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Was ihr wollt

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Wenn Kinder im Laden ein neues Spielzeug sehen, das sie unbedingt haben wollen, dann brauchen sie oft nicht viele Worte, um den Eltern ihren Wunsch klarzumachen: Sie zeigen einfach darauf.
Die Geste ist so eindeutig und effizient zugleich, dass sich Online-Händler das simple Prinzip nun zu eigen machen, um ihren erwachsenen Kunden das Einkaufen zu erleichtern. Anstatt sich auf Internetseiten mühsam über ganze Suchbegriff-Ketten an das gewünschte Produkt heranzutasten, haben jetzt die ersten Anbieter den Smartphones ihrer Kunden das Zeigen beigebracht. Wer etwas sieht, das er haben möchte, richtet einfach die Kamera des Telefons darauf, und die Software erledigt den Rest. Ein paar Klicks und der Kauf ist abgeschlossen – eine Sache von Sekunden.



Intelligentes Auge: Die Kamera soll Kunden künftig beim Kauf unterstützen

Als erstes Großunternehmen hat der amerikanische Versandhändler Amazon die Technik per Smartphone-App eingeführt, bislang jedoch nur auf dem US-Markt. Dort stellte Amazon seinen Kunden, die über Apple-Geräte verfügen, bereits Anfang Februar die App „Flow“ vor. Ob Buch, Shampoo oder Tabasco-Flasche: Innerhalb von Sekunden erkennt ein Algorithmus, was sich vor der Kameralinse befindet, und bietet dem Nutzer die entsprechenden Produkte zum Kauf an.

Nun hat der Bekleidungs-Versandhändler Zalando eine ähnliche Technik in Deutschland auf den Markt gebracht: Seit wenigen Tagen ist die iPhone-App des Unternehmens mit einer Fotofunktion ausgestattet. „Online-Shopping findet nicht mehr ausschließlich zu Hause statt, sondern immer mehr unterwegs“, sagt Zalando-Manager Daniel Schneider. In den ersten Tagen soll es bereits mehrere Tausend Abfragen via Handykamera nach einem Kleidungsstück gegeben haben, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. „Wir sehen ein sehr großes Potenzial in der neuen Technik.“

Aber woher weiß ein Computer eigentlich, was ein Rock ist und was eine Bluse? Er weiß es eigentlich gar nicht, sondern geht meist nach rein statistischen Verfahren vor. Das Bild, nach dem gesucht werden soll, wird in eine Wolke aus markanten Punkten umgewandelt. Entscheidend ist dabei das Verhältnis der Punkte zueinander – so funktioniert eine Erkennung auch, wenn die gesuchte Aufnahme aus einem etwas anderen Abstand oder Winkel aufgenommen wurde. Vereinfacht gesprochen, sucht der Computer nach der statistisch gesehen größten Übereinstimmung von Punktewolken.

Ähnlich ist es auch bei der Spracherkennung. Computer sind noch weit entfernt davon, tatsächlich zu verstehen, was ein Mensch sagt oder gar, was er wirklich meint. Durch immer höhere Rechenleistung, bessere statistische Modelle und eine Sammlung an Aufnahmen gesprochener Sprache wurde diese Technologie in den vergangenen Jahren aber verbessert. Navigationssysteme moderner Autos verstehen inzwischen Anweisungen wie: „Navigiere nach Berlin, Friedrichstraße 52.“

Vor etwa zwei Jahren erregte Google mit einem Projekt Aufsehen, das in der Lage war, auf Videos des eigenen Portals Youtube Katzen oder Menschen zu erkennen. Das Besondere daran war, dass das System von sich aus lernte, diese Muster wiederzuerkennen. Die Forschungsabteilung des Internetkonzerns hatte dafür ein künstliches neuronales Netz entwickelt. Um die zehn Millionen Bilder zu durchforsten, die Google als Rohmaterial verwendet hatte, mussten allerdings 1000 Computer mit insgesamt 16000 Prozessoren zehn Tage lang rechnen.

Und dieses neuronale Netz war immer noch um ein Vielfaches weniger leistungsfähig als die durchschnittlich knapp eineinhalb Kilogramm Gehirn eines Menschen. Einfacher ist es dagegen, Bilder in eine Ansammlung aus wichtigen Punkten umzuwandeln. Diesen Prozess haben die Bilder bereits durchlaufen, die in der Datenbank der britischen Firma Cortexia – das ist der technische Partner von Zalando – stecken. Kommt ein neues hinzu, versucht das System, das gesuchte Objekt zu identifizieren, fertigt davon eine Punktewolke an und sucht dann in der Datenbank nach Übereinstimmungen.
Damit die Suche funktioniert und die Nutzer nicht frustriert werden, muss die Datenbank möglichst viele und möglichst passende Muster enthalten. Besonders wertvoll wird ein solches System, wenn den Nutzern nicht nur passende Schuhe, Blusen oder Hosen auf ihrem Smartphone angezeigt werden, sondern wenn man dazu auch ihren Preis erfährt und sie mit einem Klick auch bestellen kann.

Die Entwicklung der neuen Funktion hat nach Angaben von Zalando etwa ein halbes Jahr gedauert – und müsste demnach just begonnen haben, als Amazon seinen neuen Dienst in den Vereinigten Staaten vorgestellt hat.

Bislang gibt es die App nur für Apple-Betriebssysteme, für Android soll sie in den nächsten Wochen zur Verfügung stehen. Im zweiten Quartal des laufenden Jahres haben 41 Prozent aller Nutzer die Internetseite von Zalando von mobilen Endgeräten aus angesteuert, bei anderen Online-Händlern dürften die Zahlen ähnlich hoch sein. Laut einer Online-Umfrage des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) gaben zudem 57 Prozent aller befragten Smartphone- und Tablet-Besitzer an, ihre Geräte auch zum Online-Shopping zu nutzen. Das sind 17 Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor.

Bleibt die Frage, ob die neue Technik den klassischen Ladenbesitzern nicht ein Dorn im Auge wird – wenn Kunden sich nicht nur umfangreich beraten lassen, sondern den gewünschten Gegenstand gleich im Laden per App günstiger im Netz ordern. „Im Einzelfall kann so etwas natürlich vorkommen“, sagt ein Sprecher des Handelsverbands HDE. Einer Studie zufolge würde jeder dritte Kauf im Laden mit einer Online-Recherche vorbereitet, umgekehrt sollen sich in elf Prozent der Fälle Kunden erst im Geschäft beraten lassen und dann im Netz einkaufen. Mit der neuen Technik, mag nun so mancher Händler fürchten, könnte sich der Anteil erhöhen.

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