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Die Duftmarke

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Der alte Deoroller lag ganz unten in einem Schrank meiner Eltern. Das grünliche Gel war fast aufgebraucht, aber es roch wie früher: herb, moschushaft männlich, viel zu alt für einen 16-Jährigen.  

So alt war ich, als ich das Deo bekam, vor 13 Jahren. Damals lebte ich einen Sommer lang in Kanada, Schüleraustausch. Zur Begrüßung hatte meine Gastmutter mir ein Päckchen hingestellt – mit Zahnpasta, Shampoo, ein paar Socken und eben dem Deo.  

Und nun, 13 Jahre später, roch ich daran und stand plötzlich gut 8000 Kilometer entfernt, in einem Zimmer mit knöcheltiefem Teppichboden an der Westküste von Kanada. Ich roch das moschushafte Aroma und fühlte gleichzeitig den kühlen Duft des Pazifik draußen, den ungewohnten Geruch nach Waffeln in der Küche. Ich spürte meine Aufregung von damals, die Unsicherheit, die Spannung. Ich stand mit dem Deoroller an der Nase vor dem Schrank meiner Eltern und hatte gerade – doch, wirklich! – eine Zeitreise gemacht.  

Ist ja eine beliebte Smalltalk-Floskel: Unser Hirn speichert Gerüche viel besser als Bilder. Wenn man nach dem Urlaub den Koffer öffnet und den Duft von Pinienwäldern in der Nase hat, wenn man sich die Sonnencreme aus dem letzten Sommer auf die Handfläche drückt – ein Duft schickt einen sofort wieder dorthin zurück, wo man ihn zuletzt gerochen hat. Gedächtnisforscher bestätigen das.  





Das Deo benutzte ich ein halbes Jahr lang und danach nie wieder. Ich mochte den Duft ja eigentlich nicht. Ohne es zu wissen, hatte ich es damit genau richtig gemacht. Denn die Erinnerung an die Zeit in Kanada ist in diesem Deoroller eingeschlossen wie in einer Zeitkapsel.  

Der Effekt mit der Duft-Erinnerung verjährt nicht. Er muss nur klar genug definiert sein. Den Duft von Pinienwäldern zum Beispiel kennt mein Gedächtnis von mindestens zehn Sommerurlauben am Mittelmeer. Da entsteht nur noch ein unklares Bild, ein Gemisch aus einem Dutzend Reisen. Das Deo aber gab es nur damals in Kanada. Sein Duft ist mit einer klar umrissenen Erinnerung verknüpft.  

Die Fotos aus der Zeit in Kanada habe ich fast alle verloren. Schade. Aber eigentlich auch eine gute Gelegenheit, mal über den Sinn von Fotos nachzudenken. Wäre es nicht viel besser, grundsätzlich Düfte als Speichermedium für wichtige Erinnerungen zu nutzen? Man müsste es nur ganz bewusst planen. Also: Vor einer großen Reise ein neues, speziell riechendes Stück Kernseife besorgen und unterwegs nur diese Seife benutzen. Während eines Umzugs, nach einem Jobwechsel oder einer Trennung ein paar Wochen ein bestimmtes neues Parfum verwenden oder ein neues Waschmittel. Danach einen kleinen Rest davon aufheben – und wieder zurück zum üblichen Duft gehen.  

Man müsste nur rechtzeitig daran denken, so wie man früher einen neuen Film in die Kamera einlegte, bevor man in Urlaub fuhr. Kaum Aufwand. Aber eine tausendmal bessere Art, private Erinnerungen zu konservieren – farbiger, subjektiver, intensiver, sozusagen in 4-D! Und nebenbei auch perfekt verschlüsselt: Denn für jeden anderen wäre die Erinnerungskapsel ja nur ein Stück Seife, ein halbleerer Duftflakon. Oder ein alter Deoroller, der viel zu moschushaft für einen 16-Jährigen riecht – aber ein Leben lang eine Zeitmaschine sein wird.

Beschmier mich!

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Eigentlich wollte Saturn mit der grinsenden Palina Rojinski für ein neues Smartphone werben. Die Moderatorin steht selbstbewusst vor einer morgendlich anmutenden Berlin-Kulisse, daneben der Slogan: "Ich kann tagelang wach bleiben". Gemeint ist die Akkulaufzeit. Doof, dass das überdimensionale Handy mit den drei sorgfältig gezogen Pulverlines neben Palina Anderes vermuten lässt. Das Saturn Plakat ist dem „Adbusting“ zum Opfer gefallen. So heißt das, wenn Aktivisten und Künstler Werbung im öffentlichen Raum so umgestalten, dass plötzlich nicht mehr das Produkt, sondern die Kritik daran im Vordergrund steht.  

[plugin imagelink link="https://pbs.twimg.com/media/CIrTzoVWgAA-6Ah.jpg" imagesrc="https://pbs.twimg.com/media/CIrTzoVWgAA-6Ah.jpg"] Diese Sony-Werbung schreit geradezu danach, "gebusted" zu werden

Das manipulierte Plakat wurde online gefeiert und tausendfach geteilt. Wenn man sich allerdings die Kommentare unter den verschiedenen Artikeln anschaut, fällt auf, dass es weniger um die Frage nach Palinas Konsum von Aufputschpülverchen geht. Nach mehreren Beiträgen à la „lustig!“ und „wie originell!“ sprechen alle nämlich nur noch über das neue Sony Experia Z3. Die Blogs werden zum Technikforum und die Kommentarleisten zur erweiterten Werbefläche. So ganz ungewollt scheint das nicht zu sein: "Gerne schaffen wir eine Plattform für kreative Köpfe und freuen uns, dass Personen sich mit unserer Werbung kreativ auseinandersetzen", sagt Tina Grundhöfer, Sprecherin der Agentur häberlein und mauerer ag, von denen der Plakatentwurf stammt.

Vielleicht also doch Kalkül? Sitzt da echt jemand in der Werbeabteilung, der schon vorher überlegt, wo Künstler am besten die Koksline platzieren könnten? „Der Weitblick und das Kalkül der Werber wird überschätzt“, sagt Julius Steffens, Werber und Designer bei der Agentur Serviceplan Berlin. "Man kalkuliert schon ein, dass sich die Menschen mit der Anzeige auseinandersetzen. Allerdings gibt es ja auch noch die Auftraggeber, in dem Fall Sony. Und die wollen bestimmt nicht mit Kokain in Verbindung gebracht werden. Trotzdem nützt es natürlich der Kampagne, weil es Aufmerksamkeit schafft."

Und Aufmerksamkeit ist für beide Seiten gut. „Die Menschen machen das aus dem gleichen Grund wie an Klotüren schmieren: Sie wollen witzig sein oder eine Botschaft, meistens eine politische, loswerden.“, sagt Steffens. Gegen Rassismus, Sexismus und Konsum. Ein beliebtes Ziel sind deshalb Großmarken wie H&M. Im Bahnhof von Kassel hängt seit Dienstag ein Plakat, auf dem das Model mit blutigen Einritzungen an Armen und Oberschenkeln und dem Slogan „I like hating my body“ verziert wurde.

[plugin imagelink link="http://urbanshit.de/bilder_urbanshit/2015/07/11072645_872805502796467_4612273520656219965_o.jpg" imagesrc="http://urbanshit.de/bilder_urbanshit/2015/07/11072645_872805502796467_4612273520656219965_o.jpg"] Dieses Plakat wurde vor zwei Tagen im Hauptbahnhof von Kassel entdeckt 

Das sieht zwar nicht besonders ästhetisch aus, schrecke die Menschen aber trotzdem nicht davon ab, weiterhin bei H&M einzukaufen, meint Steffens. Im Gegenteil: „Auch wenn das kritisch gemeint ist, sehen dadurch trotzdem viele Menschen das „H&M“-Logo. Dafür muss das Unternehmen normalerweise viel Geld zahlen. Aus meiner Sicht wird die negative Wirkung einer solchen Konsumkritik oft überschätzt.“  

Dass Menschen Werbung beschmieren, verändern und neu zusammenflicken sei kein neues Phänomen. Neu ist aber, dass das Publikum seit Instagram, Facebook und Twitter weit über die Samstags-Shopper in der Fußgängerzone hinausgeht. So kann die Kommunikationsguerilla ungewollt zur Online-Kampagne werden.   Auch in der Politik passiert das oft. Zwar sind die überdimensionalen Köpfen auf Wahlkampfplakaten mit schwarzen Zähnen oder aufgemalten Bärtchen häufig bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Merkelraute erlangte ihre Popularität aber auch erst online durch ein Meme und wurde danach zur Eigenmarke der Kanzlerin. Auch die jetzt.de-Redaktion hat sich auf diesem schmalen Grad schon mal ausprobiert. Sehr lustig und subversiv, wie wir finden.

Hauptsache Koffein? Das war gestern!

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... für ein Geschirrservice. Bei mir zu Hause ist alles durcheinandergewürfelt. Von Tellern über Möbel bis hin zu meinen Handtüchern. Ich trockne mich lieber mit dem Badetuch vom Florida-Urlaub 2004 ab, als eine einfarbige Waschlappen-Sammlung im Bad zu haben. Die Dinge haben eine Geschichte – und sie bleiben Dinge. Wenn mir ein Teller kaputt geht, gehe ich auf den Flohmarkt und kaufe mir einen neuen. Würde er zu einem 300-Euro-Service gehören, würde mich das mehr ärgern. Und dann ist da noch die Festlegung. Ich wünsche mir zum Beispiel ein Regal für die 700 Bücher von mir und meinem Freund. Zum Ausmessen war sogar schon jemand da, aber die Bücher lagern immer noch in Apfelkisten. Es ist nicht so, dass ich das alles grundsätzlich ablehne, ich finde auch zusammenpassende Service bei anderen schön. Es kann durchaus sein, dass ich mir irgendwann mal eines kaufe, es nach dem Spülen mit Geschirrtüchern abtrockne, die zu meinen Gästehandtüchern passen und dann in einen Schrank neben mein Bücherregal stelle. Aber im Moment mag ich es, wie es ist: ein bisschen chaotisch.
[seitenumbruch]


... für schlechten Kaffee. Als ich mit dem Studieren anfing, hatte ich da keine großen Ansprüche. Hauptsache Koffein, Hauptsache wach bleiben. Ob der Kaffee bis dahin schon den halben Tag in der Thermoskanne verbracht hatte, war mir egal. Aber dann habe ich ein Semester in Italien studiert. Da gab es ein Café, in dem ich täglich saß und in dem man mir quasi beigebracht hat, was guter Kaffee ist. Seitdem trinke ich lieber gar keinen Kaffee als einen schlechten. In den letzten Jahren ist ja überall in Deutschland ein Kaffee-Hype ausgebrochen, das kam mir ganz gelegen. Und auch, dass „gut“ in großen Städten jetzt auch immer häufiger „Fairtrade“ bedeutet. Dafür suche ich auch lieber ein paar Minuten nach einem kleinen Café, statt einfach zur nächsten Coffeeshop-Kette zu gehen. Ich arbeite als Literaturagentin, Lesen passt ja hervorragend zum Kaffeetrinken. In der Agentur habe ich mittlerweile meinen eigenen Espressokocher – und deswegen auch immer viele Besucher in meinem Büro. Besonders, wenn die normale Kaffeemaschine mal wieder kaputt ist.

Warum steht da ein Eisbär?

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Hätten die Menschen zu Schwarz-Weiß-Foto-Zeiten das Wort "Meme" gekannt, sie hätten es wohl für diese Art von Foto benutzt: 

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Damals müssen in Städten wie auf dem Land in großer Zahl Menschen in Eisbärkostümen herumgelaufen sein und sich für Fotozwecke zur Verfügung gestellt haben. Warum, weiß kein Mensch. Doch anders kann man die Bildserie „TeddyBär“, die der Franzose Jean-Marie Donat gerade vorgestellt hat, nicht erklären.

Der Titel wirkt fast zynisch, wenn man sich die Schwarz-Weiß-Fotos ansieht, die zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und den späten Sechzigern in Deutschland entstanden sind: Paare am Strand, Schulklassen, Menschen bei nicht definierbaren Festlichkeiten, sogar ein Mitglied des Bunds Deutscher Mädel ist dabei – und immer steht ein Mensch in einem Eisbärkostüm daneben, legt den Portraitierten manchmal sogar noch seine Pranke auf die Schulter oder hält ein Kind hoch.

Wie ein Teddybär sehen die Eisbärenkostüme nicht gerade aus, mit ihrem schmutzigen Fell und dem psychotischen Blick, auch nicht nach lustigem Foto-Accessoire, sondern eher nach akuter Bedrohung, was die Bilder bizzar, fast surreal wirken lässt. So muss auch die weit verbreitete Angst vor Clowns entstanden sein.

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Dennoch scheinen die Eisbären in dieser Zeit ein beliebter Foto-Gag gewesen zu sein. Donats Ausstellung (noch bis 20. September in Arles) jedenfalls ermöglicht einen interessanten Einblick in die Zeit, in der die Bilder entstanden sind: mit Fotos vom Strand mit Badehosen, die bis zum Boden gehen, ausgehfertigen jungen Frauen mit weißen Handschuhen und Pumps sowie Paar-Portraits, auf denen das Paar so weit auseinander sitzt, dass sogar ein ganzer Bär dazwischen passt.      

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kathrin-hollmer

Wer liegt auf welchem Badetuch?

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Das ewige Eis

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Eigentlich passt der Eisbecher überhaupt nicht mehr in unsere Zeit. Angesagt sind gerade Läden, die Sorten wie Jasminblütensorbet oder Tamarindenmascarpone produzieren, und zwar ausschließlich zum Mitnehmen. Oft gibt es in modernen Eisdielen nicht mal Tische. Denn heute wollen die Leute alles, was mit „to go“ und „schnell und zackig“ zu tun hat. Und mit „gesund und bewusst“. Ein Mensch, der 2015 lebt, bestellt kein Banana Split mit Sahnehaube. Nein, ein „Popsicle“ muss es sein, ein Eis am Stiel, das sich aber unter dem hübschen, amerikanischen Namen gleich ein bisschen teurer verkaufen lässt und am besten nur aus Joghurt oder aus Leitungswasser mit Minzblatt besteht, damit es nicht dick macht.  



Coppa Bombastico, Sarcletti, München

Aber: Der klassische Eisbecher ist ganz und gar nicht tot. Man muss nur mal zwischen zehn Uhr morgens und zehn Uhr abends um eine ganz normale, alteingesessene Eisdiele herumscharwenzeln, von denen es ja zum Glück noch einige gibt. Da darf man live miterleben, wie nicht nur ganze Schulschwänzertrupps, Kindergeburtstagsgruppen, mittelalte Freundinnencliquen oder latent grimmig dreinschauende ältere Herren auf der Eisterrasse Platz nehmen und sich noch vor dem Mittagessen einen Eisbecher reinziehen, der üppiger, bunter und übertriebener nicht sein könnte. Spaghettieis, Raffaello-Becher oder einfach nur sechs – ja, genau, sechs! – selbst gewählte Kugeln, von unten ausgepolstert mit großzügigem Sahnefundament und obendrauf – ach, was soll’s! – einfach noch mal Sahne und Erdbeersoße. Und diese Skulptur des Übermuts futtern sie in einem Tempo und mit einer irren Selbstverständlichkeit weg, als gehöre das zu ihren Alltagserledigungen wie Klopapierkaufen und Geldüberweisen.  



Spaghettieis Italia, Il gelato italiano, München

>>> Warum sich der Eisbecher so hartnäckig hält

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Warum sich der Eisbecher so herrlich hartnäckig hält, versteht man vielleicht nur, wenn man sich das Wesen der Eiscreme generell vor Augen führt: Eis ist die natürliche Droge des Sommers. Es kühlt in der Hitze, erfrischt in der Pause, tröstet und belohnt nach einer schweren Aufgabe – und wenn ausnahmsweise mal alles perfekt ist, setzt es einfach noch einen obendrauf. Eis macht jeden Menschen glücklich, vom kleinen Mädchen, das gerade ihr Seepferdchen gemacht hat und zur Belohnung heute so viele Kugeln bestellen darf, wie es will, über den mittags vom Rave nach Hause torkelnden Philosophiestudenten bis zum Krankenpfleger, der gerade zur Nachtschicht aufbricht. Sie alle schrumpfen mit einem Eis vor der Nase innerlich auf das ewige Kind in sich zusammen: Eis wirkt entwaffnend. 



Banana Split, Il gelato italiano, München

Denn Eisessen ist so etwas wie das kulinarische Nickerchen, die Flucht ins süße Nichts, in die absolute Selbstvergessenheit. Ein Eis ist die unnötigste Mahlzeit der Welt, und doch können sich alle darauf einigen. Wie schön, wie sommerlich, wie zeitlos ist es, zu sagen: Lass uns ein Eis essen gehen! Eis geht immer, denn Eis hat keine Tageszeit wie Kaffee und Kuchen, nein, für Eis ist immer Platz. Nicht umsonst haben Eisdielen ja auch bis kurz vor Mitternacht geöffnet und in Italien oft noch länger. Italien, natürlich auch das: Eis ist Sehnsucht nach dem Süden und dem Leben des Dolcefarniente. Eis ist die Illusion der ewigen Weltflucht, der geheime Beweis dafür, dass im Leben vor allem das Jetzt zählt: Einmal nicht hingeschaut, einmal zu lang nicht geleckt, und schon ist alles dahingeschmolzen. Es ist süß und unvernünftig und zu nichts anderem als dem sofortigen, maximal leidenschaftlichen Verzehr geeignet, denn sonst ist es schneller zerlaufen, als du hinsehen kannst.  



Gardesana, Gelateria Azzuro, Gargnano (Italien)

Diese Eigenschaften des Eisessens sind die Überlebensgarantien für den Eisbecher. Sie alle finden sich in ihm wieder – nur noch um ein Vielfaches potenziert: noch mehr Überfluss, Nonsens, Weltflucht, Kindseindürfen. Und alles noch dicker aufgetragen und unterstrichen von dieser fast schon absurden Optik. Eisbecher sind wie Jahrmarkt oder Feuerwerk: Von allem zu viel, aber Hauptsache es knallt. Allein die Namen der angebotenen Eisbecher durchzulesen ist eine Beschäftigung, die erheiternder nicht sein könnte: Coppa Bombastico, Fresco Fresco, Cup Casablanca, Viva Las Vegas, Vulcano! Man müsste Eisdielen im Grunde ganzheitlich in zeitgenössische Kunstgalerien importieren und den Betrieb weiterlaufen lassen wie eh und je. Ja wirklich, je länger man darüber nachdenkt, desto klarer wird es einem: Im Wesen des Eisbechers steckt die Weltformel.

Sauf’s up!

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„Wir fahren mit der Fotzenbimmelbahn, Fotzenbimmelbahn …“ – der prollige Mitklatsch-Beat schallt über den abgewetzten Rasen von der Größe eines Fußballfelds, um den sich die Sechs-Mann-Bungalows der Ferienanlage „Belambra“ verteilen. Es ist 20 Uhr, und die Sonne steht tief über dem Atlantik, hier in Seignosse, einem der besten Surfreviere Frankreichs. „Miracoli“-Duft weht über den Platz. Vor den Hütten sitzen junge Menschen an Holztischen und essen, alles ganz zivilisiert. Eine sportliche Blondine wiegt sich im Viervierteltakt des Songs und summt mit, während sie den Salat in einer großen Glasschüssel umrührt.

„Da hängen lauter Pillemänner dran, Pillemänner dran …“, klingt es weiter aus den großen Boxen vor einem der Bungalows. Die Message ist klar, trotz scheinbar friedlicher Campingidylle: Hier wird die Sau rausgelassen. So ganz generell. Auch wenn jetzt gerade Feier-Pause ist. Dass die in der Regel nicht lange anhält, beweisen die Unmengen rot etikettierter Kronenbourg-Bierflaschen, die vor den Türen und rund um die Mülleimer stehen. Leer, natürlich. Einige Jungs haben sie liebevoll angeordnet. Hunderte Flaschen, die nun als Trophäe dienen und Auskunft über die Trinkfestigkeit der Hausbewohner geben sollen. Neben dieser Bier-Installation liegen Surfboards im Staub. Gestapelt. Wir sind auf der „Adh-Open Wellenreiten“, dem größten deutschen Surf-Event. 






Die Surfbretter liegen achtlos in der prallen Sonne. Die leeren Bierflaschen sind als Trophäe der Trinkfestigkeit an der Hauswand arrangiert.

„Adh“ steht für „Allgemeiner Deutscher Hochschulsportverband“. Diesem Dachverband gehören über 190 Hochschulen mit ihren rund 2,4 Millionen Studierenden an. Will eine Uni einen Wettkampf ausrichten, so wendet sie sich an den Adh. Das tat 1999 die TU Darmstadt, mit der Idee, einen Surf-Contest in St. Girons, Frankreich, für die deutschen Studenten zu veranstalten. Ein Rahmenprogramm gab es nicht. Bald darauf stieg die ebenfalls in Darmstadt ansässige Reiseagentur Wavetours als Organisator ein. Wavetours-Chef Uli Scherb erinnert sich: „2001 hatte ich zum ersten Mal die Idee, den Event zu hosten, als mir bekannte Studenten auf einmal in Seignosse an der Theke standen. Sie meinten: ,Wir sind bei den Adh-Open in St. Girons. Da sind 150 Studenten, aber abends wird das Licht ausgemacht und alle langweilen sich.’“  

Also verlegte Scherb die Veranstaltung 2004 vom beschaulichen St. Girons in das 50 Kilometer weiter südlich gelegene Seignosse, das mit Weltklasse-Wellen und wildem Nachtleben punktete. Die Sause konnte beginnen: „Als wir die Adh-Open nach Seignosse holten und es den Wettkampf und die Partys in der Kombipackung gab, begann der große Ansturm“, erzählt Scherb.

Das Ballermann-Image haftet der Veranstaltung bis heute an. Auch bei den einheimischen Surfern, die zusehen müssen, wie ein Teil ihres Strands gesperrt wird, damit die Deutschen feiern können. 


Die Party am Atlantik sprach sich herum – und langsam auch ein weiterer Pluspunkt des staatlich geförderten Wettkampfs: Die Studenten konnten von ihren Unis Reisekosten, die Startgebühr und manchmal sogar Geld für die Unterkunft erhalten. Florian Duhse, Gewinner der Longboard-Klasse 2007, grinst heute noch, wenn er an den unverhofften Geldsegen denkt: „2004 erhielt unsere kleine Gruppe pauschal 700 € von der Uni Freiburg. Wenn man dann auch noch einen der vorderen Plätze belegt und Sachpreise gewonnen hat, hatte man alle Kosten wieder raus.“ In der Folge boomte die Adh-Open – sehr zur Freude der Organisatoren, die alles taten, um die Massen für die Veranstaltung zu gewinnen. „Die haben das Ganze natürlich gepusht“, erinnert sich Duhse. „Nach ein paar Jahren wurde die Adh-Open als The German Spring Break vermarktet. Das hat viele Leute angezogen, die gar nicht surfen konnten, sondern nur wegen der Partys kamen.“ Noch im Jahr 2013 pries die Unizeitung Unicum:„Auch für Nicht-Sportler bietet die einwöchige Spring-Break-Exkursion jede Menge Spaß und Action.“ Dieses Image haftet der Veranstaltung bis heute an. Auch bei den einheimischen Surfern, die Jahr für Jahr zusehen müssen, wie ein Teil ihres Strands gesperrt wird, damit die deutschen Studenten dort ihren Surf-Ballermann feiern können.  

Beim Adh ist man sich der Problematik bewusst. „Spring Break– das war vielleicht ein Fehler in der Kommunikation“, meint Christoph Edeler, der in diesem Jahr als Sportartenbeauftragter Wellenreiten im Auftrag des Adh in Frankreich nach dem Rechten sah. „Da konnten die Unis ja das Gefühl bekommen, sie schickten ihre Teams in den Urlaub und nicht zu einem Wettkampf.“ Sein Fazit fällt dagegen positiv aus: „Das Niveau war vor allem bei den Männern richtig gut. Es gab lediglich in der ersten Runde ein paar, die noch nicht so viel Erfahrung im Wellenreiten hatten.“ Auch die Partys sind ihm kein Dorn im Auge: „Es ist doch toll, wenn sich die Studenten austauschen und Netzwerke knüpfen.“

Das mit dem Niveau ist natürlich so eine Sache. Ein guter Surfer aus dem Veranstalter-Team, der es vorzieht, anonym zu bleiben, und hier Ralf heißen soll, sieht das etwas anders: „Die ersten beiden Tage waren grausam anzusehen.“ Er kramt  einen Zettel hervor, auf dem alle Wertungen verzeichnet sind: „Wenn man sich die anschaut, wird klar, dass die Hälfte der 128 Männer Surf-Anfänger waren. Bei den Frauen war es noch krasser: Von 37 Teilnehmerinnen in der Open-Klasse konnten vielleicht fünf surfen.“ Den „Austausch und das Netzwerken“ der Studenten sieht Ralf dagegen genauso positiv wie Christoph Edeler. „Die Partys bei den Adh-Open sind legendär“, sagt er und erzählt von Mittwochabend: „Da haben 300 Leute spontan vor dem Bungalow an der Ecke des Platzes durch die Nacht getanzt. Totale Ekstase, alles flog durch die Luft, Klamotten, Flaschen – bis die Polizei die Feier beendet hat.“

Ob Julius sich am Strand das Finale anschaut? „Nö, warum denn?“


Im Bungalow an der Ecke wohnen Studenten der HAW, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Ihre Hütte scheint sich als Partyzentrale durchgesetzt zu haben. Die mannshohen Boxen sind erbarmungslos auf den Platz gerichtet, dagegen haben die anderen Unis keine Chance – egal ob „Fotzenbimmelbahn“ oder wie jetzt gerade Deichkind gespielt wird. Julius, 22, sitzt leicht verkatert neben der Bassbox, wippt im Takt und erklärt stolz: „Die Anlage hat uns die HAW selbst geliehen. Das ist mit Sicherheit die größte auf dem Gelände.“ Ob er später noch an den Strand geht, wo heute die Finalläufe des Surf Contests stattfinden? „Nö, warum denn?“  

>>> Kommen zwei Drittel der Besucher nur wegen der Partys?

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Je länger man vor Ort ist, desto klarer wird, dass sich hinter dem Label „Adh-Open“ im Grunde zwei Veranstaltungen verbergen: Zum einen der sportliche Wettbewerb, an dem sich immerhin rund 200 Studenten beteiligen und der damit mehr Teilnehmer hat als die Deutsche Meisterschaft, die ebenfalls in der Region stattfindet. Und zum anderen der unbeschwerte Strandurlaub in der Nebensaison, bei dem eine sehr homogene deutsche Studentengruppe ungestört von anderen Urlaubern unter sich bleibt und dementsprechend hemmungslos abgeht. Ausrasten mit Ansage. Klassenfahrt-Feeling. What happens at the Adh, stays at the Adh. Das kann ein Riesenspaß sein, die Stimmung auf dem Gelände ist durchweg fröhlich, Aggressionen treten noch nicht mal im Vollrausch auf. Doch vertragen sich diese unterschiedlichen Reise-Motive?  

„Na klar“, meint Ralf, der seit vier Jahren immer dabei war. „Die Surfer, die was draufhaben und regelmäßig die vorderen Plätze belegen, wohnen ja gar nicht in der Anlage. Die haben sich eigene Häuser gemietet oder schlafen in ihren Bullis.“ Das bestätigt Wavetours. „Zu den 554 Buchungen für die „Belambra“-Anlage kommen noch weitere 150 Leute, die in selbst organisierten Unterkünften wohnen oder auf Parkplätzen campen“, erklärt Jelena Schubert aus der Zentrale in Darmstadt. Aus diesen 700 Interessierten vor Ort rekrutieren sich die 196 Contest-Teilnehmer. Kommen also zwei Drittel wegen der Partys und ein Drittel wegen des Wettkampfs?  

Wer am Finaltag über die Düne zwischen den Strandübergängen Les Bourdaines und Les Estagnots schaut, kann durchaus diesen Eindruck gewinnen. Bei bestem Wetter liegen nur ungefähr 150 Studentinnen und Studenten an dem weitläufigen Strand verteilt. Einige spielen Beach-Ball, kleinere Grüppchen verfolgen nahe der Wasserkante das sportliche Highlight der Woche. „In den vergangenen Jahren war diese Schere sogar noch deutlich größer“, meint Ralf. „Es gibt zum einen die Leute, die kommen, um sich mit anderen Surfern zu messen. Die trifft man auch bei der Deutschen Meisterschaft, und das sind vielleicht 30 Männer und Frauen. Und dann gibt es den Rest.“ Der sportliche Ehrgeiz existiert also durchaus, wie auch der Titelverteidiger in der Open-Klasse, Alex Tesch, beschreibt: „Ich bin eher der Typ, der sich durch Wettkampf verbessert. Ich fand’s cool bei der Adh-Open.“  





Wegen des Wettkampfs kommt nur ein Drittel der Besucher zu den Adh-Open.

Doch nicht alle guten Surfer fühlen sich angezogen. Felix Gänsicke, 23, leidenschaftlicher Wellenreiter aus Rostock und Regisseur des gefeierten Surffilms „Headache“, ist für einen Tag vorbeigekommen, um die Finals zu sehen. Er ärgerte sich über die Prioritätensetzung: „Die Wellen waren während der Finals nicht mehr so gut, die Vorhersage für den nächsten Morgen war allerdings perfekt, und es blieb noch ein Tag Zeit. Aber die Veranstalter entschieden sich dagegen, die Finalläufe zu verlegen. Ihr Kommentar: ,Wir bauen doch hier morgen früh nicht wieder den ganzen Kram auf.' Ich finde das sinnbildlich für den ganzen Event.“  

Die Contestzone am Strand ist durch das Red-Bull-Zelt und die Beachflags unübersehbar. Musik dröhnt aus der PA, immer wieder unterbrochen von den Ansagen des Kommentators. Beachvolleybälle fliegen, die Stimmung ist gut. Auch Christoph Edeler vom Adh ergreift hin und wieder das Mikro und begrüßt die Studenten im Namen des Verbands. Er weist wiederholt auf die korrekte Bezeichnung („Adh-Open Wellenreiten“) hin. Aufklärungsarbeit, die nottut: „Es scheint nicht allen klar zu sein, wer hinter dem Ganzen steht. Meine Aufgabe bestand unter anderem darin, den Studierenden nahezubringen, was der Adh ist.“  

Der Abend nach den Finals. „Night of the Champs“, die offizielle Abschlussparty in der Veranstaltungshalle der Anlage. Eine Plane mit den Sponsorenlogos dient als Raumtrenner, davor steht eine kleine Bühne mit DJ-Pult. Gegen 23 Uhr füllt sich der Raum. Die Finalisten der diversen Klassen werden auf die Bühne geholt, auf der der Moderator mit den Tücken des Spannungsaufbaus kämpft: „… und auf dem zweiten Platz – ach nee, wenn ich das sag, wisst ihr ja schon wer gewonnen hat!“ Viele Sekt-Sprühregen später beginnt der DJ, und die Party geht los. Deutlich gesitteter als vor dem Bungalow an der Ecke des Rasenplatzes, aber dennoch ausgelassen. Vereinen sich auf der Tanzfläche die beiden Welten, die Wettkampfsurfer und die Urlauber? Julius von der HAW jedenfalls lässt seine Bassboxen in der Hütte an der Ecke erst mal stumm und schaut vorbei. Schließlich hat eine Australierin seiner Uni die Frauenklasse gewonnen. Später soll es vor der eigenen Tür aber weitergehen: „Nicht ganz so laut wie gestern, wegen der Polizei.“ Die Halle füllt sich immer weiter, die Tänze werden wilder. Mittendrin: Christoph Edeler, Adh-Sportartenbeauftragter Wellenreiten. Arme in der Luft, ganz engagiert beim regen Austausch und Netzwerkeknüpfen.

Und das findet ihr schön?

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Freund R. zum Beispiel. Der veränderte sich immer besonders unangenehm. R. hatte optisch ganz viel von dem früheren „Big Brother“-Kandidaten Zlatko, und vom Wesen her auch ein bisschen. R. war also das, was man vielleicht intellektuell sperrig nennen könnte. Nicht dumm, aber geistig manchmal etwas ungelenk. Ein Körperklaus, aber im Kopf… Er wusste das. Und in seinen stilleren Momenten litt er wohl auch ein bisschen darunter. In den lauteren Phasen, von denen es in der Zeit von prä- bis postpubertär ja einige gibt, kompensierte er es mit einer physischen Sperrigkeit.  

R. beanspruchte dann immer viel Platz. Durch Lautstärke, durch Drängeln am Kiosk, beim Pogen, manchmal aber auch durch einfaches Herumstehen. Mein Gott, konnte der unpraktisch im Weg umgehen! Wahnsinn.  

Das alles hatte immer eine bärige Niedlichkeit. Man mochte ihn trotzdem. Nur im Freibad, da kippte es. Dann legte er sich zum Beispiel ohne ersichtlichen Grund nass und quer über zwei fremde Handtücher. Und wenn deren Besitzer zurückkamen, sagte er etwas wie: Er bedauere ja sehr, aber er könne gerade nicht weggehen. Er liege ja jetzt schließlich hier. Und das zog er dann ernsthaft durch. Über Stunden manchmal. Das war weder bärig noch niedlich. R. war so nicht im Kino und nicht auf Konzerten, nicht in Bars und noch nicht mal auf Volksfesten. Nur im Freibad. Und ich halte das nicht für einen Zufall.  





Bei der Bekannten T. ist es auch so. Heute noch. Ich würde sie jetzt grundsätzlich nicht als Kumpeltyp beschreiben, mit dem man Pferde stehlen kann. Aber normalerweise weiß sie um ihre exaltierte Ader. Sie kann damit kokettieren, und das ist dann sehr witzig. Aber im Freibad, da wird sie eine gestelzte Zicke. Und S., die sich immer kümmert, hat noch mehr als sonst alles für alle dabei – Obst, Sonnencreme und warme Worte. Sehr nett ist das. Und nervtötend bemutternd. Ich selbst werde übrigens missmutig, grüblerisch und gönne niemandem seinen Spaß.  

Aber nicht nur deshalb ist mir unverständlich, warum so viele Menschen das Freibad vor allem mit Sommerfreuden aus „Bum Bum“-Eis, Köpfer vom Dreier und „Heiße Hexe“-Pommes assoziieren. Warum das Freibad der Super-Sommer-Ort Nummer eins ist, obwohl es doch eigentlich keinen Ort auf der Welt gibt, an dem die Selektion grausamer ist – und der Mensch ungeschminkter. Ich finde, Freibäder sind hassenswerte Orte. Nicht für das, was sie sind. Aber für das, was sie mit den Menschen machen.  

Das Phänomen geht ungefähr so: Man nehme eine beliebig zusammengesetzte Gruppe, stelle sie in ein Freibad und warte. Und stelle fest: Quasi vom Fleck weg wachsen sich die Einzelcharaktere zu ihren fratzenhaften Extremen aus. Der Laute reißt in den Overdrive-Modus auf, der Stille dimmt fast auf Stand-by zurück. Die Kumpelmädchen werden noch etwas kumpeliger, die Tussis glitzern und glossen noch blendender. Überhaupt scheint alles mehr Kontrast zu haben. Die Lacher sind kehliger, die Witze verletzender, die Machos öliger, die Flirts deftiger. Freibäder sind wie Saufgelage in nüchtern. Und damit in schlimm. Sie verstärken, was in den Menschen angelegt ist. Aber man muss es bei vollem Bewusstsein ertragen. Muss mit ansehen (oder spüren), wie die Großen die Kleinen tauchen, die Aufreißer Punkt um Punkt landen, während die Schüchternen weiter vertrocknen, die Schönen schöner und die weniger Schönen noch weniger schön werden. Kurz: Die Verteilung auf soziale Rollen ist nirgends gnadenloser als im Freibad.  

Kein Wunder. Achtung, Binsenweisheit, aber trotzdem relevant hier: Man ist dort schließlich quasi nackt. Buchstäblich. Aber eben auch im übertragenen Sinne. Wer sich exponiert fühlt, zieht sich auf Felder zurück, die er beherrscht, greift zu Waffen, die sich bewährt haben im Verteilungskampf um Platz und Aufmerksamkeit in der Welt – Humor, Lautstärke, Snobismus, Kraft, Zynismus, Offenheit, Hilfsbereitschaft. All so was. Oder er nimmt sich aus dem Gefecht ganz raus. In allen Fällen werden die Menschen so zu ihren eigenen, überzeichneten Zerrbildern. Und Karikaturen sind immer anstrengend. Auch wenn es gute Eigenschaften sind, die herausstechen. Vielleicht sogar dann besonders.  

Vor einer Weile habe ich R. übrigens mal wieder in einem Freibad gesehen, abends. Ich habe ihn erst nicht erkannt. Alle Sperrigkeit war weg. Er sei jetzt, erzählte er, während er sich tatsächlich mit einem Hugo-Boss-Handtuch abtrocknete, bei einer Investmentbank. Irgendwas mit „Trading“, das ich nicht verstand. Schnelle Entscheidungen, immer unter Strom – so ein Job eben. Und er habe sich hier nur schnell erfrischt und müsse jetzt gleich noch in eine „Videokonferenz mit Amerika“. Den letzten Satz sagte er bereits halb abgewandt im Gehen. So ist das, im Freibad.

Der letzte leichte Sommer

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Den Sommer genießen, könnte man sagen, ist das Leichteste der Welt: Man verabredet sich auf einen Kaffee. Der Hitze wegen wird das Treffen zu einem Spaziergang zur nächsten Eisdiele ausgedehnt und der wiederum zu einem Nachmittag im Park. Ein Nachmittag, an dem man immer wieder gerade gehen will, an dem aber jedes Mal kurz vor Aufbruch ein Freund oder Freundesfreund dazukommt, sodass man noch ein bisschen bleibt, für ein paar Minuten nur – hallo, wie geht’s, ach ja, jetzt ist’s gerade so nett hier und was wartet zu Hause schon, das wichtiger ist als die Sonne? Irgendwann fühlt sich jemand verantwortlich, die ganze Mannschaft mit Radler zu versorgen, und als es dämmert, fragt der Andi: „Gehen wir heute Abend noch los?“ Natürlich geht man noch los – der Tag soll auf keinen Fall schon vorbei sein, aber festlegen will man sich auch nicht. Man isst lieber erst mal gemeinsam italienischen Nudelsalat auf der Dachgeschoss-Fensterbank von Jana, weil die gesagt hat, dass man da noch die letzten Sonnenstrahlen einfangen kann, jetzt, wo im Park schon Schatten ist. Die Füße baumeln über der Stadt. Dann schnell mit dem Fahrrad an einen geheimen Ort am Fluss, weil ein Kumpel von Andi da unter einer Brücke einen kleinen Rave veranstaltet. Sollte der von der Polizei aufgelöst werden, kann man ja weiterziehen, wohin es einen eben treibt. Der Tag ist ein Fluss. Und jede Station nur ein Auftakt für die nächste. Man ist frei, solange man nur einen dünnen Strickpulli dabei hat für ganz spät, wenn man im kühlen Morgengrauen doch nach Hause geht.  



Genauso frei und leicht habe ich einen Sommer nach dem anderen verbracht. Dieses Jahr aber ist etwas anders. Anfangs war es schwer zu sagen, was. Denn die Dinge, die ich tue, sind die gleichen geblieben: Ich springe in Badeseen, trage die Hosen und Röcke kürzer als sonst, esse Nudelsalate auf Fensterbänken, rede vor der Bar etwas zu laut und tanze unter freiem Himmel. Aber irgendwie fühlt sich all das jetzt anders an: weniger intensiv, weniger aufregend, weniger erfüllend. Nicht, weil sich dieses Sommerleben mit den Jahren abgenutzt hat und inzwischen abgestanden ist. Der Grund ist die Art und Weise, wie es zustande kommt.   [seitenumbruch]

Wenn ich diesen Sommer auf einen Kaffee gehe, führt das nie zu einem spontanen Bier am Nachmittag und erst recht nicht zu unvorhergesehenen Nächten am Fluss. Das liegt daran, dass ich spätestens nach zwei Stunden wieder nach Hause oder in die Arbeit radeln muss – so wie meine Freunde, Freundesfreunde und die meisten in diesem Alter. Und da sind wir auch schon beim Problem: Natürlich will man in jedem neuen Lebensjahr genauso spontan und lässig bleiben wie im vorigen. Das funktioniert aber nicht – allein, weil die Eltern einen ja nicht bis vierzig finanzieren können. Man muss neben der Uni oder in Vollzeit arbeiten und kommt um einen Terminkalender nicht mehr herum. Je erwachsener man wird, desto weniger kann man sich treiben lassen. Um möglichst viele Radler und geheime Draußen-Raves zu schaffen, hat mein Freundeskreis deshalb einen Gruppenchat gegründet – mit dem Namen „Sommer 2015“. Darin legen wir manchmal sogar mehrere Wochen im Voraus Abende zum Feiern fest und klären, wer die Karten für welchen Event im Vorverkauf bestellt. Manchmal postet sogar jemand Links zu Doodle-Umfragen, die so heißen wie „Elektroboot-Ausflug August“ oder „Gemütliches Grillen“. Zwischendurch schickt Andi einen Screenshot vom Wetterbericht fürs nächste Wochenende, zusammen mit einem panischen Kommentar: „Verdammt, 35 Prozent Regenwahrscheinlichkeit!!! Was sollen wir tun, wenn’s wirklich schifft?“  

Dieses System ist sehr effektiv. Es hilft meinen Freunden und mir bei der Umsetzung unseres Sommerlebens. Genau das ist aber letzten Endes das Problem. Denn wo ein System ist, ist wenig Platz für Freiheit und Spannung. Durch die akribische Planung ist uns die Leichtigkeit des Sommers abhandengekommen. Natürlich ist das Grundproblem zu jeder Jahreszeit dasselbe. Auch im Winter müssen wir mehr planen als früher. Nur: Da stört es nicht so. Kinobesuche und Abende in einer Bar lassen sich problemlos im Voraus festsetzen, weil man sie immer haben kann. In einem organisierten Sommer aber entwickelt man einen Wetterbericht-Zwang und so hohe Erwartungen, dass man am Ende enttäuscht sein wird. Denn je mehr man versucht, das Beste aus dem Sommer zu machen und möglichst viel von ihm in den Kalender zu quetschen, desto mehr geht ja das eigentlich Gute daran verloren: das Gefühl, dass alles offen ist – die Orte, an denen wir uns treffen, unsere Schuhe, der Ausgang des Tages und der Nacht.

Der Sommer ist deshalb ein guter Gradmesser des Erwachsenwerdens. Wenn sich das Sommergefühl verändert, merkt man, dass sich vor allem etwas anderes verändert hat: man selbst. Man ist erwachsen, zumindest wird man es langsam. Den Sommer genießen, könnte man sagen, ist dann nicht mehr das Leichteste der Welt.

Platsch da!

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Nach 20 Minuten ist die erste Badehose kaputt. Sauberer Riss neben der Naht am Gesäß, gut 15 Zentimeter. Christian Guth, Zwei-Millimeter-Frisur, Bart, Bacardi-Fledermaus-Tattoo zwischen den Schulterblättern, zieht sie aus, wirft sie kommentarlos zu seinen Sachen, kramt eine neue hervor und zieht sie über die mit Comic-Einhörnern bedruckte Leggins. Die trägt er, damit es seiner Haut nicht so geht wie seiner Badehose. Dann läuft Christian wieder zum Sprungturm. Er klettert auf den Zehnmeterturm, nimmt dabei zwei Stufen auf einmal. Oben: Anlauf, Salto, Schraube, Arschbombe. Das Wasser spritzt mehr als vier Meter hoch. Christian taucht auf und grinst.  



Bei einer Arschbombe kann die Hose schon mal verrutschen. Unter den Badeshorts trägt Christian Leggins, damit der Aufprall auf dem Wasser nicht so wehtut und keine blauen Flecken hinterlässt.

Wenn Christian Arschbomben springen kann, ist alles in Ordnung. Dann stört keine kaputte Badehose. Dann ist es egal, dass hier im Berliner Olympiabad noch keiner seiner Showspringer zu sehen ist, obwohl ihre Show seit 20 Minuten laufen sollte. Dann ist egal, dass Christian heute Nacht nicht geschlafen hat und noch nicht mal ganz ausgenüchtert ist. Dann ist der Drucker vergessen, der streikte, als er heute früh die Haftungsausschluss- und Anmeldeformulare für den Berliner Splashdiving Cup drucken wollte, für den Event, dessen Veranstalter, Hauptattraktion und Moderator er heute ist. Dann sind auch all die Sorgen vergessen, die Christian sich machen müsste, weil es gerade generell nicht so läuft mit den Sponsoren. Dann ist es egal, dass ungewiss ist, ob Christians Plan wirklich aufgeht: ob man mit Arschbomben seinen Lebensunterhalt verdienen kann.

[plugin bildergalerie Bild2="Bääm!" Bild3="Anlauf!" Bild6="Die Menschen am Beckenrand unten sind in ein paar Sekunden nass." Bild4="Christian stammt aus einer Turnerfamilie und war in seiner Jugend Bayerischer Meister im Turnen." Bild 5="Die Körperbeherrschung ist ihm nicht abhandengekommen."]

Christian Guth ist das Gesicht und das Gehirn von Splashdiving, einer noch jungen Sportart, die die Akrobatik des Turmspringens mit dem größten Spaß kombiniert, den Jungs im Freibad haben können: der Arschbombe. Es gibt Regeln und Punktrichter, es gibt verschiedene Landungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, sie heißen „Kartoffel“, „Yogi-Arschbombe“ oder „Offenes Brett“. Es gibt Deutsche Meisterschaften und sogar eine WM.  

Christian war Teil einer Clique im Freibad in Bayreuth, die sich all das vor mehr als zehn Jahren ausgedacht hat. 2004 wurde er der erste Weltmeister, den diese Sportart je hatte. Seitdem dreht sich so gut wie alles in seinem Leben um die Arschbombe. Christians Geschichte ist deshalb auch die Geschichte eines Menschen, der etwas versucht hat, wovon viele träumen: sein Hobby zum Beruf zu machen. Sein Geld mit der Tätigkeit zu verdienen, die einen am meisten erfüllt, die einen am glücklichsten macht. Das ist ohnehin schon nicht so leicht. Aber wie geht das, wenn das, was man am liebsten tut und am besten kann, Arschbomben vom Zehnmeterturm sind?

Die Arschbombe ist der lauteste Schrei nach Aufmerksamkeit, der im Freibad möglich ist.


Eine Stunde nach dem Hosenriss. Christian steht auf dem Siebenmeterturm, neben ihm ein Tonassistent mit Mikro vom ZDF, ein Kameramann filmt ihn von oben vom Zehner, wo auch der Redakteur steht und seine Fragen stellt. Wenn die Kamera gerade nicht läuft, zittert Christian ein bisschen, er zieht die Schultern fröstelnd hoch und legt sich sein Handtuch um. Sobald das rote Aufnahmelämpchen leuchtet, ist seine Körperspannung schlagartig wieder da, er wirkt wach und spricht fehlerfrei in die Kamera. Er war mit seinen Arschbomben schon zigmal im Fernsehen, allein bei „Galileo“ auf Pro 7 war er schon fast 50 Mal zu sehen. Manchmal bietet er den TV-Sendern gleich selbst Ideen für Beiträge an: 2011 filmte „Galileo“ einen seiner Weltrekordversuche, er sprang mit seinem Splashdiving-Team 24 Stunden lang Arschbomben vom Zehnmeterturm. Deshalb weiß er auch jetzt genau, was er dem Redakteur liefern muss – griffige Erklärungen, warum Gesäßlandungen aus zehn Metern und mehr nicht schmerzen: „Technik und Training. Ein Profi-Boxer weiß auch, wie man Schläge einsteckt.“ Emotionale O-Töne: „Jeder Absprung ist für mich ein Moment absoluter Freiheit.“ Und nach dem Interview natürlich Arschbomben in allen Variationen, inklusive aufgerissener Augen beim Anlauf oder eines kurzen Tänzelns an der Kante des Sprungbretts, wenn er sich zum Rückwärtssalto umdreht.

>>> Der Rekordsprung aus einem Hubschrauber aus 43 Meter Höhe wäre fast sein letzter gewesen.
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Im Prinzip macht Christian heute nichts anderes als ganz früher, im Freibad in Bayreuth. Er spielt den Entertainer. Das ist ja das wesentlichste Merkmal der Arschbombe: Sie ist der lauteste Schrei nach Aufmerksamkeit, der im Freibad möglich ist. Der Knall, wenn der Körper aufs Wasser trifft, die Wasserfontäne – all das sagt ja nichts anderes als: „Seht alle her, hier bin ich!“ Damals in Bayreuth ging es Christian und seinen Freunden darum, bis zu den älteren Damen auf der höchstgelegenen Stufe der treppenartig angelegten Liegewiese zu spritzen. Heute geht es um Medienaufmerksamkeit und Quoten. Keine der „Galileo“-Sendungen, in denen er zu sehen war, sagt Christian stolz, habe weniger als 13 Prozent der werberelevanten Zuschauer erreicht. Ein ziemlich guter Schnitt, vor allem verglichen mit den aktuellen Zuschauerzahlen. Im Freibad auffallen und Leute vor dem Fernseher fesseln – die Mechanismen, die da wirken, sind die gleichen. „Ich bin eben ein kleiner Selbstdarsteller“, sagt Christian. „Ich mag es, die Leute zu unterhalten.“  

Das Problem ist: Er muss noch viel mehr sein als ein Selbstdarsteller, wenn er vom Splashdiving leben will. Er muss kalkulieren und knallhart rechnen. Er muss Eventmanager, Martketingexperte und Sponsoreneintreiber sein. Was das heißt, lernt er gerade. Auch aus den Fehlern der vergangenen Jahre.  

Rekordversuch zur Saisoneröffnung: ein Sprung aus einem Hubschrauber in 43 Meter Höhe. Diese Arschbombe wäre fast Christians letzte gewesen.


  Seit 2013 hat Christian für Deutschland, Österreich und Tschechien die Lizenz für die Marke „Splashdiving“. Das heißt, er darf die offiziellen Meisterschaften und andere Events ausrichten und vermarkten. Einen Teil der Gewinne muss er an den Markeninhaber abgeben, an Oliver Schill. Er war damals in Bayreuth derjenige, der die Regeln der Sportart aufschrieb und aus dem Spaß auch ein Geschäft machte. Mit seiner Sportmarketingagentur Kultos Entertainment holte er nach und nach große Firmen ins Boot. Mentos sponserte die Weltmeisterschaften und andere Events, Nestlé zahlte für eine „Nestlé Schöller Poolbombs Tour“ durch sechs deutsche Schwimmbäder.  

In dieser Zeit merkt Christian: Mit seinem Hobby lässt sich Geld verdienen. Er bricht seine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann ab, auch weil sein Chef ihn dort hauptsächlich als billige Arbeitskraft nutzt und ihm nichts beibringt. Er steigt bei Oliver und Kultos Entertainment ein. Dort kann er seine Ausbildung beenden – und als amtierender Splashdiving-Weltmeister die Events organisieren, auf denen er die Hauptattraktion ist.  

Vor zwei Jahren bietet sich dann die Gelegenheit, die Splashdiving-Lizenz zu übernehmen. Christian greift zu. Er weiß, dass sich Splashdiving vermarkten lässt und wie man Veranstaltungen organisiert. Er ist Star und Mittelpunkt der kleinen Szene und voller Tatendrang. Und doch startet er denkbar schlecht.


[plugin bildergalerie Bild8="Nur springen reicht nicht. Christian muss Interviews geben,..." Bild9="seiner Frau die Wertungen der Sprünge durchgeben" Bild10="am nächsten Tag die Technik abbauen und zum Verleiher zurückbringen..." Bild11="und dem Publikum die Regeln erklären."]

Bei einem Show-Event im Mai 2013 will Christian einen neuen Rekord aufstellen: eine Arschbombe aus 43 Meter Höhe, gesprungen aus einem fliegenden Hubschrauber. Das Fernsehen ist dabei und filmt die Aktion. Ein Rekord als Eröffnung der Saison, das wäre eine schöne Geschichte, mit der Christian zu den Sponsoren fahren kann. Christian knackt die 43-Meter-Marke zwar – aber diese Arschbombe wäre fast seine letzte gewesen.

„Im Ansatz des Sprungs war ich noch gerade“, erinnert sich Christian. Aber aus einem Helikopter zu springen ist etwas anderes als von einem Sprungturm. Als Christian die Luftverwirbelungen unter dem Hubschrauber verlässt, erfasst ihn der Wind. Er muss mit den Armen rudern, um zu korrigieren. Er schafft trotzdem nicht, was Voraussetzung wäre, um den Sprung ohne Verletzungen zu überstehen: beim Eintauchen in der Arschbombenhaltung hundertprozentig gerade zu sein und die Füße direkt unter der Wirbelsäule zu haben. Er trifft in leichter Rücklage auf die Wasseroberfläche. „Ich habe die Schmerzen gleich gespürt“, sagt Christian. Als er aus dem Wasser steigt, kommt ihm seine Freundin Lotte weinend entgegen, auch sie hat sofort gemerkt, dass etwas schiefgegangen ist. Christian gibt sich noch betont gelassen. „Alles gut“, sagt er immer wieder und spricht sogar noch ein paar Sätze in die Fernsehkameras, bevor er mit dem Krankenwagen abtransportiert wird. Diagnose in der Klinik: schwerer Bandscheibenvorfall und schwere Wirbelsäulenzerreißung. Christian muss zweimal operiert werden, die Narben am Rücken sind immer noch deutlich sichtbar. Er ist nur knapp einer Querschnittslähmung entkommen.  

Die Zeit nach dem missglückten Sprung ist hart. Der Unfall passierte drei Monate vor der geplanten Hochzeit, und Christian muss jetzt plötzlich sein Leben hinterfragen, seine sportliche und seine berufliche Zukunft. „Auch marketingtechnisch war das natürlich eine Katastrophe“, sagt Christian mit einem bitteren Lächeln. „Finde mal Sponsoren, wenn du als Lizenznehmer und Gesicht der Sportart gerade knapp einer Querschnittslähmung entgangen bist.“ Christians erste Saison ist gelaufen.  

Zurück beim Splashdiving Cup in Berlin. Irgendwann nach 12 Uhr, als der Zeitplan der Veranstaltung schon eineinhalb Stunden hinterherhinkt, schlurft ein Rudel verkaterter Typen ins Schwimmstadion: Christians Showteam und Freunde aus der Splashdiving-Szene. Dresscode: verspiegelte Sonnenbrillen, Caps und Energydrinks. Fast alle sind tätowiert und perfekt durchtrainiert, nur Jürgen, auf dessen Unterarm vom Handgelenk bis zum Ellenbogen in Reggaefarben der Schriftzug „Splashdiving“ prangt, erinnert von der Figur her an Bud Spencer. Er wird heute der Publikumsliebling. Seine Salti und Schrauben sind zwar längst nicht so perfekt wie die der Arschbomber mit den ausdefinierten Turmspringerkörpern. Aber seine Bomben verdrängen am meisten Wasser und spritzen am höchsten. Wenn er springt, stoppt der DJ jedes Mal kurz die Musik und wechselt zu einem eigens für Jürgen vorbereiteten Lied. Mal ist es „Wrecking Ball“, mal „I Believe I Can Fly“. Splashdiving-Humor.  

Der Tag vergeht ohne Rekordversuche und größere Zwischenfälle. Christian und seine Kumpels haben Spaß, ein paar Grundschüler freuen sich, dass sie beim Contest vom Dreimeterbrett mitmachen dürfen, nur für den kleinen Miguelendet es böse, er landet nach einem Salto auf Brust und Gesicht. Christian tröstet ihn höchstpersönlich, überhaupt ist er überall gleichzeitig: Er springt selbst. Er beantwortet Pressefragen. Mittlerweile sind auch Berliner Lokalzeitungen und ein dpa-Reporter angekommen. Er schnappt sich ein zweites Mikrofon und unterstützt den Moderator, der die verschiedenen Bombenvarianten nicht auseinanderhalten kann. Im gleichen Augenblick gibt er seiner Frau, die im Schatten auf einer Bierbank am Laptop sitzt, die Punktzahlen der Sprünge durch. In den fünf Minuten, in denen gerade mal niemand was von ihm will, isst er eine Portion Freibad-Pommes und raucht eine Zigarette. Von Müdigkeit keine Spur.  

Ein Teil des Freibadpublikums freut sich über die Arschbomben-Show, vielen ist sie aber auch egal: Sie schwimmen, blättern auf ihren Badetüchern in Zeitschriften, essen Eis. Die meisten sind hier, weil sie an einem Schönwettersonntag immer hier sind – und nicht wegen des Splashdivings. Christians Events sind keine Publikumsmagnete, zumindest noch nicht. Feste Geldgeber gibt es auch diese Saison nicht, heute hängt als einziges Sponsorenbanner das Logo eines lokalen Radiosenders am Sprungturm.  

>>> Die Leute fragen Christian, wann er denn mal "was Richtiges" machen will. Er lässt diese Frage nicht gelten
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Die Jury wägt ab, welche Wertung der Sprung verdient hat.

Wenn man ihn darauf anspricht, gibt Christian sich gelassen. Er habe sich auf die falschen Leute verlassen, auf eine Agentur, die Sponsoren für die Saison ranschaffen wollte, aber keine lieferte. Und als er das merkte und selbst eingriff, sei es zu spät gewesen; die Firmen hätten durchaus Interesse gehabt, aber die Budgets waren schon verplant. „Ich habe da ganz klar Fehler gemacht“, sagt er. „Aber die passieren mir nicht noch mal.“  

Klar ist: Viel Geld verdient Christian mit den Arschbomben auch dieses Jahr nicht. „Ich habe neulich mal gelesen, dass in Deutschland die Armutsgrenze bei etwas unter 1000 Euro im Monat liegt“, sagt er. „Da bin ich manchmal drunter.“ Um über die Runden zu kommen, muss er nebenbei als Kellner arbeiten, meistens bei einem Kumpel, der gerade dabei ist, eine Eventagentur aufzubauen.  

Christian stören diese Probleme nicht. Er redet darüber offen, ohne einen Anflug von Versagensangst. Jeglichen Erwartungsdruck lässt er einfach abprallen. Vor ein paar Tagen ist er 30 geworden, und weil der dreißigste Geburtstag auch ein Zeitpunkt fürs Bilanzziehen ist, musste er sich von Eltern und Bekannten kritische Fragen gefallen lassen. „Die denken alle, dass ich jetzt in einem Alter bin, wo ich mal ‚etwas Richtiges’ machen muss“, sagt er. Er versteht diese Fragen und die Denkweise der Leute, die sie stellen. Aber er lässt deren Definition von „etwas Richtiges“ einfach nicht gelten. Kellnernmüssen, das ist für ihn keine Schande. Und wenn der Juraprofessor seiner Frau ihn auf einer Univeranstaltung fragt, was er so mache, stellt er sich als Arschbombenweltmeister vor. „Ich bin gewohnt, Sachen zu machen, an denen ich Spaß habe. Und das werde ich weiterhin machen.“  

Natürlich klingen solche Sätze ein wenig floskelhaft. Ein wenig vielleicht auch nach zu viel Gedankenlosigkeit oder gar Naivität. Aber erstens glaubt man Christian diese Sätze, wenn man ein paar Tage mit ihm verbracht hat. Und zweitens ist es ja vielleicht genau das, was man braucht, wenn man ein so abseitiges Hobby wie Arschbomben zu seinem Beruf machen will: ein wenig Naivität und Gedankenlosigkeit. Vielleicht gibt einem das ja nicht nur den Mut, mit ausgebreiteten Beinen, Hintern voraus, vom Zehnmeterturm zu springen. Vielleicht gibt es einem auch den Mut, damit sein Geld verdienen zu wollen und nicht aufzugeben, wenn es nicht gleich klappt.  

Abends, gegen 18 Uhr. Das Berliner Olympiabad liegt mittlerweile halb im Schatten, der Contest ist vorbei. Es war ein langer Tag für Christian, man sieht ihm langsam an, dass er nicht geschlafen hat und heute wahrscheinlich an die 100 Sprünge hinter sich hat. Er sieht ein bisschen bleich und müde aus. Aber nicht so, wie ein 30-Jähriger aussieht, der müde ist, weil er den ganzen Tag Sport gemacht und davor eine Nacht gesoffen hat und jetzt echt nur noch ins Bett will. Sondern so, wie ein kleiner Junge aussieht, der kaum noch stehen kann vor Müdigkeit, aber unbedingt noch mal ins Wasser springen will.  

Christian geht in die Ecke hinter dem DJ-Pult. Dort steht ein Trampolin. Das wird er jetzt aufs Zehner tragen, ein letzter Höhepunkt für die Zuschauer, noch höhere Sprünge, noch mehr Salti und Schrauben, noch mehr Spritzwasser beim Eintauchen. Christian nimmt das Trampolin auf den Rücken und rennt damit zum Zehnerturm. Auf dem Weg bleibt er kurz beim DJ stehen. Leise raunt er ihm etwas zu: „Vollgas jetzt.“

Essen wie bei Walter White

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Okay, es sieht schon lustig aus. In Walter's Coffee Roastery, einem neuen Themencafé in Istanbul, tragen die Bedienungen gelbe Schutzanzüge und an der Theke gibt es, neben Cupcakes und deftigem Frühstück, auch eine blaue Masse zu kaufen, die an Crystal Meth erinnern soll. Eben ganz wie im Leben von Ex-Lehrer und späterem Drogenkocher Walter White, der Hauptfigur aus der Serie Breaking Bad.

[plugin imagelink link="https://igcdn-photos-b-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xaf1/t51.2885-15/11254573_439121569581545_1266716650_n.jpg" imagesrc="https://igcdn-photos-b-a.akamaihd.net/hphotos-ak-xaf1/t51.2885-15/11254573_439121569581545_1266716650_n.jpg"]
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Die Eröffnung von Walter's Coffee Roastery wird natürlich im Netz gefeiert und das nicht nur von Serienfans. Dabei ist die türkische Kaffeerösterei nicht der erste Laden mit dieser Idee. Bereits seit längerem wird auf Reddit diskutiert, wie man ein Franchise-Unternehmen von "Los Pollos Hermanos", der Hähnchenbraterei aus Breaking Bad, eröffnen könnte.

Und auch sonst hat boomt die Erlebnisgastronomie. Vielleicht, weil viele die ständig gleichen Hipsterbuden mit bunt zusammengewürfelten aber stets gleich unbequemen Stühlen satt haben (wie man so etwas eröffnet, steht übrigens hier). Vielleicht aber auch, weil Essen und Trinken immer mehr zu einem tollen Erlebnis hochstilisiert werden. Eine kleine Auflistung:


Fürs Jahr 2015 würde sich übrigens ein Restaurant mit Motiven aus "Zurück in die Zukunft anbieten". Wobei...

charlotte-haunhorst

Die Schadenvorfreude

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"Ich bin so schlimm", schrieb der Freund per Whatsapp gleich mal vorweg und dann: "Ich hab gesehen, dass so eine Aktivistin, die ich ganz schrecklich finde, in einer Reportage vorkommt – und jetzt freu ich mich schon darauf, das nachher zu gucken und mich über sie aufzuregen." Dann machte er ein trauriges Emoji. Obwohl er sich ja gerade auf etwas freute.

Das traurige Emoji machte er wohl, weil es sich ein bisschen verwirrend angefühlt haben muss, wie da in ihm zwei eigentlich widersprüchliche Gefühle miteinander kämpften. Und sich dann auf eine komische Art vereinten: die Vorfreude (eins der besten Gefühle überhaupt) und die Wut (eins der schlechtesten Gefühle überhaupt).



"Geil! Gleich endlich mal wieder so richtig wütend werden!"

Trotzdem habe ich es ihm gleich nachempfinden können. Ich kenne dieses Gefühl auch. Es ist die Schadenvorfreude. Ich habe die zum Beispiel regelmäßig, bevor ich in einen ICE steige, der wahrscheinlich sehr voll sein wird. Ich bin dann schon im Voraus genervt von den Zugfahr-Amateuren, die sich mit ihrem Koffer, dem Rucksack und der Provianttasche unglaublich umständlich auf ihrem Platz einrichten und dabei den Gang blockieren, bis sie merken, dass ihre Sitzplatzreservierung doch im Nachbarwagen ist. Und ich freue mich schon im Voraus darauf, sie schrecklich zu finden und ein schlecht gelauntes Gesicht zu machen, das sie hoffentlich alle sehen! Auf diesen Moment, wenn es sich so anfühlt, als ob eine kleine Windhose im Magen herumwirbelt! Auf das Wissen, wenn ich jetzt den Mund aufmachen würde, käme da ein Grollen raus!

Alle tun nämlich immer so, als würden sie sich wünschen, sich nie ärgern und niemals wütend sein zu müssen. Jeden Tag gelassen und zufrieden sein zu können. Aber wenn sie ehrlich wären und mal ganz tief in ihre Seele schauen würden, dahin, wo es dunkel wird – dann müssten sie wohl zugeben, dass sie sich manchmal eben auch wünschen, sich mal so richtig schlimm aufregen zu können. Bloß: warum eigentlich?

Die schöne Erklärung ist die antike Erklärung. Es könnte nämlich Katharsis sein, die, nach Aristoteles, Reinigung der Seele von bestimmten Affekten. Aristoteles dachte dabei zwar eher an Kummer und Angst, die man durchlebt, wenn man eine Tragödie anschaut, und die man sich dadurch im echten Leben erspart – aber warum sollte das nicht auch mit Ärger und Wut funktionieren? Wenn mein Freund sich vorm Fernseher über eine Aktivistin ärgert, die davon nichts mitbekommt, und ich mich im Zug über Menschen, die ich danach nie mehr wiedersehe, dann ärgert er sich vielleicht morgen nicht über seine Mitbewohnerin und ich mich nicht im Büro, obwohl wir beide Grund dazu hätten. Weil: Der Ärgerspeicher ist leer. Nix mehr drin. Leergeärgert. Die Vorfreude auf den Ärger wäre dann ein total empathisches Gefühl, nämlich eigentlich die Vorfreude darauf, im geschützten Rahmen alle Aggressionen loszuwerden und danach keine wichtigen zwischenmenschlichen Beziehungen mehr damit zu belasten. Die Schadenvorfreude als eine Art innere Gummizelle zum Unbemerkt-an-die-Wände-Treten-und-drin-rumtoben.

Wie gesagt: Das ist die schöne Erklärung. Ich fürchte bloß, dass die weniger schöne die richtigere ist. Und die geht so: Wenn wir uns darauf freuen, uns über etwas aufzuregen, dann nur, weil wir schon wissen, dass wir uns dabei überlegen fühlen werden. Der kleine Hass meines Freundes auf die Aktivistin, das ist dann ein kleiner Hass von oben herab. Ein "Du hast es echt nicht drauf und ich hab es verstanden"-Hass. Und meiner auf die Zugfahrer eben auch. Und so, aus diesen niederen Beweggründen, wird aus der Wunschwut sicher keine Katharsis. Und dann ist sie auch nicht empathisch. Sondern schlicht: fies.

Der Freund hat dann also diese Doku geguckt. Ich habe ihn gefragt, wie es war, ob es ihm gut ging danach. Er schrieb, er sei ein wenig enttäuscht gewesen, weil die doofe Aktivistin dann gar nicht sooo schlimme Sachen gesagt habe. Trauriges Emoji.

Die Jobbörse für Flüchtlinge

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Jetzt.de: Erstmal herzlichen Glückwunsch, den Bachelor dürftet ihr wohl bestanden haben. Euer Projekt bekommt gerade viel Aufmerksamkeit. Worum geht es bei workeer?
David:
Wir studieren eigentlich Kommunikationsdesign. Unsere Abschlussarbeit wollten wir aber einem politisch relevanten Thema widmen, das uns auch privat am Herzen liegt. Der Bereich „Arbeit“ ist für viele Flüchtlinge eine der größten Hürden. Genau da wollten wir ansetzen. Die Idee ist simpel: Arbeitgeber laden ihre Jobangebote hoch und die Flüchtlinge erstellen ein Profil mit ihren Gesuchen. Dann finden sich beide, und im Idealfall entsteht ein Arbeitsverhältnis.  

Macht sich auch ganz gut im Lebenslauf, oder?
David:
Man kann nicht leugnen, dass wir in erster Linie Designer sind. Klar fließt das in unser Portfolio ein. Aber wir haben vor allem eine ideelle Motivation, uns einer gesellschaftlich relevanten Thematik zu widmen. Und der Arbeitsmarkt für Flüchtlinge ist stark verbesserungswürdig.
Philipp: Was die politische Komponente angeht, sind wir ziemlich ins kalte Wasser gesprungen. Im Rahmen der Recherche haben wir dann aber viele Kontakte zu Flüchtlingen, Initiativen und Unterstützern aufgebaut.
 


 David und Philipp.  

Die Homepage „Flüchtlinge Willkommen“, auf der WGs für Geflüchtete vermittelt werden, ist auch an eurer Hochschule entstanden und ähnlich stylisch aufbereitet.

David:
Stimmt. Das Thema wird immer häufiger aufgegriffen. Als Designer haben wir die Chance, komplexe Dinge konzeptionell und visuell verständlich aufzubereiten.
Philipp:
Und dann kommt ja noch der Teil „Kommunikation“ dazu. Also: Wie können wir Probleme darstellen und möglichst einfache und nachvollziehbare Lösungsansätze liefern? Es gibt viele schlaue Initiativen, aber designtechnisch haben die oft große Defizite und sprechen nur eine Gruppe von Leuten an, die sich eh schon engagiert. Und die Optik spielt eben auch bei gesellschaftlichem Engagement eine Rolle.  

Wie tief musstet ihr euch als Designer in die arbeitsrechtliche Lage von Geflüchteten einarbeiten?

David:
Das Thema ist wahnsinnig komplex. Je nach Aufenthaltsstatus muss man sich da jedes Mal individuell einfuchsen. 
Philipp:
Unsere Website soll eher als Plattform verstanden werden. Die einzelnen Bewerbungen müssen alle noch mal vom Arbeitsamt oder den zuständigen Behörden geprüft werden. Eine Aufgabe, die wir mit unserer Plattform leider nicht vereinfachen können. 

Warum sollten die Unternehmen diesen bürokratischen Hürdenlauf auf sich nehmen?

David:
Wir laden bald eine Schritt-für-Schritt-Anleitung hoch. Klar steht das Rechtliche unserer Idee noch ein bisschen im Weg. Wenn aber immer mehr Unternehmen die Plattform nutzen, kann das auch andere ermutigen, sich dem Bürokratieaufwand zu stellen.
Philipp:
Außerdem gibt es in vielen Bereichen, zum Beispiel in der Pflege oder den Ingenieursberufen, einen ganz offensichtlichen Fachkräftemangel. Da sind Qualifikationen gefragt, die viele Flüchtlinge schon mitbringen. Hinzu kommt der Austausch von internationalem Expertenwissen, den viele Arbeitgeber oft unterschätzen.  

Besteht die Gefahr, dass Unternehmen workeer nutzen, um ihr soziales Image aufzupolieren?David: Glaube ich nicht. Es ist schon ein höherer Aufwand, sich mit den rechtlichen Bedingungen auseinanderzusetzen. Firmen, denen es nur ums Image geht, würden die Anstrengung nicht unternehmen.  
Philipp:
Und selbst wenn, dann werden sie halt zum Vorbild für andere Firmen, die dann auch mitmachen wollen.  

Bisher sind fünf Jobs verfügbar, welche sind das?
David:
Ganz unterschiedlich. Unter anderem: eine unbefristete Floristenstelle, ein Verlagshersteller in Festanstellung, ein Senior Java Script Developer, auch in Festanstellung.  

Das klingt nach ganz attraktiven Stellen. Wir hätten auch unangenehmere Jobs erwartet. Filtert ihr die Angebote noch mal, bevor sie online gehen?

Philipp:
 Wir sind ja heute erst online gegangen. Wir werden erst nach ein paar Tagen oder Wochen sagen können, welche Jobs hauptsächlich angeboten werden. 
David:
Wenn was ganz Zwielichtiges angeboten würde, oder wir das Gefühl hätten, dass Rechtsradikale uns ausnutzen, müssten wir schon eingreifen. Natürlich wollen wir, dass auf workeer attraktive Jobs mit Zukunftsperspektive angeboten werden. Es ist aber eigentlich nicht unsere Aufgabe, die Jobs in „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen.  

Wie werde ich als jemand, der gerade in Deutschland angekommen ist und die Sprache noch nicht spricht, auf euch aufmerksam?
David: Während der Recherchephase haben wir in vielen Berliner Flüchtlingswohnheimen Werbung gemacht. Jetzt hoffen wir auf das Schneeballprinzip. Außerdem wollen wir die Website unbedingt noch in weitere Sprachen übersetzen.
Philipp:
Ah! Gerade hat sich der Erste registriert. Ein Zahnmediziner. Ich bin mal gespannt.  

Euer Studium ist damit abgeschlossen, aber das Projekt läuft ja gerade erst an. Wie soll es weitergehen?

David: Je nachdem, wie es in der Zukunft angenommen wird, wollen wir das Projekt auf jeden Fall ausbauen und weiterführen. Gerade beansprucht es schon den Großteil unserer Freizeit und es wäre gut, das zu professionalisieren.
Philipp:
Schön wäre auch ein bisschen finanzielle Unterstützung, aber das ist dann der nächste Schritt.

Was dein Lieblingslied über dich aussagt...

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Wir brauchen nicht lange, um zu erkennen, ob uns ein Lied gefällt. Nur ein paar Takte hören, dann bleiben wir dabei oder wechseln zum nächsten Track. Aber warum finden wir manche Musik gut und andere nicht?



Dass Musikgeschmack und Persönlichkeit eng zusammen hängen, ist schon länger bekannt. Faktoren wie Alter, Charaktereigenschaften und persönliche Werte spiegeln sich in den Vorlieben für Musikrichtungen wider. So bevorzugen für neue Erfahrungen aufgeschlossene Personen eher Blues, Jazz, oder Klassik, konservative Hörer mögen Pop, Film-Soundtracks oder Soul. Diese Ergebnisse werden häufig in psychologischen Studien angeführt, besonders aussagekräftig sind sie aber selten.

Der Camebridge-Doktorand David Greenberg, selbst ausgebildeter Saxofonspieler, untersuchte deshalb mit seinem Forscherteam, ob nicht unsere Art zu Denken mehr darüber aussagen könnte, was wir gerne hören. Dabei unterschieden er und sein Team zwischen empathischen und systematischen Denkern. Der Empathiker denkt in Gefühlen und kann sich besser in andere hinein versetzen, während der Systematiker seine Umgebung lieber in Regeln und Mustern analysiert.

Für ihre Untersuchung warben Forscher über 4.000 Teilnehmer über die facebook-App myPersonality an, ließen sie Fragebögen ausfüllen und über 50 Musikstücke hören. Dabei fanden die Forscher heraus, dass, je mehr die Teilnehmer systematischen Denkern zugeordnet werden konnten, desto lieber hörten sie Musik mit einem hohen Maß an Komplexität. Diese Arrangements bestehen etwa aus mehreren unterschiedlichen musikalischen Motiven und klingen durch Dissonanzen weniger gefällig. Gern hören Systematiker Songs wie God save the Queen von den Sex Pistols, Metallicas Enter Sandman oder Alexander Scriabins Etude Opus 65 Nr. 3.  Die empathische Denker bevorzugten hingegen gefühlvolle, warme und liebliche Musik, wie zum Beispiel Jeff Buckleys Hallelujah, Norah Jones Come away with me oder All of me von Billie Holiday.

Die Vorliebe für liebliche oder komplexe Musikstücke erwiese sich auch als gattungsresistent. So spielten die Forscher den Teilnehmern eine Auswahl an Jazz-Stücken vor. Empathischen Denkern gefielen liebliche Melodien besser, während systematische Denker komplexeren Avant-Garde-Jazz hören wollten.

Dass aus dieser Erkenntnis auch Geld gemacht werden kann, ist wohl auch Greenberg klar. Gegenüber  der Universität sagte er: „ Es wird viel Geld für Algorithmen ausgegeben, die entscheiden, welche Musik man vielleicht hören will, zum Beispiel auf Spotify oder Apple Music. Wenn die Anbieter wüssten, wie ein Einzelner denkt, könnten sie in Zukunft ihre Musikempfehlungen besser auf denjenigen einstellen.“

magdalena-naporra

Das bestellte Geschenk

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Die Tina, die wird in ein paar Wochen 29 Jahre alt und wünscht sich zum Geburtstag eine neue Sonnenbrille. Aber nicht irgendeine, sondern das Modell Erika Velvet, für 140 Euro. Sie hat es schon beim Optiker hinterlegen lassen, man weiß ja nie. Die Nachricht, dass die Tina sich die Erika wünscht, kommt von ihrem Freund per Whatsapp-Gruppe, adressiert an zehn Freunde, Profilbild mit Ray Ban. Gezahlt wird per Pay Pal. So praktisch.




Das, was du bestellt hast? Armer Mensch!

Für viele sind solche Auftragsgeschenke eine Erleichterung: Sie müssen nicht groß nachdenken und immerhin kann der Beschenkte „es dann ja auch wirklich gebrauchen.“ Aber woran bemisst sich der Wert eines Geschenkes? Am Preis? An der Nützlichkeit? An der Garantie, zu gefallen?

Wenn sich meine Oma vor Weihnachten ganz umständlich bei meinen Eltern erkundigt, was ich denn am dringendsten brauche (Geld? Socken?) oder womit man mir eine echte Freude machen kann (nicht Socken), dann ist das in Ordnung. Omas haben wenig Ahnung von unserem Leben und unseren Wünschen, wohnen oft weit weg, schenken mit traditioneller Routine und daher ohne Phantasie. Aber Freunde?

Die kennen uns doch. Sie sind in den schönsten und schlimmsten Momenten an unserer Seite, kennen unsere Stärken und Schwächen, unsere speziellen Vorlieben, unseren Humor. Da können wir ihnen ruhig zumuten, dass sie selbst ein paar Gramm Hirnschmalz darauf verwenden um herauszufinden, was uns vielleicht gefallen könnte.

Gute Geschenke sind eine Erinnerung an die Freundschaft - mit einer Schleife drumherum


Klar besteht das Risiko, dass der/die Beschenkte den Fahrradkorb/Plattenspieler/Nussknacker nicht gebrauchen kann. Im schlimmsten Fall legt er das Geschenk in den Schrank zu den Sachen vom vergangenen Jahr oder verschenkt es bei der nächsten Gelegenheit weiter.

Aber genau in dieser Unsicherheit liegen ja Reiz und Spannung des Schenkens. Bis kurz vor dem Auspacken nicht wissen, ob man richtig liegt oder nicht. Geschenke von Freunden müssen gar nicht praktisch sein, sie dürfen sich sogar jeder Brauchbarkeit entziehen, wenn sie nur einen freundlichen Gedanken transportieren. Gute Geschenke sind eine Erinnerung an die Freundschaft - mit einer Schleife drumherum. Denn diesen einen Moment, wenn ein Überraschungsgeschenk gezündet hat, wenn dem anderen die Tränen in die Augen schießen und er vor Glück jauchzt, genau den kann man eben nicht vorbestellen.

Am Ende hat die Tina übrigens einen Sparstrumpf voller Bargeld bekommen. Das mit Pay Pal hat nicht geklappt. Es hat ein bisschen peinlich ausgesehen, aber der Geschenke-Kauf-Beauftragte hat es zeitlich nicht geschafft, die Brille zu besorgen. Ihm war was dazwischen gekommen. Keine Sonnenbrille also, und deshalb konnte man auch sehr deutlich sehen, dass Tina keine Tränen in die Augen geschossen sind.

Fette Sache

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„Mmmmhm, ist das oleogustisch!“ – diesen Satz könnten wir bald alle in unsere Pizza murmeln. Seit kurzem ist bekannt, dass die Welt einen neuen Geschmackssinn bekommt: Zu süß, salzig, sauer, bitter und umami (herzhaft) soll nun oleogustus hinzukommen, wie eine aktuelle Studie des Ernährungswissenschaftlers Prof. Richard Mattes fordert. Oleogustus, der Lateinstreber im Geschmacks-Sextett, beschreibt das, was Fastfood-Verehrer als "best taste of the world" erachten würden: fett, fett, triefend fett.  

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/zbZS3EFRkK664/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/zbZS3EFRkK664/giphy.gif"] Ganz wissenschaftlich betrachtet: der Burger. 

In der Bevölkerung auch umgangssprachlich als „Boah geil!“ bekannt, bekommt der Fettgeschmack nun also grünes Licht von der Wissenschaft. Heißt das, dass unsere Vorliebe für geschmolzenen Käse, Sahne und ähnlich Grünkohl-Unverwandtes mit einem Rezeptorenfeuerwerk zu tun hat, das speziell von Fett ausgelöst wird?  

Nicht ganz. Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich Forscher mit dem Phänomen des sechsten Geschmacks. Mattes, dessen Studie die Existenz bestimmter Fett-Rezeptoren nun erneut belegte, gab dem jetzt einen Namen. Doch echter Fettgeschmack, den man zum Beispiel bei stark Frittiertem erhält, ist nicht besonders lecker: „Fettsäure schmeckt furchtbar“, so Mattes. Und gesund ist sie auch nicht – vielleicht wird sie deshalb von der Zunge erkannt: „Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Warnsystem handelt“. „Echt oleogustisch!“ ist also kein Kompliment.  

Am „Boah geil“-Effekt von fettigem Essen sind stattdessen Triglyceride schuld: Moleküle, die aus drei verschiedenen Fettsäuren bestehen. Sie sind der Grund, warum sich Pizza Hut und Co immer absurdere Varianten wie vierfach frittierte Fritten, Waffeltacos oder Pizza mit Cheeseburger-Kruste ausdenken. Was Triglyceride so lecker macht, sei jedoch eher das Mundgefühl, als der Geschmack, erklärt der Forscher. Wer beim nächsten Pizzaessen also wissenschaftlich korrekt bleiben will, sollte sagen: „Mmmmhm, ist das triglyceridisch!“  

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/uYuNg2J4x9HUY/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/uYuNg2J4x9HUY/giphy.gif"] Noch mal zur Übersicht: triglyceridisch oder auch "Boah geil"
 


sina-pousset

Klappe zu!

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Klapphandys, das war 2004, als Green Day gerade in den Charts waren und man zum ersten Mal etwas über Facebook las. Und jetzt - kommen sie zurück, 2015 und ganz unironisch. Mehr als jede iPhone-Präsentation das jemals schaffen könnte, hat in den vergangenen Tagen die Nachricht, dass LG ein neues Klapphandy vorstellt, das Netz bewegt. Es ist eigentlich ein Klapp-Smartphone und ungefähr so groß wie die ersten Handys in den Neunzigern, weil Smartphones das jetzt eben so sind und weil alles auf der Welt ein einziger Kreislauf ist, auch die Telefon-Mode. Zunächst kommt es in Korea auf den Markt, dort hat die Eingabe über die Nummerntasten noch viele Fans. Ob und wo es danach erscheint, ist noch nicht sicher. Nach dem Jubel auf Twitter ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass andere Länder folgen. 
 
Wir sagen: zurecht!

Denn Anrufe annehmen war nie dramatischer, nie sinnlicher. Jedenfalls mit dem richtigen Schwung:

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/s5fFrICaV0Aj6/giphy.gif " imagesrc="http://media.giphy.com/media/s5fFrICaV0Aj6/giphy.gif "] Channing Tatum als "Magic Mike" im gleichnamigen Film (via Giphy)   

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/unBelivpAG5Ta/giphy.gif " imagesrc="http://media.giphy.com/media/unBelivpAG5Ta/giphy.gif "]Will Ferrell (via Giphy)
 

Und wie langweilig ist es dagegen, mit dem Daumen auf ein rotes Hörersymbol zu tippen.

[plugin imagelink link="http://i.imgur.com/orpcAn2.gif" imagesrc="http://i.imgur.com/orpcAn2.gif"]Jesse Eisenberg als Mark Zuckerberg in "The Social Network"(viaiDigitalTimes)  

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/derY0FcSkG1KE/giphy.gif" imagesrc="http://media.giphy.com/media/derY0FcSkG1KE/giphy.gif"]Jeremy Piven als Ari Gold in "Entourage" (via Giphy)  

[plugin imagelink link="http://media.giphy.com/media/1080AfGtovINTq/giphy.gif " imagesrc="http://media.giphy.com/media/1080AfGtovINTq/giphy.gif "](via Giphy) Ebenfalls Jeremy Piven.    

kathrin-hollmer

Das ist... Christina Jurgeit, Späti-Aktivistin

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Das ist... Christina Jurgeit





28 Jahre alt, Werbetexterin und seit Kurzem mit ihrer Petition "Rettet die Spätis" die beste Freundin vieler Berliner Späti-Besitzer.

Eigentlich ist Christina eine "Zugezogene" in Berlin, vor zwei Jahren kam sie aus Hamburg dazu. Trotzdem fiel ihr schnell auf, dass sich in Berlin etwas veränderte: Die Spätis in Neukölln, Sinnbild für Berliner Lebenskultur, hatten sonntags auf einmal zu. Im Gespräch mit den Besitzern erfuhr sie auch den Grund: Dem Berliner Ladenöffnungsgesetz zufolge dürfen nur Geschäfte, die Zeitungen, Brötchen und Milchprodukte verkaufen, sonntags von acht bis 16 Uhr aufhaben. Alle alle anderen Läden dürfen nur an verkaufsoffenen Sonntagen öffnen.

Eigentlich war das schon lange so, es hat sich nur niemand daran gehalten - schließlich machen viele Spätis nach eigenen Angaben sonntags das Vierfache ihres normalen Umsatzes. Seit Kurzem gibt es allerdings insbesondere in Neukölln regelmäßige Ordnungsamtkontrollen - wer mit offenem Geschäft erwischt wird, muss Strafe zahlen. Beim ersten Mal können das 180 Euro sein, fliegt man mehrfach auf, auch 2500 Euro. Viele Späti-Besitzer können sich das aber nicht leisten und bangen nun um ihr Geschäft.

Die kann…


Menschen mobilisieren. Christina sagt: "Über die Probleme der Spätis konnte man mehrfach in den Medien lesen, aber niemand hat sich wirklich darum gekümmert . Mir brachen diese Geschichten das Herz - also habe ich eine Petition ins Leben gerufen." "Rettet die Spätis" auf change.org gibt es seit Anfang Mai und hat mittlerweile gut 30.000 Unterschriften. Die Petition richtet sich an den Berliner Bürgermeister Michael Müller, die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, Franziska Giffey, das Berliner Ordnungsamt sowie die Abgeordnete Anja Kofbinger von den Grünen. Sie fordert, die Sonntagsöffnungszeiten für Spätis zu überdenken. Eine Lösung wäre zum Beispiel, die kleinen Geschäfte rechtlich Tankstellen gleichzusetzen.

Christinas Ziel sind über 40.000 Unterschriften - "Mindestens so viele, wie es gebraucht hat, um den Karneval der Kulturen zu retten", sagt Christina. Der stand 2015 nämlich auch zeitweise zur Disposition.


Die geht...,


wenn sie ihre 40.000 Unterschriften erreicht, hat zur Berliner Arbeitssenatorin und dem Ordnungsamt, um sie zu überreichen. Zwar ist "Rettet die Spätis" keine Petition, bei der man mit einer bestimmten Anzahl an Unterschriften automatisch erreicht, dass die Politik sich damit beschäftigen muss. Aber Christina sagt: "Spätis gehören zur Berliner Kiezkultur dazu. Mit den mehr als 30.000 Unterschriften kann ich der Politik zeigen: Das bin nicht nur ich, die sich da Gedanken macht. Wir sind viele." Mit der Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat sich Christina bereits im Rahmen einer Bürgeranfrage getroffen: "Sie hat mir nur gesagt, den Begriff 'Späti' würde die Politik nicht kennen. Da wusste ich schon, dass sie nicht helfen würde."

Wir lernen daraus, dass…


... die oft gerade in Bayern glorifizierten Berliner Ladenöffnungszeiten nicht selbstverständlich sind. Und, dass man kreativ sein muss, um als Späti jetzt noch sonntags aufzuhaben: Viele Läden sehen dann von außen dunkel und unbelebt aus, die Tür steht trotzdem offen. Oder sie haben kleine Durchreichen eingebaut, wie an einer Tankstelle.

Nur Google weiß über sie, dass...


sie mal bei Vapiano gearbeitet hat. Aber vielleicht war das eine ganz gute Übung für ihren Kampf für die Spätis - da hat man ja auch andauernd Essen direkt vor der Nase und bekommt es nicht.

Der singende Algorithmus

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Die Maschinen erobern die nächste urmenschliche Bastion: Der erste Liebeslieder singende Algorithmus wurde an der Universität der Künste Berlin ertüftelt. Er singt Whitney Houston ("I will always love youuuuuuu") oder Celine Dion ("My heart will go on"). "Das Programm performt diese emotional aufgeladenen Songs und versucht dabei, das passende menschliche Gefühl aufzutragen", sagt Martin Backes. Backes ist der Künstler, der den Algorithmus programmiert hat. Sein Ziel ist es, mit der Installation zu sehen, "wie wenig es braucht, um bei Menschen Gefühle zu provozieren.“

http://vimeo.com/133428328

Okay, krass. Aber singende Roboter kennen wir bereits ein paar. Schon Data, der Android aus Raumschiff Enterprise, sang zur Hochzeit von Commander Riker und Deanna Troi.

http://www.youtube.com/watch?v=u4VoBUWFAKQ

Stellt sich die Frage: Ist die Musik noch die gleiche, wenn der Sänger nichts dabei fühlt? Macht es einen Unterschied, in unserer heutigen Welt, da wir die meiste Musik sowieso nur vermittelt hören? Irgendwann einmal in einem sterilen Studio eingesungen, hundertmal, über ein Soundbett aus digital erzeugten oder bearbeiteten Klängen, dann von einem kühlen Produzentenkopf am Computer veredelt, umgewandelt, hochgeladen, runtergeladen, gestreamt, gefunkt, vom Handy schließlich über die Kopfhörer zu uns kleinen Menschen?

Ist es nur konsequent, wenn die Roboter uns auch diese Arbeit bald abnehmen?

So wie diese Fische hier:

http://www.youtube.com/watch?v=AXAgsoZypIo

Friedemann Karig

Jetzt auch in Schönschrift!

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PoezDiEks? BhZ? KrbT?" Wer sich Münchens Brückenpfeiler, Parkautomaten oder Tunnelwände genauer ansieht, stößt auf tausende kryptische Mini-Texte. Die gesprayten Schnörkel und Schlaufen gehören zum Stadtbild wie Straßenschilder und Mülleimer. Und genau so nehmen wir sie normal auch wahr: gar nicht. Das Alltagsauge müsste vor Überforderung ja durchdrehen, wenn wir uns die Mühe machten, alle Graffiti und Tags aktiv zu lesen. Und selbst wenn: Was, zum Teufel, steht da überhaupt?! Kann ja keiner entziffern.



Der Schlachthof in der Tumblingerstraße gehört zu den wenigen legalen Sprayer-Flächen in München. Hier darf man sich ganz offiziell verewigen.



An der Boschetsrieder Straße darf nur auf Einladung der Stadt gesprayt werden.

Die Münchener Graffiti-Künstlerin Beastiestylez hat versucht, die Tags für uns zu entziffern. Die Anfänger schreiben oft noch deutlicher und geradlininiger, sagt sie. Aber bei den Profis wird es schwieriger. Am Schwung und der wechselnden Dicke der Linien erkenne man, dass die Leute diesen Schriftzug schon tausend Mal irgendwo geübt haben. Jeder Buchstabe ist dann ein Kunstwerk.



Swing Star ist einer der bekannteren Sprayer der Stadt. Deshalb darf er auch ganz offiziell an der Boschetsrieder Straße malen.

Während wir die Tags als Schmierereien ausblenden, nimmt Beastiestylez jeden Schriftzug wie einen Stempel wahr: Meistens sind das einfach nur die Namen der Leute. Es ist ein Gruß an andere aus der Szene und alle da draußen. Es bedeutet einfach: Ich war hier, wer noch?"



Automat in der Zenettistraße: Ein Liebesgruß an alle da draußen" und die eigene Crew. Könnte teuer werden, wenn man sich erwischen lässt.
[seitenumbruch]Früher ging es beim sogenannten Bombing" zudem darum, den Namen der Sprayer-Crew in kürzester Zeit an möglichst vielen, möglichst auffälligen Orten zu verbreiten. In den Neunzigern war in München etwa die ABC-Crew bekannt für ihre riskanten Schriftzüge, die sich über ganze S-Bahnen zogen. München, das dürfte einige überraschen, war damals übrigens die erste deutsche Stadt, in der sich eine Sprayer-Szene entwickelte. Heute, das dürfte die wenigsten überraschen, geht es ordentlicher zu. In Berlin wird vielleicht noch viel um Flächen gekämpft, aber die Münchener Sprayer-Szene ist so klein, da bleibt für jeden ein Fleckchen übrig. Es gibt ein paar Faustregeln, an die sich die meisten halten."



Diesen Schriftzug am U-Bahnhof Poccistraße erkennt nur ein Profi.

Zum Ehrenkodex gehöre vor allem, kein Privateigentum zu bemalen. Das machen nur Kids und Anfänger, die nicht wissen, wohin. Allgemeiner Konsens, wohlgemerkt innerhalb der Szene, sei außerdem: Alles, wofür wir Steuern zahlen, darf auch bemalt werden. Und bei Wänden von Großkonzernen hat auch niemand Hemmungen.



Sprayer-Ehrenkodex: Wer das übermalt, sollte besser sein als sein Vorgänger



Die Tumblingerstraße ist eine der ältesten und bekanntesten legalen Flächen.

Für etablierte Graffiti-Künstler wie Beastiestylez stellt die Stadt zudem in einmaligen Aktionen offizielle Flächen wie die unter der Donnersbergerbrücke oder dauerhafte Wände, wie die an der Tumblingerstraße, zur Verfügung. Da greift dann die zweite goldene Regel: Wer einen anderen Künstler übermalt, sollte besser sein. Das ist immer ein bisschen Geschmackssache, aber vor allem eine Frage des Respekts. Für die großen Schriftzüge braucht man schon mal zwei Tage. Da trauen sich die Anfänger nicht drüber", sagt Beastiestylez.



Wer war sonst noch so da? Bahnunterführung an der Thalkirchner Straße.

Der Vollständigkeit halber: Wer beim Üben für die Platzreife erwischt wird, muss laut Münchner Polizei mit Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren oder hohen Geldstrafen rechnen.



Bei geübten Sprayern ist jeder Buchstabe ein Kunstwerk. Dieses hier haben wir in der Zenettistraße gefunden.
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