Alles kommt wieder in Mode, auch Barbiere.
Alles in David Fechners Münchner Barbier-Salon ist alt und aufpoliert – wie das Handwerk, das er dort betreibt. Zwischen Marmorwaschtischen, einem Telefon mit Wählscheibe und einer Registrierkasse mit Chromhebel hängt der Duft von Moschus und Minze. Malthe Luda, ein Mittzwanziger mit langen Koteletten und strengem Seitenscheitel, lässt sich in einen Ledersessel fallen. Er krempelt die weißen Hemdsärmel über eine Hirsch-Tätowierung am Unterarm, kontrolliert Haar, Kinn und Kragen im Spiegel und sagt: „wie immer“. David Fechner, 27 Jahre alt und ebenfalls seitengescheitelt, hat den Rasierschaum schon angerührt. Er wirft dem Kunden einen schwarzen Umhang übers Hemd und lässt den schmalen Bart entlang der Oberlippe und des Kinns mit kreisendem Pinsel unter einer dicken Schaumschicht verschwinden. Die Geschichtsstunde kann beginnen.
Jahrzehntelang waren Bärte in Deutschland nur noch eine Zusatzleistung südländischer Friseure. Die Angst vor HIV-Infektionen durch das Rasiermesser nach dem sogenannten Aids-Schock der 80er-Jahre und die Entwicklung brauchbarer Nass- und Trockenrasierer für Zuhause hatten den klassischen Barbiersalon aus deutschen Städten vertrieben. Nun aber sind die Barbiere zurück, meist mit Old-School-Salons. Als wären sie nie weg gewesen.
In Berlin stellte Nicole Wheadon für ihren gleichnamigen Laden in einem anthrazitfarbenen Gewölbe im Sommer einen Barbier aus New York ein, der Frankfurter Hof eröffnete im vergangenen Jahr einen „Gentleman’s Barber Shop“, zu dessen Kunden auch Schauspieler aus dem Ausland zählen sollen. Und in Hamburg schneidet Thomas Meinecke Bärte in einem Salon mit eigener Whiskey-Bar und antiken Sesseln, auf denen jeden Monat mehr Männer Platz nehmen. Für einen Werbespot hat er Fußballtrainer Jürgen Klopp angeblich die erste professionelle Rasur seines Lebens verpasst. Kurz: Es gibt kaum noch eine deutsche Großstadt ohne einen der neuen, auf alt gemachten Barbiere.
Auch im nordrhein-westfälischen Solingen, der Hauptstadt der deutschen Messerproduktion, hat der Hype das Geschäft angekurbelt. Die Manufaktur Böker beispielsweise, einer der bekanntesten Hersteller von allem, was eine Klinge hat, kommt mit der Rasiermesserproduktion schon nicht mehr hinterher. Jahrzehntelang hatte die Firma das Produkt aus dem Sortiment gestrichen. Heute ist die Nachfrage so groß, dass die Rasiermesser bis zu einem halben Jahr Lieferzeit haben, sagt eine Unternehmenssprecherin. Was ist da los?
Bei der Manufaktur Böker fällt ein Name: James Bond. Die Sprecherin erinnert an eine knisternde Szene aus dem Agententhriller „Skyfall“, der 2012 im Kino lief: Ein von Naomi Harris gespieltes Bond-Girl lässt Daniel Craig im Kerzenschein langsam ein Rasiermesser über die Kehle gleiten. Diese Bilder hätten den Hype ausgelöst. Seither, so glaubt man bei Böker, träumen auch deutsche Männer wieder von der klassischen Rasur.
Die Kunden der neuen Salons sind mitunter nostalgische ältere Herren, die sich unter duftendem Rasierschaum in ihre Jugend zurückträumen, als ein Barbierbesuch noch zur Alltagskultur gehörte. Meist aber sind es junge Männer, wie der Grafiker Malthe Luda in David Fechners Salon in München. „Männer, die sich eine Auszeit gönnen, auf ihr Äußeres achten – und auf Trends“, sagt der Barbier. Er hat sich mittlerweile über seinen Kunden gebeugt und zieht mit dem Rasiermesser Schneisen in den Schaum auf dessen Gesicht.
Die neuen Barbiere profitieren davon, dass Wellness nicht mehr automatisch als Weiberkram und eine zur Schau gestellte Männlichkeit nicht mehr automatisch als chauvinistisch gelten. Soziologen beobachten schon seit Längerem eine Rückkehr der alten Herrenkultur, in der Männer Maßanzüge kaufen, Whisky trinken und: Bart tragen. Dreitagebart, Vollbart, Schnauzbart, egal. Selbst bartlose Männer entledigen sich ihrer Gesichtshaare immer häufiger mithilfe einer professionellen Rasur. Der Barbiersalon, sagt Fechner, soll ein Ort sein, an dem die Männer unter sich sind: Bierchen, Bart stutzen, Herrengespräche.
Malthe Luda sitzt alle zwei Wochen auf Fechners Vintage-Stuhl und lässt sich sein Bart- und Haupthaar formen. Vor ein paar Jahren ist der Grafiker aus Enschede nach München gezogen. Woher er den Barbier kennt? „Wir hatten mal dieselbe Freundin.“ Fechner legt das Messer zur Seite und tupft ihm die Schaumreste aus dem Gesicht. „Die hat übrigens gerade geheiratet“, sagt Luda, Lachfältchen um die Augen. „Jaja“, antwortet der Barbier, „ich hab’ die Fotos auf Facebook gesehen.“ Dann lässt er das Grinsen seines Kunden unter warmen Kompressen verschwinden. Ein paar Minuten Schonzeit für die Haut, dann folgen Desinfektion und Aftershave.
David Fechner hat sich das Handwerk selbst beigebracht: „Youtube-Tutorials angeschaut, mit Freunden geübt.“ In Deutschland lernen Friseure heute nicht mehr, wie man Barthaar rasiert oder trimmt. In den USA, wo Gentleman-Salons schon seit einigen Jahren boomen, gibt es auch Barbierschulen und -seminare. In Ländern wie Italien oder der Türkei, in denen sich Männer traditionell von Profis rasieren lassen, gehört die Rasur zur Friseurausbildung.
In Deutschland stehen die neuen Salons deshalb in Konkurrenz zu den südländischen Friseuren, die ihre Bartschneidekunst in Deutschland neben dem Haarschnitt und der Dauerwelle schon lange und vor allem günstig anbieten. Im Schnitt dauert eine Rasur dort eine Viertelstunde und kostet zehn Euro. Im exklusiven Retro-Salon sind es rund 30 Minuten – für das Zwei- bis Dreifache.
„Das ist aber auch etwas anderes“, sagt Fechner. Er nimmt seinem Kunden die feuchten Handtücher aus dem Gesicht und verreibt herb duftendes Aftershave aus einer Glasflasche zwischen seinen Händen: „Bei türkischen Barbieren geht das quick and dirty. Bei uns herrscht Wellness-Atmosphäre.“ Als seine Handflächen Malthe Ludas frischrasiertes Gesicht berühren, atmet der Kunde zischend die Luft ein. Diesen kleinen Schmerz zum Schluss kann auch die schönste Retro-Umgebung nicht verhindern.