Am Anfang steht ein schlechter Witz. Nein, meint Franz Walter, der Göttinger Parteienforscher, es werde jetzt „keinen Promikopf geben, der gleich rollen wird“. Das sollte lustig sein und wohl auch ein wenig die Journalisten provozieren. Tatsächlich aber klingt es vor allem deplatziert. Zumal Walter nicht als Unterhalter eingeladen ist, sondern als Leiter eines Forschungsprojekts, das sich mit einem furchtbaren Thema beschäftigt hat: der Pädophilie und dem sexuellen Missbrauch von Kindern. Als vor anderthalb Jahren die Debatte über die Anfangszeit der Grünen wieder aufbrach, in der manche Pädophile zum Teil erfolgreich versucht hatten, die Straffreiheit von Sex mit Kindern ins grüne Programm zu schreiben, war Walter gebeten worden, diese Geschichte zu untersuchen. Die Grünen steckten mitten im Bundestagswahlkampf und fürchteten um Ruf und Wählerstimmen.
Der Gründungsparteitag der Grünen: Wie konnten sich pädophile Forderungen in einer Partei durchsetzen?
Ein Jahr später ist klar, dass die Affäre den Grünen massiv geschadet hat – und die neue Parteiführung jetzt alles versucht, um sich für die damaligen Fehler angemessen zu entschuldigen. Parteivorsitzende Simone Peter sagt bei der Vorstellung des Berichts, ihre Partei bedauere das alles zutiefst. Man hätte viel früher Konsequenzen ziehen müssen und habe viel zu spät Verantwortung übernommen. Klarer kann man kaum machen, was vor anderthalb Jahren auch der Spitzenkandidat Jürgen Trittin hätte sagen können.
Dabei fällt Walters Urteil gar nicht so hart aus, wie manche bei den Grünen befürchtet hatten. Dreizehn Monate lang hat Walter geforscht, „nicht unter einfachen Bedingungen“, wie er sagt. Anfang der 1980er-Jahre hatte die junge Partei noch kein zentrales Archiv. Viele Dokumente mussten sich die Wissenschaftler mühevoll über einzelne Aktivisten zusammensuchen; und auch wenn die Partei ihm für seine Recherchen uneingeschränkt Zugang zu allen Quellen gewährt hat, hält der Wissenschaftler seinen Bericht nicht für vollständig und abgeschlossen.
Zu einem Ergebnis kommt er dennoch – und weist den Grünen Verantwortung dafür zu, dass sich pädophile Forderungen Anfang der Achtzigerjahre in der Partei ausbreiten konnten. Allerdings sieht Walter die Beschlüsse zur möglichen Straffreiheit bei Sex mit Kindern, die mal auf kommunaler Ebene, mal auf Landes- oder Bundesebene getroffen wurden, nicht als Höhepunkt einer falsch verstandenen Toleranz gegenüber pädophilen Strömungen an, sondern als Schlusspunkt einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.
Für den Göttinger Parteienforscher hat das eigentliche Problem lange vor der Gründung der Grünen begonnen. Deshalb geht es für ihn nicht nur um die Geschichte der Partei, sondern um die Geschichte des Linksliberalismus. Mit dem Begriff verbinde man so gut wie immer Positives: weg von den ,,restaurativen und reaktionären Strukturen‘‘ der Nachkriegsjahre, hin zu einer umfassenden gesellschaftlichen Liberalisierung. Basisdemokratie, Emanzipation, Minderheitenschutz und die Forderung nach sexueller Befreiung gehörten nach Walters Wertung immer dazu – und wurden schließlich auch zum Selbstverständnis der neuen Partei.
Genau da beginnt laut Walter das Problem. Denn bei den Grünen habe es Tendenzen gegeben, die Positionen von Minderheiten unkritisch zu übernehmen. Minderheiten galten grundsätzlich als etwas Gutes und Schützenswertes. „Dass man sich um Minderheiten kümmerte, war etwas politisch kulturell wertvolles“, so Walter. Man habe sie „ideologisch veredelt“. Das führte dazu, dass man bei Pädophilen und ihren ideologischen Anhängern, die vermeintlich nur für ihre sexuelle Befreiung kämpften, nicht so genau hinsah.
Wie sehr sich das erst in der Gesellschaft und danach bei den Grünen etablieren konnte, zeigt eine Bundestagsanhörung aus den 1970er-Jahren, auf die Walter verweist. Damals hätten dreißig Professoren aus der Erziehungs- wie der Rechtswissenschaft die These vertreten, Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen führe bei den Betroffenen im Regelfall zu keinen weiteren Folgeschäden – obwohl es dazu in Wahrheit keine wissenschaftliche Untersuchung gegeben habe. Die Verantwortung der Grünen sieht Walter erst danach: „Eine Partei ist etwas ganz anderes als ein Teach-In der Siebzigerjahre.“ Eine Partei werde wegen ihrer besonderen Rolle bei der politischen Willensbildung grundgesetzlich geschützt und erhalte erhebliche Mengen an staatlicher Parteienfinanzierung. Deshalb, so Walters Resümee, trägt sie auch eine besondere Verantwortung dafür, wer sich in ihren Reihen engagiert und ihre Programme mit prägt. Die Grünen nahmen auf, „was sich 15 Jahre zuvor an unterschiedlichen Stellen zu den heterogensten Themen als soziale Bewegung formiert hatte“, heißt es im Bericht der Göttinger Forscher. Und Walter ergänzt, für die ersten Jahre, in denen diese Personen nicht gestoppt wurden, „tragen die Grünen eine erhebliche Verantwortung.“
Für die Partei ist das Thema noch nicht vom Tisch. Simone Peter entschuldigte sich im Namen der Grünen „bei allen Opfern sexuellen Missbrauchs, die sich durch die Grünen-Debatten der Achtzigerjahre in ihrem Schmerz und ihrem Leid verhöhnt fühlen“. Sie versprach, dass die eingesetzte Arbeitsgruppe weiterarbeiten und die seit Sommer geschaltete Hotline beibehalten werde. Außerdem will die Partei sich in der Prävention stärker engagieren. Und wenn sich nächste Woche der Bundesparteitag trifft, wird es zu all dem noch mal eine Debatte geben.
Der Gründungsparteitag der Grünen: Wie konnten sich pädophile Forderungen in einer Partei durchsetzen?
Ein Jahr später ist klar, dass die Affäre den Grünen massiv geschadet hat – und die neue Parteiführung jetzt alles versucht, um sich für die damaligen Fehler angemessen zu entschuldigen. Parteivorsitzende Simone Peter sagt bei der Vorstellung des Berichts, ihre Partei bedauere das alles zutiefst. Man hätte viel früher Konsequenzen ziehen müssen und habe viel zu spät Verantwortung übernommen. Klarer kann man kaum machen, was vor anderthalb Jahren auch der Spitzenkandidat Jürgen Trittin hätte sagen können.
Dabei fällt Walters Urteil gar nicht so hart aus, wie manche bei den Grünen befürchtet hatten. Dreizehn Monate lang hat Walter geforscht, „nicht unter einfachen Bedingungen“, wie er sagt. Anfang der 1980er-Jahre hatte die junge Partei noch kein zentrales Archiv. Viele Dokumente mussten sich die Wissenschaftler mühevoll über einzelne Aktivisten zusammensuchen; und auch wenn die Partei ihm für seine Recherchen uneingeschränkt Zugang zu allen Quellen gewährt hat, hält der Wissenschaftler seinen Bericht nicht für vollständig und abgeschlossen.
Zu einem Ergebnis kommt er dennoch – und weist den Grünen Verantwortung dafür zu, dass sich pädophile Forderungen Anfang der Achtzigerjahre in der Partei ausbreiten konnten. Allerdings sieht Walter die Beschlüsse zur möglichen Straffreiheit bei Sex mit Kindern, die mal auf kommunaler Ebene, mal auf Landes- oder Bundesebene getroffen wurden, nicht als Höhepunkt einer falsch verstandenen Toleranz gegenüber pädophilen Strömungen an, sondern als Schlusspunkt einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung.
Für den Göttinger Parteienforscher hat das eigentliche Problem lange vor der Gründung der Grünen begonnen. Deshalb geht es für ihn nicht nur um die Geschichte der Partei, sondern um die Geschichte des Linksliberalismus. Mit dem Begriff verbinde man so gut wie immer Positives: weg von den ,,restaurativen und reaktionären Strukturen‘‘ der Nachkriegsjahre, hin zu einer umfassenden gesellschaftlichen Liberalisierung. Basisdemokratie, Emanzipation, Minderheitenschutz und die Forderung nach sexueller Befreiung gehörten nach Walters Wertung immer dazu – und wurden schließlich auch zum Selbstverständnis der neuen Partei.
Genau da beginnt laut Walter das Problem. Denn bei den Grünen habe es Tendenzen gegeben, die Positionen von Minderheiten unkritisch zu übernehmen. Minderheiten galten grundsätzlich als etwas Gutes und Schützenswertes. „Dass man sich um Minderheiten kümmerte, war etwas politisch kulturell wertvolles“, so Walter. Man habe sie „ideologisch veredelt“. Das führte dazu, dass man bei Pädophilen und ihren ideologischen Anhängern, die vermeintlich nur für ihre sexuelle Befreiung kämpften, nicht so genau hinsah.
Wie sehr sich das erst in der Gesellschaft und danach bei den Grünen etablieren konnte, zeigt eine Bundestagsanhörung aus den 1970er-Jahren, auf die Walter verweist. Damals hätten dreißig Professoren aus der Erziehungs- wie der Rechtswissenschaft die These vertreten, Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen führe bei den Betroffenen im Regelfall zu keinen weiteren Folgeschäden – obwohl es dazu in Wahrheit keine wissenschaftliche Untersuchung gegeben habe. Die Verantwortung der Grünen sieht Walter erst danach: „Eine Partei ist etwas ganz anderes als ein Teach-In der Siebzigerjahre.“ Eine Partei werde wegen ihrer besonderen Rolle bei der politischen Willensbildung grundgesetzlich geschützt und erhalte erhebliche Mengen an staatlicher Parteienfinanzierung. Deshalb, so Walters Resümee, trägt sie auch eine besondere Verantwortung dafür, wer sich in ihren Reihen engagiert und ihre Programme mit prägt. Die Grünen nahmen auf, „was sich 15 Jahre zuvor an unterschiedlichen Stellen zu den heterogensten Themen als soziale Bewegung formiert hatte“, heißt es im Bericht der Göttinger Forscher. Und Walter ergänzt, für die ersten Jahre, in denen diese Personen nicht gestoppt wurden, „tragen die Grünen eine erhebliche Verantwortung.“
Für die Partei ist das Thema noch nicht vom Tisch. Simone Peter entschuldigte sich im Namen der Grünen „bei allen Opfern sexuellen Missbrauchs, die sich durch die Grünen-Debatten der Achtzigerjahre in ihrem Schmerz und ihrem Leid verhöhnt fühlen“. Sie versprach, dass die eingesetzte Arbeitsgruppe weiterarbeiten und die seit Sommer geschaltete Hotline beibehalten werde. Außerdem will die Partei sich in der Prävention stärker engagieren. Und wenn sich nächste Woche der Bundesparteitag trifft, wird es zu all dem noch mal eine Debatte geben.