Was macht man, wenn man Abgeordnete wachrütteln will? Wenn man sie unbedingt gewinnen möchte für einen Neuanfang? Frank-Walter Steinmeier erinnert an die eigene Geschichte. Also erzählt der deutsche Außenminister vor den Abgeordneten des Parlaments von Bosnien-Herzegowina, wie es bei ihm vor 15 Jahren gewesen ist. Als Deutschland in Europa als ,,kranker Mann‘‘ bezeichnet und deshalb ein ,,riesiger politischer Kraftakt‘‘ nötig wurde. Damals, so der SPD-Politiker, habe man ,,viele ausgetretene Pfade‘‘ verlassen müssen, damit es wirtschaftlich aufwärts ging. Natürlich nennt er die Hartz-Gesetze nicht beim Namen. Hier würde die wohl kaum jemand kennen. Aber seine Botschaft ist unmissverständlich: Rafft euch auf, ihr müsst jetzt den Mut haben. Verpasst nicht den richtigen Zeitpunkt.
Frank-Walter Steinmeier (rechts) und sein britischer Amtskollege Philip Hammond (links) bei der Pressekonferenz in Sarajewo.
Der richtige Zeitpunkt – das ist ein gutes Stichwort für diesen Besuch in der bosnischen Hauptstadt. Steinmeier ist mit seinem britischen Amtskollegen Philip Hammond gekommen. Und die beiden führen hier nicht die üblichen freundlichen Gespräche. Sie haben nur ein Ziel: den Menschen des Balkanlandes klarzumachen, dass sie sich entscheiden müssen. Wollen sie sich Richtung Europa aufmachen? Oder wollen sie das nicht?
Vor zwei Monaten haben Steinmeier und Hammond im Kreise ihrer EU-Kollegen noch einmal für einen Anlauf mit dem Land geworben. Bosnien-Herzegowina ist im Vergleich zu seinen Nachbarn längst ins Hintertreffen geraten. Während um sie herum so gut wie alle Staaten Reformen vorantreiben, hängt das ethnisch geteilte Land hinterher. So sehr sogar, dass man in Berlin und London inzwischen einen Zerfall der Zentralmacht befürchtet. Also haben Hammond und Steinmeier noch mal Bedingungen und Chancen formuliert, um das seit fünf Jahren ausgehandelte und ratifizierte Assoziierungsabkommen doch noch umzusetzen. Und sie haben im November 2014 in bosnischen Medien einen Aufruf veröffentlicht, um der Bevölkerung die Dringlichkeit der Lage bewusst zu machen. Dahinter steckte nicht nur das Ziel, auf dem Balkan Gutes zu leisten. Beide fürchten auch die Folgen eines Scheiterns in einem Land mit schwachen staatlichen Strukturen, in dem es viele alte Waffenlager gibt, viel organisierte Kriminalität und immer mehr gewaltbereite Islamisten.
Angesichts dessen verwundert es nicht, mit welcher Verve sie hier auftreten. Bitte, Appell, letzte Chance – sie lassen wenig Zweifel daran, wie ernst die Lage aus ihrer Sicht ist. „Ich bitte Sie: Ergreifen Sie diese Chance“, erklärt der Deutsche. „Bringen Sie Ihr Land auf den Weg nach Europa.“ Wer das Assoziierungsabkommen haben wolle, müsse endlich etwas dafür tun.
Was aus Sicht der EU nötig wäre, ist in einer sogenannten Selbstverpflichtung festgehalten worden, die die „Präsidentschaft“, also jener bosnisch-kroatisch-serbische Dreier-Rat an der Staatsspitze, aufgeschrieben hat – auferlegt von der EU, umzusetzen von der bosnischen Regierung, dem bosnischen Parlament, den bosnischen Parteien. Inhaltlich geht es vor allem um den Kampf gegen Korruption, ein besseres Investitionsklima und Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts. Doch so schwer das werden dürfte – für Steinmeier ist der Moment der Entscheidung gekommen. „Die Verantwortung liegt in Ihren Händen.“
Dass sich zwanzig Jahre nach Ende des Krieges wirklich etwas ändern könnte, darauf hofften Hammond und Steinmeier seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres. Erst hatten im Februar starke soziale Unruhen gezeigt, dass die Bevölkerung von den Politikern immer drängender eine wirtschaftliche Verbesserung erwartet. Als dann im Mai ein furchtbares Hochwasser über das Land hereinbrach, standen Bosniaken, Kroaten und Serben so eng Seite an Seite, dass man in Berlin und London hoffte, Bosnien sei dabei, seine alten Spaltungen zu überwinden. Die Wahlen im Herbst hingegen wirken wie eine Rückkehr zum alten Bild. Die meisten Wähler haben streng nach ihrer ethnischen Herkunft den jeweiligen Parteien ihre Stimmen gegeben. In Berlin wächst die Sorge, dass es immer schwerer werden könnte, den Stillstand im Land noch einmal aufzubrechen. Auch deshalb gebe es diese Reise mit sehr klarer Botschaft, hieß es aus Delegationskreisen.
Ziemlich ungeschminkt drückt das auch Großbritanniens Außenminister aus. Hammond erklärt den Abgeordneten wie später allen Parteichefs, dass es ein Angebot wie dieses nicht noch einmal geben werde. Jetzt und hier liege es an ihnen, das Fenster, das die EU ihnen biete, zu nutzen. Hammond zögerte nicht, auch über Konsequenzen zu sprechen. Sollte Bosnien weiter zögern, werde das „sehr schlechte Rückwirkungen“ in der EU, aber auch auf mögliche Investoren haben. Bitte, Appell, Warnung vor einer Abkehr aus Europa – so unverblümt sind EU-Außenminister selten aufgetreten, um EU-Aspiranten endlich zum Handeln zu bewegen.
Das Hauptproblem, auch zwanzig Jahre nach Kriegsende, ist die ethnische wie emotionale Spaltung des Landes. Nach wie vor blockieren sich die Volksgruppen, die Zentralregierung in Sarajevo kann keine klare Autorität entwickeln. Die kroatischen und serbischen Vertreter, obwohl alles andere als gute Freunde, versuchen viel, um den Einfluss der Regierung in Sarajevo zu beschränken. Die Folge: Das Land mit seinen 3,8 Millionen Einwohnern zögert bei den Reformen, schwächelt im Kampf gegen Korruption und Kriminalität, ist ziemlich wehrlos im Kampf gegen eine auch radikale Islamisierung, die aus dem Ausland befördert wird und so gar nicht zum liberalen Islam der alteingesessenen Bosniaken passt. Es kann nicht so weitergehen – das war die Botschaft.
Frank-Walter Steinmeier (rechts) und sein britischer Amtskollege Philip Hammond (links) bei der Pressekonferenz in Sarajewo.
Der richtige Zeitpunkt – das ist ein gutes Stichwort für diesen Besuch in der bosnischen Hauptstadt. Steinmeier ist mit seinem britischen Amtskollegen Philip Hammond gekommen. Und die beiden führen hier nicht die üblichen freundlichen Gespräche. Sie haben nur ein Ziel: den Menschen des Balkanlandes klarzumachen, dass sie sich entscheiden müssen. Wollen sie sich Richtung Europa aufmachen? Oder wollen sie das nicht?
Vor zwei Monaten haben Steinmeier und Hammond im Kreise ihrer EU-Kollegen noch einmal für einen Anlauf mit dem Land geworben. Bosnien-Herzegowina ist im Vergleich zu seinen Nachbarn längst ins Hintertreffen geraten. Während um sie herum so gut wie alle Staaten Reformen vorantreiben, hängt das ethnisch geteilte Land hinterher. So sehr sogar, dass man in Berlin und London inzwischen einen Zerfall der Zentralmacht befürchtet. Also haben Hammond und Steinmeier noch mal Bedingungen und Chancen formuliert, um das seit fünf Jahren ausgehandelte und ratifizierte Assoziierungsabkommen doch noch umzusetzen. Und sie haben im November 2014 in bosnischen Medien einen Aufruf veröffentlicht, um der Bevölkerung die Dringlichkeit der Lage bewusst zu machen. Dahinter steckte nicht nur das Ziel, auf dem Balkan Gutes zu leisten. Beide fürchten auch die Folgen eines Scheiterns in einem Land mit schwachen staatlichen Strukturen, in dem es viele alte Waffenlager gibt, viel organisierte Kriminalität und immer mehr gewaltbereite Islamisten.
Angesichts dessen verwundert es nicht, mit welcher Verve sie hier auftreten. Bitte, Appell, letzte Chance – sie lassen wenig Zweifel daran, wie ernst die Lage aus ihrer Sicht ist. „Ich bitte Sie: Ergreifen Sie diese Chance“, erklärt der Deutsche. „Bringen Sie Ihr Land auf den Weg nach Europa.“ Wer das Assoziierungsabkommen haben wolle, müsse endlich etwas dafür tun.
Was aus Sicht der EU nötig wäre, ist in einer sogenannten Selbstverpflichtung festgehalten worden, die die „Präsidentschaft“, also jener bosnisch-kroatisch-serbische Dreier-Rat an der Staatsspitze, aufgeschrieben hat – auferlegt von der EU, umzusetzen von der bosnischen Regierung, dem bosnischen Parlament, den bosnischen Parteien. Inhaltlich geht es vor allem um den Kampf gegen Korruption, ein besseres Investitionsklima und Sparmaßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts. Doch so schwer das werden dürfte – für Steinmeier ist der Moment der Entscheidung gekommen. „Die Verantwortung liegt in Ihren Händen.“
Dass sich zwanzig Jahre nach Ende des Krieges wirklich etwas ändern könnte, darauf hofften Hammond und Steinmeier seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres. Erst hatten im Februar starke soziale Unruhen gezeigt, dass die Bevölkerung von den Politikern immer drängender eine wirtschaftliche Verbesserung erwartet. Als dann im Mai ein furchtbares Hochwasser über das Land hereinbrach, standen Bosniaken, Kroaten und Serben so eng Seite an Seite, dass man in Berlin und London hoffte, Bosnien sei dabei, seine alten Spaltungen zu überwinden. Die Wahlen im Herbst hingegen wirken wie eine Rückkehr zum alten Bild. Die meisten Wähler haben streng nach ihrer ethnischen Herkunft den jeweiligen Parteien ihre Stimmen gegeben. In Berlin wächst die Sorge, dass es immer schwerer werden könnte, den Stillstand im Land noch einmal aufzubrechen. Auch deshalb gebe es diese Reise mit sehr klarer Botschaft, hieß es aus Delegationskreisen.
Ziemlich ungeschminkt drückt das auch Großbritanniens Außenminister aus. Hammond erklärt den Abgeordneten wie später allen Parteichefs, dass es ein Angebot wie dieses nicht noch einmal geben werde. Jetzt und hier liege es an ihnen, das Fenster, das die EU ihnen biete, zu nutzen. Hammond zögerte nicht, auch über Konsequenzen zu sprechen. Sollte Bosnien weiter zögern, werde das „sehr schlechte Rückwirkungen“ in der EU, aber auch auf mögliche Investoren haben. Bitte, Appell, Warnung vor einer Abkehr aus Europa – so unverblümt sind EU-Außenminister selten aufgetreten, um EU-Aspiranten endlich zum Handeln zu bewegen.
Das Hauptproblem, auch zwanzig Jahre nach Kriegsende, ist die ethnische wie emotionale Spaltung des Landes. Nach wie vor blockieren sich die Volksgruppen, die Zentralregierung in Sarajevo kann keine klare Autorität entwickeln. Die kroatischen und serbischen Vertreter, obwohl alles andere als gute Freunde, versuchen viel, um den Einfluss der Regierung in Sarajevo zu beschränken. Die Folge: Das Land mit seinen 3,8 Millionen Einwohnern zögert bei den Reformen, schwächelt im Kampf gegen Korruption und Kriminalität, ist ziemlich wehrlos im Kampf gegen eine auch radikale Islamisierung, die aus dem Ausland befördert wird und so gar nicht zum liberalen Islam der alteingesessenen Bosniaken passt. Es kann nicht so weitergehen – das war die Botschaft.