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Tod als Alltag

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Argentiniens Forensiker haben reichlich Erfahrung mit dem Grauen. Die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur hat dort eine ganze Schule von Spezialisten entstehen lassen, die geübt sind, die Identität von Leichen und Folteropfern festzustellen, aus kleinsten Hinweisen Identitäten zu rekonstruieren und Knochenreste zusammenzusetzen. Ein Team von Argentiniern wurde deshalb zu Hilfe gerufen, um die Untersuchungen im derzeit größten Kriminalfall Amerikas zu leiten: dem der 43 verschwundenen Studenten von Iguala in Mexiko, die im September entführt wurden. Nachdem die mexikanische Justiz am Wochenende behauptet hatte, bei in einem Massengrab gefundenen Leichen handele es sich um die Studenten, stellten die argentinischen Gerichtsmediziner nun klar: Sie sind es doch nicht.



Gewaltsame Proteste in Mexiko-Stadt: Wo sind die vermissten Studenten?

Innenminister Miguel Ángel Osorio Chang beeilte sich zu versichern, die Regierung werde ihre Anstrengungen intensivieren, das Verbrechen aufzuklären. Die gefundenen Knochen sollen ans forensische Institut der Universität Innsbruck geschickt werden, die weltweit führend bei DNA-Analyse ist. Doch auf Versprechungen geben die Angehörigen nichts mehr. Elternsprecher Manuel Martínez beklagte nach einem Treffen mit dem Minister den „immer gleichen Diskurs“ und fügte hinzu: „Wir wollen die 43 Jugendlichen lebend.“ Doch die Hoffnungen sind gering. Zu brutal sind die Drogenbanden, zu alltäglich ist der Tod in einem von struktureller Kriminalität gezeichneten Bundesstaat wie Guerrero. Dass es sich bei den aufgefundenen Toten nicht um die Studenten, sondern um andere Opfer der Gangs handelt, zeigt eher, wie allgegenwärtig das Verbrechen dort ist.

Drei verhaftete Gangster hatten behauptet, sie hätten die 43 Studenten ermordet und auf einer Deponie verbrannt. Doch offenbar stimmt das nicht. Insgesamt gab es in dem Fall bislang 74 Festnahmen, darunter 36 Polizisten. Doch die Aufklärung geht kaum voran. Für die meisten Mexikaner ist eh klar: Der Staat ist schuld. Das ist derzeit auf Plakaten und in sozialen Netzwerken zu lesen und auf den fast täglichen Demonstrationen zu hören.

Mit „Staat“ meinen sie die Behörden. „Ya me cansé“, ich bin es müde, ist der Slogan der Protestbewegung. Er geht zurück auf eine Bemerkung, die dem zuständigen Staatsanwalt bei einer Pressekonferenz herausrutsche, als ihm die bohrenden Fragen lästig wurden. Sein Seufzer gilt seitdem als Inbegriff der Arroganz und der Unfähigkeit der Staatsorgane, von denen die meisten Mexikaner längst zu wissen glauben, dass sie mit dem organisierten Verbrechen verbandelt sind. „Ya me cansé“, das heißt für sie: Der Staat ist müde, er kann nicht mehr.

Im Bundesstaat Guerrero ist diese Verbandelung ziemlich offensichtlich. Unter dem Vorwurf, Drahtzieher der Entführung zu sein, sitzen der Bürgermeister der Stadt Iguala und seine Frau in Haft, weil sie dafür gesorgt haben sollen, dass den Drogengangs die Studenten ausgeliefert wurden, nachdem die Bürgermeistergattin sich von ihnen gestört gefühlt hatte. Das Erschreckende an der Tat ist in den Augen vieler Mexikaner, dass es sich nicht um eine Abrechnung zwischen Gangs handelte, die mutmaßlichen Opfer keine Leute sind, die sich mit Drogenhandel eingelassen haben. Die Studenten wollten am 26. September nur tun, was viele tun: Spenden sammeln und soziale Verbesserungen einfordern.

Dass die Gewalt so außer Kontrolle ist, hat paradoxerweise mit Fahndungserfolgen der Bundespolizei zu tun. Weil in letzter Zeit immer wieder Capos der Kartelle gefasst wurden, sind die Mörderbanden zunehmend führungslos. Sie verlegen sich auf Alltagskriminalität, wobei der Respekt vor einem Menschenleben gleich null ist.

Heftig ist die Gegenreaktion. In Mexiko-Stadt versuchten Vermummte, den Nationalpalast zu stürmen. Am Montag blockierten Demonstranten den Flughafen von Acapulco. Demonstranten steckten am Dienstag eine Zentrale der Regierungspartei PRI in Guerrero in Brand. Am Mittwoch griffen die Proteste auf den ebenfalls vom Drogenkrieg gemarterten Bundesstaat Michoacán über. Präsident Enrique Peña Nieto (PRI) hat zwar gelobt, alles zu tun, damit das Verbrechen aufgeklärt wird, doch er muss sich mit anderen Vorwürfen befassen: Er wohnt neuerdings in einer Luxusvilla, die einem Transportunternehmers gehören soll, der von öffentlichen Aufträgen profitiert.

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