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Tödliche Wut

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Es war keine gute Gegend, in der Wenjian Liu und Rafael Ramos am Samstag im Einsatz waren. Bedford-Stuyvesant ist eine der Ecken, in denen der New Yorker Stadtteil Brooklyn noch rau ist. Die zwei Polizisten saßen in ihrem Streifenwagen im Schatten eines Klotzes mit Sozialwohnungen. Um 14.27 Uhr trat Ismaaiyl B. an die Beifahrerseite des Autos und schoss mit seiner halb automatischen Pistole auf die beiden. Fensterglas splitterte, die Polizisten hatten keine Zeit, ihre Waffen zu ziehen. Sie waren sofort tot. Wenig später erschoss B. sich selbst auf dem Bahnsteig einer nahen U-Bahn-Station.



An dem Ort des Geschehens versammelten sich am Wochenende viele New Yorker und gedachten der getöteten Polizisten.

„Heute sind zwei von New Yorks Besten erschossen worden, ohne Warnung, ohne zu provozieren. Sie wurden, um es einfach auszudrücken, hingerichtet“, sagte New Yorks Polizeichef William Bratton. „Sie wurden zum Ziel wegen ihrer Uniform und weil sie die Verantwortung übernommen haben, für die Sicherheit der Menschen dieser Stadt zu sorgen.“

B. hat ein langes Register an Vorstrafen, in zehn Jahren ist er mehr als 15-mal verhaftet worden: Raubüberfälle, illegaler Waffenbesitz. Kurz vor dem Polizistenmord soll der 28-Jährige seiner Ex-Freundin in den Bauch geschossen haben, sagen die Ermittler. Sie hat überlebt. Danach sei B. aus Baltimore nach New York gereist – offenbar extra, um New Yorker Polizisten zu töten. Im Internet hatte er entsprechende Ankündigungen gemacht. Seine Einträge in sozialen Medien verrieten einen tiefen Hass auf Polizisten, sagte Bratton.

B. schrieb darüber, die Todesfälle zu rächen, die Amerika derzeit erschüttern: Der weiße Polizist Darren Wilson hat den schwarzen Jugendlichen Michael Brown in Ferguson im Bundesstaat Missouri erschossen; der weiße Polizist Daniel Pantaleo hat den schwarzen Mann Eric Garner in New York erwürgt – vor laufender Kamera. B. ist schwarz. Unter das Foto einer Pistole hatte er – orthografisch fehlerhaft – geschrieben: „Sie haben einen von unseren genommen......Lasst uns zwei von ihren nehmen.“ Dazu die Hashtags „#ShootThePolice #RIPErivGardner #RIPMikeBrown“. Als Polizisten in Baltimore die Einträge lasen, verständigten sie sofort ihre Kollegen in New York. Offenbar kam die Warnung um wenige Minuten zu spät.

Seit zwei Jurys in Ferguson und New York entschieden haben, die Polizisten Brown und Pantaleo noch nicht einmal vor Gericht zu stellen, gehen jeden Tag im ganzen Land Tausende auf die Straße. Bislang sind die Proteste in New York sehr friedlich. Statt zum Sitzstreik „Sit-In“ treffen sich die Menschen zum „Die-in“, bei dem sie sich gemeinsam wie tot auf den Boden fallen lassen. Sie tragen T-Shirts, auf denen „I Can’t Breathe“ steht, „Ich kann nicht atmen.“ Das waren Garners letzte Worte. „#ICantBreathe“ ist eines der am häufigsten verwendeten Schlagworte bei Twitter. In Ferguson, wo der 18-jährige Brown starb, war es im Sommer zu Krawallen gekommen. Seither fürchtet man, dass die Wut auch in New York explodiert. Die Straßen sind voller Polizisten.

„Zwei mutige Männer gehen heute Abend nicht zu ihren Liebsten nach Hause. Und dafür gibt es keine Rechtfertigung“, sagte am Sonntag US-Präsident Barack Obama. Polizisten verdienten Respekt und Dankbarkeit. „Ich fordere die Menschen auf, Gewalt abzulehnen, und auf alle Worte zu verzichten, die Leid zufügen, und stattdessen auf Worte zu setzen, die heilen: Gebete, Dialog und Mitgefühl mit den Freunden und der Familie der Gefallenen.“

Der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio hat die Familien der Opfer besucht. „Es ist eine Attacke auf alle von uns, es ist eine Attacke auf alles, das uns wichtig ist“, sagte er. De Blasio hatte in den vergangenen Wochen häufig die Arbeit seiner Polizisten gelobt, aber auch betont, dass er die Rechte der Demonstranten ernst nimmt. Sie müssten ihre Wut und ihre Sorge vor der Brutalität der Polizisten ausdrücken dürfen. Seinen 17-jährigen Sohn Dante habe er gewarnt, besonders vorsichtig im Umgang mit der Polizei zu sein, sagte er. De Blasios Frau, Dantes Mutter, ist schwarz.

Polizeigewerkschafter kritisierten daraufhin, der Bürgermeister verbreite das Gefühl, dass man vor der Polizei Angst haben müsse. Ein Gewerkschaftsvertreter verstieg sich sogar zu der Aussage, es klebe Blut an den Händen aller, die unter dem Deckmantel von Demonstrationen zu Gewalt anstiften: „Das Blut auf den Händen beginnt im Büro des Bürgermeisters.“

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