Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207

Jungs, warum sprecht ihr euch mit Nachnamen an?

$
0
0
Immer zum Wochenende: Jungs fragen Mädchen fragen Jungs. Weil manches kapiert man einfach nicht bei denen. Heute: Huber-Meier-Oida!




Der Beckmann hatte einen Ruf an unserer Schule. Lehrersohn, vielleicht deshalb harter Partygänger und immer mit schönen Frauen liiert. Jeder aus unserem Jahrgang kannte ihn, dabei war er eine Klasse unter uns. Als ich ihn dann endlich mal persönlich kennenlernte, als Teil der Jungsgang meines Bruders, wunderte ich mich auch nicht, dass er mir als „Beckmann“ vorgestellt wurde – das war einfach sein Name. Andere hießen Julius, Max oder Sebastian – er war Beckmann.  

Erst Jahre später, als aus dem wilden Beckmann der langjährige Freund meiner Mitbewohnerin wurde, realisierte ich, dass der Junge auch einen Vornamen hat – und einen gar nicht so schlechten. Johannes hieß er in Wirklichkeit, ein Name, der ja eigentlich zahlreiche Spitznamen wie „Jo“, „Hannes“, „Jojo“ oder „Johnny“ zuließe. Aber anstatt ihm so viel Seriosität zu gönnen, war er stets „das Beckmännchen“, „Becki“ (in properen Phasen auch „Specki“) oder auch mal „Beck’s“. Aber halt nie Johannes.  

Meine Mitbewohnerin, die ihn ja natürlich noch nicht so lange kannte, sprach ihn dann konsequent mit dem Vornamen an - das irritierte mich total. Klar, ich fände es auch komisch und unpersönlich, wenn mein Freund „Du Haunhorst, lass mal in den Urlaub fahren“ sagen würde. Aber das liegt daran, dass man es aus dem weiblichen Umfeld einfach nicht gewohnt ist, auf den Nachnamen verstümmelt zu werden. Zumindest fällt mir in meinem Freundeskreis kein Mädchen ein, das unabhängig von ihrem Vornamen existiert. Eine „Fräulein Meyer“ wäre da noch das Ähnlichste. Aber nur „Meyer“? Nie im Leben. Bei Beckmann war es trotzdem auf einmal fremd, dass er nun Johannes war. Als wäre er ein neuer Mensch. Weg vom Provinzler, hin zum seriösen Leben und das nur durch die Verwendung seines echten Namens. Skurril irgendwie.  

Wenn ich diesen Gedanken nun noch weiterspinne, wird mir allerdings kein richtiges Schema klar, welche Jungs denn nun mit Nachnamen angesprochen werden und welche ihren Vornamen behalten dürfen. Mein erster Gedanke war ja, dass das vor allem ein Phänomen innerhalb von Jungsgruppen ist. So im Sinne von „Ey Beckmann, schieb mal die Kippen rüber“. Die Reduzierung des Gegenübers auf den Nachnamen könnte ich mir dabei fast als Ausdruck des gegenseitigen Respekts vorstellen, so nach dem Prinzip: „Schau, ich weiß sogar wie du mit vollem Namen heißt.“ Gleichzeitig kenne ich aber auch Einzelgänger-Jungs, die trotzdem nur unter ihrem Nachnamen liefen. Wo es hieß: „Der Warnke spinnt halt ein bisschen“, so als Abgrenzung zur genannten Person. Zudem sind es ja auch nicht nur unbedingt klanghafte Nachnamen, die ihr gegenseitig als Rufnamen verwendet. Meine Brüder werden auch "Haunhorst" oder "Hauni" gerufen, ich kenne sogar einen "Blasius", der so seines okayen Vornamens "Marc" beraubt wurde.

Aber warum ist das so? Warum sind eure Nachnamen irgendwie wichtiger, als eure Vornamen? Ist das irgendeine Form von Prädikat, das einen als coole Sau auszeichnet? Oder geht die Hackordnung in genau die andere Richtung und nur die Gangleader werden mit Vornamen angesprochen? Redet ihr vielleicht untereinander über Frauen auch nur mit dem Nachnamen? Sowas wie „Boah die Bartsch sieht heute echt scharf aus?“ Und zu guter Letzt: Wie sollen wir euch denn dann nennen? Ist das etwas Erstrebenswertes, wenn die Freundin einen auch nur mit den Nachnamen angeredet? Hat man es dann in den Olymp der guten Typen geschafft? Oder findet ihr das doch unpersönlich und blöd?      

Auf der nächsten Seite liest du die Jungsantwort von jakob-biazza.

Ey, Haunhorst, geile Frage, Oida! Aber auch sauschwierig. Weil: Wenn ich jetzt gedanklich in meine Schulzeit zurückreise, dann deckt sich das, was ich da aufrufe, nicht ganz mit deinen Erinnerungen. Wir hatten freilich auch Nachnamen-Typen. Einen ganzen Schwung sogar. Aber: Das waren nicht zwangsläufig die Clint-Eastwood-harten Hunde und Premium-Stecher. Unsere Meier-Müller-Hubers waren durchaus auch das, was man heute unschön als Nerds, Freaks oder Opfer bezeichnen würde: Sonderlinge mit Inselbegabungen (oder auch ohne jede Begabung), Computerfreaks zu Zeiten, in denen noch lange nicht jeder eine eigene Mailadresse hatte, oder Menschen, die ihr Sportzeug in Deutschland-Flaggen-Taschen mitbrachten.  

Gleichzeitig finde ich in meinen Erinnerungen aber auch ein paar von deinen Beckmännern. Typen, die angeblich schon Sex hatten, als mir noch nicht mal Achselhaare gewachsen sind. Typen auch, die in der Freistunde auf ein Bier zum Sportplatz nebenan gegangen sind und sich den etwas später grassierenden Schnupftabak mit Luftpumpen in die Nasen geballert haben. Bei denen war auch Nachname angesagt. Und zwar aus dieser im Rückblick etwas befremdlichen Mischung aus Furcht und Ehrfurcht, die Heranwachsende oft so pennälerhaft wirken lässt.  

Das beantwortet schon mal einen Teil deiner Frage: Ein Nachname zu sein, war – auf den ersten Blick – etwas Wertneutrales. Es lässt sich nicht sofort sagen, ob es nun abwertend oder bewundernd gemeint war. Auf den ersten Blick! Denn was beide Gruppen eint, ist die Distanz zu dem, was man zu Schulzeiten eben irgendwie als Norm empfunden hat. Nachnamen-Typen, das waren einst Ausreißer aus dem Durchschnitt. Und die haben wir uns mittels Stigmatisierung emotional mindestens eine Armlänge vom Leib gehalten.
  
Denn das ist es ja, was Nachnamen vor allem mal tut: sie schaffen Distanz.  

Und ziemlich genau dafür benutzen wir sie heute auch noch. Aber mit einem ganz, ganz entscheidenden Unterschied zu früher: Damals wollten wir echte Distanz, weil uns jemand aus heute lächerlich erscheinenden Gründen suspekt war. Heute bauen wir damit einen nur sekundenlangen und vollständig künstlichen Abstand auf, um dem, was danach folgt, noch einen besonders kräftigen Schuss Ironie zu geben: „Das versteht der Helten nicht, das hat mit Kultur zu tun.“ Zum Beispiel. Oder: „Biazza, bei dir ist doch echt ois z’spaat!“ So Kram. Es ist eine Minimalflucht aus einer ziemlich platonischen Liebe unter ziemlich heterosexuellen Männern, die es uns erlaubt, ziemlichen Blödsinn zu reden. Denn das, das habt ihr bestimmt auch schon mal gemerkt, tun wir ziemlich gerne mal. Untereinander!  

Das erklärt nun wiederum auch etwas, warum wir euch nicht beim Nachnamen nennen (und das auch von euch nicht wollen). Obwohl ich in einem besonders post-feministischen Moment schon Freundinnen beim Nachnamen gerufen habe: Ironie funktioniert nie – zumindest dann nicht, wenn auch nur ein Hauch von Anziehung entstehen soll. Nicht mal dann, wenn wir über euch reden. Es gibt also - nur zum Beispiel - keine Haunhorst bei uns, die so oder so aussieht. Nur eine Charlotte. Das werden dir der Helten und der Stremmel auch bestätigen.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207