Angestrichen:
„...and yet, as US history professor Susan J. Matt recently pointed out in the New York Times, certain kinds of modern personality find it better to suppress or eliminate the backward glance. Explicit discussions of homesickness are now rare, Matt writes, because the emotion was typically seen „as an embarrassing impediment to individual progress and prosperity. This silence makes mobility appear deceptively easy."
Wo steht das?
In einem Essay des Autors Ian Jack auf der Website der englischen Zeitung the guardian. Der Artikel heißt: "Skype and cheap calls give the illusion of closeness, but homesickness is still real".
Worum geht es?
Um Heimweh. Für viele, vor allem für junge Menschen, ist es mittlerweile fast schon zu einer Art Pflicht geworden, sehr viel in der Welt unterwegs sein zu wollen, sei es durch Reisen, Auslandssemester oder Jobs im Ausland. Die Äußerung, die eigene Stadt oder das eigene Dorf würden einem als Lebenskosmos eigentlich genügen, ist nicht mehr besonders prestigeträchtig. Man könnte sagen, das Unterwegssein, die Neugier und die grenzenlose Weltoffenheit ist zum Imperativ der Moderne geworden. Nicht einmal Fernbeziehungen sind noch etwas Besonderes, es gibt Facebook, Skype, Snapchat, iMessage, WhatsApp, es gibt sogar Knutschkissen und andere seltsame Fernfummelhilfsgeräte. In Anbetracht dieser Lebensweise kommt einem der Begriff des Heimwehs fast schon aus der Zeit gefallen vor.
Jack stellt in seinem Text nun zuerst einmal die Frage, ob und was eigentlich die technischen Möglichkeiten des Kontakthaltens mit dem immer mobiler werdenden Menschen machen. Er habe gerade in einem der roten Londoner Doppeldecker-Busse gesessen, „a good place to listen to nostalgia", so schreibt er, als er sich diese Frage stellte. Denn oft höre er dort hinter und vor sich auf den Sitzen Somalier, Bengalen, Russen, Bulgaren, Moldavier oder Letten in ihrer Muttersprache telefonieren. Sorgen die Möglichkeiten des unbegrenzten Kontakthaltens für ein so starkes Gefühl der Nähe, dass Heimweh tatsächlich überflüssig wird? Oder ist es genau andersherum und die Migranten erleben ihre Abwesenheit durch den intensiven Kontakt mit den Zurückgelassenen umso deutlicher? Ganz so, wie man oft Eltern von Internatskindern warnt, sich bitte nicht zu häufig zu melden, da das Kind sonst zu oft daran erinnert wird, dass zu Hause eigentlich woanders und jetzt gerade sehr weit weg ist?
Warum redet in Zeiten der Globalisierung kaum mehr jemand über Heimweh?
Obwohl man sich an vielen Universitäten mit dem Heimweh des globalen Menschen zu beschäftigen versuche, schreibt Jack, gebe es doch nur erschreckend vage Erkenntnisse darüber. Er zitiert die Geschichtsprofessorin Susan J. Matt, die bereits vor einigen Jahren in der New York Times zum Thema Heimweh schrieb, dass man es heutzutage deshalb kaum mehr sehr explizit diskutiere, da es als emotionaler Faktor einen sehr unberechenbaren und kaum zu beseitigenden Gegner der Globalisierung darstelle. Das Einzige, was einem also übrig bleibe, sei darüber zu schweigen. Nur entstehe so leider auch der nach außen hin höchstparadoxe Eindruck, Heimweh habe sich als Menschensschmerz aufgelöst und unsere Mobilität sei für überhaupt niemanden ein Problem - während es in Wahrheit vermutlich mehr Menschen als je zuvor in innere Pein versetze, ohne dass es jemand mitkriege.
Das Problem mit dem Heimweh habe die Menschen schon immer beschäftigt, beschreibt Matt auch in ihrem Buch „Homesickness: An American History", und am deutlichsten habe es sich im von den Massenimmigrationen des 19. Jahrhunderts geprägten Amerika gezeigt. Schon um 1900 herum schrieben amerikanische Zeitungen und Kommentatoren, dass Heimweh „in these days of quick communication, of rapid transmission of news and of a widespread knowledge of geography" ja nun wirklich immer unpopulärer werde, führt Matt in ihrem Buch an. Tatsache aber sei, dass auch in den modernen Zeiten von damals die Menschen mitunter noch vor Heimwehkummer starben, wie der Fall eines Iren aus Brooklyn 1887 beweist, den die Autorin ebenfalls in ihrem Buch beschreibt. Auch zieht sie Zahlen zur Auswanderung vieler Migranten aus den USA heran, von denen knapp die Hälfte früher oder später doch wieder in ihre Heimat wollten.
Sie mutmaßt also, dass die neuen Technologien am Gefühl des Heimwehs nicht viel geändert haben und das auch nie tun werden, ganz egal, wie technologisch hochentwickelt wir uns in unserem immer etwas trügerisch-modernen Jetzt auch finden mögen. Die Leute werden also immer Heimweh haben, einige sicherlich mehr, andere weniger, aber wer es hat, der leidet und für den bleibt die so beliebte kosmopolitische Wunschvorstellung des ewig einzelgängerischen, aber perfekt vernetzten mobilen Menschen, der so problemlos abgetrennt von Familie, Zuhause und seiner Vergangenheit existieren kann, immer nur eine Utopie.
Dennoch, schlussfolgert schließlich Jack, bestehe auf der Erde ein immer größer werdender Migrationsdruck, den man weder aufhalten noch ignorieren könne. London, schreibt er, werde in den kommenden Jahren nur noch internationaler und noch multilingualer werden. Gesellschaftliche Legitimität des Heimwehs also hin oder her, vielleicht können wir uns den Luxus dieser Befindlichkeit zum Wohl aller ja auch einfach nicht mehr leisten.
Im Grunde lässt einen Jacks Text nur mit sehr vagen Erkenntnissen und vielen losen Denkansätzen zurück. Aber genau das macht ihn auch so spannend. Er liefert keine Antwort, stattdessen stiftet er dazu an, einfach selbst mal wieder ein wenig herumzuphilosophieren über all die Gefühle, die unsere dauermigrierende Welt hin- und herschiebt. Was ist also Heimweh heute für uns, dieses irgendwie in Vergessenheit geratene Gefühl, das einem zuletzt in der Kindheit richtig erlaubt war? Und ist es tatsächlich so, dass sich Heimweh heutzutage keiner mehr leisten kann, der Prestige und Erfolg haben will? Stimmt es, dass Heimweh der ewige Feind der Globalisierung ist?
Oder machen unsere technischen Möglichkeiten eben doch, dass die gefühlten Abstände zwischen den Kontinenten und Städten kleiner werden, weil es einem unbestritten einen großen Teil der Einsamkeit und Verlorenheit nimmt, wenn man ganz allein in der chinesischen Provinz über Facetime in Sekundenschnelle zu zweit sein kann, wenn man sich in Echtzeit und mit Video darüber austauschen kann, dass die Bettdecke kratzt, da ein mysteriöser Fleck auf dem Boden ist und an der Decke eine haarige Spinne hängt? Natürlich bleiben auch dabei unsere technischen Geräte nur Krücken, Instant-Schmerzmittel, die niemals echte körperliche Nähe simulieren können. Und die ja durchaus auch ihre Nebenwirkungen haben. Nämlich, dass sie einen immer auch zur Hälfte rausbeamen aus dem Hier und Jetzt. Hat man Augen, Ohren und Stimme des Verliebten immer in Echtzeit in der Tasche, geht dem ursprünglich so schrecklich-schönen und sehr aufregenden Wissen des Alleine-am-anderen-Ende-der-Welt-seins schließlich auch ein Großteil seiner Spektakularität verloren.
„...and yet, as US history professor Susan J. Matt recently pointed out in the New York Times, certain kinds of modern personality find it better to suppress or eliminate the backward glance. Explicit discussions of homesickness are now rare, Matt writes, because the emotion was typically seen „as an embarrassing impediment to individual progress and prosperity. This silence makes mobility appear deceptively easy."
Wo steht das?
In einem Essay des Autors Ian Jack auf der Website der englischen Zeitung the guardian. Der Artikel heißt: "Skype and cheap calls give the illusion of closeness, but homesickness is still real".
Worum geht es?
Um Heimweh. Für viele, vor allem für junge Menschen, ist es mittlerweile fast schon zu einer Art Pflicht geworden, sehr viel in der Welt unterwegs sein zu wollen, sei es durch Reisen, Auslandssemester oder Jobs im Ausland. Die Äußerung, die eigene Stadt oder das eigene Dorf würden einem als Lebenskosmos eigentlich genügen, ist nicht mehr besonders prestigeträchtig. Man könnte sagen, das Unterwegssein, die Neugier und die grenzenlose Weltoffenheit ist zum Imperativ der Moderne geworden. Nicht einmal Fernbeziehungen sind noch etwas Besonderes, es gibt Facebook, Skype, Snapchat, iMessage, WhatsApp, es gibt sogar Knutschkissen und andere seltsame Fernfummelhilfsgeräte. In Anbetracht dieser Lebensweise kommt einem der Begriff des Heimwehs fast schon aus der Zeit gefallen vor.
Jack stellt in seinem Text nun zuerst einmal die Frage, ob und was eigentlich die technischen Möglichkeiten des Kontakthaltens mit dem immer mobiler werdenden Menschen machen. Er habe gerade in einem der roten Londoner Doppeldecker-Busse gesessen, „a good place to listen to nostalgia", so schreibt er, als er sich diese Frage stellte. Denn oft höre er dort hinter und vor sich auf den Sitzen Somalier, Bengalen, Russen, Bulgaren, Moldavier oder Letten in ihrer Muttersprache telefonieren. Sorgen die Möglichkeiten des unbegrenzten Kontakthaltens für ein so starkes Gefühl der Nähe, dass Heimweh tatsächlich überflüssig wird? Oder ist es genau andersherum und die Migranten erleben ihre Abwesenheit durch den intensiven Kontakt mit den Zurückgelassenen umso deutlicher? Ganz so, wie man oft Eltern von Internatskindern warnt, sich bitte nicht zu häufig zu melden, da das Kind sonst zu oft daran erinnert wird, dass zu Hause eigentlich woanders und jetzt gerade sehr weit weg ist?
Warum redet in Zeiten der Globalisierung kaum mehr jemand über Heimweh?
Obwohl man sich an vielen Universitäten mit dem Heimweh des globalen Menschen zu beschäftigen versuche, schreibt Jack, gebe es doch nur erschreckend vage Erkenntnisse darüber. Er zitiert die Geschichtsprofessorin Susan J. Matt, die bereits vor einigen Jahren in der New York Times zum Thema Heimweh schrieb, dass man es heutzutage deshalb kaum mehr sehr explizit diskutiere, da es als emotionaler Faktor einen sehr unberechenbaren und kaum zu beseitigenden Gegner der Globalisierung darstelle. Das Einzige, was einem also übrig bleibe, sei darüber zu schweigen. Nur entstehe so leider auch der nach außen hin höchstparadoxe Eindruck, Heimweh habe sich als Menschensschmerz aufgelöst und unsere Mobilität sei für überhaupt niemanden ein Problem - während es in Wahrheit vermutlich mehr Menschen als je zuvor in innere Pein versetze, ohne dass es jemand mitkriege.
Das Problem mit dem Heimweh habe die Menschen schon immer beschäftigt, beschreibt Matt auch in ihrem Buch „Homesickness: An American History", und am deutlichsten habe es sich im von den Massenimmigrationen des 19. Jahrhunderts geprägten Amerika gezeigt. Schon um 1900 herum schrieben amerikanische Zeitungen und Kommentatoren, dass Heimweh „in these days of quick communication, of rapid transmission of news and of a widespread knowledge of geography" ja nun wirklich immer unpopulärer werde, führt Matt in ihrem Buch an. Tatsache aber sei, dass auch in den modernen Zeiten von damals die Menschen mitunter noch vor Heimwehkummer starben, wie der Fall eines Iren aus Brooklyn 1887 beweist, den die Autorin ebenfalls in ihrem Buch beschreibt. Auch zieht sie Zahlen zur Auswanderung vieler Migranten aus den USA heran, von denen knapp die Hälfte früher oder später doch wieder in ihre Heimat wollten.
Sie mutmaßt also, dass die neuen Technologien am Gefühl des Heimwehs nicht viel geändert haben und das auch nie tun werden, ganz egal, wie technologisch hochentwickelt wir uns in unserem immer etwas trügerisch-modernen Jetzt auch finden mögen. Die Leute werden also immer Heimweh haben, einige sicherlich mehr, andere weniger, aber wer es hat, der leidet und für den bleibt die so beliebte kosmopolitische Wunschvorstellung des ewig einzelgängerischen, aber perfekt vernetzten mobilen Menschen, der so problemlos abgetrennt von Familie, Zuhause und seiner Vergangenheit existieren kann, immer nur eine Utopie.
Dennoch, schlussfolgert schließlich Jack, bestehe auf der Erde ein immer größer werdender Migrationsdruck, den man weder aufhalten noch ignorieren könne. London, schreibt er, werde in den kommenden Jahren nur noch internationaler und noch multilingualer werden. Gesellschaftliche Legitimität des Heimwehs also hin oder her, vielleicht können wir uns den Luxus dieser Befindlichkeit zum Wohl aller ja auch einfach nicht mehr leisten.
Im Grunde lässt einen Jacks Text nur mit sehr vagen Erkenntnissen und vielen losen Denkansätzen zurück. Aber genau das macht ihn auch so spannend. Er liefert keine Antwort, stattdessen stiftet er dazu an, einfach selbst mal wieder ein wenig herumzuphilosophieren über all die Gefühle, die unsere dauermigrierende Welt hin- und herschiebt. Was ist also Heimweh heute für uns, dieses irgendwie in Vergessenheit geratene Gefühl, das einem zuletzt in der Kindheit richtig erlaubt war? Und ist es tatsächlich so, dass sich Heimweh heutzutage keiner mehr leisten kann, der Prestige und Erfolg haben will? Stimmt es, dass Heimweh der ewige Feind der Globalisierung ist?
Oder machen unsere technischen Möglichkeiten eben doch, dass die gefühlten Abstände zwischen den Kontinenten und Städten kleiner werden, weil es einem unbestritten einen großen Teil der Einsamkeit und Verlorenheit nimmt, wenn man ganz allein in der chinesischen Provinz über Facetime in Sekundenschnelle zu zweit sein kann, wenn man sich in Echtzeit und mit Video darüber austauschen kann, dass die Bettdecke kratzt, da ein mysteriöser Fleck auf dem Boden ist und an der Decke eine haarige Spinne hängt? Natürlich bleiben auch dabei unsere technischen Geräte nur Krücken, Instant-Schmerzmittel, die niemals echte körperliche Nähe simulieren können. Und die ja durchaus auch ihre Nebenwirkungen haben. Nämlich, dass sie einen immer auch zur Hälfte rausbeamen aus dem Hier und Jetzt. Hat man Augen, Ohren und Stimme des Verliebten immer in Echtzeit in der Tasche, geht dem ursprünglich so schrecklich-schönen und sehr aufregenden Wissen des Alleine-am-anderen-Ende-der-Welt-seins schließlich auch ein Großteil seiner Spektakularität verloren.