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Im Land der begrenzten Möglichkeiten

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Vor ein paar Wochen ist Joris Evers ein bisschen durch Deutschland gereist, um die Erwartungen zu senken. Evers, ein sehr aufgekratzter Niederländer, trägt den schönen Titel „Director Corporate Communications“ und ist bei einem Unternehmen angestellt, dessen Name alleine schon für viele Menschen einer Art Heilsversprechen gleichzukommen scheint. Joris Evers arbeitet bei Netflix, dem Streaminganbieter aus Kalifornien, der nun endgültig seine Reise um die Welt antritt.



Das Streaming-Unternehmen Netflix will nun auch den deutschen Markt erobern

Am Montag hatte das Unternehmen nicht nur seine Quartalszahlen verkündet, sondern auch seinen Starttermin für unter anderem Deutschland, Österreich und Frankreich konkretisiert. Von diesem Herbst war bislang die Rede gewesen, jetzt hat Netflix den Monat September genannt. Dass allein dieses kleine Detail das Netz zum Hyperventilieren brachte, zeigt, wie übergroß die Erwartungen an Netflix und sein Angebot sind.

Joris Evers gab in Deutschland keine Interviews, das Treffen mit ihm in einem Münchner Hotel sollte vielmehr eine erste Begegnung sein zwischen deutschen Medien und der kalifornischen Verheißung vom besseren Fernsehen. Doch obwohl Evers viel sprach und eigentlich nichts sagen wollte, konnte man eines doch sehr deutlich heraushören: Genau diese großen Erwartungen, der Hype um die Macher von House of Cards, scheint ein paar Manager am Firmensitz in Los Gatos doch auch ein bisschen nervös zu machen.
Wenn Netflix auf den deutschen Markt kommt, hat das Programmangebot grundsätzlich erst einmal nichts mit dem amerikanischen Angebot zu tun. Ausstrahlungsrechte müssen für jedes Land einzeln eingekauft werden – sehr plastisch lässt sich die Problematik für Netflix daran erkennen, dass man ausgerechnet die neuen Folgen der Politserie House of Cards nicht wird zeigen können. Die Rechte dafür hat Netflix an den deutschen Bezahlsender Sky verkauft – in einer Zeit natürlich, als die eigenen Pläne für den deutschen Markt noch sehr viel unkonkreter waren.

Jetzt will man hier mit viel Tamtam an den Start gehen und Frank Underwood, der berühmteste Serienheld von Netflix, intrigiert anderswo. Ideal ist anders. Bei neuen eigenen Serien, dem Comic BoJack Horseman etwa, der Science-Fiction-Serie Sense8 mit dem deutschen Schauspieler Max Riemelt oder dem neuen Projekt des Damages-Autorentrios, wird Netflix mit seinen Rechten vermutlich etwas geiziger sein.
Seit Monaten schon ist Netflix in ganz Deutschland unterwegs und spricht mit Rechtehändlern – es geht jetzt darum, ein möglichst attraktives Paket für den deutschen Dienst zusammenzustellen. Nur ein Bruchteil des Netflix-Angebots, auch in den USA, besteht aus eigenen, extra für das Portal produzierten Serien oder Dokumentationen, etwa zehn Prozent seines Budgets gibt man in Los Gatos derzeit dafür aus – Tendenz aber steigend. Der große Rest im Angebot setzt sich aus Sendungen anderer zusammen, für die man Lizenzgebühren bezahlt. Zum Teil sind das Filme oder Serien, die zuerst bei Netflix zu sehen sind – zum größten Teil aber sind die Programme älter oder sehr alt und in allen möglichen digitalen und tatsächlichen Videotheken verfügbar.

Auch für Deutschland muss jetzt ein Mix gefunden und eingekauft werden, in großen Marktanalysen wird deshalb geprüft, was die Deutschen gern im Kino, im Fernsehen oder auf illegalen Streamingportalen ansehen. Noch ist also völlig unklar, womit genau Netflix in September an den Start geht – und ganz bestimmt wird das Angebot erst im Laufe der ersten Monate nach und nach wachsen. Von Tag eins an wird Netflix ganz bestimmt nicht die Fernsehträume all derer erfüllen können, die in dem amerikanischen Streamingdienst eine Art gerechte Strafe Gottes für das deutsche Gebührenfernsehen und seine verschnarchte Programmpolitik sehen.

Klar ist wohl auch den Netflix-Chefs aus Kalifornien, dass Deutschland kein einfacher Markt ist. Zum einen gibt es hier (trotz aller Kritik) ein vergleichsweise sehr großes und gutes Fernsehangebot von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern mit vielen deutschen Eigenproduktionen und zahlreichen US-Serien. Pay-TV ist hierzulande traditionell ein eher kleiner Markt, auch wenn er wächst. 2013 stieg der Pay-TV-Umsatz in Deutschland erstmals über zwei Milliarden Euro. Sky ist mit HBO-Serien, Hollywoodfilmen und der Bundesliga gerade dabei, den Deutschen das Bezahlfernsehen beizubringen. Netflix kostet in den USA 7,99 Dollar im Monat und wird auch hier viel billiger sein als Sky (je nach Paket bis zu 46,90 Euro) – wird aber auch mit deren Angebot konkurrieren müssen.

Auch Streamingdienste, kostenlose und kostenpflichtige, gibt es schon viele in Deutschland. Kundenzahlen verraten sie alle nicht, doch Maxdome aus der Pro-Sieben-Gruppe ist nach eigenen Angaben Marktführer. Sie alle – Snap von Sky, Watchever, Videoload oder Amazon Prime Instant Video – kosten weniger als zehn Euro im Monat und haben Tausende Filme und Serienepisoden in der digitalen Videothek. Einen Hype hat es bisher um keines dieser Angebote gegeben.

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