Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207

„Eine Schere im Kopf“

$
0
0
SZ: Muss die Landwirtschaft immer mehr produzieren, zulasten der Umwelt? Wir essen ja kaum mehr als früher.

Folkhard Isermeyer: Nein, aber die deutsche Landwirtschaft ist eingebunden in die internationale Arbeitsteilung. Die Welt-Nachfrage steigt stetig und wird weiter zunehmen. Darum wachsen die Ansprüche an das Agrarsystem, mehr zu produzieren. Das ist kein Freifahrtschein; wir müssen die Umweltbelastungen verringern. Eine hohe Produktivität ist aber auch wichtig.



Wir kaufen Billigfleisch und empören uns über Tierquälerei. "Die meisten Menschen scheinen eine Art Schere im Kopf zu haben", sagt Agrarökonom Folkhard Isermeyer.

Wirklich? Der Schweinefleisch-Export ist rasant gestiegen. Wäre es so schlimm, wenn der Weltmarkt weniger Billigfleisch aus Deutschland bekäme?


Bleiben wir erst mal beim Pflanzenbau: Natürlich könnten wir die Landwirtschaft in Deutschland auch stilllegen oder museal gestalten, wir hätten ja genug Geld, um auf dem Weltmarkt zuzukaufen. Die Übernutzung der Agrarsysteme in anderen Erdteilen würde damit aber verschärft. Bei der Nutztierhaltung ist es anders: Der Verbrauch hat bei uns Dimensionen angenommen, die ernährungsphysiologisch unnötig sind. Darum hätten es die Verbraucher in der Hand, weniger und dafür besser erzeugtes Fleisch zu kaufen. Wir könnten die Produktion in Deutschland reduzieren.

Die Leute kaufen aber Billigfleisch, und regen sich über Tierquälerei auf.


Ja, die meisten Menschen scheinen eine Art Schere im Kopf zu haben: Eigentlich müssten sie wissen, was ihr Konsum bewirkt, da ist es schon merkwürdig, wenn sie sich abends vorm Bildschirm über die Tierhaltung empören. Aber man kann nicht verlangen, dass Menschen mit jeder alltäglichen Kaufentscheidung eine hochkomplexe öko-sozial-regionale Bilanz anstellen. Deshalb kann man die Politik nicht aus der Verantwortung lassen, auch sie muss dem gesellschaftlichen Unbehagen Rechnung tragen.

Was müsste sie denn tun – wie sähe eine gute Nutztierhaltung aus?

Das ist im Kern eine ethische Frage. Dabei geht es nicht um die persönliche Meinung einzelner Wissenschaftler; wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs.

Da käme wohl heraus, dass die Menschen keine Massentierhaltung wollen. An sich sind aber weniger die Betriebsgrößen problematisch als die Haltungsbedingungen.

Das kann man so sehen, aber trotzdem halte ich den gesellschaftlichen Diskurs für unverzichtbar. Wenn da rauskommen sollte, dass die Gesellschaft auch nach sorgfältiger inhaltlicher Debatte mehrheitlich gegen Betriebe mit zigtausend Tieren ist, dann sollte man in einer Demokratie darauf eingehen. Die Wissenschaft müsste dann eben ein System finden, das mit kleineren Strukturen zurechtkommt.

Sollte man sich nicht auf konkrete Probleme wie das schmerzhafte Kürzen von Hörnern und Ringelschwänzen oder den Antibiotika-Einsatz konzentrieren?

Die Lösung der konkreten Tierschutzfragen ist zweifellos wichtig, und wir arbeiten daran. Wir müssen aber weiter denken. Ein Beispiel: Auf der letzten Eurotier-Messe wurde eine der Goldmedaillen für eine Innovation in der Schweineproduktion vergeben. Da lebt die Muttersau mit ihren Ferkeln über Wochen in einer isolierten Plastikwanne mit hohen Seitenwänden. Diese wird nur noch hin- und hergefahren, zur Impfstation, zur Futterstation. Das ist sinnvoll, was Hygiene und Antibiotika-Vermeidung angeht. Aber wenn man das zu Ende denkt, landet man automatisch beim Hochregallager für Tiere. Da stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft diese Form der Nutztierhaltung will.

Mal angenommen, sie will sie nicht: Wie kann man das System verändern? Bauern müssen ja auch Geld verdienen.

Eine Möglichkeit sind schrittweise Verbesserungen durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Branche. Wenn die Initiative Tierwohl im Frühjahr startet, wird der Lebensmittelhandel für jedes Kilo Schweinefleisch einen kleinen Obolus in einen Topf zahlen. Daraus werden dann Landwirte bezahlt, die ihr Produktionsverfahren anpassen, zum Beispiel ihren Schweinen mehr Platz bieten. Die Teilnahme ist aber freiwillig. Spannend wird, ob sich der Handel eines Tages verpflichtet, nur noch teureres Fleisch aus besonders tiergerechten Haltungssystemen zu verkaufen. Das ist heikel, weil das Kartellrecht eigentlich vorsieht, dass es so etwas nicht geben soll.

Fehlt nicht auch das wirtschaftliche Interesse? Mit dem Export billiger Produkte wäre es dann wohl vorbei.

Die Branche könnte im Prinzip die Produktion für den Weltmarktverkauf parallel dazu in alter Form fortsetzen.

Wie bitte? Zwei Ställe nebeneinander, glückliche Schweine für Deutschland, leidende fürs Ausland?

Ich vermute auch, dass das imagemäßig kaum durchzuhalten wäre. Also müssten sich auch Schlachtbetriebe und Exporteure auf höhere Standards einlassen, was die Gesamtaufgabe nicht leichter macht.

Ob die Wirtschaft das alleine hinbekommt? Wieso schreibt nicht der Staat ethisch vertretbare Tierhaltung vor?

Das ist der zweite Ansatz, so kann man es auch machen. Dann würde der Staat selbst die Vorschriften schrittweise verschärfen und die Betriebe durch Förderung in die Lage versetzen, die höheren Kosten zu decken – mit Steuergeld statt mit Verbrauchergeld. Bisher wird das Geld für Agrarförderung mit der Gießkanne über alle Flächen verteilt. Eine politische Bereitschaft, diese Mittel künftig in großem Stil für den Umbau der Nutztierhaltung zu nutzen, kann ich allerdings bisher nicht erkennen.

Die EU hat gerade versucht, das Geld besser einzusetzen. Zwar nicht für mehr Tierschutz, aber für die Natur: Bauern sollen einen Teil ihrer Flächen umweltfreundlicher nutzen, wenn sie die Förderung behalten wollen. Naturschützer sagen aber, das bringe nicht viel. Warum?

So ein Zahlungssystem von Lappland bis Sizilien umzusetzen, verlangt administrativ einfache Lösungen. Wirksamer Naturschutz fordert aber standortspezifische Lösungen. Und noch etwas: Weil man sich entschieden hat, an der Flächenförderung festzuhalten und die gesellschaftlichen Ziele darin einzubauen, hat man auch schon entschieden, welche Ziele wichtig sind. Nämlich Arten- und Klimaschutz, weil man dies wenigstens ansatzweise über Flächenförderung angehen kann. Tierschutz, Welternährung oder Anpassung an den demografischen Wandel dagegen kann man damit nicht anpacken.

War das eine bewusste Entscheidung?

Nein; nach meinem Eindruck hat man zunächst entschieden, den Finanzfluss weiter überwiegend per Flächenzahlung zu organisieren, und dann hat man dafür Begründungen gesucht.

Fünf Milliarden Euro werden jährlich in Deutschland per Flächenprämie verteilt. Und man hat nicht mal genau überlegt, was man damit erreichen will?

Man hat durchaus überlegt und intensiv diskutiert. Aber die Politik tut sich schwer damit, erst die Ziele zu definieren und dann die besten Maßnahmen zu entwickeln, so, wie ein Unternehmen vorgehen würde. Politik funktioniert oft andersherum: Bestehende Förderprogramme werden nachjustiert, aber nicht mehr im Grundsatz verändert. Die aktuellen Themen dienen dann dazu, Begründungen für die fortgesetzten Zahlungen zu liefern. Und statt um konkrete Ziele, mehr Tier- oder Umweltschutz, geht es vor allem darum, wer wie viel bekommt.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207