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Geisterbahn und große Dusche

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Die Installationen der Ruhrtriennale gemahnen an einen Erlebnispark.

Seit einer Weile werden die Dinosaurierreste ehemaliger Hochöfen, Gebläsehallen oder Mischanlagen "bespielt", nachdem das Malochen alten Stils ein Ende hat, und nun die Gerippe des Industriezeitalters still, doch immer eindrucksvoll in den Himmel über der Ruhr ragen. Dass Zechen, Hütten und sonstige Industrieanlagen, die das Ruhrgebiet so unübersehbar prägen wie Überbleibsel aus unvordenklichen Zeiten, nicht einfach abgeräumt werden als Schrott einer vergangenen Epoche, ist einer Wahrnehmungswende zu verdanken. Aus ihrer Aufgabenstellung entlassen werden sie nun nicht mehr als düstere Orte härtester Arbeit, als Verursacher großer Verschmutzungen und als Denkmäler hässlicher, lärmender, stinkender Industrie gesehen, sondern ihnen ist eine Aura des Einzigartigen zugewachsen. Ihre zweckgebundene Architektur erzwingt unwillkürlich Staunen über die Dimensionen, deren sichtbare Gestalten den jeweiligen Produktionsarten geschuldet sind. So sind Schlote, Fördertürme und endlose Röhrenverschlingungen plötzlich zu ästhetischen Gegenständen ureigener Art geworden. Es ist kein Wunder, dass die vom Stil Neuer Sachlichkeit bestimmte Zeche Zollverein in Essen zum Weltkulturerbe erklärt worden ist, ebenso wie etwa die Hochöfen und die Gebläsehalle im saarländischen Völklingen.



Die Zeche im Wandel der Zeit. Früher ein lärmender schmutziger Ort, heute die ideale Umgebung für Kunstprojekte.

Doch sie einfach museal ruhen und rosten zu lassen, reicht nicht, um die Wahrnehmungswende zu vollenden. Die kategorisch durch ihre einstige industrielle Funktion definierten Riesenräume locken, sie ganz anders zu nutzen, sie nicht nur begehbar zu machen, sondern zu inszenieren und zu bespielen. Dennoch ist immer klar, dass zwischen den Bauten und den in ihnen stattfindenden Events, Happenings oder Installationen ein nahezu unvermeidliches Bedeutungsgefälle herrscht, das für die Künstler wohl Reiz und Schwierigkeit zugleich ausmacht.

Der schottische, vielfach preisgekrönte Videokünstler Douglas Gordon hat für die Ruhrtriennale 2013 die Ausmaße der Mischanlage der Kokerei Zollverein in Essen, ihre riesigen Trichter und verschiedenen Etagen versucht, in eine "Geisterbahn", so sagt er selbst, zu verwandeln unter dem Titel "Silence, Exile, Deceit - An Industrial Pantomime": Mächtige Explosionen scheinen den Bau zu erschüttern, die schon von draußen zu hören sind. Tastet man sich im Innern vorsichtig über die absichtlich schwach beleuchteten Treppen, Schwellen und Pfade durch die nebligen Räume schütteln die Eruptionen immerhin den Magen der Besucher durch.

Aus Mischtrichtertiefen flimmert Alufolie rheingoldartig auf, in einer Ecke lehnt eine Videowand, auf der Flammen eben mit Donnergetöse emporschlagen, eine Frau und ein Mädchen mit roter Kapuze - "Rotkäppchen" (Gordon) - tauchen auf; um die Ecke in der nächsten Halle hört man Gesang und Cellospiel, auf der dortigen Videowand singt eine Frau auf einer Treppe der Mischanlage, ein paar Stufen unter ihr spielt eine Cellistin. An anderer Stelle hockt eine Videokrähe mitten im Gang, auch ein Hund liegt versteckt am Weg, der treppauf, treppab durch die Raumfluchten führt. Ruhrtriennale-Chef Heiner Goebbels empfindet Anordnung und Inszenierung als "echtes Musiktheater". Douglas Gordon berichtet draußen vor der Tür, welche Geheimnisse seine Geisterbahn noch enthält, wenn man sie öfter besucht, erzählt von der Furcht seines Sohnes, als der die dumpfen Explosionen hörte, und von der Mitwirkung seiner Tochter. Er führt vor, wie sie aus der Langeweile der ständigen Auftrittswiederholung heraus schließlich in sein Ohr flüstert: "What shall we do now?". Dieser Wispersatz klingt oft in der Installation auf. Insgesamt wirkt die Live-Performance des erzählenden Künstlers vitaler als seine in der Wucht dieser Hallen eher harmlose Installation.

Wesentlich anders lässt sich der Turm aus Wasser, vom Londoner Künstlerkollektiv "rAndom International" vor Schacht XII installiert, erleben: einmal weil unter freiem Himmel, zweitens "spricht" Wasser als Elementarkraft. Es stürzt hier, mit Druck hochgepumpt, vor dem Schachtturm aus großer Höhe herab aus einer überdimensionalen Rechteckdusche. Man kann durch die Wasserwände in den wasserfreien Binnenraum treten. Dass sich bei Sonnenschein Regenbogeneffekte ergeben, Wind und Wetter unberechenbar, aber effektvoll mitspielen und der durchlässige und doch stabile Wasserturm zu jeder Art Spiel und Schabernack einlädt, verleiht ihm unabnutzbare Attraktivität.

William Forsythe, der große Tanzmeister, hat zum Parcours zwei witzige Arbeiten beigesteuert, Titel "Nowhere and Everywhere". Im Foyer des Museums Folkwang verblüfft die Eintretenden ein raffinierter Videozerrspiegel, und in der dortigen großen Halle lädt eine Anordnung aus herabhängenden Loten alle zu Leichtfüßigkeit und körperlicher Biegsamkeit ein. Die Lote lassen sich in Schwingung versetzen, und jeder bekommt Lust, ohne Berührung durch diesen filigranen Wald hindurchzuschlüpfen. Da geraten selbst Schwerfällige rasch ins Tanzen zwischen den schwingenden Loten. Und wenn im Foyer die Besucher sich selbst auf der Videowand entdecken, wie sie sich zeitversetzt bei jeder Bewegung verformen, um dann wieder zu "genesen", ist der Spaß perfekt.

Der in Paris lebende japanische Komponist und Elektronikkünstler Ryoji Ikeda installiert in der Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark nah den Hochöfen "test pattern (100m version)". Wer Geisterbahn, große Dusche, Zerrspiegel und Aufforderung zum Tanz hinter sich hat, landet nun auf dem elektronisch erzeugten Stroboskop-Laufsteg in einer Art Disco. Die verschiedenen durchlaufenden Muster sind von oben attraktiv, und die parallel dazu erzeugten rhythmischen Klangsensationen verstärken die mondäne, gleichwohl geheimnislose Anmutung der Anordnung. Manchmal erinnert sie an jene von Zebrastreifen in jede Richtung markierten Kreuzungen in japanischen Städten, auf die sich je nach Ampelschaltung Menschenströme ergießen.

Am Ende des sich selten als "Magical Mystery Tour" erweisenden Rundgangs bleibt etwas von Kindergeburtstagsstimmung - und der staunende Blick auf die Dinosaurier des Ruhrgebiets.

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