Quantcast
Channel: Alle Meldungen - jetzt.de
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207

Luftschüsse

$
0
0

Das erste Album der Chemnitzer Band Kraftklub war ein gewaltiger Sturm im Feuerwasserglas. „Mit K“ hieß die Platte. Noch kurz bevor die Presswehen einsetzten, sollte sie „Greatest Hits“ heißen, und so falsch wäre das gar nicht gewesen. Kraftklub klangen roh, bisschen nach Garage, aber gar nicht steif in den Knien, die Songs waren eindeutig mit dem großen Pop-Ohr komponiert, und die Texte von Sänger Felix Brummer kamen auch ziemlich frisch um die Ecke. Bei den Konzerten hüpften alle mit, klar, weil: „Wir sind deine neue Lieblingsband, die Lieblingsband deiner Lieblingsband“.




Felix Brunner, der Sänger von Kraftklub.


Mit anderen Worten: Diese Band mochten alle sofort. Und selbst als der Hype auch bei den Festivals schon lief, verschwanden die fünf jungen Herren aus Karl-Marx-Stadt nach ihren öffentlichen Workouts nicht im Nightliner, sondern streunten über die Zeltplätze von einem Cola-Rum-Rudel zum nächsten. Ein Rockstar ist, wer raucht und trinkt, und trotzdem seine Leistung bringt. Im Grunde war mit dieser Haltung auch klar, dass man sich um das zweite Album keine Sorgen machen müsste. Nun, da „In Schwarz“ (Universal) erschienen ist und sogar auf dem ersten Platz der deutschen Album-Charts landete, ist die Hoffnung zur Tatsache geworden. Und wer’s nicht glaubt, der höre einfach nur den ersten Song des Albums.


Mit „Unsere Fans“ legen Kraftklub ein Stück vor, das jeden Widerspruch unmöglich macht, natürlich lange bevor diesen Widerspruch überhaupt jemand hätte formulieren können. Oder wollen. Aber so ist das, eine junge Rockband ist einfach besser, wenn sie zu glauben vorgibt, die ganze Welt sei gegen sie: „Unsere Fans haben sich verändert / Unsere Fans haben sich verkauft / Unsere Fans sind jetzt Mainstream“. Sehr schön ist auch das Video zum Song, eine schrullige No-Budget-Parodie auf die „Mein Auto ist noch dicker als meine schon ziemlich dicke Hose“-Clips. Die ästhetische Leitung für dieses Video lag bei Gitarrist Steffen Israel. In einem Berliner Asia-Großmarkt kaufte er für 35 Euro Plastik-Blingbling, und das auf Mallorca gemietete Schnellboot konnte mit letztem Bargeld bezahlt werden.


Kraftklub funktionieren also ungefähr wie eine gute Folge der „Simpsons“. Erst mal gibt es reichlich Slapstick und Schulhofalbernheiten. Aber wer die Ernsthaftigkeit übersieht, die überall lauert, der hat doch nur den halben Spaß. Man nehme nur: „Schüsse in die Luft“. Till Brummers Bass hüpft hier gleich zu Beginn sehr fröhlich vor sich hin, aber dann setzt Felix Brummer ein und adressiert mit engagiertem Pragmatismus die politische Orientierungslosigkeit zwischen Ice-Bucket-Challenge und niedriger Wahlbeteiligung. Er beginnt mit der Widersprüchlichkeit der Ansprüche, denen man in seinen Zwanzigern heute begegnen kann: „Meine Mutter sagt, Junge, geh mal schlafen, fahr mal in Urlaub / Aber ich soll auf die Straße, sagt Farin Urlaub.“ Er kritisiert zweitens den von Ironie nur fadenscheinheilig legitimierten Rückzug ins Private, denn „Du wirst nicht enttäuscht, wenn du nie etwas erwartest / Und bevor du etwas falsch machst, dann mach mal lieber gar nichts“. Drittens greift schließlich wieder das „Simpsons“-Prinzip: Gerade als man glaubt, ein Gedankengang habe sein Ende erreicht, geht es noch mal um die Ecke. Im Fall von „Schüsse in die Luft“ mit einem Bekenntnis: „Nein ich war nie Anti-Alles, ich war immer Anti-Ihr / Doch hab’ schon lange angefangen, mich mit Dingen zu arrangier’n“. Es geht also nicht darum, sich entweder für die Revolution zu entscheiden oder doch für eine weitere Folge „Berlin Tag und Nacht“. Es geht darum, sich auf die anstrengende Suche nach der eigenen Wahrheit zu begeben, die womöglich genau dazwischen liegt.


Deutlicher verorten lassen sich Gut und Böse im Kleinen, und das Kleine trägt im Fall von Kraftklub den Namen Chemnitz. Die Brüder Felix und Till Brummer tragen den Stempel des „Atomino“ auf den Unterarm tätowiert mit sich herum, ihr Vater ist der Betreiber des Clubs. Er musste innerhalb von Chemnitz oft umziehen, das letzte Mal, weil es einem kapitalstarken Investor und seinen greisen Mietknechten zu bunt geworden war. Der Song „Meine Stadt ist zu laut“ ist eine detailgetreue und zugleich allgemeingültige Nacherzählung dieser Vertreibung nicht aus dem Paradies, aber doch einem der schönsten Teile des nicht immer schönen Chemnitz.


Um Liebe im menschlicheren Sinn geht es auf „In Schwarz“ in fast jedem zweiten Song. Und dann in fast allen Varianten: frisch verliebt („Alles wegen Dir“), zusammen, aber Fernbeziehung („Weit weg“), Freundin wird ausgespannt („Mein Rad“), getrennt und besoffen nachtrauernd („Blau“), getrennt und froh drüber („Für Immer“), getrennt und bald vergessen („Irgendeine Nummer“). Die Kunst Felix Brummers besteht aber nun darin, die Sache präzise in der Gegenwart zu verorten. Früher wurden Schmuddelhefte versteckt, bevor die Freundin kam, Kraftklub löschen den Browserverlauf. Jürgen von der Lippe war noch aufs Festnetz angewiesen, um die Exfrau zuzulallen, bei Brummer heißt es: „Immer wenn ich blau bin, ruf ich bei dir an, vorausgesetzt dass ich mich noch an meine PIN erinnern kann“. Kein Alkohol ist auch keine Lösung, sangen die Toten Hosen. „Wenn trinken keine Lösung ist, dann habe ich auch kein Problem“, singt Brummer.


Musikalisch ist „In Schwarz“ dabei im Grunde wieder eine im Studio eingespielte Live-Platte geworden, weshalb hier auch noch gemeldet sein soll, dass Felix Brummer für die Clubtour neue Spezialeffekte verspricht. Endlich soll der schon lange geplante Kleiderkreisel angeworfen und das Publikum dazu aufgefordert werden, seine Hosen über die Arme zu ziehen und die Schuhe über die Hände. Es wird dann so aussehen, als mache das komplette Auditorium einen sinnlosen Handstand. Wieder so ein Bild. Von außen wird es wie luftiges Handkasperletheater aussehen. Eigentlich stehen aber alle fest auf dem Boden der Tatsachen.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 6207