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Ausgepowert

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Im Computermodell ragen die beiden Schornsteine des Großkraftwerks Haiming am Rande von Burghausen schon in den Himmel. Die Pläne sind längst fertig, die Genehmigungen da. Der österreichische OMV-Konzern könnte eigentlich sofort mit dem Bau seiner neuen Anlage beginnen. Doch bislang herrscht am Waldrand im Osten Bayerns Ruhe. Kein Baulärm, keine Vorbereitungen. Dabei sollte die 800-Megawatt-Anlage mit der Leistung eines Atomkraftwerks eigentlich 2018 Strom liefern, wenn in Bayern die nächsten Kernkraftwerke vom Netz müssen. Das 600-Millionen-Euro-Projekt sollte jene Lücke füllen, die der Atomausstieg hinterlässt. Doch der OMV-Konzern wartet auf ein Signal aus dem fernen Berlin.



Immer mehr Ökostrom in den deutschen Netzen macht herkömmliche Kraftwerke unrentabel. Die Stromversorger fordern deswegen staatliche Unterstützung.

Haiming steht damit für einen immer heftigeren Streit zwischen Energiebranche und Politik, für die Stromkonzerne und Kraftwerksfirmen ist es der entscheidende Kampf des Jahres 2015. Seit immer mehr Ökostrom ins deutsche Netz fließt, werden herkömmliche Kraftwerke zunehmend unrentabel. Der Ökostrom drückt den Börsenpreis, entsprechend weniger fahren die Kraftwerke ein. Die ohnehin bestehenden Überkapazitäten werden so verstärkt, immer mehr Strom wird ins Ausland exportiert. Knapp 50 Kraftwerke wollen die Unternehmen deshalb derzeit stilllegen. Ohne spezielle Mechanismen, die auch die schiere Verfügbarkeit der Kraftwerke entlohne, verliere Deutschland irgendwann das Rückgrat der Energiewende, warnen die Betreiber. Für Flautenzeiten fehle dann die Reserve. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass hoch effiziente Kraftwerke nicht unter die Räder kommen“, warnt Ivo Gönner, Präsident des Stadtwerke-Verbunds VKU.

Doch die Bundesregierung denkt gar nicht daran. „Ich teile Ihre Skepsis zu Kapazitätsmärkten“, gestand vorige Woche die Kanzlerin bei einem Empfang des Ökostrom-Verbands BEE. Diese Woche legt der zuständige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nach. „Nicht wenige, die einen Kapazitätsmarkt fordern, verbergen dahinter ihr eigentliches Interesse: existierende Überkapazitäten auf Kosten der Stromverbraucher zu konservieren“, sagte Gabriel dem Handelsblatt. Denn zahlen müsste ein Hilfspaket für Kraftwerke der deutsche Stromkunde über seine Rechnung. Ein Modell, das wegen drohender Kostensteigerungen auch der deutschen Industrie missfällt: „Wir sind dagegen“, sagt etwa der Deutschland-Chef des Chemiekonzerns Dow, Willem Huisman. Auch Umweltschützer warnen vor einer Bestandsgarantie für Altmeiler. „Endlich spricht Wirtschaftsminister Gabriel Klartext und beendet damit das unsägliche Kraftwerks-Mikado“, jubilierte am Dienstag Tobias Austrup, Energieexperte bei Greenpeace.

Damit spitzt sich der Streit um die Zukunft des deutschen Energiemarktes zu. Denn die Branche bleibt trotz der Absage aus Berlin stur. Johannes Teyssen, Chef von Deutschlands größtem Energiekonzern Eon, beharrte am Dienstag auf Hilfen. „Konventionelle und sichere Kraftwerke bleiben noch lange unersetzlich“, sagt Teyssen. Die Auseinandersetzung trägt längst Züge eines Glaubensstreits. Teyssen wirbt für eine Rückkehr zum alten System der „Leistungspreise“. Neben der Erzeugung von Strom, der „Arbeit“, würde so auch die Bereitstellung des Kraftwerke entlohnt. Dieser Leistungspreis könnte dann höher sein, wenn es einen Mangel an Kraftwerken gibt. „Kapazitätsmärkte führen zu einem rationalen Verhalten der Marktteilnehmer“, wirbt Teyssen. Auch Spitzenmanager beim Konkurrenten RWE sind verschnupft. „Den Dialog zu beenden, finde ich falsch“, klagte Vizechef Rolf Martin Schmitz bei der Jahrestagung Energie.

Gabriel aber hat eben anderes vor. Er will den Preis für Elektrizität zum einzigen Maßstab machen. Das Kalkül: Werden Kapazitäten knapper, steigt auch der Strompreis und damit der Ertrag der Betreiber. Mehr noch: In Zeiten höherer Knappheit kann der Strompreis besonders heftig ausschlagen, kurz um das Tausendfache steigen und den Kraftwerksfirmen einen Ausgleich bescheren für jene Zeiten, in denen sie mit ihrem Strom nichts oder nur sehr wenig verdienen. „Weil solche Preisspitzen drohen, werden sich Unternehmen auch wieder langfristig mit Stromlieferverträgen eindecken“, wirbt Gabriel. Das wiederum bringe mehr Investitionssicherheit für die Stromlieferanten – und damit auch für die Kraftwerksbetreiber. Auch im „Grünbuch“ zum künftigen Strommarkt, das Gabriels Ministerium im Herbst als Diskussionsgrundlage präsentierte, taucht diese Variante auf: als „Option Strommarkt 2.0“.

Anhänger dieser Variante gibt es, neben der Kanzlerin, reichlich. Vorige Woche trafen die Energieminister der Länder in Berlin mit Gabriel zusammen. Die meisten, berichten Teilnehmer der Runde, hätten mit der Variante 2.0 kein Problem. Allein die Südländer Bayern und Baden-Württemberg hätten Staatseingriffe verlangt. „Korrekturen am bestehenden System verschieben nur die nötige Reform“, warnte etwa Baden-Württembergs Energieminister Franz Untersteller. Die Industrie arbeitet bereits an ihrem ganz eigenen Alternativplan. RWE prüfe den Verkauf kaum gelaufener Kraftwerke ins Ausland, kündigt Vizechef Schmitz an. Das, sagt Schmitz noch, sei natürlich nur eine Option.

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