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Hongkong sitzt zwischen allen Stühlen

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Lars Nittve baut M+, das erste Kunstmuseum in Hongkong, auf. Ein Gespräch über Pionierarbeit in Asien.

SZ: Das M+ soll nach Größe und Anspruch das MoMA, die Tate Modern von Hongkong werden. Als erstes nennenswertes Museum der Stadt müssen Sie da Pionierarbeit leisten.

Lars Nittve: Im Westen sind wir seit Jahrzehnten gewöhnt an zeitgenössische Kunst und ihr Vokabular. Ein großer Teil des hiesigen Publikums hat diese Kunst noch nie gesehen. Wir sind jetzt dabei, das alles nachzuholen. Mit Ausstellungen wie "Inflation" sprechen wir ganz bewusst ein großes Publikum an. Dass es da auch Irritation und Kontroversen gibt, ist intendiert. Nun gibt es eben auch hier die Sorte von Kunstskandal, die wir im Westen seit Langem kennen. Im Lauf der Zeit wird sich ganz von selbst Kenntnis einstellen.






Auch Ihr Standort ist eine Herausforderung: Zeitgenössische Kunst ist westlich geprägt, Sie sind in Hongkong, doch die zeitgenössische asiatische Kunst entsteht in Festland-China.

Gerade deswegen lohnt sich das Projekt. Wir gehören nicht zum Westen, sind aber auch keine richtigen Chinesen. Erst seit dem Ende der britischen Kolonie beginnen die Menschen hier, nach einer eigenen Identität zu suchen. Das betrifft auch das Verhältnis zur Kunst: Man darf nicht vergessen, dass viele gebildete Hongkonger Christen sind. Sie sind vertraut mit der westlichen Tradition. Andererseits beschäftigten sich viele Chinesen in Hongkong, die während der Kolonialzeit ihre chinesische Identität bewahren wollten, intensiv mit der traditionellen Tuschemalerei. Zur gleichen Zeit tat Mao in Festland-China alles, um diese Tradition auszulöschen. Tuschemalerei galt in Hongkong als konservativ und in China als rebellisch. Hongkong ist ein Ort, an dem man Dinge erzählen kann, die es sonst nirgends gibt.

Wie schlägt sich das in der zeitgenössischen Kunst nieder?

Das westliche Konzept der zeitgenössischen Kunst ist heute weltweit gültig, so wie das westliche System höherer Bildung oder das monetäre System. Trotzdem gibt es natürlich einen Austausch mit anderen Formen künstlerischer Produktion, wie eben der Tuschemalerei, die ein Künstler wie Xu Bing in die Gegenwartskunst einschleust. Hongkong ist ideal positioniert, um da eine Vermittlerrolle zu spielen.

Gibt es hier Möglichkeiten, die Institution Museum neu zu definieren?

Ja. Die Standards sind noch nicht gesetzt, sowohl die einzelnen Gattungen als auch Hoch- und Populärkultur sind weniger scharf voneinander abgegrenzt. Wir wollen einen Dialog zwischen Medien und Abteilungen herstellen statt sie zu trennen. Zugleich geht es auch um eine Rekontextualisierung der Gattungen: Wie haben neue Techniken und Verbreitungswege auf die Entwicklungen von Foto, Design oder Kino in Hongkong gewirkt? Das muss sich in der Architektur niederschlagen. Wir brauchen multifunktionale Räume und Plattformen, die zusammen dennoch ein Ganzes ergeben und kein bloßes Cluster.

Letztes Jahr haben Sie die Sammlung des ehemaligen Schweizer Botschafters in China, Uli Sigg, erworben. Welche Rolle wird sie im M+ spielen?

Unsere größte Herausforderung ist, an Schlüsselwerke der Siebziger, Achtziger und Neunziger zu kommen. Besonders aus den Achtzigern ist nur wenig verfügbar. Da spielen die 1500 Werke von Sigg, die auf 170 Millionen Euro geschätzt werden, uns aber für 17 überlassen wurden, eine gewichtige Rolle. Es gibt keine Sammlung, die die Geschichte der chinesischen Gegenwartskunst so dicht erzählt wie diese.

Sie wollen der Globalisierung der Kultur mit einem lokalen Fokus begegnen. Wie hat man sich das vorzustellen?

Wenn irgendwo ein großes Erdbeben geschieht, berichten alle großen Zeitungen auf der Titelseite darüber. Über nur lokal oder regional wichtige Ereignisse schreibt nur das örtliche Blatt. Große Museen operieren ähnlich. Sie haben eine globale Perspektive, aber sind dennoch an einem Ort verwurzelt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Einer der kreativsten Momente in China war die Zeit um 1980, als das Künstlerkollektiv Stars Group seine erste Ausstellung zeigte und die ersten Lehrer aus dem Ausland an die Kunstakademie kamen. Von Uli Siggs haben wir einige Schlüsselwerke der Stars bekommen. Jetzt haben wir einen Film gefunden, der die Ausstellung und die Proteste gegen ihre Schließung dokumentiert. Xu Bing und andere Künstler liefen damals von der Tusche-Tradition zur zeitgenössischen Kunst über. Er war verheiratet mit Madame Song, der Muse von Pierre Cardin. 1983 eröffnete sie in Peking das Maxim"s. Jede Woche trug sie ein neues Haute-Couture-Kleid - zu einer Zeit als die Chinesen noch in Mao-Anzügen herumliefen. Dazu zeigen wir die Fotoserie "China after Mao" von einem Magnum-Fotografen, der diese ganze Szene dokumentiert hat. Kein anderes Museum kann so etwas machen: Ist man zu weit weg von China, fehlt das Interesse. In China darf man die Künstler nicht zeigen und hat keinen Zugang zu dem Material.

Wie gehen Sie an die zeitgenössische Kunst aus dem Westen heran?

Wir sammeln natürlich die wichtigsten zeitgenössischen Künstler, und forschen an den Begegnungen von Ost und West: Rauschenberg war in China, Warhol ebenfalls. Eben haben wir die Serie "The China Painters" von Christian Jankowski gekauft. Es geht um das chinesische Dorf mit den Altmeister-Kopisten. Das passt perfekt zu der Geschichte, die wir erzählen.


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