Im Zweiwochentakt ist er Zuhause oder auf See. Als ich meinen Freund kennen lernte, war mir dieser Umstand bekannt. Wobei die Bezeichnung „auf See“ nicht mehr so ganz stimmt. „Auf See“ war er früher, manchmal 5 oder 6 Monate lang. Das war auch einer der Gründe dafür, dass bisherige Beziehungen bei ihm immer gescheitert sind. Jetzt schippert er nur noch als Binnenschiffer auf dem Rhein umher und ist verhältnismäßig kurze Zeiten unterwegs.
Manchmal befürchte ich, dass viele meiner Bekannten denken, dass ich meinen Freund nur erfunden habe; so wie manchen Frauen das gerne nachgesagt wird. Denn oft bin ich allein unterwegs. Ich gehe alleine auf Partys, fahre alleine zu meinen Großeltern, gehe alleine auf Hochzeiten und unter Umständen auch alleine auf Konzerte, wenn sich der Schichtplan ändert und er entgegen der Planung nicht mitgehen kann. Zu meinem Geburtstag, zu seinem Geburtstag; selbst an so unwichtigen Tagen wie Valentinstag ist er nicht da. Am Wochenende hatte ich eine Party bei mir, pardon, bei uns. Und während ich die Gäste durch die Wohnung führe, werde ich gefragt: „Der auf dem Foto- ist das dein Freund?“ Mir sind solche Fragen unangenehm, denn die Gespräche, die darauf folgen sind leider auch immer gleich. Wie ich damit klar komme, ob mich das störe, ob man sich daran gewöhnen könne.
Wir haben zwei gemeinsame Wochen zusammen, die wir miteinander genießen so gut wie es eben in zwei Wochen geht. Mein Alltag hat dabei etwas von einem Doppelleben. Wenn er Zuhause ist fahren wir auf Ausflüge, gehen unserem liebsten Hobby nach und regeln den Haushalt gemeinsam. Ich schreibe ihm jeden Morgen einen Zettel, was er noch zu erledigen hat. In dieser Zeit wissen meine Freunde, dass ich nicht jeden Tag zur Verfügung stehe und ich schalte auf Arbeit einen Gang runter, weil ich nach Feierabend ausgeruhter für ihn sein möchte. Beinahe jede Minute muss genutzt werden, was manchmal auch einen nicht unwesentlichen Druck ausübt. Heute zum Sport oder doch lieber was Gemeinsames unternehmen? Party machen oder lieber Zuhause die Zweisamkeit genießen? Muss ich wirklich heute meine Unterlagen der letzten 3 Monate ordnen oder hebe ich mir das nicht lieber für nächste Woche auf, wenn er wieder weg ist? Ich plane alles im Voraus. Umso mehr nervt es mich, dass ich nie genau weiß, ob und wann er Zuhause sein wird, denn seine Schichtpläne ändern sich öfter als uns beiden lieb ist. Dann kann es schon mal vorkommen, dass er drei Wochen Zuhause ist und im Anschluss drei Wochen verschwindet. In dieser Zeit gehe ich viel mit meinen Freundinnen weg, kümmere mich um alles, was zuvor liegen geblieben ist und versuche so wenig wie möglich an ihn zu denken. Ich lebe wie ein Single in einer zu großen Wohnung und ohne Interesse am anderen Geschlecht. Ich lasse meine Klamotten und Schuhe mitten im Flur liegen, trinke zu Feierabend Cocktails mit den Mädchen oder ein Bier allein vor dem Fernseher. Ich schaue innerhalb von zwei Wochen mindestens drei Staffeln irgendeiner Serie, die ich gerade am liebsten mag. Ich feiere ausgelassen, tanze mit wildfremden Leuten, lasse meine Kumpels auf unserer Couch schlafen und schicke sie dann nach dem Frühstück am nächsten Tag wie nach einem One-Night-Stand nach Hause. Seine Post sortiere ich fein säuberlich und lege sie schon mal bereit. Ich koche Essen und friere es ein für die Zeit, wenn er Zuhause und ich auf Arbeit bin, mache Anrufe bei unserem Stromanbieter, besorge ihm Arzttermine und kläre mit seinen Eltern das Datum für den nächsten Besuch ab. Ich wechsele die Bettwäsche und räume die Wohnung einen Tag vor seiner Rückkehr wieder auf, damit er nicht sieht, wie sehr ich mich gehen lasse, wenn er nicht da ist. Wir telefonieren alle paar Tage mal miteinander, meistens spät abends zwischen Tür und Angel, wenn ich gerade unterwegs bin und er zwischen zwei Ladungen kurz ein Nickerchen nehmen will.
Ich schlafe manchmal auf der Couch im Wohnzimmer ein, weil ich es nicht mag allein im Bett zu liegen…neben dem Kissen welches mit seinem Namen bestickt ist. Ich meide das kleine Zimmer in unserer Wohnung, welches er als Büro nutzt und rühre im Allgemeinen seine Sachen nur selten an. Es erinnert mich nur wieder daran, dass er nicht da ist. Und ich würde ihn dann nur vermissen. Und vermissen ist etwas, was bei einer Teilzeitbeziehung auch irgendwann sehr ungesund werden kann. Am schlimmsten ist der Tag vor seiner Rückkehr, da uns da nur noch eine Nacht voneinander trennt und ich manchmal vor lauter unterdrückter Freude keine Ruhe finde. Ich will nicht undankbar erscheinen. Andere Paare sehen sich nur am Wochenende oder –wie in der Seefahrt üblich- monatelang nicht. Auch muss ich mir ständig anhören, dass ich mich nicht beschweren soll, immerhin habe ich doch gewusst worauf ich mich einlasse, als ich ihn zum Freund nahm. Diese Leute machen es sich aber zu einfach. Freilich wusste ich, dass er zwei Wochen im Monat nicht da sein wird, aber was das konkret wirklich bedeutet und vor allem, ob ich damit würde leben können –wie hätte ich das wissen sollen? Die Sehnsucht, die nach Monaten zuzunehmen scheint als weniger zu werden, ist wohl etwas, was ich nicht erahnen konnte. Enttäuschend sind oft die ersten zwei Tage, in denen er eigentlich nur schläft, weil er auf dem Schiff nächtelang wach war. Manchmal kommt er unrasiert und mit Augenringen zur Tür herein und fällt in sich zusammen als ich ihn umarme. Ich kann dann meistens nur „hallo mein Liebling“ sagen und sonst nicht viel für ihn tun, als ihn einfach nur schlafen zu lassen und zu hoffen, dass wir die nächsten Tage viel Zeit und Kraft füreinander haben werden. Wir müssen uns immer wieder neu aneinander gewöhnen. Weil er es vom Schiff so gewohnt ist, lässt er das Licht in der ganzen Wohnung an und ich muss ihn tagelang darauf hinweisen, dass wir keine Festtagsbeleuchtung Zuhause brauchen. Immer wieder von neuem. Auch nach über einem Jahr sucht er in der Küche immer noch nach den gewöhnlichsten Utensilien und ich muss in mich hineingrinsen, wenn er jede Schranktür mit einem riesigen Fragezeichen in seinem Gesicht öffnet. Nach zwei Wochen sind wir wieder in unserem einträchtigen Trott, für den wir so gekämpft haben und müssen ihn prompt wieder hergeben. Ich gehe morgens aus dem Haus, verbiete mir melancholische Abschiedsarien und schaue nicht zurück, weil ich nicht will, dass er weiß, wie sehr ich es hasse wenn er nicht da ist. Er soll glauben, dass es mir nicht viel ausmacht, damit er mit einem guten Gewissen gehen soll. Das funktioniert aber leider nur in meiner Vorstellung. Spätestens zwei Tage vor seiner Abreise bin ich manchmal unausstehlich und will einfach nur, dass er geht, damit ich den blöden Abschied endlich hinter mir habe.
Das Positive verliere ich dennoch nie aus den Augen. Indem man sich nie aneinander so richtig gewöhnen kann, ist man immer wieder gezwungen, an sich zu arbeiten und über seinen Schatten zu springen. Die Alltagsschlechtlaunigkeit bekommen wir beide nur selten voneinander zu spüren, weil es im Grunde keinen richtigen Alltag gibt. Man ist nicht gleich nach der Arbeit der Blitzableiter für die Standpauke des Chefs, den Streit um den Urlaub mit den Kollegen oder dem verpatzten Auftrag. Wir gehen auch unter der Woche stundenlang in die Sauna und schalten unsere Handys aus. Wir schaffen uns unsere eigene Insel im Alltag und sind wahre Meister im Ausleben des Wohlfühlprogramms für Paare. Wir erzählen uns Flachwitze, die wir in den letzten Tagen aufgeschnappt haben. Ich kann ihn immer wieder mit neuen Kleidern von mir oder Einrichtungsgegenstände begeistern (oder wahlweise schocken) und mit neuen Pläne bewerfen. Einmal habe ich ihn am Tag seiner Rückkehr mit dem Erwerb unserer beiden Wellensittiche überfallen, wozu er heute noch sagt „Oh man, du hast Ideen“. Er nimmt mich wie ich bin, weil ich weiß, dass ich es andersrum genauso mache. Und wenn er nicht da ist, genieße ich es ab und an auch mal, nicht mit einem Putzlappen durch die Wohnung wüten zu müssen, sondern einfach mal alles stehen und liegen zu lassen. Ich mag es, Zeit auf Mädelsabenden mit Sekt und Low-fat-Chips zu verbringen und einfach mal ein ganz normales oberflächliches Mädchen zu sein, was gerade nicht ihren Freund vermisst. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gerne eine Woche in Monat allein bleiben und drei Wochen wäre er Zuhause bei mir; in unserer Wohnung.
Ob man sich daran gewöhnen kann?
Die Wahrheit ist ziemlich einfach: man kann sich an so etwas niemals gewöhnen. Man kann es nur annehmen und ertragen.