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Herr der Schulbücher

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Natürlich fällt einem in diesem Moment am Eingangstor zum Klett-Verlag Helmut Schmidt ein. Der Alt-Kanzler ist wohl der einzige, der noch im Fernsehen rauchen darf und sonst überall. Stets bleibt da der Eindruck vom nicht gerade gesundheitsförderlichen, aber vielleicht doch inspirierenden Müßiggang, von vergangenen Zeiten, als noch die zu Ende gedachten Ideen zählten und die guten Gespräche und nicht so sehr das Drumherum und orthodox beachtete Regeln. Heute ist das meist anders, das mit dem Rauchen, das mit den Gedanken, zumal in den wirtschaftlichen Institutionen, in denen die Chefs ambitioniert an Business-Runs teilnehmen.



Ein deutsch-französisches Geschichtsbuch für Abiturienten von der Klett-Gruppe.

Insofern wirkt dieser Mann, der da in Stuttgart am Tor steht, irgendwie aus der Zeit gefallen: Philipp Haußmann, 48, zündet sich erst einmal eine Zigarette an, eine von den richtig starken, erzählt davon, dass im Hinterhof einst Robert Bosch und seine Leute die Zündkerze erfanden und steigt dann mit einer neuen glimmenden Fluppe in den Aufzug. Als Chef des größten Schulbuchverlags der Republik und eines Konzerns mit 450 Millionen Euro Umsatz. „Das darf jeder bei uns, das haben wir so entschieden“, sagt er bloß. So einer will Vorbild sein, für Schüler und Mitarbeiter?

Aber so ist das eben bei Klett. Hier läuft einiges anders, als bei anderen Unternehmen – aber, soviel sei bereits gesagt, durchaus nicht schlechter, eher im Gegenteil. Und ja, vielleicht hat das auch ein bisschen was mit den Zigaretten zu tun, die für eine Freiheit stehen, die selten zu finden ist.

2880 Menschen arbeiten für dieses Familienunternehmen, von dessen Büchern wohl so ziemlich jeder schon einmal eines in der Hand gehalten haben dürfte. Sei es eines der Greenline-Schulbücher zum Englischlernen, die Schriften von Jean Amery, oder der Fantasy-Klassiker „Herr der Ringe“. Insgesamt veröffentlicht Klett jährlich 3000 Printtitel, 41000 sind lieferbar. Die Ursprünge des Unternehmens gründen auf einer Druckerei, die hier einst stand und von Ernst Klett 1897 übernommen wurde. Die Verlegerei war ein Nebengeschäft – bis 1945 die amerikanische Militärregierung Ernst Klett junior eine Verlagslizenz gewährte und vor allem Papier zur Verfügung stellte. Und weil der Mann kein Nazi war, durfte Klett als einer der ersten Schulbücher für das Nachkriegsdeutschland verlegen. Es war der Beginn des Aufstiegs in die Oberliga der Verlagswelt.

Eine Druckerei gibt es heute nicht mehr, aber dafür ein Konglomerat von knapp 60 Tochterunternehmen, denen inzwischen die vierte Generation vorsteht: Philipp Haußmann ist Urenkel des Gründers. Und Haußmann ist einer, der Klett als einen Konzern im besten Sinne leitet: In der Zentrale, dem Haus R77, gegenüber des pittoresken Feuersees, finden sich nur die Buchhaltung, die Pressestelle und die Geschäftsführungsbüros. Überschaubar. Die außen herum und an anderen Standorten verteilten Tochterfirmen haben bewusst so viele Freiheiten, dass sie hier mitunter nicht sofort auf dem Stand sind, was Pläne und Zahlen anbelangt. Aber das ist eingerechnet: „Mein Ziel ist es, dass die Bürokratie nicht größer wird“, sagt Haußmann.

Er will den anderen Platz lassen, im räumlichen und im gedanklichen Sinne, ihnen den Rücken freihalten. Ist er denn dann überhaupt Verleger? „Im funktionalen Sinne nicht“, sagt Haußmann. Er erkenne zwar „Schrott“, wenn er ihn nach Erscheinung lese, soweit reiche es, aber er führe keine Gespräche mit den Autoren, wähle keine Programme aus, das was den klassischen Verleger kennzeichne. Aber: der reine Unternehmer ist Philipp Haußmann auch nicht, das merkt man, wenn man in die gediegene Stadtvilla auf dem Gelände geht, in dem Klett-Cotta untergebracht ist, der Literatur- und Sachbuchableger. Exposés liegen auf den Tischen, eine Büste von Ernst Jünger steht im Empfang. Ernst Jünger, der umstrittene Autor mit dem Ruch des Nationalismus? „Wir sind liberal hier in einem altertümlichen Sinne“, sagt Haußmann, „intelligente Meinungen jedes Spektrums finden bei uns Platz.“ Es ist Ausdruck schwäbischen, bürgerlichen Liberalismus: Skeptisch sein, aber doch am Gemeinwohl orientiert und am gesellschaftlichen Diskurs. Er ascht gerade ab, da geht eine Tür auf und sogleich ist er umringt von jungen Lektoren, die dieses oder jenes mit ihm besprechen wollen. Wobei es beim Blick auf die anderen Klett-Aktivitäten gerade im Bildungsbereich schon stimmt, dass Haußmann kein reiner Verleger ist: Unter seiner Leitung vertreibt die Klett-Gruppe zunehmend nicht nur Unterrichtsmaterialien, sondern nutzt sie auch selbst: 90 Schulen und Fachhochschulen betreiben die Schwaben mittlerweile; eine der jüngsten ist die Galileo-Grundschulen in Stuttgart, die ihren Pausenhof auf dem Dach hat und bei der eine ehemalige Penthouse-Wohnung zum Musikzimmer umfunktioniert wurde.

Eigene Schulen sind eine Möglichkeit in dem Bildungsmarkt zu wachsen, der wettbewerbsintensiv ist, in Deutschland etwa mit der Konkurrenz von Cornelsen oder Westermann, und bei dem sich nur wenige Inhalte in andere Länder und damit andere Lehrpläne übertragen lassen. Zwar bringen die Klett-Schulen keine große Rendite, sind doch die Gebühren nach Einkommen gestaffelt und auch Stipendien werden oft vergeben. Diese Institution sollen sich „nicht nur Eltern leisten können, die dann mit Jeeps und großen Limousinen vorfahren“. Aber es ist ein beständiges Geschäft, denn Schulen wird es immer geben, und vor allem macht es Spaß. „Endlich können wir selbst umsetzen, wie wir uns sehr guten Unterricht vorstellen“, sagt Haußmann. Natürlich, am Ende geht es meist um das Abitur, aber es soll eben um mehr als Wissen drehen: Auch Motorik, Frustrationstoleranz und Sozialverhalten stehen im Mittelpunkt. „Wir wollen die Kinder zu Menschen machen, die eine Haltung haben“, sagt Haußmann, der Verleger, der damit gewissermaßen auch Schuldirektor ist und Bildungsunternehmer.

In dem abbruchreifen Gebäude hinten rechts am Radlständer hat er einst angefangen. Als Küchenjunge. Hunderte Eier mit Senfsoße hat er dort bereitet – ohne dass die Leute auf Anhieb wussten, dass da einer aus der Verlegerfamilie schaffte: Ein Haußmann ist eben nicht auf Anhieb als Urenkel des Verlagsgründers Ernst Klett erkennbar. Im Landerziehungsheim, sehr christlich, sehr aufgeklärt, lernte er für’s Abitur, studierte dann Recht und Romanistik. Und kehrte, mit 30 Jahren, in den Verlag zurück, diesmal als Trainee und rückte einige Jahre später in den Vorstand auf. Die Gesamtführung war eigentlich nicht vorgesehen.

Doch ein installierter Fremdgeschäftsführer scheiterte. Der Mann der dritten Familiengeneration, Michael Klett, übernahm wieder, weil das Unternehmen „in kürzester Zeit auch menschlich so in Unordnung geraten“ war, wie er selbst einmal erklärte. Und übergab den Laden alsbald in die Hände seines Neffen Philipp, der von sich sagt: „Ich bin hier quasi zu Hause.“ Deswegen ist das mit dem Rauchen schon in Ordnung. Und: So etwas wie bei der Verlegerfamilie Bertelsmann, die einst an einen Thomas Middelhoff übergaben, passe eben nicht zu Klett: „Ein Manager, der 25 Prozent Rendite verspricht, der arbeitet in einer Art, die nicht mit diesem Unternehmen vereinbar ist.“

Einstellig dürfte derzeit die Umsatzrendite sein, aber das ist in Ordnung, sagt Haußmann. Gewinn sei eine notwendige Nebenbedingung. Aber nicht das Ziel; nur ein kleinerer Teil fließt angeblich an die Erben ab. „Die Vernichtung der Dumpfheit, das ist es, was wir tun, wobei wir helfen.“ Entsprechend sei ihm wie auch den Vorgängern etwa Klett-Cotta so wichtig. Die Sparte macht zwar nur fünf Prozent vom Umsatz, aber spiegelt eben doch auch den theoretischen Überbau, den etwa die große Schulbuchsparte praktisch vermittelt.

Das mit der Dumpfheit klingt ein wenig pathetisch. Aber es ist Haußmann völlig ernst. Wenn die Bildungsmesse Didacta alle Jahre in Stuttgart Station macht, kann man das erleben. Dann lädt er so wie in diesem März eine kleine Runde von Lehrern und Autoren in sein Privathaus auf der Karlshöhe, von der man beinahe auf das Verlagsgelände sehen kann. Drumherum wohnen viele der Familie, sein Cousin David Klett ist gekommen, ein promovierte Philosoph. Ohne viel Aufhebens kündigt der Hausherr zwei Impulsvorträge in seinem Wohnzimmer an; er ist nicht der große Conférencier, der sich in den Mittelpunkt stellt. Klavier wird gespielt, einige Flaschen Wein werden aufgemacht.

Und im Zigarettenqualm gewinnt dann eine Diskussion über die richtige Inklusion von behinderten Kindern an Fahrt und wie das die Denker der Frankfurter Schule gesehen hätten. Zu Google und Amazon geht es und deren Versuch, auch die Kultur und die Bildung zu beeinflussen. „Hochgefährlich“, kommentiert Haußmann und gibt zu bedenken: Wem nützt diese Entwicklung inwiefern? Dabei hält ja sein eigener Verlag ja auch immer mehr digitale Unterrichtsblätter oder multimedial aufgehübschte Schulbücher bereit. Den Lehrern und den Schülern möglichst viele Angebote machen, aber unabhängig von der Infrastruktur, das ist seine Haltung dazu. Wahrscheinlich werde man zum Ende des Jahrzehnts digital Vokabeln lernen und Landkarten auf dem Computer ansehen. „Aber das gedruckte Schulbuch bleibt doch“, sagt er. Als Leitplanke für alle, abgesegnet von den Kultusministerien. Es ist ein Satz, in dem wohl Hoffnung mitschwingt, ist das doch weiter das Hauptumsatzfeld, und das Einverständnis, dass die Leitlinien der Bildung neutral organisiert werden sollten.

Es ist eine der seltenen Runden mit Nachdenklichkeit, aber auch Entschiedenheit und Haltung in dieser von der Autoindustrie und Umsatzzahlen allzu sehr geprägten Stadt. Als sich die Gäste verabschieden, ist es schon eher Morgen als Abend. Und Haußmann lädt noch zu einer letzten Zigarette, vor dem Alltag in ein paar Stunden.

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