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Fünf Songs fürs Wochenende

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Mø: Don't wanna dance 


http://vimeo.com/85259516 
Pussy Riot zählen dazu, ebenso die Spice Girls und Kim Gordon von Sonic Youth. Ob Mø in die Fußstapfen ihrer Vorbilder treten wird, steht noch in den Sternen. Die Girlpower dazu hat die dänische Sängerin und Songwriterin jedenfalls. Und sehnsüchtig erwartet wird das Debütalbum „No Mythologies to Follow“ auf jeden Fall. Vor allem seit die 25-Jährige bereits im Oktober 2013 mit ihrer EP „Bikini Daze“ zum Darling der Elektro-Indie-Pop-Szene gekürt wurde.              

Bedouin Soundclash: Brutal Hearts (Flic Flac Edit) 


http://www.youtube.com/watch?v=m18AQqm0RAw 
Mit Remixen ist das ja so eine Sache. Entweder verwandeln sie die Originalmusik in etwas Banales oder sie verleihen dem Song eine vorher nicht wahrgenommene Intensität. So wie im Fall des Wiener DJ-Duos Flic Flac. Die Jungs gibt es noch gar nicht so lange zusammen in der Kombo, dafür haben sie sich schon mit Remixen an Größen wie Seed oder Bon Iver versucht - und für den Edit der kanadischen Reggaekünstler Bedouin Soundclash sogar ein eigenes Video produziert. Mehr Bass, mehr Biss, mehr Bäm. (Zum Vergleich: Hier das Original.)  

Bo Saris: The Addict  


http://www.youtube.com/watch?v=Br2EIkwbtmY 

Weniger bäm, dafür viel Soul und Liebe hat der Niederländer Bo Saris im Gepäck. Wer vom Guardian als neue Soul-Sensation gefeiert wird und Marvin Gaye (zur Erinnerung klicke hier) verehrt, nach dem kann man nur süchtig werden.  

Ásgeir Trausti: Torrent  


http://www.youtube.com/watch?v=gZd-L1-Hi-4 

Es heißt, jeder zehnte Isländer besitzt sein Album. Das ist selbst für den kleinen Inselstaat recht viel. So viel, dass er dafür Dreifach-Platin bekam. Kein Wunder also, dass der 21-jährige sein Wunderwerk auch ins europäische Ausland exportiert hat. In englischer Übersetzung gibt es alle Texte von „Dýrð í dauðaþögn“ mitsinggerecht auf „In the silence“ verpackt und ein tolles Video gleich dazu.Allein wegen des Namens muss man ihn lieben, wegen seiner Musik sowieso.  

Malachai: I deserve to No  


http://vimeo.com/84204618 
Schluss mit den seichten Liedermachern, wer noch etwas Derbes auf die Ohren braucht, sollte mal bei Malachai reinhören. Die bringen die Kategorisierungsschubladen jedes Musikjournalisten zum bersten, beschreiben sie sich doch selbst als Band, die vom „späten 60er und frühen 70er-British Rock, vom Psychodelischen, von Heavy Blues und White-Boy-Garage-Soul geprägt sind. Das Ganze wird noch gepaart mit Spuren von Trip-Hop, Hip-Hop, Dub und Krautrock.“ Aber hört selbst. 

"Die Revolution ist noch längst nicht vorbei"

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Tunesien war nicht nur das Land, in dem Anfang 2011 per Facebook eine Revolution losgetreten wurde. Es ist auch das erste Land des arabischen Frühlings, in dem Wahlen stattfanden. Aus ihnen ging Ende Oktober 2011 die gemäßigt islamistische Ennahda-Partei als Sieger hervor. Die Regierung hatte den Auftrag, innerhalb eines Jahres eine neue Verfassung zu verabschieden.

Am vergangenen Sonntag ist dies geschehen - mit mehr als einem Jahr Verspätung. Ideologische Grabenkämpfe zwischen den Islamisten der Ennahda-Partei und der säkular orientierten Opposition hatten den Prozess lange verzögert. Die politische Kultur des Landes hat daran Schaden genommen. Junge Tunesier, die für den Sturz des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali, auf die Straße gegangen waren, waren nicht nur enttäuscht von der zögerlichen Entwicklung. Sie sahen sich auch neuen Repressionen ausgesetzt. Das betraf insbesondere junge Frauen.

Nidhla Chemengui ist eine von ihnen. Die 27-jährige Psychologin wurde in Tunesien bekannt als politische Bloggerin. Die Revolution hat sie zur Aktivistin gemacht. Per Twitter (@za_zou) kommentiert Nidhal das Geschehen. Privat wie politisch. Denn diese beiden Bereiche sind in Tunesien eng miteinander verwoben. Aktuell arbeitet Nidhal als Projektmanagerin für das Goethe-Institut in Tunis.




Bloggerin Nidhal findet, es sind gerade die kleinen Gesten und Rituale einer Gesellschaft, auf die man aufpassen muss.

jetzt.de: Nidhal, Tunesien hat jetzt endlich eine neue Verfassung bekommen. Wie gut siehst du demokratische Menschenrechte und insbesondere die Rechte der Frau darin verankert?
Nidhla Chemengui: Was die Rechte der Frau betrifft, betritt diese Verfassung meines Erachtens kein Neuland. Es ist im besten Fall eine Fortschreibung dessen, was wir hatten. Zumindest in der Theorie. Was in den vergangenen Monaten in der Praxis passiert ist, steht auf einem anderen Blatt.

Was waren die heiklen Punkte, die die Verfassung so lange hinausgezögert haben?
Die Frage der Rechtmäßigkeit von Polygamie war ein Thema, ebenso das Erbrecht. Die Islamisten haben uns säkular Denkende so sehr provoziert, dass es am Ende nicht darum ging, mit einer neuen Verfassung einen Schritt oder sogar mehrere Schritte nach vorne zu gehen. Wir, die Opposition, mussten kämpfen, um das zu erhalten, was wir bereits hatten. Es gab politisch motivierte Anschläge, das Land wurde dadurch destabilisiert. Dieses ganze Getöse hat politische Fortschritte behindert. Aber die Geschichte wird uns eines Tages dafür belohnen, dass wir diese Kämpfe ausgefochten haben. Auch, wenn es eigentlich absurd ist, darum zu kämpfen, dass ein Status Quo erhalten bleibt.

Ban Ki Moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat Tunesien seinen Respekt ausgesprochen. Dein Land habe eine historische Etappe gemeistert.
All die Probleme in den ländlichen Regionen, die unfassbare Bürokratie, die so viel blockiert, der Zustand des Bildungswesens und unzählige andere Probleme geht diese Verfassung nicht an. Was Ban Ki Moon sagt, ist meines Erachtens insofern zutreffend, als jetzt endlich eine neue Verfassung verabschiedet wurde. Das ist „historisch“. Aber die Revolution ist noch längst nicht vorbei. Es gibt so viele Bereiche, in denen noch viel im Argen liegt. Da die Politik bisher versagt, sehe ich es als Aufgabe der Zivilgesellschaft an, die Menschen über ihre Rechte aufzuklären.

Inwiefern trägst du deinen Teil dazu bei?
Ich kommentiere das Geschehen per Twitter. Und ich arbeite aktuell als Projektmanagerin beim Goethe-Institut. Wir planen eine Sendung für Frauen. Es geht darum, ihren Bedürfnissen Gehör zu verschaffen.

Um welche Bedürfnisse geht es dabei?
Es geht darum, was die mündige Bürgerin ausmacht, um Rechte, soziales Engagement, den Zusammenschluss in Kooperativen, das Gemeinwesen.

Klingt recht theoretisch.
Es gibt auch etwas Greifbareres: Wir sammeln und verbreiten alte tunesische Märchen und Geschichten, die unsere Großmütter erzählen und die drohen, verlorenzugehen.

Auf Twitter hast du diese Woche geschrieben: „Ein Schleier auf den Köpfen der Ministerinnen, was soll das?“
Mit diesem Tweet wollte ich ausdrücken, dass ich es nicht in Ordnung finde, ja, sogar verurteile, wenn Politikerinnen ihren Kopf bedecken, wenn sie in offizieller Funktion in einer Demokratie tätig sind. Weder ist das Regierungsgebäude ein heiliger Ort, noch haben die Regierung oder die Republik etwas mit Religion zu tun. Tunesien ist ein säkularer Staat. Ich lehne den Schleier in politischen Ämtern ab! Ministerinnen sollen keinen Schleier tragen! Es sind solche kleinen Gesten, auf die wir aufpassen müssen. Sie haben das Zeug, große Veränderungen zu bewirken. Wir müssen gerade sehr achtsam sein.

Welche Rolle sollte die Religion deiner Meinung nach in einem Staat spielen?
Religion ist ein Teil der tunesischen Identität. Aber dass eine einzige Religion die Gesetze einer Gesellschaft diktiert, Ist falsch. Die Religion soll schön da bleiben, wo sie hingehört: Ihre Domäne ist der Glaube des Einzelnen. Wir sind keine Gesellschaft, der man jetzt plötzlich Gesetze aufdrücken kann, deren Gültigkeit nur darauf beruht, das sie vom Propheten aufgestellt wurden und deshalb heilig sind.

Du bist während der Revolution als politische Bloggerin bekannt geworden. Warum schweigt dein Blog seit Anfang Januar?
Es ist alles noch so aufgeregt im Moment. Meiner Meinung nach ist es noch zu früh, um ein Urteil darüber zu fällen, was aus uns und unserem Land geworden ist. Wie ich schon sagte: Die Revolution geht weiter.

Mädchen, was habt ihr gegen Judith Holofernes?

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Liebe Mädchen,

große Verwirrung über diese Entdeckung: Ihr hasst Judith Holofernes. Und zwar – eine nicht repräsentative Umfrage im näheren und ferneren Umfeld hat das bestätigt – nicht nur eine laute Minderheit unter euch. Ganz schön viele sind es und die dann aber auch mit weißglühender Inbrunst. Beispiele: „Diese manierierte Kuh mit ihrem rehäugigen Gesäusel!" (Bekannte H.). „Dieses unglaublich bemühte Agitieren immer – das geht mir so krass auf die Nerven." (ehemalige Kollegin K.). „Bleib mir mit der weg." (Freundin M.). „Schon sehr abgedreht." (enge Freundin V.).

Das verwirrt uns. Verwirrt mich zumindest. Ich hätte ja gedacht, nein, eigentlich glaube ich, mich sehr deutlich erinnern zu können, dass es eine Zeit gab – Wir sind Helden liefen da noch eher auf FM4 als auf Radio Energy –, in der die Gute durchaus zum Vorbild taugte. Und ja auch nicht zum allerschlechtesten: Songs wie „Ich werde mein Leben lang üben, dich so zu lieben, wie ich dich lieben will, wenn du gehst", mit Verlaub, das ist doch eine sehr passable Idee. Zu dem hingezitterten Keyboard von „Ist Das So?" tanzen und Fragen hören wie: „Was ist ein Glück schon wert, das nur den Pharmazeuten ehrt?". Kann man doch machen, oder? Da ist doch was dahinter – bisschen Wut, bisschen Hirn. Gefühl ja auch! Bei „Die Ballade von Wolfgang und Brigitte" musste zumindest ich mir gerade wieder verstohlen ein winziges Glitzern aus dem Auge wischen.

Und auch sonst: Kind und Karriere bekommt sie hin (selbstbestimmt und im siebten Monat schwanger noch auf der Bühne), Familie und Beruf ja auch. Der Bild hat sie noch kein Interview gegeben, auf Magazin-Covern hat sie immer was an.

Ich konnt's mir nicht erklären. Also habe ich noch ein paar Songs gehört und dann keimte ein Verdacht: Es ist das „Ü", stimmt's? Die Art, wie sie „mÜüde" hauch-schmachtet. Oder „GefÜühle". Minimal gedehnt. Maximal niedlich. Ein Kindchenschema von einem Umlaut, der einen mit großen Augen und Schnute ein bisschen devot von unten anguckt. Das nervt euch, gell?

Oder ist es, das wäre meine zweite Idee, eine Art Emanzipation? Fand man mal gut, wurde dann erwachsen und jetzt kommt man nicht mehr dorthin zurück, weil's zu sehr an dieses unfertig pubertierende Wesen von damals erinnert? Oder verpasse ich irgendwas ganz Grundsätzliches? Bitte aufklären.

[seitenumbruch]



Jaja, du wandelnder Monolog, das hast du ja schon alles sehr findig analysiert, in deiner angeblichen „Frage". Kann ich tatsächlich erstmal alles eins zu eins so abnicken: Das rehäugige Getue - voll! Die manirierten Ü's und all die süß-gewisperten, an eine Bioladen-Version von Annett Louisan erinnerenden Indiepoesiehäppchen - voll! Und ja, vielleicht auch eine nötige Emanzipation von dem naiv-halbfertigen Pubertätswesen in uns, das eventuell doch mal schniefend bei "Echolot" mitgesungen hat, meinetwegen auch das.

Aber es ist auch noch so viel mehr! Judith Holofernes. Allein dieser doppeldeutige, pseudorebellische, ach so leidenserprobte Name. Was da alles im Subtext steht - eine einzige wandelnde Klagemauer die Frau. Und damit eine richtige, wie sagt man so schön klassisch: Nervensäge! Und zwar eine, deren Sägemesser mit allen Abnudelungen unserer Zeit sägt, Bionade, Latte Macch-gähn, Prenzlauer Gähn, Patchwork-Decken (und –familien gleich auch noch), Holzspielzeug, Piratenkinder, Tugendfuror, Hippiegähn, taz-Getue, Möhrensuppe und lila Filztäschchen mit süßen Glöckchen dran. Ritsch ratsch ritsch ratsch!

Und dann die Art, wie sie singt! Es ist ja überhaupt immer so ein Graus, wenn Sängerinnen anfangen, ganz kokett und quietschig mit ihrer Stimme zu experimentieren, weil sie denken, dass man das als Musikerin eben so macht, die Stimme als Gummiseil benutzen, aufziehen, schnirpsen lassen und so was. Aber wenn man halt nicht grad Adele ist, aus der das einfach so rauskommt, klingt das meistens einfach nur furchtbar affektiert.

Und dann natürlich, was sie singt! "Ein leichtes Schwert für meine schwere Hand, eins das tanzt wie ein Schmetterling tanzt, tanzt, tanzt .... eins, das meinen Namen in hundert Bäume ritzt..." Es ist halt auch so schnell oll geworden mit dieser bittersüßen deutschen Indiereimerei.

Kurze eingeschobene Relativierung: Wir haben Judith Holofernes natürlich noch nie persönlich kennengelernt. Vielleicht ist sie ja ganz anders, als ihr Bild in der Öffentlichkeit es uns glauben lässt. Aber so aus der Ferne dringt aus der für uns eine dermaßen tantenhafte Moralstrenge, dass wir es gar nicht ertragen können. Wir ahnen detailliert, wie es bei der im Flur riecht. Nach Möhrensuppe und kaltem Wachs, muffigen Wollsocken und Birnensaft. So, dass man erst denkt: Eigentlich ganz gemütlich und irgendwie, naja, natürlich, und dann: Ich hab Heimweh! Ich will sofort abgeholt werden und nie wieder mit der Magdalena spielen.

Und ich glaube, am meisten regt sie uns vor allem deshalb auf, weil immer alle mit so einem „Die ist doch eine starke und kluge Frau, die ist halt unbequem, die provoziert dich halt"-Gewäsch wie dem deinen um die Ecke kommen. Da kann ich nämlich nur sagen: Kotz! Unbequem können wir schon auch, aber wir müssen dafür ja nicht gleich so nach Möhrensuppe aussehen und mit irgendwelchen affektierten Mundlauten und Schnirpsgesängen einen auf total individuell und experimentell machen.

Dass immer so getan wird, als müsse man so einer wie der dankbar sein für ihre als Revoluzzertum verkleidete Spießigkeit, die ja nur eine von hunderttausenden von Arten ist, Mensch und Frau zu sein. Für uns ist die nicht mehr als eine von siebzehntausend langweiligen, ewig gleichen Zeigefinger-Frauen, die halt der Alltagsspektakularität wegen lieber in den 68er gelebt hätten und nie zugeben würden, dass sie jetzt eigentlich gern mal einen richtig fett triefenden Big Mäc Double McTasty kaufen und in sich reinfressen würden. Ein klassischer Fall von Geht-zum-Lachen-in-den-Keller. Regt einen in ihrer Dauerkorrektheit einfach so auf, dass man ganz tourettmäßig extra blöden Lästerkram von sich geben muss, den man eigentlich gar nicht so meint, aber aus purer Tourett-Ekelhaftigkeit trotzdem sagen muss, weil man die Verklemmungen innen drin gar nicht mehr aushält.

„Nee", würde die jetzt übrigens sicher auch sagen wegen der Burger-Unterstellung: „Will ich ja wirklich gar nicht so'n Drecksburger, ich wasch mir die Hände lieber wieder mit meiner Strohseife ab" und dann würde sie ihren Mund so zusammenkneifen, wie man es macht, wenn man „Möhre" sagt. Und das Wahnsinnige ist: Sie meint es ja sogar auch so! Sie würde gar nicht lieber in einen McTasty beißen! Sie will echt lieber Strohseife benutzen! Und das ist ja auch in Ordnung. Natürlich! Sehr in Ordnung.

Nur denken wir halt trotzdem: Würde dir aber mal gut tun, son fettiger Kapitalismusarschburger! Du alte Klemmiaztekin! Eingetrocknete Ökokuh! Keine Sorge, ist nur wieder unser übliches Tourett. Tut eigentlich gar nichts zur Sache und ist auch gleich wieder vorbei.

martina-holzapfl

Mordende Veganer, asiatischer Food Porn und Kaffee für Rüdiger

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Krautfunding
Was die meisten Deutschen mit „Food on Air“ verbinden: Schlabbrige Käse- oder Schinkensandwiches. Viele Koreaner würden möglicherweise mit Assoziationen kontern, die dem Begriff „Food Porn“ nahekommen. Diese unterschiedliche Interpretation liegt nicht etwa an dem Qualitätsunterschied zwischen deutschen und asiatischen Airlines, sondern an einem neuen Trend aus dem Osten: Gastro-Voyeurismus. Die 34-jährige Park Seo-yeon hat ihr Hobby zum Beruf gemacht und ist mittlerweile einer der Stars der Szene. Täglich stellt sie Live-Streams von sich ins Netz, die sie beim Essen zeigen – ihre Fans finanzieren die Exzesse der jungen Koreanerin durch Microspenden. Das Aus für Instagram?
 
Kohlateralschäden und Vegetotschläger?
Vegetarier und Veganer sorgen dafür, dass Tiere ins Gras beißen müssen – auch im übertragenden Sinne. Das liegt vor allem an etwas, das man „blutige Ausschrotung“ nennen könnte. Nein, damit ist keine radikale Protestform gemeint, die von Menschen betrieben wird, die kein Fleisch essen. Unser aktueller Textmarker zitiert einen Blogeintrag, der belegt, dass auch selbsternannte Besser-Esser für den Tod von Tieren verantwortlich sind. Denn bei der Ernte von Obst und Gemüse landen tausende von Tieren in Erntemaschinen. So einfach kann man das nicht behaupten? Einseitige Argumentation? Stimmt. Deswegen hier die ganze Geschichte nachlesen.





Liebe auf den ersten „Klick“?
Ein japanischer Dessoushersteller hat einen BH erfunden, der sich fast automatisch öffnet. Ein Freibrief für Schwerenöter? Falsch gedacht: Was früher noch mit echten Gefummel zu bewältigen war, funktioniert bald nur noch über echte Gefühle. Der High-Tech-Büstenhalter springt – klick – nämlich nur dann auf, wenn der Herzschlag der Trägerin darauf schließen lässt, dass sie sich gerade verliebt hat. Mehr Balsam für Zwerchfell und Libido hat dir Merle Kolber in unserer neusten Topsexliste zusammengestellt.

Rote Zahlen
Mahnung, Mahnung, Werbung, Mahnung, Werbung, Brief von Mama und Papa, Werbung, ein Schreiben von der Lotterie? – Verdammt, doch nur Werbung. Wenn die Ausbeute deines Briefkastens so oder ähnlich aussieht, drängt sich dir vielleicht auch die Frage auf, was passiert wenn man seine Rechnungen nicht bezahlt. Das Lexikon des guten Lebens führt zwar noch keinen Eintrag zu „Wie die Flucht nach Mexiko gelingt“, behandelt dafür aber genau diesen Fall.

Die Nächste, bitte
Wisch nach links, wisch nach links, links, rechts, links, links, naja, eigentlich war die ja irgendwie süß, links, rechts. Wenn dein Alltag so oder ähnlich aussieht, bist du wahrscheinlich Hausmeister. Oder du hast die Smartphone-App „Tinder“ für dich entdeckt - unser Autor Jan Stremmel ist jedenfalls süchtig. Warum er trotz Gesichtsfaschismus weiterwischt, erfahrt ihr hier.

Die Nicht-Wichser
Die Karten für die „NoFapper“ stehen gut. Die letzte große Bewegung, bei der überwiegend Männer das sagen hatten und die rechte Hand von hoher Bedeutung war, floppte ziemlich. Alexander Rhodes, Gründer der „NoFap“-Community, die Stimmung gegen Masturbation und Porno-Konsum macht, behauptet durch seine Abstinenz Superkräfte zu besitzen. Mehr könnt ihr in unserem Interview mit dem 24-jährigen Programmierer erfahren.

Kaffee für Cave
Es gibt viele Firmen im Dienstleistungssektor mit ungewöhnlichen Namen: Rechtsanwälte Böser und Macht, Getränkegroßhandlung Rausch, Tanzschule Hinkelbein, Nagelstudio Manuela Pfotenhauer oder Gärtnerei Übelhack. Was aber, wenn Menschen mit ungewöhnlichen Namen auf Dienstleister treffen? jetzt.de-Autor Jakob Biazza erklärt im Alltagsduell „Starbucks-Mitarbeiter vs. ungewöhnliche Namen“ warum man den Namen Uschi und Rüdiger wieder mehr Beachtung schenken sollte.

Emünchicons
Jaja, die immer mit ihrem Münchenkram da bei jetzt.de, dabei wohn ich doch in Elmshorn, denkst du dir jetzt. Aber du musst schon zugeben, auch als Nichtmünchner ist unser Emoticon-Rätsel gar nicht so unlustig. Oder? Lass dir sagen: Die Idee zählt! Und beim nächsten Schülerzeitungsmeeting darfst du uns die Idee auch gern klauen. Aber wehe du machst ein Bestsellerrätselbuch draus und wir kriegen KEINE Tantiemen!


Wochenvorschau: So wird die KW 6

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Wichtigster Tag der Woche:
Der Mittwoch. Da habe ich Geburtstag.

Kulturelles Highlight:
Die Berlinale beginnt. Früher war mir das immer ziemlich egal, aber seit ich vor ein paar Jahren mal dort war, bin ich ein bisschen angefixt und schaue mir sogar im Fernsehen das Rote-Teppich-Gestakse der Promis vor dem Eröffnungsfilm an.

Politisch interessiert mich...
ob zu Beginn der Olympischen das Thema Menschenrechte in Russland noch mal auf die politische Tagesordnung gehoben wird. Bundespräsident Gauck hatte ja bereits vor einigen Wochen angekündigt, nicht nach Sotschi zu reisen, und seine Absage war durchaus als Kritik an der Situation in Russland zu verstehen. Außerdem protestierten viele Sportler im Vorfeld der Spiele gegen ein Gesetz, das „Propaganda“ für Homosexualität verbietet.  





Kinogang?
Nein. Mein Kinohunger wird diese Woche wie gesagt von all dem Berlinalegedöns ausreichend gestillt, selbst wenn ich gar nicht in Berlin sein werde. Außerdem laufen nur so Sachen wie „Robocop“ oder die Schweighofer-Komödie „Vaterfreuden“ an. Muss wirklich nicht sein.  

Wochenlektüre?

Der Wetterbericht. Irgendwann muss doch mal Schnee kommen!

Soundtrack? Hängt ebenfalls vom Wetterbericht ab. Denn wenn kommt, der Schnee, dann werde ich mich ins Auto setzen und in die Berge fahren. Und ich werde sehr hibbelig sein auf dieser Fahrt und deswegen Hibbelmusik hören und dazu auf dem Autositz auf und ab hibbeln. Und Hibbelmusik kann niemand besser als La Femme, deren Album „Psycho Tropical Berlin“ diese Woche bei uns erscheint. Wenn’s nicht schneit, bin ich sauer und kommentiere das mit dem Hören alter Metallica-Alben.  

Was ich die Woche auf jeden Fall tun werde:

Die erste Staffel „House of Cards“ endlich zu Ende anschauen.

Keine Chance hat diese Woche:
Der Hunderttausendste Text zum Facebook-Geburtstag diese Woche. Da muss natürlich jeder was dazu sagen, schon klar. Aber lesen muss ich das nicht alles.

Eine Zeitschrift hat ihren Preis

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Bevor eine neue Ausgabe erscheint, werden seine Kunden immer ganz vorfreudig, hat Bernhard Richter festgestellt. „Sie fragen mich dann ständig, wann endlich das neue Heft kommt“, sagt der Anfang 50-jährige Hartz-IV-Empfänger. Jeden Mittwoch sitzt er mit seinem Hund Kumpel vor einem Supermarkt im Bremer Stadtteil Findorff und verkauft die „Zeitschrift der Straße“. Zwei Euro kostet ein Exemplar, einer geht an das Projekt, einen darf Richter behalten. Weil die Sozialleistungen kaum für ihn und seinen Hund reichen, ist er auf die Verkaufserlöse angewiesen.  

An diesem Mittwoch ist es sehr kalt. Den in eine Polarforscherjacke eingehüllten Straßenzeitungsverkäufer plagen ein paar kleine Sorgen. Eine Freundin hat ihm ihren Hund anvertraut, während sie sich im Krankenhaus behandeln lässt. Nun hat er schon mehrere Tage nichts mehr von ihr gehört und fragt sich, ob etwas schief gelaufen ist. Die Supermarktkunden versuchen Richter mit ein paar warmen Worten aufzumuntern. Weil er so oft hier sitzt, kennen ihn die meisten. Manchmal bleibt einer stehen, krault die Hunde und wirft ein paar Münzen in den Becher, den er auf seinem kleinen Verkaufstisch aufgestellt hat. Manchmal aber kommt auch jemand und kauft gleich alle 20 Ausgaben der Zeitschrift, weil er einem Freund die ganze Sammlung schenken will.  

So eine Nachfrage ist ungewöhnlich für ein Produkt, das Bedürftige auf der Straße verkaufen. Sie hat wohl was mit dem Inhalt zu tun. „Wir wollen ein Heft machen, dass die Leser interessiert“, sagt Armin Simon. Der freie Journalist leitet die Redaktion, die sich aus Studenten der Bremer Hochschulen zusammensetzt. „Deswegen bringen wir keine Tipps für Menschen mit wenig Geld. Wer zwei Euro für ein Heft ausgibt, hat solche Sorgen meist nicht.“  

Stattdessen macht die Zeitschrift die Straße selbst zum Thema. Jede Ausgabe widmet sich einem anderen Ort in der Stadt und versucht, ein zeitloses Porträt der Gegend zu zeichnen. „Uns interessiert die Perspektive von unten“, erklärt Simon. „Wir wollen Geschichten finden, die man im alltäglichen Nachrichtengeschäft vielleicht übersieht, weil sie gerade nicht aktuell sind oder weil die darin vorkommenden Menschen sich in einer großen Debatte nicht so leicht Gehör verschaffen können.“  

Das erste Heft drehte sich beispielsweise um Bremens alternativen Szenekiez, den alle nur „das Viertel“ nennen. Der Stadtteil war in der Vergangenheit immer mal wieder Schauplatz von Straßenschlachten zwischen Punks und der Polizei. Die Redaktion spürte die Wurzeln der politischen Prägung des Viertels auf und warf einen Blick zurück in die 1970er, als eine Bürgerinitiative verhinderte, dass das Quartier für ein gigantisches Verkehrsprojekt abgerissen wird. Außerdem besuchten die Studenten eine blinde Köchin, die Kochkurse für andere sehbehinderte Menschen gibt, und interviewten einen Drogendealer.  

„Jeder sieht zwar den Straßendrogenhandel im Viertel. Doch in der Tageszeitung äußern sich dann oft nur Polizei, Politiker oder Anwohner dazu. Wir wollten die Perspektive eines Menschen zeigen, der sich mit dem Verkauf des Stoffs an andere seine eigene Sucht finanziert“, sagt Simon. Auch für das politisch liberal geprägte Bremen ist das durchaus eine mutige redaktionelle Entscheidung. Das Heft, das in einer Auflage von 15.000 Exemplaren erschien, ist inzwischen ausverkauft.  

Beliebt ist die Zeitschrift auch wegen ihres Erscheinungsbilds. Das haben Studenten der Bremer Kunstprofessorin Andrea Rauschenbach gestaltet. Sie wählten ungewöhnliche, aber gut lesbaren Schrifttypen und verpassten der Zeitschrift ein schlankes, hohes Forma. Das Design hat bereits einige Preise abgeräumt: 2011 stellte die internationale Gesellschaft der Typografie-Designer der Zeitschrift ein Exzellenz-Zertifikat aus. 2012 bekamen die Studenten eine Auszeichnung vom New Yorker Type-Directos Club.  

Die Idee zu dem Projekt hatten allerdings weder Kunst- noch Medienstudenten. Sie kommt aus einem Fach, das man nicht unbedingt in Zusammenhang mit sozialem Engagement bringt: Dem Studiengang „Cruise Tourism Management“ der Hochschule Bremerhaven. „Unsere Studenten sollen sich nicht auf die schillernde Welt der Touristik fixieren“, sagt Michael Vogel. Gemeinsam mit seiner Kollegin überlegte der Professor: „Wer Touristik wählt, ist romantisch veranlagt und träumt von einem schönen Leben. Diese Romantik lässt sich auch auf soziale Projekte übertragen. In gemeinnützigen Einrichtungen können die Studenten mit ihren Träumen viel bewirken und dabei die nötige betriebswirtschaftliche Erfahrung sammeln, die sie später bei Reiseveranstaltern brauchen.“  

Deswegen sind während des Kreuzfahrt-Touristik-Studiums Praktika bei Verbänden wie dem Arbeiter-Samariter-Bund oder der Diakonie Pflicht. Und weil Bremen bis 2009 keine eigene Straßenzeitung hatte, beauftragte Michael Vogel seine Studenten damit, gemeinsam mit dem Verein für Innere Mission eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Heraus kam die Zeitschrift der Straße.  

Diesen Montag wird das Projekt für seine Zusammenarbeit von Hochschulen, Sozialträger und bedürftigen Menschen als Ort im „Land der Ideen“ ausgezeichnet. „Die Zeitschrift bringt Menschen zusammen, die sonst wenig Berührungspunkte hätten – zum Vorteil aller: Studenten sammeln Berufspraxis, Bedürftige verdienen Geld und eine Großstadt gewinnt Solidarität“, begründete die Jury ihre Entscheidung.  

Viel wichtiger als der Preis ist Redaktionsleiter Armin Simon allerdings der Effekt, den die Zeitschrift bei ihren Lesern erzielt. „Mich macht zufrieden, wenn ich sehe, dass es uns gelingt, den Blick unserer Leser für deren Umfeld auf der Straße zu öffnen“, sagt er.  

An seinem Stand in der Kälte vor dem Supermarkt erreicht den Straßenzeitungsverkäufer Bernhard Richter endlich der lang erwartete Anruf. Der Freundin geht es gut, sie wurde soeben aus der Klinik entlassen. Nun kommt sie ihren Hund abholen. Erleichtert sucht Richter in seiner großen Tasche nach der Ausgabe „Hemmstraße“. Er schlägt die letzten Seiten auf und zeigt das Interview, dass die Redaktion mit ihm geführt hat. Es geht um die Bremer Straßenoper. In dem dokumentarischen Theaterstück spielt Richter eine der Hauptrollen: den Straßenzeitungsverkäufer.

Die Welt ist #3b5998

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Das mag jetzt seltsam klingen, aber unser Leben wäre ein anderes, wenn Mark Zuckerberg nicht farbenblind wäre. Der Facebook-Gründer leidet an einer Rot-Grün-Schwäche. Hat er zufällig bei einem Online-Sehtest herausgefunden, wie er vor ein paar Jahren einem Reporter des New Yorker erzählte. Der hatte sich gewundert, dass Zuckerbergs Küche in einem knalligen Leuchtgelb gestrichen war. Er mache sich nicht viel aus Farben, sagte Zuckerberg. Deshalb die Farbe von Facebook: "Blautöne kann ich einfach alle erkennen."

Eine hinreißend banale Erklärung, gemessen an der Tragweite, die Zuckerbergs Entscheidung hatte. Das Facebook-Blau, Farbcode #3b5998, ist zehn Jahre nach Gründung des Netzwerks nicht weniger als die am weitesten verbreitete Farbe des Internets. Die Startseite von Facebook dürfte - Achtung, großer Superlativ! - das meistgesehene Bild in der Geschichte der Menschheit sein. Wer jetzt kurz schlucken musste, kann ja mal nachrechnen: 1,23 Milliarden Menschen sind dort zur Zeit registriert. Die Mona Lisa, die gemeinhin als das bekannteste Gemälde der Welt gilt, sehen im Jahr etwa neun Millionen Menschen im Louvre. Ein Witz im Vergleich zu den 757 Millionen, die täglich Facebook nutzen, jeder davon im Schnitt 8,3 Stunden im Monat.


 Gestatten: die Lieblingsfarbe der DAX-Konzerne - und gleichzeitig Trendfarbe der diesjährigen Frühlingsmode. Wenn das kein seltsamer Zufall ist!



Angesichts dieser beispiellosen Präsenz eines Farbtons darf man durchaus mal nach der ästhetischen Verantwortung fragen, die das mit sich bringt. Nach allem, was man weiß, unterwirft man in Zuckerbergs Firma die Form gnadenlos der Funktion. Eine amerikanische Zeitung erfuhr vor drei Jahren von einem Insider, bei Facebook kämen auf 600 Ingenieure nur 18 Produktdesigner. Im selben Artikel kritisierte ein renommierter New Yorker Gestalter: "Blau ist die Lieblingsfarbe der ganzen Welt. Für mich bedeutet das: Gutes Design darf auf keinen Fall blau sein!"

Blau signalisiert Verlässlichkeit und Stabilität. Nicht zufällig trägt die Hälfte der DAX-Konzerne, und sogar der DAX selbst, die Farbe im Logo, Deutsche Bank, Allianz, Thyssen Krupp. Das Blau steht eher für Stahl als für Spaß. Kein Wunder, dass jüngere Web-Startups wie Twitter, Snapchat oder Reddit deutlich grellere Farben und verspielte Logos nutzen. Die wirklich jungen User erreicht man eben mit putzigen Robotern, Vögeln oder Gespenstern statt dem gesichts- und serifenlosen kleinen f.

Es kann Zufall sein, aber pünktlich zum Zehnjährigen ist das Facebook-Blau auch die Trendfarbe in der Mode. Die Firma Pantone, spezialisiert auf Farbkommunikation, hat kürzlich die Modenschauen für den kommenden Frühling analysiert. Die meisten Übereinstimmungen gibt es bei einem Farbton namens "Dazzling Blue". Genau 17,05 Prozent der Designer färbten Teile ihre Kollektionen so, der Ton entspricht fast exakt dem berühmten #3b5998. Die Frühjahrsmode, die wir demnächst sehen, könnte also streckenweise gut als Facebook-Dienstkleidung durchgehen. Und vielleicht sollten wir an dieser Stelle endlich mal dankbar sein. Schließlich hätte der farbenblinde Zuckerberg damals eine deutlich schlimmere Firmenfarbe wählen können - und wir müssten diesen Frühling allenthalben küchengelbe Jeans ertragen.

"Viele benehmen sich lümmelhaft"

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Charlotte: Facebook feiert am Dienstag zehnjähriges Jubiläum. Du bist bald zwei Jahre dabei – nutzt du es noch oft?
Opa: Ich gucke mittlerweile nur noch selten rein, diese kurzen Kommentare, die dort alle abgeben, finde ich einfach unbefriedigend.

Was wäre denn für dich ein geeignetes Internetformat, um Meinungen ausführlich zu diskutieren?
Ich finde E-Mails immer gut, wobei man dort ja auch oft keine Reaktion bekommt. Aber dort besteht eine Meinung zumindest aus mehr als einem „Gefällt mir“. Früher hat man noch Leserbriefe geschrieben, die dann abgedruckt wurden. Das ist heute eher zweitrangig, wobei man da oft kluge Gedanken lesen kann. Aber so eine richtig gute Lösung für den Meinungsaustausch im Internet habe ich auch noch nicht gefunden.

Aber Facebook muss doch verlockend für dich sein – so weiß du immer, was deine Enkel auf der Welt gerade treiben?

Das schon. Wobei man ja sagen muss, dass das Internet da auch nicht immer auf dem aktuellsten Stand ist. Neulich war ich auf dem Neujahrskonzert von deinem Cousin und hatte deshalb vorher auch auf seine Webseite geschaut. Da war das Konzert aber gar nicht angekündigt, darauf habe ich ihn dann auch hingewiesen. Waren aber trotzdem viele Leute da, so etwas scheint auf dem konventionellen Weg noch zu funktionieren.

Momentan wird recht aggressiv „Seniorbook“ beworben, eine Art Facebook für ältere Menschen...
Mich haben die zum Glück noch nicht angesprochen. Aber mir scheint, die Begeisterung für Facebook hält weiter an? Oder, wie ist das bei dir? Nutzt du das noch viel?

Hauptsächlich für private Nachrichten oder um Veranstaltungen zu bewerben. Aber immer mehr Studien beschwören auch den baldigen Tod von Facebook.
Wenn man wie ich etwas älter ist, weiß man, dass so was alles nur Erscheinungen der Zeit sind. In ein paar Jahren wird es etwas anderes geben.

Ein Weg um seine Meinung kundzutun, der in den letzten Wochen viel diskutiert wurde, sind Online-Petitionen. Hast du dich damit schon mal beschäftigt?
Ich habe davon gehört, weiß aber nicht so richtig, wie es funktioniert. Um den Markus Lanz ging es dabei, richtig?


Charlotte lebt in München, ihr Opa in Oldenburg. Das Internet ist ihre Verbindung.

Genau, eine Zuschauerin forderte seine Absetzung wegen seines Umgangs mit Sahra Wagenknecht in seiner Talkshow. Mittlerweile haben über 200000 Menschen unterschrieben.
Die Sendung habe ich gesehen. Ich finde den Lanz ja gar nicht so schlecht wie er oft dargestellt wird. Aber es stimmt schon, dass viele Journalisten sich oft lümmelhaft gegenüber Politikern benehmen. Da vermisst man das gute Benehmen.

Eine weitere große Petition war die in Baden-Württemberg, bei der ein Lehrer forderte, man solle in der Schule nicht explizit homosexuelle Lebensformen besprechen.
Das ist ein schwieriges Thema, weil wir uns da gerade in einer Übergangsphase befinden. Vieles ist schon selbstverständlich geworden, beim Thema „dürfen homosexuelle Paare ein Kind adoptieren?“ ist man sich zum Beispiel aber immer noch nicht einig. Explizit Reklame für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu machen, finde ich problematisch. Wenn Homosexuelle im Krankenhaus nicht erfahren, wie es ihrem Partner geht, ist das aber auch falsch.

Stört es dich denn, wenn jemand schwul oder lesbisch ist?
 Nein. Wenn ein Mensch jemanden findet, mit dem er übereinstimmt, ist das doch in Ordnung. Ich finde eher, dass das eine Privatsache ist, die niemanden zu interessieren hat. Man muss ja auch in heterosexuellen Beziehungen nicht immer erzählen, wie genau es gerade mit der Ehefrau läuft.

Hattest du diese Einstellung zu dem Thema schon immer?
Nein. Ich muss zugeben, dass der Einfluss der öffentlichen Meinung da größer war, als ich zunächst registriert hatte. Früher hatte ich schon einen Widerwillen gegen Menschen, die sich geoutet haben. Der ist mir mittlerweile abhanden gekommen. Wenn jetzt beispielsweise jemand aus meiner Familie sich outen würde, könnte ich das schon verdauen.

Welche Themen haben dich sonst die letzten Wochen noch beschäftigt?
Die Rentenreform von Frau Nahles. Ich befürchte, die fördert eher die Männer als die Frauen und wird sehr teuer. In den 70ern und 80ern gab es diese Diskussionen ja schon mal, damals sind insbesondere Lehrer in Frührente gegangen. Das wurde dann als gute Tat gesehen, weil man Platz für Jüngere macht. Aber ich zweifle, ob das wirklich funktioniert.

Neulich gab es ja die Meldung, dass ein heute 13-Jähriger 77.000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen wird, als er rausbekommt.
Das sind Milchmädchenrechnungen, die müssen nicht stimmen. Früher haben die Menschen in London auch Pferdeäpfel gezählt und gedacht, die Stadt würde zukünftig darin versinken, wenn es so weiterginge. Na ja, aber in Anbetracht von so vielen alten und so wenig jungen Menschen finde ich es schon nicht unlogisch, dass da ein großes Ungleichgewicht entstehen wird. Bei diesen Berechnungen sind viele Sachen ja nicht mitgedacht. Zum Beispiel, dass ihr sehr viele Immobilien erben werdet.

 Also siehst du unsere Zukunft als Erbverwalter?
Natürlich nicht nur. Aber ich denke, in 20 bis 30 Jahren wird die Rentendiskussion wieder ganz anders aussehen und keiner erinnert sich mehr an die Sorgen von heute.

 In welchem Alter bist du denn in Rente gegangen? Mit 62, nach meinem Herzinfarkt.

Bald haben du und Oma dann ja auch Diamant-Hochzeit...
Oh, das Wort „Diamant“ nehme ich ja nur sehr ungerne in den Mund. Das zeigt direkt, wie alt man ist. Aber sag das nicht deiner Oma. Die benutzt dieses Wort nämlich sehr sehr gerne!

Her mit der schlechten Laune!

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Auf der Weltkarte des Internets sind Facebook, Twitter und Instagram das Teletubby-Land. Mit Likes und Sternchen und Herzen. Alle sind beautiful und awesome und haben sich unglaublich lieb. Es ist wie eine Party, bei der alle auf MDMA sind. Wenn man selbst auch high ist, kein Problem. Aber was, wenn nicht? Wenn man keine Lust hat, von dieser gnadenlos gut gelaunten Feiergemeinschaft aufgefordert zu werden, alles zu teilen und mitzuteilen, was man gerade macht und wie es einem geht?

Im sozialen Netz herrscht ein Gute-Laune-Diktat. Aber seit kurzem lehnen sich ein paar Apps und Webseiten gegen dieses Diktat auf. „Hate With Friends“ zum Beispiel. Die Website, die im Dezember online ging, listet unsere Facebook-Kontakte auf und lässt uns mit „hate her“ oder „hate him“ auswählen, wen aus der Freundesliste wir eigentlich gar nicht mögen. Erst wenn zwei sich gegenseitig als verhasst markiert haben, zeigt die App das beiden an. Und dann passiert: nichts. Außer dass sich die Listen „Who I hate“ und „Who hates me too“ füllen. Würden wir denjenigen konsequenterweise aus unserer Freundesliste löschen wollen, müssten wir das manuell machen.

Seit Dezember haben mehr als 75.000 Menschen die Website ausprobiert. Gegründet hat sie der 30-jährige New Yorker Chris Baker, der freiberuflich in der Werbung arbeitet. Gemeinsam mit Entwickler Mike Lacher und dem BuzzFeed-Mitarbeiter Tiger Wang, beide 28. Pioniere sind sie nicht. Webseiten und Apps, die wie „Hate With Friends“ die Freundschafts- und Like-Kultur auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken persiflieren, gab es immer wieder. Aktuell wachsen sie aber zu einer Bewegung heran: das Browser-Plugin „Unfriend Notify for Facebook“ zeigt etwa an, ob man kürzlich von einem Facebook-Kontakt entfreundet wurde – weil Facebook nur darüber informiert, wenn sich jemand mit einem befreunden will.


"Nicht mit einem Klick signalisieren zu können, dass man etwas blöd findet, ist schlicht unnatürlich."

Oder„Lonerbook“: ein Standbild einer rot statt blau eingefärbten Facebook-Startseite. „Lonerbook“ stellt sich als anti-soziales Programm vor, das einen davor bewahrt, andere Leute zu treffen. „Endlich. Eine Website für Leute wie uns“, steht dort, direkt unter den Fotos fünf berühmter Einzelgänger, darunter der US-amerikanische Komiker Larry David. Der hat nervigen Smalltalk mit zufälligen Begegnungen einmal als lästiges „Stop and Chat“ bezeichnet. Es blieb allerdings bei dem Standbild, ausprobieren konnte man „Lonerbook“ nicht.

Ebenso wenig die Facebook-Erweiterungen „Snubster“, die erlauben wollte, Facebook-Freunde in Listen wie „für mich gestorben“ einzuordnen, und „Enemybook“, die ermöglichen wollte, nicht nur Freunde, sondern auch Feinde hinzuzufügen. Inklusive Begründung, warum man sie hasst: „hat mit meiner/m Ex geschlafen“ oder „ist der Freund meines Feindes“. Das alles sind Parodien, die sich im Netz wunderbar verbreiten – und liken! – lassen. Und daran erinnern, dass es unsinnig ist, die Freundschaftsanfragen von Hunderten mehr oder weniger bekannten und gemochten Menschen anzunehmen und deren Posts und Fotos ständig nur zu liken, zu favorisieren und zu herzen.

„Positive Meldungen passen besser zu uns als negative“, zitierte die Welt vor Jahren einen Facebook-Sprecher. Dass wir zu sortieren beginnen, ist nur die logische Konsequenz aus dem riesigen Kontakt-Pool, den die meisten nach den zehn Jahren, die es Facebook jetzt gibt, angesammelt haben. Längst sind wir auch mit flüchtigen Urlaubsbekanntschaften, anstrengenden Großcousins und Leuten befreundet, deren Namen wir nicht mal mehr genau einordnen können. Es ist also an der Zeit, dieses gigantische Verzeichnis sinnvoll zu durchkämmen.

Mit der App „Bang With Friends“ können wir auswählen, mit welchen unserer Facebook-Bekanntschaften wir gerne ins Bett gehen würden. Mit „Hate With Friends“, wen wir eigentlich gar nicht mehr sehen wollen – was deutlich öfter der Fall sein dürfte. Die durchschnittlich 342 Freunde, die ein Facebook-Nutzer hat, die Fotos und das Zeug, das diese jeden Tag produzieren, kann keiner gut finden. Das Problem ist nur: Dass diese 342 die Fotos und das Zeug, das wir selbst produzieren, gut finden – das wollen wir dann doch.

„Ich denke, wir werden uns langsam bewusst, wie anti-sozial wir alle sind. Wir wollen Anerkennung und Bewunderung, dabei sind wir uns gegenseitig auf diesen Seiten leid“, sagt Chris Baker, der Entwickler von „Hate With Friends“. „Wir alle sind in sozialen Verpflichtungen gefangen mit Menschen, die wir überhaupt nicht mögen.“ Diese Verpflichtungen gibt es außerhalb des Internets natürlich auch, Stichwort „Stop and Chat“.

Auch da hilft das Internet. 2013 erschien die App „Hell Is Other People“. Das Programm nutzt GPS-Daten von Foursquare und will anhand derer helfen, zufällige Begegnungen auf der Straße zu vermeiden. Chris Baker arbeitet nach „Hate With Friends“ gerade an der iOS-App „Cloak“, die auf einer Karte anzeigt, welche Foursquare-, Instagram-, Facebook- und Twitter-Freunde gerade in der Nähe sind – um ihnen dann aus dem Weg zu gehen. Ist das nun schlimm? Überhaupt nicht!

Die Illusion, das Internet sei ein sozialerer Raum als da draußen auf der Straße, in der Schule, in der Arbeit, ist verlockend. Aber sie ist nur eine Illusion. Es liegt in der Natur des Internets, Menschen und Dinge miteinander zu verbinden, digital und auch analog, und das Internet wird immer denen helfen, die Menschen kennenlernen oder treffen wollen. Aber denen, die das gerade nicht wollen, auch. Bisher musste man sich dafür ganz von Facebook, Twitter und Instagram fernhalten. Was aber, wenn wir das nicht wollen? Wenn wir das gar nicht müssen? Wir können, wir wollen ja differenzieren, nicht nur alles gut finden. Das sieht man auf YouTube: Dort gibt es zwei Daumen. Nicht nur den, der nach oben zeigt, sondern auch einen, der nach unten zeigt. Nicht mit einem Klick signalisieren zu können, dass man etwas blöd findet, ist schlicht unnatürlich. Uns macht eben nicht nur das aus, was wir mögen aus, sondern auch das, was wir ablehnen. Fußballvereine. Schauspieler. Katzen – deren Fotos sich auf Facebook und Twitter mit der Browser-Erweiterung „Rather“ übrigens ganz leicht ausblenden und durch andere Fotos ersetzen lassen. Manchmal will man nichts gut finden, herzen, favorisieren, sondern ein Vollbad in der eigenen schlechten Laune nehmen. Diese Tage gibt es. Deshalb sollte es sie auch im Internet geben dürfen.

Nächtliche Störung

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Meine Mutter hasst Bügeln. Bügeln ist für sie der unnötigste Wurmfortsatz der Hausarbeiten, den man deshalb möglichst lange rausschiebt oder im besten Fall der Reinigung überlässt. Wenn meine Mutter das Bügelbrett aufstellt, muss sie somit völlig verzweifelt sein und sich nicht mehr anders abzulenken wissen, als dass sie nochmal ein paar Hemdkragen plattmacht.

In der Nacht, in den furchtbarsten Anruf bei meinen Eltern tätigte, den man als Kind diesen armen Erwachsenen zumuten kann, hat sie sehr viel gebügelt.

Ich war 15 und es war Tanz in den Mai. Eine Schützenparty, bei der lauter Minderjährige (also auch ich und meine Freundinnen) sehr viel Erdbeer Limes tranken und dann betrunken durch den Wald liefen um "die Sterne besser zu sehen". Superclevere Idee, wenn es stockfinster ist und der Boden sowieso schon bedenklich schwankt. Es war abzusehen, dass ich stürzen würde. Das Schicksal wollte es allerdings, dass ich mich nicht einfach nur langmachte sondern natürlich auch noch mit der Hand in eine zerbrochene Bierflasche fiel. Bisschen Blut, was ich im Dunkeln so erfühlen konnte. Aber die Finger ließen sich noch bewegen.


Was war der schlimmste Anruf, den du deinen Eltern nachts angetan hast?

Erst als ich ins Licht trat und den Knochen meines Zeigefingers sehen konnte wurde mir bewusst, dass ich mich doch ziemlich doll geratscht haben musste. Als der Finger sich dann auch nicht mehr so gut bewegen ließ, kam mir der Gedanke, vielleicht doch zu einem Arzt zu gehen. Der würde das schon verbinden und wenn ich nach Hause käme, würde es keinem auffallen. Bloß nicht zuhause anrufen, mit 15 betrunken zu sein käme sicher nicht doll.

Als ich dann im Krankenhaus war und der Arzt sagte, ich müsse sofort in eine andere Klinik fahren und operiert werden, wenn der Finger nicht auf ewig steif bleiben sollte, fing ich an zu heulen. Ich heulte so sehr, dass meine beste Freundin meine Eltern anrufen musst - nachts um drei. "Ich bin mit Charlotte im Krankenhaus und sie soll operiert werden", war ihr erster Satz. Die Reaktion meiner Mutter konnte ich zum Glück nicht hören. Auf jeden Fall hat sie in dieser Nacht sehr viel gebügelt, bis mein Vater und ich aus dem Klinikum zurückkamen. Alle Beugesehen waren durch, ich musste ein halbes Jahr lang eine Schiene tragen. Den Finger kann ich jetzt wieder verwenden.

Meine Mutter betont bis heute, dass die Sekunde bis sie wusste, dass es nur um den Finger und nicht um mein Leben geht, zu den furchtbarsten in ihrem Leben gehörten. Hast du auch so eine Geschichte? Wann hast du deine Eltern mal nachts anrufen müssen und ihnen einen ordentlichen Schreck eingejagt?

Experiment für Europa

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Brüssel – In der Führungsetage der Europäischen Kommission sinnierten am Freitag hohe Bedienstete über ihren nächsten Chef. Wer wird Behördenpräsident José Manuel Barroso nachfolgen? Einer der Spitzenkandidaten, die jetzt überall genannt werden? Oder zaubern die 28 Staats- und Regierungschefs am 27. Mai, wenn sie sich bei einem Abendessen in Brüssel auf Barrosos Nachfolger einigen sollen, einen unbekannten Bewerber aus dem Hut? Einer, der schon lange dabei ist, spekuliert nicht lange herum. Jedenfalls, so sagt er, täten die Parteien jetzt gut daran, passable Leute aufzustellen, „da nicht auszuschließen ist, dass einer der Spitzenkandidaten tatsächlich Kommissionspräsident wird“.



Martin Schulz soll Europas Sozialdemokraten anführen.

Alles ist möglich, nichts sicher. So präsentiert sich die Europäische Union zu Beginn des Wahljahres 2014. Beinahe unbemerkt hat sich die politische Farbenlehre verschoben. Aus einer vorwiegend von Christsozialen regierten Gemeinschaft ist eine große europäische Koalition geworden. 13 der 28 nationalen Präsidenten, Premiers und Kanzler, die in Brüssel regelmäßig am Gipfeltisch sitzen, haben ein schwarzes Parteibuch, zwölf ein rotes, drei ein gelb-liberales. Litauens Präsidentin Dalia Gribauskaite ist parteilos, ihr Premierminister Algirdas Butkevičius im roten Lager verankert. Christsozial-konservativ und sozialistisch-sozialdemokratisch regierte Länder halten sich zu Beginn 2014 die Waage.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen sagen Forscher auch für den Ausgang der Europawahlen Ende Mai voraus. Im Dezember lagen nach nationalen Umfragen, die auf europäisches Niveau hochgerechnet wurden, die Volksparteien ein wenig vor den Sozialisten. Im Januar dagegen ergab eine EU-interne Hochrechnung, dass die Roten knapp die Nase vorn haben. Ihnen werden 225 bis 231 Sitze im Europäischen Parlament vorausgesagt; die Schwarzen kommen auf 216 bis 222 Sitze, Liberale auf 55bis 59, die Grünen auf 54 bis 58, extreme Rechte auf 35 bis 39 Mandate. „Mit Vorsicht zu genießen“, sei dies, heißt es bei den Sozialisten. Aber ein Trend verfestige sich: „Alles läuft auf eine große Koalition im Europäischen Parlament hinaus.“ Was bedeutet, dass die nach den Europawahlen zu vergebenden Spitzenjobs vor allem zwischen Roten und Schwarzen, zwischen Frauen und Männern aufgeteilt würden.

Der mit Abstand wichtigste Posten ist der Chefsessel der Europäischen Kommission. Die Behörde ist verantwortlich dafür, dass das Herz der Europäischen Union, der Binnenmarkt, reibungslos funktioniert. Sie hat als einzige europäische Institution das Recht, Richtlinien und Verordnungen vorzulegen.

Vor fünf Jahren war der portugiesische Amtsinhaber Barroso einziger Kandidat für diesen Posten, präsentiert von jener Parteienfamilie Europas, die damals mit Abstand die meisten Stimmen bei der Europawahl bekam: der Europäischen Volkspartei, zu der CDU und CSU gehören. Barroso war, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bei europäischen Themen gern anmerkt, alternativlos. Das sah wohl auch das Europaparlament ein. Es zierte sich zuerst ein wenig – und wählte Barroso dann doch.

Wie es diesmal ausgehen wird, kann seriös niemand voraussagen. Denn Europa wagt sich an ein Experiment. Erstmals werden alle großen Parteien mit einem (die Grünen mit zwei) Spitzenkandidaten in einen europaweiten Wahlkampf ziehen und für Stimmen für ihre Parteienfamilie werben. Wie das bei den Wählern ankommt, darüber gibt es geteilte Meinungen, in den Hauptstädten wie auch in Brüssel.

In der Führungsetage der EU-Kommission kalkulieren hohe Beamte die Erfolgsaussichten der Kandidaten, am 27.Mai von den 28 nationalen Chefs tatsächlich als Kommissionspräsident nominiert zu werden, ganz nüchtern. „Wichtig wird sein, wie viele Bürger wählen gehen. Je mehr es sind, desto bedeutender wird der Spitzenkandidat. Wenn dieser außerdem ein starkes Ergebnis in seinem Heimatland holt, wird es nicht einfach, an dem siegreichen Kandidaten vorbei einen anderen Vorschlag zu machen.“ Andererseits: Falls sich der Wahlkampf als Flop erweist und keiner der Spitzenkandidaten überzeugt, sei auch eine „italienische Lösung“ denkbar. Der jetzige Premier Enrico Letta sei ja auch „aus der Not des Wahlergebnisses heraus ins Amt gekommen”.

Fest steht nur das Prozedere. Die Chefs einigen sich im Lichte der Ergebnisse der Europawahl am 27. Mai auf ihren Kandidaten, dieser soll sich im Juli dem neuen EU-Parlament zur Wahl stellen – und mit Mehrheit gewählt werden.

Die meisten Parteien haben ihre Spitzenkandidaten bereits sondiert. SPD-Mann Martin Schulz soll die Roten führen, seine Nominierung auf dem Parteikongress in Rom am 1. März besiegelt werden. Schulz hat viele Länder hinter sich, eines der wichtigsten aber nicht. Die britische Labour-Partei verweigert ihm die Gefolgschaft.

Luxemburgs langjähriger Premier Jean-Claude Juncker gilt als aussichtsreicher Kandidat der Schwarzen: wahlkampferprobt, beliebt; Deutsch, Französisch und Englisch sprechend. Dass der Mitbegründer des Euro in Berlin und Paris schon das politische Einverständnis habe, wollte Juncker am Sonntag nicht bestätigen. Zuletzt waren Zweifel an der Belastbarkeit des 59Jahre alten Politprofis aufgetaucht. Spätestens am 7. März wollen sich die Schwarzen festlegen.

Frisch vom Dach

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Berlin – Oben im Glashaus sonnen sich Tomaten, Gurken und Chilischoten, unten im Container blubbern Barsche im klaren Wasser vor sich hin. „Eine ziemlich skurrile WG“, sagt Christian Echternacht und lacht: „Die fühlen sich zusammen pudelwohl.“ Echternacht scheint guter Dinge zu sein. Zusammen mit Nicolas Leschke und ein paar anderen Mitstreitern hat er vor knapp zwei Jahren in Berlin Efficient City Farming (ECF) gegründet. Das junge Unternehmen will Stadtfarmen aufbauen und betreiben und beweisen, dass man auch mitten in der Stadt gewinnbringend eine nachhaltige Fisch- und Gemüseproduktion aufziehen kann. Es gehe darum, Ökologie und Ökonomie zu verbinden, betont Echternacht – und räumt ein, dass die Idee so neu nicht sei. „Aber wir haben hier einen ziemlich originellen Ansatz gefunden.“





Echternachts Aufstieg zum Stadtbauern führte über Umwege. Mit Landwirtschaft hatte der gebürtige Gelsenkirchner zunächst wenig zu tun. Vielmehr half er seinem Bruder, Fußballprofi zu werden, startete ein Medizinstudium in Marburg, das er abbrach, um Mitte der Neunzigerjahre eine Internetagentur und ein Stadtmagazin zu gründen. 2003 zog er nach Berlin, um gleich weiterzuziehen – im Tross von Brian Eno, dem Musiker, Künstler und Produzenten, der seine Karriere mit der legendären Rockband Roxy Music gestartet hatte. Echternacht assistierte Eno bei Ausstellungen und Videoinstallationen. „Eine schöne, schrille Zeit war das mit Eno“, sagt der 42-Jährige, „aber jetzt Geschichte.“

Geschichte sind auch Nicolas Leschkes Versuche, als Firmengründer und Berater bei verschiedenen Entwicklungsprojekten in Afrika und Indien die Lebensumstände der Bevölkerung zu verbessern. „Das ist gelungen und nicht gelungen“, sagt Leschke nüchtern, der an diversen internationalen Business- und Management-Schulen studiert hat. Beruflich gelandet ist er schließlich in der Malzfabrik in Berlin-Tempelhof, einem der vielen Biotope für Kreative aller Art. Leschke ist dort stellvertretender Geschäftsführer und Coach für viele Jungunternehmer. Jetzt aber kümmert er sich auch noch um Fisch und Gemüse.

Das kam so: Malzfabrik-Chef Frank Sippel war bei seiner Suche nach Geschäftsideen in Basel auf die Urban Farmers AG gestoßen. Die kleine Schweizer Firma gehört zu den Vorreitern auf dem Gebiet der Aquaponik. Die Wortschöpfung aus Aquakultur und Hydroponik beschreibt das Verfahren, das auf die Symbiose von Fisch- und Gemüsezucht setzt. Die Fische im Aquarium liefern dabei mit ihren Ausscheidungen gerade jenen Dünger, den das Gemüse fürs Wachstum braucht. Zugleich entsteht ein fast geschlossener Wasserkreislauf, weil die im nährstoffhaltigen Wasser stehenden Pflanzen „nebenbei“ auch zur Kläranlage werden. „Das Wasser kann also doppelt genutzt werden und macht damit die Fischzucht im Container ökonomisch“, sagt Echternacht. Eine scheinbar einfache, aber geniale Idee, die Sippel mit in die Malzfabrik nach Berlin brachte. Das Ergebnis lässt sich derzeit in einem 16Quadratmeter großen Showcontainer besichtigen.

Doch der Weg dahin war alles andere als leicht. Was so vielversprechend begann, drohte zwischenzeitlich für die Firmengründer zum Albtraum zu werden. Erste Versuche mit einem Vorgängermodell der Containerfarm schlugen fehl, weil der optimale pH-Wert, das Maß für den Basen- Säure-Gehalt des Wassers, für Fisch und Gemüse nicht derselbe ist. „Wenn es den Pflanzen im Wasserkreislauf gut ging, wuchsen die Fische zu langsam heran“, erklärt Echternacht. „Oder es war genau umgekehrt.“ Echternacht, Leschke und ihre Mitstreiter suchten Hilfe. Sie fanden sie im Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei am Ostberliner Großen Müggelsee. Dort hatten Wissenschaftler schon zu DDR-Zeiten versucht, Fisch- und Gemüsezucht zu kombinieren. Viele der dabei geborenen Ideen verschwanden in der Schublade und wurden erst Ende der 90er-Jahre wieder herausgeholt, verfeinert und schließlich in einer Versuchsanlage einem Praxistest unterzogen – mit Erfolg. „Nur wirtschaftlich umgesetzt wurde das patentierte Verfahren nie“, sagt Echternacht. „Da mussten erst wir kommen.“

Vom Geschäftserfolg sind allerdings auch die EFC-Gründer noch ein gutes Stück entfernt. Zwar funktioniert der Showcontainer in der Malzfabrik und lockt viele Interessenten. Wirtschaftlich aber bleibt die Containerfarm ein Flop. „Ihre Kapazität ist viel zu klein, um sie ökonomisch zu machen“, sagt Leschke. „Wir müssen jetzt größer bauen und damit den Beweis antreten, dass sich Fisch- und Gemüsezucht auf dem Dach eines Supermarktes oder auf einer Freifläche in der Stadt rechnet.“ Darum soll nun auf dem Gelände der Malzfabrik auf 2000 Quadratmetern Dachfläche die erste große Farm entstehen.

Echternacht und Leschke haben alles durchgerechnet. „24 Tonnen Fisch und bis zu 35 Tonnen Gemüse pro Jahr sind durchaus drin“, glauben sie. Die Ernte wollen sie an Restaurants liefern und über Abo-Kisten direkt zu den Kunden bringen. Der Start ist für dieses Jahr geplant, wenn die neue Aquaponik-Anlage steht. Ob das gelingt, ist nicht ausgemacht. Für den laufenden Betrieb ihrer Firma sorgen zunächst öffentliche Fördergelder. Für den Bau der Stadtfarm aber müssen sie über eine Million Euro bei privaten Investoren sammeln. Echternacht ist zuversichtlich. Seit Wochen ist er auf Tour, um für das Projekt zu werben. Es gebe Interessenten aus dem arabischen Raum, aus Australien und Südkorea, sagt er. Und nicht nur das: Anfang Dezember kehrten die beiden Firmengründer aus dem Silicon Valley zurück. Im Gepäck den „Oscar“ der Cleantech Open, einem Wettbewerb für junge Firmen im Bereich Umwelttechnologien, der alljährlich im Mekka der Innovationen ausgetragen wird. „Unter 1000 Teilnehmern sind wir als bestes internationales Start-up ausgezeichnet worden“, freut sich Echternacht.

Dass sie das Startkapital zusammenbekommen, davon ist er jetzt mehr denn je überzeugt. Die eigentliche Erfolgsprobe aber steht noch aus. „Eigentlich wollten wir die Stadtfarmen nur bauen und vermarkten“, sagt Echternacht. „Jetzt aber werden wir selbst Stadtbauern, um zu beweisen, dass unser Geschäftsmodell auch funktioniert.“

Tumulte in Stuttgart

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In der Diskussion um sexuelle Vielfalt und Toleranz als Unterrichtsthema in Baden–Württemberg ist es am Samstag bei Demonstrationen in der Stuttgarter Innenstadt zu tumultartigen Szenen gekommen. Etwa 700 Menschen protestierten am Schlossplatz gegen die noch vagen Pläne der grün-roten Landesregierung, Fragen der sexuellen Orientierung stärker in der Schule zu behandeln. Sie warfen der Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) „Regenbogenideologie“ und „Indoktrination der Kinder“ vor. Am nahen Schillerplatz versammelten sich etwa 500 Menschen zu einer Gegendemonstration. Sie wollten ein Zeichen „gegen Homophobie und Menschenfeindlichkeit“ setzen.



Ein Demonstrant wird auf dem Schlossplatz in Stuttgart von der Polizei festgehalten

Anfangs maßen sich die beiden Gruppen noch mit Sprechchören („Schützt unsere Kinder!“ - „Vor Euch selbst!“), dann gab es handgreifliche Auseinandersetzungen, auch mit der Polizei. 22 Personen aus beiden Lagern müssen wegen Übergriffen mit einer Anzeige rechnen, 200 Beamte waren im Einsatz. Zu Handgemengen und Farbbeutelwürfen kam es, als ein Teil der Gegendemonstranten („Sexismus und Homophobie sind Verbrechen“) dem Zug der Regierungskritiker („Kein Pornounterricht für Kinder“) den Weg verstellte. Auch Schilder wurden angezündet. Der Sprecher des Stuttgarter Christopher Street Day, Christoph Michl, bedauerte die Zwischenfälle: „Randale, Rangeleien, Schubsereien und Gewalt sind nicht in unserem Sinne.“ Es gehe vielmehr um einen Dialog, der Ressentiments entkräften könne.

Am Donnerstag hatte der Schwarzwälder Realschullehrer Gabriel Stängle dem Landtag neun Aktenordner mit 192000 Unterschriften übergeben, die er mit einer Online-Petition gegen das grün-rote Reformvorhaben gesammelt hatte. Das Kultusministerium hat nun zwei Monate Zeit für eine Stellungnahme, dann wird der Petitionsausschuss beraten. Zwei Gegenpetitionen lagen am Sonntagnachmittag bei 136000 beziehungsweise 88000 Unterzeichnern.

Held der Überforderten

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Philip Seymour Hoffman ist tot. Ein Assistent fand den Schauspieler in seiner New Yorker Wohnung am Sonntagvormittag gegen 11.30 Uhr Ortszeit leblos auf. Ein Polizeibeamter erzählte der New York Times, man habe Hoffman mit einer Spritze im Arm gefunden, in seiner Nähe ein Papierumschlag mit einer Substanz, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit um Heroin handelt. Die New York Post zitiert einen Cop: „Er hat sich im Bad einen Schuss gesetzt.“ Das sind nun erst einmal die „hard boiled“, die hartgesottenen Abschiedsworte, die eine seiner Kinofiguren zerbrochen oder zur Raserei gebracht hätten.



Spontan-Gedenkstätte vor dem Haus, in dem Hoffman lebte.

Nur wenige Stunden nach seinem Tod sammelten sich Hunderte Trauernde vor dem Apartmentgebäude in der Bethune Street im äußeren Greenwich Village. Dabei zählte Philip Seymour Hoffman weder zur Hollywood A-List, noch zu einer der Kunstfilmcliquen, auch wenn ihn beide Welten immer wieder umgarnten und umwarben. Er neigte zu Übergewicht, man sah die Zerrissenheit in seinem Gesicht. Was er hatte, war ein enormes Charisma und die Gabe, selbst die armseligsten Figuren sympathisch zu machen.

So wurde er der Held einer Generation, die mit der permanenten Überforderung lebte, dass die Großeltern die greatest generation des Weltkriegs und die Eltern die Helden der Gegenkultur waren. Die großen Indie-Filmer der letzten zwanzig Jahre entdeckten ihn und so baute er sich mit Nebenrollen Film für Film zu einer ständigen Größe auf. Die Coen Brothers heuerten ihn an für „The Big Lebowski“, David Mamet für „State and Main“ und Todd Solondz für „Happiness“. Paul Thomas Anderson besetzte fast keinen seiner Filme ohne Philip Seymour Hoffman, drehte „Magnolia“ mit ihm, „Boogie Nights“ und trieb ihn in seiner Rolle als Scientology-Gründer L. Ron Hubbard in „The Master“ zu Höchstleistungen. Selten tauchte Hoffman in Blockbustern wie „Mission Impossible 3“ oder „Roter Drache“ auf. Für die Hauptrolle in „Capote“ bekam er 2006 dann den Oscar. Er blieb dafür immer auch ein Schauspieler für Schauspieler, förderte Theater, junge Kollegen und Regisseure.

Eine seiner Schlüsselszenen spielte Philip Seymour Hoffman in „Almost Famous – Fast berühmt“ aus dem Jahr 2000, in dem der Regisseur Cameron Crowe seine Jugend als Rockjournalist verarbeitete. Hoffman spielte da den legendären Rockkritiker Lester Bangs, der der jugendlichen Hauptfigur während dessen erstem Job auf Tour mit einer Band als eine Art Mentor am Telefon beisteht.

Bangs (Hoffman) ermahnt darin den jungen Journalisten, er solle sich nicht mit der Band anfreunden, dann sei er verloren. „Sie geben dir das Gefühl, du bist cool“, sagt er. „Ich hab’ dich getroffen. Du bist nicht cool. Wir sind uncool. Frauen werden immer ein Problem für Typen wir uns sein. Große Kunst dreht sich fast immer um dieses Problem. Gut aussehende Leute, die haben kein Rückgrat haben. Ihre Kunst hält nicht lange. Wir kriegen die Mädchen dann, weil wir klüger sind. Darum geht es in großer Kunst.“ Philip Seymour Hoffman wurde 46 Jahre alt.

Heimat im Topf

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Bontu Guschke, 20, und Carolin Strehmel, 21, studieren Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin, Ninon Demuth und Gerrit Kürschner, beide 24, studieren Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin. Zusammen haben die vier das Kochbuch "Über den Tellerrand kochen" geschrieben, in dem sie die Rezepte und Geschichten von 21 Asylbewerbern zusammengetragen haben. Gerade ist die zweite Auflage erschienen.
Wir haben mit Bontu über das Kochen und Einkaufen mit den Asylsuchenden gesprochen.
 

jetzt.de: Herzlichen Glückwunsch, ihr habt mit eurem Kochbuch denUni-Wettbewerb Funpreneur gewonnen und seid am Montag mit dem Preis des bundesweiten Wettbewerbs Go for social ausgezeichnet worden. Wie kommt man auf die Idee, ein Kochbuch zusammen mit Asylbewerbern zu schreiben?
Bontu Guschke:
Als wir die Idee hatten, waren die Proteste gegen das Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf gerade überall in den Medien. Daran haben wir gesehen, dass so viele Menschen eine innere Abneigung gegen Asylbewerber haben, und zwar weil sie die Menschen, die dort leben, nicht kennen. Mit dem Buch wollten wir diese Menschen näher bringen. Wir haben nicht nur die Rezepte, sondern auch die Geschichten der Menschen dahinter gesammelt. Und mit einem Kochbuch, dachten wir, können wir viele Menschen erreichen.  



Bontu, Nasir und Ninon (von links nach rechts) beim Essen.

Welche Rezepte haben euch die Asylsuchenden gezeigt?
An einem Abend haben wir zusammen mit Shaikh aus Pakistan und Nasir aus Nigeria gekocht. Shaikh hat mit uns als Hauptspeise Chicken karahi, ein Hühnchengericht mit Ingwer, Koriander und Knoblauch, gekocht. Dazu haben wir Paratha gebacken, pakistanisches Brot. Als Nachspeise haben wir Koko Hausa aus Nigeria getrunken, ein dickflüssiges Getränk, das irgendwie süßlich-bitter schmeckt. Nasir hat das in seiner Kindheit getrunken, wie alle Kinder in Nigeria, und es ist auch heute noch eines seiner liebsten Getränke, weil ihn das so an seine Heimat erinnert.  

Wo und wie habt ihr zusammen gekocht?
Meistens haben wir die Asylsuchenden zu uns eingeladen, einmal waren wir auch im Asylbewerberheim, da gibt es Gemeinschaftsküchen. Mit Hassan aus Ghana haben direkt am Oranienplatz gekocht, er hat einen Gaskocher, Töpfe und Schalen ausgepackt und einen Eimer Wasser geholt, weil es kein fließendes Wasser gibt. Es war ein toller Abend.  

Wenn ihr nicht da seid, kochen die Asylsuchenden dann allein?

Viele würden gern zusammen zu kochen, aber es gibt nicht genügend Kochmöglichkeiten und Platz. Dann isst doch wieder jeder für sich. Shaikh aus Pakistan zum Beispiel hat erzählt, wie traurig er es findet, sich alleine an den Tisch zu setzen. Aus seiner Heimat kennt er es so, dass man zusammen kocht und vor allem zusammen isst. So geht es vielen. Wenn man zusammen mit seiner Familie flieht, ist es natürlich anders. Im Flüchtlingscamp am Oranienplatz haben wir eine syrische Mutter getroffen, die jeden Tag selbst Käse für ihre Familie macht.  

Käse?

Wir haben auch gestaunt. Sie presst dafür Joghurt durch einen Kissenbezug und mischt ihn mit Gewürzen und Sesam. Einfach, weil sie es ihrer Familie hier so schön wie möglich machen will. Essen und Kochen hat ganz viel mit Geborgenheit und Wohlfühlen zu tun. Shaikh zum Beispiel hat uns viel darüber erzählt, wie in seiner Heimat gekocht wird, wer kocht, was man wann isst. Wenn man zusammen kocht, lernt man sich automatisch kennen. Man sitzt sich nicht gegenüber und einem gehen die Worte aus. Die Erinnerungen kommen ganz automatisch hoch.  

Welche Erinnerungen waren das bei den Asylbewerbern, mit denen ihr gekocht habt?
Wir haben viele schöne, aber auch viele traurige Geschichten gehört. Nasir aus Nigeria hat erzählt, dass er kochen kann, weil er als kleiner Junge immer seiner Mama über die Schultern geguckt hat. Als wir dann gekocht haben, hat er kurz vorher seine Mutter in Nigeria angerufen und gefragt, welche Zutat man zuerst hinzufügen muss. Er brachte ein nigerianisches Gewand mit und hat es angezogen, weil er gesagt hat, wenn er nigerianisch kocht, will er sich auch nigerianisch fühlen, und dann zieht er sein Gewand dafür an. Als Sheema erzählt hat, dass er seinen vierjährigen Sohn in Pakistan zurücklassen musste, standen ihm die Tränen in den Augen.  

Was fehlt den Asylsuchenden, abgesehen von ihren Familien?

Natürlich brauchen sie auch Kleider-, Essens- und Geldspenden, aber was ihnen am meisten fehlt, ist der Kontakt: Menschen kennenlernen, mit Menschen reden, jemanden haben, der sich für sie interessiert, sich mit ihnen trifft, dass sie das Gefühl haben, sie sind willkommen in Deutschland. Und Deutschkurse. Es gibt alle möglichen Regelungen, wann man einen Kurs machen darf und wann nicht. Wenn man aber kein Deutsch kann, ist es schwer, Anschluss zu finden. Im Moment unterstützen wir mit einem Teil des Verkaufspreises Pro Asyl, in nächster Zeit wollen wir dieses Geld auch nutzen, um kleinere Organisationen und Projekte wie Deutschkurse zu unterstützen.   

In Oberbayern werden ab Anfang März die Essenspakete für Flüchtlinge
abgeschafft, stattdessen bekommen sie dann knapp 140 Euro im Monat, um selbst einzukaufen. Wie wichtig ist das für die Asylsuchenden?
Es ist viel besser als etwas vorgesetzt zu bekommen. Auch, wenn es am Anfang schwierig ist.  

Inwiefern?

Mit Nasir waren wir einmal in einem deutschen Supermarkt. Er hat Gries gesucht und war ein bisschen überfordert von dem riesigen Sortiment. Gries gab es in zehn verschiedenen Varianten, er wusste gar nicht, welchen er nehmen soll.  

Und dann?
Hat er einfach einen ausprobiert. Die Asylsuchenden kennen viele Sachen schon, oder sie probieren sie aus, und wenn es nicht ganz so klappt, nehmen sie das nächste Mal etwas anderes. Die meisten sagen, dass sie hier bleiben wollen, da gehört es dazu, dass man sich auch in einen neuen Supermarkt einlebt. Und das tun sie gern, sie wollen mit den Verkäufern und anderen Kunden ins Gespräch kommen. Und ihre "Tricks" weitergeben.

Welche Tricks?
Shaikh hat uns erzählt, dass in Pakistan das Kochen mit ganz vielen gesundheitlichen Dingen verbunden ist: Morgens isst man zum Beispiel sieben Mandeln, weil das wohl besonders gut für den Körper ist. Es macht ihm so viel Spaß, solche Sachen zu erklären. Für uns war das ganz toll, weil wir als nächstes die Idee haben, Kochkurse von Asylsuchenden anzubieten.  

Was habt ihr da geplant?

Wir stellen uns das so vor, dass die Asylsuchenden Kochkurse geben und dafür Geld bekommen. Das Problem ist: Asylsuchende in Deutschland dürfen eigentlich nicht arbeiten. Es gibt Sondergenehmigungen, da müssen wir uns noch informieren, damit alles rechtens abläuft. Die Kochkurse sollen aufgebaut sein wie unser Buch, nicht mit einer Landesküche, sondern denen aus 14 verschiedenen Nationen. Aus Ghana, Nigeria, Pakistan, Bosnien, Mazedonien. In einem Kochkurs passiert das Kennenlernen noch auf einer viel persönlicheren Ebene als über das Buch.






Das Kochbuch "Über den Tellerrand kochen" kann man auf der Webseite Überdentellerrandkochen.de kaufen. 2,50 Euro pro verkauftem Buch gehen als Spende an Pro-Asyl zur Unterstützung von Projekten mit und für Asylsuchende.

Ich und meine Musik

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Montag
Noch ganz benommen von gestern Abend. War mit Freund T. auf dem Konzert von Moderat. T. und ich pflegen seit Jahren eine Nischenfreundschaft: Wir schicken uns wöchentlich E-Mails, in denen wir pingpongmäßig neue Songs anpreisen. Sehen tun wir uns fast nur zu Konzerten. T. ist außerdem Bastler aus Leidenschaft, erst letzte Woche hat er zwei alte Hi-Fi-Boxen von Braun für mich restauriert, die eine davon hier unterm Tulpenstrauß:





Das Konzert will ich jedenfalls erst gar nicht gut finden, weil es im Kesselhaus stattfindet, einer Halle, die charme-mäßig irgendwo zwischen dem Studio von Günter Jauch und dem Kölner Dom liegt. Bin aber dann doch nachhaltig markerschüttert von dem schlagsahnigen Emo-Techno und der 3D-Lichtshow und höre das Album morgens in der Bahn und abends nochmal auf meinen neuen Boxen. Nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal, aber: eines meiner liebsten Alben des vergangenen Jahres!

Dienstag
http://vimeo.com/82053429

Abends gehe ich zum Sport. Mein Fitnessstudio ist musikalisch immer ein Spießrutenlauf: entweder läuft dort der schlimmste Lokalsender Münchens oder ein Jumpstyle-Webradio aus Brandenburg. Ich stöpsel mich davon normalerweise mit Kopfhörern und einem guten DJ-Set ab, zuletzt mit diesem hier von Larse. Heute höre ich das neue Album von La Femme. Ich finde diesen Franko-Surfpop durchweg unterhaltsam und, wenn auch weniger gleichmäßig, flott genug für eine Stunde mittelmotiviertes Beintraining ist er allemal.

Mittwoch
http://www.youtube.com/watch?v=SG1RH5a9uw8 

Hab mir das neue Album der Hidden Cameras auf den iPod gezogen und deshalb morgens schon vor dem zweiten Kaffee grundgute Laune. Im Büro höre ich in das neue und mit großem Presse-Tamtam angekündigte Album von Left Boy rein – und bin ein bisschen enttäuscht. Für so viel präpotentes Gehabe ist mir das Stimmchen zu dünn, das halt ich nicht auf Albumlänge aus, zumindest nicht heute.

Donnerstag
Wir lesen abends mit der Redaktion in einem Schwabinger Mini-Theater, und ich soll danach auflegen. Fällt mir pünktlich um 17 Uhr ein. Ich wühle mich durch den CD-Stapel auf meinem Schreibtisch und mische eine halbgare einstündige Playlist mit Songs vom neuen We Are Scientists-Album, einer Prise Egotronic und Gardens & Villa und hoffe, dass niemand vorhat, zu tanzen. Zum Mitwippen reicht's und bei diesem Song prostet mich sogar jemand zustimmend an - Honig für meine DJ-Seele:

http://www.youtube.com/watch?v=AWViNiiaj-c

Freitag
http://www.youtube.com/watch?v=YxcO53WATYw

Ein Katertag im Büro, Kopfweh und Stress, denke nicht mal annähernd an Musik. Auf dem Nachhauseweg dann: Der Soundtrack von "Inside Llewyn Davis". Ein Schonwaschgang für meinen Rotweinkopf und übrigens eines meiner meistgehörten Alben der letzten zwei Monate.



Der Film hat mich gleich so erwischt, dass ich meine alte Gitarre entstaubt und neu besaitet habe. Seither sitze ich abends verkrümmt auf der Couch vor Youtube-Tutorials und lerne den Soundtrack.
  
Samstag
http://www.youtube.com/watch?v=u9sq3ME0JHQ

Zum Frühstück gibt's Räucherlachs mit Etta James. Als Playlist auf Spotify. Ein Wochenend-Tag muss bei mir mit Blues oder Jazz beginnen, frühkindliche Prägung väterlicherseits.

Sonntag
http://www.youtube.com/watch?v=RFrIT6-A6iU  

Höre nachmittags mal wieder ein sehr altes Album von Matt Costa, ehemaliger Jack-Johnson-Zögling und Skater. Dieser Song ist mein nächstes Projekt auf der Gitarre. Abends auf dem Fahrrad zum Abendessen spielt mein iPod ein altes, trauriges Album der nicht so alten, aber sehr traurigen Westküsten-Band Port O’Brien. Und ich werde kurz so wehmütig, dass ich auf dem Rückweg binge-mäßig ein paar Songs von Reverso 68 hören muss – ganz großmütig schwingender Balearen-House.   http://www.youtube.com/watch?v=TsZJIoVQD8w 

Auf der nächsten Seite: Der ausgefüllte Musik-Fragebogen von Jan.
 
 [seitenumbruch]
 
"Gute Musik” - was ist das für dich?
Musik, die mich bewegt. Irgendwie. Die mich antreibt oder abbremst, wärmt oder stützt – je nach Bedarf. Wenn sie das tut, ist sie gut. Wenn sie es nur anbiedernd versucht und sich dabei im Spagat überreißt, ist Musik für mich verlogen und schlecht. 

Wie hörst du Musik: Klassisch im CD-Spieler, auf dem Handy, über Streaming-Portale?
Fast ausschließlich über iTunes. Ich kaufe mir nur noch selten physische CDs. Unterwegs mit meinem alten iPod, zuhause mit einem iPad über meine große Anlage. Für neue Sachen und Hintergrund-Genudel zum Frühstück liebe ich meinen Spotify-Premiumaccount. Ich habe auch zwei Plattenspieler, auf denen ich hin und wieder Platten mixe, das hab ich früher mal halbwegs regelmäßig in einem kleinen Club gemacht.    

Wo hörst du Musik? Vor allem unterwegs, nur daheim, zum Einschlafen?
Weil ich leider so wenig Zeit daheim vor meinen tollen Boxen verbringe: vor allem unterwegs. Und im Büro über Kopfhörer. Zum Einschlafen nie, dafür fast immer zum Kochen und Essen - und gerne laut.

Hast du eine Lieblingsband oder Musiker, von denen du alles hörst?

Nein. Aber ich glaube, die Band, die ich über den längsten Zeitraum hinweg gehört, gemocht und nie aufgehört habe zu mögen, sind Weezer. Hab ich mit 16 beim Schüleraustausch in Kanada entdeckt. Die alten Dreiakkord-Losersongs lösen immer noch was in mir aus. Wen ich in letzter Zeit rundum genial finde, ist der norwegische DJ Todd Terje. Ich habe ein Spezial-Faible für schlauen Disco-House.

Welche Musik magst du gar nicht und warum?
Drum'n'Bass fand ich immer schon furchtbar, das treibt mir im Sitzen Schweißflecken unter die Achseln. Ansonsten: Jede Musik, der ich die eigene Emotion nicht abnehme, weil sie überall leidenschaftslos fingerdick draufgeschmiert ist und einem die Ohren verklebt. Sachen wie Revolverheld, brrr.

Was war deine erste eigene Platte - und wohin ging dein Musikgeschmack von da aus?
"Die Bestie in Menschengestalt" von den Ärzten, da war ich neun. Punk hat mir durch die Pubertät geholfen, NOFX, Millencollin, und ist dann irgendwann in Richtung Nu Metal abgebogen: Deftones, Korn, dieses Zeug. Irgendwann war das ständige Gejammer und Geseier dann aber auch uninteressant. Ich begann zu studieren und auszugehen, Clubmusik wurde plötzlich toll. Hab dann einige Jahre sehr viel House und Disco gehört, meine Vinyl-Sammlung besteht fast nur aus diesem Zeug.    

Gehst du gern auf Konzerte, und auf welche zuletzt?
Ja. Es rührt mich auf eine seltsame Art, wenn Musik in Echtzeit vor meinen Augen hergestellt wird. Diese Benommenheit nach einem guten Konzert kriegen bei mir sonst nur gute Kinofilme oder Theaterstücke hin. Zuletzt war ich, wie gesagt, bei Moderat. Als nächstes: Darkside, das Nebenprojekt von Nicolas Jaar.

Wie entdeckst du neue Musik und was ist deine neueste Entdeckung?
Vor allem über Musikblogs, denen ich folge: Pitchfork, Stereogum, Noisey. Und natürlich über die Dutzenden CDs, die Labels in die Redaktion schicken. Meine Entdeckung der Woche ist Ami Warning, eine junge und noch viel zu unbekannte Münchner Soul-Sängerin:
http://www.youtube.com/watch?v=dkC0y5XbOhI


Verrate uns einen guten Song zum...
 





Welchen jetzt-User oder -Redakteur schlägst du als Kosmoshörer vor?
Die Kollegin Mercedes Lauenstein!

Geist versus Flasche?

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Videos von Betrunkenen werden selten im Einvernehmen ihrer Protagonisten gedreht. Entweder handelt es sich um die Dokumentation nächtlicher Eskapaden, die übermütige Studenten im Delirium bei mehr oder weniger harmlosen Streichen zeigen, oder die Darsteller zeichnen sich durch ihre Passivität aus und befinden sich in einem komatösen Zustand – das Gesicht bis auf die Ohrläppchen mit Kritzeleien durchzogen. Die Macher solcher Einminüter, die in ihren Hobbyfilmen immer wieder durch mädchenhaftes Gekicher auftreten, wollen dem Moment ein Denkmal in Bild und Ton widmen, das besonders den Betroffenen zur Erinnerung mahnt – und sie, wenn man solchen Aufnahmen mit einem gewissen Kulturoptimismus begegnet, von weiteren Saufgelagen abhalten soll. Ein neues Mitmach-Mem rüttelt nun an dieser Ordnung: Im „Social Beer Game“ wird man dazu aufgefordert ein Bier zu exen, sich dabei zu filmen und dann drei weitere Personen zu „nominieren“. Die Nominierten haben daraufhin einen Tag lang Zeit, ein Video ins Internet zu stellen, das den selben Regeln folgt. Wer dem Rausch entsagt, droht mindestens Respektverlust. Denn wer der Aufforderung nicht nachgeht, schuldet seinem Vorgänger einen ganzen Bierkasten. Zumindest theoretisch.





Die Bewegung verbreitet sich rasend schnell. Die deutschsprachige Facebook-Seite „Socialbeergame“ hat bis heute – knapp eine Woche nach ihrer Gründung – knapp 19000 Fans. Die Videos, die auf der Seite gepostet werden, sind im Vergleich zu den großen Memen der Vergangenheit, wie dem Harlem-Shake, recht eintönig. Der Bierkonsum wird schmucklos dargestellt. Lediglich die musikalische Untermalung oder die Gruppengröße scheint zu variieren. Ausgefallene Aktionen, etwa ein Ständchen auf der Gitarre vor dem verkürzten Biergenuss, sind eher noch die Ausnahme. Gemessen am Dialekt der Spieler kommen die meisten aus Bayern, der nationale Hype könnte also erst noch folgen. In Deutschland lässt sich die Faszination des Social Beer Game noch mit reinem Voyeurismus und latentem Gruppenzwang erklären. Doch was hierzulande noch auf Eskalationsstufe minus eins verharrt, ist anderswo schon längst Gegenstand heftiger Kontroversen. Es liegt in der Natur solcher Phänomene, dass sich die Spieler gegenseitig übertrumpfen wollen: Die Videos müssen immer kreativer und wagemutiger als ihre Vorgänger werden, um dem Wettbewerb standzuhalten. Wer den Willen zum viralen Erfolg hat, muss auch Risiken eingehen können.

Diese Lust auf Gefahr ist bei der Urfassung des Online-Trinkspiels schon Bedingung zur Teilnahme. Bereits Anfang des Jahres ist das Spiel in Australien unter dem Hashtag „Neknominate“ – ein Kofferwort aus „neck and nominate“ – bekannt geworden. Bei der Originalversion ist die Art des Getränks eher nebensächlich. Die Spieler von #Neknominate trinken Alkohol aus Schuhen, werden kopfüber in mit Bier gefüllten Kloschüsseln gehalten oder schlucken den Inhalt handelsüblicher Vodkaflaschen innerhalb weniger Sekunden. Es gibt bereits Videos von Menschen, die sich während des Trinkens foltern lassen und ein Video, in dem zwei Männer ihrer Nominierung nachkommen, während sie ungesichert an einem Helikopter hängen.

http://www.youtube.com/watch?v=-O9fnmqDeIY

http://www.youtube.com/watch?v=ShWQW0ALUGc

Es braucht keinen Gesundheitsexperten oder Risikomanager, um zu beurteilen, dass sich ein solcher Umgang mit Alkohol schädlich auf die Beteiligten und ihr Umfeld auswirkt. In Irland hat der Wettstreit um das außergewöhnlichste Video bereits einen Toten gefordert. Der junge Ire Jonny Byrne sprang, nachdem er ein Bier geext hatte, in einen Fluss und ertrank. Während der Trend, wie zuvor auch schon das Planking, im Ausland bereits Menschenleben gefordert hat, wissen viele deutsche Bier-Exer nicht einmal, wie das Spiel heißt, an dem sie teilnehmen. Wie also lässt sich der relativ große Erfolg des Mems erklären?

Die wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Internet-Phänomen zum Mitmachen, dass es leicht nachgeahmt werden kann, wird beim Social-Media-Biertrinken erfüllt: Man benötigt ein Bier, eine Kamera und etwas Durst. Durch die geringen Anforderungen und die gezielte Provokation durch einen Bekannten, nimmt die Hemmschwelle zur Teilnahme ab. Der Gegenstand des Mems lässt sich leicht rechtfertigen: Spiele, bei denen es darum geht Alkohol zu trinken, finden schnell Sympathisanten. Selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen. Dass man sich dem Konformitätszwang in gewisser Weise beugen kann, ohne Alkohol zu konsumieren, macht ein Video deutlich, das von der Facebook-Seite "Socialbeergame" geteilt wurde. Statt ein Bier in Rekordzeit zu trinken, spendet ein Mädchen den Betrag eines Biers an eine wohltätige Organisation - und nominiert drei weitere ihrer Freunde. Wenn dieses Projekt ähnliche Kreise zieht, wie es das Social Beer Game getan hat, ist eins sicher: Die Angestellten von vielen gemeinnützigen Organisationen können dann anderen Jobs nachgehen. Eigentlich ein Grund zu feiern. Wieso nicht mit einem Feierabendbier?

Außenpolitik in jung?

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Es ist Sonntagnachmittag um kurz vor drei, als Nicki Weber, 24, den Münchner US-Generalkonsul William E. Moeller zur NSA-Affäre ausfragt. Jemand aus dem Publikum hatte gefragt, inwiefern die US-Regierung denn sicherstellen könnte, dass die von der NSA erhobenen Daten nur zur Terrorabwehr genutzt werden. Moeller, der gerade eben erst aus der Münchner Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof gekommen ist, windet sich raus. Das mit Angela Merkels Handy sei natürlich ein Fehler gewesen, andere Geheimdienste würden aber mit Sicherheit schlechter mit ihren Daten umgehen. "Wir sind geprägt von 9/11", sagt Moeller immer wieder und dann einmal "Ich werde gut bezahlt um optimistisch zu sein." Lachen im Publikum, später wird jemand sagen: "Na ja, was soll man auch erwarten, wir sind hier im Amerika Haus und er kann als Generalkonsul natürlich auch nicht mehr sagen als seine Regierung."

Rund 30 junge Leute folgen der Diskussion, die Nicki da vorne auf dem Podium in der amerikanischen Kulturstätte am Münchner Karolinenplatz moderiert. Mit ihm sitzen noch Dr. Gunther Schmid, ehemaliger Professor für Sicherheitspolitik und der Journalist Thomas Wiegold, der 2012 die geplante Lieferung deutscher Panzer nach Saudi Arabien aufdeckte, auf der Bühne. Die Gäste tragen alle Anzüge, schließlich waren sie bis eben noch auf der Sicherheitskonferenz. Aber auch im Publikum sind vermehrt Jacketts, Krawatten und Blusen zu sehen, also nicht gerade das Outfit, das Studenten tragen deren größte intellektuelle Herausforderung heute Abend das Erraten des Mörders beim "Tatort" sein wird. Denn die Zuschauer hier engagieren sich alle im Jungen Forum der Gesellschaft für Außenpolitik, einem parteiübergreifenden Verein, der mittlerweile rund 160 Mitglieder unter 35 Jahren hat. Das ist insofern beachtlich, als dass Politik ja immer noch als schwer vermittelbares Thema gilt, insbesondere für junge Menschen und noch mehr an einem eigentlich freien Sonntagnachmittag.

Über fehlenden Andrang kann sich das Junge Forum nicht beklagen: "Natürlich haben wir schon viele Mitglieder aus geisteswissenschaftlichen Studiengängen wie Politikwissenschaft, es gibt bei uns aber auch Ingenieure und Mathematiker", erzählt Susanne Biechl aus dem Vorstand des Jungen Forums. Die 24-Jährige hat gerade ihr Studium an der Münchner Hochschule für Politik abgeschlossen, demnächst startet sie in ihren ersten Job. Sie ist sich bewusst, dass die heutige Veranstaltung für die Teilnehmer anstrengend ist: Um 9.45 Uhr begann das Public Viewing der Münchner Sicherheitskonferenz live aus dem Bayerischen Hof. Thema eins: die Zukunft des Nahen Ostens. Zwei Stunden später dann die Übertragung der mit viel Spannung erwarteten Diskussion mit dem iranischen Außenminister. Und nun noch die Podiumsdiskussion, die ihr Kollege Nicki aus dem Vorstand moderiert. Susanne sagt dazu: "Man ist es mittlerweile gewöhnt, politische Informationen durch Medien gebündelt präsentiert zu bekommen. Dabei ist Politik doch auch etwas Zwischenmenschliches." Das Junge Forum organisiert deshalb regelmäßig Veranstaltungen mit prominenten Politikern oder Experten und auch privat wird weiter diskutiert. "Vor der Sicherheitskonferenz haben zwei von uns einem Radiosender ein Interview gegeben und der eine war sehr kritisch gegenüber der Konferenz, während der andere sie eher verteidigt hat", erzählt Susanne. "Genau das macht ja unser parteiübergreifendes Konzept auch spannend."


Nicki Weber (r.) im Gespräch mit dem Münchner US-Generalkonsul am Sonntag

Ihr Kollege Simon sieht das ähnlich. Er sagt von sich selbst, er sei "eher CSU-nah", etwas, das gewiss nicht auf alle Mitglieder des Jungen Forums zutrifft. Momentan studiert er Politik und VWL, für die Zeit nach dem Abschluss könnte er sich aber eine Diplomatenlaufbahn vorstellen. "Oder als Militärattaché", sagt der 23-Jährige. Obwohl er letzte Nacht erst um halb vier im Bett war, ist er heute morgen für die Übertragung ins Amerika Haus gekommen. "Aus Interesse an den Referenten und weil ich ein Fan von der Sicherheitskonferenz bin. Was da diskutiert wird, hat Weltklasse", sagt Simon. Als Netzwerk zum Kontakteknüpfen will er das Junge Forum allerdings nicht hauptsächlich sehen: "Das machen sicher auch Mitglieder, aber viele planen gar keine Karriere im außenpolitischen Bereich", sagt er.

Das trifft zum Beispiel auf Nicki, den Moderator der Podiumsdiskussion, zu. Eigentlich überlegt er, nach dem Studium als Journalist zu arbeiten. "Bisher bin ich mit dem Studium und der Arbeit beim Jungen Forum allerdings noch nicht so viel zum Schreiben gekommen", erzählt er. Dabei ist das Junge Forum sicher eine perfekte Übung für diesen Job: Stellt Nicki auf dem Podium jemandem eine Frage, wollen die anderen auch noch "nur noch einen Satz" dazu sagen, der sich dann meistens als zehn Sätze entpuppt. Gleichzeitig ist er hier aber auch so nah am außenpolitischen Geschehen, wie sonst wenige in seinem Alter. Dr. Gunther Schmid, der frühere Professor für Sicherheitspolitik, erzählt ihm zum Beispiel, dass es einen Interessenskonflikt zwischen den Sponsoren der Sicherheitskonferenz und deren Teilnehmern gebe und warum die Europawahl eine Katastrophe werden könne. Thomas Wiegold, der Journalist, erklärt warum ein No-Spy-Abkommen nicht öffentlich diskutiert werden kann. Dazwischen immer wieder der US-Generalkonsul, der das Publikum regelmäßig zum Lachen bringt, aber wenig Konkretes sagt.

Nach zwei Stunden sind alle Teilnehmer sichtlich erschöpft, das Bild von den vier europäischen Verteidigungsministerinnen ist in dieser Zeit gefühlte 300 Mal über die Tweet-Wall über den Köpfen der Diskutierenden gelaufen. Es gibt noch Semmeln, viele gehen allerdings direkt nach Hause. Für Nicki und seine Kollegen geht die Arbeit allerdings direkt weiter: Für Mitte Februar ist ein Treffen mit dem französischen Generalkonsul geplant, danach steht das Riesenprojekt Europawahl an. "Dazu wollen wir gerne ein Panel organisieren, allerdings wird es kompliziert, im Wahlkampf Vertreter von jeder Partei zu organisieren", sagt Nicki. Und das, obwohl Europa als eines der am schwierigsten zu vermittelnden politischen Themen gilt. Das Junge Forum wird trotzdem darüber diskutieren. Irgendjemand muss es ja tun.

Die Vergessenen

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Das Internet ist dazu da (jedenfalls ein großer Teil davon), um Zeit zu vertrödeln. Das war auch vor Facebook schon so. Auch da wollte man schon Freunde finden oder einfach Leute, die dieselbe Band gut oder schlecht finden. Man wollte mit Gleichgesinnten fachsimpeln oder sich über irgendwelchen Blödsinn austauschen oder einfach nur irgendwo dabei sein, wo andere nicht dabei sein durften.



Früher hätte sich in diesen Brillengläsern vielleicht was anderes gespiegelt.

Nur sind die meisten Orte im Netz, an denen man all das tat, mittlerweile von Zuckerbergs blauem Netzwerk geschluckt worden. Sie sind weg oder dümpeln noch irgendwie vor sich hin, größtenteils in Vergessenheit geraten. Es fällt einem schwer zu glauben, dass man da mal jeden Tag vorbeigesurft ist.

Nehmen wir mal die Lokalisten: Münchner Freundes-Stammbäume in grellem Grün, die eine zeitlang ziemlich wichtig für junge Münchner waren und irgendwann auch in anderen Städten die Menschen im Netz verbanden. Ich war da eine Weile sehr oft, und viele andere auch: Das Netzwerk war so erfolgreich, dass ProSieben irgendwann zuschlug und das Netzwerk kaufte. Bestimmt nicht die beste Investition, denn jetzt interessiert sich keiner mehr dafür.  

Wenn man sich mal kurz umhört, hat fast jeder so eine Vergangenheit vor Facebook: Der Kollege J., der alte Vorreiter, surfte schon auf Uboot.com herum, das 1999 gegründet wurde. Der Herr Praktikant war mal ziemlich oft im Chat von Pafnet.de zu finden, der „Online-Community für die Region Pfaffenhofen“. Und die Kollegin K. trieb sich im Chat von Radio Energy herum.   

Und du? Wo warst du, bevor du bei Facebook warst?

Mein Leben als Mensch

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Mike Ross nimmt persönlich Kontakt auf, nur ein paar Stunden nachdem man beginnt, auf Twitter seine Meldungen zu abonnieren. Der Anwalt aus New York City wüsste gerne, schreibt er an seine neue Online-Bekanntschaft aus Deutschland, mit wem er da künftig zusammenarbeite: „Are you a bike or limo to work kind of lawyer?“ Fährst du lieber mit dem Fahrrad oder der Limousine in die Kanzlei?

Mike Ross hat inzwischen 3400 Follower bei Twitter, und soweit man das überblicken kann, hat er mit allen persönlich Kontakt aufgenommen und über die Vorzüge des Anwaltsdaseins und seine eigenen Vorzüge berichtet. Bemerkenswert ist das alles aber nur aus einem Grund: Mike Ross gibt es gar nicht. Der hübsche Anwalt der Kanzlei Pearson Darby ist eine Figur aus dem Fernsehen, aus der US-Serie Suits über einen hochbegabten jungen Mann, der ohne einen Uniabschluss ein sehr erfolgreicher Anwalt wurde.

Er ist nur eine von vielen Fernsehfiguren, für die eine Existenz außerhalb ihrer Serien geschaffen wurde. In den vergangenen Jahren ist so eine vollkommen neue Form des Geschichtenerzählens entstanden: Die Fernsehgeschichten werden ins wahre Leben hineinerzählt, zumindest in jenen elektronischen Bereich, der mit Tweets von Freunden und real existierenden Politikern eine Illusion des wahren Lebens ist. In dieser Illusion ist sogar Raum für Figuren, die es gar nicht gibt.



Niel Patrick Harris spielt in seiner Rolle als Barney Stinson in der Serie "How I Met Your Mother" einen Weiberhelden – wer könnte Bessere Tipps fürs Leben geben?

Ende vergangenen Jahres erschien in Deutschland ein Buch mit dem mäßig intelligenten Titel Wir. geil ... und du so?. Geschrieben hatte das Werk ein gewisser Ole Peters, einer der Charaktere aus der RTL2-Trash-Pseudo-Doku Berlin Tag und Nacht, seit 2011 verkörpert von dem Schauspieler Falko Ochsenknecht.

Ole beginnt sein Buch mit dem Satz „Hey Leute, hier ist der Ole aus Berlin“ und gibt danach auf knapp 200 großzügig bebilderten Seiten Tipps für das perfekte Leben in der perfekten WG, wofür der Ole aus Berlin natürlich quasi amtlicher Experte ist, weil er bei RTL2 auch in einer WG wohnt. Und obwohl das Buch so überraschende Regeln vorgibt wie „Im Stehen pinkeln ist tabu“ und „An den Putzplan halten“, stieg Wir. geil ... und du so? im Dezember auf Platz vier in die Spiegel-Bestsellerliste ein.

Der Münchner Riva-Verlag nahm mit der ratgeberschreibenden Serienfigur eine Idee wieder auf, mit der er schon einmal großen Erfolg gehabt hatte. Im Jahr 2010 brachte der Verlag ein Buch nach Deutschland, das es in den USA auf die Bestsellerliste der New York Times geschafft hatte. Barney Stinson, eine der Hauptfiguren der Sitcom How I Met Your Mother über fünf Freunde in New York, gibt in Der Bro Code in 150 Geboten Ratschläge für ein ordentliches Miteinander zwischen Mann und Mann  von „Bruder vor Luder“ bis „Kein Sex mit deines Bros Ex“. Das Frauenbild in diesem Werk ist, wenig überraschend, eher fragwürdig; 2013 konnte dennoch eine 19. Auflage gedruckt werden.

Bücher und Twitterauftritte von Serienfiguren sind in erster Linie natürlich sehr geschickte Werbemaßnahmen und Merchandising-Produkte von Produktionsfirmen, die neben der Fernsehvermarktung, neben T-Shirts, Tassen und sonstigem Klimbim auch auf dem Buchmarkt mit ihren Figuren Geld verdienen können. Und wo könnte man den jungen Leser, der vielleicht zögert ob der Entscheidung, Geld in das gute alte Buch zu investieren, besser finden als dort, wo er ohnehin sitzt: vor der Glotze? Beziehungsweise: Und wo findet man Menschen, die mehr Zeit im Internet verbringen als vor ihrem Fernseher, wenn nicht im sozialen Internet?

Auch an Ole Peters Leben kann man bei Facebook teilnehmen, und Frank Underwood, die geniale Hauptfigur aus der Politserie House of Cards, twittert für knapp 24000 Abonnenten über sein Leben als hervorragend skrupelloser Politstratege in Washington. Kommende Woche startet die zweite Staffel House of Cards. Frank Underwood hat bei Twitter auch selbst dafür gesorgt, dass ihn in der Zwischenzeit keiner vergessenen hat.

Wenn man von Mike Ross angeschrieben wird, oder sich vom Womanizer Barney Stinson Tipps für das möglichst unfallfreie Leben als Kerl geben lässt, integriert sich ein erfundener Seriencharakter quasi fugenfrei in das Leben seiner Fans. Der Leser und Zuschauer selbst wird Teil der Erzählung. Die klassische Dramentheorie analysiert die Kommunikation von Figuren untereinander und die Kommunikation des Dramatikers mit dem Publikum, und auch dort kennt man das Prinzip natürlich schon. Die Absolutheit des Dramas kann durchbrochen werden, eine fiktive Figur aus einem Theaterstück kann also das Publikum direkt ansprechen, die Fiktion durchbrechen.

Auch Frank Underwood in House of Cards zum Beispiel richtet immer wieder den Blick in die Kamera, um seinen Zuschauern seine Sicht auf die Dinge ins Gesicht zu sagen. Dass die Figuren eines klassischen Dramas ihre Zuschauer aber nicht nur von der Bühne aus direkt ansprechen, sondern auch bis nach Hause verfolgen, das ist neu. Die Fiktion wird ins Netz oder in den Buchladen erweitert. Erfolgsrezept ist das Spiel mit der Illusion, dass eine Figur aus meiner Lieblingsserie tatsächlich mein Freund werden könnte.

Das Leben von Serienfiguren im Netz hält übrigens sogar weit über das Ende hinaus. Der Monaco Franze, 1981 vom Bayerischen Rundfunk produziert und bis 1983 im Fernsehen, hat fast 10000 Facebook-Freunde. Aber der Monaco Franze ist auch eigentlich gar nicht mehr fiktiv, sondern überhaupt unsterblich.
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