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Anbaggern verboten

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Natürlich kann sich Martina Brück daran erinnern, wie das war. Damals. In der DDR. Als sie mit der Familie ein paar Tage weggefahren war, das Haus verrammelt, die Fenster geschlossen, die Läden dicht. Und dass dennoch, als sie nach Hause kam, auf Tischen und Schränken der Staub lag. „Wenn man mit der Hand drübergefahren ist, war sie schwarz“, sagt die 61-Jährige. Auf der einen Seite der Stadt das große Chemie-Kombinat. Auf der anderen Seite die Braunkohle-Tagebaue, deren monströse Bagger sich tief hineingefressen hatten in die Leipziger Tiefebene. Bitterfeld – das war nicht nur die Energiereserve der DDR, das war auch der Kern der chemischen Industrie des Landes. „Als Jane Fonda 1990 in Bitterfeld war und das alles gesehen hat“, sagt Martina Brück, deren Haus im nahegelegenen Mühlbeck steht, „da hat sie geweint.“



Eine Frau badet im Moritzsee bei Leipzig. Die Gegend hat sich seit der Wende sehr verändert.

Kurz nach der Wende wurde alles anders. „Mit einem Schlag standen Zehntausende Leute auf der Straße“, sagt Martina Brück. Sie selbst zählte auch dazu. Neue Arbeit? Gab es nicht. Jedenfalls nicht so schnell. Noch heute liegt die Arbeitslosenrate im Landkreis Anhalt-Bitterfeld bei mehr als zehn Prozent. Viele zogen fort, gingen in den Westen. Zurück ließen sie leer stehende Häuser und eine verheerte Landschaft. „Es sah schlimm aus“, sagt Martina Brück. Was also tun?

Zum einen waren die Bergbaubetreiber gesetzlich verpflichtet, ihre Hinterlassenschaften wegzuräumen. Böschungen mussten gesichert, kilometerlange Gleisanlagen zurückgebaut, Förderbänder und Großraumbagger verschrottet werden. Vor allem sollten einstmals abgeholzte Wälder wieder aufgeforstet werden. Das alles sollte der Region eine wirtschaftliche Zukunft sichern – Leipzig und seine Umgebung sollten zu einem Freizeit- und Erholungszentrum werden, für Wassersportler, Wanderer, aber eben auch für Radurlauber, die eine Landschaft im Wandel erleben wollen.

Wie sehr sich die Region wandelt, das hat Martina Brück selbst miterlebt. Noch zu DDR-Zeiten, während sich die Braunkohlebagger durch die Landschaft fraßen, ließen die Verantwortlichen erste abgeräumte Tagebaue mit Wasser füllen. Der Fluss Mulde wurde bereits 1975 um- und in einen zuvor aufgegebenen Tagebau eingeleitet. Hinter dem Haus von Martina Brück entstand so ein erster See, der Muldestausee. Statt auf ein braunes Loch schaute sie nun auf eine weite Wasserlandschaft. Da ahnte sie bereits, was dieser Landschaft und den Menschen hier noch bevorstehen würde: Ein industriell geprägtes, vom Menschen ausgemergeltes Land soll sich in ein Naturschutzgebiet verwandeln, mit großen Seen, aber natürlich auch mit Erlebnisangeboten: mit Segelhäfen und Badestränden, mit Achterbahnen in Freizeitparks.

Vieles davon steht schon, anderes kommt erst noch. Der geplante Hafen für Freizeitkapitäne in Leipzig zum Beispiel war vor einem Jahr noch ein großer Parkplatz. Mittlerweile betreibt dort ein Pächter einen Bootsverleih mit Beachvolleyball und Stadtstrand. Es entwickelt sich eben alles noch. Diese Zwischenstadien zu erfahren, hat allerdings seinen Reiz.

Mit dem Fahrrad lässt sich die Landschaft am besten erleben. Das Leipziger Neuseenland erstreckt sich von Bitterfeld im Norden bis Borna im Süden – und es liegt mitten in der Leipziger Tiefebene. So flach ist das Land, dass man hier immer mal wieder einen Turm gebaut oder eine Aussichtsplattform auf einem Abraumhügel errichtet hat, damit der Besucher sich einen Überblick verschaffen kann.

Ein knappes Dutzend Seen, in der Regel entstanden aus ehemaligen Tagebauen, liegt da eingebettet in die Landschaft. Dieser wiederum merkt der Besucher an, dass sie einmal komplett umgepflügt worden war. An vielen Stellen rund um die riesigen Wasserflächen im Süden Leipzigs sind Hecken und Sträucher gerade erst dabei, sich ihren Lebensraum wieder zurückzuerobern. Größere Bäume, ganze Wälder gar, werden hier wohl erst in ein paar Jahren, wenn nicht erst in Jahrzehnten stehen. Dennoch ist der Eindruck ein durchaus grüner: Meistens führen die bequem zu fahrenden Asphaltstrecken den Radler durch einsame Natur, nur hin und wieder kommt man durch kleine und kleinste Dörfer.

Das flache Land erlaubt es auch weniger Trainierten, sich von See zu See zu bewegen und eine Landschaft im Wandel, eine Region im Umbruch zu erleben. „Eigentlich“, sagt Martina Brück, „muss man alle fünf Jahre herkommen, um zu sehen, wie sich alles verändert hat.“

Wer vom Goitzschesee mit dem Rad weiterfährt in Richtung Süden, im Städtchen Delitzsch mit seinen fünf Wehrtürmen, den Stadtmauerresten und den vielen schmucken Bürgerhäusern kurz innehält und dann weiter am Werbeliner See und am Schladitzer See vorbeiradelt, der kann schließlich bei Hans Neubert im Stadtmuseum von Schkeuditz Station machen.

Akribisch hat der Museumsleiter in einem ehemaligen Amtsmüller-Haus Zeugnisse der Geschichte der Stadt zusammengetragen. Wer über den Hof das Haus betritt, dem fallen sofort die zahlreichen, gusseisernen Säulen auf, die Neubert aufgereiht hat. Kunstvoll verschnörkelte sind dabei, aber auch ganz einfache, simple Stützen. Mit der Industrialisierung Mitteldeutschlands wandelte sich auch Schkeuditz von der einstigen Ackerbürger- zur Industriestadt. Zunächst prägte die Pelzindustrie die Kommune, später kamen eine Mälzerei, eine Brauerei, eine Möbelfabrik hinzu. Heute allerdings ist davon kaum mehr etwas zu sehen. Nur die Säulen im Hof von Hans Neuberts Stadtmuseum erinnern noch daran.

„Nach der Wende wurden die alten Fabrikhallen nach und nach abgerissen“, erzählt der Museumsleiter. Die Kommune konnte sich den Unterhalt der alten Hallen nicht mehr leisten. Neubert wollte dennoch etwas davon erhalten für die Nachwelt. „Wie Indianer sind wir durch die Hallen gepirscht und haben die Säulen gesichert.“ Nun erinnern sie an die verschwundene Industriekultur des Ortes.

Auch hier hat der Untergang der Produktionsstätten der Natur zu mehr Platz verholfen. Davon kann Franka Seidel berichten. Die 29-Jährige leitet die Auwaldstation in Lützschena, einem Stadtteil im Norden von Leipzig. Als grünes Band ziehen sich die Flüsse Weiße Elster und Pleiße mit ihren Auwäldern in Nord-Süd-Richtung durch Sachsens einwohnerstärkste Großstadt. Mit Spezialkameras, die auf Bewegungen im Unterholz reagieren, spüren Seidel und ihre Naturschützer-Kollegen Fischotter und Dachse auf. „Die Flüsse sind wesentlich weniger verschmutzt als zu DDR-Zeiten“, sagt Seidel. Fische leben nun wieder in großer Zahl in den Gewässern; ihre Jäger, die Fischotter, profitieren davon.

Seidel führt auch Gäste durch den Auwald. Man erfährt dabei nicht nur, welche Tiere sich dort wieder angesiedelt haben. Sondern auch, was es mit der Skulptur einer Jungfrau und den Resten einzelner Tempel auf sich hat, die mitunter tief versteckt im Auwald auftauchen: Der Adlige Maximilian Speck von Sternburg hatte sie einst im Auwald aufstellen lassen; eine Grünanlage nach Vorbild eines englischen Landschaftsparks schwebte ihm vor. Nach 1945 aber wurde das Gelände parzelliert, Siedler durften den Auwald roden und das Holz nutzen oder weiterverkaufen. „Der ursprüngliche Charakter des Parks war kaum mehr auszumachen“, sagt Seidel. Nach der Wende kaufte ein Erbe des Adligen das Areal – und sanierte den Park, einen Teil der Skulpturen, Tempel und Sitzecken. Alles wie früher, alles im Wandel, Leipziger Tiefebene eben.


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