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Rein und Rausch

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Es sind nicht mehr viele Zigaretten übrig, als Axel zum ersten Mal mit schockiertem Blick angeschaut wird. Ein Junge, Mitte 20, millimeterkurze dunkelblonde Haare, kann es gar nicht fassen, als er hört, warum Axel da ist. „Jetzt kommt die Werbung schon auf die WG-Partys? Wie krass ist das denn!“

Etwa drei Stunden zuvor: Kurz sieht man die Zigarettenschachteln in Axels Turnbeutel, den er auf den Bartresen legt. 29 Stück sind es dieses Mal. Eine hat er draußen vor der Bar schon verschenkt. Eigentlich sind die Zigaretten ja für später gedacht, für die Partygäste, die gar nicht seine sind, die er aber trotzdem mit Bier und Kippen versorgen soll. Das ist heute sein Job. „Für nichts in der Welt würde ich den aufgeben“, sagt er. Er stopft seinen Pulli in die Tasche und zieht den Beutel wieder zu.

Eigentlich ist Axel, 26, BWL-Student im Urlaubssemester. Nebenbei arbeitet er als „Student Brand Manager“ für die junge Münchner Firma „Partyguerilla“. Freitag- und samstagnachts ist er deshalb auf WG-Partys von Leuten unterwegs, die er meistens gar nicht kennt. Macht Fotos von Bier und Energy-Drinks und denen, die die Getränke konsumieren. Redet mit den Partygästen, versucht herauszufinden, ob sie mögen, was sie trinken. Wie sich die Flasche für sie anfühlt. Ob sie das Getränk kaufen würden.

Die Idee der Partyguerilla, die von Maximilian Hauck, 30, und Patrick Häfner, 29, geführt wird, ist simpel: Die Agentur verbindet studentische WG-Partys mit Brauereien, Tabakfirmen, Energy-Drink-Konzernen und neuerdings auch mit einem Käsehersteller. Die Firmen sehen in den jungen Menschen einen wichtigen Absatzmarkt. Sie wollen, dass eine der klassischen Werbung eher abgeneigte Altersgruppe ihre Produkte wahrnimmt. Partyguerilla ist für sie der Mittler, der verspricht: Wir bringen euer Produkt zu den coolen, jungen Leuten. Den coolen, jungen Leuten sagt Partyguerilla: Wir geben euch Bier, Energy-Drinks und Kippen umsonst. Alles, was ihr tun müsst, ist eine gute Party schmeißen.


In München läuft das Partyguerilla-Konzept gut. Die Firma bekommt mehr Anfragen von WGs als sie Partys sponsern kann.

Axel beginnt seinen Abend in einer Bar. Vor ihm auf dem Tresen steht ein Bier. Er wird pauschal für seine Arbeit bezahlt und bekommt einen bestimmten Betrag pro Party, die er für die Firmen dokumentiert. „Besonders viel ist das nicht“, sagt Axel, mehr will er nicht dazu sagen. Außer, dass sich das alles für ihn gar nicht nach Arbeit anfühlt. Er sieht sich als der Geber, als Bereicherung für das Fest. Das Gefühl, auf den Privatpartys keinen zu kennen, stört ihn nicht. „Ich bin ja schließlich der, der den Alk bringt“, sagt er.

Axel hat das zweite Helle gerade ausgetrunken, als er das erste Mal auf die Uhr sieht. In der Bar befinden sich bereits viele bierselige Menschen mit unsicheren Beinen. Sie singen das Nordseeinsel-Sehnsuchtslied der Ärzte mit, das aus den Boxen dröhnt. Axel tauscht sein T-Shirt gegen eines mit Partyguerilla-Logo und zückt sein Smartphone, um die Adresse der Party nachzuschauen. Das Telefon leuchtet auf, sein Hintergrundbild zeigt ihn mit einem Mädchen im Bikini am Strand, es ist seine Freundin. Axel hat ein Zahnpastalächeln, blonde Haare und einen Fünf-Tage-Bart. Er trägt Jeans und blaue Stoffschuhe. „Wir sollten bald los“, sagt er.

Um Mitternacht kommt Axel auf der ersten Party an. Einer der Gastgeber, ein Maschinenbaustudent, öffnet die Tür und grinst, als er ihn sieht. Am Tag zuvor haben sich die beiden bereits bei der Getränkeübergabe kennen gelernt. Für langen Smalltalk ist jetzt aber keine Zeit: Die Wohnung ist voll, das Bier in der Badewanne geht zur Neige. Und: „Die Musik ist zu leise“, sagt Axel, als der Gastgeber eine Bierkiste an Bierpong spielenden Gästen vorbei balanciert. Axel scannt die Räume mit Kennerblick, macht ein Foto von den Getränken in der Badewanne. Fotografiert die, die mit Flasche in der Hand im Zimmer stehen. „Posen ist unauthentisch“, sagt Axel. Deswegen macht er seine Bilder für die Sponsorfirmen meist einfach so, ohne Ankündigung. Er wirkt konzentriert. „Die Gäste denken eh, dass das normale Partybilder sind“, sagt Axel über seine Fotomodels und geht ins nächste Zimmer.

In München läuft das Partyguerilla-Konzept gut. Die Firma bekommt mehr Anfragen von WGs als sie Partys sponsern kann. Etwa zwölf Bewerbungen sind das momentan pro Monat. Mehr als der Hälfte hat sie zugesagt. „Für uns ist wichtig, dass wir Partys unterstützen, die erlebbare Momente versprechen“, erklärt Marton Balas. Er ist „Teamkoordinator“ bei Partyguerilla. Was er meint: Die Partys, die gesponsert werden, sollen coole Partys sein. Mindestens 40 Leute müssen eingeladen sein. In einem Online-Fragebogen müssen die Bewerber noch mehr preisgeben: „Wie groß ist deine WG?“, fragt die Partyguerilla. Oder: „Was studiert ihr?“ Außerdem sollen die Bewerber einen kurzen Text schicken, eine Art Motivationsschreiben. „Unkreativen Leuten, die nur ‚Bier her’ schreiben, sagen wir auf jeden Fall ab“, sagt Marton. Die Chancen der Bewerber steigen, je schräger und größer ihre Feier werden soll. Mottopartys kommen deshalb bei der Partyguerilla und ihren Kunden besonders gut an. Sie achten auch auf den Ort: je angesagter der Stadtbezirk, in dem die Party stattfindet, desto höher das Interesse. „90 Prozent der Firmen, die wir anfragen, wollen unser Konzept ausprobieren“, sagt Marton.

Manche finden die Vorstellung ein bisschen gruselig, zu einer Art Ware zu werden.


Was die Firmen lockt: Die Studenten sind die Besserverdiener von morgen, sie gelten als eine der wichtigsten Werbezielgruppen. Und auf den WG-Partys nehmen sie ein Produkt auf besondere Weise wahr, sie interpretieren das vorhandene Bier oder die Drinks als eine Empfehlung des Gastgebers, nicht als Preis, den ein Unternehmen zahlt, um sich direkten Zugang zur Zielgruppe zu erkaufen. Während Menschen im Alltag Werbebotschaften aktiv selektieren, erkennen sie diese im privaten Umfeld nicht gleich – darauf setzen die Firmen. Und dafür sind sie bereit zu zahlen. Wie viel die Partyguerilla von ihren Kunden verlangt, will das junge Unternehmen nicht verraten, nicht einmal einen ungefähren Betrag will man nennen. „Im Moment gehen wir noch Klinken putzen bei den Brauereien“, weicht Marton aus. Susanne Heide, Produktmanagerin bei der Brauerei Hacker Pschorr, die mit der Partyguerilla zusammenarbeitet, sagt: „Der Betrag ist in unserem Marketingbudget eher zu vernachlässigen.“

Ob sich das Konzept für die Partyguerillakunden wirklich lohnt, ist ohnehin fraglich. „Wir sind noch in der Testphase“, sagt Susanne Heide. „Uns gefällt die ungezwungene Atmosphäre auf den Feiern. Und wir erhoffen uns viel von den O-Tönen, die wir bekommen.“ Die sammelt Axel auf den Festen, wenn er sein Partyguerilla-Shirt anhat und mit den Gästen spricht. „Ob es tatsächlich etwas bringt, können wir nicht messen“, sagt die Produktmanagerin.

Axel hat sich auf der Party ins Zentrum vorgearbeitet: die Küche. Dort stapeln sich Schoko-Muffins und leere Bierflaschen auf dem Esstisch. Hier darf man rauchen, Axel öffnet seinen Turnbeutel und holt die Zigarettenschachteln raus. „Geil“, sagt ein Gast. „Darf ich zwei?“ Axel nickt und grinst. Geber halt.

Die WG-Partys, auf denen er als Student Brand Manager war, sagt Axel, seien „immer geil“ gewesen. Dass er großen Konzernen hilft, Werbung im privaten Umfeld zu machen, stellt für ihn kein Problem dar. „Es ist doch die eigene Entscheidung, ob man etwas trinkt oder später das Produkt kauft“, sagt er.

Er macht keinen Hehl daraus, dass er von der Partyguerilla ist. Meist finden ihn die Leute allein deshalb cool. Aber es gibt eben auch Zweifler. Gäste, die wie der blonde Junge in der Küche die Vorstellung ein bisschen gruselig finden, zu einer Art Ware zu werden. Nimmt man seinen Gästen nicht die Entscheidungsfreiheit, wenn man sie nicht darüber aufklärt, dass Fotos von ihnen gemacht werden, die später an zahlende Konzerne geschickt werden? „Die werden ja nicht veröffentlicht“, versucht Axel zu beruhigen. Auch die Brauerei-Produktmanagerin beschwichtigt: „Wir kriegen nicht mal die Bilddatei, wir dürfen uns die Fotos nur anschauen.“ Der blonde Junge lässt sich von Axels Argumenten nicht überzeugen, er zuppelt an seinem weißen T-Shirt und blickt Axel weiter misstrauisch an. Bei den meisten anderen ist die Skepsis nicht von großer Dauer. Sie verwandelt sich bei den meisten in Begeisterung, sobald man ihnen sagt, dass sie sich auch um das Freibier bewerben könnten. Dann sagen sie: „Geil! Wie?“

Eine Stunde später: Axel sitzt immer noch in der Küche und verteilt seine letzten Zigaretten. Die Party ist quasi vorbei, es sind nicht mal mehr zehn Gäste da. Eigentlich hatten die Gastgeber ja alles richtig gemacht, das sagt auch Axel mit all seinem WG-Party-Expertenwissen. Zwei Live-DJs haben in einem der hinteren Zimmer aufgelegt, die Stimmung war gut. Doch schon um halb eins kam die Polizei. Ruhestörung. Die Musik wird leise gedreht. Wenig später trotzdem ein zweiter Polizeibesuch, die Gäste sollen alle gehen.

So richtig in den Kram passt es Axel nicht, dass hier jetzt alles vorbei sein soll, obwohl er mit seiner Arbeit fertig ist und außerdem Freunde in der Nähe auch eine Party schmeißen – ebenfalls guerillagesponsert. Aber neben ihm sitzt ein Mädchen, Axel und sie reden schon seit einer halben Stunde miteinander. Als einer der Gastgeber ein Bierfass aus der Badewanne holt und sagt: „Das ist alles, was wir noch haben“, wacht Axel auf. Es ist Zeit zu gehen.

Die Party seiner Freunde wird gerade von einem Nachtlieferdienst mit Alkoholnachschub versorgt, als Axel ankommt. Auf den gesponserten WG-Feiern sind auch andere Getränke erlaubt. Eine Party ohne mitgebrachte Getränke wäre ja auch undenkbar, und die „Partyguerilla“-Pakete reichen meist nicht für einen ganzen Abend. Das Fest ist eine Antithese zur aufgelösten ersten Party: Menschen in Leoparden- und pinken Dino-Kostümen hüpfen zu 80er-Jahre-Pop im Wohnzimmer, in der Küche trinken sie warmen Weißwein. Axel zieht sich sein „Partyguerilla“-Shirt aus. Er will später noch in einen Club. Das Mädchen aus der WG-Küche ist nicht mit auf die Party von Axels Freunden gekommen.

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