich gebe es, wie in jedem Beruf, auch schlechte Coachs, aber: „Einen ganzen Berufszweig so schlechtzumachen, das finde ich einfach billig.“ Eine eigene Sinnkrise hält Sabine Asgodom sogar für eine „gute Motivation“, um Coach zu werden. „Wenn alles im Leben glatt gelaufen ist, glaube ich, kann man kein so guter Coach sein, wie wenn man schon einmal gescheitert ist, Schicksalsschläge erlebt oder mal den Job verloren hat. Brüche im Leben sind nur gut fürs Coaching, weil man sich in den anderen hineinversetzen kann.“

Zurück im Münchner Messehotel. Die Veranstaltung ist zu Ende, der Stuhlkreis verwaist. Nur Coach-Ausbilder Gerhard Helm ist noch da, reißt die filzstiftbekritzelten Blätter von den Flipcharts und packt zusammen. Man müsse schon ganz genau aufpassen, wen man da zum Coach ausbilde, sagt Helm. „Denn es gibt Leute, die suchen nicht ihre Berufung, sondern im Prinzip Hilfe.“ In solchen Fällen könne nur ein Psychologe helfen. Helm muss es wissen, er hat selbst Psychologie studiert. „Da gab es früher auch mal die Idee, dass ein Therapeut selbst austherapiert sein sollte.“ Aber das, sagt Helm, sei genau so irrsinnig wie die Illusion vom Coach, der über alle Zweifel erhaben ist.

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