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Schizophren in der Scheune

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Wenn Männer sich bekriegen, dann müssen sie nicht unbedingt kämpfen – sie können auch miteinander tanzen. Ein schräges Pärchen geben die jungen Männer Tom und Francis in der dunklen Scheune neben dem Farmhaus ab, die Strahlen der Nachmittagssonne scheinen durch die kleinen Fenster des Scheunentors, im Hintergrund stapeln sich die Strohballen. Immer schneller dreht Francis Tom zur Musik aus dem Gettoblaster im Kreis, drückt ihn immer fester an sich, bis dieser kaum noch Luft bekommt und Francis’ Speichel ihm ins Gesicht spritzt, während er ihn anzischt, dass er ihn nicht mehr gehen lassen kann.



Xavier Dolan spielt in seinem neuen Film auch die Hauptrolle.

„Sag nicht, wer du bist!/Tom à la ferme“ ist der vierte Spielfilm des franko-kanadischen Regisseurs Xavier Dolan, der seit seinem Regiedebüt „Ich habe meine Mutter getötet“ von 2009 als Wunderkind des internationalen Autorenfilms gefeiert wird – damals war er gerade zwanzig. Um kaum einen anderen Nachwuchsregisseur wurde in den vergangenen Jahren auf den Festivals in Cannes und Venedig, wo seine Filme ihre Uraufführungen hatten, ein solcher Hype veranstaltet wie um ihn. Mit seinen ersten drei Werken – nach dem Debüt folgte die Ménage-à-trois „Herzensbrecher“ und das Transgender-Märchen „Laurence Anyways“ – hat er das Thema der unmöglichen Liebe in verschiedenen geschlechtlichen Konstellationen umkreist. Und zwar so bunt und so schräg, dass ein Teil des Dolan-Hypes auch schlicht deshalb zustande kam, weil er mindestens so viele Zuschauer nervte wie begeisterte.

Mit besonderer Spannung wurde deshalb „Sag nicht, wer du bist!“ erwartet, der im vergangenen Herbst seine Premiere im Wettbewerb des Festivals von Venedig hatte – weil er nach den drei knallbunten Wundertüten sein erster Versuch einer handfesten Genrearbeit ist. Der Film beruht auf einem Theaterstück des kanadischen Dramatikers Michel Marc Bouchard von 2010, gemeinsam mit ihm hat Dolan das Drehbuch geschrieben.

Tom (Dolan) ist ein Mittzwanziger-Hipster aus Montreal, der in der Werbebranche arbeitet und dort mit seinem gleichaltrigen Arbeitskollegen Guillaume liiert war. Als dieser stirbt – ein Selbstmord wird angedeutet –, beschließt Tom zu seiner Beerdigung in die kanadische Provinz zu fahren, obwohl der Freund seine Homosexualität vor seiner Familie verheimlicht hat. Auf einer Farm leben Guillaumes ältliche, weltfremde Mutter und sein älterer Bruder Francis (Pierre-Yves Cardinal). Tom gibt sich lediglich als guter Freund aus, doch Francis durchschaut den Auftritt, durchsticht die Reifen seines Autos und nötigt ihn, auf der Farm zu bleiben und der Mutter vorzuspielen, ihr Sohn habe in Montreal eine Freundin gehabt. Immer mehr steigert sich der aggressive Francis in seine Homophobie, schlägt und erniedrigt Tom – und macht ihm gleichzeitig Avancen.

Dolan inszeniert die Geschichte als schizophrenen Psychothriller in Hitchcock-Tradition. Sein Komponist Gabriel Yared geht im Soundtrack sogar so weit, die irren Geigenklänge aus „Psycho“ zu imitieren. Was Dolan fasziniert, ist die Lust am Missbrauch – und zwar nicht am Missbrauchen, sondern am Missbrauchtwerden, denn Tom lässt sich paralysiert immer freiwilliger auf Francis’ Spielchen ein.

„Sag nicht, wer du bist!“ ist nicht mehr von ganz so viel Experimentierfreude geprägt wie Dolans vorherige Filme, weil er sich für seine Hommage ans Thriller-Genre eine große formale Strenge und Entschlackung verordnet hat – Schluss mit dem Pomp von früher. Dazu gehört auch, dass er fast ganz auf Totalen verzichtet und die meisten Szenerien in Nah- und Großaufnahmen vorführt, in der kleine, aber prägnante Details auf die Gesamtumgebung schließen lassen. Aber auch hier beweist der mittlerweile 25-jährige Dolan eine fast schon unheimliche Intuition, was die Komposition von Bildern angeht, gerade durch die Verengung des Blickfelds. Eine Arbeitsweise übrigens, die er in seinem bereits in Cannes gezeigten Folgewerk „Mommy“ weiter auf die Spitze treibt: Der Film ist im Handyformat gedreht.

Auch wenn Dolan für seine Adaption das ursprüngliche Vier-Personen-Stück um zusätzliches Personal und einige Schauplätze erweitert hat, bleiben Tom und Francis im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Und was dieses fatale Borderline-Pärchen trotz aller Formunterschiede dann doch mit den Liebenden seiner vorherigen Filme verbindet, ist, dass jeder Flirt bei Dolan weiterhin nur als Krieg zu haben ist – und umgekehrt.



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