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"Viel Arbeit, viel Genuss"

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Im Empfangszimmer seiner Kanzlei stapeln sich die Kisten. „Wir misten aus“, sagt Joel Levi, der den Platz für neue Fälle sehr bald brauchen kann: der 75-Jährige ist Israels bekanntester Experte für die Raubkunst-Restitution. Der Fall Gurlitt mit seinen mehr als 1200 von der deutschen Staatsanwaltschaft konfiszierten Kunstwerken verspricht viel Arbeit für den Anwalt aus der Tel Aviver Vorstadt Ramat Gan. „Seitdem das bekannt wurde, strömen hier Mandaten rein“, sagt er, „jeden Tag.“




In Hochspannung verfolgt Levi nun alle Nachrichten aus Deutschland, er spricht mit Mandaten, sucht nach Zusammenhängen. Namen seiner Kunden will er nicht nennen, an Rummel sind sie nicht interessiert, und das Verfahren ist schließlich noch in der Schwebe. Auf Spurensuche geht er unter anderem in seiner Bibliothek, in der sich neben Rechtswälzern in hebräischer Sprache auch Werke finden mit Titeln wie: „Kunstraub in Krieg und Verfolgung“ oder „Hitlers Museum“.

Zur Raubkunst kam der Jurist erst relativ spät. Jahrzehntelang ist er schon darauf spezialisiert, Unternehmen, Grundstücke und andere Vermögenswerte, die von den Nazis beschlagnahmt oder enteignet worden waren, für seine israelischen Mandanten zurückzufordern. 1998 aber eröffnete die Washingtoner Erklärung ein neues und weites Betätigungsfeld: 44 Länder, darunter auch die Bundesrepublik, verpflichteten sich dazu, in Museum und Sammlungen nach Kunstwerken aus früherem jüdischen Besitz zu forschen und eine „gerechte und faire Lösung zu finden“. Und bald schon hatte Levi seinen ersten Fall.

Von Australien aus forderten die Nachkommen eines jüdischen Kunstsammlers ein Bild von Franz von Lenbach zurück, das in einem Darmstädter Museum hing. Am Ende kaufte das Museum das Werk, und das Geld wurde unter den Erben aufgeteilt. „Jeder Fall bringt Gefühle mit sich, Aufregung, und Sehnsucht“, sagt Levi – und manchmal seien die Nachkommen selbst überrascht über ihre Ansprüche. So machte er zusammen mit seinen Partnern die Erben eines jüdischen Sammlers ausfindig, der 1940 in Amsterdam Selbstmord begangen hatte. Die gesamte Familie wurde anschließend in Auschwitz ermordet - mit Ausnahme der nicht-jüdischen Schwiegertochter mit ihren beiden Kindern. Die Enkel wussten wenig über die schreckliche Familienhistorie, die ihnen plötzlich späten Wohlstand brachte.

Solche Geschichten erzählt Joel Levi mit Tränen in den Augen. Dutzende von Fällen hat er schon zu einem für seine Mandanten meist glücklichen Ende gebracht, in der Regel per Vergleich. Seine Motivation ist es, der furchtbaren Vergangenheit wenigstens post festum ein irgendwie versöhnliches Ende abzuringen. Und seine Offenheit dafür, bisweilen auch auf die Täter zuzugehen, führt er darauf zurück, „dass meine Familie nicht gelitten hat.“

Die Eltern waren schon vor dem großen Morden Mitte der dreißiger Jahre aus Deutschland ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina gekommen. Über den Holocaust wurde zu Hause nicht gesprochen. Erst der Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel öffnete ihm selbst Anfang der sechziger Jahre die Augen. „Ich studierte im vierten Semester Jura in Jerusalem, und ich saß jeden Tag im Gerichtssaal“, erzählt er. Später machte er sein Referendariat beim Eichmann-Ankläger Gabriel Bach. Aktiv hat er daran mitgearbeitet, das Verhältnis zwischen Deutschland und dem jüdischen Staat zu verbessern, vor ein paar Jahren ist er dafür sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Jederzeit ist er bereit, die Deutschen für ihre Aufarbeitung der Geschichte zu loben. Bei der Provenienzforschung geraubter Bilder, so sagt er, sei „Deutschland ein Vorbild in Europa“. Doch nun kommt der Fall Gurlitt ans Licht – und bringt auch für Joel Levi manches ins Wanken. „Es ist doch seltsam, dass das von der Staatsanwaltschaft fast zwei Jahre lang verschwiegen wurde“, meint er, „für die deutschen Behörden ist das eine Blamage.“

Nach allzu langer Verzögerung hofft er, dass durch die Arbeit der nun eingesetzten Task Force schnell Klarheit herrscht, auf welche Bilder jüdische Erben Ansprüche anmelden können. Hildebrand Gurlitt nennt er einen „totalen Verbrecher“, der zum Bespiel auch mit gefälschten Papieren nach dem Krieg gegenüber den Amerikanern seinen Besitz verteidigt habe. „Ich habe überhaupt nichts gegen seinen Sohn Cornelius“, sagt Levi, „aber als Erbe wusste er genau, wo das herkam.“

Für den Anwalt aus Tel Aviv ist der Fall Gurlitt jedoch „nur die Spitze des Eisbergs“ – und wenigstens für ihn liegt darin auch ein gute Nachricht. „Ich bin jetzt 75 Jahre alt“, sagt er, „und ich verspreche mir davon noch viel Arbeit und viel Genuss.“ Peter Münch

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