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Die Kugel steht

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Im Juni wird er 90 Jahre alt, der Künstler aus Ganslberg in Niederbayern. „Ein unheimliches Alter“, schimpft Fritz Koenig. „Man sollte mich in Frieden lassen“, in dem schönen Haus, das Koenig „Große Waldkoppel“ nennt und in dem er seit Jahrzehnten in der Nähe von Landshut lebt und arbeitet. New York ist da weit entfernt.



Der Bildhauer Fritz Koenig legt seine Hand auf ein Modell zu seiner Skulptur die "Große Kugelkaryatide" - die echte Kugel markierte bis zum Zusammensturz des World Trade Centers in New York das Zentrum der Platzanlage.

Und doch gibt es etwas, was die Stadt am East River mit Ganslberg verbindet. Es ist eine Skulptur, die – wie viele andere von Koenigs Werken – den Begriff „groß“ im Titel führt. Die „Große Kugelkaryatide“ nämlich, eine Bronze, die der Künstler im Auftrag von Minoru Yamasaki, dem Architekten des World Trade Center, Ende der 1960er-Jahre für den Vorplatz der Zwillingstürme schuf. Rätselhaft wenig beschädigt zog man das Kunstwerk später aus den Ruinen des 11.September 2001 und brachte es zu den Zehntausenden anderer Trümmer, die in der Nähe des JFK-Airports gelagert wurden. „Im Inneren der Bronze fanden wir damals einen Flugzeugsessel“, erinnert sich der Bildhauer. „Alles war unglaublich.“ Sechs Monate später stellte man Koenigs Kugel dann in einer Ecke des New Yorker Battery Parks auf, als Zwischenlösung. Die Menschen pilgerten zu der Bronze, die zu einem Mahnmal geworden war, legten Blumen, Briefe und Devotionalien ab. Versehrt, aber nicht zerstört – viele Amerikaner sahen darin ein Symbol.

„Lange und teilweise auch erbittert“ seien seitdem die Verhandlungen über den endgültigen Standort der Kugelkaryatide geführt worden, erzählt Stefanje Weinmayr, die sich im Landshuter Skulpturenmuseum im Hofberg um Koenigs künstlerisches Erbe kümmert. „In einer Flut von Blogs und Leserbriefen“ habe die amerikanische Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob die Bronze nicht doch besser wieder an ihren ursprünglichen Ort gehöre, wo sich heute das WTC-Memorial befindet. Koenig hatte sich gegen diese Lösung ausgesprochen, auch weil sich die Topografie des Geländes wesentlich verändert habe. Er hatte seine 7,60 Meter hohe Kugel damals ja ganz bewusst im Kontrast zu zwei 400 Meter hohen Türmen entworfen. Ganz verschwunden ist sie aber nicht von ihrem ursprünglichen Platz. Im Eingangsbereich der Gedenkstätte findet sich zumindest ein Modell von „The Sphere“, wie die Bronze in den USA genannt wird. Das Original – so haben es Memorial-Verwaltung und Port Authority jetzt entschieden – soll für immer im Battery Park bleiben. Auf einer Wiese, nur 130 Meter entfernt vom bisherigen Ort.

„Ihr neuer Platz ist zentraler, heller, eindrucksvoller“, sagt Weinmayr. Beim Künstler selbst klingt das eher so: „Ach, lassen sie mich doch damit in Ruhe. Immer nur die Kugelkaryatide.“ Als ob er nichts anderes in seinem Leben geschaffen habe. Die Kunst des ehemaligen Ostfront-Soldaten Fritz Koenig hatte einst über den Galeristen George Staempfli den Weg in große Museen wie das MoMA gefunden. Koenigs Werke wurden auf der Documenta gezeigt, auf Weltausstellungen und der Biennale. In München schmücken sie den öffentlichen Raum etwa vor den Pinakotheken oder erinnern im Olympiapark an das Attentat von 1972. Im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen stehen sie für die Schrecken deutscher Vergangenheit.

Für den Platz vor dem World Trade Center war ursprünglich eine Skulptur von Henry Moore vorgesehen. Noch mehr aber begeisterte Architekt Yamasaki die Kunst des Ganslbergers. Also bekam Koenig für die Arbeit an der Großen Kugelkaryatide auf dem Grundstück, wo der Künstler seit 50 Jahren lebt, von seinen Auftraggebern einen riesigen Holzschuppen errichtet.

Aus 67 handgeformten Einzelteilen setzte der ehemalige Professor für Plastisches Gestalten an der Technischen Universität München seine Bronze zusammen: eine Art Zyklopenauge, von einem Helm geschützt. Im Jahr 1972 holte ein Tieflader die Kugel dann ab. New York erreichte sie mit dem Schiff – von Bremen aus. Fast vier Jahrzehnte drehte sie sich auf einer wasserumspülten, schwarzen Porphyrscheibe um sich selbst. Alle 24 Stunden wieder von vorn. Beim Anblick dieser und ähnlicher Augenmotive von Fritz Koenig empfinde man „etwas vom Schrecken des Ausweglosen, etwas Schicksalshaftes”, befand vor 40Jahren einmal der Kunsthistoriker Kurt Martin in einem Text.

Auch, wenn Koenig das Formulieren großer Emotionen fremd ist, weil er das Oberflächliche hasst, das Sentimentale und die Medien sowieso, so ist im Gespräch mit dem bald Neunzigjährigen doch zu spüren, wie sehr es ihn freut, dass er diesen Augenblick noch erleben darf. „The Sphere“ ist endlich angekommen. „Damit bin ich schon zufrieden“, brummt er. „Aber jetzt lasst mich in Ruhe.“

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