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Weltjustiz droht IS-Kämpfern

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Die mächtigste Frau der Weltjustiz ist erkältet. Der Herbst in Den Haag sei nichts für sie, sagt Fatou Bensouda, lacht und lädt in ihrem Büro an einen Tisch mit traditionell gemusterter Tischdecke aus ihrer Heimat Gambia. Bensouda, 53, ist seit zwei Jahren Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof (ICC). Die praktizierende Muslimin ist mit einem Marokkaner verheiratet; bereits mit 37 Jahren war sie Justizministerin ihres Landes.


SZ: Frau Bensouda, seit vier Jahren bricht der syrische Diktator Baschar al-Assad ziemlich jede Regel der Genfer Konventionen. Seine Gegner von der Miliz Islamischer Staat tun es ihm gleich, mit dem Unterschied, dass sie sich damit sogar brüsten. Warum hört man dazu so wenig von Ihnen, von der internationalen Justiz?
Fatou Bensouda: Täuschen Sie sich nicht. Es stimmt zwar, dass wir gegen das syrische Regime nichts unternehmen, weil wir nichts unternehmen können. Syrien hat das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht unterzeichnet. Aber im Falle des IS suchen wir gerade einen Weg.




Chefanklägerin in Den Haag: Fatou Bensouda.


Wie sieht der aus?
Es gibt umfangreiche Erkenntnisse, wonach in den Rängen des IS Ausländer kämpfen, aus Ländern, die sehr wohl das Statut des Gerichtshofs unterzeichnet haben: Jordanien, Tunesien, auch europäische Staaten. Diese Verdächtigen könnten wir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit belangen. Vor zwei Wochen hat mir der libanesische Außenminister ein Dossier dazu übergeben. Wir prüfen längst unsere Möglichkeiten.


Libanon drängt?
Man informiert uns. Das gilt nicht nur für Libanon, sondern auch für Tunesien und Jordanien. Das nehmen wir dankbar auf. Entscheidungen treffen wir aber natürlich alleine.


Wie wollen Sie in dem vom IS beherrschten Gebiet ermitteln? Erst in der vergangenen Woche haben Sie dem UN-Sicherheitsrat berichtet, dass Ihre Ermittlungen in einem anderen Bürgerkriegsland, in Libyen, fast unmöglich geworden seien.
Das ist leider unsere tägliche Arbeit. Wir ermitteln fast immer in Gegenden, in denen Kriege noch toben. Da ist es extrem schwierig, unser Personal zu schützen, noch wichtiger aber: Zeugen zu finden, die sich trauen und die wir schützen können. Teilweise versuchen wir, Zeugen auszufliegen. Teilweise bringen wir sie in Schutzhäuser, oder wir nutzen kreative Wege, die lieber nicht in der Zeitung stehen sollten. Auch versuchen wir zunehmend, mit Dokumenten zu arbeiten anstatt mit Zeugen.


Haben Sie Ermittler in dem vom IS beherrschten Gebiet?
Bislang nicht.


Sie arbeiten also nur mit Erkenntnissen von Nachrichtendiensten?
Mit dem Material unserer Mitgliedstaaten, ja. Aber auch mit Berichten von Nichtregierungsorganisationen. Wenn wir uns entscheiden sollten, Ermittlungen einzuleiten, ermitteln wir natürlich unabhängig.


Kurz vor seinem Tod im Juli dieses Jahres sagte der deutsche Richter am Strafgerichtshof Hans-Peter Kaul in einem Interview: Ermittlungen in Syrien? Bitte nicht! Es sei unverantwortlich, Ermittler in dieses mörderische Chaos zu schicken.
Das ist eine Frage von Ressourcen. Bislang fehlt uns das nötige Budget, um angemessen gerüstet in eine solche Situation hineinzugehen. Daran sollten unsere Geldgeber denken, also die Weltgemeinschaft. So verstehe ich auch den leider verstorbenen Richter Kaul. Sehen Sie: In Libyen habe ich unsere Ermittlungen nicht nur deshalb zurückfahren müssen, weil die Sicherheitslage sich verschlimmert hat, sondern auch, weil unsere Ressourcen ausgingen.


Schreckt man Fanatiker und Diktatoren überhaupt ab mit Strafen? In Libyen haben Sie vor drei Jahren die Spitzen des taumelnden Gaddafi-Regimes angeklagt, aber heute werden die Verbrechen Gaddafis täglich von neuen Gräueln überlagert.
Wie lange gibt es in Deutschland schon Gerichte? Hunderte Jahre, Tausende? Trotzdem gibt es Mord und Vergewaltigung. Soll die Justiz also verzagen? Natürlich nicht, das wäre doch absurd. Und jetzt denken Sie an die Männer, mit denen wir es in unseren Kriegsverbrecherprozessen zu tun haben: Sie kannten bislang überhaupt keine Justiz über sich. Der ICC ermittelt erst seit elf Jahren, wir leiten einen Wandel ein, der sehr, sehr langsam sein wird. In Kenia zum Beispiel haben wir die Politiker angeklagt, die bei der letzten Wahl wochenlange Ausschreitungen gegen Zivilisten anstifteten. Und diesmal? Ist die Wahl viel friedlicher verlaufen. Ich sage nicht, dass es da eine klare Kausalität gibt, aber ich denke schon, dass der ICC bereits eine Rolle spielt.


Als Sie sich den Despoten Gaddafi vorknöpften, da kritisierten manche, dass dies die Bürgerkriegs-Situation in Libyen sogar noch verfahrener und brenzliger machte – weil dem Diktator so der Weg ins Exil verbaut wurde.
Was ist denn die Alternative? Eine Villa im Exil? Der ICC ist gegründet worden, damit genau das aufhört, dahinter will ich nicht mehr zurück.


Mögen Sie zum Schluss einen Blick nach vorn wagen? Ihre Amtszeit dauert noch bis 2021. Werden wir in dieser Zeit schon erleben, wie Sie einen Politiker nach Den Haag zitieren, der nicht Afrikaner ist?
Die Kritik an unserem Fokus auf Afrika ist nicht neu. Ich denke, man darf nicht vergessen: Afrika ist auf den Gerichtshof zugekommen, nicht umgekehrt. Ganze fünf afrikanische Staaten haben uns um Ermittlungen gebeten, die Zentralafrikanische Republik sogar schon zweimal...


...während die arabischen Staaten bislang fast ausnahmslos mauern.
Bislang. Den Besuch des libanesischen Außenministers habe ich ja schon erwähnt. Er ist nicht der einzige. Die Dinge bewegen sich.




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