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Ein kleines bisschen Nähe

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Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ist nicht gerade die Lieblingsministerin der Wirtschaftsverbände. Ob Rente mit 63 oder Mindestlohn – was die emsige SPD-Politikerin auf den Weg bringt, löst bei den Lobbyisten der Unternehmen regelmäßig scharfe Kritik aus. In den vergangenen Wochen waren Nahles und die Beamten ihres Hauses wieder fleißig. Ihr Ministerium legte den Entwurf für ein kleines Paragrafenwerk mit dem klangvollen Namen „Mindestlohndokumentationspflichten-Einschränkungs-Verordnung“ vor.



8,50 Euro pro Stunde: Diesen Betrag sollen auch Arbeitnehmer in für Schwarzarbeit anfälligen Branchen bekommen. Um die Unternehmen an der Unterwanderung des Mindestlohns zu hindern, arbeitet das Bundesarbeitsministerium an der Verordnung einer Dokumentationspflicht.

Diese soll Arbeitgeber verpflichten, für bestimmte Arbeitnehmer genau aufzuschreiben, wann und wie lange sie täglich arbeiten, um ein Unterlaufen des von 2015 an geltenden Mindestlohns von 8,50 Euro zu verhindern. Wieder gab es einen Proteststurm der Wirtschaft – diesmal mit Erfolg, zumindest teilweise. Auf den letzten Drücker, einen Tag vor der geplanten Verabschiedung im Kabinett, kam Nahles den Arbeitgebern entgegen.

Das Mindestlohngesetz sieht vor, dass Arbeitgeber „Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit“ zu dokumentieren und diese Angaben zwei Jahre lang aufzubewahren haben. Dies gilt zunächst aber nur für Arbeitnehmer in neun Branchen, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten. Dazu zählen etwa das Baugewerbe, das Hotel-, Gaststätten- und Reinigungsgewerbe, die Taxibranche oder die Fleischwirtschaft. Diese Aufzeichnungspflichten gelten vor allem für gewerbliche Mitarbeiter, also nicht für Sekretärinnen oder Buchführer.

Nahles wollte nun die Dokumentation der Arbeitszeiten auf jeden Beschäftigten in diesen Branchen erweitern, der nicht mehr als 4500 Euro im Monat verdient und nicht als Führungskraft eingestuft wird. Diese Gehaltsgrenze sorgte für allgemeine Verwunderung, liegt sie doch weit über dem Mindestlohn, mit dem man monatlich auf etwa 1400 Euro brutto kommt. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), warnte deshalb: „Tausende Betriebe und Hunderttausende gut verdienende Beschäftigte werden damit unnötig gegängelt.“

Dies leuchtete offenbar auch dem Arbeitsministerium und dem Kanzleramt ein. Dort verständigte man sich jetzt auf eine neue Gehaltsoberschwelle in Höhe von 2958 Euro pro Monat. Unterstellt ist dabei, dass ein Arbeitnehmer 12 Stunden täglich 29 Tage zu 8,50 Euro die Stunde arbeitet. „Der Betrag entspricht dem, was ein Arbeitnehmer unter Zugrundelegung der arbeitszeitschutzrechtlich maximal zulässigen Arbeitszeit im Monat bei einer Entlohnung mit dem Mindestlohnstundensatz von 8,50 Euro monatlich zu erhalten hat“, teilt ein Sprecher des Ministeriums mit. Auch ob einer eine Führungskraft sei oder nicht, spiele in der neuen Verordnung, die am 1. Januar in Kraft treten soll, keine Rolle mehr. Insgesamt sei damit gewährleistet, dass der Mindestlohn auch bei einem sehr hohen monatlichen Arbeitsvolumen nicht unterlaufen werden könne.

Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), hält die Grenze von fast 3000 Euro jedoch immer noch für zu hoch. Damit arbeite man nicht in der Nähe des Mindestlohns. „Bei einer realistischen Arbeitszeit von rund 185 Stunden im Monat bedeutet das einen Stundenlohn von 16 Euro.“ Das sei fast das Doppelte des Mindestlohns, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die neue Vorschrift weite den Anwendungsbereich der geltenden Aufzeichnungspflichten „übermäßig aus“. Kramer plädiert dafür, die Aufzeichnungspflicht auf Arbeitnehmer mit einem Gehalt von höchstens 2400 Euro zu beschränken.

Als positiv bewertete er, dass es sich bei den von den Dokumentationsauflagen ausgenommenen Arbeitnehmern nicht mehr um Führungskräfte handeln muss. Er kritisiert jedoch, dass die strengen Auflagen für die Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit zusätzlich für Minijobber in allen Branchen (außer Privathaushalten) gelten sollen. Hier will Nahles keinesfalls locker lassen – die Möglichkeiten, die 8,50 Euro zu umgehen, gelten bei den geringfügig Beschäftigten als besonders groß.

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