Seit den Ausschreitungen zum Erhalt der "Roten Flora" hat die Polizei die gesamte Innenstadt zum "Gefahrengebiet" erklärt. Kritiker sehen die Grundrechte verletzt.
Gefahrengebiet. Das klingt drastisch, nach Katastrophen, Bedrohung, Naturgewalten. Es klingt jedenfalls nicht nach: der Hamburger Innenstadt. 82000 Menschen leben dort seit vergangenem Samstag offiziell im Gefahrengebiet, vier Stadtviertel sind auf unbestimmte Zeit als derartige Zonen deklariert. Dort können Beamte nun jeden Bürger verdachtsunabhängig kontrollieren – „um neuen Übergriffen gegen die Polizei präventiv entgegenzuwirken“, verteidigte Arno Münster, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, die Maßnahme, deren Ziel es ist, drei der Revierwachen in St. Pauli, Altona und dem Schanzenviertel vor Angriffen zu schützen. Auch die stärkste Oppositionspartei in der Stadt, die CDU, sprach sich für die verdachtsunabhängigen Personenkontrollen aus.
Grüne, Linke und FDP hingegen übten Kritik und zweifelten an der Verhältnismäßigkeit. Am Samstagvormittag waren zunächst zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei in das acht Hektar große Gefahrengebiet eingerückt und hatten dort mit den Kontrollen begonnen. Insgesamt wurden im Verlauf des Wochenendes nach Auskunft der Polizei 400 Personen überprüft, die Beamten stellten „pyrotechnische Gegenstände und Vermummungsmaterial“ sicher. Gegen 90 Kontrollierte wurden Aufenthaltsverbote ausgesprochen. Laut einer Polizeisprecherin gab es zudem eine Festnahme sowie mehr als 40 Ingewahrsamnahmen, nachdem sich etwa 300 Menschen über das Internet zu einem „Spaziergang durch das Gefahrengebiet“ verabredet hatten.
Die Grünen kritisierten, das Gefahrengebiet führe zu einem „Generalverdacht“ und zu einer „massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit für viele Tausend Menschen“. Am Montagabend befasste sich der Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft in einer Sondersitzung mit der umstrittenen Maßnahme.
Mit der Einrichtung von Gefahrengebieten reagieren die Beamten in Hamburg auf eine Reihe von Attacken in den vergangenen Wochen auf Kollegen, Polizeiwachen und -fahrzeuge. Zuletzt hatten am 29. Dezember etwa 50 Angreifer, mutmaßlich aus dem linksextremen Spektrum, die Davidwache auf der Reeperbahn angegriffen. Drei Beamte wurden zum Teil schwer verletzt, einem wurden der Kiefer und das Nasenbein gebrochen, als ihn ein Stein aus der Nähe im Gesicht getroffen haben soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags. Für Hinweise auf den Täter haben der Generalstaatsanwalt und die Polizei 10000 Euro Belohnung ausgesetzt.
„Wir wollen deutlich machen, dass die Polizei Hamburg alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen wird, um Leib und Leben ihrer Beamten zu schützen“, teilte eine Sprecherin der Polizei nun zur Einrichtung der Gefahrengebiete mit.
Für die Einrichtung solcher Gebiete braucht es in Hamburg keine richterliche Entscheidung – die Polizei kann sie im Rahmen der Gefahrenabwehr selbst einrichten. Rechtsgrundlage dafür ist das Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei. Darin heißt es: „Die Polizei darf im öffentlichen Raum in einem bestimmten Gebiet Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen, soweit aufgrund von konkreten Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden und die Maßnahme zur Verhütung von Straftaten erforderlich ist.“
Das Gesetz war im Jahr 2005 unter CDU-Bürgermeister Ole von Beust verschärft worden, ursprünglich mit dem Ziel, die offene Drogenszene zu verdrängen. Seitdem hat die Hamburger Polizei mehr als 40 Gefahrengebiete eingerichtet, die meisten aber nur für wenige Stunden, etwa anlässlich von Demonstrationen oder Fußballspielen – zuletzt am 21. Dezember, dem Tag, als es bei der Großkundgebung für den Erhalt der Roten Flora zu erheblichen Ausschreitungen kam.
Kritiker sehen in den Gefahrengebieten einen gravierenden Eingriff gleich in mehrere Grundrechte: in die Bewegungs- und in die Versammlungsfreiheit sowie in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch deshalb erklärte die Linkspartei nun, sie erwäge Klage gegen die Gefahrengebiete. Diese seien problematisch, weil allein die Polizei über ihre Einrichtung und Dauer entscheide. Die Grünen kritisierten, aufgrund der erheblichen Größe der Gefahrengebiete müsse ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Der innenpolitische Sprecher der Hamburger FDP-Fraktion, Carl-Edgar Jarchow, erklärte, das Gesetz regle, dass ein Gefahrengebiet nur so lange ausgewiesen werden dürfe, wie es die Lage erfordere. „Nach Äußerungen der Polizei erfordert es die Lage derzeit nicht, es besteht folglich kein Grund, das Gefahrengebiet aufrechtzuerhalten“, sagte Jarchow.